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A new Story

Die Geschichte einer Tänzerin~
von

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Wie alles begann...

Wie alles begann...
 

Die Hauptperson dieser Geschichte trägt den Namen: Sila. Als junges Mädchen musste sie ihr Heimatland verlassen um in einer kleinen Familie, die sie nicht wirklich kannte, aufzuwachsen. Doch die Menschen, die ihr am Anfang so fremd waren, wurden mit der Zeit zu ihrer Familie. Sie teilten mit ihr Leid und Tränen, Angst und Hoffnung. Dort lernte sie wieder zu lächeln und entdeckte ihre Liebe zu Musik und Tanz.
 

In diesem Land gab es ein großes Internat für Tanz; genannt „Audition-SEA“. Man konnte diese Kunst von Anfang an erlernen und sich in unterschiedlichen Tanzrichtungen ausbilden und spezialisieren lassen. Es gab jede Menge an Erfahrungen zu lernen, Freundschaften entstanden und Wettbewerbe wurden bestritten. Im Teeniealter ging somit für Sila ein Traum in Erfüllung, als diese zum ersten Mal die Hallen ihres neuen Internats besichtigte. Von überall her erklang Musik. Viele Schüler und Studenten trugen Sport- oder Tanzkleidung in den unterschiedlichsten Formen und Farben. Dort traf sie die Entscheidung: „Tanz soll meine Zukunft werden. Damit möchte ich mein Geld verdienen!“
 

***
 

Es dauerte einige Monate, bis sie ihre erste Prüfung meistern konnte. Mit dem sechsten Level wurde sie ganz offiziell als Schülerin von „Audition-SEA“ aufgenommen. Ihr eigentliches Training fing somit erst richtig an. Es war nicht leicht, sich mit den reiferen Tänzern zu messen. Daher gab es für die Anfänger und Fortgeschrittene gewisse Bereiche und Kurse, die sie mit ihrem Level nutzen konnten oder eben nicht. Es gab Tanzbereiche, die auf bestimmte Tanzlevel beschränkt, oder für jeden Schüler und Studenten zugänglich waren.

Während Sila an den freien Abenden neue Möglichkeiten ausprobierte, lernte sie IHN kennen. Er hatte ihre Aufmerksamkeit erregt, weil er mit seinem neunten Level die meisten Erfahrungen der sechs Tänzer im Vorbereitungsraum aufweisen konnte. Zudem schien er auch der älteste Tänzer dieser Gruppe zu sein. Getanzt wurde der „Club-dance“. Ein Tanz, bei dem man sich für einen Mittänzer des anderen Geschlechts entscheiden musste. Ein gigantischer Trainingsbildschirm jedes Tanzraumes gab an, welche Schritte getanzt wurden. Bei diesem Tanzstil mussten bestimmte Abschnitte in einem Tanz mit dem gewählten Partner bestritten werden.

Sila neigte dazu einen Tanzpartner ihres Levels auszuwählen, doch dieser hatte sich bereits anderweitig entschieden. Verwundert sah sie Chuckie auf sich zukommen, sich vor ihr zu verbeugen und sie um den Tanz als Partnerin zu bitten. Sie willigte ein.
 

Damals ahnte sie noch nicht, dass sich aus diesem Tanz ein enges freundschaftliches Band um die Beiden legen würde, aus der sogar eine offizielle Tanzpartnerschaft werden sollte. Sie wusste auch nicht, dass er es sein würde, der in ihrem Leben tiefe Spuren und einige harte Prüfungen hinterlassen würde. Zu dem Zeitpunkt wurde jeder Tag, jeder neue Tanz und jeder neue Tanzschritt genossen und zu perfektionieren gesucht.
 

***
 

Sila gewann nicht nur an Erfahrung. Sie wurde reifer und wuchs heran. Das Tanzen ließ sie aufblühen wie es nie jemand in ihrer Familie erwartet hatte. Ihre faire Art brachte Sila eine Vielzahl an guten Freunden und sorgte dafür, dass Tänzer gerne mit ihr zusammen waren. Ihre Fröhlichkeit steckte alle an und motivierte zum Training. Wenn es irgendwie möglich war, nutzte sie jedoch den meisten Teil ihrer Freizeit um mit Chuckie die vielen Möglichkeiten des Paartanzes zu üben. Er wartete so lange mit der Lizenz seines zehnten Levels, bis Sila ebenfalls soweit war. Alle weiteren Lizenzen wurden gemeinsam bestritten. Eine Freundin gewann Silas Herz am meisten. Liebevoll wurde sie von allen Summer genannt. Daraus entstand ein unzertrennliches Trio.
 

Doch die Jahre der sorgenfreien Zeit auf dem Internat fanden ein jähes Ende. Das Internat gewann immer mehr Interesse im Inland. Durch die Vielzahl der Schüler und Studenten entstanden immer mehr Probleme was die Kurse, Professoren, Jurymitglieder und Tanzräume anging. Eines Tages stellte der Vorstand neue Bedingungen für Schüler des Internats auf. So durften nur noch Tänzer mit der Landesbürgschaft in dem Internat weiter tanzen. Alle anderen ausländischen Schüler wurden an Internaten in ihren Heimatländern angemeldet. Da Sila nur als Ziehtochter in diesem Land lebte, wurde sie vor die Wahl gestellt: Das Tanzen aufzugeben oder in ihrem Heimatland neu anzufangen. Trotz des Drängens ihrer Familie bei ihnen zu bleiben, entschied sie sich in ihr Heimatland zurückzureisen, um dort das Einzige zu tun, wonach ihr Herz sich sehnte: Das Tanzen.

Die Umstellungen gingen so schnell und sorgten für so viel Durcheinander, dass es Sila noch nicht einmal schaffen konnte sich persönlich von ihren besten Freunden zu verabschieden. Einzig eine Nachricht über das Internet enthielt die Daten ihres neuen Tanzinternats „Audition-EU“.
 

Obwohl sie bitter enttäuscht war, von der Art wie sie als „Ausländer“ in dem Internat behandelt wurde, in dem sie aufgewachsen war, blickte sie noch lange auf die vertrauten Gebäude zurück. Auch wenn sie weiter tanzen würde, die Angst vor dem neuen Schritt, vor einer völlig neuen Umgebung und einem Land, welches ihr nicht mehr vertraut war, begleitete sie auf dem Weg ins Ungewisse.
 

Welche Menschen warteten auf sie? Würde sie überhaupt jemals wieder so viel Freude beim Tanzen haben können? Würde sie es dort aushalten können, wo sie so weit von ihrer Familie, ihren Freunden, ihrem Tanzpartner, entfernt leben musste?

TEIL I ~ Ein neuer Start ~

TEIL I
 

Sila stand vor den Toren ihres neuen Internats. Zu ihrer Rechten konnte sie in goldenen Buchstaben „AuditionEU“ lesen. Das Schild wirkte wie das gesamte Internatsgelände - etwas klein. Auch wenn sie noch nicht alle Gebäude ersehen konnte, war es nicht schwer zu erkennen, dass es sich um ein kleineres Internat handelte. Die letzten Jahre war sie eine ganz andere Größe und Menschenmenge gewohnt. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie nicht zu viel Zeit verlieren durfte. In fünfzehn Minuten musste sie im Büro des Direktors erscheinen. Etwas scheu und zaghaft betrat sie die Lobby. Ein leichtes Schmunzeln huschte über ihre Lippen, als sie am Eingang in vertrauter Gewohnheit nach ihrem umhängten Schlüsselbund griff. Die Karte mit ihren persönlichen Daten baumelte nicht mehr daran. Zum ersten Mal, seit sie als Teenie ihre Karte erhalten hatte, musste sie ohne sich einloggen zu können auf jemanden warten, der ihr Einlass gewährte.

'Schon merkwürdig wie sehr sich Gewohnheiten festsetzen.'

Jeder Schüler und Student des Tanzinternats bekam bei der Anmeldung seine eigene Chipkarte. Diese Karte enthielt alle wichtigen Daten zu ihrer Person. Ebenso waren darin die Erfahrungspunkte, Errungenschaften, Tanzpartner, Gruppen, Level, Lizenzen, usw., verzeichnet und wurden bei jedem Durchziehen der Scanner aktualisiert. Die Karte war nicht nur das Identitätssigel eines Schülers. Es diente auch zum Öffnen der Türen sowie zum An- und Abmelden der Bedienerpulte der Vorbereitungsräume. War man zu einem Tanz bereit, musste man es durch eben diese Karte aktivieren.

Die Karte, die Sila jahrelang aus Gewohnheit genutzt hatte, musste sie im Ausland zurücklassen.
 

Die Dame, die Sila Zutritt zur Lobby gewährt hatte, war so freundlich sie in das Büro des Direktors zu führen. Nach einer höflichen Begrüßung folgte ein grober Überblick über die Kurse, Lizenzen und Möglichkeiten auf dem Internat. Die Hausordnung wurde überreicht und ausführlich erklärt. Als endlich alle Formalitäten durchgesprochen waren, legte der Direktor eine Karte auf den Bürotisch. Es trug den Farbverlauf des Internats – von Hellblau hin zum dunklen Blau. Der Name „Sila Diamon“ zeigte ihr, dass es die neue Karte und somit der Schlüssel zu ihrem neuen Leben sein sollte.

„Eines muss ich Ihnen darüber aber noch sagen“, begann der Direktor langsam aber sachlich, während er beobachtete wie Sila die Karte an ihrem Schlüsselanhänger befestigte. „Laut den vermittelten Daten Ihres letzten Tanzinstituts hatten Sie den Level 13 erreicht.“ Etwas in dem Tonfall ließ Sila aufhorchen. „Ihre letzte Schule hatte andere Einteilungen der Erfahrungspunkte und auch das Levelsystem wurde anders bewertet. Daher müssen sie auf diesem Internat – wie jeder andere Schüler auch – bei Null anfangen.“

Sila hatte das Gefühl, dass der ganze Raum sich zu drehen begann. Der Direktor fügte noch weitere Gründe hinzu, aber sie hörte es nicht mehr. Zu tief saß der Schock, dass sie wieder ganz von Vorne beginnen musste. Alles, was sie die letzten Jahre erreicht hatte, wurde mit einem Schlag in Luft aufgelöst. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten zusammen und bemühte sich auf ihre Karte zu starren. Hätte sie in diesem Moment den Direktor ansehen müssen, würde er ihre Wut sofort sehen können. Diese Blöße würde sie sich nicht gestatten. Der Direktor erhob sich als Zeichen dafür, dass nun alles gesagt worden sei. Beim letzten Händedruck verzog sich sein Gesicht zu eine Art Lächeln: „Wenn Sie es dort so weit gebracht haben, werden Sie auf diesem Internat mit Sicherheit keine Probleme haben.“
 

Seine letzten leeren Worte konnten Silas Stimmung auch nicht heben. Traurig saß sie in ihrem neuen Apartment. Es war hübsch und geräumig, ja fast gemütlich eingerichtet. Aber es roch alles so fremd. Es sah fremd aus und Heimweh ergriff sie wie eine Sturmflut. Sie vermisste ihre Eltern und ihren Bruder. Ihre Freunde und sogar die Professoren fehlten ihr sehr. Sie fühlte sich, als wäre wieder ein Teil ihres Lebens ausgelöscht worden. Als wäre alles, was sie bisher erlebt hatte nur der schwache Abglanz eines langen Traumes. Sie dachte tatsächlich schon ans Aufgeben, bevor sie überhaupt angefangen hatte. Das Ticken der Uhr machte ihr deutlich, wie viele Stunden sie so trübsinnig auf dem Sofa gesessen hatte. Mit einem Ruck sprang sie auf und wischte sich eine einsame Träne von der Wange. Sie musste sich ablenken! So wie Ablenkung sie die letzten Jahre überhaupt hat durchhalten lassen.

Mit schnellen Schritten gelang sie ins Schlafzimmer, wo der Koffer noch unberührt in der Ecke stand. Es dauerte keine fünfzehn Minuten, bis die Eingangstür hinter der jungen Tänzerin ins Schloss fiel und sie sich mit Sporttasche auf den Weg zum Internat machte.
 

Die getrennten Damen- und Herrenapartments lagen etwas außerhalb der Internatsgebäude. Das Gelände erstreckte sich doch weitläufiger, als Sila es gedacht hatte. Zu ihrer Freude lag eine wunderschön eingerichtete Parkanlage zwischen dem Hauptgebäude und den Apartments. So konnte sie die frische Luft einatmen und sich an der Landschaft erfreuen, auch wenn der Weg gute zwanzig Minuten zu Fuß in Anspruch nahm. In der Lobby angekommen bemerkte Sila Musik. Beim genauen Hinhören wurden ihre Augen ganz groß. Der Song, der gespielt wurde, lautete: „I will be good to you“. Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. Es war der Song, zu dem Chuckie, Summer und sie so viele Male getanzt hatten.

„Naja“, sagte sie zu sich selbst, „Vielleicht kann ein neuer Anfang auch nicht schaden“. Sie streckte sich ausgiebig. 'Mal sehen was meine Mittänzer hier so alles drauf haben“.
 

***
 

Dank dem zusammengestellten straffen Kurs- und Trainingsprogramm, vergingen die Wochen wie im Fluge. Es dauerte nicht lange bis Sila ihre erste Prüfung zum fünften Level antreten konnte. Mit Erstaunen musste sie feststellen wie wenig Mühe ihr die Prüfung machte. Zu gut konnte sie sich noch an ihre erste Prüfung auf der alten Schule erinnern. Damals waren drei Anläufe nötig, bis sie endlich bestehen konnte. Selbst die nächsten Levelprüfungen waren kaum eine Herausforderung für sie.

Mit den bekannten Liedern und dem steigenden Level kam die Freude beim Tanzen wieder. Trotzdem hatte sich etwas verändert. Ihr Herz hing noch zu sehr an den alten Freundschaften. Daher konnte sie es nicht über sich bringen andere Freundeseinladungen anzunehmen. Selbst wenn ihre Mittänzer und Mittänzerinnen noch so freundlich waren. Ohne es zu bemerken wurde sie dabei immer mehr zur Einzelgängerin. So kam es, dass sie in den Kursen eher ruhig und in sich gekehrt war und die Abende nur in Tanzräumen verbrachte. Sie ging weder im Park spazieren, noch verweilte sie an öffentlichen Plätzen länger als erforderlich. Wenn andere sich für sie interessierten und Fragen stellten, bekamen sie kurz angebundene Antworten.
 

Eines Abends begab sich Sila wieder in einen der Club-Tanz-Räume. Früher tanzte sie dort stundenlang gemeinsam mit Chuckie. Lange Zeit hatte sie die Räume gemieden, aus Angst wieder Heimweh zu bekommen. Trotzdem zog es sie immer wieder dort hin. Mit ihr zusammen war die benötigte Anzahl der Frauen erreicht. Die Gruppe wartete auf den letzten Herren. Bald darauf meldete sich EraChan an. Lebensfroh gab er sein „OK!“ und sah sich erst einmal die drei Tänzerinnen an. Selbstbewusst fragte er noch vor Tanzbeginn: „Gibt es eine Dame, die mit mir tanzen möchte?“. Sila sah auf und stellte fest, dass er den gleichen Level wie sie hatte. Sie wusste selbst nicht wieso sie ihm zunickte und sich plötzlich sagen hörte: „Ich kann mit dir tanzen, wenn du möchtest...“. „Juhuuu!“, rief der Neuankömmling aus und lachte sie an. „Danke! Das wird sicher ein Spaß werden!“
 

Vom Tanz erwartete Sila nichts. Weder tanzte sie um den ersten Platz zu bekommen, noch wollte sie so schnell wie möglich wieder auf ihrem alten Level sein. Normalerweise tanzte sie aus Freude am Tanzen, während sie gerne die Mittänzer anfeuerte. Aber sie gab immer ihr Bestes, besonders wenn sie einen Partner hatte. Als der Bildschirm mit den Schrittfolgen den ersten Tanzpart mit dem Partner anzeigte, nahmen die Paare ihre Positionen ein. Beim gemeinsamen Part staunte Sila nicht schlecht, als EraChan seine Moves fehlerfrei tanzte. Es war nicht nur seine Fehlerlosigkeit, sondern auch die Tatsache, dass er die Schritte mit „great“ oder sogar „perfect“ tanzte. So etwas kannte sie nicht in dieser Levelklasse. Überrascht drehte sie sich nach Tanzende zu ihm. „Tanzt du schon lange, EraChan?“, wollte sie wissen.

„Nein, nicht sehr lange! Aber ich liebe es zu tanzen!“ Ohne Vorwarnung ergriff er Silas Arm und zog sie näher an sich heran. Dabei sah er sie mit funkelnden Augen an: „Du bist eine unglaublich gute Tänzerin! Wow...! Komm! Lass uns zusammen den Coupledance tanzen!“

Er wartete nicht auf ihre Antwort als er den Vorbereitungsraum verließ. Gegen ihre Art folgte Sila ihm. Fast wie mechanisch betrat auch sie den von ihm gewählten Coupledance-Raum. Dieser Tanzstil steckte genau wie der Club-Tanz voller Erinnerungen, die schnell für Heimweh bei ihr sorgten. Diesen Tanzstil hatte sie die letzten Jahre ausschließlich mit ihrem Tanzpartner Chuckie getanzt. Auch wenn es selten war, denn Chuckie tanzte neben seiner eigenen Arbeit. Tanzen war für ihn mehr ein Hobby, auch wenn er jede freie Minute die ihm seine Arbeit gestattete, damit verbrachte. Mittlerweile hatte sich Sila damit abgefunden, dass sie keinen Tanzpartner mehr hatte. Chuckie war weit weg... Ihr fehlte der Coupledance.
 

Weitere Mittänzer fanden sich schnell. EraChan hatte die Spieleleitung und wählte einen einfachen Song aus. Schnell bemerkten beide, wie gut sie zusammen harmonierten. Sie schienen die gleichen tänzerischen Fähigkeiten zu haben. Die Lebensfreude kam wieder zum Vorschein. Sila begann sogar den Tanz zu genießen.

Bei dem Partnertanz wurden die Leistungen eines Paares bewertet. Tanzten beide den Move mit der Bestnote „perfect“, bekamen sie einen Paartanzpunkt. Ab fünf Paartanzpunkten wurde die Option einer Tanzpartnerschaft frei geschaltet. War der Tanz beendet, konnte von einem der Tänzer bei der Jury ein Antrag auf Tanzpartnerschaft gestellt werden. Chuckie und Sila benötigten mehrere Wochen bis sie endlich die heißersehnten fünf Partnertanzpunkte bei einem Tanz schaffen konnten. Bei diesem Tanz war alles anders. Erstaunt bemerkte sie wie schnell fünf Punkte erreicht wurden. Es folgte der sechste und der siebte Punkt. Als der Tanz zu Ende war, tat EraChan etwas, worauf Sila gar nicht vorbereitet war. Er ging zu den Jurymitgliedern und bat um den Antrag auf Tanzpartnerschaft. Sie fühlte sich wie eine Steinskulptur als sie gefragt wurde: „Nehmen Sie den Antrag auf Tanzpartnerschaft mit EraChan an?“ Die Bedenkminute fühlte sich wie eine Sekunde an. Sie bemerkte nur den verwunderten Ausdruck bei EraChan, als die Jury erklärte, dass die Bedenkzeit vorbei sei. Wenn doch noch Interesse an einer Tanzpartnerschaft bestehen sollte, müsste die Bedingung bei einem weiteren Tanz erneut erfüllt werden. Niedergeschlagen seufzte EraChan.

„Du willst mich nicht... Das war ne glatte Abfuhr...“

„Ich … Ich habe dich nicht abgelehnt. Ich brauchte nur etwas Zeit … um nachzudenken! Das kam viel zu schnell!“

Silas Erklärungsversuch ließ ihn wieder lächeln. Als hätte des den Antrag gar nicht gegeben, zog er sie wieder auf die Tanzfläche. „Na gut! Dann eben noch ein Tanz. Wäre ja gelacht, wenn wir es nicht noch einmal schaffen würden!“

Sie konnte es sich nicht erklären, aber sein Optimismus und Vertrauen in ihre Fähigkeiten erweichten Silas Herz. Sie stimmte dem Tanz zu und ein neuer Song erklang im Tanzraum. Dieser Tanz verlief noch besser für die beiden Tänzer. Zu ihrer Überraschung hatten sie bei Tanzende elf Punkte erreicht. Wieder verlor EraChan keine Zeit, eilte zu der Jury und nahm den Antrag entgegen. Dieses Mal drehte er sich zu Sila um und bat sie selbst seine Tanzpartnerin zu werden. Obwohl ihr Herz: „Nein, tue es nicht!“, rief, sahen ihre Augen nur sein lachendes Gesicht. Ohne sich die Zeit zu nehmen um darüber nachzudenken, nahm sie den Stift und setzte ihren Namen darunter...
 

In diesem Moment wurde sie zur eingetragenen festen Tanzpartnerin von EraChan. Obwohl sie zugestimmt hatte und obwohl sie tatsächlich der Meinung war ein gutes Team mit EraChan bilden zu können, fühlte sie sich nicht wohl bei dieser Entscheidung... Sie sollte sich eigentlich freuen einen Freund gefunden zu haben, sogar einen neuen Tanzpartner zu haben. Statt Freude machte sich eher das Gefühl breit viel zu vorschnell gehandelt zu haben...
 

Ende Kapitel 1 - Ein neuer Start

~ Vergleiche und Stolz ~

Die neue Tanzpartnerschaft mit EraChan entwickelte sich für Sila anders als sie es sich gedacht hatte. Die Freundschaft mit diesem Tänzer führte sie ein Stück weit aus ihrem Schneckenhaus. So wurde sie fröhlicher und hin und wieder gestattete sie einem Mittänzer sich in ihre Freundesliste eintragen zu lassen. Trotzdem begann sie unbewusst die Tanzpartnerschaft mit Chuckie und EraChan zu vergleichen. EraChan tanzte wesentlich häufiger als Chuckie. So konnten sie nach den regulären Tanzkursen viele Erfahrungen im Partnertanz sammeln. Zu bestimmten Zeiten verabredeten sie sich und tanzten bis in die Nacht hinein. Dennoch verlief diese Partnerschaft nicht so harmonisch, wie es unter Tanzpartnern sein sollte. Es schlich sich bei ihr immer mehr das Gefühl ein, dass EraChan sie eher als Konkurrentin ansah. Jedes Mal wenn sie einen Fehler beim Tanzen machte, jubelte er: „Haha! Du warst die Erste!“ Er war auch weniger ein Freund, sonder mehr ein flüchtiger Bekannter, obwohl sie so viel Zeit gemeinsam auf der Tanzfläche verbrachten. Auch kam sie mit seinem Freundeskreis nicht zurecht. Chuckie war ein echter Freund, mit dem sie durch dick und dünn gehen konnte. Er erkannte sofort, wenn es ihr nicht gut ging. Wenn sie einen Fehler immer wieder machte, motivierte er sie dazu nicht aufzugeben. Es interessierte ihn wie sie mit ihren Kursen voran kam oder wo noch mehr Übungseinheiten gebraucht wurden. Die Unterschiede der Tanzpartnerschaften legten sich schwer auf Silas Gemüt.
 

Dazu kam der Charakter des Tänzers immer mehr zum Vorschein. Viel zu spät bemerkte Sila, dass EraChan durchaus bewusst war, was für einen Eindruck er bei den Damen hinterließ. Er war auf jeden Fall ein gut aussehender Tänzer, musste sie zugeben. Das Problem lag darin, dass er genau wusste wie gerne die Frauen von ihm beachtet wurden. Sein Kleidungsstil diente anscheinend auch diesem Zweck. Generell bemühte sich Sila bei dem Geflirte nicht hinzuhören oder sich darüber zu ärgern. Sie war seine Tanzpartnerin, niemand konnte es leugnen. Aber so richtig zu ihm gehörte sie auch nicht.

'Was denke ich denn da? Normalerweise würde ich noch nicht einmal im Traum daran denken zu so einem dazu gehören zu wollen! Wir sind noch nicht einmal richtige Freunde', schalt sie sich selbst.
 

Die gemeinsamen Tanzzeiten wurden immer häufiger von Sila unterbrochen. Das Herumbaggern ihres Partners und die aufreizend gekleideten Tänzerinnen um ihn herum, gingen ihr auf die Nerven. So tanzte sie lieber mit fremden Leuten oder ihren neu gewonnenen Freunden. Einer davon heiß Aron. Er war das genau Gegenteil von EraChan: Liebevoll und ausgesprochen höflich zu jeder Tänzerin in seiner Umgebung. Zu ihrem Erstaunen merkte Sila schnell wie groß der weibliche Freundeskreis von Aron war. Mit einem Lächeln ahnte sie woran es lag. Auch Aron war ein gut aussehender Tänzer. Obwohl er äußerlich eher einem Macho ähnelte, war seine Höflichkeit sein ständiger Begleiter. Etwas an seiner Art erinnerte sie sehr an ihren Ziehbruder. Oft wenn sie ihn im Stillen beobachtete, fühlte sie sich wieder in die alte Schule zurückversetzt, in der sie sehr gerne mit ihm zusammen getanzt hatte. Die Wirkung auf Frauen gehörte nicht zu den Unterschieden. Dafür war Aron muskulöser, wenn auch jünger als ihr Bruder. Er gehörte zu den ersten Freunden, die sich immer bei Sila meldeten, wenn sie sich in der Lobby registriert hatte. „Hey Sila. Schön, dich wieder auf der Liste zu sehen“, war ein häufiger Gruß, den sie über ihr Kommunikationsgerät von Aron erhielt. Hatte er einen Platz in seinem Raum frei, was nicht unbedingt häufig vorkam, rief er sie gerne zu sich. Mit ihm konnte sie sich über alles mögliche unterhalten. Er half ihr so gut er konnte und dank seiner Freundschaft wurde ihr Heimweh seltener.
 

***
 

Normalerweise trafen sich EraChan und Sila in der Lobby, bevor sie sich einen Tanzraum aussuchten. An diesem Abend war EraChan nicht auffindbar. Ein Blick auf das Kommunikationsgerät zeigte Sila, dass er sich bereits für einen Tanzraum registriert hatte. Sie begab sich zu der Raumnummer, die ihr Gerät angezeigt hatte, und wartete darauf eingelassen zu werden. Befanden sich die Tänzer mitten im Tanz, wurde die Außentür automatisch verriegelt. Erst wenn sich die Tänzer im Vorbereitungsraum befanden, wurde die Tür entriegelt und neue Tänzer konnten den Raum betreten oder verlassen. Zu ihrer Überraschung befand sich in dem Vorbereitungsraum außer EraChan nur eine junge Tänzerin. Sie war unter dem Namen Alissa registriert. EraChan beeilte sich Sila der Unbekannten vorzustellen. „Sila, das ist Alissa. Sie ist eine gute Freundin von mir und tanzt seit kurzem auch auf dem Internat.“ Höflich verbeugte sich Sila vor ihr. Sie hatte so lange im Ausland gelebt, dass sie sich dem Verhalten der Asiaten angepasst hatte. Die verwunderten Blicke ihrer Mitstudenten und -schüler störten sie dabei nicht. Es entging Silas Blick nicht, dass Alissa jünger wirkte als sie und eher schüchtern und zurückhaltend reagierte. Ihr Level zeigte, dass sie tatsächlich noch ein Neuling auf dem Internat war. Noch bevor sie zu dritt anfangen konnten zu tanzen, begab sich Alissa in den Zuschauerbereich. „Ich möchte lieber nicht mittanzen!“

„Warum denn nicht?“, wollte Sila verwundert wissen. Sie fragte EraChan ob sie etwas falsch gemacht hätte. „Nein!“, meinte dieser, „Sie tanzt einfach nicht gerne mit anderen außer mir. Sie ist etwas scheu. Sorry, aber ich denke ich muss jetzt auch los.“ EraChan winkte Alissa zu und gemeinsam verließen sie den Raum. Es war noch nicht spät genug für Sila um ins Bett gehen zu können. Sie war noch nicht so ausgepowert um in der Lage zu sein, sich ins Bett legen zu können. Also begab sie sich an das Steuerpult, aktivierte einen neuen Tanz und wartete auf neue Mittänzer.
 

***
 

Die Tage und Wochen vergingen, ohne dass Sila und EraChan sich zum Tanzen trafen. Jeden Abend reservierte er einen Raum nur für sich und Alissa. „Sie macht noch viele Fehler und mag es nicht, wenn Fremde dabei sind“, schrieb er ihr mit dem Kommunikationsgerät. Sila akzeptierte diese Entscheidung. Sie konnte sich gut vorstellen wie schwierig der Anfang auf dem Internat sein konnte. Als sie ganz neu auf ihrem alten Internat war, kümmerte sich ihr Bruder sehr um sie. Er hatte viel Geduld mit ihr und hielt sie von den dummen Jungs fern. Ohne ihn wäre es sicherlich schwer gewesen einen guten Start hinzulegen. So nutzte sie die Abende um mit ihren neuen Freunden oder fremden Tänzern zusammen zu tanzen. An solchen Abenden schlich sich das Heimweh nach ihrem Bruder und den alten Freunden wieder in ihr Herz. Besonders Chuckie fehlte ihr immer schmerzlicher.
 

Eines Abends betrat Sila zur gewohnten Zeit die Lobby. Die große Übersichtstafel zeigte die freien Tanzsäle und andere Übersichten. Keiner der bekannten Mittänzer, die ebenfalls registriert waren, tanzte in einem freien Raum. Während sie sich auf eine Bank setzte um einen Gruß an Aron zu senden, kam ein Mitarbeiter auf sie zu.

„Sila Diamon?“

Sila sah von ihrem Kommunikationsgerät auf. „Ja, die bin ich...“

„Das System hat uns Bescheid gegeben, als sie sich in der Lobby registriert haben.“

Sila runzelte die Stirn. Warum sollte das System einen Mitarbeiter informieren, wenn sie zum Tanzen kam? Der Mann machte keine großen Worte, sondern streckte ihr ein Schreiben entgegen. „Das sollten wir ihnen umgehend aushändigen. Schönen Abend noch, Miss.“

Ein höfliches Nicken zeigte ihm den Dank für das Überbringen der Nachricht. Als Sila wieder alleine war, öffnete sie den Umschlag und nahm ein formell aussehendes Schreiben heraus. Hätte jemand in der Lobby die junge Frau auf der Bank beobachtet, hätte er mitbekommen wie ihr Gesicht von einem Moment auf den Andern alle Farbe verlor. Ungläubig las Sila das Schreiben ein zweites Mal. Was sie dort lesen musste, ging nicht spurlos an ihr vorüber.
 

„Hiermit möchten wir Ihnen, Sila Diamon, bekannt geben, dass ihr Partner EraChan die Tanzpartnerschaft beendet hat. Alle nötigen Formalitäten wurden bereits von ihm geregelt. Sie sind nun frei einen neuen Antrag nach der Wahl eines neuen Tanzpartners zu stellen, sofern Sie die Ihnen bekannten Voraussetzungen im Coupledance erfüllt haben.“
 

Silas Hände zitterten, als sie zum dritten Mal die wenigen Zeilen durchgelesen hatte. 'Alles wegen Alissa', spukte in ihrem Kopf herum. Es war nicht das Schreiben an sich, das Sila so verletzt hatte. Es war die unpersönliche Art dessen, was sie in Händen hielt. Sie musste hart gegen die angestauten Tränen ankämpfen. Hätte er ganz normal mit ihr geredet, wäre es nicht so schmerzhaft gewesen. Eigentlich fühlte es sich tief im Herzen so an, als hätte man ihr gerade eine Last von den Schultern genommen. Aber mit der Art der Auflösung dieser merkwürdigen Tanzpartnerschaft hatte EraChan ihr letztes Bisschen an Stolz verletzt. Ein schneller Blick auf ihre Freundesliste zeige, dass er die Freundschaft nicht gelöscht hatte. Wütend stand sie kurz davor diesen arroganten möchte-gern von Tanzpartner aus ihrer Liste zu entfernen. Stattdessen ließ sie ihre Schultern sinken und seufzte laut. So etwas war nicht ihre Art. Sie würde nicht einfach so eine Freundschaft beenden, ohne demjenigen wenigstens den Grund dafür zu nennen. Auch wenn EraChan nie ein echter Freund war. Vielleicht mochten sich EraChan und Alissa gerne leiden. Selbstverständlich wollte sie ihnen nicht im Weg stehen. Weil aber ihr Stolz nun einmal verletzt worden war, wollte sie sich so nicht von ihm abschreiben lassen. EraChan sollte bemerken was für eine gute Tänzerin Sila geworden war. Im Gegensatz zu ihr war Alissa noch eine blutige Anfängerin. Wenn sie auf eine Tanzpartnerschaft aus waren, würde es eine Zeit lang dauern, bis Alissa die Anforderungen dafür erfüllen konnte. Diese Zeit wollte Sila nutzen um dem Draufgänger zu zeigen was er an ihr hatte. Zugelassene Bitterkeit nahm ihr Denken ein. So begann sie noch am selben Tag ihr Training bis zur Erschöpfung auszudehnen. Nur um EraChan zu zeigen, dass sie besser war als er.
 

Tatsächlich dauerte es nicht lange bis Sila – laut Rangliste – weit über EraChan stand. Seit dem Bruch wurde sie von dem Gedanken besessen, dem Partner, der sie verschmäht hatte, zu zeigen, dass sie die bessere Tänzerin war. Der Lohn ihrer harten Trainingseinheiten war, dass sie sich nur noch erschöpft fühlte. Um genau zu sein, stand sie kurz vor dem Zusammenbruch. Ihr Körper wehrte sich vehement gegen diese Überlastung. So lag sie eines Morgens im Bett und war nicht in der Lage aufzustehen, ohne dass sich ihr Zimmer wie ein Kreisel um sie herum zu drehen begann. Diese Situation zwang Sila schließlich über ihre Situation nachzudenken. Der dritte Tag begann, ohne dass sie in der Lage war an den Kursen teilnehmen zu können. War es wirklich das, was sie wollte, als sie Familie und Freunde hinter sich ließ um auf dieser Schule zu tanzen? War es das, wofür sie Tag für Tag ins Internat ging? Die Zeit war reif ihren Stolz bei Seite zu legen oder sich von ihm zerstören zu lassen. EraChan hatte sie seit dem Bruch nicht mehr gesehen. Auffällig war auch, dass er sie mied. 'Vielleicht ist er auch nicht glücklich darüber wie er die Auflösung angegangen ist'. Langsam erhob sie sich auf dem Bett. Ganz langsam und mit Pausen. Ihr Körper forderte Ruhe und diese Ruhe musste sie ihm gestatten. Ein müdes Seufzen erfüllte das Zimmer. Sila wusste, dass sie selbst Schuld an den schlaflosen Nächten hatte. Schlechte Träume plagten sie schnell, wenn sie so hilflos war. Erinnerungen, Bruchteile von fehlenden Erinnerungsfetzen schlichen sich in ihren Verstand und drohten sie zu ersticken. Entschieden schüttelte sie ihren Kopf. Sie musste alles dafür tun um wieder fit zu werden und das richtige Maß beim Tanzen zurückzusetzen. Trotz ihrer zwanzig Jahre, hatte Sila sich wie ein pubertäres Mädchen EraChan gegenüber benommen. Als er die Tanzpartnerschaft auflöste, löste er damit auch die Bindung zu ihm. Sila sollte ihm viel mehr dankbar dafür sein ihre Freiheit wieder zurück erhalten zu haben.
 

