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Sinn im Wahn

Sinn im Wahn
 

Gib Acht, Gott schaut zu. Sorgfältig waren ihre Fingernägel mit dunkler Farbe lackiert. In den Straßen, getränkt in Schwärze, halte bitte meine Hand. Der rüschenbesetzte Saum ihres Kleides bedeckte die zierlichen Gelenke. Selbst wenn ich auf mich allein gestellt und weit entfernt bin, kann er mich immer erreichen und finden. Reglos ruhte ihre halb geöffnete Hand auf den linierten Seiten. Er kommt und bringt mir alles bei, was er weiß. Daneben lag jener weinrote Füllfederhalter, an dessen goldener Spitze noch die letzte Tinte schimmerte. Selbst wenn ich mich nicht mehr erinnern sollte, wird er es mich lehren, wieder und wieder. Darunter breiteten sich auf dem einst weißen Papier zahlreiche Namen aus, aufgereiht wie in einem Totenregister.

Doch was, oh bitte was soll ich tun, irgendwann, wenn ich alles weiß?

 

„Mach nicht so ein sorgenvolles Gesicht, Light.“ Herr Yagami lächelte seinem Sohn aufmunternd zu. „Wir werden bestimmt schon bald etwas finden. Noch sind keine weiteren Morde verübt worden.“ Noch. Allerdings würde sich das bis morgen geändert haben, dessen war sich Light sicher. Ausdruckslos sah er den älteren Mann an.

„Ja, Vater. Ich werde mich anstrengen, um L eine Hilfe zu sein.“

„Glaub mir, das bist du. Deinetwegen sind wir überhaupt erst auf die Spur von Yotsuba gekommen, auch wenn die Ergreifung Higuchis nur ein Teilsieg war. Die Freude, über etwas gesiegt zu haben, darauf folgt gewiss eines Tages die Trauer der Niederlage, so heißt es doch. Das gilt auch für Kira.“

„Ja, so wird es sein.“

„Eine solch wahnwitzige Idee kann und darf sich niemals durchsetzen. Das wäre närrisch und naiv. Wir alle sind Narren. Keiner hat das Recht, den anderen seine eigentümliche Narrheit aufzuzwingen.“

„Ja, du hast Recht.“

Der Chefinspektor legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter. Automatisch lächelte dieser. Sie verabschiedeten sich voneinander, wie jeden späten Abend.

Der eigentlich unschuldige Narr war Yagami Soichiro. Warum nur wollte er nicht verstehen? Light hoffte inständig, sein Vater würde niemals gezwungen sein, für das Gute etwas abgrundtief Böses zu tun.

„Ist das nicht traurig“, kommentierte das Blendwerk seines Todesgottes in gespieltem Bedauern, „dass dein Vater die Ideale nicht versteht, die er dir selbst beigebracht hat? Er findet es schlecht, was du tust. Er verurteilt dich. Deinen Tod würde er gerecht finden. Er würde dich eigenhändig töten, wenn er wüsste, dass du Kira bist.“

„Irgendwann wird er begreifen.“ Light hörte die Worte im Kopf, als würden sie laut ausgesprochen werden, ohne dass sich sein Mund bewegte oder auch nur ein einziger Ton seiner Kehle entwich. Welche dieser Stimmen gehörte seiner Wahnvorstellung? Welche war seine eigene? „Irgendwann werden alle zu verstehen lernen.“

Gemessenen Schrittes wandte er sich in die Richtung des zentralen Überwachungsraums. Alle ungefährlichen, leicht lenkbaren Individuen der Sonderkommission hatten sich für diesen letzten Abend verabschiedet. Nur eine einzige Person sollte jetzt noch dort sein.

