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Seelenschatten

wenn das Dunkel sich erhebt
von

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Hinter dem Schleier

Easier to run (Linkin Park)
 

Something has been taken

From deep inside of me

The secret I've kept locked away

No one can ever see

Wounds so deep they never show

They never go away

Like moving pictures in my head

For years and years they've played
 

If I could change I would

Take back the pain I would

Retrace every wrong move that I made I would

If I could stand up and take the blame I would

I would take all my shame to the grave
 


 

Hinter dem Schleier
 

Ein Geräusch riss Harry aus seinen Gedanken. Hinter der schwarzen Tür, die ihm genau gegenüber lag, waren jetzt Stimmen zu hören, ein dumpfes Gemurmel, und jemand versuchte offensichtlich sie zu öffnen.

„Harry?“, fragte jemand vorsichtig.

Das war Hermine. Sie hatten ihn also gefunden.

„Harry, bist du da?“, fragte Hermine erneut. Harry meinte eine Mischung aus Neugier und Sorge in ihrer Stimme erkennen zu können.

„Geht weg!“, rief er wider besseres Wissen. „Ihr solltet gar nicht hier sein.“

„Wir sind aber hier.“, gab Hermine zurück. „Die Verhandlung hat sich verzögert und konnte erst heute Abend entschieden werden. Grawp ist frei, falls es dich interessiert.“

„Das ist schön.“, antwortete Harry lahm. Er hatte im Moment wirklich wichtigere Probleme.

„Ja, die Verhandlung war wirklich zäh.“, erklärte Hermine weiter. „Die Richter konnten sich einfach nicht entscheiden. Aber Hagrid war toll als Zeuge, eigentlich hätte er…“

„Hermine!“, unterbrach Harry sie ungeduldig. „Ich hab wirklich keine Zeit für eine Unterhaltung. Und ich werde jetzt gehen. Wenn es euch Spaß macht, könnt ihr natürlich noch weiter gegen die Tür brüllen, aber ich werde euch nicht mehr zuhören.“

Auf der anderen Seite wurde es einen Augenblick lang unruhig, dann sagte Hermine:

„Wie wäre es dann, wenn du uns reinlassen würdest?“

Harry verzog das Gesicht. Als wenn es nicht abzusehen gewesen wäre, worauf Hermine wirklich hinaus wollte.

„Nein!“, rief er. „Es tut mir leid, aber das geht nicht. Ich habe hier noch etwas zu erledigen.“

„In der Mysteriumsabteilung?“, fragte Hermine scheinbar erstaunt nach. „Aber was könnte das denn nur sein?“

„Hör zu, Hermine!“, fauchte Harry böse. „Ich bin nicht blöd und ich werde hier nicht noch weiter herumdiskutieren, während ihr euch ausdenkt, wie ihr mich aufhalten könnt. Ihr könnt es nämlich nicht.“

Damit drehte er sich um, klemmte Draco Malfoys Zauberstab in die Tür und wollte schon die steinernen Stufen betreten, als ihn eine wohlbekannte Stimme zurückhielt.

„Hast du wirklich geglaubt, dass eine einfache Tür deine Freunde aufhalten würde?“
 

Harry wirbelte herum und starrt Professor Dumbledore ungläubig an. Der alte Zauberer musterte Harry ernst über den Rand seiner Halbmondbrille. Er trug einen amethystfarbenden Umhang, sein Haar und sein langer, silberner Bart waren sorgfältig gebürstet, seine Haltung wirkte völlig gelassen. Harry kam sich ihm gegenüber ziemlich schäbig und klein vor, wie er da stand mit seiner zerrissenen und verdreckten Kleidung, in der er wie ein Dieb in das Ministerium eingedrungen war.

„Mir scheint, dass du eine ziemlich Odyssee hinter dir hast.“, stellte Dumbledore fest und nickte Harry freundlich zu. „Möchtest du mir erzählen, was dich hierher führt?“
 

Harry wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Er hatte das Gefühl in einem Spiel mitzuspielen, dessen Regeln ihm niemand erklärt hatte, die aber alle anderen zu kennen schienen. Hatte Dumbledore etwa seine Gedanken gelesen? Harry versicherte sich, dass Sirius immer noch in seiner Nähe war um ihn notfalls vor einem Angriff der einen oder anderen Art zu schützen. Beruhigt spürte er, wie die inzwischen schon so vertraute Präsenz seine Gedanken aufklarte und ihm riet, wachsam zu sein und seinen Gegner nicht zu unterschätzen.

Harry machte einen Schritt rückwärts und zückte seinen Zauberstab. Drohend richtete er ihn auf Dumbledore.
 

„Kommen Sie nicht näher, Professor!“

Dumbledore jedoch beachtete Harrys Warnung und den auf ihn gerichteten Stab überhaupt nicht. Stattdessen richtete er seinen Blick auf dem zweiten Stab am Boden.

„Wem gehört dieser Zauberstab?“, fragte er.

Verunsichert machte Harry noch einen halben Schritt rückwärts. Es wollte ihm so gar nicht passen, dass Dumbledore ihn so wenig ernst nahm.

„Der gehört Draco Malfoy.“, entgegnete er schließlich.

„Und wie, wenn ich fragen darf, ist er in seinen Besitzt gelangt?“, wollte Dumbledore weiterhin wissen.