***
 

Die Tanzpause dauerte länger an, als es sich Sila gewünscht hatte. Der Tag kam, an dem sie wieder an ihren Tanzkursen teilnehmen konnte. Langsam tastete sie sich an ihren gewohnten Schwierigkeitsgrad heran. Die bewusste Entscheidung den selbsternannten Kampf mit EraChan beizulegen, gab ihr wieder ein Stück Freude am Tanzen zurück. Ihren ehemaligen Tanzpartner sah sie jedoch nicht so schnell wieder. Trafen sie sich mal in der Lobby oder außerhalb des Geländes, war er kurz angebunden und suchte von ihr zu fliehen. So tanzte sie mit den weiteren Freunden ihrer Freundesliste oder suchte Tanzräume auf, bei denen sie unbekannt war. Den „Clubdance“ und den „Coupledance“ ließ sie dabei links liegen. Vorerst hatte sie genug von Tanzpartnerschaften.
 

Zur bevorzugten Zeit am Abend, registrierte sich Sila in der Lobby zum Tanz. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, erst einmal zu sehen in welchen Räumen sich ihre Freunde befanden. Auf der Suche nach der Raumnummer in der sie Aron antreffen würde, streifte ihr Blick die Namensliste der anwesenden Tänzer. Ein vertrauter Name stahl ihre Aufmerksamkeit. Ihr Herz schien einen kurzen Moment auszusetzen, als sie diesen Namen wiederholte. 'D – Dass kann doch nicht sein... Nein! Das muss ein Missverständnis sein...', sagte sie sich den ganzen Weg bis zu dem Raum mit der Nummer, in dem die Person mit diesem Namen tanzten sollte. Dort angekommen wartete sie mit klopfendem Herzen bis die Eingangstür entriegelt wurde. Leider öffnete sich nur der Zuschauerbereich. Wurde die gewünschte Anzahl der Personen erreicht, die für einen Tanz vorgesehen waren, konnten weitere Tänzer nur noch den Zuschauerbereich betreten. Erst wenn ein Tänzer seinen Platz im Vorbereitungsraum verließ, konnte jemand aus dem Zuschauerbereich oder von draußen dessen Platz einnehmen. Von der leicht erhöhten Zuschauertribüne aus, hatte Sila einen guten Ausblick auf die Tänzer des Raumes. Sie brauchte nicht lange um die Person wieder zu erkennen, dessen Name sie in diesen Raum geführt hatte. Als sie den jungen Mann sah, der sich immer wieder in ihre Gedanken stahl, klopfte ihr Herz noch viel stärker als ohnehin schon. Gerade als sie zu ihm hinunter rufen wollte, trafen sich ihre Blicke. Er zögerte keinen Augenblick, nahm sein „OK“ zum nächsten Tanz zurück und begab sich zielgerichtet auf die Zuschauertribüne...
 

Ende Kapitel 2 – Vergleiche und Stolz

~ Eine neue Geschichte beginnt ~

Der junge Mann, der Sila entgegenkam sah anders aus. In den Erinnerungen trug er eine andere Frisur. Auch hatte er sich die Haare gefärbt. Aber das Gesicht hatte sich unverwechselbar in ihrer Erinnerung eingebrannt. Es war das gleiche Gesicht, das selbe Lächeln und die gleichen Augen. Auf einmal kam ihr die Zeit in der sie ihn nicht gesehen hatte, wie ein einzelner Tag vor. Als wäre sie immer bei ihm geblieben. Es gab keinen Zweifel. Als er die Arme ausbreitete flog sie ohne auch nur einmal zu zögern hinein.

„Chuckie“, war das Einzige was sie im Stande war zu flüstern. Eng klammerte sie sich an ihn, aus Angst alles wäre nur ein schöner Traum.
 

„Ich kann es nicht glauben, Sila!“ Chuckie löste sich langsam aus der Umarmung und lächelte. Um Sila genau betrachten zu können, ging er ein paar Schritte zurück. „Du bist ja schon auf Level 9 und ich ein blutiger Anfänger. Jetzt muss ich mich ganz schön ins Zeug legen um dich bald einzuholen.“ Sein Englisch war sehr klar. Es schien, als würde er in Silas Muttersprache reden. Trotz leichtem asiatischem Akzent, hatte sie wenig Mühe ihn zu verstehen. Nicht nur Chuckie hatte sich äußerlich verändert. Auch Sila trug ihre Haare anders. Aus einem geraden Ponny wurde ein langer Ponny mit Seitenscheitel, der ins normale Haar überging. Die Haare waren schon wieder ein gutes Stück gewachsen. So lagen sie ihr sanft über der Schulter auf und bedeckten hinten die Schulterblätter. Selbst ihr Outfit hatte sich dem Stil der Schule angepasst. Die Hipp-Hopper-Kleidung der alten Schule wurde durch sportlichere und bequemere Kleidung ersetzt. Dynamisch, aber nicht aufreizend. Bereits im Ausland bewunderte er an ihr, dass sie ihre Kleidung mit Bedacht wählte. Was sie nicht leiden konnte waren viel zu kurze Hosen oder Röcke, bei denen man die Unterwäsche oder sogar den Hintern sehen konnte. Oberteile, bei denen man den Brustansatz sehen konnte, waren bei Sila ebenfalls tabu.

„Ach was, Chuckie! Du bist ein guter Tänzer. Du wirst schnell meinen Level erreicht haben!“ Sie riss ihn aus seinen Gedanken. Dabei funkelten die Augen vor Freude. „Außerdem werde ich auf dich warten. Genau so wie du es auch mir zuliebe gemacht hast.“ Chuckie und Sila waren ein eingespieltes Team. Unterstützung und Respekt wurden kombiniert mit Vertrauen und Verlässlichkeit. Ohne jegliche Rivalität.
 

Als Chuckie sie sofort bat in ihrer Freundesliste aufgenommen zu werden, wurde Sila erst richtig bewusst was Chuckie getan hatte.

„Hast du etwa auch hier hin gewechselt?“, wollte sie verwundert wissen. Die Antwort gab ihr seine AuditionEU-ID-Card, die er über ihrem Kommunikationsgerät zum Scannen hielt. Auf diese Art wurde ein Freund schnell in die eigene Tanzliste aufgenommen. Nun konnte sie auch seinen Level sehen. „Level 2“, stand neben seinem Namen.

„Aber Chuckie!“ Trotz der Wiedersehensfreude war die Verwirrung groß. „Du hattest doch dort so einen guten Level und alle deine Freunde. Du wurdest auch nicht gezwungen das Internat zu wechseln...“ Warum hatte er alles aufgegeben um auch auf dem kleinen Internat zu tanzen?

Chuckies Gesicht wurde ernster. Er sah ihr direkt in die Augen: „Auf einem Internat zu tanzen, ohne dich, ist trostlos. Egal wie groß oder klein es ist. Ohne deine Fröhlichkeit und deine Freude beim Tanzen fehlt einfach etwas. Da kann ich auch ganz damit aufhören. So lange du bei mir bist, ist mir egal auf welchem Internat ich bin!“

Ihr Herz machte einen Sprung und beschleunigte das Tempo. So gerne würde sie ihn noch mehr fragen, erfahren was er genau meinte. Aber an diesem Moment war sie einfach nur dankbar ihren lieben Freund wieder an ihrer Seite zu wissen. Ihre Worte sprudelten aus ihr heraus: „Ich kann gar nicht glauben, dass du hier bist! Es gibt so viel zu sehen! Ich muss dich auch meinen Freunden vorstellen und dir den Park zeigen! Ich habe dich so sehr vermisst...“ Erschrocken über das Geständnis fügte sie schnell hinzu: „U- und Summer vermisse ich auch sehr. Mir fehlt meine beste Freundin...“

„Ich vermisse Summer auch. Eigentlich wollte sie uns folgen. Irgendwelche Schwierigkeiten haben es verhindert und sie musste sich vorerst auf einem anderen Internat anmelden. Ich glaube es hatte etwas mit ihrer Arbeitsstelle zu tun...“, gab Chuckie zu. Er und Sila waren sehr an das Trio gewöhnt. Obwohl Sila oft schimpfte, weil sich die Beiden immer gegenseitig ärgerten. Chuckie und Summer zankten sich wie echte Geschwister. Oft erinnerten die Beiden Sila an sich und ihren Bruder. Auch sie neckten und stichelten sich gerne gegenseitig. Wobei es nie wirklich böse gemeint war.
 

***
 

Die Tage nach Chuckies überraschtem Auftauchen verliefen für Sila wie in einem Traum. Täglich konnte sie miterleben wie schnell er beim Tanzen Fortschritte machte. Es war nicht zu übersehen, dass er sich noch mehr verbessert hatte. Sein Tanzlevel stieg schnell. Die Prüfungen machten ihm überhaupt keine Probleme. Als er sich endlich zu den Fortgeschrittenen zählen konnte, bat er Sila mit ihm zusammen den „Clubdance“ zu tanzen. Beim Betreten der Clubhallen, blieb Chuckie ehrfurchtsvoll stehen und sah Sila an.

„Erinnerungen...“ Dieses Wort wurde von ihm eher geflüstert.

Ihr Lächeln zeigte, dass sie ihn verstand. „Ja! Bei dem Tanz habe ich dich zum ersten Mal kennen gelernt. Weißt du noch? Ich war ein blutiger Anfänger, auch wenn ich schon meinen sechsten Level erreicht hatte. Du warst damals so weit wie ich jetzt.“ Ihre Augen blickten in die Ferne. „Bis heute verstehe ich nicht warum du MICH ausgesucht hast...“

Chuckie stellte sich auf einen freien Platz in dem Vorbereitungsraum. Er beobachtete die Tänzer, die ebenfalls einen freien Platz suchten. „Für mich war ein Tanzlevel nie wichtig. Das war nicht der Grund, warum ich mit dir tanzen wollte...“

Sila war überrascht. Gerne würde sie noch mehr wissen. Alle Tänzer befanden sich bereits auf Position und hatten ihr „OK!“ zum Tanz eingetragen. Wenn sie mittanzen wollte, musste sie sich ebenfalls anmelden und ihren Partner wählen.
 

Dieser Tanz war der Startschuss für die weiteren gemeinsamen Club- und Partnertänze. Bei ihrem ersten „Coupledance“ sammelten die beiden Tänzer ganze sieben Partnertanzpunkte. Ein Lächeln umspielte Chuckies Gesicht, als er Sila die Hand reichte.

„Es wäre mir eine große Ehre, wenn du wieder meine Tanzpartnerin werden möchtest.“ Sila strahlte über das ganze Gesicht während sie ihm ihre Hand reichte. „Ein neuer Start?!“ Ihr Gesicht wurde ungewohnt warm. „Ich möchte sehr gerne an deiner Seite tanzen!“ Während sie ihren Namen auf den Tanzpartnerantrag schrieb, wanderten ihre Gedanken zu EraChan. Sollte sie Chuckie von ihm erzählen? Oder war es doch besser das Ganze abgeschlossen in der Vergangenheit ruhen zu lassen? Selbst wenn sie es Chuckie erzählen würde, wäre er verletzt? Würde er ihr Vorwürfe machen, weil sie einem anderen Tänzer die Tanzpartnerschaft zugestimmt hatte? Im ganzen Gedankenchaos wurde Sila bewusst, dass ihre Gedanken weiter wegdrifteten, als gut war. Warum sollte Chuckie verletzt sein? Sie waren doch nur gute Freunde und Tanzpartner. Außerdem war sie der Meinung ihn nie wieder zu sehen. Seit er wieder in ihrer Nähe war, schlug ihr Herz immer schneller in seiner Gegenwart. Mussten sie sich verabschieden, empfand sie Traurigkeit. Um so mehr freute sie sich wenn sie ihn wieder sah. Manchmal wurde sie ungewohnt nervös in seiner Nähe und wollte unbedingt alle Schritte so gut wie möglich tanzen. Sah er ihr in die Augen, erwärmten sich ihre Wangen und das Herz schlug schneller. Oft hatte sie von so einem Zustand gehört, hatte es in den Filmen gesehen oder in Büchern gelesen. Noch nie hatte sie es selbst empfunden. Konnte es wirklich sein, dass Chuckie langsam mehr als nur ein Freund für sie wurde? Wie würde er reagieren, wenn er es bei ihr bemerken würde? Sie bemühte sich sehr ihm ihre Veränderung nicht zu zeigen.
 

Auch wenn Chuckie tagsüber arbeitete, so fand er gegen Abend die Zeit mit Sila gemeinsam zu tanzen. Sie übten fleißig und freuten sich an ihren Fortschritten. Bei einem ihrer Lieblingslieder erreichten sie ganze elf Partnerpunte. Chuckie hatte den ganzen Abend schon sehr gute Laune. Als er die Anzahl der erreichten Punkte sah, jubelte er laut auf. „Elf Punkte, Sila! Elf Punkte!!!“

Sila sah immer wieder auf die Anzeige um die Richtigkeit dessen zu überprüfen. „Welchen Rekord hatten wir denn damals?“

„Zehn!“

„Wiii~ Dann ist es unser neuer Rekord!“ Nun jubelte sie auch auf und warf ihre Arme um seinen Nacken. Erst als sie sein Parfüm riechen und seinen Herzschlag spüren konnte, bemerkte sie dass er sie fest in seinem Arm hielt. Ihr Herz trommelte gegen die Brust und ihr Gesicht fühlte sich so heiß an, als würde sie Fieber bekommen. Sie wagte erst wieder zu atmen, als er seine Umarmung langsam löste. Verlegen und aus Angst, er könnte ihre erhitzten Wangen entdecken, stand sie im Begriff ihren Blick zu senken. Chuckie verhinderte es, indem er das Kinn sanft mit seiner Hand anhob. Ihre blauen Augen sprachen mehr als Worte. Genau so empfand Sila als sich ihre Blicke trafen. Kein einziges Mal in ihrem Leben wurde sie so von einem Mann angesehen. Es war nicht der Blick eines Freundes, auch nicht der ihres Bruders oder ihrer der Eltern. Vor Überraschung setzte ihr Atem erneut aus. So ein zärtlicher Blick konnte nur von jemandem sein, der mehr in ihr sah als nur eine Freundin oder Tanzpartnerin. Auch wenn sie dieses Gefühl bis dahin nicht genau definieren konnte, so hatte sie in diesem Moment keinen Zweifel mehr. In einem Augenblick und ohne ein gesprochenes Wort wusste Sila weshalb Chuckie den weiten Weg auf sich genommen hatte.

Der Raum schien sich um die beiden Tänzer zu drehen, als sich Chuckie herunter beugte und sich ihre Lippen berührten. Nach dem er ihr wieder tief in die Augen sah, durchströmte eine ungewohnte Wärme ihren Körper. Leicht verlegen und mit glühenden Wangen flüsterte sie:

„Ist es eine neue Geschichte?“

Erneut spürte sie wie er seine starken Arme um ihren Körper schlang. Er hielt sie so fest, als hätte er Angst sie wieder los zu lassen. „Ja! Und wir werden sie gemeinsam schreiben.“
 

***
 

Seit diesem Tag wurde aus Tanzpartnern ein Liebespaar. Jeder, der mit Chuckie und Sila gemeinsam tanzte, merkte schnell dass sich zwei Menschen gefunden hatten. Sila stellte ihn seinen Freunden vor. Ohne Mühe freundete Chuckie sich mit ihren Bekannten und Freunden an. Tanzten sie mit fremden männlichen Tänzern zusammen, machte er unmissverständlich klar, dass sie zu ihm gehörte. Wenn nötig stellte er sich schützend vor sie um sie zu verteidigen. Trotz allem engte er sie nicht ein. Sie hatte allen Freiraum, den sie für ihre Kurse und Übungstänze benötigte.
 

Wiederstand erfuhr Sila von einer anderen Seite. Einigen Tänzerinnen gefielen ihre Freundschaften mit den männlichen Tänzern nicht. Besonders nicht wenn es um Silas besten männlichen Freund Aron ging...
 

Ende Kapitel 03 – Eine neue Geschichte beginnt

~ Aron, Rivalen und Freunde ~

Zum ersten Mal lernte Sila Aron bei einem Clubtanz kennen. Es war noch in den ersten Wochen auf ihrem neuen Internat, bevor sie die Tanzpartnerin von EraChan wurde. Sein Äußeres erinnerte sie sehr an ihren Bruder. Vielleicht hatte sie sich damals deswegen für ihn als Tanzpartner bei dem Clubtanz entschieden. Um so mehr freute sie sich als er bereit war mit ihr zusammen zu tanzen. Auf dem Internat lernte Sila oft jemanden kennen, der sie auf irgend eine Weise an einen Freund im alten Internat erinnerte. Dass sie bei einem Tänzer gleich an ihren Bruder denken musste, war ihr neu. Die beiden Tänzer tanzten mehrere Clubtänze als Tanzpaar zusammen. Gleich im ersten Moment verstanden sich Sila und Aron gut, obwohl Aron nur die internationale Sprache verstand. Zwischen den Tänzen unterhielten sie sich ungezwungen über alles Mögliche. Neue Mittänzer bemerkten es gleich und suchten sich dementsprechend andere Tanzpartner für den Tanz aus. Eine ungewohnte Wendung entstand, als eine weitere Tänzerin den leer gewordenen Platz im Vorbereitungssaal einnahm. Pamela fixierte Aron sofort, was Sila nicht weiter beachtete. Der Clubtanz bot die einzigartige Möglichkeit mit allen drei Tänzern nacheinander in einem Lied tanzen zu können. Denn während des Tanzes musste man sich drei Mal für einen Partner entscheiden. Fiel die Gegenwahl auf die wählende Person, entstand der Paartanzabschnitt. Entschied sich der gewählte Tänzer für einen anderen Partner, musste dieser Abschnitt weiterhin als Solo getanzt werden. Meistens wurde ein einzelner Partner immer wieder gewählt, weil es dafür mehr Punkte am Ende des Tanzes gab.

Während der Partnerwahl fiel die Wahl von Pamela alle drei Male auf Aron. So ein Verhalten musste auffallen, denn das Ziel des Tanzes bestand nicht darin die Paartanzabschnitte alleine zu tanzen. Normalerweise bildeten sich spätestens bei der zweiten Wahl die Tanzabschnittspartner. Offensichtlich bemerkte auch Silas Tanzpartner diese Wahl, denn er wirkte zunehmend unkonzentriert. Zwei Lieder verliefen auf gleiche Weise. Sila wusste nicht wie sie auf so ein merkwürdiges Verhalten reagieren sollte. Gerade als sie sich an Aron wandte um etwas zu sagen, stellte dieser sich neben sie und flüsterte: „Es wäre besser, wenn wir den nächsten Song nicht zusammen tanzen. Entschuldige bitte, aber Pamela ist eifersüchtig!“

Diese Aussage konnte Sila nur bestätigen. Ihr entging nicht welche Blicke ihr Pamela während der Tänze zugeworfen hatte. Selbstverständlich wollte sie niemanden eifersüchtig machen. Warum hatte Aron weiterhin mit ihr getanzt, an Stelle seiner Freundin? Warum hatten sich die Freunde nur gegrüßt, aber sonst kaum ein Wort mit einander gesprochen? Diese Fragen sollten an diesem Tag nicht beantwortet werden. Es kam auch nicht mehr zu dem nächsten Tanz für Aron. Er verabschiedete sich und verließ den Raum. Dicht gefolgt von der merkwürdigen Tänzerin, welche Sila mit keinem weiteren Blick mehr würdigte.
 

Beim Tanzen mit fremden Tänzern gab es immer mal wieder merkwürdige Tänzer oder Situationen. Daher kümmerte sich Sila nicht weiter darum. Weil das Internat nicht sehr groß war, war die Wahrscheinlichkeit hoch Tänzern über den Weg zu laufen, mit denen man bereits zusammen getanzt hatte. So war es auch bei Aron. Bei einem weiteren Clubtanz erkannte Sila ihn sofort, als er den Vorbereitungssaal betrat. Hätte Aron sie nicht freundlich begrüßt und sie gebeten die Paartanzabschnitte mit ihm zu tanzen, hätte sie mit Sicherheit einen anderen Tänzer gewählt. Aron war ein guter Tänzer, der durch Sicherheit und hohe perfekte Schrittkombinationen alle anderen Tänzer in den Schatten stellte. Es machte Spaß mit ihm gemeinsam zu tanzen. Wieder unterhielten sich die Beiden zwischen der Liederpausen. Aron war so unkompliziert. Er war höflich und wusste es seinem Gegenüber das Gefühl zu geben auf seinem Level zu stehen. Nach einigen Tänzen entstand eine kleine Pause, weil ein Tänzer den Vorbereitungssaal verlassen hatte. Aron nutzte die Chance um Sila zur Seite zu nehmen.

„Sila. Dürfte ich dich in meine Freundesliste aufnehmen?“

Über seine Frage wunderte sie sich. Normalerweise bekam sie einfach eine Anfrage zur Freundesliste über ihr Kommunikationsgerät geschickt. Aron war der erste Tänzer, der ihr diese Frage persönlich stellte. Um so mehr freute sie sich über seine Höflichkeit.

„Es währe mir eine Ehre, Aron. Ich werde dich gerne annehmen!“

Ein kleiner „Pling“ verriet, dass Sila ihre Chipkarte nutzte um sich gleich auf seine Liste über das Kommunikationsgerät aufnehmen zu lassen.
 

Aron trat in ihr Leben, als Sila unter starkem Heimweh litt. Oft stand sie kurz davor ihre Sachen zu packen und wieder zurück zu fliegen. Zurück an den Ort, der zu ihrem Zuhause geworden war. Zurück zu den Menschen, die sie in ihre Familie aufgenommen hatten und ihr Geborgenheit und Liebe gaben. Vielleicht mochte sie Aron so gerne, weil er sie an ihren Ziehbruder erinnerte. Auch wenn er einen ganz anderen Charakter hatte als dieser. Egal warum Sila ihn als einen Freund akzeptierte, Aron tat ihr gut. Es verging kein Tag, an dem er sie nicht grüßte wenn er oder sie sich in der Lobby einloggte. Auch wenn es nur ein kurzer Gruß über das Kommunikationsgerät war. Wurde er nicht von seinen Freunden umstellt, suchte er Sila in ihrem Tanzraum auf um mit ihr zu tanzen. Wenn sie in sich gekehrt war, fragte er sie nicht aus. Machte sie einen Fehler, motivierte er sie nicht aufzugeben.

So schön die Tanzabende mit Aron auch waren, so brachten sie auch einige Verwirrungen mit sich. Schnell merkte Sila wie beliebt er war. Kein Wunder. Bei seinem tänzerischen Können, kombiniert mit diesem Charakter zog er die Mittänzer an sich. Besonders die Damen wurden von ihm scheinbar wie von einem Magneten angezogen.

Für Sila war er ein guter Freund, dessen Gegenwart und auch Aufmerksamkeit sie genoss. Gerade in den ersten Monaten, nach dem sie Freunde wurden, verbrachten sie viele Stunden und Tänze zusammen. So nahm Aron schnell die Rolle des besten männlichen Freundes an.
 

Die Tänzerinnen aus seinem Freundeskreis hatten Sila zwangsweise geduldet. Auch wenn sie ihr sonst keine Beachtung schenkten, so verhielten sie sich ihr gegenüber eher neutral. Erst als Aron sie „Liebes“ zu nennen begann, änderte sich für Sila einiges. Seit dieser Zeit wurden einige Damen ihr gegenüber immer unfreundlicher. Erst dachte sie sich nichts dabei, auch wenn sie die ihr zugeworfenen Blicke spürte. Entweder bemerkte Aron das nicht, oder er ignorierte es. Für solche kindlichen Ausbrüche der Mädels hatte Sila wenig Verständnis. Noch weniger wollte sie sich darüber aufregen. Als ihr die unfreundlichen Blicke und patzigen Bemerkungen zu viel wurden, beschloss Sila Aron nicht mehr in seinen Tanzräumen aufzusuchen. Vielleicht würden dadurch die Eifersüchteleien seiner Freundinnen aufhören.

Kurz darauf lernte sie EraChan kennen und ließ sich von ihm überreden seine Tanzpartnerin zu werden. Aron bemerkte sofort Silas falschen Ehrgeiz nachdem EraChan die Tanzpartnerschaft aufgelöst hatte. Er kannte nicht die genauen Gründe, aber oft schüttelte er den Kopf, wenn Sila bis zur Erschöpfung tanzte. Doch er klagte sie nicht an, stellte auch keine Fragen, wenn sie nicht reden wollte. In der Zeit der völligen Erschöpfung, als sie mehrere Tage nicht an den Kursen und Tanzeinheiten teilnehmen konnte, erkundigte er sich fast täglich nach ihrem Befinden. Nachdem sie wieder in der Lage war tanzen zu können, beschloss Sila aus eigenem Antrieb heraus besonders freundlich zu den Damen zu sein, die ständig in Arons Nähe waren. Manche Tänzerinnen merkten schnell, dass Sila nur eine Freundin von Aron war, die nicht mehr als diese Freundschaft wollte. Dadurch öffnete sich langsam die Tür für ein paar Freundschaften mit diesen Tänzerinnen.
 

Als Chuckie im Internat ankam und Sila ihn mit Aron bekannt machte, hatte sie zu erst Bedenken ob die beiden Männer mit einander auskommen würden. Entgegen dieser Bedenken verstanden sich die Zwei auf Anhieb. Aron trat Chuckie mit Respekt entgegen und Chuckie störte sich überhaupt nicht daran, dass Aron sie „Liebes“ nannte.
 

***
 

Eines Abends betrat Lili den Zuschauerbereich. Während sich Sila mit Chuckie unterhielt, ging Aron auf den Neuankömmling zur Begrüßung zu.

„Hey! Schickes neues Outfit.“ Seine ehrliche Freundlichkeit erklang im Raum. Nur Lili bemerkte es nicht. Viel mehr warf sie Sila einen giftigen Blick zu und drehte ihren Kopf in die entgegengesetzte Richtung. „Ich weiß nicht welches Outfit zu meinst. Meins, oder das von Sila?“

Ihre laute Antwort war im Vorbereitungssaal kaum zu überhören. Verwundert blickte Sila an sich hinunter um festzustellen, dass sie ihr übliches Sportoutfit mit der kurzen schwarzen Hose trug. Generell wechselte Sila ihre Outfits nicht ein paar mal im Monat. Sie hatte eine gute Auswahl an Hosen und Oberteile. Es reichte wenn etwas in der Wäsche war. Aber sie brauchte auch nicht immer wieder etwas Neues. Chuckies Zucken mit der Schulter zeigte ihr, dass auch er die Bemerkung nicht nachvollziehen konnte. Sila seufzte: „Die meisten Mädels aus seinem Freundeskreis sind eifersüchtig auf mich. Sind die denn blind? Können sie nicht sehen, dass ich mit dir zusammen bin?“ Anscheinend sahen es die Meisten wirklich nicht.
 

Die Tanzsäle zu meiden, in denen Aron mit seinen Freunden tanzte war an Sich eine gute Lösung. Probleme gab es nur, wenn Aron von alleine zu Chuckie und Sila dazustieß. Leider kam er dann gerne mit einem Anhang. Auch an diesem Abend betrat Lili kurz nach Aron den Vorbereitungsraum. Selbst Silas Freundlichkeit und Anfeuerungsversuche während der Tänze prallten gegen eine unsichtbare Mauer. Der Abend flog nur so dahin, ein Song wurde nach dem Anderen gespielt. Chuckie war der Erste, der sich verabschieden musste. Auch wenn er seine Arbeit an seinem Laptop verrichten konnte, musste er schon früh am Morgen damit anfangen. Einige unbekannte Tänzer tanzten mit Aron und Sila weiter. Lili hatte sich in den Zuschauerbereich zurückgezogen. Beim Tanzen feuerte sie dafür Aron um so lauter an. Sila spielte mit. Zur Entrüstung der Mittänzer, wurde Aron nun von zwei Frauen angefeuert.

„Wie wäre es, wenn wir einen Fanclub für Aron gründen würden?“, rief Sila Lili im Zuschauerbereich zu.

„Ja! Dann bin ich aber die Anführerin“, kam die überraschende Antwort.

„Gerne. Du bist sicher eine gute Anführerin!“

Damit war das Eis gebrochen. Selbstverständlich wurde kein Fanclub gegründet. Aus diesem Alter waren beide Frauen längst raus. Aber ein paar Sätze hatten alles verändert. Seit Lili von Sila aus Spaß „Anführerin“ genannt wurde, konnte sie viel harmonischer mit ihr zusammen tanzen.

Generell half die Beziehung zwischen Sila und Chuckie gegen die Eifersüchteleien der anderen Tänzerinnen. Dadurch glaubten die Mädels ihr, dass Aron nicht mehr als ein Bruder für sie war.
 

***
 

An diesem Abend tanzte Sila alleine mit fremden Tänzern den Clubtanz. Aron hatte seinen eigenen Raum und war von seinen Freunden umzingelt. Chuckie hatte wichtige geschäftliche Dinge zu erledigen. Er sprach von Projekten eines neuen Kunden. Generell erzählte er nicht viel von seinen Kunden oder überhaupt von seiner Arbeit. Sila fragte auch nicht danach. Seit einigen Runden schon bemerkte sie ein Tanzpaar. Jeder Tanz wurde von Jojo und Sakuragi als Paar bestritten.

„Könnte es sein, dass ihr Beiden gerne feste Tanzpartner werden möchtet?“, fragte Sila ganz unverblümt zwischen zwei Liedern.

„Ja. Wir versuchen es schon die ganze Zeit. Es ist so schwierig die fünf Partnerpunkte zu bekommen.“

Zu gut kannte Sila das Problem, wenn man noch nicht geübt in den Partnertänzen war. „Ihr könnt es schaffen. Am Einfachsten ist es wenn ihr nicht den Clubdance, sondern den Coupledance auswählt. Mit dem richtigen Song ist es gar nicht mehr so schwer. Soll ich euch den Raum zeigen?“ Das Pärchen freute sich sehr Sila in den genannten Raum folgen zu können. Sofort stellten sie sich an ihre Plätze. Nur Sila begab sich in den Zuschauerbereich.

„Tanzt du nicht mit uns, Sila?“, wollte Jojo wissen. Die Angesprochene schüttelte nur lächelnd den Kopf.

„Tut mir Leid. Ich würde gerne mit euch Tanzen aber ich tanze den Partnertanz nur mit meinem Partner!“ Erstaunen, aber auch ein verständiges Nicken folgte auf so eine ungewohnte Antwort. Wieder war es Jojo, die das Wort ergriff:

„Finde ich toll, dass du nur mit deinem Partner tanzt! Er kann sich glücklich schätzen mit dir tanzen zu können.“ Rote Wangen zeigten Jojo, dass Sila sich über das Lob freute.
 

Es dauerte nicht lange, bis ein weiteres Paar sich zu den beiden Tänzern hinzugesellte und sie den ersten Tanz beginnen konnten. Wie Sila schon vermutet hatte, lag ihr Problem nur an dem falschen Tanzmodus. Im ersten Tanz erhielt das Duo ganze sieben Partnerpunkte. Gleich nach dem Schlussakkord lief Sakuragi zu der Jury und gab bekannt Jojo zur Tanzpartnerin haben zu wollen. Nachdem Jojo freudenstrahlend das Dokument unterschrieb und ihrem Partner anschließend ein Küsschen auf die Wange gab, war alles klar. Hier hatten sich zwei Tänzer auch privat gefunden, genau so wie es bei Chuckie und Sila der Fall war. Sila freute sich sehr für die Beiden. Auch ließ sie es sich nicht nehmen Jojo einmal freundlich zu drücken. Seit diesem Tag gehörten die Beiden auch zu ihren Freunden.
 

Eine Sache wurde von Jojo und Sakuragi bemängelt. Seit Sila ihnen diesen Tanzmodus gezeigt hatte, liebten sie es gemeinsam weiter zu üben. Wenn Sila dabei war, setzte sie sich stur in den Zuschauerbereich. Selbst wenn nur eine weibliche Tänzerin fehlte, konnte niemand sie zum Tanzen bewegen. Alle Überredungsversuche scheiterten. Selbst EraChan gesellte sich hin und wieder zu ihr in den Tanzraum. Auch er bemerkte die Veränderung und bat häufiger mit ihr wieder den Coupledance tanze zu dürfen. Sila weigerte sich strickt:

„Ich weiß, dass ich früher mit dir zusammen getanzt habe, Era. Aber du warst da auch mein Partner. Jetzt bist du nicht mehr mein Partner. Und diesen Tanzstil tanze ich nur mit meinem Tanzpartner!“

EraChan versuchte es mit allen Mitteln. Den Vorwurf, sie könnte es gar nicht mehr, belächelte sie nur. EraChan hatte längst nicht mehr die Macht sie aus der Fassung zu bringen. Weil Jojo und Sakuragi dennoch gerne mit ihr tanzen wollten, suchten sie sich andere Tanzmodis aus. Kaum verklang die letzte Melodie eines von Silas Lieblingsliedern, öffnete sich die Tür zum Vorbereitungsraum. Mit lautem Jubel wurde Chuckie von Sila in Empfang genommen und den Mittänzern vorgestellt. Unschwer war zu erkennen, wie gerne sich diese beiden Tänzer mochten. Aber die Anfangsfreude von Sila schien an diesem späten Abend getrübt zu werden. Immer wieder schweifte ihr Blick traurig zu ihrem Tanzpartner. Jojo brauchte keine hohen Beobachtungsfähigkeiten um zu bemerken, dass etwas nicht normal war. Mittlerweile kannten sie sich schon ein paar Wochen. Sila war wie ein Sonnenschein. Auf ihre eigene Art und Weise konnte sie ihre Mittänzer beim Tanzen gut motivieren. Der traurige Ausdruck in ihren Blicken, bereitete der Freundin Bauchschmerzen. So nahm sie Sila nach einem Tanz zur Seite. „Was ist los Sila? Du bist heute nicht wie sonst... Geht es dir nicht gut?“

„Chuckie muss für mehrere Wochen wieder ins Ausland zurück...“ Schnell verstand Jojo die Situation. Auch Chuckie entging Silas veränderte Art nicht. Er ging auf sie zu und nahm sie in den Arm.