„Andere können zurzeit nicht über meine Idee entscheiden, dafür muss sie erst mehr Gestalt annehmen und sich von mir und meiner leitenden Funktion lösen. Sie muss quasi ein Eigenleben entwickeln. Solange diese Idee noch wächst, kann sie nicht über mir stehen, denn Kira selbst ist die Idee. Allein ich weiß, wie das Ende hiervon aussehen soll. Um die Welt zu säubern von allem Schlechten und Bösen.“

„Ich sagte doch schon einmal“, erinnerte ihn der Todesgott nüchtern und amüsiert, „dass du am Ende, wenn du dir die Welt unterworfen hast, als Einziger übrig sein wirst.“

„Du verstehst nicht, Ryuk. Meine Idee bedeutet nicht die Unterordnung des Ganzen unter einen Einzelnen, sondern die Hingabe des Einzelnen für das Ganze.“

Ein schmutziges und begeistertes Lachen grollte in der Kehle des düsteren Geschöpfes, sodass sich der schattenhafte Leib krümmte und schüttelte. Es dauerte eine Weile, bis Ryuk seine Stimme wiederfand.

„Das habe ich schon einmal gehört, Light. Es ist noch nicht lange her, zumindest in Lebensaltern eines Todesgottes gerechnet, da fanden sich viele meiner Artgenossen vor dem Tor zu eurer Welt ein. Das machen wir immer, wenn bei euch spannende Zeiten herrschen. Was du eben gesagt hast, hörte ich fast wortwörtlich gesprochen von einem nicht weniger charismatischen Menschen. Sein Traum von einer reinen Welt platzte 1945. Mal sehen, wie lange deiner braucht.“

Mit finsterer Miene schloss Light kurzfristig die Augen. Lächerlich. Kira würde niemals jemanden aufgrund seiner Herkunft, Rasse, Sexualität oder irgendeiner anderen individuellen Eigenschaft verurteilen. Ganz im Gegenteil, Globalität und multikulturelle Akzeptanz waren wichtige Faktoren für den Frieden auf der gesamten Welt, denn durch den Schutz Kiras würden auch die Kriege zwischen den Nationen zurückgehen. Überall würden die Menschen sich einander die Hände reichen. Einzig und allein eine schlechte Persönlichkeit, der fehlende Wunsch, sich gegenüber seinem Nächsten aufrichtig und gutherzig zu verhalten, nur das konnte jemanden als böse entlarven und würde durch Kira gerichtet werden.

Darüber hinaus hatte niemand etwas zu befürchten, der sich ihm nicht offensiv widersetzte.

Light betrat den Hauptüberwachungsraum und hielt inne. Wie meist zu dieser späten Stunde war das Oberlicht gedämpft, zur Hälfte ausgeschaltet und lediglich die Front der Computerbildschirme erhellte die Szenerie. Zwischen den elektronischen Geräten lagen Akten und Pläne verstreut. Keine Menschenseele war mehr anwesend.

Seufzend drehte Light sich um. Täusche ich mich oder läufst du vor mir davon, L?

Er setzte sich wieder in Bewegung, während er dem Schattenriss seiner eigenen Gedanken innerlich erklärte:

„Ich unterwerfe die Welt nicht, ich führe sie nur auf den richtigen Weg. Es geht mir nicht darum, eine auf Angst basierende Diktatur aufzubauen, weil es genau das ist, was wir jetzt schon haben. Nein, ich will, dass die Menschen glücklich sind und dass ihr Glück nicht von Einzelpersonen verhindert wird, die sich durch ihre Skrupellosigkeit herausnehmen, über andere zu entscheiden. Ich will, dass nicht mehr das Gesetz des Stärkeren herrscht, sondern jenes der Gerechtigkeit und Gutmütigkeit. Wenn ich mein Ziel einer perfekten Welt erreicht habe, wird es mitnichten so sein, dass ich als Einziger übriggeblieben bin. Vielmehr ist Yagami Light die erste Person, die hinter Kira verschwinden muss, um diese Welt überhaupt erst zu erschaffen.“