„Ich habe ihn ihm abgenommen.“, stieß Harry hervor. „Aber das ist doch völlig unwichtig. Voldemort ist tot.“
 

Mit Befriedigung sah Harry, dass Dumbledores Züge für einen kurzen Moment entglitten. Er war sich nicht sicher, was er darin las, es war jedoch keine Freude, ja noch nicht einmal Anerkennung.

„Wie kam es dazu?“, wollte Professor Dumbledore wissen und musterte Harry jetzt genauer.

„Ich habe ihn besiegt.“, erklärte Harry schlicht und versuchte dabei das Zittern aus seiner Stimme zu verbannen. „Es war nicht ganz einfach, aber schließlich hat der bessere Zauberer gewonnen.“

„Der bessere Zauberer?“, hakte Dumbledore nach. Noch immer schien er daran zu zweifeln, dass Harry es wirklich geschafft hatte.

„Ja!“, rief Harry aufgebracht. „Was ist daran so unwahrscheinlich? Voldemort hat mich eben unterschätzt. Ich…ich hatte natürlich auch Glück und wenn Sirius…“
 

Harry biss sich auf die Zunge. Er wusste nicht, wie Dumbledore es anstellte, aber beinahe hätte Harry ihm die ganze Geschichte erzählt, obwohl der alte Zauberer nicht eine einzige, konkrete Frage gestellt hatte. Dumbledore war eindeutig gefährlich. Voldemort zu besiegen, war eine Sache, sich aber gegen denjenigen zu stellen, den selbst Voldemort gefürchtet hatte - Harry war sich nicht sicher, ob er dieser Herausforderung auch noch gewachsen war. Er musste wachsam bleiben, damit Dumbledore ihn nicht noch im letzten Moment von Sirius Rettung abhielt.
 

„Ist das der Grund, warum du heute Abend hier bist?“, unterbrach Dumbledore Harrys Überlegungen. „Weil du hoffst, Sirius hier wieder zu treffen?“

„Das geht Sie gar nichts an.“, fauchte Harry wütend. Wie konnte Dumbledore die Nachricht über seinen Sieg über Voldemort so einfach beiseite wischen? Wie konnte er ihn so wenig ernst nehmen?

„Da meine Vermutungen offensichtlich stimmen“, fuhr Dumbledore ungerührt fort, „verrate mir doch, wie du das anstellen wolltest? Wieso bist du hier? Was genau gedenkst du zu tun, um Sirius Black von dem Ort zurückzuholen, von dem es keine Wiederkehr geben kann?“

Erneut hatte Harry das Gefühl, dass Dumbledore diese Frage nur stellte, um Zeit zu gewinnen, und dass er die Antwort auf diese Frage schon längst kannte.

„Wieso fragen Sie mich das alles?“, begehrte er auf. „Ich weiß genau, dass Sie Sirius für tot halten. Alle tun das. Aber sie haben sich geirrt. Ich weiß, dass er nicht tot ist und ich werde ihn zurückholen. Heute Nacht.“
 

Den Zauberstab immer noch auf Dumbledore gerichtet, tastete er sich vorsichtig rückwärts in Richtung des Steinbogens. Er fühlte, dass ihm langsam die Zeit davon rann. Sein Kopf war plötzlich so heiß; es fühlte sich an, als hätte er Fieber. Der Kampf mit Voldemort forderte endgültig seinen Tribut. Aber er durfte einfach nicht aufgeben. Nicht so kurz vor dem Ziel.
 

Seine Füße erreichten die Kante der ersten Stufe. Instinktiv drehte Harry den Kopf, um nicht zu fallen. Zu spät erkannte er die Blöße, die er sich damit gab. Blitzartig warf er sich herum und beschwor noch in der Bewegung einen Schild. Die Luft zwischen ihn und Dumbledore summte von der geballten Magie, bereit jegliche Gefahren von ihm abzublocken. Doch nichts geschah. Kein Zauber, um ihn zu Fall zu bringen, kein Fluch, um ihn erstarren zu lassen. Dumbledore stand immer noch an exakt derselben Stelle wie noch den Augenblick zuvor. In seinem Gesicht stand Besorgnis.
 

„Harry“, begann er zögernd. „Ich weiß…“

„Nichts wissen Sie!“, unterbrach ihn Harry ruppig. „Oder vielleicht doch? Die ganze Zeit über Sie haben immer mich angelogen, mir weismachen wollen, es gäbe kein Zurück für Sirius. Sie sagten, ich solle ihn vergessen, so wie alle anderen ihn vergessen haben. Sie sagten, er sei tot. All das war eine Lüge. Sie wissen, dass dieser steinerne Bogen ein Übergang in eine andere Welt ist. Ist es nicht so?“
 

Dumbledore wirkte nicht im Mindesten überrascht, was Harry nur noch weiter in seiner Theorie unterstützte. Der alte Zauberer seufzte schwer.

„Ich weiß nicht, woher du diese Informationen hast, aber…“

„Ersparen sie mir die Ausflüchte!“, schrie Harry ihn an. „Erzählen Sie endlich die Wahrheit! Hören sie auf zu lügen! Ich hab Mafalda Mullingtow gesehen, ich habe ihr Tagebuch gelesen, ich weiß, wie alt sie wirklich war. Ich habe das Buch aus dem Verbotenen Teil der Bibliothek gefunden und ich habe die Geschichte des Torbogens übersetzen lassen. Und vor allem aber habe ich von Sirius selbst eine Botschaft und mehr Hilfe bekommen, als sie mir jemals auch nur angeboten haben.“
 

Jedes Wort aus Harrys Mund war ein Geschoss, das Dumbledores Verteidigung hemmungslos unter Beschuss nahm und offensichtlich auch traf. Mit jedem Satz wurde Dumbledores Gesicht grauer, die Bestürzung in seinen Augen größer.