„Hey mein Mädchen! Ich bleibe nicht lange weg. So bald wie möglich bin ich wieder zurück.“

Sila ließ sich von ihm umarmen. Ihr Gesicht vergrub sie in seiner Schulter. „Ich werde auf dich warten, Chuckie“, sagte sie leise. „Und ich werde dich jeden Tag vermissen!“

Sanft gab er ihr einen Kuss auf die Stirn. So tat er es immer, wenn andere bei ihnen waren. „Du bist fast so weit deine elfte Prüfung bestreiten zu können. Warte nicht auf mich damit!“

„Kommt nicht in Frage!“ Sila schien empört zu sein. „Ich werde warten! Wenn du wieder da bist, machen wir die Prüfung gemeinsam!“ Ihre Stimme hatte einen endgültigen Unterton.
 

Mit vier Tänzern fehlten noch zwei Weitere, damit der nächste Titel angespielt werden konnte. Sila plauderte gerade mit Jojo als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Beim Umdrehen stand b4by vor ihr. Diese Tänzerin gehörte auch zum Freundeskreis von Aron und machte es Sila zu Anfang mit ihren Zickereien schwer. Seid Sila ihr unmissverständlich klar gemacht hatte, dass Aron für sie nur eine Art Bruder war, hatte b4by langsam Vertrauen zu ihr gefasst. Freundlich wurde der Neuankömmling von Sila begrüßt und den Anderen vorgestellt. Beim Warten auf den letzten Tänzer, flüsterte b4by Sila zu: „Aron ist auch eingeloggt. Kannst du ihn nicht rufen?“

„Klar... Aber warum machst du das nicht selbst?“, wollte Sila wissen.

„Ach ich weiß auch nicht...“. B4by wirkte so geknickt, dass Sila Mitleid mit ihr bekam. Um ihr wenigstens den kleinen Gefallen zu tun, tippte sie schnell die kurzen Zeilen ein:

„Hey Aron :) b4by ist hier bei mir. Sie würde gerne mit dir tanzen, traut sich aber nicht selbst zu fragen.“

Beep. Die Nachricht wurde verschickt. Diese Nachricht war nur ein kleiner Gefallen. Sie erwartete nicht, dass Aron darauf antworten oder sogar in dem Tanzsaal erscheinen würde. Die Antwort blieb tatsächlich aus. Gerade als Sila die Freundin vertrösten wollte, ging die Tür auf und Aron stand vor der erstaunten Tänzertruppe.

„Da bin ich!“ Wieder einmal erinnerte sein breites Grinsen Sila an ihren zurückgelassenen Bruder. Sie hatte die Spieleleitung im Raum und stand am Bedienerpult, als Aron sich auf den leeren Platz stellte und seine Chipkarte zum „OK!“ scannen lies.

„So, Liebes! Was steht an?“

Mit einem Lachen wählte Sila den Lieblingssong von Aron. Die Musik erklang und die Gruppe bewegte sich nach den vorgegebenen Schritten des Bildschirms. Einige Lieder später schlug Sila vor, eine Runde als Partner zu tanzen.

„Wir sind drei Damen und drei Herren. Das wird sicherlich total interessant werden!“ Aron und b4by fügten sich der Mehrheit und tanzten zusammen. Aber vor Beginn machte Aron deutlich, dass er danach weiter müsse. Auch Chuckie gab bekannt, nach dem Tanz in sein Apartment gehen zu wollen.
 

Während die Musik zu spielen begann ließ Sila ihren Kopf geknickt hängen. Chuckie erkannte es sofort und bemühte sich sie abzulenken:

„Hör doch! Es ist ein Lied das wir beide gerne mögen. Lass uns den letzten Tanz lieber genießen.“ Sila vergaß, dass sie die Liederauswahl immer noch auf „Random“ stehen hatte. Als sie eines ihrer Lieblingslieder hörte, musste sie ihm Recht geben. Der Augenblick war zu kostbar, um ihn durch eine schlechte Stimmung verstreichen zu lassen. Sie schluckte den Kloß im Hals herunter und gab ihr Bestes. Viel zu schnell war der letzte Tanz beendet. Das Endresultat sah wie folgt aus: Ein Partnerpunkt für Sakuragi und Jojo, drei Punkte für Aron und b4by und neun Punkte für Chuckie und Sila.

„Wow! Neun Punkte, Sila! Du bist und bleibst einfach großartig!“ Als Chuckie Sila in den Arm nahm, begaben sich die restlichen Tänzer dezent in den Hintergrund. Jojo flüsterte Aron zu, dass Chuckie am nächsten Morgen wieder zurück ins Ausland musste. Dieser machte den Vorschlag lieber ganz raus zu gehen. „Wir sehen uns sicher mal wieder. Gute Reise“, sagte er an Chuckie gerichtet. „Ach ja! Neun Punkte! Ich habe schon länger keinen so guten Tanz gesehen. Gut gemacht.“

B4by fügte hinzu: „Ihr seit wirklich ein echtes Tanzpaar und ein klasse Team. Das ist nicht zu übersehen. Bis dann und danke, Sila.“
 

Auch Jojo und Sakuragi verabschiedeten sich. Erleichtert darüber für einen letzten Moment alleine mit Chuckie sein zu können, klammerte sie sich an seinen Arm.

„Ich werde dich sehr vermissen, Sila... Pass auf dich auf, mein Mädchen.“ Chuckie war der Erste, der die Stille unterbrach. Es war unverkennbar wie schwer es seiner Freundin fiel sich von ihm zu verabschieden. Ein letzter Kuss. Eine letzte Umarmung. Dann drehte er sich um und verließ den Saal. So war es am Besten für beide. Eine lange Verabschiedung machte das Ganze nur noch schwerer. Trotzdem war es nicht leicht ihn gehen zu sehen. Stumm begab sie sich zum Bedienerpult um alles ordnungsgemäß herunter zu fahren. In Gedanken fragte sie sich aber wie lange sie von ihrem Chuckie getrennt sein würde...
 

Ende Kapitel 04 – Aron, Rivalen und Freunde

~ Schatten breiten sich aus ~

Langsam nahm der kalte Winterwind ab, die Erde erwärmte sich und dankbar genoss Sila den noch etwas frischen Morgenwind, welcher durch ihr offenes, mittellanges Haar wehte.

Traurig schien ihr Blick in der Ferne zu ruhen, als wollte sie sich schöne Erinnerungen wieder ins Gedächtnis rufen.

In den Händen hielt sie einen Brief, den sie schon mehrere Male durchgelesen hatte. Trotzdem hob sie ihn an und las die bereits vertrauten Zeilen:

„Hi mein Mädchen! Die Reise war einfach schön, das Essen, die Menschen und das Wetter sind wundervoll. Trotz langem Flug kann ich mich nicht beklagen! Das Einzige was ich schmerzlich vermisse ist deine Gegenwart. Ich kann es kaum erwarten dich wieder zu sehen und dir von allem zu erzählen.“
 

In Gedanken hob Sila den Kopf an und beobachtete den Himmel, der immer noch leicht rötlich von dem Sonnenaufgang war. Im Hintergrund konnte man sogar schon wieder Vogelstimmen hören.

'So lange ist es schon her', dachte sie wehmütig. 'Ich habe schon das Gefühl es war alles nur ein schöner Traum.'

Sie senkte wieder ihren Blick auf den Brief und las weiter zum Ende hin:

„Ein lieber Freund hat mir geschrieben und erzählte mir unter anderem dass du dich immer noch weigerst die Prüfung für dein elftes Level zu machen. Das geht doch nicht! Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass du deinen Fortschritt durch mich zum Stillstand bringst. Bitte trainiere weiter, Sila! Ich muss leider länger bleiben als gedacht, daher bitte ich dich, mach deine Lizenzen! Ich freue mich schon sehr darauf deinen Fortschritt zu sehen wenn ich wieder da bin!“
 

Dieser Brief ging nicht wirkungslos an Sila vorüber, denn kurz nachdem sie diesen zum ersten Mal gelesen hatte, meldete sie sich zur Lizenz an und tanzte mit neuer Energie, damit Chuckie sich wundern konnte wie schnell seine Freundin voran kam. Doch das lag nun schon Monate zurück und immer häufiger bemerkte Sila eine starke Sehnsucht nach Chuckie. Trotz lieber und treuer Freunde auf dem Internat, schlich sich immer stärker Einsamkeit ein.

„Ach was soll's“, rief Sila plötzlich laut aus und streckte sich. „Ich darf mich nicht so gehen lassen!“
 

*** ** * ** ***
 

Voller Eifer stürzte sich Sila in ihre Tanzstunden, sei es aus Ehrgeiz voran zu kommen oder einfach nur um von ihren Gedanken abgelenkt zu werden.

Wenn ihr danach war, tanzte sie auch gerne den „Club dance“, mehr aus Spaß als wegen Erfahrungspunkten oder Verdienst.

Schon im Vorbereitungsraum entdeckte sie eine Tänzerin, die ihr bekannt vorkam. Auch der Name war ihr irgendwie vertraut. Sila grüßte jedoch ganz normal in die Runde, wählte einen Partner und es dauerte nicht lange, bis ein neuer Tanz begann, welchen sie auf dem ersten Platz beendete.

Als dieser Tanz vorbei war wollten alle anwesenden sechs Tänzer weiter machen. Aber bevor ein neuer Tanz begann, stellte sich die Tänzerin, die Sila vorher schon auffiel, nahe neben sie. Ihr Name war Philphlader. Noch bevor sie anzeigte bereit für den nächsten Tanz zu sein, flüsterte sie der verwunderten Sila zu:

„Hey Sila. Ich wollte es dir schon eher sagen aber ich war mir nicht ganz sicher ob du es wirklich bist, doch nach DIESEM Tanz besteht kein Zweifel! Du bist eine tolle Chainerin!!!“

Ein „Chainer“ wurde unter den Tänzern jemand genannt, der häufiger perfekte Schritte oder Schrittkombinationen hintereinander tanzen konnte, wodurch man natürlich auch von der Juri dementsprechend mehr Punkte bei der Tanzbewertung erhielt.

Sila errötete aufgrund solch eines Lobes und blickte fragend in das freundlich lächelnde Gesicht.

„Vielen Dank. Bei mir kommt es aber immer auf das Lied an.“ Dabei sah sie ihren Gesprächspartner ebenfalls freundlich an und gestand verlegen: „Ich habe mich auch schon gefragt ob wir nicht vielleicht schon einmal zusammen getanzt haben ... Ich konnte mich aber leider nicht erinnern...“

Philphlader wirbelte um Sila herum als der zweite Tanz begann und erklärte:

„Wir haben gemeinsam in einem fünfer Team gegen den Computer getanzt.“ Zwinkernd fügte sie hinzu: „Da hast du auch einen Chain (Kette/Kombination) nach dem anderen getanzt!“
 

Nun war jede Schranke gebrochen und beide Tänzerinnen unterhielten sich zwischen den Tänzen. Es war eines der seltenen Clubtänze, bei denen alle sechs Tänzer weiter tanzten anstelle die Tanzsäle zu wechseln.

Schnell merkte Sila das Philphlader und sie sich gut verstanden und auch vom Können her sehr ähnlich waren. Aber es war trotz allem offensichtlich, dass Philphlader mit ihren drei Leveln Vorsprung auch mehr Erfahrungen im Tanzen besaß, obwohl sie immer wieder bemüht war ein Lob zu ignorieren oder ihre Fähigkeiten unterbewertete.

Jedenfalls gehörten, bei den darauffolgenden Tänzen, die ersten beiden Plätze ihnen. Als die Tänzer eine Verschnaufpause bestimmten, nutzte Sila die Zeit um etwas zu tun, was sie noch nie zuvor getan hatte. Sie nahm ihr Kommunikationsgerät in die Hände, öffnete die elektronische Freundesliste und schickte Philphlader eine Freundesanfrage.
 

Alle Tanzinternate dieser Art hatten ein faszinierendes System. Jeder Tänzer bekam bei der Aufnahme im Internat eine persönliche Chipkarte und dazu ein passendes Kommunikationsgerät, welches er immer bei sich tragen musste. Betrat ein Tänzer die Haupthalle der Tanzräume, so musste er seine Karte durch das dafür vorgesehene Gerät am Eingang ziehen und wurde somit elektronisch in das Tanzportal eingeloggt. Die Tür eines Tanzraumes konnte nur mit der Chipkarte aktiviert werden, damit jeder angemeldete Tänzer in seinem Kommunikationsgerät einsehen konnte wo sich ein gewünschter Mittänzer befand.

Zogen Tänzer der Freundesliste ihre Tanzkarte beim Eintritt in die Haupthalle ebenfalls durch, erschienen sie sichtbar für Sila in der Liste ihres Kommunikationsgerätes. So konnte man gleich sehen welche Freunde beim Tanzen und in welchen Flügeln des Internats waren.

So eine Anfrage zur Freundschaft hatte Sila normalerweise noch nie gestellt. Seit sie auf dem Internat war bekam sie immer Anfragen auf Freundschaft auf ihr Kommunikationsgerät geschickt. Diese Anfragen konnte sie dann per Touchscreen akzeptieren oder verwerfen. Sila nahm nicht jede Anfrage an. Es kam darauf an wie oft sie mit einer Person getanzt hatte oder wie gut sie sich mit dieser verstanden hatte.

Doch bei Philphlader ergriff sie die Initiative, weil Sila sich von Anfang an zu ihr hingezogen fühlte.

Als Philphlader die Anfrage bemerkte freute sie sich sehr und nahm sofort an.
 

Dies war der Anfang einer Freundschaft, die stärker werden sollte, als es sich diese beiden Tänzerinnen zu dem Zeitpunkt je vorstellen konnten...
 

*** ** * ** ***
 

Sie konnte es sich nicht erklären, aber seit Tagen schlich sich in Sila der starke Wunsch ein, einmal eine Pause zu nehmen. Trotz der Sehnsucht nach Chuckie konnte sie zwar fröhlich mit ihren Freunden oder fremden Tänzern tanzen, doch der Wunsch nach ein wenig Abstand wurde von Tag zu Tag größer. Hinzu kamen Sätze, die sie sich von Mittänzern anhören musste, wie: „Toller Körper“ oder „Du bist sehr hübsch“. Andere Tänzerinnen mögen sich in solchem Lob gesonnt haben, aber Sila kam immer ganz schlimm aus dem Takt wenn einer der Herren ihr solch ein Kompliment machte. Eigentlich war sie mit ihrem Äußeren ganz zufrieden, doch kam ihr nie in den Sinn ihre Mittänzer damit beeindrucken zu wollen.

'Ach wärst du doch hier, Chuckie ... Sie würden sicher nicht wagen so etwas vor dir zu wiederholen...', dachte sie traurig, 'Wenn ich mich hübsch mache, dann sowieso nur für dich!'

Somit fasste sie den Entschluss ihre erste Tanzschule zu besuchen. Es würde eine längere Reise werden, das wusste Sila zu gut, aber die Sehnsucht nach einer kurzen Auszeit war stärker. Durch ihre zurückgelegten Ersparnisse war die Reise finanziell kein Problem.

'Was ist wenn Chuckie wiederkommt und ich nicht da bin', dachte Sila erschrocken. 'Soll ich ihm noch schreiben?'

Doch ein Brief würde länger brauchen bis er Chuckie erreichen würde, oder er würde ankommen und ihn verpassen. Es musste eine andere Lösung her. So beschloss sie ihm eine Nachricht in der Schule zu hinterlassen, die ihm automatisch beim einloggen ausgehändigt werden konnte und fuhr los!
 

*** ** * ** ***
 

Fassungslos starrte Sila die ihr noch vertrauten Gebäude an, die doch so anders aussahen als vor eineinhalb Jahren, als sie schweren Herzens diese, ihr so lieb gewordene, Schule verlassen musste. Was hatte sich die Schule in dieser Zeit vergrößert, stellte Sila fest.

Früher war ihr die Schule schon so riesig vorgekommen, doch nun wirkte sie so gigantisch, dass sie sich erst einmal setzen musste um tief Luft zu holen bevor sie sich hineinzutrauen wagte. In einem abgesonderten Wohnbereich speziell für Gasttänzer bekam die ehemalige Tänzerin ein gemütliches Zimmer und, zu ihrer großen Überraschung, ihre alte Karte zum einloggen. Sogar ihre Daten waren noch so wie vor dem Verlassen. Silas Herz machte einen Luftsprung, denn sie fühlte sich plötzlich wieder wie zu hause, aber sie merkte auch schnell dass sich wirklich vieles verändert hatte.

Die Masse der Tänzer war gigantisch und der Durchschnittslevel um mehrere Level gestiegen, seit sie das letzte Mal auf dem Internat getanzt hatte. Ihr Level beim Verlassen dieser Schule war vierzehn und lag nun bereits weit unter dem Durchschnitt. Auf ihrem neuen Internat galt ihr zwölftes Level zum guten Durchschnitt. Auch entdeckte sie ganz neue Möglichkeiten die tänzerischen Fähigkeiten zu fördern, ebenso wie ganz neue Tanzstile.
 

Sila war gerade wenige Stunden in den Tanzräumen beschäftigt als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte und kurz darauf den ungläubigen Ausspruch, „Sila? Bist DU das?“, vernahm. Erschrocken drehte sie sich um und musste erst einmal den Kopf in den Nacken legen.

Vor ihr stand ein etwa siebenundzwanzig jähriger, verheirateter Mann und strahlte über das ganze Gesicht als er sie wiedererkannte.

Zu erst dachte Sila sie würde sich täuschen, aber dann rief sie nicht weniger überrascht:

„Azad! Oh Azad!!! Bist du das wirklich?“

Grinsend ergriff er ihre rechte Hand, führte sie an seine Lippen und sah lächelnd wie Silas Wangen rot anliefen.

„Du hast dich gar nicht verändert! Bist immer noch so schnell verlegen“, sagte er sanft und strich er, immer noch, sprachlosen Sila durch das längere Haar. „Aber du trägst jetzt deine Haare sehr hübsch, mit dem langen Ponny. Ich dachte eben ich hätte eine Doppelgängerin von dir vor mir, aber als ich dich tanzen sah, bestand kein Zweifel mehr daran, dass du es bist.“

Lächelnd ließ sich Sila von ihrem früheren besten männlichen Freund umarmen. Obwohl Sila und Azad sechs Jahre Altersunterschied hatten, waren sie zu der Zeit als Sila auf der Schule tanzte, die besten Freunde. Natürlich war es nicht immer leicht, denn wenn Azads Frau (damals noch Freundin) auch tanzen war, hatte Sila keine Möglichkeit gemeinsam mit Azad zu tanzen. Die damals schon krankhafte Eifersucht von FredomJoy Sila gegenüber hätte sogar fast die Freundschaft zu ihrem besten Freund zerstört. Immer noch ungläubig schaute Sila ihren Freund an.

„Du hast dich auch kaum verändert.“ Mit diesen Worten blickte sie sich im großen Saal um und fügte hinzu, „aber mir scheint dass hier alles anders geworden ist.“

Seufzend bemerkte Azad: „Ja, das stimmt. Einiges hat sich verbessert, einiges verschlechtert aber, ...“ und sah Sila dabei traurig an, „ich habe dich sehr vermisst, Sila.“ Verlegen lächelnd suchte sie nach Worten, „Ich dich auch ... Es war nicht leicht für mich aber Chuckie ist mir gefolgt.“

„Oh wie schön“, freute sich Azad und stupste sie an die Nase, „Du hast schon immer sehr an ihm gehangen.“
 

Um ihre Verlegenheit vor Azad zu verstecken, drehte sich die blonde Tänzerin um, sah einen unbekannten Tanzsaal und las laut:

„Ballroom ... Was wird dort getanzt?“

Brüderlich lächelnd erklärte ihr Azad, indem er ihren Gesichtsausdruck genau beobachtete:

„Klassische Tänze werden in Ballsälen getanzt meine liebe Freundin. Es ist genau das richtige für dich! Paartänze wie Salsa, Samba, Rhumba, Cha Cha Cha usw.“

Genau wie erwartet weiteten sich Silas, ohnehin schon große, Augen und ein Leuchten trat hervor.

„Wiiiiiiircklich??????“, rief sie aus. „Oh wie schön! Ich wünschte ich wäre hier als die Tänze eingeführt wurden.“

Jetzt lachte Azad auf.

„Oh ich wusste, dass du so reagieren würdest!“ Er stellte sich vor sie, verneigte sich elegant und fragte:

„Dürfte ich Euch um diesen Tanz bitten, Miss Sila?!“

An seine kecke Art und die Neigung Sila in Verlegenheit zu bringen, hatte sie sich noch nie gewöhnen können, eben so wenig wie in jenem Moment als er sich vor ihr verbeugte. Erschrocken stammelte sie: „A – a – aber ich kann das doch gar nicht! Du kennst doch meinen Tanzstil.“

Aber Azad schien sie überhört zu haben als er sie an den Arm fasste und regelrecht zum Ballsaal zerrte. „Ach was! Du warst schon immer zu bescheiden. Du bist eine talentierte junge Tänzerin, Sila, und wirst es im Handumdrehen lernen! Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass du die Einstiegskurse unserer Schule jemals vergessen könntest.“
 

*** ** * ** ***
 

Azads Frau war zu dem Zeitpunkt des Aufenthaltes von Sila zu Besuch in ihrer Heimatstadt und so konnte Sila zweieinhalb unbeschwerte Monate in ihrer alten Schule hauptsächlich die klassischen Partnertänze mit Azad tanzen und von ihm lernen.

Diese Zeit tat Sila unendlich gut. Sie genoss jeden Tag und bereute nicht ein einziges Mal ihren Entschluss die alte Schule wieder aufzusuchen. Anschließend besuchte sie einige Wochen ihre Zieheltern und Bruder, die sie kaum wieder gehen lassen wollten.

Doch nun war sie wieder in ihrem Internat und musste traurig feststellen dass Chuckie seine Mitteilung gar nicht erhalten hatte weil er noch gar nicht wieder da war.

'Wo bist du nur, Chuckie?', quälte Sila der Gedanke immer wieder.
 

'Sicher wird es mir wieder viel besser gehen, nach dieser Auszeit', hoffte Sila als sie sich wieder mitten in die Tanzstunden stürzte. Aber zu ihrer großen Bestürzung musste sie feststellen, dass die Dinge noch weitaus schwieriger geworden waren.

Da war z.B. Silas männlicher Freund Aron, den sie schon zu Beginn ihrer Zeit auf der Schule schätzen und freundschaftlich lieben gelernt hatte. Bevor Sila aufbrach erzählte ihr Aron voller Freude, dass er eine Tanzpartnerin und sogar Freundin gefunden hatte. Oh wie sehr hatte sich Sila mit ihrem besten Freund gefreut, dass er endlich eine Partnerin, die er sogar lieben lernte, gefunden hatte. Es war nicht leicht für Aron, weil er sehr viele Freunde und Fans hatte. Besonders die weiblichen Freunde hingen ständig in seiner Nähe herum, dass es selbst ihm oft zu viel wurde. Immer wieder wurde er gefragt ob er nicht eine Tanzpartnerin haben wolle, auch von Sila, doch immer wieder sagte er:

„Ich warte noch auf die Richtige“.

Nun hatte er eine Freundin und Sila kannte sie sogar und war glücklich zu sehen wie die Beiden sich immer besser verstanden.
 

Nun, das war VOR ihrer Abreise.

Bei Aron war es eine Gewohnheit immer „Hallo Sila“, oder „Sila, schön dich wieder zu sehen“, zu schreiben, wenn er die Tanzhalle betrat. Auch für Sila wurde es zu einer lieben Gewohnheit, die sie nur mit Aron oder Chuckie zu pflegen vermochte oder mit ihrer , mittlerweile, besten Freundin Philphlader, welche liebevoll von ihr „Imôto“ (kleine Schwester) gerufen wurde.

Auch jetzt schrieb sie Aron ihren Gruß und ging in den Tanzsaal, in dem auch er war. Aron freute sich sehr Sila wieder zu sehen und sie freute sich, als sie merkte, dass sie auch noch Freunde hatte die sie WIRKLICH vermisst hatten. Nicht mit allen Freunden ihrer Freundesliste teilte Sila so eine Freundschaft. Die erste Frage von Sila lautete, nachdem die groben Ereignisse fertig erzählt waren:

„Jetzt erzähl mir mal bitte wie es dir und deiner Lili geht.“

Sofort erkannte Sila, dass etwas nicht stimmte, als Arons Leuchten in den Augen verschwand und ein gequälter Ausdruck stattdessen das gut aussehende Gesicht entstellte.

„Nun... Zu dir kann ich ehrlich sein, Liebes... Es läuft nicht gut.“

„Nicht gut? Aron was ist passiert?“

Da beide erkannten, dass sie nicht während des Tanzes über solche Themen sprechen konnten, gingen sie in einen Zuschauerbereich und Aron erzählte wie Lili ihn ständig vor anderen Leuten und vor seinen Freunden blamierte und beschämte. Genauer wollte er nicht darauf eingehen aber Sila erkannte wie weh Lili Aron damit tat. Traurig legte Sila ihre Hand auf seinen Arm und fragte:

„Was willst du jetzt tun, Aron?“ Er schaute sie unsicher an, dann sagte er leise:

„Ich muss noch einmal mit ihr reden, obwohl ich es immer wieder gemacht habe, und wenn sie es immer noch nicht lässt... Ach Sila, ich halte es nicht mehr aus mit ihr!“

'Oh bitte nicht!', dachte Sila verzweifelt. Wie konnte sie es ertragen ihren besten Freund so leiden zu sehen?
 

Es vergingen kaum zwei Wochen, als Aron Sila nach einem Tanz bei Seite nahm und flüsterte:

„Es ist aus! Ich habe keine Partnerin und auch keine Tanzpartnerin mehr.“

Schockiert wollte Sila ihn etwas fragen, doch er kam ihr zuvor, als er sich mit ihr setzte und leise erzählte:

„Weißt du. Als wir uns enger anfreundeten sagte sie mir 'Ich liebe dich Aron'. Und gestern stellte ich ihr die Frage danach was sie für mich empfindet und sie sagte 'Ich weiß es nicht. Ich glaube ich empfinde nicht mehr so viel für dich!' Also hatte sie gelogen! Von Anfang an war es eine Beziehung die durch eine Lüge entstanden ist!“

Ärgerlich wandte sich Sila sagte aber:

„Dann muss ich aber sagen, dass sie dich wirklich nicht verdient hatte! So hart es auch klingen mag...“

'Dann wollte sie ihn wirklich nur besitzen', dachte sie grimmig. Von Anfang an war ihr aufgefallen dass viele Tänzerinnen nur um Aron „herumschwirrten“ weil er einer der besten Tänzer war und zudem noch sehr gut aussah und sehr freundlich mit jedem Mittänzer umging. Aron war weder arrogant noch überheblich durch sein gewaltiges Talent und mit Level fünfundzwanzig war er sehr hoch geschätzt. Viele Frauen, bemerkte Sila, wollten nur mit ihm angeben. Was Lili anging, so wollte Sila nichts dazu sagen, denn sie kannte sie nicht wirklich und wollte sich einfach nur für ihren Freund freuen, doch nun hatte diese Lili ihn schrecklich traurig gemacht.
 

„Wie kann ich dich aufmuntern, Aron?“, fragte Sila herzlich, aber Aron lächelte nur müde, stand auf und schickte sich an den Raum zu verlassen.

„Es ist lieb gemeint, aber ich fürchte es wird dir nicht möglich sein... Ich möchte mich nur etwas zurückziehen.“
 

Geknickt bemühte sich Sila beim Tanzen nicht an Aron zu denken, doch sie musste zugeben, dass es auch für sie ein harter Schlag war.

Kurze Zeit später folgte eine weitere schlechte Nachricht.

Beim Tanzen mit ihrer Freundin Jojo bemerkte sie, dass Jojo keinen Tanzpartner mehr hatte und fragte schockiert was denn mit ihrem Tanzpartner und Freund passiert sei. Darauf hin erklärte Jojo traurig, dass Sakuragi sich einfach nicht mehr bei ihr gemeldet habe und sie plötzlich ein Trennungsschreiben erhielt. Auf Silas Aufmunterung sie sollte doch mit ihm reden, reagierte Jojo sehr abweisend und sagte sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben.
 

Wie war das möglich, fragte sich Sila. 'Wie können 2 Paare, die so glücklich waren nur so schnell auseinander gehen? Warum müssen sich Menschen die sich lieben nur so weh tun?'

Als hätte es nicht mehr schlimmer kommen können, erlebte Sila wenige Wochen darauf einen weiteren Schlag, der ihr auch noch den letzten Funken Hoffnung zu rauben drohte.

Es begann als sie eine Einladung von EraChan, der ihr Ex-Tanzpartner war, erhielt. Immer wieder suchte er Sila als Mittänzerin auf, oder bat sie in seinen Raum zu kommen und es schien, dass er gerne mit ihr plauderte oder tanzte. Da sie eh mit fremden Tänzerin tanzte, nahm sie die Einladung an und war alleine mit ihm in einem Tanzraum. Voller Verwunderung stellte Sila immer wieder fest, dass EraChan sie immer noch als gute Freundin sah. Munter plauderte er über ihre Zeit als sie Tanzpartner waren, auch wenn Sila eher unerfreuliche Erinnerungen daran hatte. Aber sie konnte ihre Sorgen etwas beiseite legen während sie mit EraChan tanzte und belustigt feststellen musste, dass er sich einfach gar nicht verändert hatte. Immer wieder fragte Sila sich wie sie sich jemals auf jemand wie ihn einlassen konnte. Plötzlich bemerkte EraChan:

„Oh! Alissa will kommen.“

Erinnerungen kamen wieder in Sila hoch und ließen sie erblassen, als sie vorsichtig fragte: „Wäre es nicht besser, wenn ich mir einen anderen Tanzsaal suchen würde, EraChan?“ Verwundert schaute er Sila an.

„Wieso denn dass? Alissa und ich müssen nicht immer nur alleine tanzen!“ Verlegen sagte Sila:

„Nein... Ich meine... Alissa kann mich nicht ausstehen! Ich glaube sie war immer schon eifersüchtig auf mich.“ Jetzt lachte EraChan und sagte, indem er ihr auf die Schulter klopfte, „Ach was! Alissa mag dich, sie mag jeden!“

„Na wenn du meinst...“, flüsterte Sila. Doch sie war nicht so sehr davon überzeugt, weil sie schon früher das ganze Ausmaß der Eifersucht von Alissa zu spüren bekommen hatte. Dies war auch ein Grund warum sie sich lieber von EraChan fern gehalten hatte. Silas Ängste bestätigten sich tatsächlich, als Alissa den Raum betrat. Bei dem Blick auf Sila hielt sie sofort inne, machte eine Drehung und setzte sich protestierend in den Zuschauerbereich. Sila bekam nur noch mit wie EraChan verwundert zu ihr ging, mit ihr etwas flüsterte und dann ärgerlich zusah wie Alissa wütend den Tanzsaal verließ.

„Du hattest Recht, Sila! Nicht zu fassen wie eifersüchtig die Pute ist!“

Erschrocken von seiner Wortwahl wollte Sila auch schon den Raum verlassen, mit den Worten, „Ich wollte eh mit anderen Freunden tanzen. Rufe sie zurück und sage ihr, dass sie nicht zu gehen braucht. Ich gehe lieber!“ Aber EraChans Hand hielt Silas Arm fest und sie hörte ihn wütend sagen:

„Lass sie! Sie ist selber schuld wenn sie sich wie ein Kind aufführt und so krankhaft reagiert. Wir tanzen, Sila!“ Sila sollte es ja egal sein ob Alissa eifersüchtig auf sie war oder nicht, einen Grund dazu hatte sie in keinster Weise, doch fühlte sich Sila irgendwie unwohl. Nach einiger Zeit betrat Alissa erneut den Saal, begann mit ihnen zu tanzen, verließ dann aber, mitten im Lied, einfach den Tanzsaal. EraChan kochte vor Wut und begann unschöne Dinge über Alissa zu sagen. Als Sila den verhärteten Ausdruck bei EraChan wahrnahm, wurde ihr alles zu viel.

„Entschuldige mich bitte, aber ich muss gehen. Habe keine Zeit mehr!“, konnte sie nach einigen wenigen weiteren Tänzen nur noch stammeln, verabschiedete sich von den Mittänzern und verließ den Tanzsaal.

'Sie mochten sich doch so sehr und nun? EraChan und Alissa... Ob er sich auch von ihr trennt?', dachte Sila geknickt, 'Und Jojo und Sakuragi reden auch nicht mehr mit einander, auch Aron wurde schwer verletzt von seiner Lili...'
 

Tief bekümmert über die Wendung in ihrer, mittlerweile doch so lieb gewordenen, Tanzschule, ging Sila planlos durch die Flure der Schule bis sie eine Ecke fand, die etwas Abseits vom Weg lag.

Dort kauerte sie sich nieder, zog ihre Knie an das Kinn heran, legte ihre Hände darauf und war nicht mehr im Stande die Tränen, die sie schon seit Tagen, ja seit Wochen bedrängten, zurückzuhalten.

Tief bekümmert legte sie ihren Kopf auf die Hände und spürte wie heiße Tränen ihre Wangen herunterzurollen begannen.

Ein einziger Gedanke hatte ihre Tränen hervorbrechen lassen:

'Wieso antwortest DU mir nicht mehr, Chuckie? Ist es auch UNSER Ende? Ich vermisse dich so schrecklich! Auch wenn ich versuche stark zu sein und zu lächeln, vermisse ich deine Fröhlichkeit und Nähe... Chuckie... Wo bist du nur und warum lässt du mich so lange warten?'
 

Ende Kapitel 5:

~ Schatten breiten sich aus ~

~ Eine Antwort die alles verändert ~

So richtig aufs Tanzen konnte sie sich nicht mehr konzentrieren. Immer wieder warf Phil ihrer besten Freundin einen sorgenvollen Blick zu.

„Wie lange geht das jetzt schon so?“, fragte sie sich im Stillen. Seit einigen Tagen war Sila schon so unkonzentriert. Überhaupt wirkte sie zerstreut und sah blass aus. Wieder ein Move gemisst! Phil hielt es nicht mehr aus und blickte zu ihrer Freundin.