Light war bei dem frei zugänglichen Wohn- und Essbereich neben der Küche und den Konferenzräumen angelangt, blieb jedoch tief durchatmend ein paar Sekunden vor der Tür stehen, bevor er in den mittlerweile vertraut gewordenen Aufenthaltsraum eintrat. Auf der Schwelle verharrend erfasste er mit kühlen, braunen Augen die Kommoden, Stühle, Zierpflanzen und jene um den Glastisch angeordnete Sitzgruppe. Durch die Fensterscheiben fiel der trübe Schein der Nacht in die Finsternis der Räumlichkeiten. Verwirrt versuchte Light zu begreifen, was er sah. Keine einzige Lampe war eingeschaltet. Der Fernseher zeigte sich schwarz und stumm. L war nicht hier.

Zurück auf dem Gang wanderte Lights Blick ohne Ziel über den Boden des Korridors.

„Es klingt vielleicht komisch, wenn ein Todesgott das sagt, aber ich hatte nicht mehr das Gefühl, überhaupt am Leben zu sein.“ Fast ein Jahr war vergangen, seit Light einstmals diese Worte von Ryuk gehört hatte. Doch dieses Mal sprach die Stimme in seinen Gedanken weiter. „Dir ging es doch genauso, nicht wahr, Light?“ Er öffnete eine nahegelegene Tür und spähte in einen leeren Konferenzraum. „Du hast gesagt, dir sei gleichermaßen langweilig gewesen.“ Die nächste Tür bot ebenfalls nur einsame Schwärze. „Dabei sah dein Gesicht so verbittert aus, als hättest du in Wirklichkeit sagen wollen, dass du dich auch nicht mehr richtig lebendig fühltest.“ Eine weitere Tür, ein weiterer leerer Raum. „Als würdest du nicht mehr wissen, wofür du eigentlich lebst.“ Noch eine Tür und erneut umfing ihn Finsternis, mit jedem Schritt ein wenig mehr. Reiß dich zusammen. Hör auf, dich wie ein Idiot zu verhalten. Light zwang sich, ruhiger zu atmen. Seine Hand zitterte auf der Klinke des nächsten Zimmers. Aufgrund seiner Erinnerung wusste er nur allzu genau, was sich hinter dieser Tür befand. Hier hatte L ihn gestern gefragt, ob er ihm seinen wahren Namen verraten sollte.

„Misa wird mit dem Morden für Kira fortfahren“, gluckste Ryuk zufrieden. „Morgen ist es so weit, dass man es in der Zentrale erfahren wird. Du wirst seinen Namen gar nicht brauchen.“

Die Klinke herunterdrückend öffnete Light die Tür.

„Hörst du das nicht?“

„Kirchenglocken?“

„Nein, es sind Schreie. Und das Ticken einer Uhr. Tick. Tack. Tick. Tack...“

In keinem einzigen dieser Räume, nirgends war L zu finden. Die Flure wirkten wie ausgestorben. Seitdem Light seine Sicherheitskarte liegen gelassen hatte, sodass er sein einstiges Zimmer nicht mehr betreten konnte, war L nie mehr lange dort gewesen. Stattdessen hockte er stets irgendwo auf einem Stuhl, Sessel oder Sofa und döste für ein paar wenige Stunden, falls sein Körper nach Schlaf verlangte. Hatte Watari nicht gesagt, L habe keinen Grund mehr, in einem Bett zu übernachten? Besaß er etwa plötzlich doch einen?

Schmucklose Wände, grell und künstlich erhellt. Geputzte Böden, endlose Gänge, steril und menschenleer. Glatte Flächen von kaltem Fensterglas, wie schwarze Löcher oder glanzlose Augen.

Unruhig stand Light endlich vor dem Zimmer seines Freundes. Hier hatte er ihn eigentlich zuallerletzt vermutet. Langsam hob er den Arm, unterband das heftige Schlagen seines Herzens und klopfte etwas verhalten an.

