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So einfach

Yamato Ishida x Taichi Yagami / Hiroaki Ishida x Yamato Ishida
von

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Mit offenen Augen liege ich in meinem Bett und starre in die Dunkelheit. Taichis Arm lastet schwer auf meinem Brustkorb und raubt mir die Luft zum Atmen. Ich wage jedoch nicht mich zu bewegen, weil ich Angst habe, ihn zu wecken. Seine Nähe wirkt auf mich ungemein beruhigend, sein Duft umhüllt mich sanft, ebenso die Wärme, die von seinem Körper auf meinen übergeht. Ich gebe mich meinen Gefühlen hin, dem Schmerz, der Zuneigung, dem Verlangen und der Sehnsucht. Vorsichtig drehe ich mich ein wenig, um dichter an meinen Freund rutschen zu können. Es ist erregend, seine nackte Haut auf meiner eigenen zu spüren. Allgemein sehne ich mich danach, ihn in mir zu spüren. Zwar hatte Tai es vorhin angesprochen, aber letztlich haben wir nicht miteinander geschlafen. Irgendwie kommt es mir so vor, als würde keiner von uns sich trauen den nächsten Schritt zu gehen. Aber warum? Vor unserer Trennung hatten wir oft Sex. Liegt es daran, dass wir, wie Taichi bereits sagte, die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen wollen? Allerdings wäre ein Neuanfang schon der erste und wahrscheinlich größte Fehler.

„Kannst du nicht schlafen?“, höre ich meinen Freund unerwartet wach fragen.

„Und du?“

„Nein.“ Eine kleine Pause entsteht.

„War der Alkoholentzug eigentlich schwer?“ Meine Stimme ist gedämpft und klingt unsicher, da ich Bedenken habe, dieses Thema anzusprechen.

„Ja. Ziemlich. Die Entzugserscheinungen waren heftig und ich war oft kurz davor, einfach aufzugeben.“

„Was hat dich dazu bewegt, weiterzumachen und die Therapie durchzuziehen?“

„Meine eigene Erbärmlichkeit. Ich konnte zum Schluss nicht einmal mehr in den Spiegel sehen. Jegliche Selbstachtung ging mit meiner Kontrolle über mich verloren. Zudem war ich nicht mehr in der Lage, für dich da zu sein. Die Angst, dich zu verlieren, hat schließlich den Anstoß gegeben, dass ich mich einweisen ließ.“

„Du verlierst mich nicht. Außer wenn ich tot bin.“ Sofort richtet sich mein Freund ein wenig auf und schaut mich, soweit ich das in der Dunkelheit ausmachen kann, ernst an.

„Solche Äußerungen möchte ich nicht mehr hören, Yamato“, sagt er verärgert, streicht mir aber liebevoll durch die Haare.

„Hast du Angst?“, flüstere ich. „Angst vor dem, was kommt? Angst vor einem Rückfall? Angst…“

„Shh.“ Sachte legt Tai seinen Zeigefinger auf meine Lippen, um mich zum Schweigen zu bringen. „Nein. Ich habe keine Angst. Aber du, nicht wahr?“ Ich nicke. Langsam beugt mein Freund sich zu mir hinab und küsst mich sanft. Ein aufgeregtes Kribbeln stellt sich ein, als ich den Kuss erwidere und zu einem schüchternen Zungenkuss ausweite. Ich gleite mit meiner rechten Hand über Tais nackten Körper, der leicht über mich gebeugt ist, wandere dabei immer weiter nach unten. Als ich zwischen

seine Beine greifen möchte, hält mein Freund mich am Handgelenk zurück. „Nein, Yamato.“ Verunsichert unterlasse ich meinen Annäherungsversuch.

„Willst du nicht?“

„Doch. Aber ich denke, es ist besser, wenn wir noch etwas warten.“

„Worauf denn?“, entgegne ich etwas ungehalten. „Es ist ja nicht so, als hätten wir noch nie miteinander geschlafen.“

„Ist der Sex für dich das Wichtigste in einer Beziehung?“

„Nein. Aber er gehört dazu. Möchtest du nicht auch den Menschen, den du liebst, so innig wie möglich spüren? Ihm alles geben, alles von dir zeigen?“

„Vermutlich ist unsere Einstellung zu diesem Thema einfach zu unterschiedlich.“ Ich hebe meine Hand und streiche über die Wange meines Freundes.

„Taichi, was fühlst du, wenn du mit mir schläfst? Denkst du dabei oft an unser erstes Mal? Die Gewalt, mit der ich dich genommen habe?“

„Es kommt tatsächlich gelegentlich vor, dass die Erinnerungen daran präsent sind, allerdings eher, wenn du in mir bist.“

„Hasst du es, wenn ich aktiv bin?“ Das Zittern in meiner Stimme kann ich nicht verbergen. Ich bereue zwar nicht, was ich damals getan habe, aber ich war zu naiv, um an die möglichen Folgen zu denken.

„Nur, wenn es, wie ich dir schon einmal sagte, gegen meinen Willen geschieht.“ Liebevoll lege ich meine Hand in seinen Nacken und ziehe Tai zu mir herunter. Erfüllt von widersprüchlichen Gefühlen küsse ich ihn.

„Es tut mir leid, dass ich so körperlich fixiert bin. Nur, anders kann ich mit meinen schmerzhaft intensiven Empfindungen nicht umgehen. Ich…“

„Du musst dich nicht rechtfertigen. Es ist alles in Ordnung. Ich verstehe es, auch wenn ich es nicht nachvollziehen kann. Allerdings frage ich mich schon seit längerem, wie das bei anderen Menschen ist, die dir etwas bedeuten, beispielsweise deinem Bruder oder deinem Vater. Sind deine Gefühle für sie nicht so stark oder liegt es daran, dass es deine Familie ist? Schließlich würdest du in diesen beiden Fällen Inzest begehen.“ Mein Freund lacht kurz. „Nein, selbst du bist nicht so schamlos und abgedreht, dass du dich derart verwerflich verhalten würdest.“ Ich öffne meinen Mund, um zu protestieren, schweige letztlich jedoch. Bei dieser Meinung möchte ich die Reaktion von Tai bezüglich meiner sexuellen Beziehung zu meinem Vater nicht erfahren.

„Lass uns versuchen zu schlafen“, lenke ich stattdessen ab. Offenbar mit meinem Vorschlag einverstanden, lässt mein Freund von mir ab und legt sich neben mich. Ich rutsche etwas an ihn heran, die Einsamkeit zerfrisst mich immer mehr. „Halt mich bitte fest“, flüstere ich kaum hörbar, doch Tais Handeln zeigt mir, dass er mich verstanden hat. Schützend legt er seine Arme um meinen Körper und zieht mich dicht an sich. Mein Herz schlägt schnell. Ich liebe Taichi und doch habe ich das Gefühl, zu ersticken.
 