Harry fühlte weißglühenden Zorn in seinem Inneren wüten. Es stimmte also: Dumbledore hatte ihn belogen. All die Scherereien, die Harry in diesem Jahr gehabt hatte, all die Streits, die Heimlichkeiten, die Opfer…all das war nur Dumbledores Schuld, weil diese ihm nicht die Wahrheit gesagt hatte.

Dumbledore sah unendlich erschöpft aus, doch auf Harry wirkte dieser Anblick fast befriedigend. Endlich hatte er die Fassade aus Gelassenheit und Güte durchbrochen und darunter war ein ganz normaler Mensch erschienen.
 

Der alte Zauberer trat in den Raum zu Harry, sein Fuß schob beiläufig Draco Malfoys Zauberstab aus der Tür und diese schloss sich hinter ihm. Langsam und so, als stünde Harry nicht mit drohend auf ihn gerichteten Zauberstab vor ihm, begann Dumbledore, die Stufen zu dem Podium hinab zu steigen. Seine Bewegungen wirkten müde und angestrengt, als würde er gegen einen inneren Widerstand ankämpfen.
 

Harry folgte seinem Beispiel, wenngleich auch in einigem Abstand. Bevor Dumbledore die letzten Stufen hinab gestiegen war, schnellte Harry vor und schnitt ihm kurzerhand den Weg ab. Dumbledore sah Harry geradeheraus an, doch Harry wagte nicht, es ihm gleich zu tun.
 

„Das ist nahe genug!“, rief er herausfordernd und fuchtelte mit seinem Zauberstab. Eine einzige falsche Bewegung, so schwor er sich, und er würde Dumbledore angreifen, bevor dieser ihn angriff oder gar das Tor zerstörte. In seinem Rücken wisperten die Stimmen hinter dem Vorhang. Es fühlte sich an, als würde jemand ganz nah hinter ihm stehen.
 

Dumbledore sah Harry noch einen Augenblick lang aufmerksam an, dann schüttelte er leicht den Kopf und ließ sich auf einer der unteren Sitzreihen nieder. Er seufzte wieder.

„Mir scheint“, sagte er schließlich mit leiser Stimme. „dass es an der Zeit ist, dir eine Geschichte zu erzählen, Harry. Eine Geschichte, die so unglaublich und schrecklich ist, dass ich sie, wäre ich nicht dabei gewesen, nicht glauben würde. Ich hatte immer gehofft, dass ich sie nie wieder erzählen müsste, doch mein Schweigen würde die Lage im Moment wohl nur noch viel schlimmer machen.
 

Dieser Torbogen, vor dem wir hier stehen, ist tatsächlich so etwas wie ein Tor in eine andere Welt. Eine Welt, deren Geschöpfe sich der menschlichen Vorstellungskraft entziehen. Du fragst dich vielleicht, woher ich das weiß. Nun, das Tor wurde einst geöffnet und das, was folgte, war eines der schlimmsten Dinge, die ich je erlebt habe.“

Dumbledores Stimme stockte, als würde die Erinnerung an damals noch einmal von ihm Besitz ergreifen. Spuren des alten Entsetzens spiegelten sich auf seinen Zügen wieder.
 

„Jemand hat einmal gesagt, dass die größten Sünden der Menschheit in ihrer Neugier begründet liegen. Wie gern würde ich sagen, dass die Zauberer von dieser Regel eine Ausnahme bilden, doch dem ist nicht so. Als dieses Tor damals geöffnet wurde, spielten die Neugier und der unbändige Durst nach Wissen sicherlich eine große Rolle. Die zweite, weit verheerendere Komponente jedoch erscheint mir rückblickend der Leichtsinn, mit der damals Entscheidungen gefällt wurden.“
 

Ungeduldig fuhr Harry auf. „Können Sie nicht einfach sagen, was Sie meinen ohne schon wieder in Rätseln zu sprechen.“
 

Dumbledores Miene zeigte keinerlei Regung auf Harrys Ausbruch, doch nach weiteren, unendlich erscheinenden Sekunden sprach er schließlich weiter. „Also schön, ich werde versuchen dir begreiflich zu machen, was damals geschah.
 

Wie du bereits weißt, wurde diese Höhle damals eher zufällig entdeckt, ebenso wie das geheimnisvolle Tor. Uralte Zeichen und Symbole überall an den Wänden und auf dem Fußboden ließen auf einen Ort sehr alter Magie schließen. Ich nehme an, dass dir das Tagebuch von Mafalda Mullingtow so viel verraten hat, dass eine Expedition erfahrener Zauberer ausgewählt wurde, um ihr Geheimnis zu ergründen und hindurch zu gehen. Keiner von ihnen kehrte zurück. Auch der Suchtrupp, der ihnen wenige Tage später folgte, wurde je wieder gesehen. Schließlich entschloss man sich, das Tor zu öffnen. Eine Entscheidung, deren Tragweite damals niemand von uns abzuschätzen wusste. Man durchbrach die uralte Magie, die unsere und die andere Welt voneinander trennte.
 