„Ryuzaki?“

Er hielt den Atem an, eher unbeabsichtigt als bewusst, um auch noch das leiseste Geräusch zu registrieren. Deutlich vernehmbar klopfte er noch einmal.

„Ryuzaki?“

Nichts war zu hören. Niemand öffnete. Light merkte gar nicht, dass er einige Minuten gedankenverloren und regungslos vor der Tür stehen blieb, ohne wirklich zu begreifen.

„Er ist nicht da“, stellte Ryuk unbekümmert fest. „Vielleicht liegst du falsch und er existiert schon gar nicht mehr.“ Von hinten beugte sich die Imagination seines Todesgottes nah zu ihm herab. „Weißt du, welcher Tag heute ist, Light? Hast du vergessen, wie Rem deinen Plan in die Tat umgesetzt und für dich denjenigen getötet hat, den du selbst nicht töten konntest? Was für ein glorreicher Sieg, den man einem anderen überlässt, um sich selbst nicht die Hände schmutzig zu machen.“ Raunend hörte Light die kratzige Stimme dicht an seinem Ohr. „Oder sich nicht vom Zittern der eigenen Hände abhalten zu lassen?“

„Verschwinde, Ryuk.“

Er hätte diese verfluchte Karte nicht hergeben dürfen, dann wäre die elektronische Sicherheitssperre kein Hindernis gewesen. Was hatte er sich damit nur beweisen wollen?

„Führe mich nicht in Versuchung“, zitierte Ryuk wispernd. „Das ist es doch, was du eigentlich verhindern wolltest.“

Wie fremdgesteuert holte Light seine eigene Sicherheitskarte aus der Hosentasche und zog sie mechanisch durch die Magnetstreifenerkennung. Entgegen einer diffusen Hoffnung verriet ihm das dumpfe Surren und ein rotes Aufleuchten am Gerät, dass es nicht funktionierte. Konnte es sein, dass sich L in diesem abgeschotteten, unerreichbaren Käfig befand, in den sie sich zusammen eingesperrt hatten? Zwei Monate lang verbunden und isoliert, miteinander gefangen und gemeinsam einsam. Wohin war diese Zeit nun entschwunden?

„Meinst du wirklich, L würde sich vor dir verstecken?“ Die Frage klang spöttisch. „Er war doch schon immer angriffslustig, nicht wahr?“ Im Augenwinkel meinte Light zu sehen, wie sich die furchteinflößende Pranke des Ungeheuers neben seinem Körper anhob. Eine der Krallen deutete hinüber zu seiner eigenen Zimmertür. Das war doch nicht möglich. Konnte es sein, dass...?

Unsicher auf den Beinen schritt Light voran, im Gehen seine Sicherheitskarte mit bebender Hand umschließend. Kurz darauf ertönte jener längst gewohnte Signalton. Dieser Ton sollte das einzige Geräusch in der ansonsten allumfassenden Stille bleiben. Im Inneren des Zimmers brannte kein Licht. Es war leer. Niemand war hier. Und Light kam es vor, als würden die Wände näher rücken.

„Los, erinnere dich“, flüsterte Ryuk. „Sind nicht schon Wochen und Monate vergangen, seit du Ls Identität übernommen hast? Du hast ihn annektiert und ausgehöhlt. L lebt schon seit langer Zeit nicht mehr. Und du irrst noch immer durch die Gänge deines neuen Imperiums und suchst nach ihm.“

„Lass mich in Ruhe.“

Light machte auf dem Absatz kehrt. Vorerst unschlüssig, dann zielgerichtet lief er den Weg zurück. Seitengang um Seitengang. Abzweigungen. Fahrstuhltüren. Dreiundzwanzig Stockwerke, vom Fundament bis zum Firmament, nur erstickende Leere und Einsamkeit. Der einzige Platz in diesem Gefängnis, der Light jetzt noch einfiel, wo er seinen Atem wiederfinden konnte, war das Dach dieser verrottenden Welt. Um Luft ringend stieß er im obersten Geschoss die Sicherheitstür auf.