„Neechan! Das ist nicht typisch für dich! Hast du irgendetwas?“ Neechan. Dieses Wort bedeutete „große Schwester“. Phil nannte Sila so, weil diese ein paar Jahre älter war als sie.

Silas ehemalige beste Freundin Summer, hatte keine Möglichkeit gefunden auch auf dieses Internat zu wechseln. Sie schloss sich einer Schule in ihrem Land an. Auch wenn Sila Summer schmerzlich vermisste, lernte sie es zu akzeptieren. So wurde Phil nicht nur eine der engsten, sondern sogar zur besten Freundin.

 

Normalerweise zauberte der Gebrauch von Silas Spitznamen ein Lächeln auf ihre Lippen. An diesem Tag wirkte Silas Lächeln eher müde, was wiederum Phils Sorgen verstärkten.

„Ach… Ich habe nicht gut geschlafen und bin sicher noch müde. Mach dir deswegen keine Gedanken. Habe wohl nur einen schlechten Tag erwischt“, bemühte sich Sila in einem heiteren Ton zu sagen. Man konnte es Phil ansehen, dass sie ihr nicht glaubte.

„Aber Neechan! Du HAST doch etwas! Was bedrückt dich?“ bohrte diese nach. Sila winkte ab und bemühte sich die Tanzschritte einigermaßen hinzubekommen. Trotzdem fielen ihre Punkte weit unter denen von Phil. Natürlich wusste Phil dass Sila ihren Tanzpartner vermisste und sich Sorgen machte, weil sie längere Zeit keine Nachricht mehr von ihm erhalten hatte. Irgendetwas anderes musste Sila zusätzlich beschäftigen. Es war nicht ihre Art. Normalerweise erzählte Sila ihrer besten Freundin alles, ohne Ausnahme. Warum nicht auch heute?

Etwas geknickt überlegte Phil wie sie ihre Freundin aufheitern oder auf andere Gedanken bringen konnte. Plötzlich blieb Sila mitten im Tanz stehen und starrte auf ihr Kommunikationsgerät.

„Schlechte Nachrichten, Neechan?“, fragte Phil bestürzt und brach den Tanz ebenfalls ab. Sie eilte auf Sila zu. Diese steckte ihr Gerät schnell zurück in die Tasche, schaute Phil scheu an und sagte:

„N – nein! Ich ... Entschuldige bitte, aber ich muss etwas mit einem Freund besprechen. Tut mir leid Imôto“. Verwundert fragte Phil: „Einem FREUND? Welchem Freund?“ Sila drehte sich um und sagte: „Ach! Es ist nur eine dumme Geschichte, in die ich mich eingemischt habe. Ich ... erzähle dir später davon!“ Es tat Sila leid, dass sie sich so wenig unter Kontrolle hatte und ihre Freundin so stehen lassen musste. Sie konnte noch nicht darüber reden, mit niemandem konnte sie darüber reden bevor sie die Sache nicht geklärt haben würde. Gerade als Sila aus dem Raum gehen wollte, hörte sie Phil hinter sich in einem ernsten Ton sagen: „Redest du zufällig von Aron?“. Ertappt drehte sie sich um. Phil schien zu ahnen worum es ging. Scheu nickte Sila Phil zu und flüsterte „Entschuldige bitte...“, bevor sie den Saal verließ und ihre Freundin mit ihren Gedanken alleine ließ.

 

**** *** ** *

 

Mit klopfendem Herzen stand Sila an einem ihrer Lieblingsplätze an der Wand gelehnt. Mit geschlossenen Augen bemühte sie sich krampfhaft ihre Fassung wieder zurück zu gewinnen. Diesen Platz suchte sie gerne auf, wenn ihr alles zu viel wurde, oder sie sich einfach nur zurückziehen wollte. Ja, Phil hatte Recht! Wie immer hatte Phil Recht. Mittlerweile kannte sie Sila gut. Aron war derjenige, der Sila eine Nachricht geschrieben hatte. Ungewöhnlich war so eine Nachricht nicht. Er schrieb ihr meistens einen kurzen Gruß, wenn er die Tanzhallen betrat und sah, dass Sila ebenfalls anwesend war. Auch Sila hatte es sich zur Angewohnheit gemacht so zu starten. Was war an diesem Tag anders?

 

Die ganze Geschichte begann mit der Trennung zwischen Aron und Lili. Sein Herz war gebrochen. Es hatte gedauert, bis Aron einigermaßen darüber hinweg war. Nach einiger Zeit fingen die Freunde und Fans von Aron wieder an, ihn ununterbrochen damit zu nerven, warum er keine neue Tanzpartnerin wählen wollte. Anfangs überhörte Aron es. Sila konnte ihm ansehen, dass es ihn ärgerte. Eines Tages suchte Sila den Tanzraum auf, indem Aron mit weiteren Freunden tanzte. Dabei las sie die Meldung: „Aron sucht Tanzpartnerin!“ Bestürzt betrat Sila den Saal. Aron stand umgeben von weiblichen Freunden und Verehrerinnen, die Sila längst zu wider waren. Selbst Aron reagierte häufiger gereizt darauf.

Sila grüßte knapp, stellte sich zu Aron und flüsterte: „Du suchst eine neue Partnerin?“ Aron sah Silas Bestürzung. Sie kannte ihn gut genug um zu wissen, dass Aron so etwas nicht öffentlich machen würde.

„Nein! Eine Freundin hat das geschrieben.“ Zorn stieg in Sila hoch. Wie tief musste jemand sinken um so etwas über einen Freund zu schreiben? Oft genug hatte Sila die Freunde von Aron beobachtet. Mindestens die Hälfte davon war nicht das was sie zu sein vorgaben. Allen voran einige der weiblichen Freunde. Was sollte Sila denn groß dazu sagen? Sie merkte schnell, dass Aron jeden einzelnen seiner Freunde hoch schätzte. Egal was Sila über sie denken mochte. Warum sah er es denn nicht?

Sie folgte Arons Blick, während er ihr antwortete. „Sag mal, spinnt die?“, rief Sila wütend. Die Spieleführerin hatte das also geschrieben? Gerade als Sila zu ihr gehen wollte, spürte sie, wie ihr Arm von Arons starker Hand festgehalten wurde. Ärgerlich drehte sie sich um und erwiderte seinen Blick. Aron schüttelte den Kopf und flüsterte:

„Lass es gut sein, Liebes. Wenn sie so etwas schreiben möchte, dann lass sie doch! Was interessiert mich das schon? Es stimmt ja nicht. Du weißt es.“

„Aber es SOLLTE dich interessieren!“, wollte Sila ihm entgegenschleudern. Sie schluckte die Worte hinunter. In solchen Dingen war Aron einfach unbelehrbar. Er hatte so gute Charaktereigenschaften. Über Frauen wusste Aron leider gar nichts, was ihn um so anfälliger dafür machte. Manchmal war Sila sichtlich am Ende mit ihrem Latein. Auch wenn sie über alles mit ihrem besten Freund reden konnte, so blockte er bei solchen Dingen ständig ab. Selbst Sila schien gegen eine Mauer zu reden.

 

Aron beharrte darauf, an den Tänzen teil zu nehmen um, wie er sagte, einfach mit seinen Freunden tanzen zu können. Sila tat ihm den Gefallen und machte bei einigen Tänzen mit. Allerdings reizten alle Damen, mit denen sie es in diesem Raum zu tun hatte, Silas Nerven. Bevor sie sich über Dinge weiter aufregte, die sie im Grunde nichts angingen, beschloss Sila lieber den Saal zu verlassen. Sie verabschiedete sich und ließ Aron mit den pubertär wirkenden jungen Damen alleine.

 

Tage später traf Sila wieder auf Aron. Sie atmete erleichtert auf, als sie sah, dass er ohne seine weiblichen Anhängsel tanzen war. Sila genoss die Tänze mit ihm alleine. In einer Pause fragte sie Aron vorsichtig:

„Sag mal... Hast du denn nicht vielleicht doch überlegt, ob es Sinn macht eine Tanzpartnerin für dich zu wählen? Da gibt es sicher noch einige in deinem Freundeskreis, die keinen Partner haben?“ Sie sah seinen gequälten Gesichtsausdruck und beeilte sich zu erklären:

„Vielleicht hört dann dieses ganze Spektakel auf?“

„Und du hast endlich mehr Ruhe vor den kindischen Verehrerinnen“, fügte Sila in Gedanken hinzu. Aron lehnte sich zurück. „Ich weiß gar nicht was ihr alle habt! Ich komme gut alleine klar und möchte jetzt gar keine Tanzpartnerin haben. Es gibt so viele Dinge die ich gerne Tanze. Der Partnertanz ist nicht das Wichtigste für mich.“

„Das weiß ich doch, mein lieber Freund“, antwortete Sila. „So kann es aber auch nicht weiter gehen.“

Stumm setzten sie sich auf eine Bank. Aron wollte nicht über das Thema reden. Auch Silas Gedanken schweiften ab.

Den Blick in die Ferne gerichtet sagte Sila mehr zu sich selbst als zu Aron:

„Weißt du... Wenn ich nicht Chuckies Tanzpartnerin wäre, so wäre ich gerne deine.“

Abrupt drehte sich Aron zu ihr hin. Er musterte sie, bevor er fragte:

„Ich habe ihn schon lange nicht mehr zum Tanz angemeldet gesehen. Ist er wieder unterwegs?“

Sila schluckte schwer. Sie schaute Aron immer noch nicht an. Etwas schnürte ihr die Kehle zu.

„Nein! Er... ist noch gar nicht wiedergekommen.“ Sie hörte ihn scharf Luft holen. Aron griff ihr unter das Kinn und drehte Silas Gesicht in seine Richtung. Sie war nun gezwungen seinen Blick zu erwidern.

„Wie lange ist er schon weg? Fünf Monate? Sechs Monate?“

„Sieben!“, flüsterte Sila, „und ich habe schon länger nichts mehr von ihm gehört.“ Ihre Augen brannten. Sie hätte es Aron nicht sagen sollen. Sie hätte Chuckie überhaupt nicht erwähnen sollen. Zorn flackerte in seinen Augen auf.

 

„Sieben Monate? Da nennt er sich noch Tanzpartner? Auf mich wirkt er eher wie ein Phantompartner!“ Diese Seite von Aron war ihr neu. Sila kannte Aron als einen ruhigen und fröhlichen Tänzer. Noch bevor sie darauf eingehen konnte, sagte Aron ärgerlich: „Vielleicht hat er diese Tanzschule längst verlassen und du wartet hier auf deinen Tanzpartner der gar nicht mehr wiederkommt!“

„Nein! Niemals!“ Mit bleichem Gesicht sprang Sila auf. Aron war zu weit gegangen. Wusste er doch wie viel Chuckie ihr bedeutete.

„So etwas würde Chuckie nicht tun! Ich kenne ihn!“ Ihre Stimme zitterte. Mit einem lauten, ärgerlichen Seufzer erhob sich Aron von der Bank.

„Dann warte doch auf deinen tollen Phantompartner, wenn du dich nicht von ihm trennen kannst!“

Das war gemein! Wie konnte Aron so etwas Gemeines sagen?

„Aron! Ich könnte ihm nicht die Partnerschaft kündigen, selbst wenn ich es wollte.“ Ihre Stimme klang leise und traurig.

„Warum nicht?“ Aron hob verwirrt die Augenbrauen.

„Weil ich ihm ein Versprechen gegeben habe. Ich bin daran gebunden.“

„Ich möchte auch daran gebunden bleiben, egal wie lange es dauert“, dachte Sila im Stillen.

„Ich verstehe“, sagte Aron belegt. Ohne einen weiteren Blick ging er zum Ausgang. Dann blieb er stehen und drehte sich noch einmal. Die Blicke trafen sich. Sila sah aus, als wollte sie noch etwas sagen. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen:

„Wäre die Situation gewesen bevor ich seine Partnerin wurde, so wäre es jetzt etwas anderes.“

Er zog die Augenbrauen zusammen: „Wir kennen uns schon fast seit deinem Beginn auf dem Internat.“ „Das ist nicht richtig“, stellte Sila bestimmt klar. Sie lächelte immer noch und ihre Wangen bekamen Farbe. „Chuckie und ich waren schon Partner bevor er oder ich auf dieser Schule waren. Noch bevor wir ein Paar wurden. Wir haben uns im Ausland kennen gelernt und waren dort schon ein Team!“ Aron sagte nichts mehr, er nickte stumm und verließ den Raum.

 

**** *** ** *

 

Seit diesem Gespräch fühlte Sila sich unruhig. Sie wollte das Gespräch mit Aron vergessen. Wollte sich gar nicht mehr damit befassen. Es fand seinen Weg in ihre Gedanken zurück und nahm ihr die Ruhe. Immer wieder drangen seine Worte ihr noch einmal in voller Heftigkeit ins Gedächtnis:

„Dann warte doch auf deinen tollen Phantompartner wenn du dich nicht von ihm trennen kannst!“ Sila schüttelte ihren Kopf, als würde es helfen die Gedanken herauszuschütteln.

Es hatte geregnet. Erschöpft starrte Sila über den trüben Hof, der noch ganz feucht war. Ihre Gedanken passen so gut zu diesem Anblick.

Heute musste sie mit Aron reden! Schon alleine bei dem Gedanken daran, begann ihr Herz stärker zu schlagen. Sila atmete tief und langsam ein und aus, bemüht darum ruhiger zu werden. Was war nur los mit ihr? Tagelang konnte sie nicht mehr schlafen, wälzte sich unruhig hin und her. Beim Tanzen war sie unkonzentriert und wirkte fremd auf Phil und ihre Freunde. Sie zog sich von ihnen zurück. So konnte es nicht weiter gehen!

Tagelang hatte Sila damit verbracht zu überlegen wie sie ihrem Freund helfen konnte. Dabei nahm in ihrem Kopf ein Gedanke Gestalt an. Die Frage war: Wollte sie es wirklich wagen? Konnte sie es wagen? Die Fragen belasteten Sila, raubten ihr den so nötigen Schlaf und sogar den Appetit. Endlich entschied sie sich dafür, Aron eine Frage zu stellen. Erst dann wüsste sie, ob sie ihre Idee umsetzen konnte. Diese Frage würde ihr zeigen was sie tun würde.

Noch einmal blickte sie auf ihr Kommunikationsgerät, atmete tief ein und schrieb folgende Nachricht an Aron: „Hättest du Zeit mit mir zu tanzen?“

 

**** *** ** *

 

Aron stimmte zu und folgte Sila in den Tanzraum. Er hatte gute Laune an diesem frühen Abend. Beim Tanzen entging im nicht, dass Sila unaufmerksam war. Aron war ein besser Tänzer. Doch so viel besser, wie in den vergangenen Tänzen, war er normalerweise nicht. Besorgt sah er in ihre Richtung. Sie sah blass aus und sah beim Tanzen auf ihre Füße. So etwas wurde von den Lehrern regelmäßig gerügt. Nach einigen Liedern hatte Aron genug davon.

„So, jetzt reicht es aber!“ Er nahm Sila zur Seite. „Du hast doch was! Was ist los?“ Im Grunde wollte Sila gar nicht mit Aron tanzen. Sie wollte lieber mit ihm reden. Wollte die Frage stellen, dessen Antwort alles entscheiden würde. Als Aron ihr zusagte und mit ihr tanzen wolle, hatte sie dann doch der Mut verlassen. Da erschien ihr das Tanzen die bessere Wahl zu sein. Sie schaute sich um. Kein Mittänzer war mehr übrig. Als Tanzleiterin blockierte sie den Saal, damit keine weiteren Tänzer hinein konnten. Ihr Herz pochte hart gegen die Brust.

 

Sila verhielt sich heute eindeutig merkwürdig, stellte Aron fest.

„Sag mal... Kann ich dir eine Frage stellen?“, hörte er sie sagen.

„Natürlich!“ Aron war gespannt. Es war offensichtlich, dass Sila etwas beschäftigte. Sie wich seinem Blick aus. Lag es an dem, was er ihr letztens über Chuckie gesagt hatte?

Endlich hob Sila ihren Kopf und sah ihm direkt in die Augen. Sie fragte ruhig, aber mit fester Stimme: „Wenn du die Wahl hättest: Würdest du mich als Tanzparterin wählen?“

 

Darauf war Aron nicht vorbereitet. Ohne ein Wort zu sagen sah er sie an. Diese Stille fühle sich zu lange an. Als er zur Seite blickte, schaute sie ihn weiter fest an. Sila musste sehen was in ihm vorging, wenn er ihr antwortete.

Es dauerte ein paar Sekunden, in denen sich Aron sammelte. Sekunden, die sich wie Minuten anfühlten. Als sich ihre Augen wieder trafen, wurden Silas Knie weich. Diesen Gesichtsausdruck konnte sie nicht deuten. War Aron wütend? Er sah wütend und auch gleichzeitig traurig aus. Ihr sank der Mut.

„Ich riskiere hier gerade unsere Freundschaft“, dachte Sila. „Hätte ich doch den Mund gehalten! Ist es mir wirklich so viel wert ihm diese Frage gestellt zu haben? Die Frage, die alles verändern kann? Die sogar unsere Freundschaft zerstören kann?“

Während ihre Gedanken noch wirr im Kopf herumschwirrten, hörte sie Arons feste, volle Stimme: „Ja“, sagen. Dann schluckte er und redete weiter. Er schaute dabei überall hin, nur nicht in Silas Augen.

„Eine von Zwei oder Dreien.“

„Eine von Zwei oder Dreien?“

Es fühlte sich an, als hätte jemand Sila aus einem langen Schlaf wachgerüttelt. Bevor sie etwas erwidern konnte, fuhr Aron fort:

„Hättest du mich das vor einer Woche gefragt… Ich... hätte dich auf der Stelle, ohne zu überlegen, zu meiner Partnerin gemacht!“

Aron sah verlegen aus. Sila war nicht mehr in der Lage ihn weiter anzusehen. Sie drehte sich zur Seite und bemühte sich ihre Gedanken zu ordnen.

„Vor einer Woche? Was war denn vor einer Woche?“ In Gedanken ging sie die Erlebnisse mit Aron durch.

 

Nachdem Sila Aron vom langen Wegbleiben erzählt hatte, hielt sie sich von ihrem Freund fern. Er hatte Sila mit seiner Aussage schwer getroffen. Sie überlegte, ob es zwischen den Beiden vorher schon so eine Situation gegeben hatte. Fündig wurde Sila nicht. Aron und sie hatten sich bis zu dem Zeitpunkt noch nicht gestritten. Schnell wurde ihr klar, dass sie sich nicht lange von Aron fern halten konnte. Es fehlte etwas ohne ihn. Sie tanzte mit Aron und ein paar Freunden einige gemeinsame Runden, als ein Freund Aron um Hilfe rief. Er wollte mit einer Gruppe gegen einen computerkonfigurierten Tänzer antreten. Dafür war das Können Arons gefragt. Sila blieb mit einem Paar zurück. Sie tanzten einige Runden gemeinsam, bis das Paar den Partnertanz tanzen wollte.

Vor wenigen Monaten hätte sich Sila geweigert mitzutanzen und wäre sofort in den Zuschauerbereich gegangen. Dieses Zuschauen frustrierte noch mehr. Sie fragte sich, warum sie sich so konsequent weigerte mit anderen Tänzern gemeinsam zu tanzen. Wie lange sollte sie noch auf ihre Lieblingstänze verzichten, weil Chuckie nicht da war? So blieb Sila dieses Mal dabei und wartete darauf, dass ein weiterer Tänzer den Saal betrat, mit dem sie tanzen konnte. Zusammen mit den beiden anderen Tänzern warteten sie. Kein Tänzer fand sich zum Tanz.

Aron fiel Sila ein. Er müsste längst fertig mit der Herausforderung sein.

Sie schickte ihm eine kurze Nachricht: „Ich brauche einen Partner. Hast du nicht Lust mit mir zu tanzen?“ Die Antwort kam binnen wenigen Sekunden. Verwundert über die schnelle Reaktion, las sie: „Hast du dich etwa von Chuckie getrennt?“ Wie jetzt? Wie kam Aron auf diese Idee?

„Uhm... Nein. Ich bin hier mit zwei deiner Freunde im Tanzraum. Sie möchten den Partnertanz tanzen. Mir fehlt ein Partner. Niemand möchte tanzen.“

Stille. Sila wartete, aber die Antwort blieb aus. Ihre Laune sank. Sie begab sich in den Zuschauerbereich, damit wenigstens die beiden Tänzer anfangen konnten. Ein leises „Beep“ kündete Arons Antwort an: „Tut mir leid. Ich kann hier nicht weg!“

 

„Meinte Aron dieses Ereignis?“ fragte sich Sila. „Wie kam er überhaupt auf die Idee ich würde mich von Chuckie trennen wollen?“ Wieder einmal war es Aron, der Sila aus ihren Gedanken riss:

„Jetzt ist es kompliziert geworden! Letzte Woche hätte ich dich sofort gewählt. Aber jetzt...“ Er seufzte, nahm sich etwas Zeit seine Worte abzuwägen:

„Sarapu und noch eine andere Freundin würden sich sofort von ihren Partnern trennen um meine Partnerin zu werden“. Er erzählte ruhig und sachlich. Dabei merkte er nicht was seine Worte in Sila anrichteten. Sie kochte innerlich vor Wut, auch wenn sie sich nach außen hin beherrschen konnte.

„Sind ihnen ihre Partner so wenig wert, dass sie sich sofort von ihnen trennen möchten? Diese Freunde wollen doch nur mit Aron angeben! Doch halt!“ Sila hielt in ihren Gedanken inne. „Ich wollte Chuckie doch auch bitten mich von meinem Versprechen, auf ihn zu warten, zu befreien. Ich wollte mich auch von ihm lösen, um Arons Partnerin zu werden. Ich möchte Aron damit doch nur helfen.“ Es war als würde sie ein Streitgespräch mit sich selbst führen: „Chuckie kann kaum mit mir tanzen und Aron braucht dringend eine Partnerin. So müssen seine Verehrerinnen endlich Abstand halten.“ War es wirklich aus dem Grund? Wollte sie ihm wirklich nur als Freundin helfen, oder wollte sie seine Partnerin sein? Sila musste an Sarapu denken. Die Freundin, die Aron erwähnt hatte. Sila hatte sie auch schon kennengelernt. Flüchtig zwar, aber Sarapu war eine sehr gute Tänzerin mit ihrem Level 22 und zudem noch sehr nett. Sie gehörte nicht zu denen, die eifersüchtig auf Sila waren. Würde Aron nicht eine Partnerin verdienen, die einen höheren Tanzlevel besaß? Eine, die mehr Erfahrung hatte? Aron war bereits Level 28 und Sila lag 13 Level unter ihrem Freund. Aron brauchte keine Anfängerin wie Sila. Er brauchte eine Tänzerin, die seiner würdig war. Traurig musste Sila feststellen, dass sie nicht in der Lage war mit seinem außerordentlichen Talent und der Geschwindigkeit, mit der er einen Level nach dem anderen erreichte, Schritt zu halten.

 

Endlich erhellte ein Lächeln ihr Gesicht, als sie sich wieder Aron zuwandte. Sila wollte nicht zeigen, dass Aron sie aus der Fassung gebracht hatte. Auch hatte Silas Stolz einen Riss bekommen, als er sagte: „Eine von Zwei oder Dreien.“

Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Dachte sie, Aron würde sie auf Knien bitten seine Partnerin zu werden? Nein! Sila hatte sich etwas eingebildet.

„Sarapu ist eine ausgezeichnete Tänzerin“, sagte Sila mit fester Stimme. „Lieb ist sie auch. Etwas jung vielleicht, aber eindeutig eine gute Wahl. Ich an deiner Stelle würde mich für sie entscheiden.“ Aron schaute Sila gequält an:

„Ich möchte mich nicht entscheiden! Ich möchte niemandem weh tun. Ich brauche keine Partnerin!“

„Doch! Du brauchst eine. Du wirst mehr Herzen brechen, wenn du die Entscheidung noch länger hinausschiebst“, würde Sila so gerne darauf antworten, aber sie brachte kein Wort heraus. Aron sprach leise. Es klang fast wie ein Flüstern:

„Ich möchte dich nicht verlieren.“ Silas Wangen wurden warm. Aron sah so traurig aus. Sie litt mit ihrem Freund mit. „Du wirst mich niemals verlieren mein Freund!“

Sila sah wie die Augen Arons für kurze Zeit aufleuchteten. Danach verschwand der Ausdruck und eine Art ernste Traurigkeit ersetze diese.

„Selbst WENN ich mich entscheiden würde... Könntest du dich WIRKLICH von Chuckie trennen, Sila?“

 

Diese Frage traf Sila wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Ihr Gesicht verlor die Farbe. „Kannst du dich wirklich von Chuckie trennen, SILA?“ Arons Worte hallten in ihrem Kopf nach. Natürlich hatte sich Sila schon gefragt, ob sie es wirklich übers Herz bringen könnte. Könnte sie Chuckie bitten sie von der Tanzpartnerschaft zu lösen? Er liebte sie. Auch ihr Herz schlug nur für ihn. Doch Tanzpartner zu sein, ohne die Anwesenheit des anderen, war unvorteilhaft. Es schmerzte Sila zunehmend keinen Tanzpartner zu haben, mit dem sie täglich üben konnte.

Wobei dies nicht der Grund war, warum sich ihr Herz so schwer anfühlte.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass der Klang ihres Namens so weh tun konnte. Ihren Namen aus Arons Mund zu hören, kostete Sila alles, was sie an Beherrschung aufbringen konnte. Sein Blick brannte sich in ihr Unterbewusstsein ein. Sie musste sich auf die Lippen beißen um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Er sagte „Sila“ zu ihr. Seit sie Aron kennenlernte, seine Freundesanfrage akzeptierte und er zu ihrem besten Freund wurde, nannte er sie „Liebes“ oder sogar „Liebling“. Der Gebrauch ihres Namens tat weh. Noch mehr als der plötzliche Bruch der Partnerschaft mit EraChan.

 

Sila schluckte schwer. Sie nahm ihre innere Kraft zusammen.

„Vielleicht hast du Recht. Ich denke ich sollte jetzt besser gehen. Ich habe deine Zeit schon zu sehr beansprucht.“ Sie schaffte es den Satz zu beenden, ohne dabei mit der Stimme zu zittern. Am liebsten wäre sie aus dem Tanzsaal geflohen. Sie zwang sich langsam in Richtung Ausgang zu gehen. Nach wenigen Schritten blieb sie noch einmal stehen, drehte sich um und sagte ruhig: „Ich glaube dir, dass du keine Partnerin möchtest. Trotzdem möchte ich dir raten, dich so schnell wie möglich zu entscheiden. Pass auf dich auf.“

 

Endlich war Sila draußen. Gerade rechtzeitig. Eine verräterische Träne rollte ihre Wange hinunter.

„Ich möchte dich nicht verlieren...“, klang es erneut in ihrem Gedächtnis. Erschöpft von den Emotionen lehnte sie sich an eine Wand. „Ich sagte dir du wirst mich niemals verlieren mein lieber, kostbarer Freund aber...“, eine zweite Träne stahl sich die andere Wange hinunter, „aber... ich fürchte ich habe DICH bereits verloren. Was habe ich nur getan? Ich habe unsere Freundschaft zerstört!“ Sie sank auf den Boden und zog ihre Knie an die Brust heran. „Es wird immer schlimmer!“

 

Ende Kapitel 6

~ Eine Antwort die alles verändert ~

~ Auf und Ab der Gefühle ~

Je mehr Tage zwischen der Aussprache von Sila und Aron lagen, um so stärker dachte Sila über seine letzte Frage nach: „Kannst du dich wirklich von Chuckie trennen?“

Diese Frage verfolgte Sila und verdrängte sogar den quälenden Gedanken Aron vielleicht für immer verloren zu haben.
 

Eines späten Abends, als Sila nicht in der Lage war zur Ruhe zu kommen, ging sie in die Tanzhallen - welche um diese Uhrzeit recht übersichtlich waren - und tanzte mit fremden Tänzern, denn um diese Uhrzeit war keiner ihrer Freunde in den Tanzhallen beschäftigt.

Silas Schritte und Kombinationen wurden wie mechanisch geführt und selbst die bekannten Lieder klangen wie aus weiter Ferne.

Sie war erschöpft von den Gedanken, der Ereignisse und der Einsamkeit der letzten Wochen, konnte aber nicht schlafen und suchte ihre Gedanken wenigstens beim Tanzen frei zu bekommen ...
 

Doch plötzlich gelang eine vertraute Melodie an ihr Ohr; Erst dumpf und leise wie alle Lieder zuvor, doch diese Melodie drang immer stärker an Sila heran, bis sie - wie aus einem Traum erwacht – feststellte dass sie sich mit 4 weiteren Tänzern auf der Tanzfläche befand und der Beginn eines der Lieblingslieder von Chuckie und ihr angespielt wurde.

„One step“ flüsterte Sila und ein leichtes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. „Wie oft haben Chuckie und ich dazu als Partner getanzt?!“ Als die Tänzer begannen zu dem Lied zu tanzen, wurde Sila von Erinnerungen erfüllt, die sie all die letzten Monate tief in ihrem Herzen weggeschlossen zu haben schien.

Wärme erfüllte ihr Herz als diese Erinnerungen plötzlich so real erschienen und ihr die schönen Momente der Zweisamkeit vor Augen stellten. Nach all den langen Monaten in denen sie sich so einsam gefühlt hatte - trotz lieber Freunde -, drang endlich wieder die tiefe Liebe, die Silas Herz für Chuckie empfand, an die Oberfläche. Ohne es zu merken hatte sie diese Liebe verdrängt, ja sogar daran gezweifelt dass Chuckie die Liebe, die aus seinen Augen sprach, auch fühlte. Doch dieses eine Lied belebte von einem Augenblick auf den anderen Silas dunkle Gedanken und verdrängte die Zweifel und Sorgen.

Nun erkannte sie auch den Grund ihrer Unruhe in Bezug auf die Gedanken für eine mögliche Partnerschaft mit Aron.

Sila wollte ihrem Freund tatsächlich nur helfen, doch der Preis dafür war einfach zu hoch für sie. Wäre Aron auf Sila angewiesen und hätte sie darum gebeten, so könnte sie diesen Preis für ihn zahlen, doch Aron hatte andere Freunde, auf die er sich verlassen konnte und die ihm auch sicherlich besser helfen konnten als Sila selbst.
 

Es war als wäre eine schwere Last von den Schultern der jungen Tänzerin, die so bedrückt beim Tanzen wirkte, abgefallen, denn niemandem der 4 Tänzer entging die völlige Veränderung dieser Tänzerin, die nach wenigen Tanzschritten die Führung des Tanzes übernahm.

Endlich konnte Sila ihre schweren Gedanken ablegen und tief durchatmen.

Natürlich war die Sorge um Chuckie noch vorhanden und quälte an ihrer Geduld. Auch die Einsamkeit war ständig präsent, doch Sila merkte dass sie sich schon zu lange gestattet hatte ihre Freude am Tanzen und an den Freunden abstumpfen zu lassen.

Selbst wenn Chuckie bald wiederkommen würde, Sila war sich sicher dass er nach einer Zeit wieder wegfahren musste und sie wieder auf sich selbst gestellt werden würde.

Sie musste endlich aufhören sich zurückzuziehen und ihre Gedanken mit Chuckie oder Aron oder sonstigen Tänzern zu erschöpfen.

Der Preis, sich von Chuckie als Tanzpartner zu trennen, war Sila zu hoch, denn sie wollte – solange noch die Chance bestand dass Chuckie auf der Schule weiter tanzen würde – seine Partnerin sein; Niemand anderem konnte und wollte sie so viel Vertrauen schenken das nötig war, damit er zu ihrem Tanzpartner werden konnte.
 

Während Sila zu dem Song - an dem so viele Erinnerungen hingen – tanzte, bemerkte sie dass sie kein festes Ziel mehr hatte. Tag für Tag grübelte sie über Chuckie oder – wie in den letzten Wochen – über Aron nach, was man kaum als Ziel betrachten konnte. Sie brauchte ein neues Ziel, ein Ziel das entweder ihr tänzerisches Können oder ihren ganzen Einsatz fordern würde.
 

Nun schweiften ihre Gedanken zu ihrer liebsten „kleinen Schwester – Imôto“ ab, wie sie ihre beste Freundin Phil zu nennen pflegte.

Sila wusste dass Phil ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie Sila unangenehme Fragen zu Chuckie oder auch zu Aron gestellt hatte, doch – so unangenehm die Fragen für Sila auch waren – sie empfand dadurch nur noch tieferes Vertrauen zu Phil. Denn alle Fragen zeigten eine ehrliche Anteilnahme von Phil Sila gegenüber und eine echte Sorge über ihr Wohlbefinden.

Seit der Sache mit Aron hatte Phil kein einziges Wort mehr darüber verloren, denn sie erkannte dass Sila nicht darüber reden wollte. „Irgendwann, wenn sie so weit ist, wird sie schon darüber sprechen“, dachte Phil und bemühte sich einfach nur eine Stütze für Sila zu sein, was Sila spürte und dankbar an nahm.
 

Doch nicht nur Phil, sondern auch andere liebe Freunde von Sila machten sich Sorgen um sie, besonders weil sie sich – gerade in den letzten Wochen – immer weiter zurückzog.

„Wie dumm war ich, ihnen so wenig Vertrauen und Freundschaft zu schenken!“, dachte Sila während die Anfangsmusik des nächsten Liedes anklang.

„Ich war so egoistisch und habe mich immer weiter von ihnen entfernt ... Das muss sich ändern!“, dachte sie mit einem neuen Feuer in ihren Augen, „Ich muss mich wieder um meine Freunde kümmern!“

Nun strahlte Sila voller Freude, denn sie hatte endlich etwas gefunden was sie ausfüllen konnte.

Sie hatte sehr viele Freunde die ihr lieb und teuer waren, doch für die sie sich wenig, bis kaum noch Zeit genommen hatte.

„Ja!“ Jubelte Sila im Stillen, „Ich möchte mich nicht mehr nur um mich selber drehen, sondern für andere da sein, mir für meine Freunde Zeit nehmen!“

Es war ein Ziel für das es sich lohnte zu Kämpfen und die Zeit dafür zu investieren!
 

Doch trotz neuer Ziele lag ein Schatten über der jungen Tänzerin, die nun auf dem Weg zu den Wohnräumen war, denn die Sache mit Arons Partnerwahl war immer noch nicht geklärt.