Wabernde Schwärz war jedoch das Einzige, dass das Tor zunächst offenbarte. Die Zauberstäbe hoch erhoben warteten wir, dass etwas passierte. Tatsächlich bewegte sich kurz darauf etwas in der Dunkelheit. Eine Gestalt näherte sich langsam dem Durchgang. Sie bewegte sich ruckartig und ungelenk, als hätte sie ihre Beine jahrelang nicht gebraucht. Als sie endlich die trennende Grenze zu unserer Welt erreicht hatte und sichtbar wurde, worum es sich handelte, lief ein erleichterter Seufzer durch die Reihen der anwesenden Zauberer.
 

In dem Torbogen stand eine junge Frau. Lange dunkle Haare fielen ihr in Strähnen bis zu den Hüften und ihre mandelförmigen Augen glitten ungläubig über die vielen Menschen, die sie anstarrten. Schließlich fasste der damalige Zauberei-Minister sich ein Herz, trat vor und begrüße sie freundlich. Doch die junge Frau schien ihn nicht zu verstehen. Von irgendwo rief jemand: „So nehmt ihr doch die Fesseln ab!“
 

Wie wir alle daraufhin bemerkten, waren die Hände der jungen Frau tatsächlich mit einem groben Strick zusammengebunden. Auch der Rest von ihr gab bei genauerem Hinsehen Rätsel auf. Warum war sie nur mit einem dünnen Hemd bekleidet und woher stammten die Schrammen und Verletzungen an ihren bloßen Armen und Beinen?
 

Der Minister gab ihr zu verstehen, dass er ihre Fesseln lösen wollte und zum ersten Mal erschien etwas wie ein Erkennen auf dem Gesicht der jungen Frau. Willig streckte sie ihm ihre Hände entgegen und er begann, die Knoten zu lösen. Doch die Stricke zerfielen unter seinen Händen zu kleinen Staubwolken. Verwirrt sah der Minister sich zu uns um, als die junge Frau hinter ihm zu schreien begann.
 

Erschrocken fuhr der Minister herum und unter seinen und unseren entsetzen Blicken begannen jetzt auch die Hände der jungen Frau zu Staub zu zerfallen. Rasend schnell setzte sich der plötzlich einsetzende Verfall über ihre Arme fort, bis er schließlich auch ihren Körper erreichte. Ihr Gesicht verwittert binnen Sekundenbruchteilen, die Haut schrumpelte zusammen und aus dem ehemals hübschen Mädchen wurde in weniger als einem Atemzug eine vertrocknete Mumie. Das Echo ihres Schreis gellte noch in unseren Ohren wieder, als ihr völlig mumifizierter Körper zu einer riesigen Staubwolke zerbarst.
 

Hustend und spuckend trat der Minister zurück. Immer lauter wurde sein Keuchen, bis er sich mit einem Ruck aufrichtete. Sein keuchender Husten ging in ein schwaches Röcheln über, als würde er keine Luft mehr bekommen. Als ihm einer seiner Berater zur Hilfe eilen wollte, prallte dieser entsetzt zurück.
 

Der Minister hatte sich einige Zentimeter vom Boden erhoben, als hätte ihn ein unsichtbarer Riese bei der Kehle gepackt und hochgehoben. Für einen kurzen Moment schien die Gestalt des Ministers zu flackern, dann sackte er stöhnend auf dem Boden zusammen. Schnell eilten einige Zauberer herbei, um nach dem Minister zu sehen, aber eine riesige Druckwelle schleuderte sie beiseite wie ein paar welke Blätter in einem Herbststurm.
 

Das, was sich dann vom Boden erhob, erinnerte nur noch entfernt an den Zaubereiminister. Seine Gliedmaßen zuckten wie unter einem inneren Kampf und seine Augen schienen von innen heraus rot zu glühen. Er stammelte unverständliche Worte, schrie und tobte. Er schien unendliche Qualen zu haben. Geschockt beobachteten die Anwesenden, wie der Minister schließlich auf die Knie sank. Auch sein Körper begann unter unseren Blicken zu zerfallen, doch passierte es unendlich langsamer als bei der jungen Frau zuvor.“
 

Dumbledore schüttelte sacht den Kopf, als wolle er so die schrecklichen Bilder aus seinem Kopf vertreiben. Noch bevor Harry jedoch etwas sagen konnte, winkte er gebieterisch ab.

„Nein, du sollst die ganze Geschichte hören.“, befahl er.

Widerwillig schwieg Harry. Ihm war immer noch nicht klar, worauf das Ganze hinaus laufen sollte. Außerdem brachte diese Schilderung etwas in ihm zum Klingeln, bei dem er das Gefühl hatte, dass er lieber nicht daran erinnert werden wollte. Dumbledore hingegen sprach unerbittlich weiter.
 