„Es gibt nicht viele Orte, an denen man sich verstecken kann. Wenn du mich einmal suchen solltest, Light-kun, weißt du wahrscheinlich immer, wo du mich findest.“

Warum hast du das gesagt, L? Den schneidenden Nachtwind auf der Haut fühlend überquerte Light den verlassenen Helikopterlandeplatz. Er legte die Hände auf das niedrige, den Rand des Daches umfassende Geländer und stützte sich schwerfällig auf. Unter ihm erstreckte sich das Lichtermeer Tokyos. Lights Fingerknöchel begannen zu schmerzen, je stärker er sich an dem Metall zwischen seinen Händen festklammerte. Warum versteckst du dich jetzt vor mir? Willst du, dass ich verrückt werde? Wieso tust du mir das an?

„Der Tod ist kein Abenteuer“, meinte Ryuk abwesend, während er sich gleichfalls gegen die Absperrung lehnte, „er ist einfach nur trostlos und langweilig.“ Light erinnerte sich daran, wie er einst als Kind die Geschichte vom Nimmerland und den verwunschenen Jungen gelesen hatte. Peter Pan nahm an, der Tod sei bestimmt ein furchtbar großes Abenteuer. Vielleicht hob man ihn deshalb ganz bis zum Schluss der Geschichte auf. Jeder hatte dieses Krokodil mit der verschluckten Uhr im Nacken sitzen. Und jeden Tag hörte man das Ticken lauter. Doch irgendwann würde die Uhr stehen geblieben sein. Man würde es nicht mehr kommen hören.

„Was denkst du, warum es mich ständig aus dem Reich der Todesgötter in die Menschenwelt zieht?“, rief Ryuk dem jungen Mann hinterher, der wieder Kurs auf das Treppenhaus genommen hatte. „Nichts ist so interessant und lächerlich wie die heuchlerische Krankheit des menschlichen Daseins. Und nirgends offenbart sich dieser Irrsinn besser als im Kopf eines Genies. Wir Shinigami leben nicht. Das versucht nur ihr Menschen.“ Auf dem oberen Absatz fiel die Tür hinter Light ins Schloss. Die Neonröhren, welche sich durch den Bewegungsmelder automatisch einschalteten, blendeten unangenehm in seinen Augen. Lautlos wandelte Ryuk durch das feste Material hindurch, das ihn nicht aufzuhalten vermochte. Für den Bruchteil eines Moments hätte Light fast darüber lachen können, da dieses Monstrum ja nicht einmal echt war, sondern nur den Einbildungen seines Verstandes entsprang. Den eigenen Gedanken konnte man wohl kaum entkommen.

Einen Fuß auf die Stufen setzend spürte Light plötzlich seine Beine nicht mehr. Er stemmte sich mit einer Hand an der Seite ab, um sein Gewicht halten zu können, und glitt hinunter auf den Treppenabsatz. Schwer atmend sank er gegen die Wand, lehnte Schulter und Stirn dagegen.

„Na? Keine Kraft mehr?“ Ryuk ließ sich nachlässig neben ihm nieder. „Euer Leben ist Krieg und jeder Tag ist ein Kampf. Du, Yagami Light, befindest dich bereits am Rande zum Wahnsinn, zerrissen zwischen deiner Intelligenz, die dich ermüdet und verzweifeln lässt, und den gespaltenen Wahrheiten deiner Persönlichkeit.“ Betrübt barg Ryuk das Kinn in seinen Handflächen. „Du bist kurz davor, durchzudrehen. Aber du merkst es nicht einmal.“

Light machte die Augen zu, lauschte auf den Widerhall seiner Atemzüge im stillen Treppenhaus. Sogar durch seine geschlossenen Lider konnte er sehen, wie das Flurlicht nach einer Minute erlosch.