Oder doch?

Sila war sich nun sicher dass sie es nicht übers Herz bringen konnte sich von der Tanzpartnerschaft mit Chuckie – Aron zu liebe – zu lösen. Aron musste wissen dass Sila für seine „Wahl“ nicht mehr zur Verfügung stand, denn er hatte Recht als er sie fragte: „Kannst du dich WIRKLICH von Chuckie trennen?“

Sila konnte und wollte es Aron nicht selber sagen, denn der Verlust der unbekümmerten Freundschaft zu ihm – wie Sila glaubte – war noch zu frisch. Sie weigerte sich dieses Thema noch einmal anzuschlagen - geschweige denn noch einmal vor Aron - denn seit diesem Tag hielt sich Sila beim Tanzen wieder fern von ihrem Freund.

Wie konnte sie nun Aron mitteilen dass er nicht mit Sila rechnen konnte ohne dieses Thema noch einmal zu erwähnen?
 

Lange sann Sila darüber nach und kurz bevor sie einschlief kam ihr endlich die Idee;

Auf den Tanzschulen konnte man sich unterschiedliche Bonis gegen Geld kaufen; Es war ähnlich wie eine Mitgliedschaft eines Vereins, nur dass ein einmaliger Beitrag für einen gewissen Zeitraum gezahlt wurde und ausreichte, bis der Zeitraum ablief und man sich entscheiden konnte diesen Bonus wieder neu zu kaufen oder es sein zu lassen.

Sila besaß solch einen Bonus, mit dem sie sich - unter anderem auch - einen Titel geben konnte. Bisher hatte sie diesen Vorzug nicht genutzt doch nun konnte sie es für ihre Botschaft für Aron benutzen, denn der Titel stand gleich neben dem Namen (wenn man einen wählen konnte) auf der Freundesliste und in den allgemeinen Informationen und jeder Freund konnte diesen sofort sehen, egal ob Sila zum Tanz angemeldet war oder nicht.

Dies war die perfekte Lösung, dachte sich Sila und beschloss ihren Titel gleich am nächsten Morgen in „Chuckies girl“ einzustellen.

Sie kannte Aron genau!

Es würde schon sofort auffallen dass Sila sich einen Titel gewählt hatte, aber wenn er „Chuckies girl“ lesen würde, bestünde kein Irrtum mehr welche Antwort sie ihrem Freund auf seine letzte Frage geben würde.

Nun endlich forderte die Müdigkeit ihren Tribut und Sila konnte friedlich einschlafen, um somit den Heilungsprozess für die schlaflosen Nächte der letzten Wochen einzuleiten...
 

**** *** ** *
 

Es stellte sich heraus dass Silas Überlegungen richtig waren, denn Aron sprach das Thema „Partnerin“ nie wieder vor ihr an, auch wenn sie langsam wieder ab und zu mit ihm tanzte. Für Sila war das Thema gegessen und auch der Zwischenfall mit Aron. Es war als hätte sie die Ereignisse der letzten Wochen in einen Tiefen Abgrund geschoben, der von einer harten Steindecke bedeckt wurde.

Da Aron auch nicht erfahren sollte dass er einen wunden Punkt von Sila getroffen hatte, bemühte sie sich im Verhalten ihm gegenüber keine Veränderung zeigen zu lassen, was auch eine Zeit lang gut ging ... bis Sila in ihrer Freundesliste bei Aron unter der Rubrik: „Tanzpartnerin“ den Namen Loof lesen konnte.
 

**** *** ** *
 

„Ähm Neechan?!“ begann Phil vorsichtig während eines Tanzes. „Ich weiß gar nicht ob ich es dir sagen soll...“ Verwundert blickte Sila zu ihrer Freundin „Warum solltest du nicht?! Sag ruhig was dich beschäftigt, Imôto!“

Eigentlich wollte Phil es gar nicht ansprechen; Sila war lange Zeit so blass und in sich gekehrt, aber seit guten 3 Wochen schien sie wie verändert zu sein ... Doch Phil wusste dass zwischen Sila und Aron etwas vorgefallen sein musste, denn nur so ließe sich ihr Verhalten ihm gegenüber erklären. Phil merkte auch dass sich Sila zwar wieder mehr öffnete und viel mehr Zeit mit ihren Freunden verbrachte, doch für ihre beste Freundin war es nicht zu übersehen dass Sila sich von Aron sehr stark zurückzog.

„Imôto? Was möchtest du sagen?“ unterbrach Sila Phil aus den Gedanken und lächelte sie an, doch Phil fühlte sich nicht besonders gestärkt dadurch als sie leise sagte: „Aron hat eine Tanzpartnerin ...“

Für einen kurzen Moment stockte Sila während des Tanzes, doch sie kam gleich wieder in die Moves rein, lächelte und tat als wäre es ihr vollkommen gleichgültig: „Ich weiß ... Schon länger.“

Sie tanzten weiter aber Silas kurze Antwort beunruhigte Phil.

„Arme Neechan...“ flüsterte sie, doch Sila hörte es und blickte Phil verwundert an; wusste ihre Freundin DOCH mehr als sie zugab?

„Wieso arm? Ich freue mich dass Aron endlich eine neue Partnerin hat!“

Phil seufzte und blickte sie traurig an „Er hat keine Zeit mehr für dich und tanzt ständig nur mit seiner Partnerin. Als würde er alles um sich herum vergessen haben, besonders dich, Neechan...“

Sila verstummte und war froh dass sie und Phil eine kleine Pause einlegten.

„Vielleicht ist Loof nicht der einzige Grund warum er mich meidet“, dachte Sila traurig während sie neben Phil Platz nahm.

„Ich sehe doch dass du traurig bist ... Entschuldige bitte, ich hätte nichts sagen sollen!“, fuhr Phil fort, doch Sila schüttelte den Kopf und fragte: „Woher weißt du eigentlich so viel von Aron?“

„Ich habe ihn zufällig getroffen und auch kurz mit ihm getanzt, da habe ich es gesehen“, entgegnete Phil „Hast du Loof schon kennen gelernt, Neechan?“

Sila schüttelte den Kopf. „Nein ... Ich habe auch den Namen noch nie gehört ...“ Sie stockte, blickte schüchtern zu Phil und sagte etwas leiser: „Um ehrlich zu sein traue ich mich auch nicht Arons Partnerin kennen zu lernen.“

Als würde sie die Frage – die Phil auf der Zunge lag – erahnen, sprach Sila weiter: „Ich weiß auch nicht warum ...“ Unsicher stand Sila auf und machte einige Schritte zu einem der großen Fenster des Tanzsaales.

„Ich habe mich vor einigen Wochen in eine ziemlich blöde Sache eingemischt und fürchte ...“ Sie hielt inne und warf Phil einen flüchtigen Seitenblick zu. Bemüht ihre Gedanken und Gefühle zu ordnen blickte Sila wieder aus dem Fenster als sie traurig sagte: „Ich habe Angst ihn zu verlieren, Imôto! ...“ Sie musste sich auf die Unterlippe beißen und holte tief Luft um die Tränen, die sich in ihren Augen stauen wollten zurückzudrängen.

„Sag doch nicht so etwas, Neechan!“ rief Phil, sprang auch auf und lief zu ihrer Freundin um sie in den Arm zu nehmen. Auch wenn Phil nichts mehr sagen konnte tat Sila der Trost der Umarmung gut.

Sila seufzte: „Aber vielleicht wird es mit der Zeit wieder etwas besser ...“ und stellte erstaunt fest dass sie es optimistischer ausgedrückt hatte als sie selber empfand.

Phil seufzte nun auch als sie traurig sagte: „Gerade jetzt wo ich wieder zur Uni muss!“ Erstaunt blickte Sila zu ihrer Freundin. „Zur Uni??? Oh das habe ich ganz vergessen ... Morgen schon?“ Phil nickte „Ich werde leider unregelmäßiger tanzen können weil ich lernen muss ...“

Nun schien es dass Sila ihre trübe Stimmung vergessen hatte, denn ihr Gesicht begann zu strahlen, durch das Lächeln das sie Phil schenkte: „Es macht doch nichts! Du bist so fleißig und so diszipliniert! Ich bin so stolz auf dich !!! Das Tanzen kann warten, dein Studium ist viel wichtiger!“
 

Ja und WIE stolz Sila auf ihre Phil war, konnte sie noch nicht einmal in Worte fassen. Phil liebte zwar – wie Sila – das Tanzen und verdiente damit auch ihr Geld, aber sie gebrauchte es für das Studium. Phils größter Traum war es Übersetzerin zu werden und sie besaß neben der Liebe zu Fremdsprachen auch ein unglaubliches Talent dafür. Sie beherrschte die internationale Sprache der Schule sehr gut und konnte auch Silas Muttersprache so fließend sprechen, dass Sila oft vergaß dass Phil eigentlich aus einem anderen Land kam. Auch andere Sprachen konnte Phil bereits und es machte ihr sogar Freude Sila etwas in japanisch zu unterrichten, was diese voller Begeisterung annahm.

Daher musste Phil auch häufiger zur Universität zurück, was jedoch nicht so schlimm war wie bei Chuckie, denn das Universitätsinternat – das Phil besuchte – lag nur wenige Straßen von „Audition“ entfernt und lag direkt hinter einer wundervoll angelegten Parkanlage, welche die beiden Freundinnen sehr gerne für ausgedehnte Spaziergänge in ihrer freien Zeit nutzten.
 

„Ach Neechan! Ich werde dich so sehr vermissen!“ klagte Phil mit schmollenden Lippen und entlockte so ihrer „großen Schwester“ ein herzliches Lachen.

„Wir werden uns bald wiedersehen“, sagte Sila daraufhin lächelnd und nahm Phil in den Arm „Sieh nur zu dass du fleißig lernst“, dann ging sie einen Schritt rückwärts, zwinkerte und sagte: „Und wenn du eine Pause brauchst, komm einfach herüber, oder rufe mich!“ Phil lächelte nun auch wieder und rief: „Ich werde Neechan nicht enttäuschen und werde kämpfen! Du gibst mir Kraft!!!“

Röte stieg Sila – wie bei jedem Kompliment – in die Wangen und sie sagte beim Hinausgehen aus dem Tanzsaal: „Ich werde an dich denken!“
 

Dies waren die Momente, die Sila am meisten schätzte und liebte; Momente in denen sie einfach die Gemeinschaft ihrer engsten Freunde genießen konnte, bei denen die Sorgen und trüben Gedanken verflogen.
 

**** *** ** *
 

Recht gut gelaunt zog Sila ihre Tanzkarte in der Eingangshalle der Tanzsäle durch um sich anzumelden. Es war früh am Morgen, denn sie genoss diese Zeit am Liebsten, weil die Tanzräume dann nicht so überfüllt waren (wenn man es „überfüllt“ auf der kleineren Schule nennen konnte). Auch wenn zu der Zeit selten Freunde angemeldet waren, schaute sie aus Gewohnheit nach ob und wer von ihren Freunden doch anwesend war. Als sie Arons Namen unter „Anwesend“ las, musste sie schmunzeln. Er schien fast ständig nur zu tanzen.

Sie schrieb ihm schnell eine Begrüßungsnachricht, wie an jedem Tag. Selbst wenn sie sich von ihrem Freund zurück zog, tat sie es, denn Aron bedeutete Sila viel und egal wie er sich ihr gegenüber auch verhalten würde, nichts würde Sila dazu bringen ihm auch zu zeigen dass SIE immer für ihn da sein wollte und würde!

Aron antwortete – auch wie immer – mit eben so einer „Begrüßungsnachricht“ und Sila wollte gerade lächelnd das Kommunikationsgerät wieder in die Tasche zurücklegen als sie noch einen Namen unter „Anwesend“ bemerkte;

Beim Lesen des Namens starrte sie ungläubig auf die Anwesenheitsliste.

„Das kann doch nicht ...“ Ohne den Gedanken zu beenden landete Silas Kommunikationsgerät in ihrer Tasche und die junge Tänzerin sprintete mit klopfendem Herzen in Richtung der Tanzsäle.
 

Sie brauchte nicht lange um den Raum, der neben dem Namen stand, zu finden und musste auch nicht lange warten bis der Raum – in dem vorher noch getanzt wurde – zum Eintritt freigegeben wurde.

Doch Sila konnte nur in den Zuschauerbereich gelangen, da im Raum schon die maximale Anzahl der Tänzer erreicht war, und blickte in aller Eile zu den Tänzern.
 

Da stand er!

Auch wenn er am weitesten von Sila entfernt stand, es bestand kein Zweifel dass es Chuckie war.

Silas Gesicht glühte, doch gerade als sie ihn rufen wollte, stürmte Chuckie ohne ein einziges Wort aus dem Saal. „Chuckie!!!“, rief Sila so laut dass alle übrigen Tänzer erstaunt zu ihr aufblickten, was ihre Röte nur noch verstärkte. Verlegen verbeugte sich Sila, murmelte eine Entschuldigung und verließ ebenfalls den Saal.
 

**** *** ** *
 

Atemlos erreichte Sila die große und wunderschön eingerichtete Lobby - in der sich mal mehr mal weniger Tänzer aufhielten – und sah Chuckie sofort, der sich hastig umblickte als würde er jemanden suchen. Er sah Sila nicht, denn sie stand in einigem Abstand entfernt hinter ihm.

Gerade wollte sie auf ihn zustürmen, da drehte er sich um und sah ihr mit einem Blick direkt in die Augen.

Silas Herz schlug noch schneller - als ohnehin schon nach dem Sprint - doch sie fühlte sich wie gelähmt, wie erstarrt und war, für einen kurzen Augenblick, nicht in der Lage etwas zu denken, zu sagen oder sich gar zu bewegen.
 

So oft hatte sie Worte zurechtgelegt, die sie Chuckie sagen wollte wenn sie ihn wieder sah; Worte der Liebe, aber auch Worte der Trauer und Anklage, doch nun – als sie endlich nach all den langen Monaten des Wartens und der Einsamkeit vor ihm stand – war ihr Gedächtnis wie ausgelöscht, die Worte vollständig vergessen.

Sila wollte zu ihm, aber aus irgendeinem Grund brachte sie es nicht fertig auch nur einen Schritt auf ihn zu zugehen. Sie stand nur da, ihre Hände vor der Brust zusammengepresst, mit glühendem Gesicht und trübem Blick, da sie nicht mehr in der Lage war die Tränen zurückzuhalten.
 

Als Chuckie sich umwandte sah er die junge Frau, wegen der er so eilig den Saal verlassen hatte – in dem er vorher tanzte – bis sein Kommunikationsgerät ihren Namen unter „Anwesend“ zeigte. Eben DIESE junge Frau, der sein Herz gehörte und die jetzt am anderen Ende der Lobby wie erstarrt und mit Tränen in den Augen stand.

„Sila!“ rief er aus und lief zu ihr um gleich darauf von ihren Armen umschlungen zu werden.

Ohne ein weiteres Wort sagen zu können, hielt Chuckie seine schluchzende Freundin und Partnerin fest im Arm. Es tat ihm im Herzen weh der Grund für ihre Tränen zu sein und als das Beben von Silas Schultern nachließ flüsterte er voller Reue: „Es tut mir schrecklich Leid, mein Mädchen...“
 

Sila bemühte sich ein Wort zu sagen, aber die Tränen wollten nicht mehr aufhören zu fließen und benetzten schon das Tanzhemd von Chuckie. Tiefe Scham überkam Sila als Chuckie ihr seine Entschuldigung flüsterte, denn es löste die Erinnerung an das Chaos ihrer Gefühle der letzten Wochen, ja sogar Monate, aus. Sila hatte sogar an eine Trennung der Tanzpartnerschaft gedacht ... Es war ein Mix aus Freudentränen und Tränen der Scham.

„Ach wärst du doch nur eher gekommen...“, dachte Sila traurig aber sogleich ärgerte sie sich über diesen egoistischen Gedanken, denn Chuckie nahm den ganzen Weg nur auf um wieder bei ihr zu sein und die Reue sprach aus seinen Augen.

Sila spürte seine Wärme und würde diesen kostbaren Augenblick am liebsten für immer anhalten können...
 

Ende Kapitel 7

~ Auf und Ab der Gefühle ~

~ Aussprache ~

Die Tage vergingen wie im Fluge und Sila verbrachte fast die gesamte Zeit mit Chuckie. Sah man beide nicht in den Tanzhallen, so waren sie meist im Park spazieren. Beide hatten sich so viel zu erzählen, besonders Chuckie, denn bei ihm hatte sich vieles auf der Arbeit verändert. Leider war die Veränderung nicht gerade zum Positiven, was auch der Grund für sein langes Wegbleiben war.
 

Es war als wäre mit Chuckie zusammen DER Teil von Sila weider da, der fröhlich und unbekümmert den Tag genießen konnte. Sila war wie verändert, ähnlich wie aus einem tiefen Schlummer erwacht und endlich ganz die Alte. Alleine die Anwesenheit des Mannes, den sie so sehr liebte ließ Sila alle Sorgen vergessen ...

Bis eines schönen Tages ein junger Man im Tanzsaal erschien, in dem Sila, Chuckie und andere Tänzer tanzten.

Sila war Spieleführerin und achtete gar nicht auf den Wechsel zweier Tänzer, aber als eine bekannte Stimme „Ey Sila!“ rief, schaute sie verwundert auf und fragte sich ob sie den Tänzer kennen würde, doch es wollte ihr nicht einfallen.

Der Neuzugang bemerkte mit einem breiten Grinsen: „Ah! Ich sehe schon! Du erkennst mich nicht wieder?!“ worauf Sila ehrlich antwortete: „Das stimmt leider ... Woher kennen Sie denn meinen Namen?“

Jetzt zog der Tänzer seine Kappe vom Kopf und zeigte sein typisches keckes Grinsen.
 

„EraChan???“, rief Sila nun aus und riss die Augen voller Verwunderung auf. EraChan grinste immer noch und sagte: „So ist es! Hast mich wirklich kaum erkannt? ... Also wirklich ...!“

Nun, die Schuld lag nicht bei Sila, denn DER EraChan, der nun vor ihr stand benahm sich zwar so wie EraChan, sah aber völlig anders aus mit seinem vollkommen anderen Kleidungs- und Haarstil.
 

Nach dem kurzen Schock über das Wiedersehen mit EraChan stellte Sila noch schnell Chuckie und EraChan vor, bevor der nächste Tanz begann.

Während der Pausen erfuhr Sila dass EraChan tatsächlich mit seiner früheren Partnerin gebrochen hatte und empfand tiefstes Mitgefühl für Alissa. Sila erinnerte sich noch gut daran wie zerbrechlich diese junge Tänzerin (die Sila optisch nahezu erschreckend ähnlich sah) war.

So schnell EraChan gekommen war, so schnell war er auch wieder verschwunden.

Chuckie hielt sich beim Tanzen und im Gespräch dezent zurück. Er schien EraChan für einen einfachen Freund von Sila zu halten, doch mit EraChan verließen auch alle anderen Tänzer nach und nach den Saal.

Eine Stille entstand zwischen dem Paar, was nun alleine geblieben war.
 

Lange hatte Sila überlegt ob sie Chuckie von EraChan erzählen sollte oder nicht, aber alleine die Tatsache dass dieser Gedanke sie bedrückte war nun Grund genug dass es Zeit war diese Last endlich loszuwerden.
 

Sila holte tief Luft als sie sagte: „Ich muss dir etwas erzählen!“

Verwundert über den ernsten Blick trat Chuckie näher zu seiner Partnerin.

„EraChan war mein ...“ Silas Gesicht glühte wieder einmal und sie ärgerte sich sehr über diesen angeborenen „Verräter“.

Schüchtern blickte sie zu Chuckie, ging aber zu erst zur Saaltür und verschloss diese, damit niemand der Tänzer sie stören konnte.

Es musste endlich gesagt werden, beschloss Sila und sagte: „Er war mein 1. Tanzpartner...“
 

„Dein 1. Tanzpartner?!“ Wow!“ rief Chuckie verwundert aus „Dann kennt ihr euch schon lange?“

Jetzt begriff Sila dass Chuckie sie nicht richtig verstanden hatte.

„Nein...“ sagte sie schnell: „Er war HIER mein 1. Partner“.

Nun stockte Chuckie. „Du hattest hier schon einen Tanzpartner?“

Er grübelte, doch dann sagte er mit Mitgefühl und zu Silas Überraschung: „Dann hast du ihn wegen mir...?“

Weiter kam er nicht, denn Sila unterbrach ihn schnell: „Nicht ICH habe ihn verlassen, sondern er mich. Diese Alissa, von der wir gesprochen haben, war der Grund warum er mir die Partnerschaft kündigte ... Es war noch bevor du hier hin gekommen bist.“

„Das tut mir aber Leid, Sila ... Lässt er dich einfach stehen!!!“

„Ach!“ bemerkte sie schnell „Das ist schon lange her ... Ich habe es überlebt. Außerdem war er ein sehr schlechter Partner!“

„So? Mir schien er konnte gut tanzen!?“ fragte Chuckie verwundert, doch Sila schüttelte den Kopf: „Als Tänzer war er sehr gut, besser als ich, aber als mein Partner war er schlecht!“

Sie streckte sich und lächelte: „Ich bin froh dass er mich verlassen hat! So blieb mir einiges erspart! Außerdem ...“ schüchtern lächelnd blickte sie zu Chuckie auf „...habe ich ja dich, mein Chuckie!“

Chuckie lächelte herzlich und fügte nachdenklich hinzu: „Du erlebst hier so viel ... Ich verpasse fast alles ...“
 

Scheu wartete Sila bis Chuckie sie wieder anschaute und fragte reuevoll: „Dann bist du mir nicht böse?“

„Böse? Wegen EraChan? Aber ich habe keinen Grund dafür!“ sagte Chuckie bestimmt und ergriff Silas Hand: „Ich wünschte nur ich wäre schon eher gekommen! Dann hätte er dir nicht weh tun können...“

Sile senkte verlegen den Kopf: „Ich habe jeden Tag an dich gedacht, besonders wenn ich zu 'unseren' Liedern getanzt habe...“

Liebevoll hob Chuckie ihren Kopf an und küsste sie zärtlich. „Und ich an dich!“

Dann lächelte er herzlich und rief fröhlich: „So! Welches Lied wolltest du mir von den Neuen vorspielen?“
 

Lächelnd wählte Sila eines ihrer neuen Lieblingslieder: „Can't forget“ und das Paar tanzte zu zweit dazu.

„Schön“ lächelte Chuckie und schaute voll Liebe zu seiner Partnerin, während er am Ende des Liedes einen Teil des Textes nachsagte: „Everyday...“

Sila hörte es, schmiegte sich an seinen Arm und flüsterte: „Und ich werde auch weiterhin an dich denken ... Jeden Tag!“

Chuckie nahm sie in den Arm: „Du bist die EINZIGE für mich, Sila!“

Gerührt gab sie zurück: „Du bist auch der Beste und Einzige für mich! Auch als Tanzpartner!!!“
 

An Stelle eines Lächelns löste Chuckie unerwartet die Umarmung und blickte einen kurzen Moment ernst zur Seite. Doch dann schaute er Sila wieder an, die seinen Blick fragend erwiderte, und lächelte etwas müde.

„Lass uns tanzen...“
 

Verwundert über diese Reaktion wollte sie gerade das nächste Lied starten, als Chuckie plötzlich anzeigte dass er DOCH nicht bereit zum Tanz sei und stattdessen völlig unerwartet aber mit ernstem Blickkontakt zu Sila sagte: „Ich habe Aron getroffen!“

Bei diesem Satz und dem durchdringenden Blick schien Silas Herz kurzzeitig auszusetzen, denn sie verlor schlagartig alle Farbe aus dem Gesicht.

„Was hat er dir gesagt?“ Silas Frage war mehr ein Flüstern.

„Er ... hat gesagt ich wäre es nicht wert dein Partner zu sein ... und ignorierte mich vollständig!“

Schockiert starrte Sila Chuckie an, doch plötzlich wurde sie zornig. Zornig darauf dass diese Geschichte sie immer wieder verfolgte und dass Chuckie es auf diese Weise erfuhr ... Doch Aron sollte Chuckie vollständig ignoriert haben? Das passte aber nicht zu ihm!

Sila wollte Chuckie noch mehr fragen, aber der Mut verließ sie. Sie entschloss sie jedoch dennoch Chuckie endlich ALLES zu erzählen.
 

„Es ... ist eine schlechte Geschichte...“ sagte sie leise aber mit langsam wiederkehrenden Gesichtsfarbe „Eine SEHR schlechte Geschichte...“

„Ich habe Zeit...“ war die einzige Antwort darauf und so begann Sila mit schwerem Herzen Chuckie von Aron und seiner Partnerlosigkeit zu erzählen. Sie erzählte von den Gesprächen und ihr Herz wurde immer schwerer bei dem Gedanken sie würde Chuckie durch ihr Verhalten verletzen.

Beschämt wagte Sila nicht den Blick ihres Freundes zu suchen, aus Angst seine Gefühle in seinen Augen zu erkennen.
 

Wortlos hörte Chuckie ihr zu und Sila merkte gar nicht dass er zwischenzeitig zum Fenster schritt und dann, als Sila gerade zu ende gesprochen hatte, hinter ihr stand. Sie bemerkte nur zwei starke Arme, die sie unvorbereitet von hinten umarmten und Chuckies Kopf, der auf ihrer Schulter ruhte als er mit reuevoller leiser Stimme sagte: „Nein Sila! ICH muss mich bei dir entschuldigen ... Ich habe dich so lange warten lassen ... Es tut mir so sehr Leid...!“

Sila schüttelte den Kopf: „Bitte!!! Du sollst dich nicht entschuldigen!“

Nun schossen ihr Tränen in die Augen, denn Sila konnte es noch nie ertragen wenn sie einen Fehler begann, wofür sich andere jedoch meinten entschuldigen zu müssen.

„Ich habe ihn nicht verdient...“ dachte Sila bitter, aber Chuckie drehte sie um und nahm sie in den Arm.
 

Sila wünschte sich dieser Moment würde kein Ende nehmen, doch langsam löste Chuckie seinen festen Griff und die Umarmung, trat einen Schritt zurück und sagte ernst:

„Ich kann dich wirklich verstehen, mein Mädchen, wenn du lieber einen anderen Tanzpartner haben möchtest... Ich kann so selten mit dir tanzen...“ nun senkte er den Blick „...und wahrscheinlich wird es immer schwerer werden...“

Ungeachtet seiner letzten Worte rief Sila schon fast verzweifelt: „NEIN!“

Chuckie hob traurig den Kopf, als hätte er diese Reaktion vorhersehen können und versuchte noch einmal: „Aber Sila! Ich komme nur noch so selten zum Tanzen. Ich wäre dir wirklich nicht böse, wenn...“

„Nein!!!“ unterbrach sie ihn und klammerte sich fest an seinen Arm „Ich möchte keinen anderen außer dir!!! Egal wie lange ich warten muss!!!“

„Verstehst du denn nicht, mein Lieber? Ich möchte nur DICH zum Partner! Selbst wenn es bedeuten sollte dass du zu einem Phantompartner wirst!!!“ würde sie ihm so gerne sagen, doch der Kloß in ihrem Hals lies kein Wort heraus.

Chuckie küsste sie liebevoll auf die Wange, lächelte müde und sprach: „Es ist deine Entscheidung!“
 

**** *** **
 

Die Aussprache tat Sila sehr gut. Es war eine sehr große Erleichterung und sie bemerkte dass dadurch auch die Wunde Aron gegenüber mit der Zeit heilte und die geschwisterliche Liebe zu ihrem besten Freund wieder die Oberhand gewann.
 

Während sie etwas traurig aber doch mit einem Lächeln auf den Lippen vor den Toren von „Audition“ stand und Chuckie noch ein letztes Mal zum Abschied winken sah, versprach sich Sila selbst stark zu sein.

Sie ahnte dass sie ihren Freund lange Zeit nicht mehr wiedersehen würde, aber sie wusste nun worauf sie sich einließ, denn die Liebe zu diesem Mann sollte ihr Helfer sein!
 

Sila war sich so sicher dass es ihr reichte Chuckie zum Tanzpartner zu haben, auch wenn es bedeutete, dass sie sehr selten mit ihm tanzen konnte.

Wie konnte sie auch etwas anderes denken, denn Chuckie war ja bei ihr?!

Durch seine Anwesenheit vergaß Sila leicht was es heißt mit seinem Partner nicht tanzen zu können.

Sie konnte zu diesem Zeitpunkt ja auch noch gar nicht ahnen WIE schwer es sein würde keinen Partner zu haben mit dem sie regelmäßig trainieren konnte. Sie wusste auch nicht dass Chuckie dies schon im Voraus ahnte und Sila nur etwas ersparen wollte, als er ihr vorsichtig vorzuschlagen versuchte vielleicht doch daran zu denken einen anderen Tanzpartner zu wählen...
 

**** *** **
 

Phil war immer noch die meiste Zeit in der Universität mit lernen beschäftigt, Chuckie wieder auf Reisen, Aron tanzte nur noch mit seiner Loof und andere Freunde von Sila waren auch verhindert oder tanzten mit anderen Leuten.
 

Während Sila in Gedanken durch die Tanzhallen schritt, überlegte sie sich was sie als nächstes tun konnte.

Da Chuckie nicht da war, tanzte sie auch immer seltener ihren geliebten „Couple dance“ oder wenn dann nur mit Freunden.

Sie trug nun Level 15 aber etwas störte Sila; Ihre perfekten Moves waren gar nicht mal so schlecht, doch die Anforderungen der Levelprüfungen bereiteten ihr immer stärkere Schwierigkeiten.

Sie musste an ihre letzte Prüfung denken und daran dass sie diese erst nach dem 3. Anlauf gerade so geschafft hatte.
 

Silas Tanz war sicher und sie war auch mit den „Perfects“ zufrieden, doch sie merkte dass sie so langsam ernsthaft darüber nachdenken musste sich in die erschwerten Schritte hinein zu denken.

Fortgeschrittenen Tänzern war es möglich bei einigen Tanzmodes erschwerte Schrittkombinationen durchzuführen.

Sie hatten zwar die gleiche Choreografie wie alle anderen Tänzer auch, konnten jedoch durch diese erschwerten Schritte mehr Punkte für einen richtigen „Move“ erhalten als bei der normalen Choreografie.

Jedoch erforderten diese Schritte viel Übung und Konzentration und Sila musste zugeben dass sie sich bisher noch nicht so viel Mühe machen wollte und eher auf perfekte Moves und sicheren Tanz setzte.
 

Nun sollte es anders werden, nahm sich Sila vor! Wenn sie mit höher leveligen Tänzern tanzte, die eben diese Schritte beherrschten, kam Sila einfach nicht mehr hinterher. Selbst mit ihren „Perfects“ war es kaum machbar.

Nur bei schnelleren Liedern hatte sie eine leichte Chance bei denen, die noch nicht so geübt in den erschwerten Schritten waren. Doch leider musste selbst Sila bei schnelleren Liedern noch an ihren „Perfects“ arbeiten ;p
 

Auch wenn sie keine große Lust dazu hatte wieder einige Schritte zu missen, aufgrund der neuen Schritte, wusste Sila dass es an der Zeit war weiter zu kommen.

Sie dachte daran wie überrascht Chuckie sein würde, wenn er wieder käme und sie die erschwerten Schritte tanzen könnte.
 

In den folgenden Wochen traf man Sila beim Tanzen kaum an, denn sie verschloss sich in einem privaten Raum.

Weil sie sich schämte diese Schritte in einem echten Tanz gegen andere zu üben, lernte sie ganz alleine für sich.

Sie musste zugeben, dass sie nicht gedacht hatte WIE schwer es ihr fallen würde, doch Sila biss die Zähne zusammen und gab nicht auf.

Ehrgeizig wie sie war übte und übte und übte sie.
 

In dieser Situation traf Phil auf Sila, nachdem sie wieder mehr Zeit zum Tanzen hatte, weil sie sehr gut mit dem Lernen voran kam.

„Aber Neechan!“ rief Phil, nachdem Sila sie in ihren privaten Raum eingeladen hatte „Wieso tanzt du ganz alleine und schließt dich ein???“

Lächelnd erklärte Sila ihrer Freundin dass es höchste Zeit war schwerere Schritte zu tanzen und fügte hinzu: „...und damit ich mich nicht ganz blamiere übe ich lieber, bis ich die Schritte halbwegs auf die Reihe bekomme ... Außerdem“ seufzte sie „ist mir zur Zeit einfach danach meine Ruhe vor den Anderen zu haben!“

Als sie Phils entsetzten Gesichtsausdruck sah, musste Sila auflachen.

„Aber, aber, Imôto! Mit DIR tanze ich doch sehr gerne!!! Komm, hast du Lust mit mir zu üben?“

Diese Frage musste Sila nicht wiederholen, denn Phil freute sich sehr mit ihr zusammen üben zu können.

So trafen sie sich wann immer es ging und übten die erschwerten Schritte erst einmal zu langsamen Liedern.
 

Nach einer Zeit fühlte sich Sila schon etwas sicherer und wagte es hin und wieder die Schrittkombinationen während der Tänze mit Mittänzern anzuwenden. So begann sie – wenn Phil in der Universität war oder lernen musste – sich wieder in den Tanzsälen blicken zu lassen.
 

**** *** **
 

Eines Tages tanzte Sila mit unbekannten Tänzern und war Spieleführerin (wie fast immer, weil dieser Part einer der Unbeliebtesten auf der Schule war – warum auch immer ;p) als plötzlich eine junge Dame, ungefähr in Silas Alter, den Tanzsaal betrat.

Sie fiel Sila auf, denn die Tänzerin war sehr hübsch, doch Sila konzentrierte sich vorab auf die Tänzer, die noch unschlüssig vor dem Tanzraum herumlungerten.

Gerade als sie die Tänzer fragen wollte ob sie mittanzen oder draußen bleiben wollten, hörte sie direkt neben ihr: „Siiiiiilllllllaaaaaaaaaaaaa! Habe ich dich endlich gefunden!“
 

Vollkommen überrascht und mit großen Augen drehte sich Sila zu der unbekannten Schönen um und musterte sie erst einmal in der Hoffnung sich zu erinnern wo sie sich hätten treffen können. Sila war zu oft umgeben von vielen Freunden, Freundesfreunden und Bekannten, dass sie oft Gesichter oder Namen durcheinander brachte oder einige Begebenheiten vollkommen vergessen konnte.

Meistens kamen Sila die Personen, die sie ansprachen zumindest bekannt vor, doch bei dieser breit lächelnden jungen Frau wusste Sila überhaupt nicht wer sie sein könnte.