„Wie gebannt starrten die anwesenden Zauberer auf das, was sich vor ihren Augen abspielte. Dann bemerkte jemand, wie weitere Personen durch das immer noch weit geöffnete Tor kamen. Viele von ihnen waren ähnlich gekleidet, wie die junge Frau, einige von ihnen gefesselt. Es waren unzählige Frauen und Männer. Einer von ihnen, so erinnere ich mich, trug eine richtige Ritterrüstung. Sogar Kinder bildeten einen Teil des stetigen Stroms von müden, angestrengten und vor allem ungläubigen Gesichtern. Sobald sie allerdings mehrere Schritte in unsere Welt getan hatten, zerfielen ihre körperlichen Hüllen zu Staub und setzten weit größeres Grauen frei, als wir uns hatten ausmalen können. Der Minister blieb nicht das einzige Opfer des sich ausbreitenden Wahnsinns. Immer mehr wurden davon überwältigt und auch ihnen konnten wir nicht mehr helfen.“
 

Eine einsame Träne rann über Dumbledores Gesicht und verschwand in seinem Bart. Harry scharrte ein wenig unruhig mit den Füßen. War diese Erzählung nun beendet oder nicht? Und wenn es hinter dem Schleier etwas gab, was so gefährlich war, musste er sich nicht erst recht beeilen, um Sirius zu retten? Wie auf ein Kommando konnte er dessen Ungeduld förmlich in seinem Nacken spüren. Ihm lief die Zeit davon. Aber Dumbledore schien noch nicht fertig zu sein. Er räusperte sich und fuhr dann fort:
 

„Als man endlich einsah, dass, was auch immer durch das Tor gekommen war, nicht mit unseren Mitteln aufgehalten werden konnte, war es schon fast zu spät. Viele - auch ich, wie ich gestehen muss- suchten ihr Heil in der Flucht. Der Zugang zu der Höhle wurde eilig versiegelt, ungeachtet derer, die sich noch in ihr befanden. Man hatte keine Hoffnung, sie je lebend wieder zu sehen.
 

Aber es war klar, dass die eilig gewebten Banne und Zauber das Grauen nicht ewig aufhalten würden. Tag und Nacht arbeiteten viele fähige Zauberer an einer Lösung. Auch ich und ein gewisser Ernest Solomon waren damals unter ihnen. Er war derjenige, der am vehementesten die Theorie unterstützte, dass es sich bei dieser Bedrohung um eine intelligente Lebensform handelte. Allerdings war er damals noch ein junger Mann, der noch dazu erst kurze Zeit zuvor in den Dienst des Ministeriums getreten war. Niemand nahm ihn besonders ernst…außer mir. Doch auch ich hatte nicht die Autorität, ihm Gehör zu verschaffen.
 

So hörte ich mir an, was er zu sagen hatte und er überzeugte mich, ihm bei einer Überprüfung zu helfen. Wir kehrten also zu der Höhle zurück. Gemeinsam schafften wir es, die Sicherheitsmaßnahmen zu umgehen und wieder zum Ursprungsort der Katastrophe zu gelangen.
 

Das Erste, was wir in der Höhle bemerkten war die unheimliche Kälte, die unsere Atmen kondensieren ließ und die Wände mit glitzernden Eiskristallen überzogen hatte. Als nächstes waren da die Geräusche. Ein rasselndes, unheimliches, vielkehliges Atmen, das von überall zugleich zu kommen schien. Immer näher schien es zu kommen, bis sich schließlich eine Gestalt aus der Dunkelheit schälte.
 

Sie trug einen langen Kapuzenmantel und die Hände, die sich nach suchend uns ausstreckten, waren von einer widerwärtigen, grauen Farbe und wirkten abgestorben wie die Hände eines Toten. Am schlimmsten aber war das eingefallene Gesicht, das uns aus augenlosen Höhlen anklagend ansah, während der Mund zu einem gierig saugenden Schlund verzerrt war, bestrebt uns unsere Wärme zu entziehen, unsere Zuversicht und unsere Hoffnung, um den eigenen, unbändigen Hunger nach diesen Dingen zu stillen.“
 

„Dementoren?“, staunte Harry. Dann lachte er spöttisch auf. „Sie wollen mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass hinter diesem Tor Dementoren hausen. Wenn das alles ist, verstehe ich nicht, warum Sie sich eigentlich solche Sorgen machen.“
 

Dumbledore sah Harry traurig an.

„Die Dementoren“, sagt er langsam, „leben nicht auf der anderen Seite. Sie sind in jener Nacht erschaffen worden. Erschaffen aus den Körpern unsere Freunde, grausam verzerrt durch die Mächte, die wir entfesselten, verfremdet, durch die Wesenheiten, die von ihnen Besitz ergriffen.

Diese Wesen vernichteten ihre Seelen, raubten ihren Körpern die Lebenskraft und saugten sie vollständig aus, bis auch ihre Köper zu Staub zerfielen. Als dann die Höhle verschlossen wurde, versiegte der Nachschub an menschlichen Opfern und die Kreaturen beschlossen, die Körper, denen sie innewohnten, zu behalten. Was genau ihre Beweggründe dafür waren, vermag ich dir allerdings nicht zu sagen.“

„Das heißt die Dementoren sind in Wirklichkeit tote Zauberer?“, echote Harry ungläubig.

„Ja und nein“, antwortet Dumbledore. „Irgendwo in ihnen mag noch ein winziger Funken des ursprünglichen Menschen stecken, doch im Grunde genommen siehst du in ihnen jene grausamen Parasiten, die es auf die Seelen der Menschen abgesehen habe.“
 

Harry schwirrte der Kopf. Was Dumbledore da erzählt hatte, konnte nicht stimmen.

„Sie lügen!“, stieß er hervor. „Das haben Sie sich alles nur ausgedacht.“

„Ich wünschte, es wäre so.“, seufzte Dumbledore. „Aber warum sollte ich dich anlügen?“

„Ich weiß nicht.“, murmelte Harry.

Nichts in seinem Kopf schien noch einen Sinn zu ergeben. Wenn das stimmte, was Dumbledore sagte, warum hatte Sirius ihn hierher kommen lassen? Was sollte er dann hier?
 