Dunkles Blut läuft über die helle Haut meines Armes und tropft auf die Bodenplatten des Badezimmers. Ich habe ziemlich tief geschnitten und dabei vermutlich eine Ader angeritzt, denn die rote Körperflüssigkeit pulsiert stark aus einer Stelle der Wunde. Mit einem Lappen, welchen ich fest auf die selbst zugefügte Verletzung presse, versuche ich die Blutung zu stillen. Ich hatte gehofft wieder atmen zu können, wenn ich mir den Arm aufschneide, doch ich bekomme noch immer keine Luft. Es fühlt sich so an, als würde Taichi seit einer Woche permanent seine Finger um meinen Hals gelegt halten und gnadenlos zudrücken. Der Lappen ist inzwischen durchweicht. Vorsichtig hebe ich ihn ein wenig an, damit ich den Schnitt inspizieren kann. Nach wie vor quillt das Blut in durchgängig fließenden Intervallen aus der Wunde. Ich stehe auf und lasse kaltes Wasser darüber laufen, gleichzeitig wasche ich das auf meinem Arm bereits getrocknete Blut ab. Anschließend lege ich umständlich einen Druckverband an. Diesmal hat das Schneiden kaum Wirkung gezeigt, vielleicht war der Schmerz zu gering, um das Chaos in mir ordnen zu können. Routiniert wische ich den Boden und spüle den Lappen aus, bevor ich ihn zum Trocknen über den Wannenrand lege. Abschließend reinige ich das Waschbecken, in welchem die rote Flüssigkeit in Bahnen zum Abfluss hinab gelaufen und darin größtenteils verschwunden ist. Noch einmal schaue ich durch den Raum und vergewissere mich, dass ich alle Spuren beseitigt habe, dann verlasse ich das Badezimmer. Im Flur bleibe ich unschlüssig stehen. Seit ich von meinem Freier nach Hause gekommen bin, habe ich meinen Vater noch nicht gesehen. Zuerst musste ich meinem Verlangen nach Selbstverletzung nachgeben. Der Sex mit meinem Freier war dieses Mal ziemlich erniedrigend und vor allem erbarmungslos. Wäre ich nicht völlig zugedröhnt gewesen, hätte ich möglicherweise seit langem so etwas wie Scham verspürt. Doch dank des Heroins fühlte ich nichts dergleichen, nur angenehme Leichtigkeit und vollkommenes Glück. Auch in der Woche war ich eigentlich ständig drauf, zum Teil sogar in der Schule, nahm dann allerdings eine geringere Dosis als üblicherweise. Der Lehrer scheint nichts bemerkt zu haben, ebenso Taichi, der die Nachmittage oft bei mir verbrachte. Selbst jetzt bin ich nicht ganz runter von dem GHB, welches ich in geringer Dosis sofort nach dem Herointrip einnahm, doch die Wirkung scheint allmählich nachzulassen. Ich gehe in mein Zimmer, um das kleine Fläschchen zu holen, anschließend begebe ich mich in die Küche. Dort fülle ich ein Glas mit Orangensaft und tropfe die Droge hinein, da mir der seifige Geschmack im Moment zuwider ist. Gierig trinke ich die kühle Flüssigkeit in einem Zug aus. Dann lasse ich mich erschöpft auf einen der Stühle sinken, lege meinen Kopf in den Nacken und schließe die Augen. Warum hält Taichi mich derart hin? Es ist unerträglich, ihn nicht spüren zu können. Als Ersatz lasse ich dafür meinen Freier inzwischen täglich ran, zum Einen, um die Abweisung meines Freundes zu kompensieren, zum Anderen wegen des erhöhten Drogenbedarfs.

„Yamato, ist alles in Ordnung?“, fragt mein Vater besorgt, als er in die Küche kommt. Ich erschrecke mich so extrem, dass ich beinahe das GHB hätte fallen lassen. Panisch umfasse ich es fester und hoffe, dass er nicht auf meine Hand achtet.

„Ja, ich bin nur etwas müde. Ich muss jedoch gleich noch einmal weg.“

„Du warst doch bereits über Nacht bei einem Mitschüler, um zu lernen. Auch wenn ich mich über deinen Fleiß sehr freue, übernimm dich bitte nicht, okay?“

„Nein, heute lerne ich nicht mehr. Es ist ohnehin Sonntag, da haben die meisten Verabredungen mit Freunden. Aber morgen treffen wir uns wieder. Jetzt will ich nur kurz nach Shibuya, zu Tower Records.“ Ausnahmsweise entspricht meine Ortsangabe der Wahrheit.

„Verstehe. Kommt Taichi nachher noch?“

„Ja, am frühen Abend. Bis dahin bin ich aber zurück.“ Leichtigkeit durchflutet meinen Körper und ich merke, wie die Anspannung etwas von mir abfällt. Voller Zuneigung lächle ich meinen Vater an. Ich erhebe mich und verstaue dabei unbemerkt die kleine Flasche in meiner Gesäßtasche. Ohne darüber nachzudenken, lehne ich mich Halt suchend an meinen Vater.

„Was ist los? Geht es dir nicht gut?“, fragt er sofort und klingt beunruhigt.

„Doch, es ist alles in Ordnung. Ich möchte einfach nur deine Nähe, deinen Körper spüren. Bitte stoß mich nicht auch noch von dir.“

„Wie meinst du das?“ Ehrliche Verwunderung liegt in seiner Stimme.

„Ist nicht so wichtig, vergiss es einfach.“

„Taichi?“, hakt mein Vater nach. Ich schweige und presse mich stärker gegen ihn. Schützend umfängt er mich mit seinen Armen. Mein Körper reagiert auf jede seiner Berührungen mit angenehmer Erregung.

„Ich möchte dich küssen“, gestehe ich sehnsüchtig und zugleich schüchtern. „Bitte, Hiroaki. Nur…“ Sanft drückt mein Vater mich etwas von sich, legt einen Finger unter mein Kinn und dreht meinen Kopf in seine Richtung. Zunächst zaghaft küsst er meine Lippen, doch schnell spüre ich seine Zunge verlangend in meinem Mund. Immer fordernder steigert sich der Kuss in seiner Heftigkeit, sodass mir leicht schwindelig wird. Langsam dränge ich meinen Vater nach hinten, bis er gegen den Küchenschrank in seinem Rücken stößt. Begierig gleite ich mit meinen Händen seinen Körper hinab und öffne schließlich die Hose meines Gegenübers. Als Reaktion umgreift dieser schmerzhaft meine Oberarme, wechselt unsere Positionen und presst mich auf erregende Weise gegen den Schrank, ohne eine Sekunde von mir abzulassen. Schwer atmend löse ich mich von meinem Vater.

„Nimm mich“, flüstere ich heißer. Bestimmt zieht er mich an sich, streicht mit seinen Händen meinen Rücken hinab, über meine Lenden, meinen Steiß und greift, bevor ich reagieren kann, zielgerichtet in meine Hosentasche. Vorwurfsvoll und wütend hält er mir das kleine Fläschchen entgegen.

„Antworte mir ehrlich, Yamato! Hast du überhaupt jemals damit aufgehört.“ Mein Vater schreit mich fast an. Einen Augenblick schweige ich vor Entsetzen. Mein Herz klopft schnell.

„Nein“, entgegne ich ehrlich und mit gesenktem Blick.

„Wie oft konsumierst du das Zeug mittlerweile?“

„Ich habe es unter Kontrolle.“ Ruckartig hebe ich meinen Kopf wieder und schaue meinem Gegenüber direkt in die Augen, um ihn von meiner Aussage zu überzeugen.

„Das war nicht meine Frage. Wie oft, Yamato?“

„Nur, wenn ich anders nicht mehr zurechtkomme.“

„Wie oft?“ Ich seufze.

„Vielleicht zwei, drei Mal im Monat, manchmal auch einmal die Woche. Aber das…“ Ein heftiger Schlag ins Gesicht lässt mich zu Boden gehen. „Hör auf zu lügen!“ Zornig sieht er zu mir herab. Dieses Mal benutzte mein Vater sofort seine Faust und nicht erst die flache Hand, wie er es normalerweise tut, wenn er mich schlägt. Und wieder werden deutlich sichtbare Spuren des Übergriffes zurückbleiben. Gleichmütig bleibe ich liegen, schmecke das Blut in meinem Mund und fühle mich irgendwie gut.

„Du hast mich nur geküsst, um an diese beschissenen Drogen zu kommen, hab ich recht?“, frage ich gleichmütig. „Warum hast du nicht einfach von Anfang an zugeschlagen? Das hätte dich mit Sicherheit weniger Überwindung gekostet.“ Ein bitteres Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Oder war es schlicht widerliches Mitleid mit deinem erbärmlichen Sohn? Weil ich von meinem Freund schon die ganze Zeit zurückgewiesen werde, konntest du mir das nicht auch noch antun, also hast du dich für den Moment geopfert. Gratuliere, mich zu erregen, um an meinen Stoff zu kommen, war eine wunderbare Idee. So hatten wir alle etwas davon.“ Ich drehe mich auf den Rücken und betrachte die Zimmerdecke. Das Lächeln wird zu einem unkontrollierten Lachen.

„Bist du gerade drauf?“ Die Mimik meines Vaters zeigt eine Mischung aus Entsetzen, Wut und verzweifelter Zuneigung.