Nun begann diese auch noch zu lachen: „Das ist aber lustig, dass du mich gar nicht mehr erkennst ... Wo wir uns doch schon so lange kennen!“
 

„Lange kennen...?“ grübelte Sila „Hmmm ...“

Ja, es stimmte wahrscheinlich, denn diese Dame hatte einen sehr vertrauten Umgang mit ihr und irgendwie kam sie Sila merkwürdigerweise dadurch bekannt vor.

Diese hellblauen, katzenähnlichen Augen, der dunkle Hauttyp, die mittellangen helle, fast weißen Haare und ... - Sila musste einen Schritt zur Seite gehen – und spitze Ohren?!!!
 

„Nein das kann doch nicht...?“ rief Sila nun durch den ganzen Raum „Shizu-chan???“

Das siegessichere Grinsen der Fremden zeigte ihr sofort dass Sila tatsächlich den richtigen Namen benutzt hatte...
 

Ende Kapitel 8

~ Aussprache ~

~ Shizumi und Massayo – Der Beginn des engen Freundeskreises ~ ENDE TEIL I

Jubelnd fiel Sila ihrer Kindheitsfreundin um den Hals.

Ans Tanzen konnte erst einmal keine der Beiden denken, weshalb Sila auch ihre Spieleleitung ab gab und mit Shizumi nach draußen ging, denn das Wetter war optimal dazu.
 

Immer wieder musste Shizumi über Silas Kopfschütteln schmunzeln.

„Du schaust mich an als wäre ich ein Geist“, rief sie lachend, „Habe ich mich denn SO sehr verändert?“

„Ach Shizu-chan, wir haben uns Jahre lang nicht mehr gesehen ... Wir waren Kinder als wir uns verabschieden mussten“, bemerkte Sila.

„Du wolltest doch wohl eher sagen: Als DU dich verabschiedet hast!?“

Shizumi tat beleidigt: „Ich bin zu hause geblieben, nur DU wolltest unbedingt auf diese Tanzschule im anderen Land ... Das Zeichnen hat dir wohl nicht mehr gereicht?“.

Sila zwickte Shizumi am Arm, zwinkerte und sagte: „Das Zeichnen werde ich nie aufhören, aber du weißt genau, dass ich immer schon tanzen wollte!“
 

Kennen gelernt hatten sich die beiden Freunde schon als kleine Mädchen während sie von ihren Eltern auf das Internat für kreative Kinder angemeldet wurden.

Auf dieser Schule wurden Dinge gelehrt wie Zeichnen, Malen, Singen, Musizieren, sogar Tanzen, Musical und Schauspiel.

Jedes Kind musste 2 Schwerpunkte setzen, konnte aber überall Kurse nebenbei belegen. Sila wählte zeichnen und tanzen, sang aber nebenbei in einem Chor und übte auch etwas Klavier, wobei Shizumi Malen und Zeichnen wählte. Ein Mal spielten sie sogar gemeinsam in einem Theaterstück „Die Welle“ mit.

Im Kurs des Zeichnens waren Beide in einer Klasse und wurden schnell gute Freunde. Ihre Zeicheninteressen waren auf einer Wellenlänge und so verbrachten sie auch außerhalb der Kurse viel Zeit mit gemeinsamem Zeichnen.
 

Von Klein auf hatte Sila schon ein Auge auf die Kinder, die alleine waren, die schüchtern weg schauten oder sogar gehänselt wurden. Sila war zwar nicht sehr stark, aber die Wut, welche sie gegen Kinder hatte, die andere ausgrenzten oder hänselten, reichte aus um sie auf Abstand zu halten oder gar in die Flucht zu schlagen.

Shizumi war eine von solchen Kindern; Wegen ihren Ohren wurde sie immer wieder geneckt oder geärgert.

Sila konnte sich noch gut an die Zeiten erinnern, in denen sie ihre aufgelöste Freundin zu trösten versuchte oder wütend hinter den Übeltätern - mit irgendeinem Gegenstand in der Hand – herlief.
 

Lagen nun wirklich schon über 10 Jahre hinter diesen Ereignissen, fragte sich Sila im Stillen. Sie war nun 22 Jahre alt und Shizumi ein Jahr darüber, aber die Erinnerungen an die Kinderzeit waren plötzlich so frisch...
 

„Aber Shizu!“, fragte Sila verwundert:

„Was machst du denn HIER auf dem Internat??? Wolltest du nicht immer schon eine Kunstschule besuchen?“

Shizumis Level 4 zeigte Sila deutlich dass sie nicht nur auf Besuch war.

Verlegen schob Shizumi eine Haarsträhne hinter ihr Ohr und lächelte.

„Nun ... das wollte ich ja auch ... Aber das Zeichnen ohne meine Sila macht einfach keinen Spaß ... Du wolltest mich schon immer zum Tanzen überreden, weißt du noch?!“

Jetzt musste Sila grinsen als sie sich an die vielen Abende erinnerte, an denen sie der halb schlafenden Shizumi beizubringen versuchte einige Schritte tanzen zu lernen ... Es war hoffnungslos und Sila gab sich irgendwann doch geschlagen.

„Du hast mir ja geschrieben dass man auf dieser Schule nicht tanzen können muss und dass man hier die Grundlagen lernen kann.“, sprach Shizumi weiter.

„Also – dachte ich mir – wieso versuche ich es nicht einfach wenn ich dich mal besuchen komme!? Als ich kam warst du leider irgendwie nicht antreffbar und so schrieb ich mich für einige Anfängerkurse ein und ...“, sie lächelte und umarmte Sila glücklich, „...und weißt du was?! Es gefällt mir so gut, dass ich beschlossen habe zu bleiben!“
 

„Oh Shizu-chan, dass ist ja wunderbar!“, jubelte Sila herzlich und drückte ihre Freundin ganz fest.

„Es gibt so viele unterschiedliche Sachen hier und ich habe auch schon sehr sehr nette Freunde! Du musst sie alle kennenlernen!!!“
 

**** *** ** *
 

Wie Sila angenommen hatte, fiel Shizumi das Tanzen nicht ganz so schwer wie sie immer versuchte zu behaupten. Von Tag zu Tag sah man wie viel Spaß Shizumi dabei hatte.

'Sie wird immer besser', dachte Sila, 'und das Schönste ist, dass ihr Selbstbewusstsein etwas steigt!'

Sila kannte Shizumi lange genug um ihren Charakter zu verstehen und musste schon früh feststellen, dass Shizumi leider sehr schüchtern war.

Es lag natürlich an den Dingen die sie auf ihrer alten Schule erlebt hatte, aber es musste ja nicht so bleiben!
 

Natürlich hatte Shizumi noch Probleme mit den Schritten und den schnelleren Liedern, doch Sila bemerkte dass Shizumis Taktgefühl sehr ausgeprägt war.

'Die Basis hat sie schon mal', dachte sie weiter, 'Jetzt heißt es üben und nicht aufgeben!'

Sila unterstützte ihre Freundin natürlich. Überhaupt freute sie sich sehr, denn Shizumi musste eh erst einmal bei den langsameren Liedern üben lernen mit den Schritten zurecht zu kommen. Dies nutzte Sila um ihre erschwerten Schritte zu üben. Leider bedeutete es fast immer einen Sieg für Sila, doch dies störte Shizumi nicht.
 

Als Phil wieder zum Tanzen kam, wurde sie natürlich mit Shizumi bekannt gemacht und Sila freute sich sehr dass sich die Damen auf Anhieb verstanden...

Dies nun war der Beginn des engen Freundeskreises!

Mit der Zeit wurde dieser spezielle Kreis um weitere Freunde erweitert. Es bestand aus den allerengsten Freunden, die so gut wie immer gemeinsam tanzten. Doch nicht nur der Tanz verband diese Freunde, sondern das tiefe gegenseitige Vertrauen und die Rücksichtnahme jedes Tänzers auf die Erfahrungen und den Charakter des anderen.
 

Um jedoch nichts vorweg zu nehmen sollte der Freundeskreis der Reihe nach kennen gelernt werden. Aus dem Doppel, der aus Sila und Phil bestand, wurde mit Shizumi ein Trio.

Die Vierte im Bunde war eine dynamische, sportliche, junge und hübsche Tänzerin mit dem Namen Massayo. Sie war 18 Jahre alt, etwas jünger als Phil.
 

Sila lernte sie kennen als sie die Tanzhallen betrat und feststellte dass Shizumi bereits mit einer Unbekannten tanzte. Nach Ablauf des Tanzes betrat auch sie den Saal, wurde von Shizumi herzlich empfangen und gleich ihrer Freundin Massayo vorgestellt.

Während sich die Tänzerinnen noch unterhielten schaute Sila die Tanzinformationen von Massayo und dann auch von Shizumi an.

Es war eine Gewohnheit von ihr, die sehr typisch für Sila war, vor allem wenn sie schon „Fertig!“ für den Tanz anzeigte, jedoch noch gewartet wurde, z.B. auf weitere Tänzer.

Durch diese Informationen konnte sie den Fortschritt der Tänzer sehen, der durch die Erfahrungspunkte und des Levels ersichtlich war. Auch der Eintrag des Tanzpartners war dort ablesbar (wenn vorhanden).
 

Als Sila Shizumis Information sah, bemerkte sie erschrocken dass dort der Name ihres Tanzpartners verschwunden war.

„Shizu“, rief sie, „Was ist denn passiert? Du hast ja keinen Partner mehr...!“

Shizumi schaute genervt als sie sagte: „Er war ein schlechter Partner! Zum Einen behandelte er mich wie eine flüchtige Bekannte und zum Anderen kam er zu selten tanzen... Es hat mir gereicht!“

Massayo nickte, denn auch sie hatte nicht lange her ihre Tanzpartnerschaft mit ihrem Partner aufgelöst. Beide Tänzerinnen waren sich einig, dass sie überhaupt keine Lust auf Tanzpartner mehr hatten.

Schweren Herzens erinnerte sich Sila an ihre beste Freundin, denn auch Phil teilte diese Ansicht. Sie wurde sogar immer verschlossener den männlichen Tänzern gegenüber und Sila merkte mit leichter Sorge dass die Mauer nach dem letzten Bruch immer höher wurde.

Doch im Kreis der engen Freundinnen blühte Phil auf und fühlte sich schnell wohl und traute den Tänzerinnen auch immer mehr. Natürlich war sie Sila gegenüber völlig offen und ehrlich, nur Fremden gegenüber brauchte sie mehr Zeit.
 

Etwas mulmig war es Sila schon zu mute, dass sie die Einzige mit Tanzpartner war...

Doch wenn sie ehrlich sein wollte, musste sie zugeben, dass sie eher so war wie ihre Mädels! Chuckie war zwar ihr Partner, aber tanzen konnte sie kaum noch mit ihm. Immer seltener fand er Zeit sie zu besuchen. Selbst wenn er da war, so musste er viel für die Arbeit tun.

Sila verstand und unterstützte ihn, aber es schlich sich langsam das Gefühl der Unzufriedenheit ein.

Am Schlimmsten waren die Fragen der anderen Tänzer wo denn ihr Partner immer sei.

Doch solchen Dingen gestattete Sila nicht in ihren Gedanken Raum zu bekommen!

NOCH nicht...
 

Massayo und Shizumi lebten sich schnell auf der Schule ein und trugen schon beide Level 12.

Da Shizumi jedoch nicht ganz so oft tanzen konnte wie Massayo, weil sie ihren Hauptverdienst aus den Zeichnungen hatte, kam sie mit schnelleren Liedern nicht ganz so zurecht wie Massayo.

Tanzten die 4 Damen zusammen, so passten sie sich meist Shizumi an, damit sie auch noch Spaß beim Tanzen haben konnte.

2 Herren betraten die 4er-Runde und somit wurde die maximale Tänzeranzal eines Raumes erreicht.

Die Spiele liefen gut und die Herren wussten sich zu benehmen, bis einer der beiden lautstark zu Sila sagte: „Mach doch mal schnellere Lieder an, DJ!“

Sila, die die Spieleführung hatte, sah ihn direkt an und sagte: „Nein, tut mir Leid!“

„Warum nicht?“, war die Antwort.

„Nun“, Sila blickte zu Shizumi, „Shizumi ist noch nicht so weit...“

Verärgert sagte er hochmütig: „Dann verweise sie doch des Saales!“

„Auf keinen Fall!!!“, rief Sila wütend, „Sie ist meine Freundin!“
 

Ein Glück dass er darauf hin den Saal verließ, denn Sila hätte nicht gezögert und IHN auf der Stelle des Saales verwiesen. Er verschwand zwar sofort, doch Shizumi war verletzt.

Sila und die Anderen suchten ihre Freundin aufzuheitern, doch ohne merklichen Erfolg.

Dies war zwar kein sehr schöner Tag für alle, aber Erlebnisse wie diese verstärkten die Freundschaft.
 

**** *** ** *
 

Eines Tages kam Sila in die Tanzhalle und stellte fest dass keiner der Freunde, mit denen sie sonst zu tanzen pflegte, anwesend war. Beim Blick auf die Anzeige, auf der alle laufenden und wartenden Tanzsäle angezeigt waren, fiel ihr ein Raum sofort ins Auge.

Nicht der Raum oder der Name interessierten sie, sondern die Spieleführerin des Tanzes.

Sofort suchte Sila den Raum auf und überlegte ob die Tänzerin wieder einmal vor ihr flüchten würde oder nicht.

Im Raum angekommen stand sie Alissa gegenüber, der auf einmal die Verwunderung genauso im Gesicht abzulesen war wie Sila selbst.

Wie lange sich die Tänzerinnen so anstarrten, wusste niemand.

Es war schon fast gruselig WIE ähnlich sich die beiden äußerlich waren.

Silas Haut war zwar blasser als die von Alissa, aber beide hatten strahlend blaue, große Augen und selbst die Haarfarbe und die Frisur waren identisch.

Beide trugen die gleiche Farbkombination von grün und schwarz, wobei sogar das Oberteil gleich war.

Wer weiß, vielleicht waren sogar ihre Gedanken zu diesem Zeitpunkt identisch?!

„Du meine Güte!“, rief Sila zu erst und sah Alissa nicken.

„Wir sehen uns ganz schön ähnlich!“
 

Sila hatte fest damit gerechnet dass Alissa vor ihr davon laufen würde, so wie sie es früher auch schon gemacht hatte, aber Alissa blieb. Sila zeigte an, dass sie bereit für den Tanz war und Alissa startete sofort den nächsten Song und somit den Tanz.
 

Während des Tanzes, den die Damen nur zu Zweit tanzten, schaute Sila immer wieder verstohlen zu ihrer Mittänzerin.

'Sowas habe ich noch nie erlebt', dachte sie, 'Wir haben uns so selten gesehen, dass ich nicht glaube dass es Absicht von ihr war ... Warum denn auch?!'

Es war jedoch wirklich sehr interessant jemanden zu treffen, der einem so sehr äußerlich glich.
 

„Du bist besser geworden, seit dem letzten Mal und viel sicherer bei den schnelleren Liedern...“, wollte Sila gerade sagen als die Tür zu dem Saal – nach ihrem letzten Tanz – wieder freigegeben und sogleich aufgerissen wurde.

Verwundert blickte Sila auf und musste erst einmal tief Luft holen.

Er war es wirklich, da bestand kein Zweifel!

Aron betrat den Raum mit einem herzlichen Lächeln und dicht gefolgt von einer recht jung aussehenden Tänzerin.

'Das kann nur Loof sein', dachte Sila und wurde blass. Sie hatte kaum noch Zeit mit Aron verbracht (meistens wenn Loof nicht tanzen war) und fürchtete die Begegnung mit seiner Partnerin.
 

Es war unübersehbar dass Aron und Loof extra gewartet hatten, weil die Tür sofort nach der Entriegelung auf ging. Aron grüßte Sila herzlich und stellte ihr Loof vor. Lächelnd verbeugte sich Sila und suchte ihre Fassung wieder zu gewinnen. Die Damen begrüßten sich, Sila und Aron tauschten wenige Sätze mit einander aus, als auch schon der nächste Tanz begann, auf den weitere folgten.
 

Alissa tanzte einen Tanz noch mit, doch dann verschwand sie nach einem kurzen „Tschüß“ aus dem Saal. Sila hatte das Gefühl dass es ihr unangenehm war von anderen gesagt zu bekommen dass sie ein Zwilling von Sila sein könnte.
 

Sie hatte kaum Zeit mit Aron oder Loof zu reden, denn es dauerte – wie immer – nicht lange, bis der Tanzsaal komplett überfüllt war. Sogar im Zuschauerbereich war kein Platz mehr, weil ihn die Freunde der beiden komplett ausfüllten.

Obwohl Sila etwas distanziert den Fremden gegenüber war, freute sie sich doch sehr dass Aron und Loof zu ihr gekommen waren.

Beim Tanzen jedoch war sie nervös und konnte sich nicht wirklich konzentrieren. Nach einigen Tänzen jedoch, legte es sich langsam und Sila konnte mehr und mehr zu ihrem ursprünglichen „selbst“ wieder finden.

Sie freute sich am Tanz, an der Musik (meistens jedenfalls) und an den Mittänzern.

Nach weiteren Tänzen war es klar warum Aron sich für Loof entschieden hatte.

Sie war nicht nur nett, sondern auch noch sehr gut! Sie und Aron teilten ohne Ausnahme die ersten beiden Plätze, wobei Loof sogar häufiger besser war als Aron.

Sila war sehr erstaunt von Loof und musste feststellen dass sie sich umsonst Sorgen gemacht hatte.

Schnell gewöhnte sie sich an die Leute und begann – wie es sonst ihre Art war – alle anzufeuern wenn sie mal einige Schritte missten. Besonders bei Loof und ihrer Freundin, da sie – durch die erschwerten Schritte – einige „Misses“ einstecken mussten.
 

Sila war mehr als erstaunt über die Fähigkeiten der Mittänzer. Sie schienen zu tanzen, als gäbe es nichts einfacheres und mehr noch; Sie unterhielten sich sogar noch und lachten und kicherten während dem Tanz.

'Wie können sie sich nur auf den Rhythmus konzentrieren wenn sie so viel reden?', wunderte sich Sila, 'und dann auch noch bei so schnellen Liedern und mit erschwerten Schrittkombinationen!'

Huch! Loof misste schon wieder einen Schritt und konnte deswegen auch den wichtigen „Finish move“ - welcher viele Punkte einbrachte – nicht ausführen.

Sie lächelte und feuerte Loof an, die ohnehin in der Führung lag, dicht gefolgt von Aron.

Loof lächelte zurück, blickte zu Aron, ihren Freunden und zum Schluss wieder zu Sila und sagte laut: „Du hast ein großes Herz, Sila!!!“

Völlig unvorbereitet schoss Sila nun die Röte ins Gesicht und sie kam nun vollständig aus dem Takt.

Verlegen stammelte sie: „Nicht doch...“, doch in Gedanken wurde sie traurig.

Sila musste daran denken wie stark zurückhaltend, ja sogar unfreundlich sie gerade Loof gegenüber war und wie sehr sie davor scheute Arons Tanzpartnerin gegenüber zu treten. Und nun sagte gerade Loof, sie hätte ein großes Herz?!

Silas Traurigkeit dauerte jedoch nicht lange an, denn sie wurde immer wieder aus ihren Gedanken durch ihre Mittänzer gerissen. Auch Aron war wieder so wie immer zu ihr und Sila genoss es sehr wieder unbekümmert mit ihrem besten Freund tanzen zu können.
 

Als Loof nach einigen Tänzen jubelnd erklärte, dass sie endlich ihre Prüfung für Level 23 beginnen könnte, nutzte Sila das Durcheinander um in den Zuschauerbereich zu gehen. Loof verabschiedete sich um die Prüfung anzutreten.

Als die übrig gebliebenen Tänzer Sila im Zuschauerbereich sahen, fragten sie warum sie nicht weiter tanzen würde. Es dauerte zwar eine Weile bis Sila sie überzeugen konnte, dass sie nur müde sei und eine Pause benötigte, aber dann starteten sie den nächsten Tanz.

Sila war so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht bemerkte, dass Aron ihr gefolgt war und schreckte fürchterlich zusammen als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte.

„Oje, entschuldige bitte! Ich wollte dich nicht erschrecken“, sagte Aron lächelnd, „Du bist weit weg in den Gedanken wie ich sehe“

Er blickte Sila ruhig an: „Wie geht es dir, Sila?“

„Gut, danke! Ich freue mich dich wieder zu sehen“, antwortete sie ebenfalls lächelnd.

Die Beiden sprachen eine Weile über die Dinge, die sie erlebt hatten, über Loof und sonstige Dinge.

Als irgendwann eine eher peinliche Stille entstand tat Sila etwas völlig untypisches für Sie;

Sie legte ihre Hand auf Arons Arm, blickte ihm traurig in die Augen und sagte so leise, dass selbst Aron es kaum verstehen konnte: „Ich hatte solche Angst du würdest mich nicht mehr mögen...“

Sie hatte zwar schon häufiger mit Aron über private Dinge gesprochen, aber noch nie sprach sie aus der Tiefe ihres Herzens die Gefühle aus. Nur bei Phil, Massayo und Shizumi fühlte sie sich so frei.

Aron gegenüber versteckte sie zu oft ihre innersten Gefühle. Natürlich wusste Sila dass es nicht richtig war und sie lieber offen und ehrlich sein sollte, doch aus irgendeinem Grund konnte sie es ihm gegenüber nicht. Vielleicht lag es aber auch daran, dass Aron ihr schon von Anfang an viel zu weit entfernt zu sein schien.
 

Aron blickte Sila stumm an.

Er wunderte sich schon länger darüber dass Sila immer weniger mit ihm tanzte, doch wäre er nie auf den Gedanken gekommen dass sie SOETWAS denken würde!

„Oh Sila...“, seufzte er und hob ihren Kopf an, damit sie ihn wieder ansehen konnte, „Auch wenn wir nicht mehr so oft zusammen sind müsstest du doch wissen dass du mir wichtig bist!“

Sila fiel ein Stein vom Herzen und sie strahlte über das ganze Gesicht.

Doch Aron wurde ernster, wägte eine Zeit lang seine Worte ab und sagte dann:

„Eine Freundin von mir war im Zuschauerbereich, als du einmal mit Phil getanzt hast... Ungewollt bekam sie eine Unterhaltung mit, in der du über mich gesprochen hast.“

Auf der Stelle war Silas Lächeln vorbei und ihr Herz sank ihr bei dem Gedanken was diese Freundin mitbekommen haben könnte. Gerade Gespräche mit Phil waren „gefährlich“ für andere, denn Sila vertraute Phil alles an; Shizumi und Massayo natürlich auch, doch mit Phil sprach sie am häufigsten über Aron.
 

Aron merkte wie Sila verstummte und blasser wurde, darum fuhr er schnell fort:

„Du sagtest du würdest dich in den Hintergrund stellen, dich zurück halten, Loof und meinen Freunden den Vorrang geben...“

DIESES Gespräch hatte die Unbekannte also mitbekommen?! Sila wusste sofort worum es ging, denn an diesem Tag war sie verzweifelt. Aron war immer umgeben von Freunden und Fans und schien Sila immer unerreichbarer zu werden, dass sie Phil sagte, sie wollte sich zurückziehen.
 

„Sila!“, rief Aron und umfasste beide Arme mit seinen Händen, „Das habe ich ja gar nicht gewusst! Oder ich war zu beschäftigt das zu sehen...“

Müde lächelnd wandte Sila ihren Blick ab.

Es war nun zu spät! Sich zu verstellen hatte keinen Zweck mehr.

„Wie denn auch? Ich habe es sehr gut versteckt, findest du nicht auch?!“, sagte sie in einem Anflug von Bitterkeit.
 

Dies war Silas größte Schwäche und ein großes Gebiet an dem es Missverständnisse gab, weil viele Leute einfach nicht wussten was Sila wirklich fühlte, wenn sie z.B. von ihnen verletzt oder enttäuscht wurde.

Sila stellte sich oft in den Hintergrund und konnte sehr lange warten.

Auch bei Chuckie! Es wurde immer schwerer ohne Partner zu tanzen, Sila litt immer mehr darunter, aber sie wartete und bemühte sich dies vor allen anderen zu verbergen. Nur der engste Freundeskreis wusste davon und sah es ihr auch ohne Fragen zu stellen an.
 

„Verzeih mir bitte...“

Arons Stimme war sehr leise und Sila blickte ihn erschrocken an: „Nicht doch! Ich war es doch! Oh bitte!! DU musst dich doch nicht entschuldigen!!!“

Aron schien ihr nicht zuzuhören. Er festigte seinen Griff und sagte mit traurigen Augen: „Sila! Ich möchte auf keinen Fall dass du im Hintergrund stehst!!! Verzeih mir bitte dass ich so ein schlechter Freund bin, der so etwas überhaupt nicht bemerkt hat ... Ich habe mich verändert...“

Aron ließ Sila los, wandte sich abrupt zum Fenster und starrte hinaus: „Ich wollte nie dass es passiert! Du kannst es ruhig zugeben, Sila! Ich habe mich verändert!“

Sila schwieg.

Ja, Aron hatte sich wirklich verändert, dachte sie. An diesem Tag stand ein anderer Aron vor ihr als vor knapp 2 Jahren, als sie sich kennenlernten. Doch war es nicht normal? Menschen, die einem begegnen; Erfahrungen, die man erlebt prägen und verändern!

Man wird eben reifer, erwachsen...
 

Auch Sila hatte sich verändert.

Ihre Freunde und Erfahrungen haben sie geprägt.

Gute oder schlechte Dinge, die sie erlebte, festigten diesen Charakter. Bei Aron war es nicht anders, wurde ihr bewusst.

Sie ging zu ihm, stellte sich neben ihn und sagte mit dem Blick in die Ferne gerichtet: „Es stimmt, du hast dich verändert. Aber mach dir nichts daraus, mein Freund. Du bist immer noch Aron...“

Als Aron langsam ihren Blick suchte, sah er ein herzliches Lächeln. Silas Lächeln zeigte ihm dass sie jedes Wort so meinte wie sie es sagte.

„Du bist wie du bist. Und ganz gleich wie du dich verändert hast, du bist mein liebster männlicher Freund! Ich freue mich sehr mit dir befreundet zu sein!“
 

Beide lächelten und Sila zwinkerte fröhlich: „So, nun ist aber Schluss mit diesem Thema!“

Sie gingen zum Geländer und lehnten sich daran um die Tänzer zu beobachten.

Plötzlich fiel Sila etwas ein und sie rang mit sich ob sie nicht lieber warten sollte bevor sie die frage Aron stellen wollte.

Nach mehrerem Hin- und Her-überlegen und mehreren scheuen Blicken zu Aron, beschloss Sila die ungestörte Situation zu nutzen.
 

Schüchtern zupfte sie an Arons Ärmel und fragte scheu: „Darf ich dich noch etwas fragen?“

„Alles!“, war seine sofortige Antwort.

Nun bekam Sila ihr Selbstbewusstsein zurück und fragte fest: „Ich wüsste gerne was du zu Chuckie gesagt hast, als ihr euch letztes Mal gesehen habt...“

Aron musste nicht lange überlegen als er Sila direkt in die Augen schaute und sagte: „Ich habe ihm gesagt er sollte nicht dein Tanzpartner sein. Du bräuchtest keinen Phantompartner und seist nicht glücklich damit dein eigener Partner zu sein...!!!“
 

Sila hielt Arons Blick ohne Probleme stand. So lange, bis Aron seinen Blick wieder zu den Tänzern wandte.

„Es war nur die Wahrheit!Es geht nicht an, dass er seine Tanzpartnerin so lange warten lässt; Immer und immer wieder. Ich habe schon zu lange geschwiegen!“, sagte er etwas grimmig.

Doch Sila hörte seinen Tonfall nicht, sie lächelte nur und sagte ruhig: „Du bist wirklich ein echter Freund! Ich danke dir!“

Sie wunderte sich selber über ihre Reaktion. Eigentlich hatte Aron nicht das Recht SO mit ihrem Tanzpartner zu sprechen, doch Sila war zu sensibel für die Gefühle von anderen. Es war nicht schwer zu erkennen, dass Aron es nur gut mit ihr meinte und sie wollte nicht undankbar sein, wenn auch seine Worte sehr hart waren.

Wenn sie in aller Ruhe darüber nachdachte, dann musste sie sogar zugeben, dass er Recht hatte. Es war als würde Aron immer genau wissen wie Sila Chuckie gegenüber empfand, sogar schon bevor sie es selber wusste.
 

'Vielleicht', dachte sie, „muss ich wirklich einmal überlegen wie es weiter gehen soll.'

Ein tiefer Seufzer aus Silas Richtung ließ Aron zumindest den Anflug eines inneren Kampfes in seiner Freundin erkennen.

Doch da musste sie alleine durch.

Aron konnte einen Anfang machen, eine Führung und Unterstützung geben, doch die Entscheidung musste Sila selber treffen ...

... und sie würde sicher nicht leicht werden!
 

Ende Teil 9

~ Shizumi und Massayo – Der Beginn des engen Freundeskreises ~

~ ENDE - TEIL I ~

TEIL II ~ Abschiedsmelodie ~

"After love"
 

Ich dachte du warst meine Liebe

Ich dachte du warst mein ein und alles

Ich glaubte du wärst der Einzige den ich lieben könnte
 

Nur für dich habe ich gelacht

Nur für dich habe ich gelebt

...und ich glaubte an deine Liebe!
 

Aber es war alles eine Lüge!

Weil du mich verlassen hast mit so viel Schmerz

...gefüllt mit Traurigkeit und Tränen
 

Du sagtest, du würdest nur mich lieben, mich beschützen

Aber deine Liebe war nur eine Lüge

Du hast mein Herz genommen und meine Liebe

Weggehen, verlassen ist alles was deine Liebe ist!
 

Ich wollte von jemandem geliebt werden und diese Person lieben

Welch ein Dummkopf! Ich glaubte du wärst diese Person
 

Dass es Liebe war ... eine Lüge!

Dass du mich liebtest ... eine Lüge!

Dass wir für immer zusammen sein würden ... eine Lüge!

Du hast mich verlassen...

...mit dem Versprechen, dass du wiederkommen wirst
 

Aber ...

Wohin bist du gegangen?

Die Entfernung zwischen uns wird immer länger

Sag mir wo bist du?

Auch wenn du immer weiter weg warst, habe ich nur dich geliebt ...

...jetzt ist es zu spät...

Lebe wohl!
 

Geblieben die Erinnerungen, Lachen, Weinen ...

Doch...

mein Herz ist still geworden...

Lieben?

Kann ich das überhaupt noch?
 

--- Übersetzter Text vom Song: "After love" der Gruppe „RedMotion“ ---

(mehr von ihnen – später)
 

**** *** ** *
 

„Partnerlook?“, fragte Philphlader - die auch Phil genannt wurde – und blickte zu ihrer besten Freundin auf.

Sie hatte sich gerade hingesetzt, ihre Lunchbox auf dem Schoß positioniert und wollte mit dem Essen beginnen, als Sila um die Ecke der großen Außenanlage des Tanzinternats „Audition - EU“ bog und Hals über Kopf von einem Partnerlook erzählte.

„Ja! Die Idee ist mir gerade gekommen, Imôto (kleine Schwester) und ich habe mir überlegt wie toll das doch wäre!!!“

Sila wirbelte über den geschmackvoll angelegten steinernen Weg, blieb stehen, blickte Phil an und sagte:

„Stell dir nur mal vor! Von den Schuhen bis zu den Accessoires gleich angezogen!!!“.

Fröhlich klatschte sie in die Hände, bemerkte jedoch nicht den Gesichtsausdruck ihrer Freundin.
 

Eigentlich kannte Phil schon so ziemlich jeden Wesenszug der – heute aufgeregten - Tänzerin und auch die plötzlichen Einfälle und Ideen, mit denen Sila sie häufig überraschte, doch heute lag etwas anderes auf ihrem Gesicht.

Es war Silas Lächeln, das Phil an diesem Vormittag so sehr fesselte.

Während Sila noch fröhlich vor sich hinplapperte und ihrer Freundin die Vorzüge eines Partneroutfits zu erklären suchte, schweiften Phils Gedanken ab. So gerne sie Sila auch zuhören würde, konnte sie sich heute nicht konzentrieren.
 

'Wann war es das letzte Mal?', sann sie nachdenklich aber mit ihrem Blick auf Sila ruhend,

'Das letzte Mal an dem ich sie so Lächeln gesehen habe?'.

Die letzten Monate waren für ihre Freundin alles andere als schön gewesen. Phil und auch die anderen Freunde standen Sila zur Seite, hörten zu wenn sie etwas sagte, versuchten zu trösten, doch Sila verlor mehr und mehr ihre Fröhlichkeit. Die Unbekümmertheit, die Freude am Tanzen, an der Gesellschaft der Freunde, die sie täglich um sich hatte ... All das schien nun so lange her zu sein.

Es war als würde eine andere Person vor Phil stehen.

Die Sila, die SIE die letzten Monate kannte, war blass und still. Sann Tag und Nacht über irgendetwas nach, stand stundenlang wortlos vor dem Fenster und tanzte fast nur noch in eingeschlossenen Räumen.

Sila war schon seit einigen Monaten 23 Jahre alt, doch wirkte sie früher meist viel jünger, besonders durch ihre fröhlich, kindliche und unbekümmerte Art.

Die letzten Monate jedoch, ließen Sila viel älter als ihre 23 Jahre erscheinen. Ihre sonst schon recht blasse Haut, bekam einen ungesunden Ton und Phil bemerkte dass ihre Freundin auch Gewicht verloren hatte.
 

Phil zählte im Kopf die Monate zurück.

'9 ... nein! 10 oder 11 Monate müsste es nun ungefähr her sein, seit sie Chuckie zum letzten Mal sah... Fast schon ein ganzes Jahr!'
 

Dieser Tag war der Tag an dem Sila vor den Toren des Tanzinternats stand und ihrem Freund das letzte Mal zuwinkte, in der Hoffnung ihn bald wieder zu sehen.

Die Zeit verging und Chuckie meldete sich nicht. Sila wartete und wartete. Jeden Tag öffnete sie ihren Postkasten in der Hoffnung eine Nachricht von ihrem Geliebten zu erhalten, blickte häufig die Straße - die zum Internat führt – herunter, um zu sehen ob jemand auf dem Weg zur Schule war. Doch keine Spur von ihm.

Nach einigen Monaten hatte sie wieder Kontakt zu seiner Arbeitskollegin Summer und fragte ob sie wüsste wo Chuckie sei, wie es ihm ginge.