„Aber was ist mit Mafalda Mullingtow?“, fiel ihm ein. „Sie sagen, sie war auf der anderen Seite. Sie ist zurückgekommen. Es muss einen Weg geben, wie ich Sirius wieder holen kann.“

„Mrs. Mullingtow ging damals durch diese Tor, um ihren Mann zu suchen.“, erklärte Dumbledore ruhig. „Auch sie hatte Gerüchte gehört, denen zufolge Mitglieder der Expedition zurückgekommen waren. Das stimmte jedoch nur soweit, dass ihre Körper ebenfalls von den Wesen auf der anderen Seite benutzt worden waren. So waren sie auch nach der Wiedererrichtung der Grenze in der Lage, in unsere Welt zu kommen, weil ihre Körper immer noch ein Teil unserer Welt waren. Sie alle starben jedoch kurz nach ihrer Rückkehr auf grausame Art und Weise.“
 

Harry schauderte. Die Entwicklung dieser Unterhaltung gefiel ihm gar nicht.

„Aber was war dann mit den Wesen, die sie mitgebracht hatten?“, krächzte er.

„Es gab leider einige weitere Opfer, bevor man erkannte, dass die Heimkehrer eine gefährliche Fracht mit sich trugen.“, erläuterte Dumbledore mit einem bitteren Unterton. „Dann jedoch entwickelte man eine Methode, die Wesen beim Tod ihres Wirtes zu isolieren.“
 

Eine Erkenntnis begann sich in Harry auszubreiten, doch er drängte sie mit aller Macht zurück. Das durfte alles nicht wahr sein; das konnte nicht wahr sein. Unwillkürlich glitt sein Blick nach oben und er erstarrte. Dort standen Hermine, Ron, Cornelius Fudge und mehrere Zauberer, von denen Harry einen als denjenigen wieder erkannte, der ihn damals nach seiner ersten Begegnung mit Mafalda Mullingtow hatte verhaften wollen. Er sah, dass der Zaubereiminister krebsrot im Gesicht war und offensichtlich um seine Fassung rang. Als er entdeckte, dass Harry ihn beobachtete, gab er sich einen Ruck und stürmte die Treppen hinunter.
 

„Dumbledore!“, rief er laut. „Ich denke, das reicht jetzt. Sie haben deutlich ihre Kompetenzen überschritten. Alle anwesenden, nicht autorisierten Personen werden sich umgehend in die Obhut eines Vergissmichs begeben. Was glauben sie eigentlich, wer Sie sind?“

„Jemand, der versucht einem jungen Mann die Augen zu öffnen, Minister.“, gab Dumbledore gefasst zurück. „Sie und ich wissen, dass wir schon viel früher hätten handeln müssen. Wir haben es aus verschiedenen Gründen nicht getan. Ich hoffe nur, dass wir nicht zu lange gezögert habe; dass es noch nicht zu spät ist.“

„Zu spät wofür, Professor?“, fragte Hermine dazwischen. Sie war blass und ihr Blick huschte immer wieder nervös zu Harry.
 

Dumbledore wandte sich wieder zu Harry um. Seine Stimme klang brüchig, als er fragte:

„Wie ist Voldemort gestorben?“

Überrascht blinzelte Harry ein paar Mal. Er hätte mit Vielem gerechnet, aber nicht mit dieser Frage. Das Sprechen schien auf einmal etwas zu sein, dass nur der Rest der Welt beherrschte. Die Worte bildeten in seinem Hals einen dicken, klebrigen Knoten, den er weder aussprechen, noch herunterschlucken konnte.

„Ich…ich habe ihn getötet.“, antwortete er schließlich fast unhörbar.

„Wie?“, insistierte Dumbledore.

„Wir haben gekämpft. Lange.“, stockte Harry. „Ich hatte keine Chance. Er war besser als ich. Aber dann kam Sirius. Er hat mir geholfen. Er hat…“ Die Worte verflüchtigten sich wie Rauch im Wind.

„Er hat ihm seine Unbesiegbarkeit genommen?“, half Dumbledore vorsichtig nach.

„Ja.“, bestätigte Harry tonlos. „Und dann habe ich ihn getötet. Mit dem Avada Kedavra!
 

Stille breitete sich aus. Die Stimmen hinter dem Vorhang schienen plötzlich lauter zu werden. Ihr Wispern und Raunen wand sich wie eine Schlange durch Harrys Gedanken; Sirius Drängen wurde deutlicher. Er musste jetzt gehen. Jetzt. Wenn er noch länger wartete, würden sie ihn überwältigen, ihn aufhalten und dann war alles umsonst gewesen. Da brach eine Stimme den Bann.

„Harry.“, sagte Hermine. In ihrem Gesicht stand gleichzeitig Mitleid und Abscheu.
 

Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Harry fühlte sich mit einem Mal schmutzig und elend. Was er geleistet hatte, schien einen Schritt zur Seite gemacht zu haben und die Realität, die dahinter ihren hässlichen Kopf hob, drohte ihn zu verschlingen. Er hatte gemordet. Der Ausdruck in Voldemorts Augen war der eines Menschen gewesen, nicht der eines übermächtigen Monsters.
 

Verzweiflung schwappte in Harry hoch und brach in einer eiskalten Welle über seinem Kopf zusammen. All die Blicke, die auf ihn gerichtet waren, schnitten ihm in sein Fleisch und wurden zu rotglühenden Punkten auf seiner Haut. Sie brachten Mitgefühl und Verachtung, Wut und Trauer, Schmerz und Reue. Unbarmherzig zerlegten sie ihn, bis nur noch ein widerlicher Haufen Dreck übrig blieb.
 