„Und wenn schon. Mir geht es dadurch besser. Anders ist diese beschissene Welt doch nicht zu ertragen“, sage ich mit Gleichgültigkeit in der Stimme. Grob zieht mein Vater mich wieder auf die Beine, nur um erneut auf mich einzuschlagen. Ich wehre mich nicht, denn ich genieße den Schmerz, obwohl er sich durch die Droge etwas anders, ein wenig gedämpfter anfühlt als im nüchternen Zustand.

„Du brauchst Hilfe, Yamato. So geht es nicht weiter. Seit Akitos Tod bist du extrem abgestürzt. Deine Selbstverletzungen sind schlimmer geworden.“ Vehement ergreift mein Gegenüber mein linkes Handgelenk und schiebt meinen Ärmel ein Stück nach oben. „Ich möchte nicht wissen, wie tief du diesmal geschnitten hast, wenn ein Druckverband nötig ist. Mit deiner Drogenabhängigkeit kann ich noch weniger umgehen. Du entgleitest mir, Yamato, und ich habe eine verdammte Angst um dich!“ Tränen schimmern in seinen Augen. „Dennoch werde ich dir zuliebe vorerst von einer Einweisung absehen, wenn du zu dem Kompromiss bereit bist, dich noch einmal auf eine ambulante Therapie einzulassen, regelmäßig hingehst, ernsthaft mitarbeitest und nicht vorzeitig abbrichst.“ Für einen Moment lässt mich der Schock über das Gesagte erstarren. Dann weicht die Paralyse einer Panik. Bestürzt und angsterfüllt entziehe ich mich meinem Vater und verlasse fluchtartig die Wohnung. Seine Versuche, mich aufzuhalten, wehre ich ab und blende ich aus.
 

Der Wind weht kalt in mein Gesicht. Ich friere, bekomme das Zittern meines Körpers nicht unter Kontrolle. Zu kopflos habe ich die Wohnung verlassen, sodass ich mich nun ohne Jacke und ohne Schuhe mitten im November auf dem Dach eines 54-stöckigen Hochhauses befinde. Ich stehe nah am Abgrund, es ist nur ein kleiner Schritt auf der Erhöhung notwendig, um in die endlose Tiefe springen zu können. Ein Schwindelgefühl überkommt mich, als ich ein wenig vorgebeugt nach unten sehe. Traurig blicke ich gen Himmel. Damals schien die Sonne und es war warm. Damals gab es viele Probleme zwischen Tai und mir, jeder von uns war in seinen Abhängigkeiten gefangen, allerdings hatte er zu diesem Zeitpunkt die Beziehung noch nicht beendet. Damals war mein Vater in Deutschland, wir schliefen noch nicht miteinander. Damals lebte Akito noch, wir hatten nahezu regelmäßig Sex, ich war bereits in ihn verliebt, hätte jedoch nicht gedacht, dass ich jemals eine Beziehung mit ihm eingehen würde. Damals bin ich nicht gesprungen. Wäre ich in der damaligen Situation konsequent gewesen, hätte ich all das nicht mehr erlebt. Ich weiß nicht, ob ich froh darüber bin oder ob es nicht doch besser gewesen wäre, einfach zu sterben. Und wie ist es dieses Mal? Ich stehe an derselben Stelle, vor derselben Entscheidung.

„Yamato!“ Die panisch klingende Stimme meines Vaters reißt mich aus meinen Gedanken. Ich drehe mich um, bleibe aber dicht am Rand stehen. Ganz außer Atem und mit angsterfülltem Blick erfasst mein Vater die Situation und wahrt zunächst etwas Abstand zu mir.

„Ich wusste, dass du dich an meine Worte erinnern und herkommen würdest“, rufe ich ihm ernst zu.

„Bitte, Yamato. Komm her. Ich habe deine Schuhe und eine Jacke von dir dabei. Sicher frierst du. Der Wind ist hier oben noch unangenehmer. Du wirst dich erkälten, wenn…“

„Nein. Nimm zuerst deine Therapieforderung zurück. Dann sehen wir weiter.“

„Willst du mich erpressen?“, fragt mein Vater ungläubig.

„Du lässt mir keine andere Wahl. Es tut mir leid, aber ich möchte mit diesem ganzen Psychoscheiß nichts mehr zutun haben. Würde es auch nur im Ansatz etwas nützen, wäre Akito noch am Leben. Er ist das beste Beispiel, dass die einem nicht helfen können, sondern alles bloß schlimmer machen. Die Klinik war jedes Mal die Hölle für mich, besser wurde danach jedoch nichts. Und die ambulante Therapie war reine Zeitverschwendung. Veränderungen hingen ausschließlich mit anderen Faktoren zusammen. Das musst du doch sehen, Papa!“ Verzweifelt schreie ich ihm meine Worte entgegen.

„Ich sehe es, Yamato. Aus diesem Grund habe ich die Drohung, dich einzuweisen, bisher nie wahrgemacht. Aber ich bin am Ende. Bitte verstehe auch mich. Ich habe eine verdammte Angst um dich! Vor allem, weil ich selbst dir nicht helfen kann. Was soll ich also deiner Meinung nach tun? Dich sterben lassen? Zusehen, wie du dich auf Raten tötest?“ Die Stimme meines Vaters zittert und ich glaube zu erkennen, dass er weint. Vorsichtig und mit langsamen Schritten kommt er auf mich zu.

„Bleib stehen!“, rufe ich ihm mit drohendem Unterton zu und setze gleichzeitig einen Fuß auf die Erhöhung am Rand des Daches. Unerwartet öffnet sich die Tür zum Treppenhaus. Ohne mich aus den Augen zu lassen, geht Tai zu meinem Vater.

„Du bist so ein manipulatives Arschloch, Yamato! Was willst du deinem Vater eigentlich noch alles antun?“ Ich merke, dass mein Freund extrem wütend ist, auch wenn er nach außen hin ruhig wirkt.

„Taichi, was…“

„Ich habe ihn angerufen“, unterbricht mich mein Vater. „In der Hoffnung, dass er dir mehr helfen kann als ich.“

„Es läuft also doch etwas zwischen euch. Sag, wirst du von meinem Vater gefickt, Taichi, oder treibt ihr es andersherum?“ Hasserfüllt schaue ich die beiden Menschen an, die mir alles bedeuten.

„Du bist paranoid und zugedröhnt, Yamato. Ich schlafe nicht mit deinem Vater. Niemals käme mir das auch nur in den Sinn. Ebenso würde er sich nie an jemandem vergreifen, der sein Sohn sein könnte und am Freund seines Sohnes erst recht nicht.“ Ein leichtes Lächeln legt sich auf meine Lippen, welches jedoch sofort verschwindet, als ich das betroffene Gesicht meines Vaters sehe.

„Nein, das würde er nicht“, murmle ich so leise, dass keiner der Beiden etwas verstanden haben dürfte. „Zumindest nicht von sich aus.“ Ich steige ganz auf die Erhöhung am Rand des Daches, stehe mit dem Rücken zum Abgrund. Ein Gefühl der Unsicherheit überkommt mich.

„Was soll das, Yamato?“ Vor Angst gelähmt starrt mein Vater zu mir. Er steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Tai versucht ihn zu beruhigen, indem er ihm eine Hand auf die Schulter legt.

„Ich muss mich korrigieren, Yamato“, ruft mir mein Freund herablassend entgegen. „Du bist nicht nur ein manipulatives, sondern auch ein egoistisches Arschloch!“ Ich lache laut auf.

„So wie du, Taichi.“

„Ja, es stimmt. Ich bin nicht besser als du. Obwohl ich weiß, wie wichtig die körperliche Komponente für dich ist, halte ich dich hin. Einfach so. Weil ich sehen will, wie du auf Dauer reagierst. Ich spiele mit dir. Obwohl ich dich liebe, tue ich dir unverzeihliche Dinge an. Gewaltsame Dinge, die dich ins Krankenhaus bringen, bei denen du sterben kannst.“

„Nein, Taichi. Du irrst dich. Es ist keine Liebe, die du für mich empfindest. Du willst Rache für damals und verlierst höchstens dein Ziel ab und zu aus den Augen.“

„Ja, anfangs trieben mich tatsächlich Rachegedanken dazu, dieses Spiel mitzuspielen. Aber das ist schon lange nicht mehr so. Und ich weiß nicht, wie oft ich dir das noch sagen muss, bis du mir endlich glaubst.“

„Deine Gefühle haben ihren Ursprung in einer Art Stockholmsyndrom. Wie könnte ich jemals etwas anderes glauben?“

„Du irrst dich schon wieder. Ich liebe dich mehr als alles andere. Es sind deine eigenen Zwangsgedanken und paranoiden Vorstellungen, welche dich die Wahrheit nicht sehen lassen.“

„Nein, du lügst!“, schreie ich meinen Freund verzweifelt an. „Ich habe dich vergewaltigt! Mehrfach! Das darfst du mir nicht verzeihen! Niemals!“ Tränen laufen unaufhörlich über meine Wangen.