„Chuckie? Ach das weiß ich leider nicht ...“, antwortete Summer ihr.

„Weißt du? Ich habe eine neue Stelle bekommen und konnte deswegen endlich wieder zurück zu meinen Eltern ziehen ... Du weißt ja wie Chuckie ist! Er meldet sich immer so selten. Aber Moment ... Gestern war er im Chatroom und hat sich mit mir etwas unterhalten. Er erzählte kurz über seine Arbeit und neue Kollegen aber nichts besonderes. Wieso fragst du?“

Sila erzählte nicht den wahren Grund ihrer Frage, doch seit dieser Unterhaltung mit ihrer früheren besten Freundin aus dem Ausland, ging es Sila schlecht.

Auch sie hatte Chuckie häufiger „online“ im Chatprogramm gesehen und ihm immer geschrieben, doch nie erhielt sie eine Antwort.

Die letzte Internetunterhaltung, die sie und Chuckie führten – noch bevor sich die beiden zum letzten Mal sahen - handelte um das chinesische neue Jahr. Chuckie erzählte dass es für ihn so wichtig war und auch dass er unbedingt deswegen in das Land reisen musste. Chuckie war ein Asiat, doch niemals gab es deswegen ein Problem zwischen den beiden. An diesem Tag jedoch fragte Sila ihn aus welchem Grund es denn so wichtig für ihn wäre und warum er sich nur nach dieser Zeitrechnung halten würde, doch Chuckie ging nicht darauf ein.

Nach seinem letzten Besuch im Tanzinternat meldete er sich nicht mehr bei Sila.

Die Vermutung dass es irgendetwas damit zu tun haben könnte, dass sie und er aus so unterschiedlichen Kulturen waren, begann Silas Herz zu erschweren.

Sie schrieb Chuckie von der Sache, fragte ihn, bat ihn ihr zu sagen was denn los war aber es hatte keinen Zweck.

Es war als wäre Chuckie still und leise aus Silas Leben gegangen.
 

Anstelle zu ihren Freunden zu gehen, die immer ein offenes Ohr für ihre Probleme hatten, isolierte sich Sila immer mehr und mehr. Sie schien all die Sorgen und Fragen in sich hineinzufressen.

Das Schlimmste war, dass fast jeder Tanz, jeder Raum, jedes Lied irgendwie an Chuckie erinnerte. Die Erinnerung an den Mann, dem Sila ihr Herz schenkte, der immer gesagt hatte: „Bald ist es vorbei mit dem Reisen, dann bleibe ich bei dir und dann kann ich neu anfangen.“, der ihr nie einen Grund zu zweifeln gab, war so frisch, so schmerzlich für Sila, dass sie sogar beim Tanzen ständig litt.

Es gibt Menschen, die versuchen einen Schmerz zu verdrängen, zu vergessen.

Sila hingegen tat unbewusst das Gegenteil. Sie hielt krampfhaft die Erinnerung an Chuckie aufrecht.

Aron war derjenige der Sila – ziemlich schroff – zu erklären versucht hatte die Tanzpartnerschaft aufzulösen. Er ertrug es einfach nicht mehr seine langjährige Freundin so leiden zu sehen. Sila kämpfte und überlegte und nach einigen schlaflosen Nächten tat sie einen Schritt, der ihr Herz komplett zerbrechen ließ.
 

Wenn Sila weder zu hause sitzen noch tanzen konnte, so zeichnete sie. Wie sie es vor der Zeit ihrer Tanzlaufbahn mit Shizumi zusammen getan hatte. Beim Zeichnen konnte sie ihre Gedanken wenigstens auf das Blatt Papier bringen.

Normalerweise konnte sie beim Tanzen gut abschalten, doch die ständige Erinnerung an Chuckie machte es unmöglich.

Sie zeichnete ihm ein Bild. Viele Fotos hatte sie zur Hilfe und so entstand ein letzter Gruß an ihn. Das Bild mit dem Titel „I will never forget you“ nahm sie, legte einen Brief bei und gab Chuckie frei.

Ärger und Verletzung waren einer Art Trauer gewichen, denn sie wusste dass sie ihn immer noch liebte und sie wollte es ihm wenigstens noch einmal zeigen.

Kein Wort der Anklage, sondern des Dankes für die Zeit mit ihm, schrieb sie dem Mann, mit dem sie alt werden wollte.

Es war an der Zeit zu erkennen, dass die Beziehung schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, doch Sila wollte es einfach nicht wahrhaben. Chuckie und sie waren so verschieden, hatten so unterschiedliche Einstellungen, Ziele und Träume und die Distanz zwischen ihrer Familien war zu weit.

Nun gab sie Chuckie frei... Es war vorbei.
 

Mit dem Abschicken des letzten Briefes zerbrach Sila innerlich.

Keiner ihrer Freunde, auch nicht Phil, wussten dass Sila Chuckies Tanzpartnerschaft und auch die Beziehung aufgelöst hatte.

Niemandem erzählte sie davon.

Die erste Zeit isolierte sie sich. Ließ kaum jemanden an sich heran.

Phil war zu der Zeit sehr oft in der Universität und musste viel lernen.

So tanzte Sila fast ausschließlich zu Zeiten an denen ihre Freunde kaum tanzten.

Sie bevorzugte die späten Abende und Nächte und mietete sich nur Privaträume.
 

An einem Abend jedoch, wurde sie von Shizumi überrascht, die wie die anderen engen Freunde das Passwort kannte. Kurze Zeit später kam auch Massayo vorbei, die Sila erst einmal ausschimpfte weil sie sich so lange nicht sehen gelassen hatte.

Sila schwieg.

Während Massayo in ihrer eigentlich freundlichen Art und Weise Sila versuchte zum Reden zu bewegen, erblasste Shizumi und griff Massayo wortlos am Arm.

Verwundert blickte Massayo in das Kommunikationsgerät von Shizumi, bei dem die Informationen von Sila aufgerufen waren.

Dort sah sie nun das, was Shizumi so erschrocken hatte:

Bei Silas Tanzpartner war der Name „Chuckie“ verschwunden.
 

Shizumi starrte Sila nur an und wusste nicht was sie sagen sollte, doch Massayo blickte sie an und fragte: „Was ist geschehen?“

Obwohl Massayo und Shizumi Chuckie nicht wirklich persönlich kannten, wussten sie wie sehr Sila an ihm hing und so waren auch sie verwirrt.

Als Sila sich bockig stellte, wurde es Massayo zu viel. Sie hing an ihrer Freundin und ärgerte sich ohnehin schon dass Sila sich das Leben mit diesem Chuckie so schwer machte. Die letzten Wochen, an denen sich Sila wegen den sinnlosesten Ausreden zurückzog oder gar nicht aufzufinden war, machten ihren Ärger noch größer.

Wütend darüber was „der Typ“ ihr angetan hatte, versuchte sie Sila ins Gewissen zu reden.
 

Sila war die ganze Situation mehr als unangenehm, aber sie merkte dass Massayo und Shizumi ihr nur helfen wollten. Ja, sie wollte ihre Hilfe gerne annehmen.

„Wenn ich an deiner Stelle wäre und mich so verhalten würde wie du es derzeit tust, wie würdest DU dich dann fühlen? Überleg doch mal!!! Wir sind deine Freunde!!!“, rief Massayo empört. Dann knallte sie mit ihrer Hand an den Tisch und rief:

„Mit den Kerlen gibt es nichts als Ärger!!!“

Sila musste etwas schmunzeln. Ja! Das war wirklich typisch Massayo, der Wirbelwind in ihrem kleinen engen Freundeskreis.

Shizumi und Massayo waren immer an ihrer Seite, wie konnte Sila das nur verdrängen wollen?
 

Die kleine Standpauke von Massayo hatte die erste Wirkung gezeigt. Zumindest lief Sila jetzt nicht immer davon, sondern tanzte mit Shizumi und Massayo in privaten Räumen. So hatte Sila wieder Gesellschaft und konnte ein wenig abschalten.

Als Phil mit ihren Semesterprüfungen durch war und zu dem Freundeskreis stieß, musste auch sie schockiert feststellen was geschehen war. Die Geschichte erfuhr sie von Massayo und Shizumi, die ihr rieten alles was mit Chuckie zu tun hatte, nicht zu erwähnen, weil sie feststellen mussten wie stark Sila sich an die Erinnerung klammerte.
 

Nun kam eine schwere Zeit für Phil, denn auch wenn sie durch endlose Einzelgespräche mit ihrer Freundin mehr von ihr erfahren konnte, die Tatsache, dass Sila nicht mehr die Alte war, belastete Phil sehr. Eigentlich war sie ja immer diejenige, die von Sila aufgemuntert wurde, doch zu sehen dass ihre Freundin immer mehr aufgab, ohne dass sie oder Massayo oder Shizumi etwas dagegen tun konnten, nagte an ihren Nerven.

Doch die 3 beschlossen Sila einfach machen zu lassen.

Sie tanzten mit ihr und hörten mit den Fragen auf. Irgendwann – so hofften sie – würde sie entweder von selbst aufhören in der Vergangenheit zu leben oder wenigstens darüber reden wollen.

Mit viel Ehrgeiz und Eifer und noch mehr Geduld schafften es die 3 Freunde Sila dazu zu bekommen, dass sie auch hin und wieder mal mit anderen Tänzern tanzten.

Gerade Sila liebte die Team-Tänze und konnte wieder etwas mehr Freude beim Tanzen haben.

In dieser Zeit spürte sie den Halt ihrer Freunde, obwohl sie es gar nicht verdient hatte, ja sogar nicht gerade freundschaftlich zu ihnen war. Der Halt und die Hilfe waren die Mittel, die Sila etwas aus der Reserve holen konnten und es war die Zeit die ihre Freundschaft noch um einiges mehr festigte.
 

**** *** ** *
 

„Also was denkst du? Schaffen wir es uns für EIN Outfit zu entscheiden?“, fragte Sila mit einem erwartungsvollen Blick zu ihrer Freundin.

„Was sollen wir entscheiden?“, fragte Phil etwas verlegen, weil sie es sich wieder einmal gestattet hatte ihre Gedanken herumschweifen zu lassen.

Schmollend setzte sich Sila neben sie.

„Ochhhh Imôtooo! Du hast gar nicht richtig zugehört... Magst du die Idee von einem Partneroutfit nicht?“

Jetzt war Phil hellwach, denn sie erinnerte sich dass Sila ihr vorgeschlagen hatte, ein Partneroutfit zusammen zu suchen.

„Nein nein!!! Entschuldige Neechan!!! Ich war kurz in Gedanken XD ... Ein Partneroutfit? Mit dir??? Wiiiii“, dabei fiel sie ihrer verwunderten Freundin um den Hals.

„Das wäre ja toll!!! Du kommst auf Ideen, Neechan!“, lächelte Phil und begann endlich ihr Essen zu genießen, nach dem sie Sila etwas angeboten hatte.

„Wann fangen wir an uns etwas auszusuchen, Neechan?“, fragte sie nachdem sie ihre Lunchbox geleert hatte.

„Wenn du fertig mit dem Essen bist, Imôto!“

„Ich bin gerade fertig geworden o.o“

„Na dann! Lass uns losziehen“, jubelte Sila und sprang auf.

Total verwundert blickte Phil Sila an: „Jetzt? In diesem Augenblick??“

„Hast du schon etwas vor?“, war die Gegenfrage.

„Äh n- nein ... Es kommt nur so plötzlich.“, wunderte sich Phil.

Sila ignorierte es, reichte ihrer Freundin die Hand um sie von ihrem Platz hochzuziehen. Nachdem Phil ihre Lunchbox sicher in ihrer Tasche verstaut hatte, ergriff Sila ihren Arm und zog mit ihr durch den angrenzenden Park in Richtung Shoppingmeile.
 

Wenn sich eine der beiden Tänzerinnen vorgestellt hatte, dass sie sich schnell auf ein einheitliches Outfit einigen würden, konnte sich nun vom Gegenteil überzeugen lassen. Zum ersten Mal wurde den Freundinnen bewusst WIE unterschiedlich ihre Kleidungsstile waren. Phil, zum Beispiel war fast einen ganzen Kopf kleiner als Sila und trug deswegen immer Absätze, zu Silas immer wieder großen Verwunderung sogar beim Tanzen. Sila hingegen trug in ihrem Leben nur ein einziges Mal Absätze.

Es war zu der Zeit als sie auf einen eleganten Ballähnlichen Abend mit ihren Zieheltern eingeladen worden war, wo die Garderobenvorschrift: Abendkleidung hieß.

Auch wenn Sila es ihrem „Halbbruder“ zu liebe getan hatte, so litt sie den ganzen Abend an entsetzlichen Fußschmerzen, weil sie Absatzschuhe tragen musste. Vom Tanzen – trotz der lieben Bitten ihres „Bruders“ - konnte keine Rede sein.

Seit diesem Tag trug Sila immer Turnschuhe oder flache Stiefel und war schockiert als Phil ihr sagte, dass sie gerne Absätze haben wollte.

Sila liebte kurze Hosen oder auch Röcke, Phil hingegen trug lieber lange Hosen.

Sila liebte Farben, Phil bevorzugte dunkle Kleidung.

Sila mochte Felle, Verzierungen und Falten, Phil mochte es eher schlicht und einfach.

Da standen nun die beiden Freunde, die sich in ihre Köpfe gesetzt hatten, nicht ohne ein gemeinsames Tanzoutfit aus dieser Shoppingmeile zu gehen, und grübelten wie sie ihre Unterschiedlichkeiten lösen konnten.

Die Shoppingmeile war gut gerüstet für Outfits der Tänzer und Tänzerinnen, denn die Läden merkten sehr schnell wie gut sie mit den Schülern des angrenzenden Internats verdienen konnten, wenn sie Tanzoutfits anboten. So wurden die unterschiedlichsten Stile und Kostüme immer erweitert und angepasst.
 

Beim Vorbeigehen an einem Schaufenster fiel Sila ein knielanger schwarzer Faltenrock auf, der sogar einen silbernen Ziergürtel im Preis hatte. Beim Zeigen des Rockes zu Phil, merkte Sila an ihrem Blick dass es ein eher ungewohnter Gedanke war.

„Du willst einen Rock? Als Partneroutfit?“

„Warum nicht?“

„Aber ich dachte du magst Röcke beim Tanzen nicht, weil man manchmal was sehen kann...“

Sila grinste Phil an und konterte: „Aber man kann doch eine total kurze Hose drunter anziehen und außerdem ... Schau! Es ist knielang ... Da dürfte es nicht so große Probleme machen, oder?!“

Nun, so sehr davon überzeugt war Phil noch nicht und da Sila sie zu nichts überreden wollte, was sie nicht selber wenigstens tolerieren könnte, fragte sie:

„Gefällt dir der Rock denn überhaupt?“

Phil betrachtete ihn, lief rechts und links am Schaufenster vorbei und sagte nachdenklich:

„Nun ja ... Hübsch ist er ja, aber ich bin echt nicht gewohnt einen Rock zu tragen. Wer weiß ob er mir überhaupt steht.“

Nun konnte Sila einen Vorschlag bringen:

„Genau so wenig wie ich es gewohnt bin mit Absätzen zu tanzen, Imôto! Lass uns mal den Rock anprobieren und schauen ob er uns überhaupt passt.“

Mit diesen Worten betraten die Damen den Laden und zogen sich den Rock an.

Kaum sahen sich die Tänzerinnen mit dem gleichen Rock, hörte man im Laden ein fröhliches quiecken – was leider typisch für die Beiden war.

Phil bemerkte dass ihr der Rock doch recht gut stand und Sila lächelte:

„Wenn du bereit bist für mich einen Rock zu tragen, dann möchte ich dafür lernen mit Absätzen zu tanzen. In dem Laden in dem wir vorher waren, haben uns doch die hübschen hellen Schuhe mit den Flügeln an der Seite so gefallen ... Komm, die probieren wir an.“

Kaum machte Sila Phil das Angebot sah sie das typische fröhliche Strahlen in ihrer Freundin und merkte dass es möglich ist durch Kompromisse eine Einheit zu bilden, selbst wenn man sonst andere Vorlieben hatte.
 

Die Schuhe gefielen beiden Damen, auch wenn Sila sehr wackelig auf den „kleinen“ Absätzen – wie Phil sie nannte – stand. Für Sila waren das keine kleinen Absätze, sondern Mordinstrumente. Doch sie biss die Zähne zusammen, denn hübsch waren die Schuhe ja und mit dem Rock sagen sie wirklich gut aus.

Nun fehlte den Beiden ein Oberteil.

Als Sila Phil fragte ob sie nicht vielleicht schon eine Idee hatte, erzählte Phil ihr von einer neuen Kollektion in einem Laden, die erst einige wenige Tage vorher herausgekommen war. Sila wusste was sie meinte, denn auch sie hatte die hübschen Sachen begutachtet. Als Phil ihr erzählte dass sie ein schickes Oberteil gesehen hatte, dass sicher gut passen könnte, musste Sila erstaunt feststellen dass Phil genau das Oberteil meinte, dass sie selber so hübsch fand. Sie gingen in den Laden um sich zu überzeugen dass beide das gleiche Oberteil meinten und siehe da? In diesem einen Punkt waren beide Damen einer Meinung! Das Oberteil sah schick aus, war silber grau und hatte schwarze breite Träger, die locker an den Armen anlagen. Was für ein Abschluss. Im gleichen Laden fanden sie auch hübsche Armkettchen und eine schicke Halskette, die sie zufrieden in ihre Einkaufstüten stopften.
 

Welch ein Tag!

Phil wunderte sich über Silas ungewohnte Fröhlichkeit. Nach einigem Ringen mit sich selber, fasste Phil sich Mut und fragte:

„Neechan ... Du bist so fröhlich heute ... Ist irgendetwas schönes passiert?“

Sila blieb stehen, lächelte, drehte sich zu Phil und erklärte mit rot werdenden Wangen:

„Ich bin so blöd gewesen Imôto ... Du und Massayo und Shizumi ... ihr hattet es nicht leicht mit mir in der letzten Zeit. Gestern, als ich ein Lied gehört habe, zu dem Chuckie und ich immer gerne getanzt haben, da musste ich an die guten Dinge denken, die wir erlebt haben. Auch an schöne Dinge mit dir und den Anderen. Es tut mir Leid dass ich euch solchen Kummer gemacht habe... Auch wenn es nicht immer einfach ist, ich möchte dass es endlich aufhört mit dem Traurigsein. Ich möchte meine Energie lieber verwenden um die Zeit zu genießen die ich mit euch verbringen darf!!!“

Sie blickte in die Ferne, wo man das Internat bereits sehen konnte und sagte leise:

„Wir werden langsam erwachsen, Imôto, und sicher nicht für immer hier sein. Wer weiß wie lange wir noch so zusammen sein können...“

Ja, Phil war sich sicher, dass Chuckie immer noch eine große Rolle in Silas Leben, in ihren Erinnerungen und in ihrem Verhalten. Aber er war nun nicht mehr da und solange er ihr nicht mehr begegnen würde, könnte Sila ihn mehr und mehr vergessen.

Auch wenn Phil es nie laut äußern würde hoffte sie dass Chuckie Sila wirklich in Ruhe lassen würde und sie endlich ein neues Leben anfangen könnte, auch wenn es dauern würde.
 

Das Partneroutfit war ein voller Erfolg. Alle Freunde bemerkten es natürlich sofort und beglückwünschten zu der guten Wahl der Beiden.

Doch alle Beteiligten, inklusive Sila und Phil, mussten sich erst einmal an das ungewohnte Aussehen der Tänzerinnen gewöhnen. Zudem gab es in der Anfangszeit immer wieder Momente die die anderen schmunzeln ließen, wegen ihrer Tolpatschigkeit mit Absätzen. Ja, es dauerte bis sich die Tänzerinnen daran gewöhnten, aber der gemeinsame Tag des Einkaufs würde sicher unvergesslich bleiben.
 

**** *** ** *
 

Müde vom Tanzen und mit immer noch leicht schmerzenden Füßen wegen den ungewohnten Schuhen, ging Sila den langen Flur zu ihrem Apartment entlang.

Gerade als sie ihre Chipkarte durch die Türöffnung ziehen wollte, bemerkte sie eine ältere Frau, die nicht weit von ihr stand.

„Guten Abend Fräulein Sila. Hatten Sie einen übungsintensiven Tag?“, wurde Sila von der freundlichen Frau des Anlagenbesitzers begrüßt.

„Oh ja, wie jeden Tag, Frau Kleve. Dankeschön für die Nachfrage. Ich hoffe Sie haben auch einen schönen Abend.“, verbeugte sich Sila höflich und bemerkte beim Aufrichten dass die gute Frau einen Umschlag in den Händen hielt. Ihr Blick blieb nicht unbemerkt, Frau Kleve las noch einmal den Empfänger des Umschlags und reichte den Brief dann Sila mit den Worten:

„Ich wollte Sie nicht lange aufhalten, doch heute kam der Postbote verzweifelt zu uns und bat uns Ihnen den Brief höchst persönlich zu geben. Der Absender bestand darauf dass Sie den Brief auch wirklich erhalten würden.“

Die alte Dame blickte auf den dicken Umschlag und lächelte:

„Es scheint sehr wichtig für jemanden zu sein, dass Sie den Inhalt dessen erfahren.“

Damit überreichte sie der verwunderten Sila den Brief und verabschiedete sich.
 

„Was mag drin sein?!“

Der erste Gedanke war Chuckie. Vielleicht war er doch lange Zeit verhindert und hatte es endlich geschafft ihr zu schreiben?!

Mit klopfendem Herzen betrat Sila ihr 3 Zimmer Apartment, schmiss ihren Mantel und Tasche im Flur auf den Boden und lief in das wohnlich eingerichtete Wohnzimmer.

Erstaunt befühlte Sila ihren Brief und wunderte sich über die Fülle des A4 Umschlags.
 

Beim Umdrehen fiel ihr Blick auf den Absender des Briefes und sofort schwand ihr erwartungsvolles Leuchten aus den Augen. Auch ihr Herz beruhigte sich allmählich, während sie eine Schere zum Öffnen des Umschlags hervorholte.

Aus dem Umschlag fiel ein Brief mit sehr vielen Seiten heraus. Auch Fotos lagen bei.

Sila seufzte, ihre Enttäuschung darüber dass der Absender nicht Chuckie war, stand ihr im Gesicht geschrieben.

Sie betrachtete die Fotos, schmunzelte über einige Schnappschüsse, lehnte sich zurück und las die erste Zeile:

„Ey du treulose Tomate!!!“ ....
 

Ende Kapitel 10:

~ Abschiedsmelodie ~

~ Männliche Verstärkung im engen Freundeskreis ~

Sila saß am späten Abend im Wohnraum ihres Apartments. Ein langer und anstrengender Tag voller Übung und Tanz war vorbei.

Auf dem niedrigen Wohnzimmertisch, nicht weit von ihrem beigen Sofa, stand eine dampfende heiße Schockolade mit Sahne, genauso wie Sila es so gerne mochte.

Auf ihrem Schoß befand sich ein Brief, der mehrere Seiten enthielt. Auch Fotos lagen nicht weit vom leeren Briefumschlag auf dem Wohnzimmertisch.

Sie betrachtete die Fotos, schmunzelte über einige Schnappschüsse, lehnte sich zurück und las die erste Zeile:

„Ey du treulose Tomate!!!“

Anfangs war Sila sehr enttäuscht, denn sie dachte der Absender des Briefes könnte Chuckie sein, doch nun legte sich ein breites Grinsen über ihr Gesicht.

Kein „Hallo“, kein „Guten Tag“, kein „Lange nichts mehr von einander gehört, wie geht es dir?“.

Sila schüttelte lachend den Kopf.

'Das ist mal wieder so typisch für ihn! Fällt gleich mit der Tür ins Haus.', dachte sie und las weiter:

„Sag mal was fällt dir eigentlich ein, junge Dame, Mutter, Vater und mir so einen Schrecken zu versetzen?! Schlimm genug dass du dich unverschämt lange nicht gemeldet hast, was eigentlich ziemlich typisch für dich ist, aber dass du dich SO lange nicht meldest ist unnormal!

Am Schlimmsten ist ja noch nicht mal dass du mir auf meine unzähligen Mails und Nachrichten überhaupt kein Lebenszeichen geschickt hast, sondern dass ich über eine dritte Person erfahren musste dass du Chuckie endlich den Laufpass gegeben hast!

Und JA, ich meine es genau so wie ich es geschrieben habe! ENDLICH!!!

Aber dass du dich deswegen nicht meldest müsste eigentlich mit 5 Level Abzug auf deiner Tanzschule bestraft werden!

Also echt!

Mutter und Vater wollten sogar schon die Polizei einschalten... Du weißt doch wie sie sind, Sis! Du glaubst gar nicht wie gerne ich aus diesem Brief hier rausspringen würde um dich mal richtig durchzuschütteln! Meldest dich mehr als 6 Monate nicht mehr!!!“
 

Oje. Das waren harte Worte.

Sila seufzte, nahm einige Schluck heiße Schockolade und beobachtete eine Zeit lang ihre Wanduhr.

'Woher soll er wissen wie es mir ging? Wie es mir immer noch geht? Er ist so beschäftigt mit seinen Wettbewerben, dass er für so etwas überhaupt keine Zeit hat...'

Huch? Was war das?

Eine Träne tropfte auf den Brief. Erschrocken stellte Sila ihre Schockolade wieder auf den Tisch, trocknete ihre Wange und legte die Briefe erst einmal zur Seite.

Die letzten Wochen, ja Monate, fühlte sie sich wohler alleine, doch nun bekam sie sehr starkes Heimweh.

Es tat ihr schrecklich leid, dass sie ihren Zieheltern und ihrem Bruder solche Sorgen bereitet hatte. Sila hätte sich melden müssen, es stimmte, doch sie hatte nicht die Kraft dazu.

Ihre „Familie“ hatte sie so lange schon nicht mehr gesehen, denn die Zieheltern lebten in dem Land in dem Silas 1. Tanzschule war. Ihr großer „Bruder“ tanzte sogar immer noch auf der Schule. Er hatte die Erlaubnis weil seine Eltern schon mehrere Jahrzehnte in diesem Land lebten.

Sila kam erst in diese Familie als sie mit zehn Jahren ihre Eltern durch ein Feuer verloren hatte. Sie selbst war zu der Zeit gerade im dritten Jahr eines Internats für kreative Kinder. Man sagte ihr, das Feuer wäre im Schlaf ausgebrochen und die Eltern hätten nicht gelitten. Weil Sila keine eigenen Geschwister oder Verwandte hatte, wurde sie von den besten Freunden ihrer Eltern aufgenommen und mit viel Liebe als zweites Kind großgezogen.

Sie selbst schien alle Erinnerungen an ihre leiblichen Eltern verloren zu haben. Man sagte ihr, es komme von dem Schock und niemand wusste ob sie die Erinnerungen je wiedererlangen würde. Seit dem Tod lernte sie ihre Zieheltern und den neuen Bruder als Familie anzusehen und benannte sie auch so.

Merkwürdigerweise wurde Sila nie adoptiert, doch sie selbst nahm den Namen der Familie an.

Die fehlende Adoption war auch der Grund warum Sila nicht als Landesbürgerin akzeptiert wurde und ihre Tanzschule verlassen musste.

Ihr Bruder war auch ein Tänzer, folgte Sila aber nicht mit auf die neue Schule, denn er steckte, mit seiner Tanzpartnerin zusammen, in wichtigen internationalen Wettbewerben.
 

Sila nahm die Zettel wieder zur Hand und las weiter:

„Was ich dir noch unbedingt schreiben wollte;

Du bist nicht die Einzige, die - nun sagen wir mal – neu beginnt. Um ehrlich zu sein bin ich die überfüllten Tanzsäle schon lange leid. Hierher kommen fast nur noch Freaks ... Du kannst dir gar nicht vorstellen was hier abgeht, Kleines!

Laila, die kennste ja noch, meine Tanzpartnerin, mutierte zu einer immer größeren Zicke. Argh! Du glaubst gar nicht wie sehr ich koche wenn ich nur den Namen höre.

Anfangs war sie ja lieb und nett, eine tolle Tänzerin, hatte Spaß beim Tanzen, Üben und besonders bei den Wettbewerben. Doch kaum schnupperte sie etwas Erfolg wurde sie unmöglich, diese hochnäsige Ziege!!! Ständig hat sie mit mir rumgeprahlt und angegeben!Bah!!! Ich musste überall stramm stehen wenn sie nur einen Pieps von sich gegeben hat.

Vor 2 Monaten habe ich ihr die Trennung unserer Tanzpartnerschaft vor die Nase gehalten. Wie sie's aufgenommen hat interessiert mich nicht im geringsten! Bin hier fast wahnsinnig geworden!

So! Dann habe ich aus Frust gar nicht mehr getanzt und nun möchte ich mich mal wieder aufraffen, denn ich habe hier nicht zig Jahre gelernt um dann einfach so alles hinzuschmeißen.

Ich brauche neue Herausforderungen meine Kleine!

Und hier kommst du mit ins Spiel, aber es gibt eine Bedingung!!!

So leicht kommst du mir nicht mehr davon!

Hab dran gedacht an deiner Schule ein paar Schnupperwochen zu tanzen, doch weil du dich Monate lang ja nicht gemeldet hast, habe ich nun auch 4 andere Anfragen.

Weißt ja, die suchen immer gute Tänzer ;p

Wenn du WILLST dass ich zu dir, auf das kleine Tanzinternat komme, dann will ich es von dir selber hören, hast du verstanden?

Nur wenn du mich selber drum bittest, werde ich allen anderen absagen und zu „Audition – EU“ kommen ;) Es liegt also an dir Kleines!“
 

Nun war Sila hellwach!

Er wollte tatsächlich an ihre Schule kommen? Das war zu schön um wahr zu sein. Sila quieckte fröhlich und warf sogar fast ihre Schokolade auf ihren hellen Teppich.

Sofort sprang sie auf, stellte ihren Computer an, denn es stimmte, sie hatte seit Monaten keine Nachrichten mehr nachgesehen.

---Pling---

„Sie haben 172 neue Nachrichten“, war auf dem Desktop zu lesen, wobei die meisten Nachrichten tatsächlich von ihrem Bruder waren.

'Juhuuuuu er will kommen!!!', jubelte Sila im Stillen.
 

In Gedanken malte sie sich schon aus wie sie vor ihren Freundinnen (und Freunden) stehen würde und ihren Bruder vorstellen würde.

'Das wird was werden~ Genau wie zu der Zeit als wir auf „Audition – SEA“ getanzt haben', freute sich Sila.

Das Amüsante war, dass sie so gar nicht aussah wie seine Schwester. Die Haarfarben waren ganz anders, die Augen, das Gesicht und der Charakter. Nur die Größe war fast gleich.

Früher staunten die Leute immer als sie sagten sie wären Geschwister. Darüber lachten sie dann und gaben als Erklärung an sie wären Halbgeschwister. Sie hatten keine Lust ständig zu erzählen warum Sila in der Familie Diamon großgezogen wurde.
 

Nun musste Sila an ihre „kleine Schwester“ denken.

Schon länger sorgte sich Sila um ihr Verhalten anderen Männern gegenüber. Phil mied so gut wie alle Partnertänze, denn meist war die Folge dass sie Anträge auf Tanzpartnerschaft bekam oder die Männer ihr überall hin folgten. Phil war sowieso nicht die Person die bei männlichen Tänzern den 1. Schritt machen würde und so verkroch sie sich mit den anderen in privaten Räumen.

Sila war es ganz lieb, denn auch ihr wurden immer häufiger Anfragen auf Tanzpartnerschaft gestellt, selbst wenn sie nur einen einzigen Partnertanz mit dieser Person getanzt hatte.

Doch Sila war der festen Überzeugung dass ihre Freundin einen Tanzpartner brauchen würde. Einen, der sie schützte, der sie und ihre tänzerische Leistung so zu schätzen wüsste, wie sie es verdient hatte. Jemand, der die anderen Bewerber mit einem Tritt vor die Türe setzen würde...

Und es würde niemand anderen geben, der DAS fertig bringen könnte, als ihr großer Bruder! Zudem würde es sehr schwer werden Phils Gunst zu bekommen, auch für so einen hartnäckigen Burschen wie ihn.

Doch was schrieb ihr Bruder im Brief?

Er bräuchte neue Herausforderungen?

Silas Wangen glühten, als sie sich kichernd vor ihren Computer setzte und eine Nachricht an ihren Bruder schrieb.

Eine Nachricht, in der sie ihn und ihre Eltern ganz reuevoll um Verzeihung bat und ihn mit aller Kunst bat auf ihrer Schule neu anzufangen.

Dann atmete sie einmal tief durch und begann von ihrer Imôto zu erzählen...
 

**** *** ** *
 

Draußen brach ein herrlicher Tag an. Zu schade dass Sila wieder den ganzen Tag in den Tanzsälen verbringen würde.

'Wenn es so schön bleibt kann ich ja meine Mittagspause verlängern und etwas im Park spazieren gehen', sann sie nach, während sie sich auf den Weg zum Internat machte.

Kaum angekommen, zog sie sich um und lief in die Lobby.

Das gab es doch nicht! Shizumi, Massayo und Phil waren schon zusammen in einem privaten Raum tanzen?!

Sila wunderte sich wirklich, denn es war noch sehr früh.

Am Tanzsaal angekommen, waren die Türen noch verschlossen und Sila betrachtete die Informationen der Tänzer des Saales.

Gleich beim Aufrufen der Tänzer, die sich in dem Raum befanden, stutzte Sila.

Gab es denn sowas? In dem Raum tanzte ein männlicher Tänzer!

Nun es war sehr selten dass ein männlicher Tänzer im engen Freundeskreis tanzte.

Sila las den Namen...

„Sagt mir nichts“, dachte sie laut. Es war üblich dass Tänzer auch Künstlernamen bevorzugten und deswegen dachte Sila nicht weiter darüber nach.

Kaum war die Tür freigegeben, betrat Sila mit dem altbekannten Passwort von Phil den Raum und traute ihren Augen nicht.

Vor ihr stand - neben ihren Freundinnen, zur Rechten von Shizumi - ein dunkelhäutiger Tänzer, mit hellen, fast weißen Haaren, blauen Augen und ... Sila starrte den Tänzer nur wortlos an ... Er hatte große Ohren. Die Gleichen wie Shizumi.

„Shad!!!!!! Du hier???????? Ich glaube ich träume noch!“, rief Sila durch den ganzen Raum. Shadow, der Zwillingsbruder von Shizumi, lächelte freundlich und ging auf Sila zu.