Es hatte keinen Zweck. Er konnte L nicht finden. Er musste zurück. Zurück in sein Zimmer. Schwankend erhob sich Light, festigte seinen Stand und schritt weiter hinab in die Tiefe.

 

Einer wie der Andere. Otoharada Kuro So gesehen ist die Welt voll von Leuten, die man besser umbringen sollte. Shibuimaru Takuo Das Böse muss besiegt werden. Ned Anderson Um eine Welt der Gerechtigkeit zu erschaffen. Haley Belle Was ist schon Unschuld? Matsushiro Nakaokaji Sie ist nur ein Vorwand für Dummköpfe und ein Zufall für die Glücklichen und Unwissenden. Nijita Kyu Für sie wie für uns alle ist Unschuld die Spitze des Eisbergs, der aufragt über dem Berg der Sünden. Hans Belmel Und der in ihrem Namen begangenen Verbrechen, die wir mit uns herumschleppen. Lind L. Taylor Und das Leben, was ist das? Lee Tanahan Eine kleine kümmerliche Insel im endlosen, majestätischen Ozean des Todes. Girela Sevenster Die Welt will betrogen werden. Fridge Copen Also soll sie betrogen werden. Yoda Tamikichi Wer nicht zu heucheln weiß, der weiß auch nicht zu herrschen. Freddi Guntair Diese Gesellschaft ist als Ganzes irrational. Shirami Masaaki Ihre Produktivität zerstört die freie Entwicklung der menschlichen Bedürfnisse und Anlagen. Nikola Nasberg Ihr Friede wird durch die beständige Kriegsdrohung aufrechterhalten. Gottam Yesoud Ihr Wachstum hängt ab von der Unterdrückung der realen Möglichkeiten, den Kampf ums Dasein zu befrieden. Raye Penber Um die Welt zu reinigen, sind Opfer unerlässlich. Asaji Mainichi Um das Gute in die Welt zu bringen, muss ein Gott geboren werden. Tayoshi Murao Es geschehe Recht, auch wenn die Welt darüber zugrunde geht. Pian Brotise Auch wenn alles daran zugrunde gehen sollte. Bec Santan Edwerd Simms Tim Bortam Nusumi Kogoro Arire Weekwood Nanbarumi Karuto Bess Seklett Lian Zapack Naomi Misora Dabit Becom Kiichiro Osoreda Toors Denote Maikel Kitan Maefuto Suji Knick Staek Albert Brofir Masaichi Nanamemaru Beyond Birthday Take Majime Ale Funderrem Akinaka Tomitetsu Spoat Jier Clasic Jans Sterens Kyosuke Higuchi L…

„Seid still.“

„Um die ist es doch nicht schade.“

„So seid doch still.“

„Die Welt ist besser ohne sie dran.“

„Seid endlich still.“

„Wenn die Menschen ein wenig ehrlicher wären, dann würden sie zugeben, auf wen sie verzichten könnten und ohne wen die Erde ein besserer Ort wäre. Du machst diese hässliche Welt schön, Light. Du machst sie perfekt.“

„Oh Gott, bitte nicht...“

Wie versteinert ruhte Light mit dem Rücken auf dem Bett in seinem Zimmer und starrte an die Decke. Ein düsterer Schatten schwebte über seiner unbewegten Gestalt.

„Das Leben ist nicht so, wie man sich das vorstellt.“

Ryuk fing an zu kichern, bevor er wenig später in wildes Gelächter ausbrach.