„Yamato, du hast…“ Mein Vater, der die Unterhaltung stumm verfolgte, schaut erst entsetzt zu Tai und starrt dann mich fassungslos an. Verzögert registriere ich, was ich eben laut ausgesprochen habe.

„Ich…“ Meine Stimme stirbt ab.

„Hat Yamato dich wirklich vergewaltigt, Taichi?“ Mein Freund fixiert mich mit seinen Augen. Sein Blick ist emotionslos, als er die Frage meines Vaters mit einem Nicken beantwortet.

„Scheiße…“, flucht dieser leise. Er wirkt hilflos und ziemlich aufgelöst. „Wann?“

„Als wir elf waren, das erste Mal.“ Noch immer schaut Tai unverwandt zu mir.

„Yamato…“, richtet sich mein Vater sichtlich schockiert an mich. Ich taste mit einem Fuß nach hinten und spüre bereits die Kante. Wenn ich nur einen Schritt zurückgehe, falle ich.

„Jetzt willst du auch, dass ich sterbe, nicht wahr, Papa?“

„Nein, das möchte ich nicht. Ich liebe dich, deshalb will ich, dass du lebst und dass es dir gut geht.“ Mit langsamen Schritten kommt Tai näher, ergreift mein Handgelenk und zieht mich von der Erhöhung hinunter in seine Arme. Durch die Veränderung der Situation und die leichte Entspannung breche ich nervlich endgültig zusammen. Meine Beine geben nach und ich sinke mit meinem Freund zu Boden. Krampfartiges Weinen schüttelt meinen Körper und ich sacke immer weiter in mich zusammen.

„Herr Ishida, wir sollten ihm etwas von dem Beruhigungsmittel verabreichen, das Sie vorsorglich eingepackt haben. Ich möchte nicht riskieren, dass er in einer Kurzschlusshandlung plötzlich losrennt und doch noch springt.“ Tais Stimme vernehme ich nur am Rande meiner Wahrnehmung. Alles ist dumpf, taub und irreal. Aus einer Tasche holt mein Vater eine Jacke, die er mir um die Schultern legt, Schuhe, eine Flasche Wasser und die Medikamentenschachtel. Ich kralle mich an meinem Freund fest, Tränen tropfen unablässig von meiner Nasenspitze und meinem Kinn.

„Hier, Yamato. Nimm sie bitte, so wirst du etwas Ruhe finden.“ Mein Vater hält mir eine dieser kleinen, blauen Tabletten und die Flasche entgegen. Wie fremdgesteuert schlucke ich das Medikament. Nach einigen Minuten tritt die Wirkung ein und setzt mich endgültig außer Gefecht. Wie durch einen Dunstschleier bekomme ich mit, dass Taichi meine Tränen weg küsst, mein Vater mich anschließend hochhebt und auf seinen Armen in Richtung Treppenhaus trägt. Dann gleite ich in die Bewusstlosigkeit ab.
 

„… tun konnte. Ich traue ihm ja inzwischen einiges zu, aber dass er dich…“ Die Stimmen klingen weit entfernt, als ich langsam zu mir komme. Ziemlich benommen halte ich meine Augen geschlossen. Offenbar unterhalten sich mein Freund und mein Vater gerade über ein ernstes Thema.

„Sprechen Sie es bitte aus, sonst geben Sie dem Ganzen eine schwerere Bedeutung, als es hat.“

„Taichi, du solltest aufpassen, dass du diese Angelegenheit nicht bagatellisierst. Mein Sohn hat dich vergewaltigt. Hast du jemals mit jemandem darüber gesprochen, um es zu verarbeiten?“

„Mit Yamato. Diese Sache geht niemanden sonst etwas an.“

„Du musst ihn nicht in Schutz nehmen. Was er getan hat, war kein Kavaliersdelikt. Wenigstens mit deinen Eltern hättest du reden müssen. Wie bist du über die Jahre damit umgegangen? Hast du versucht es zu verdrängen und so getan, als wäre nichts geschehen?“ Mein Freund schweigt einen Moment.

„Nein, das war nicht möglich.“

„Wieso n…“ Mitten im Satz stockt mein Vater. „Nein… Taichi, bitte… sag mir, dass meine Befürchtung…“

„Yamato nimmt sich, was er will. Meist ohne Rücksicht. Bis heute. Er hat nie damit aufgehört. Körperlich bin ich ihm zwar überlegen, doch durch seine Kampfsporterfahrung habe ich dennoch kaum eine Chance gegen ihn. Deshalb wollte ich es ebenfalls lernen, um seine Übergriffe abwehren zu können, aber meine Eltern waren dagegen. Sie meinten, ich wäre mit dem Fußballspielen genug ausgelastet.“

„Taichi, es tut mir so…“

„Shh. Das möchte ich nicht von Ihnen hören.“ Ich öffne ein wenig meine Augen, weil eine Pause im Gespräch entsteht. Taichi hat seinen Zeigefinger auf die Lippen meines Vaters gelegt, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen und ihn sanft zum Schweigen zu bringen. Sie sitzen auf meinem Sofa, dicht beieinander, ihre Knie berühren sich und die Gesichter sind einander zugewandt. Viel zu nah. „Es ist nicht Ihre Schuld. Niemand trägt Schuld. In den Momenten, in denen Yamato die Kontrolle über sich verliert und mich mit Gewalt zum Sex zwingt, hasse ich ihn.“

„Warum trennst du dich nicht von ihm?“

„Weil ich ihn eigentlich liebe, Herr Ishida. Ich liebe ihn so sehr. Meistens schlafe ich freiwillig mit ihm. Ich will ihn spüren und ich will, dass er mich spürt. Insofern kann ich Yamato sogar verstehen, nur dass es bei ihm über jedes gesunde Maß hinausgeht. Er lebt in Extremen und leidet offensichtlich am meisten darunter. Haben Sie es vorhin mitbekommen? Er zerbricht an seinen Schuldgefühlen.“

„Wenn ich dir eines versichern kann, dann dass mein Sohn dich ebenso sehr liebt. Auch wenn er sich damals sofort auf eine Beziehung mit Akito einließ, ist er nie über die Trennung von dir hinweggekommen. Er hatte heftige Nervenzusammenbrüche, wirkte ansonsten jedoch leblos und leer.“

„Davon haben Sie…“

„Ja, ich weiß. Entschuldige. Ich habe meine Berichte am Telefon etwas abgeschwächt, weil ich wollte, dass du dich auf deine Suchtbewältigung konzentrierst.“

„Verstehe.“ Ich glaube zu erkennen, dass mein Freund in meine Richtung blickt, und hoffe, dass er meine einen Spalt geöffneten Augen nicht bemerkt hat. Bedächtig schließe ich sie wieder. „Herr Ishida, Sie schlagen ihn öfter, hab ich recht? Häufig sieht er ziemlich zugerichtet aus. Sie wissen, dass er Sie absichtlich provoziert, um genau dies zu erreichen? Er braucht den Schmerz. Auch ich weiß mir meist nicht anders zu helfen, als ihn mit Gewalt aus seiner verqueren Welt zu befreien. Yamato ist sehr manipulativ, ich habe nur noch nicht herausgefunden, ob er es bewusst oder unbewusst macht. Zudem habe ich Angst, was passiert, wenn wir seinen Provokationen nicht nachgeben. Vermutlich würde sein selbstverletzendes Verhalten noch stärker und vielleicht sogar gefährlicher werden.“ Plötzlich tritt Stille ein. Das Einzige, was ich höre, ist das Rascheln von Kleidung. Ich blinzle ganz leicht und sehe, dass Tai und mein Vater sich umarmen, kann aber nicht ausmachen, von wem diese innige Körperlichkeit ausging.