„Aber was hätte ich denn tun sollen!“, heulte er auf. Das Brennen in seiner Kehle wurde unerträglich. „Ich hatte solche Angst.“

„Harry.“, sagte Hermine mit bebender Stimme. Sie trat an Dumbledore vorbei auf ihn zu, die Hand erhoben.

„NEIN!“, schrie er panisch. „FASS MICH NICHT AN!“

Sein Zauberstab ruckte ohne sei Zutun nach oben, eine fremdartige Formel verließ seine Lippen und manifestierte sich in einer leuchtenden, dunkelblauen Kugel, die auf Hermine zuraste. Hermines Augen weiteten sich in jähem Schrecken. Sie war zu überrascht, zu gelähmt um noch darauf reagieren zu können. Unaufhaltsam schrumpfte der Abstand zwischen ihr und der Kugel.
 

Da wurde Hermine plötzlich beiseite gestoßen und der Zauber verfehlte sie um Haaresbreite. Die kleine Gruppe, die Harry gegenüberstand, versprengte sich augenblicklich in verschiedene Richtungen und ließ nur einen langsam zu Boden sinkenden Körper zurück. Als er am Fuß der steinernen Treppe zu liegen kam, rollte sein Kopf herum und tote, leere Augen sahen Harry anklagend an.
 

Rufe wurden laut, Stimmen hallten durch die steinerne Kulisse und prallten in trügerischen Echos von den Wänden zurück. Ein schlecht gezielter Fluch flog auf Harry zu, doch er wich ihm teilnahmslos aus. Sein Blick verharrte immer noch bei dem blassen, rothaarigen Jungen, der leblos vor ihm im Staub lag. Was hatte er getan? Ron war doch sein Freund! Was ging hier nur vor?
 

Erinnerungen jagten durch seinen Kopf und beschworen Bilder herauf. Bilder, die Harry kannte und die doch merkwürdig verzerrt wirkten. Die ein Muster erkennen ließen, das vorher noch nicht da gewesen war und das sich wie in einem gigantischen Kaleidoskop immer wieder veränderte, bevor er es richtig erfassen konnte. Alles in seinem Kopf drehte sich.
 

„Harry!“, drängte sich da eine Stimme in sein Bewusstsein. „Harry, du darfst ihn nicht gewinnen lassen. Du musst dich wehren.“

Dumbledore stand ihm gegenüber, das Gesicht eine Maske des Schreckens und der Sorge. Aber Sorge um wen? Ihm Ihn? Um Harry? Um die, die noch hier waren und sich feige vor seiner Macht versteckten, weil niemand es mit ihm aufnehmen konnte?
 

Ein Kribbeln stieg perlend in Harrys Hals empor, bis es schließlich aus ihm heraussprudelte. Befremdet hörte er sich selbst lachen. Wahnsinn schwang in dem Laut mit wie ein fauliger Hauch. Erschrocken versuchte er, sich selbst den Mund zuzuhalten. Doch stattdessen richtete sich sein Zauberstab nun auf Dumbledore und schleuderte einen Todesfluch in seine Richtung. Der grüne Strahl verfehlte den alten Zauberer; vielleicht auch deswegen, weil Harry in letzter Sekunde die Hand um einige Millimeter bewegte. Er wollte Dumbledore nicht töten; es war nur eine Warnung. Eine Warnung, ihm nicht zu nahe zu kommen.
 

„Seien Sie doch vernünftig, Mister Potter!“, ließ sich Fudge von irgendwo weiter hinten vernehmen. „Wir können doch über alles reden. Ich bin sicher, dass ihre Strafe für die Anwendung des Todesfluches nur gering ausfallen wird. Zumindest, wenn sie jetzt endlich damit aufhören.“
 

Wieder musste Harry lachen. Was für ein Trottel. Sie wollten ihn einsperren? Ihn?
 

Harry begann zu zittern. Zwei Stimmen stritten in ohrenbetäubender Lautstärke hinter seiner Stirn. Tränen stiegen ihm in die Augen, doch er schüttelte nur ärgerlich den Kopf und trieb diese Zeichen von Schwäche zurück dorthin, wo sie niemand finden konnte. Verschlossen und hart musste er sein. Und stark. Niemand durfte ihn berühren, niemand durfte sich ihm nähern. Er war gefährlich. Er brachte Leute um.
 

„Professor.“, quälte sich ein Laut aus seinem Mund. Als stände er neben sich, konnte er beobachten, wie dabei Spuckebläschen in seinen Mundwinkeln zerplatzten und seine Hände sich immer wieder fest um seinen Zauberstab krampften. Aber der Professor kam nicht. Keiner kam, um ihm zu helfen. Sie hatten alle Angst.
 

Sirius blickte ihn ruhig und gelassen an. Langsam streckte er seine Hand aus. Sie versprach Halt und Sicherheit, doch sie schwieg über den Preis, der dafür zu zahlen war. Plötzlich sah Harry, wie viele Fehler er gemacht hatte, wie sehr er sich auf jemanden, auf etwas verlassen hatte, das überhaupt nicht das war, für das Harry es hielt.
 