„Du hast alles dafür getan, dich durch dein Tun nach und nach selbst krank zu machen“, meinte er dann glucksend. „Du bist schon lange nicht mehr ganz richtig im Kopf. Aber jetzt, nach deinem genialen Plan und der langen Zeit mit L, hast du vollends den Verstand verloren.“

„Nein“, widersprach Light kühl, „noch nicht.“

„Das stimmt, noch nicht ganz. Aber du leistest hervorragende Arbeit. Jetzt willst du also den einzigen Menschen töten, der wirklich dein Freund hätte sein können.“

„Du irrst dich. L ist nicht mein Freund.“

„Auch damit hast du Recht. Er ist viel mehr als das.“

„Ich muss ihn töten. Es wird mir eine Ehre sein, ihm das Leben zu entreißen.“

„Viel Spaß dabei, Yagami Light. Damit wirst du dir dein eigenes Grab schaufeln.“

Ein dünner Faden, getränkt in rotes Blut, schien ihm die Kehle zuzuschnüren. Light versuchte zu schlucken, zu atmen.

„Lieber tot als leer. Es ist besser, kurz und schmerzhaft zu leben, als in dieser Einöde zu ersticken. Wenn ich nicht mit L kämpfen würde, hätte ich ihn niemals so intensiv kennen gelernt. Ihn zu töten ist das höchste Glück und die größte Qual, die ich uns beiden bescheren kann. Wenn mich niemand aufhält, werde ich nicht stehen bleiben. L wird das mit Sicherheit genauso sehen. Keiner von uns beiden kann jetzt noch umkehren. Wir können nicht anders. Danach, wenn ich Ls sterbenden Körper ehrerbietig in meinen Armen halte, wird mich bis zu meinem eigenen Tod nichts mehr berühren. Und erst dann, sobald mich der Tod erlöst, werde ich wieder Angst verspüren können.“

Schlagartig verkrampfte sich sein Leib, wurde geschüttelt von einem überraschend einsetzenden Lachen, das durch eine unmittelbare Erkenntnis befreit wurde, die Light gerade ereilt hatte und die ihn auf erschreckende Weise amüsierte.

„Aber wer weiß, was dann noch von mir übrig ist.“

Leise lachend rollte er sich zur Seite, zog die Beine an den Körper und vergrub seine zitternden Hände in seinem Haar.

Wo bist du, L? Ich kann dich nicht finden. Warum lässt du mich allein? Warum gerade jetzt?

„Hilf mir.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
1. Die kursiv geschriebenen Zeilen im ersten Absatz sind eine von mir vorgenommene Übersetzung des Liedes, das Misa in der Animefolge „Schweigen“ singt.
2. Die Aussage von Herrn Yagami, auf die Freude des Sieges würde gewiss eines Tages die Trauer der Niederlage folgen, verweist auf die Philosophie von Itō Ittōsai Kagehisa, einem Schwertmeister, der ironischerweise nie einen Kampf verloren haben soll.
3. Adolf Hitler forderte die Hingabe des Einzelnen für das Ganze.
4. Ryuks Worte, dass er sich nicht mehr am Leben fühlte, spielen auf eine Szene im ersten Band an, Seite 27 bis 29.
5. Lights Gedanken über die Unschuld, sie sei nur ein Vorwand oder Zufall für die Unwissenden, beruhen auf dem Roman „Die Richter“ von Elie Wiesel.
6. Die Welt will betrogen sein, so lautet ein lateinisches Sprichwort, das später von Sebastian Franck um den Zusatz, so solle sie betrogen sein, erweitert wurde.
7. Auch dass niemand herrschen könne, der nicht zu heucheln wisse, ist ein lateinisches Sprichwort, das von Ludwig XI. verwendet wurde.
8. Die Gesellschaft würde sich im unhinterfragten Wachstum selbst zerstören, meinte Herbert Marcuse.
9. Es solle Recht geschehen, selbst wenn die Welt daran zugrunde ginge, das ist ein über viele Denker und Herrscher durch die Jahrhunderte gewandeltes Zitat.
10. Musikalische Inspiration zu diesem Kapitel war „Iridescent“ von Linkin Park. Komplett anzeigen

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