„Wenn Yamato seinen Schulabschluss hat, werde ich ihn einweisen lassen. Er braucht Hilfe, die wir ihm scheinbar nicht geben können. Aber zu einem solchen Übergriff darf es nie wieder kommen“, flüstert mein Vater, sodass ich Schwierigkeiten habe, ihn zu verstehen. Als ich den Sinn seiner Worte begreife, will ich panisch aufspringen, schaffe es jedoch mit Mühe, ruhig zu bleiben und so zu tun, als hätte ich mein Bewusstsein noch nicht wiedererlangt. Liebevoll streicht mein Vater über Taichis Rücken, während dieser sich an ihm festkrallt.

„Denken Sie wirklich, dass ein Klinikaufenthalt irgendwas besser macht? Yamato hat recht. Die bisherigen haben auch nichts genützt. Es würde ihn nur weiter kaputt machen.“

„Ich weiß. Aber es gibt keine Alternative mehr, oder? So kann es jedenfalls nicht weitergehen.“

„Nein“, antwortet mein Freund gedankenverloren, noch immer in einer liebevollen Umarmung mit meinem Vater.
 

Es ist bereits dunkel in meinem Zimmer, als ich zu mir komme. Offenbar bin ich noch einmal eingeschlafen, nachdem ich teilweise eine Unterhaltung zwischen meinem Vater und Taichi mitgehört habe. So vertraut, wie die beiden miteinander umgehen, bin ich mir sicher, dass sie Sex haben. Vermutlich wird Tai von meinem Vater genommen, da ich mir meinen Vater als passiven Part nicht vorstellen kann. Aber war das Gespräch wirklich real? Es fühlt sich sehr unwirklich an, was allerdings auch an dem Beruhigungsmittel liegen kann. In letzter Zeit ist meine Wahrnehmung nicht gerade verlässlich. Oft habe ich das Gefühl, zu halluzinieren, kann echt von unecht nicht unterscheiden. Vielleicht war es auch einfach nur ein Traum. Vorsichtig richte ich mich auf. In meinem Kopf pulsiert es, ich bin kraftlos. Auf dem Sofa erkenne ich die Silhouetten von zwei Menschen. Mein Vater ist leicht in sich zusammengesackt und scheint zu schlafen. Taichi sitzt neben ihm, an ihn gelehnt und ebenfalls schlafend. Das Gespräch war also doch keine Einbildung, was bedeutet, dass auch die Ankündigung, mich nach dem Schulabschluss einzuweisen, den Tatsachen entspricht. Will mein Vater mich loswerden? Er kann nicht glücklich werden, solange es mich gibt. Schon gar nicht mit meinem Freund, weil ich es nicht zulassen würde. Ich frage mich, ob mein Vater Taichi wirklich liebt und ob Tai mit ihm ebenso spielt wie mit mir. Ist er überhaupt in der Lage, so etwas wie Liebe zu empfinden? Oder ist er doch nur ein kranker Psychopath? Wobei ich zugeben muss, dass diese Seite an ihm mich sehr erregt. Langsam stehe ich auf und gehe leise zur Tür.

„Yamato“, spricht mein Vater mich mit schläfriger Stimme an. „Wohin willst du?“

„Komm mit raus“, flüstere ich. Behutsam löst er sich von meinem Freund, legt ihn richtig auf das Sofa und deckt ihn liebevoll zu. Dann folgt er mir. Im Flur drücke ich meinen Vater sofort mit Gewalt gegen die Wand und öffne fordernd seine Hose.

„Yamato!“ Er macht Anstalten, sich zu wehren, doch ich wende meine Kampfsportkenntnisse an, um ihn bewegungsunfähig zu machen.

„Sei still oder willst du Tai aufwecken und ihn zusehen lassen, wie wir es miteinander treiben?“, raune ich höhnisch in sein Ohr.

„Ist das dieselbe Vorgehensweise, mit der du dir Taichi gefügig machst, wenn du ihn vergewaltigst? Verdammt nochmal, Yamato! Weißt du eigentlich noch, was du tust?“

„Sag du es mir. Immerhin vögelst du meinen Freund! Los, mach schon. Besorge es mir genauso, wie du es Tai besorgst!“

„Du bist dermaßen besessen von dieser wahnhaften Idee. Zwischen Taichi und mir läuft nichts!“

„Wie du willst. Wenn du mich nicht fickst, werde ich dich jetzt nehmen.“ Nicht gerade sanft drehe ich meinen Vater mit dem Gesicht zur Wand, presse ihn stark dagegen und drehe einen seiner Arme schmerzhaft auf den Rücken. Mit meiner freien Hand mache ich mich an seiner bereits geöffneten Hose zu schaffen. Unerwartet spüre ich von der Seite einen harten Faustschlag in meinem Gesicht, der die frische Wunde an meiner Lippe wieder aufplatzen lässt und mich brutal zu Boden bringt.

„Was ist los, Yamato? Steh auf! Ich will dir wieder etwas Verstand in dein hübsches Köpfchen prügeln. Merkst du eigentlich, dass du jeglichen Bezug zur Realität verloren hast? Dein Vater hat recht. Du brauchst Hilfe. Und zwar dringend.“ Dieser hat inzwischen seine Hose geschlossen und hockt sich nun neben mich.

„Yamato? Hörst du mich? Sieh mich bitte an!“ Ich reagiere nicht, sondern halte meinen Freund mit meinen Augen fixiert. „Yamato, ich werde dich jetzt in die Klinik fahren.“

„Nein!“ Panisch schaue ich nun zu meinem Vater.

„Doch. Du bist nicht mehr zurechnungsfähig und ich befürchte, dass du in deinem momentanen Zustand jemand anderem oder dir selbst etwas antun könntest.“

„Bitte, Papa! Das darfst du nicht! Schieb mich nicht einfach ab!“

„Hör auf, Yamato!“, schaltet sich Taichi ein. „Dieses Mal schaffst du es nicht, deinen Vater zu manipulieren. Es muss sein. Bitte versteh das.“ Ich schaue zwischen meinen Widersachern hin und her.

„Ja, ich verstehe. Ihr wollt ungestört ficken und dafür muss ich natürlich verschwinden.“ Nachsichtig lächelt mein Vater mich an.

„Komm jetzt, Yamato.“ Er will mir aufhelfen, doch ich stoße ihn heftig von mir.

„Fass mich nicht an!“, drohe ich und verliere endgültig die Nerven. Schnell stehe ich auf und renne zur Tür. Bevor ich diese allerdings erreiche, hält mein Freund mich grob am Handgelenk fest.

„Du bleibst hier! Laufe nicht immer vor deinen Problemen davon.“ Liebevoll, aber bestimmt zieht er meinen Körper an sich und umfängt ihn mit seinen Armen. Verzweifelt versuche ich mich zu wehren, doch Taichi gibt nicht nach und hält mich fest umklammert. „Ruhig, Yamato. Niemand will dir etwas tun.“

„Ihr wollt mich wegsperren!“, schreie ich meinen Freund hysterisch an.

„Wir wollen dir helfen“, entgegnet mein Vater, der inzwischen aufgestanden und zu uns gekommen ist. „Und momentan ist die Krisenintervention das Einzige, was dich vor dir selbst schützen kann. Glaube mir, wir würden dich lieber bei uns behalten. Aber du bist gerade so sehr in deiner eigenen Welt gefangen, dass wir dich nicht mehr erreichen.“ Tai gibt mich in die Obhut meines Vaters, da er es kaum noch schafft, mich zu bändigen. Dieser hält mich von hinten fest. Sofort beginne ich nach meinem Freund zu treten, der mir ausweicht, indem er einige Schritte zurückgeht. Fieberhaft versuche ich mich aus den Fängen meines Vaters zu befreien.

„Taichi, ruf bitte in der Klinik an. Allein schaffen wir es nicht, Yamato ist völlig außer Kontrolle. Ich nehme an, dass sie ihn ruhigstellen müssen.“

„Nein, Tai! Bitte, ich flehe dich an!“ Tränen der Verzweiflung laufen über meine Wangen. „Taichi… bitte…“ Meine Stimme versagt.