Langsam verrann Sirius´ Gestalt wieder zu dem schwarzen Schatten, den er damals in der dunklen Seitengasse getroffen hatte. Nachdem dieser Mafalda Mullingtow getötet hatte, wie Harry nun erkennen musste. Er spürte den eisigen Hauch auf seinem Gesicht und die schreckliche Macht, die in seinem Inneren darauf antwortete. Er hatte die Kontrolle darüber aufgegeben in dem Moment, als sein Leben in Gefahr war. Uralt war die Kreatur, die vor ihm stand. Mit einem Wort, einer Geste hätte sie ihn zerquetschen können.
 

Harrys Geist war jetzt frei von ihrem Einfluss. Doch was auf den ersten Blick wie ein Segen wirkte, entpuppte sich in dem Moment als Fluch, als sein Blick wieder zu dem leblosen Ron hinüber irrte. Dahinter tauchte Hermines Gesicht auf. Tränen rannen ihr über das Gesicht, der Mund öffnete und schloss sich in stillem Entsetzen. Messerscharf bohrte sich diese Bild in sein Herz und ließ ihn selbst den Schmerz fühlen, den er verursacht hatte.
 

Professor Dumbledore schob sich in Harrys Gesichtsfeld. Auch in seinen Augen schimmerten Tränen.

„Ich hätte es eher wissen sollen.“, murmelte er. „Ich hätte dir früher davon erzählen müssen, aber ich fürchtete, dass es dich vernichten würde. Hätte ich geahnt, wie geschickt du meine Vorkehrungen umgangen hast, hätte ich wohl…“

„Schon gut, Professor.“, winkte Harry müde ab. Er wusste, dass ihm nun wirklich nicht mehr viel Zeit bleibt. „Ich werde es jetzt beenden. Jetzt und hier.“
 

Schwankend richtete er sich auf, seine Beine zitterten vor Schwäche. Ohne die Unterstützung des Wesens machten sich die Anstrengungen der letzten Stunden ungleich stärker bemerkbar.
 

„Nein, Harry, so warte doch.“, rief Dumbledore hastig aus. „Es gibt eine Möglichkeit, dich zu heilen. Professor Solomon wir dir helfen. Er kennt sich mit diesen Wesen aus.“

„Ja, ich weiß.“, antwortete Harry und zwang sich zu einem dünnen Lächeln. Er kannte die Quelle seines Wissens genau, doch er wollte jetzt nicht darüber nachdenken.

„Er war es, dem Voldemort damals seine Macht zu verdanken hatte. Wie hätte er auch ahnen können, dass sein ehrgeiziger Assistent ihm das raubt, was er für sich selbst vorgesehen hatte; das Heilmittel für den Verlust seiner Zauberkraft. Aber seien Sie unbesorgt, das andere Wesen, das er damals versuchte zu beherrschen, wurde vollständig vernichtet. Es ist nur noch dieses hier übrig.“

„Und auch das können wir besiegen, Harry.“, beharrte Professor Dumbledore. „Wir werden einen Weg finden, euch zu trennen.“

„Sie wissen, dass das nicht stimmt Professor.“, antwortete Harry und schluckte schwer. “Es würde nicht funktionieren. Und ich habe keine Kraft mehr, um zu kämpfen. Ich würde wie Voldemort werden. Eine Gefahr für alle, die in meine Nähe kommen. Nach und nach würde ich die Kontrolle darüber verlieren und es wahrscheinlich noch nicht einmal merken. Das kann einfach ich nicht riskieren.“
 

Er atmete noch einmal tief ein. “Grüßen Sie Ron von mir, wenn er aufwacht.“
 

Mit diesen Worten drehte er sich um und nahm Anlauf. Er hörte Hermines Schrei und Dumbledores Rufen. Ein Zauber, in Eile rezitiert, sollte noch versuchen, ihn aufzuhalten, doch es war längs zu spät. Mit einem letzten, großen Schritt überwand Harry die Distanz zwischen sich und dem Torbogen. Er blickte nicht zurück, er überlegte nicht mehr. Er wusste, dass es keinen anderen Weg geben konnte.
 

Mit geschlossenen Augen ließ er sich einfach nach vorne fallen. Er spürte den Vorhang wie Spinnenweben über sein Gesicht gleiten und flüsterte leise:
 

„Es tut mir leid.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Pheline
2006-09-14T18:29:48+00:00 14.09.2006 20:29
Ich kann mich nur anschließen, das Kapitel war wirklich spannend und jetzt lese ich noch schnell den Epilog, bin gespannt was kommt.
Von: abgemeldet
2006-09-09T12:34:56+00:00 09.09.2006 14:34
Wow... Ein echt super spannendes Kapitel! Eigetlich habe ich kaum Zeit, muss eigentlich ringend einkaufen, aber das ist jetzt auh egal!
Ich konnte echt nicht mehr aufhören zu lesen.
Sehr schön flüssig geschrieben, die Gefühle der Protagonisten sind fesselbd erzäht und rübergebracht.
Wirklich ein tolles Kapitel.

Es kommt mir schon wie eine Ewigkeit vor, seitdem ich die ersten Kapitel von Seelenschatten gelesen habe, und daher kann ich mich manchmal auch nicht mehr ganz erinnern (was daran liegen kann, dass mir HP nicht liegt ^^), aber was sich da für Abgründe vor Harry auftun, is wirklich packend.

Ich sags ja, ich finde dich besser als das Original, und das meine ich ernst.

So, jetzt geh ich noch den Epilog lesen. Muss sein ^^


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