„Es tut mir leid, Yamato. Wirklich.“ Die Augen meines Freundes sehen mich unglaublich traurig an, als er den Hörer des Telefons abnimmt. „Ich liebe dich und habe gerade ziemliche Angst um dich. Verzeih mir, aber ich will dich nicht verlieren!“ Tai wählt eine Nummer. Weinend breche ich in den Armen meines Vaters zusammen.
 

„Herr Ishida.“ Nur am Rande meiner Wahrnehmung registriere ich, dass eine Schwester mein vorübergehendes Zimmer betritt. Teilnahmslos liege ich auf meinem Bett und starre aus dem geschlossenen, vergitterten Fenster. „Gehen Sie bitte zum Mittagessen, damit ich den Raum durchlüften kann.“

„Ich habe keinen Hunger“, sage ich monoton.

„Sie müssen etwas essen. Zum Frühstück haben sie auch nichts zu sich genommen. Ihr Vater teilte uns bereits mit, dass es bei diesem Thema Probleme geben könnte. Es liegt an Ihnen, entweder Sie essen freiwillig oder ich gebe dem Stationsarzt Bescheid, damit er eine Zwangsernährung bei Ihnen veranlasst.“ Ich schaue die Schwester an. Ihr Blick verrät mir, dass sie es ernst meint. Schwerfällig erhebe ich mich aus dem Bett, meine Beine geben jedoch sofort nach. Fürsorglich versucht die Schwester mich zu stützen und hilft mir, mich wieder auf die Matratze zu setzen.

„Es tut mir leid, mir ist etwas schwindelig“, murmle ich tonlos.

„Sie sollten sich nach dem Essen dann nicht gleich hinlegen. Bewegen Sie sich etwas, um Ihren Kreislauf zu stabilisieren.“

„Wo soll ich mich hier denn bewegen? Den Gang auf und ab laufen?“

„Heute Nachmittag wird die Terrasse für eine Stunde aufgeschlossen. Nutzen Sie die Gelegenheit, etwas an die frische Luft zu kommen.“

„Wann werde ich entlassen?“

„Das müssen Sie mit dem behandelnden Arzt besprechen. Dazu kann ich Ihnen keine Auskunft geben. Er ist heute nach dem Mittagessen auf dieser Station, da er Wochenendbereitschaft hat. Sie können um ein Gespräch bitten, wenn sie etwas zu sich genommen haben. Versuchen Sie noch einmal ganz langsam aufzustehen.“ Ich befolge Ihre Anweisung ohne Widerworte. Das Schwindelgefühl ist nicht abgeklungen, aber schwächer geworden. Müde schleppe ich mich zu dem Speise- und Aufenthaltsraum, setze mich auf einen freien Stuhl und schaue leblos ins Nichts. Die Tabletts werden von einem Pfleger an die Patienten verteilt. Sobald er den Raum verlassen hat, wird mit dem Lebensmitteltauschhandel begonnen. Auch ich verteile die verschiedenen Nahrungsmittel, die mir vorgesetzt wurden, unter meinen Mitpatienten. Ohne Gegenleistung. Im Abstand von fünf Minuten sieht ein Aufpasser nach dem Rechten. Nach einer halben Stunde kommt der Pfleger zurück, um die ersten Tabletts wieder abzuräumen.

„Denken Sie bitte an die Medikamentenausgabe im Schwesternzimmer“, ruft er dabei in den Raum. Einen Moment bleibe ich noch sitzen, dann gehe ich zum Zimmer des Stationsarztes. Ich klopfe an.

„Es ist noch niemand da“, informiert mich eine der Schwestern. „Holen Sie sich bitte Ihre Medizin, Herr Ishida.“

„Erst muss ich mit dem Arzt sprechen.“

„In der Zeit, in der Sie auf den Arzt warten, können Sie auch Ihre Tabletten einnehmen.“ Genervt wende ich mich um und laufe auf die Schwester zu.

„Das Benzodiazepin schlucke ich aber erst nach dem Gespräch.“

„Ich verabreiche Ihnen die Medikation gemäß der ärztlichen Verordnung. Wenn Sie sich weigern, werden Sie fixiert und intravenös ruhiggestellt.“

„Wie soll ich denn vernünftig mit dem Arzt sprechen, wenn ich völlig zugedröhnt bin?“, frage ich unzufrieden. Die mir gegenüberstehende Frau antwortet nicht, sondern hält mir einen kleinen, mit Wasser gefüllten Plastikbecher und einen Medikamenteneinteiler mit vier Fächern für morgens, mittags, abends, nachts hin. Sie leert das Fach mit der Aufschrift mittags auf meiner Handfläche aus. Das Fach für morgens ist bereits ohne Inhalt. Stumm blicke ich auf die vier verschiedenen Tabletten, von denen drei zu meiner eingestellten Medikation gehören. Die kleine blaue Tablette dient lediglich zur Ruhigstellung und wird in der Regel nur kurzzeitig verabreicht, da diese Arznei ein großes Abhängigkeitspotential besitzt. Widerwillig schlucke ich im Beisein der Schwester die Psychopharmaka mit etwas Wasser hinunter. Die Dosierung des Beruhigungsmittels muss höher sein als bei meiner letzten Einweisung. Die Wirkung greift wieder, ich kann kurz nach der Einnahme keinen klaren Gedanken mehr fassen und bin völlig benommen. Ich habe noch etwa zehn Minuten im halbwegs klaren Zustand. Zu wenig Zeit, um dem Arzt mein Anliegen vorzutragen. Betrübt gehe ich zurück in mein Zimmer und lege mich auf das Bett. Das Fenster ist nach dem Lüften wieder abgeschlossen worden. Mir geht ein Gedanke durch den Kopf, den ich vergesse, bevor ich ihn richtig zu fassen bekomme. Dabei fühlt es sich so an, als wäre es etwas Wichtiges gewesen. Krampfhaft versuche ich mich zu erinnern, doch mein Denken entgleitet mir immer mehr. Ich schließe die Augen.
 

Ich spüre eine kühle Hand, die mir liebevoll vereinzelte Haarsträhnen aus der Stirn streicht. Benommen öffne ich meine Augen.

„Taichi?“, nuschle ich unverständlich. Das Benzodiazepin, welches ich vier Mal täglich verabreicht bekomme, beeinträchtigt mein Sprachvermögen enorm.

„Ja. Es ist Besuchszeit. Dein Vater ist auch hier und spricht gerade mit dem Arzt.“

„Hm.“ Die Frage, ob ich halluziniere, kommt in mir auf. „Bitte berühre mich, damit ich weiß, dass du echt bist.“ Mein Freund beugt sich zu mir und küsst sanft meine Lippen. Dann lächelt er.

„Keine Angst, ich bin wirklich hier. Du unterliegst keiner Sinnestäuschung.“ Tränen laufen, von mir zunächst unbemerkt, meine Wangen hinab, bis Tai sie mit behutsamer Zärtlichkeit von meiner Haut küsst. Er steht auf und legt sich hinter mich auf das Bett. Schützend umfängt er mit seinem Arm meinen Körper. Ich spüre die Wärme meines Freundes und schließe beruhigt die Augen.
 

„Herr Ishida. Herr Ishida!“ Langsam öffne ich meine Augen. Desorientiert blicke ich die Schwester, die an meinem Bett steht, an. Plötzlich erinnere ich mich an Taichis Anwesenheit. Ich drehe mich um, doch neben mir liegt niemand. War er doch nur Einbildung? „Es ist Zeit für das Abendessen“, sagt sie sanftmütig. Noch immer verwirrt schaue ich mich im Zimmer um.

„War vorhin…“

„Ihr Vater ist mit Ihrem Freund unten in der Caféteria, da die Patienten zu den Essenszeiten keinen Besuch empfangen dürfen. Machen Sie sich also keine Gedanken, in zirka einer halben Stunde können Sie noch etwas Zeit miteinander verbringen. Aber jetzt werden Sie erst einmal ihre Mahlzeit zu sich nehmen.“ Nach wie vor leicht benebelt, erhebe ich mich, laufe unsicheren Ganges über den Flur zum Speise- und Aufenthaltsraum. Mein Umfeld ausblendend lasse ich mich auf einen der Stühle sinken.

„Yamato?“ Ich reagiere nicht. „Du bist doch Yamato, oder?“ Ich hebe meinen Kopf und betrachte die zierliche Frau, die schüchtern lächelnd vor mir steht.

„Frau Itami“, flüstere ich erstaunt. „Sie sind noch immer hier?“

„Ja, es hat lange gedauert, aber jetzt bin ich stabil genug, um nächste Woche auf die offene Station verlegt zu werden.“

„Das ist schön. Sie sehen auch besser aus als bei meinem Besuch.“ Ich lächle schwach.

„Dafür siehst du gar nicht gut aus. Ich hatte dich schon heute Morgen erkannt, traute mich jedoch nicht dich anzusprechen. Die meiste Zeit bist du ziemlich weggetreten. Wann wurdest du eingewiesen? In der Nacht?“

„Kann sein.“ Ich senke den Blick. Die Mutter meines verstorbenen Freundes begibt sich auf Augenhöhe zu mir und berührt mit ihren Fingern leicht meine Wange.

„Gib dich bitte nicht auf, Yamato. Du bist stärker, als Akito es war.“

„Er fehlt mir so sehr“, flüstere ich mit erstickter Stimme. Meine Kehle ist wie zugeschnürt und ich kann kaum atmen. „Würde er noch leben, wenn er mir wenigstens ein Mal geglaubt hätte, dass ich ihn liebe? Würde er noch leben, wenn Sie Ihr Leben im Griff hätten und mehr für ihn da gewesen wären? So, wie es für eine Mutter normal sein sollte?“ Schmerzlich halte ich inne. Dass ich aufgrund meiner erhöhten Lautstärke die Aufmerksamkeit der anderen Anwesenden auf mich gezogen habe, interessiert mich nicht. Auch nicht, dass einer der Pfleger eilig auf mich zugelaufen kommt. Ich lächle und schaue ihn an, als er vor mir stehen bleibt. „Mütter sind doch immer egoistische Schlampen, hab ich recht?“, frage ich ruhig. „Sie nehmen einem die Geschwister weg, zerstören die ganze Familie und denken, es wäre das Beste für alle.“ Mein krampfhaftes Lachen hallt durch den Raum. Dann fixiere ich Frau Itami finster. „Sie haben Akito getötet!“ Entsetzt schaut sie mich an. Der Pfleger packt mich grob an den Schultern und schüttelt mich leicht.

„Es reicht, Herr Ishida! Beruhigen Sie sich.“

„Nein, verdammt!“ Energisch versuche ich mich aus seinem Griff zu befreien. „Sie ist schuld, dass mein Freund sich das Leben genommen hat, weil sie nichts als eine Last für ihn war. Warum hat er sie nicht einfach verrecken lassen? Warum hat er sich nicht von ihr lösen können? Warum hat er sie trotz allem geliebt?“ Weinend breche ich zusammen. „Warum hat er uns keine Chance gegeben? Warum hat er mich allein gelassen?“ Nur am Rande bekomme ich mit, dass weitere Personen den Raum betreten. Als eine Ärztin den Ärmel meines Hemdes nach oben schiebt, beginne ich panisch um mich zu schlagen. „Fasst mich nicht an!“ Mit geübten Handgriffen bekommen mich die Pfleger soweit unter Kontrolle, um meinen Körper auf die Fixierbahre im Flur tragen zu können und ihn mit den dafür vorgesehenen Gurten festzuschnallen. Erneut legt die Ärztin meine Armbeuge frei und injiziert mir ein starkes Beruhigungsmittel. Fast unmittelbar lässt meine Gegenwehr nach. Mein Denken wird zäh, meine Empfindungen taub. Ich verstehe die Worte der umstehenden Personen nicht mehr, registriere meine Umgebung kaum noch. Teilnahmslos starre ich ins Nichts.
 

Langsam öffne ich meine Augen. Das grelle Tageslicht schmerzt, sodass ich sie gleich wieder schließe. Mein gesamter Körper fühlt sich an, als wäre ich überfahren worden. Krampfhaft versuche ich mich daran zu erinnern, was passiert ist. Akito. Ich glaube, ich bin seinetwegen ausgerastet, habe seine Mutter beschimpft, ihr Vorwürfe gemacht sowie die Schuld an allem ihr gegeben. Als die Tür zu diesem Zimmer geöffnet wird, schlage ich meine Augen erneut auf. Vermutlich ist es eine der Schwestern oder ein Pfleger, um nach mir zu sehen.

„Ah, Herr Ishida. Sie sind wach“, spricht mich die junge Frau, die nun den Raum betritt, freundlich an. „Sie haben lange geschlafen. Das Sedativum, welches Ihnen verabreicht wurde, war relativ stark. Wie fühlen Sie sich?“

„Ich bin mir nicht sicher. Noch ziemlich benommen.“

„Das wird sich geben. Haben Sie etwas Geduld.“ Lächelnd setzt sie sich zu mir ans Bett, misst meinen Blutdruck, den Puls sowie meine Körpertemperatur und notiert die Werte.

„Wie spät ist es?“, frage ich mit nach wie vor leicht kratziger Stimme.

„Gleich drei Uhr nachmittags. Es gibt Kaffee und Kuchen, wenn Sie möchten.“

„Welcher Tag ist heute?“, will ich wissen, obwohl ich mir die Antwort selbst ausrechnen kann.

„Montag. Wollen Sie nicht aufstehen? Die Terrasse wird halb vier für eine Stunde geöffnet. Etwas Bewegung und frische Luft wird Ihnen gut tun.“ Meine Gedanken driften ab, sodass ich der Schwester kaum noch zuhöre. Montagnachmittag. Das bedeutet, ich habe die Schule verpasst und somit die Bedingung für meinen Schulabschluss, keine weiteren Fehltage zu haben, nicht erfüllt. Wie konnte es nur dazu kommen? Wieso bin ich einmal mehr in der geschlossenen Psychiatrie gelandet? Habe ich wirklich so sehr die Kontrolle verloren, dass dieser Schritt notwendig war?

„Herr Ishida?“, werde ich von der Schwester aus meinen Gedanken gerissen. Gerade als ich auf sie reagieren möchte, öffnet sich erneut die Tür und der Stationsarzt schaut in das Zimmer. Erfreut registriert er, dass ich wach bin, nimmt sich den Stuhl, der an dem kleinen Tisch steht, und setzt sich ebenfalls zu mir ans Bett.

„Wie sind die Messwerte?“, richtet er sich zunächst an seine junge Mitarbeiterin.

„Der Blutdruck ist etwas niedrig, ansonsten ist alles im Normalbereich.“

„Und wie geht es Ihnen, Herr Ishida?“, möchte der Arzt nun von mir wissen. Ich räuspere mich etwas, da mein Hals trocken ist.

„Noch immer etwas benommen, schwindelig.“

„Sie müssen sich auch mehr bewegen, um Ihren Kreislauf anzukurbeln. Liegen Sie nicht die ganze Zeit im Bett“, bringt der Arzt mir vorwurfsvoll entgegen. Missmutig blicke ich ihn an, verzichte jedoch auf eine Bemerkung. „Kommen Sie, Ihr Vater und Ihr Freund warten im Besucherzimmer auf Sie.“ Hellhörig richte ich mich auf. „In einer halben Stunde beginnt die offizielle Besuchszeit, bis dahin sind sie auf jeden Fall ungestört. Ihr Vater möchte einiges mit Ihnen besprechen.“ Schwerfällig erhebe ich mich und verlasse mit dem Arzt und der Schwester zusammen den Raum. Während die beiden in die Richtung ihrer Dienstzimmer gehen, laufe ich langsam über den Flur zum Besucherzimmer. Ich fühle mich schwach und sehr wackelig auf den Beinen. An meinem Ziel angelangt, drücke ich mit Bedacht die Türklinke nach unten. Tai und mein Vater sitzen auf dem Sofa und schauen mich liebevoll, aber ernst an. Leise schließe ich die Tür und nehme den beiden gegenüber auf dem Sessel Platz.

„Wie geht es dir?“, fragt mein Vater sorgenvoll.

„Soweit okay, aber warum hast du mich eingewiesen? Du weißt doch genau, was weitere Fehltage bedeuten!“, entgegne ich anklagend.

„Du hast mir keine Wahl mehr gelassen, Yamato“, verteidigt er sich. „Ich bekam dich nicht unter Kontrolle. Du warst unberechenbar.“

„Nein, das ist nicht wahr! Ich…“

„Yamato“, schaltet sich Taichi ein. „Du wolltest deinen Vater vergewaltigen.“

„Was? Nein!“ Empört betrachte ich meinen Freund.

„Hättest du mit deinem Vater geschlafen, wenn ich nicht dazwischen gegangen wäre?“ Ich schweige einen Moment.

„Ja“, gebe ich schließlich beinahe stimmlos zu.

„Das nennt man Vergewaltigung, Yamato. Du kannst dir nicht immer mit Gewalt holen, was dir freiwillig nicht gegeben wird. Und dein Vater wollte mit Sicherheit nicht von dir genommen werden. Aber allein schon die Tatsache, dass du Sex mit deinem eigenen Vater wolltest, zeigt deutlich, dass du nicht bei Verstand warst und eine Einweisung somit die einzig logische Konsequenz darstellte.“ Ich schaue zu meinem Vater. Dieser erwidert meinen Blick schweigend. Mir fällt auf, wie sehr Taichi Partei für meinen Vater ergreift und dass der meinen Freund gewähren lässt. Wieder empfinde ich Eifersucht und erneut drängt sich mir die Gewissheit auf, dass die Beiden miteinander ins Bett gehen.

„Yamato“, richtet nochmals mein Vater das Wort an mich. „Ich hoffe inständig, dass es sich als kein folgenschwerer Fehler erweist, den ich bitter bereuen und teuer bezahlen muss. Vorhin habe ich deine Entlassung veranlasst. Der Arzt teilte mir zwar seine Bedenken mit und war strikt dagegen, allerdings habe ich ihm die Umstände bezüglich deines Schulabschlusses erklärt. Dennoch musste ich unterschreiben, dass du gegen ausdrücklichen ärztlichen Rat entlassen wirst. Jetzt trage also ich die gesamte Verantwortung, falls etwas passiert.“ Mit großen Augen schaue ich ihn an.

„Aber was ist mit der Schule? Ich habe gegen die Auflage, nicht mehr zu fehlen, verstoßen.“

„Das stimmt. Aus diesem Grund habe ich heute Morgen mit deinem Direktor gesprochen. Du wirst einen Test ablegen müssen, mit dem dein Wissensstand geprüft wird. Dein Bestehen bedeutet, dass du auf dem Niveau deiner Mitschüler bist. Dann kannst du trotz deiner Fehltage deinen Abschluss machen, vorausgesetzt es kommen, von dieser Woche einmal abgesehen, keine weiteren hinzu.

„Diese Woche?“, frage ich irritiert.

„Du darfst zwar heute mit nach Hause kommen, allerdings stehst du noch immer unter starken Beruhigungsmitteln. Du weißt, dass du sie nicht einfach absetzen kannst. Um Entzugserscheinungen zu vermeiden, musst du sie langsam ausschleichen. Deshalb solltest du wenigstens noch bis Ende der Woche zu Hause bleiben. Wenn keine schlimmen Nebenwirkungen eintreten, kannst du ab nächsten Montag wieder zur Schule gehen.“ Einen Moment schweige ich und schaue die Männer mir gegenüber abwechselnd an.

„Danke“, sage ich schließlich im Flüsterton. Meine Empfindungen sind noch immer ziemlich dumpf, was vermutlich tatsächlich daran liegt, dass ich derzeit dauerhaft unter diesen alles abtötenden Medikamenten stehe. Einerseits mag ich dieses Gefühl, weil man über nichts mehr nachdenkt, sich einfach treiben lässt, aber andererseits kommt man sich auch unglaublich verblödet vor.

„Tai?“, spreche ich meinen Freund an. „Du warst doch ganz gut in der Schule. Würdest du mir die Dinge erklären, die ich beim Lernen nicht verstehe? Ich will meinen Schulabschluss unbedingt schaffen.“

„Woher kommt plötzlich dieser Wille?“, fragt Taichi skeptisch, denn alle in diesem Raum wissen, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein wird. Vermutlich wird er sich bereits mit nachlassender Wirkung der Medikamente wieder wandeln. Bewusstseinsverändernde Substanzen sind generell problematisch. Wenn man drauf ist, sieht man die Welt mit anderen Augen. Es erscheint alles einfacher, leichter und man hat das Gefühl, endlich leben zu können. Doch wenn man wieder in der harten Realität aufschlägt, verzweifelt man, weil einem alles viel schlimmer vorkommt, als es eigentlich ist. Bei Heroin sind, nach meinem Empfinden, die Extreme am schlimmsten.

„Yamato, du bist abwesend und stehst ziemlich neben dir. Vielleicht wäre es besser, wenn du die Nacht über noch hier bleibst und ich dich morgen abhole. Dann kannst du unter professioneller Aufsicht mit dem Ausschleichen beginnen.“

„Nein, bitte! Hier drin verliere ich wirklich noch den Verstand. Außerdem ertrage ich die Anwesenheit von Akitos Mutter momentan nicht. Durch sie muss ich an Akito und seinen Tod denken. Es tut einfach wahnsinnig weh.“ Ich richte meinen Blick auf Taichi, dessen Miene sich verfinsterte, als er den Namen Akito hörte. Dennoch sagt er nichts.

„Ich verstehe dich ja, aber…“, äußert sich mein Vater, allerdings unterbreche ich ihn.

„Nein. Ich bitte dich. Nimm mich heute mit.“ Seufzend lenkt er ein.

„Also gut. Im Übrigen habe ich mit Taichi ausgemacht, dass er die Tage, während du die Tabletten absetzt, bei uns bleiben wird und auf dich aufpasst, da ich mir auf Arbeit nicht frei nehmen kann.“

„Wird er auch bei uns übernachten?“, frage ich hoffnungsvoll.

„Nein, nachts bin ich doch zu Hause.“

„Aber dann bin ich nicht so allein. Oder darf ich mit in deinem Bett schlafen?“ Ich werfe meinem Vater einen vielsagenden Blick zu.

„Du verhältst dich wie ein Kind, Yamato“, entgegnet der vorwurfsvoll.

„Ist schon okay, Herr Ishida. Für mich wäre es in Ordnung, wenn Sie nichts dagegen haben.“ Liebevoll legt Tai seine Hand auf den Unterarm meines Vaters. Wieder diese Vertrautheit zwischen den Beiden. Argwöhnisch beobachte ich, wie mein Freund seinen Sitznachbarn anlächelt. Ich frage mich, ob sie nur miteinander vögeln oder ob es nicht schon eher in Richtung Beziehung geht. Zumindest würde das erklären, warum Tai sich nicht näher auf mich einlässt. Aber vielleicht bilde ich mir das alles doch nur ein. Immerhin ging die Kontaktaufnahme von ihm aus. Andererseits sieht er auf diese Weise meinen Vater häufiger und ihre Beziehung wird dadurch unauffälliger. Doch wenn ich Taichi darauf anspreche, streitet er mit Sicherheit alles ab. Ein verächtliches Lächeln legt sich auf meine Lippen. Gerade wird mir bewusst, dass wir eine Art Dreiecksbeziehung führen, in der jeder mit jedem vögelt. Die Vorstellung, mit beiden gleichzeitig zu schlafen, widert mich allerdings an. Diese Form von Sex hat nichts mehr mit den Personen selbst zu tun. Das intensive Spüren des Anderen geht verloren, da die Konzentration und die Empfindungen unweigerlich auf den eigenen Körper gerichtet werden.

„Yamato, du packst mit Taichi deine Sachen zusammen und ich hole in der Zeit deine Medikamente. Bevor du entlassen wirst, möchte der Arzt aber noch einmal mit dir sprechen. Wenn du fertig bist, klopfe einfach an die Tür seines Dienstzimmers.“ Mein Freund erhebt sich als erster und bleibt vor mir stehen. Zärtlich streicht er durch meine Haare, hält sie im Nacken zusammen und lächelt.

„Komm. Du solltest dich mal wieder kämmen.“



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