Sila jedoch freute sich so sehr über solch eine Überraschung dass ihm völlig unvorbereitet um den Hals fiel.

„Das ist ja unglaublich!!! Wie schön dich wieder zu sehen!!!“, Sila lachte und quietschte. Massayo, Phil und Shizumi wurden gleich mit angesteckt.

Sila bemerkte seinen 3. Level und blickte fragend zu Shizumi herüber.

„Du hast ja gar nichts erzählt!!!“

Dabei schaute sie mit großen Augen wieder zu Shadow herüber: „Ich wusste gar nicht dass du AUCH tanzt“.

Shadow lachte herzlich: „Ich wusste ja selber gar nicht dass ich überhaupt einen Tanzschritt hinbekommen würde. Auch wusste ich gar nicht was für einen Spaß man dabei haben könnte! Aber es ist schön dich wieder zu sehen! Man! Du bist ganz schön erwachsen geworden.“

Mit diesen Worten verbeugte er sich und lächelte Sila freundschaftlich an.

Shizumi legte ihren Arm auf die Schulter von ihrem „großen“ Bruder, der in Wahrheit nur wenige Minuten älter war als sie, und jubelte: „Brüderchen war es zu langweilig alleine zu hause zu bleiben, also schloss er sich uns an, nicht wahr?“.
 

Nun begrüßte Sila erst einmal Massayo, Shizumi und Philphlader, von letzterer sie sofort gefragt wurde:

„Ihr kennt euch auch, Neechan?“.

„Natürlich!“, lächelte Sila, „Shizumi und ich waren früher unzertrennlich! Wir haben immer stundenlang gezeichnet und gemalt. Shad und sie unternehmen eigentlich fast alles gemeinsam, aber wegen mir musste er oft auf seine Schwester verzichten.“

„Ganz genau! Und auch hier hattest du meine Schwester in Beschlag genommen. Das ändert sich nun.“, ergänzte Shadow.

„Zudem“, sagte er und blickte in die Runde, „glaube ich, können 4 so hübsche Frauen einen Beschützer sicher in ihrem Freundeskreis gebrauchen?“

Nun kicherten alle.

Das Eis war gebrochen und Shadow wurde einstimmig als erstes männliches Mitglied im engen Freundeskreis aufgenommen.

Auch wenn Shadow noch viel lernen musste und noch viele Schritte verpatzte, so kümmerten sich die Tänzerinnen rührend um ihren „Beschützer“.
 

Shadow gewöhnte sich unglaublich schnell an das Tanzen und den Alltag im Internat, mit allem was dazugehörte.

Er zählte zu den höflichen, liebevollen und bald schon zu den begehrtesten Tänzern.

Wenn Phil lernte, Shizumi zeichnete und Massayo anderweitig beschäftigt war, kümmerte sich Sila um Shadow. Es war ihr eh lieber mit einem Freund als mit fremden Tänzern zu tanzen.

Das Beste an der ganzen Geschichte für Sila persönlich war, dass sie nun einen Partner für die Partnertänze hatte. Einen bei dem sie sich keine Sorgen machen brauchte dass er sie unbedingt als Tanzpartnerin haben wollte. Einen, mit dem sie alle Teamtänze tanzen konnte und endlich dabei wieder entspannt bleiben konnte.

Natürlich passte sich Sila seinem Tempo an, doch für sie hatte es nur Vorteile, denn so konnte sie ihre zusätzlichen erschwerten Schritte perfektionieren und Shadow war es egal ob er gewann oder verlor, denn er entwickelte Gefallen am Tanz.

Für ihn war Tanzen eine schöne Nebenbeschäftigung.

Sein Hauptberuf war es Spiele zu entwickeln und zu testen, doch tägliches, stundenlanges Sitzen vor dem Bildschirm gefiel ihm nicht so sehr. Er wollte eine sportliche Abwechslung und fand zusätzlich sehr viel Spaß beim Tanzen!
 

Hin und wieder war es Sila, die ihn vor weiblichen Fans schützen musste.

Wenn sie gemeinsam den Clubtanz tanzten, fanden sich schnell Damen, die unbedingt mit Shadow tanzen wollten. Silas Spaß fing dann erst an, wenn sie anfing den anderen Tänzerinnen zu sagen:

„Ihr habt eh keine Chance! Shadow tanzt mit MIR und daran wird sich nichts ändern.“

Fingen die – meist viel jüngeren – Tänzerinnen daraufhin an, Shadow um so größere Avancen zu machen, rückte Sila ihm meist sehr nahe, legte ihre Hände auf seine Schulter, kicherte scheinbar verliebt, warf den Damen einen vernichtenden Seitenblick zu und sagte:

„Gebt es auf, ihr blamiert euch nur!“

Obwohl Shadow wusste wie gerne Sila dieses „Spielchen“ liebte, wurde er immer wieder total verlegen. Shadow sah zwar nach außen hin wie ein Frauenheld aus, war aber tief in seinem Inneren ein wirklich schüchterner aber aufrichtiger Mensch.

Mit so vielen Frauen, die scheinbar total auf ihn standen, hatte er überhaupt keine Erfahrung.

Einige bombadierten ihn sogar mit Geschenken und Tanzkleidung.

„Das musst du unbedingt anprobieren. Du würdest soooo toll damit aussehen“, waren dann meist die ersten Kommentare dazu.

Sila hatte wirklich ihren Spaß mit Shadow und seinem Fankreis, auch wenn sie sehr unbeliebt bei den Damen wurde, doch Sila kümmerte es überhaupt nicht was SOLCHE Leute von ihr dachten.

Es half ihr sich von ihren ständigen Gedanken wegen Chuckie abzulenken, die verschiedenen Tanzmöglichkeiten zu nutzen, diese überhaupt endlich wieder wahr zu nehmen.
 

**** *** ** *
 

Hecktisch blickte Sila auf ihre Uhr. Sie waren sehr spät dran.

Sie, die sonst immer peinlich genau auf Pünktlichkeit achtete, konnte es überhaupt nicht ausstehen wenn jemand oder sogar sie selber zu spät dran waren.

Doch heute blieb ihr nichts anderes übrig als sich zu verspäten, denn ihr verehrter großer Bruder wollte unbedingt neue Tanzkleidung kaufen und diese natürlich gleich am ersten Tag nach seiner Anmeldung tragen. Ohne ihn wollte sie aber an diesem Tag nicht in den Tanzhallen auftauchen.

Etwas besorgt blickte Sila zu ihrem Bruder, der ihren Blick nur mit einem Grinsen erwiderte.

„Bist du dir wirklich sicher, dass du es hinbekommen könntest? Also ich meine ... Wenn sie erfährt dass es von mir inszeniert wurde, dann wird sie sicher sehr böse sein...“.

„Mach dir darum mal keinen Kopf! Der Einzige, der hier seinen Kopf verlieren kann, bin ich, oder? Außerdem weiß ich ja noch nicht einmal WIE gut deine Imôto wirklich ist. Du puscht gerne unbewusst irgendwelche Fähigkeiten der Leute, die du gerne hast, auf.“

„Tue ich gar nicht! Sie IST gut! Das wirst du noch früh genug merken!!!“, schmollte Sila.

Nun blieb ihr Begleiter abrupt stehen, sah ihr tief in die Augen, grinste keck, zog seine Schwester mit einem Ruck eng an sich, so dass sich ihre Nasenspitzen berühren konnten und sagte sanft:

„Ich kann es auch sein lassen und DIR Avancen zur Tanzpartnerschaft machen. Wie wärs damit, Kleines?“.

Schockiert befreite sich Sila aus seiner Umarmung und wandte ihren Blick von seinen tief türkis-blauen Augen ab.

„Wie kommst du denn auf so einen Blödsinn!? Ich habe es dir früher auch immer schon gesagt! Ich werde niemals die Tanzpartnerin meines Bruders! Daran hat sich nichts geändert!!!“

Er seufzte, denn er kannte ihre Reaktion sehr gut.

„Dann bleibt es also bei deinem Vorschlag, Sis! Keine Angst, ich weiß was ich tue und wenn die Dames es so wert ist wie du mir erzählt hast, dann wird es mir ein Vergnügen sein sie zu meiner Partnerin zu machen.“

'Vielleicht war das wirklich keine so gute Idee', zweifelte Sila immer mehr. Sie warf verstohlen einen Seitenblick zu ihrem Bruder und musste sich immer wieder fragen wie schnell sich Menschen verändern konnten.

Es war gar nicht so lange her, da war ihr Bruder eher dürr und schüchtern, doch seit er auf „SEA“ getanzt hatte, strotzte er nur so vor Selbstbewusstsein und auch einigen Muskeln.

Sein Blick war aufgeweckt und manchmal auch verspielt. Er liebte es seine Schwester zu necken oder zu ärgern oder sich einfach nur mit ihr zu messen. Doch konnte er sich auch stundenlang ernsthaft mit ihr über alles und jeden unterhalten.

Sila war sehr stolz auf ihren großen Bruder und sie freute sich wirklich sehr, dass sie wieder mehr Zeit mit ihm verbringen konnte, so wie auf „SEA“ als alles noch anders war...
 

„Sie tanzt im 69. Raum mit zwei anderen Tänzern“, rief Sila, „Komm doch! Sie sind gleich fertig!“.

Schon lief sie voraus, gerade rechtzeitig als die Tür zu dem Vorbereitungsraum freigegeben wurde. Als sie eintrat verließen beide Tänzer den Raum und Phil war alleine.

„Neechan? Ist alles in Ordnung? Du kommst aber spät!“, sagte sie und blickte auf ihre Uhr.

„Entschuldige bitte Imôto“, entschuldigte Sila sich mit einer Verbeugung, „es war nur weil...“

Weiter kam sie nicht, denn ihr Begleiter kam durch die Tür und vollendete den Satz mit geradem Blick auf Philphlader gerichtet.

„...ICH sie aufgehalten habe!“, er senkte höflich seinen Kopf, lächelte, reichte der völlig verwunderten Phil seine Hand und sagte fest: „Mein Name ist Kiso! Kiso Diamon! Ich bin der Bruder von Sila.“
 

Phil stand vollkommen sprachlos mit großen Augen vor Kiso und lies ihn ihre Hand schütteln.

Dann schien sie sich wieder zu fangen, schüttelte kaum merklich den Kopf und stotterte:

„Ich äh bin ihre Schwester... äh nein! Ich meine ihre Freundin Philphlader.“

Kiso lies ihre Hand los, trat einen Schritt zurück und lächelte:

„Ich freue mich sehr deine Bekanntschaft zu machen. Sila hat mir endlose Geschichten über dich erzählt!“

„Wirklich, Neechan?“, staunte Phil und blickte ihre Freundin an, die sich neben sie gestellt hatte und sie fröhlich zur Begrüßung umarmte.

„Ach naja! Du bist doch meine beste Freundin, da musste ich natürlich von dir erzählen!!!“

Phil wurde verlegen. Sie hatte sich sehr gefreut wieder einmal mit Sila zu tanzen, denn in der letzten Zeit musste sie viel lernen und hatte keine Zeit dafür.

Mit einem weiteren MÄNNLICHEN Tänzer hatte sie nicht gerechnet.

„Ich wusste gar nicht dass dein Bruder dich besuchen kommt.“

„Er kommt mich nicht besuchen, Imôto! Er wird ab heute hier tanzen!“, jubelte Sila, „Ist das nicht eine tolle Überraschung?!“
 

Während sich Phil und Sila in einer regen Unterhaltung befanden, die hauptsächlich mit Kisos plötzlichem Auftauchen zu tun hatte, zog dieser sich leise zurück und tat so als würde er sich den Raum und den Tanzsaal genauer ansehen.

Er schlenderte etwas in dem Raum herum, doch sein Blick ruhte immer wieder auf der jungen Tänzerin mit den langen schwarzen Haaren und zwei türkisfarbenen Strähnen vor den Ohren. Sila erzählte ihm, Phil wäre 21 Jahre alt. Somit war sie 4 Jahre jünger als er, doch ihre ganze Art wirkte älter, weiblicher. Sila war wie ein Sonnenschein, aber manchmal eher kindlich, verspielt. Natürlich merkte Kiso dass Sila stiller als sonst war und er sah auch dass sie Gewicht verloren hatte, doch er kannte seine kleine Schwester gut genug. Sie würde etwas Zeit brauchen, aber bald würde sie bestimmt wieder die Alte sein.

Er wusste nicht warum, doch diese unbekannte Tänzerin fesselte ihn vom ersten Augenblick.

'Alles klar... Der Anfang ist gemacht! Nun heißt es dranbleiben!', dachte er als er mit einem Lächeln zu den Damen kam und ihnen vorschlug etwas zu tanzen.
 

Phil war wie erwartet sehr still und schüchtern. Sila versuchte sie immer wieder abzulenken, doch es hatte keinen Zweck. Kiso hielt sich zurück, konnte es sich doch nicht nehmen lassen seine Begeisterung über Phils Tanzkünste zu zeigen, die sogar ihn mit Leichtigkeit besiegen konnte und es immer wieder tat.

Phil war das ganze Lob sehr unangenehm. Doch sein Lob schien auf irgend eine Weise bei ihr anzukommen, stellte Sila fest, denn Phil reagierte anders als bei manchen Tänzern und gab hin und wieder ein Lob an ihn zurück.

Kiso war besser, sehr viel besser geworden als das letzte Mal als Sila mit ihm getanzt hatte. Silas Level war nun 19, Kiso jedoch, musste bei 1 anfangen. Phil dagegen trug mittlerweile den 22. Level und war ein Amateur. Ab dem 21. Level gehörte man zu der gehobeneren Klasse der Tänzer und es stand einem sogar ein besseres Apartment zu, was Phil jedoch egal war. Sie mochte ihre 3 Zimmer und die Nähe zu Silas Apartment und weigerte sich wo anders hinzuziehen.
 

So verbrachten Sila, Philphlader und Kiso den ganzen Tag mit Tanzen. Später lernte Kiso auch Massayo kennen, die er sofort mit Shizumi zusammen als seine kleinen Schwestern „adoptierte“. Shadow hingegen fand in Kiso einen guten Freund, mit dem er sehr schnell durch dick und dünn ging.

Durch Kisos kecke, freche, jedoch fröhliche und energiegeladene Art, fand er sehr schnell Anschluss bei Silas Freunden und wurde nach einer Weile auch zum engeren Freundeskreis mitgezählt.

Massayo und Kiso begannen eine sehr interessante Beziehung.

Beide ärgerten und neckten für ihr Leben gerne und so gab es immer wieder kleine Rivalitäten und Wortwechsel zwischen den Beiden.

Doch alles war sehr lieb gemeint, denn die Beiden lernten sich schnell zu mögen und unterhielten mit ihren Streichen die anderen Freunde. Massayo nutzte Kiso gerne als Tanzpartner für die schwierigeren Tänze doch nach kurzer Zeit wurde Kiso immer häufiger in der Nähe von Phil gesichtet. Er scherzte und tanzte mit ihr, blieb jedoch immer in gebührendem Abstand.

Ohne es zu merken gewöhnte sich Phil an Kisos Anwesenheit und begann auch hin und wieder Teamtänze mit ihm zu versuchen.
 

Eines Tages als Phil, Massayo, Shizumi und Shadow in einem privaten Raum tanzten, betrat Kiso mit einem unbekannten Tänzer den Raum.

Alle Freunde blickten verwundert zu dem Fremden.

Er war groß, sehr durchtrainiert, hatte ein keckes und selbstsicheres Grinsen und trug seine längeren lila farbigen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen.

„Ich habe Verstärkung in unsere Runde gebracht“, begrüßte Kiso die Tänzer, klopfte seinem Begleiter freundschaftlich auf die Schulter und fuhr fort, „Ich habe ihn vor einigen Wochen kennen gelernt und in der letzten Zeit haben wir uns gut angefreundet. Er ist total OK und ein klasse Tänzer dazu!!! Ich wollte ihn nicht draußen stehen lassen.“

Shadow machte den 1. Schritt und grüßte den Neuankömmling höflich: „In unserem Freundeskreis sind einige hübsche Damen vertreten. Zu Dritt könnten wir sie natürlich NOCH besser beschützen!“

„Ihr mit eurem Beschützerkomplex“, mischte sich Massayo ein, reichte dem Freund von Kiso die Hand, zwinkerte und sagte:

„Willkommen! Gute Tänzer haben hier immer einen Platz!“ Ihr herausforderndes Lächeln signalisierte ihm dass sie ihn akzeptierte.

„Entschuldigung! Wie war der Name nochmal? Ich habe ihn da hinten nicht mitbekommen können...“, sagte Shizumi verlegen als auch sie dem Tänzer ihre Hand reichte.

Dray ist mein Name und ich freue mich euch kennen zu lernen. Kiso war so frei mich heute mitzunehmen.“

Er ging auf Phil zu, die bisher kein Wort gesagt hatte und reichte auch ihr die Hand.

„Hast du schon Tanzerfahrung?“, wollte Massayo wissen.

„Ja!“, erwiderte Dray, „Ich habe auf einer etwas größeren Schule, nicht weit von hier auf „Nexon“ das Tanzen gelernt.“

„Nexon? So ist das! Das kenne ich!“, freute sich Massayo.

Unbemerkt hielt Dray immer noch die Hand von Phil fest, die er geschüttelt hatte als er plötzlich 2 Hände auf seinen Schultern bemerkte.

Jetzt erst bemerkte er dass er bei den ganzen Fragen die Hand von Phil zu lange hielt, lachte auf und entschuldigte sich höflich bei ihr. Dann drehte er sich zu Kiso und bemerkte einen herausfordernden Blick, den er vorher noch nicht an seinem Freund wahrgenommen hatte.
 

„Damit EINES von Anfang an klar ist, Kumpel“, sagte Kiso in ernstem Ton, nahm seine Hände von Drays Schultern, stellte sich neben Phil und grinste Dray mit funkelnden Augen frech ins Gesicht.

„Von dieser Lady lässt du die Finger! Sie gehört zu MIR!“...
 

Ende Kapitel 11:

~ Männliche Verstärkung im engen Freundeskreis ~

~ Ein Korb kommt selten allein ~

„Bald ist es endlich so weit!“, rief Sila über ihre Schulter hinweg, während sie ihre Beine dehnte.

„Hmm?“, hörte sie nur aus Philphladers Richtung. Silas Freundin blickte noch nicht einmal von ihren Dehnübungen auf. Sie schien ganz in Gedanken versunken zu sein.

„Du freust dich sicherlich schon total, Imôto, oder?!“, Sila war voller Vorfreude.

„Ich freue mich? Worauf?“.

Sila bemerkte einen lang gezogenen Seufzer von ihrer Nachbarin. Verwundert über Philphladers Desinteresse hielt Sila inne und blickte sie an. Philphlader wirkte so bedrückt. Sila erschrak, denn ein solcher Gesichtsausdruck war selten an ihrer Freundin. Sila ging zu ihr, legte die Hand auf ihre Schulter und fragte verwundert:

„Imôto?! Was ist los?“.

Nun beendete Philphlader ebenfalls ihre Übungen, seufzte wieder und setzte sich frustriert auf die Bank, die ihr bis jetzt als Beinstütze bei den Dehnübungen diente. Sila tat es ihr gleich, doch sie fragte nicht mehr, sondern saß stattdessen stumm auf ihrem Platz und blickte auf die wundervoll gestaltende Parkanlage. Die Sonne ließ ihre ersten Strahlen wie zum Gruß leuchten, ansonsten herrschte noch allmorgendliche Stille im Park. Wenn Philphlader reden wollte - wusste Sila - dann würde sie es tun, sobald ihr danach war.

„Ich habe wieder abgelehnt...“, hörte Sila nach einer Weile der Stille leise Philphlader sagen. Sie wirkte so bedrückt, blickte Sila noch nicht einmal an, sondern starrte nur auf den Boden.

„Du hast ... wieder abgelehnt?“, wiederholte Sila langsam. Sie wusste nicht recht was damit gemeint war. Doch plötzlich fuhr sie wie gestochen in die Höhe:

„Kiso wieder???“

Philphlader nickte nur.

„Oh der Kerl kann es einfach nicht lassen, was?“, schnaufte Sila verärgert, doch zu ihrer Überraschung drehte sich Philphlader verzweifelt zu ihr um.

„Was soll ich bloß machen, Neechan? Warum versteht er einfach nicht, dass...“, Philphlader biss sich auf die Lippen und ließ den Satz unvollendet.

Sila war wütend! Es stimmte ja, dass sie Kiso selber gebeten hatte ob er Philphlader nicht zur Tanzpartnerin „bekommen“ wollte, doch SO sollte er es nicht anstellen. Kiso war ja total verändert! Sila hatte ihm schon so oft erzählt, dass er Philphladers Freundschaft nach und nach gewinnen musste. Niemals war die Rede davon, dass Kiso mit der Tür ins Haus fallen durfte! Sila begriff seine Handlungsweise nicht.

Endlich bekam Philphlader Freude bei den Club- und Partnertänzen mit Kiso. Endlich freute sie sich Teamtänze mit oder gegen Kiso zu tanzen. Endlich akzeptierte sie ihn als guten Freund. Anstelle sich vorsichtig an das Thema „Tanzpartnerschaft“ anzutasten, machte Kiso Philphlader Partneranfragen am laufenden Band. Bei jedem Partnertanz, bei denen die Bedingungen erfüllt wurden, machte er ihr ein Angebot.

Silas gut gemeinten Ratschläge wurden zu Bitten und nach und nach nur noch zu empörenden Protesten.

Als wären seine Anfragen nicht schon schlimm genug, so erhob dieser Halunke den vollständigen Anspruch auf Philphlader. Zu Silas großem Entsetzen posaunte Kiso überall heraus, dass Philphlader „sein Mädchen“ wäre und die anderen Tänzer ihre Finger von ihr zu lassen hätten.

Sila war schlichtweg verwirrt von seiner Handlungsweise. Er war doch SONST nicht so, grübelte sie.
 

„Es tut mir so leid dass Kiso sich so daneben benimmt, Imôto“, sagte Sila leise.

Philphlader stand auf und dehnte sich. Nachdem sie fertig war, blickte sie Sila an und bemühte sich zu lächeln:

„Es ist nicht deine Schuld, Neechan ... Es fällt mir nur selber so schwer ... ähm ...“, ihre Sätze erschienen keinen Sinn zu haben. Philphlader überlegte WAS ihr denn so schwer fiel? War es trotz allen Anfragen immer noch mit ihm Partnertänze zu tanzen oder lag es daran dass sie tatsächlich arg damit zu kämpfen hatte „Nein!“ zu Kiso zu sagen?!

Philphladers Gedanken schwirrten schon seit Tagen und Wochen so herum. Oft fragte sie sich ob sie je einen anderen Zustand gekannt hatte als diesen.

Sie war erschöpft. Seit Kiso in dem Tanzinternat aufgetaucht war, hatte sich alles so verändert. So schnell auch noch! Kiso schien an ihrer Tanzpartnerschaft interessiert zu sein. Ja, Kiso sagte immer wie sehr er ihre tänzerischen Fähigkeiten bewundern würde und wie toll es wäre wenn sie als Team zusammen tanzen würden. Doch warum musste man immer gleich eine Partnerschaft daraus machen? Warum konnte man nicht einfach so weiter tanzen, einfach nur Spaß an den Team- und Partnertänzen haben? Warum musste ständig immer wieder die Rede von „Partnerschaft“ sein?

Schon alleine das Wort „Partnerschaft“ versetzte Philphlader Gänsehaut.

Irgendetwas in ihr zog sie zu Kiso. Sie wusste gar nicht warum.

Kiso war zwar wie ein Gentleman – weshalb ihm wohl die Frauen ständig den Hof machen wollten – jedoch gab es auch eine draufgängerische, rebellierende und besitzergreifende Seite an ihm. Mit solch einem Menschen hatte Philphlader nie viel zu tun gehabt. Sie hielt sich sogar immer von „denen“ fern.

Doch Kiso war irgendwie anders. So schnell wie Philphlader gar nicht denken konnte, war er in ihr Leben getreten, er stand ihr zur Seite und schütze sie vor den Anmachsprüchen der Tänzer.

So langsam gewöhnte sich Philphlader an Kiso, doch dann begann er ihr ständig Komplimente und Anfragen zu machen.

Etwas an seinem Blick, an seiner Art, an seinem Verhalten ... Ja sogar wie er redete ... All dies löste ein merkwürdig ungewohntes Gefühl tief in Philphladers Innerem aus.

Nein! Sie schüttelte energisch ihren Kopf. Nein! Das würde sie niemals zulassen können. Nie kam ihr ein Mann so nahe und dabei sollte es auch bleiben! Kiso hin oder her! Nie würde sie jemandem so viel Vertrauen schenken... Niemals würde sie sich jemandem wieder SO öffnen.
 

Damals... Philphlader sann zurück. Damals gab es einen jungen Mann, der ihr der Hof machte. Er gewann ihren Respekt und sie war gerne in seiner Nähe. Als er ihr ein Liebesgeständnis machte, stockte ihr das Herz und sie brachte es nicht fertig ihm zu sagen dass sie seine Gefühle nicht teilen konnte, denn sie empfand nicht so wie er.

Ihm zuliebe kam sie seiner Bitte um eine Partnerschaft nach. Sie bildete sich ein, dass es normal sei, dass sie so empfinden würde. Sie dachte die freundschaftlichen Gefühle zu ihm wären gut genug für solch eine Beziehung aber sie musste sich täuschen.

Eines Tages hob er die Beziehung auf und sagte er würde nichts mehr für sie „fühlen“.

'Fühlen?', fragte sich Philphlader, 'Wenn DAS die Gefühle waren, die er für mich hatte, dann sind es Gefühle, die falsch sind.'

Von dem Tage an hielt sich Philphlader fern von Männern.

Zwar hatte sie schon mal eine „Tanzpartnerschaft“ aber sie fühlte sich unwohl und kündigte diese recht bald.

Egal was Kiso bezwecken würde, er würde sich bei ihr die Zähne ausbeißen! Philphlader hielt nichts von „Gefühlen“! Ja, sie hegte sehr starke, geschwisterliche Gefühle für ihre beste Freundin Sila, jedoch war es bei ihr was anderes. Romantische Gefühle würden doch eh nur verletzen. Wie sehr litt Sila die letzte Zeit wegen Chuckie. Immer noch redete sie von ihm. So viele Lieder und Begebenheiten prägten ihr Herz und ihr Leben! Er hatte sie bitter verletzt! Sila litt immer noch darunter. Und wofür? Philphlader stampfte ärgerlich mit einem Fuß auf den Boden.

Nein! Sie würde daraus lernen und alle eingebildeten „Gefühle“ für diesen Tänzer abschalten. Er war ein sehr guter Tänzer und sie genoss es sich mit ihm zu messen oder im Team zu tanzen, aber nicht mehr! Er würde schließlich einsehen, dass es keinen Zweck haben würde sie weiterhin zu fragen und irgendwann aufgeben und sich eine andere Tänzerin anlachen. So war es immer gewesen und Philphlader erwartete auch nichts weiter. Warum sollte er anders sein als die anderen?
 

Philphlader hatte genug von den Gedanken und dem Thema. Sie drehte sich wieder zu Sila um, so schwungvoll, dass ihr volles, langes, pechschwarzes Haar – mit Ausnahme 2 türkisfarbenen Strähnchen - durch die Luft wirbelten.

„Du meinst sicher die Ankunft von meiner Schwester?“, rief sie lächelnd und man sah auch ihr eine gewisse Vorfreude an.

Sila nickte stürmisch und sprang auch auf.

„Oh ja!!! Du hast mir schon soooo viel von Phie erzählt, dass ich schon total gespannt auf sie bin!“

Philphlader lachte. Typisch Sila! Manchmal hatte Philphlader den Eindruck, ihre Freundin würde sich immer mehr freuen als alle anderen.

„Sie müsste bald kommen, Neechan ...“, sann Philphlader verträumt nach, „Du wirst meine Neenee (anderes Wort für „große Schwester“) sofort ins Herz schließen...“
 

**** *** ** *
 

Sila stand in der großen Lobby der Tanzhallen. Sie blickte sich um.

'Kein Wunder', dachte sie, 'dass hier kaum einer beim Tanzen ist... Es ist ja auch eigentlich viel zu spät zum tanzen.'

Trotz der späten Stunde hatte Sila heimlich gehofft dass sich vielleicht doch ein paar Mittänzer finden lassen würden, die ihren Lieblingstanzmode „choreography crazy 4k“ mittanzen würden.

Sie eröffnete einen Raum und wartete geduldig, doch keiner wollte mit ihr tanzen. Manchmal war es auch zu blöd, dachte sie sich etwas ärgerlich.

„Warum kann ich ausgerechnet HEUTE nicht einschlafen?“

Sie drehte sich zu hause nur hin und her. Viele Gedanken stürmten auf sie ein, so dass sie kaum Ruhe fand. Da war zum einen die Vorfreude auf die leibliche große Schwester ihrer besten Freundin, die von einer anderen Tanzschule wechseln wollte und zum anderen die Sache mit Kiso und Philphlader. Hinzu kamen immer noch ungewollte Erinnerungen von Chuckie. Wie sehr er ihr immer noch fehlte, konnte sie kaum zum Ausdruck bringen. Es war auch überflüssig, wusste Sila, denn ihre Freundinnen würden sie eh nicht verstehen. Alle waren sauer auf Chuckie und schimpften über ihn. Kiso gegenüber durfte sie noch nicht einmal Andeutungen machen, wenn sie keinen Zornausbruch riskieren wollte.

Was sollte sie tun? Bevor sie weiter auf und ab im Apartment lief, wollte sie sich lieber müde tanzen.

Doch auch dies schien nicht so zu klappen wie sie vermutet hatte.

Ärgerlich deaktivierte Sila die Felder für weitere 5 Mittänzer und benannte ihren Tanzraum neu in „Silas Bunker!“.

„Wenn schon keiner mit mir tanzen mag, dann sollen sie auch fern bleiben!“, schnaufte Sila und bestritt die folgenden Tänze ganz alleine, was ihr weder Geld, noch Erfahrungspunkte einbrachte. In ihrer Unvorsichtigkeit vergaß sie jedoch den Bereich für Zuschauer mitzudeaktivieren und so erschrak sie sich über alle Maßen als ein junger Asiat auf der Anhöhe der Zuschauerräume stand.

Ohne eine Begrüßung sagte er in ruhigem Ton und in internationaler Sprache:

„Silas Bunker? Oje ... Klingt nicht gerade erfreulich. Brauchst du einen Mittänzer oder möchtest du deine Ruhe haben?“

Silas Augen wurden groß und sie starrte diesen ihr unbekannten Tänzer für ein paar Sekunden nur unhöflich an. Erst wollte sie sich ärgern, dass sie vergaß den Zuschauerbereich zu deaktivieren, doch als sie sein Lächeln sah öffnete sie einen der 5 deaktivierten Tanzplätze.

Soujirou war so groß wie Sila und sah asiatisch aus. Irgendetwas an ihm erinnerte Sila sofort an Chuckie, auch wenn dieser seine Haare braun gefärbt hatte und größer war. An dem Abend trug Soujirou eine Brille. Sila wunderte sich noch wie jemand mit einer Brille tanzen konnte.

Nachdem die beiden Tänzer ihre Namen ausgetauscht hatten fragte Soujirou:

„Kommst du von hier?“.

Sila nickte und erzählte dass sie nicht weit von hier geboren wurde, jedoch nach dem Tod ihrer Eltern in der Nähe der Tanzschule „SEA“ im Ausland bei einer befreundeten Familie lebte.

„SEA? Oh die Tanzschule kenne ich!“, strahlte Soujirou und fügte sachlich hinzu:

„Ursprünglich komme ich aus London, geboren wurde ich jedoch in Japan. Tanzen gelernt habe ich auf SEA. Nun wollte ich mal ein kleineres Internat besuchen...“

Gleich beim 1. Tanz merkte Sila dass der Tänzer, der verständlicherweise einige Level unter ihr war, da er noch nicht all zu lange auf dem Internat tanzte, sehr gute tänzerische Fähigkeiten hatte.

Soujirou war ein liebenswerter und fröhlicher, wenn auch recht schweigsamer Mann. Er war erstaunliche 6 Jahre älter als Sila selbst und wirkte auf sie recht ernst und erwachsen, wenn sie auch den Eindruck verspürte, dass er manchmal ZU viel grübelte.

'Er scheint einiges durchgemacht zu haben', überlegte Sila, die gerne Menschen beobachtete und dadurch schon einige Dinge erfahren durfte, die sich bewahrheitet hatten.

Seit diesem Abend traf Sila häufiger auf den Tänzer.

Als er Sila wieder an einem Abend traf, erbat er die Freundschaft und von diesem Tage an waren Soujirou und Sila befreundet.

Begeistert stellte sie Soujirou auch Philphlader und den anderen vor.

Alle Freunde von Sila waren mehr als erstaunt über sie, denn sie schwärmte von diesem älteren Mann wie ein kleines verliebtes Schulmädchen.

Sila selbst bestritt es.

Meist jedoch tanzte sie alleine mit ihm oder mit weiteren unbekannten Mittänzern. Merkwürdigerweise waren zu den späteren Zeiten keine anderen Freunde von Sila in den Tanzräumen und so verbrachte sie viel Zeit mit Soujirou. Auf die anderen wirkte er immer sehr ruhig, doch Sila merkte immer mehr, dass er ihr gegenüber so offen war wie zu keinem sonst. Oft fragte sie sich weshalb er gerade zu IHR so offen war.

Was Soujirou betraf, so musste sich Sila eingestehen dass die anderen Freunde von ihr doch nicht ganz Unrecht hatten.

Dieser Mann hatte sie gefesselt.

Vom 1. Augenblick an, als er in ihren „Bunker“ drang, spürte sie ein starkes Interesse für diesen „einsamen Tänzer“.

Ihr Interesse – dass wusste sie leider zu gut – war mit Sicherheit aus dem Grund dass er ein Asiat war, denn Sila wurde geradezu von asiatisch aussehenden Menschen wie magisch angezogen. Irgendetwas an ihnen fesselte Silas Interesse. Dazu kam, dass Soujirou sie jeden Tag mehr an Chuckie erinnerte.
 

Schnell merkte Sila wie beliebt Soujirou in seiner einfachen, freundlichen Art bei den Damen war. Vielleicht lag es auch daran, dass er noch keine Tanzpartnerin hatte, vermutete Sila und fragte ihn eines Tages weshalb er keine Partnerin hatte.

Diese Frage löste einen tieftraurigen Ausdruck bei ihrem Freund aus. Soujirou deaktivierte die Tür und stand eine Weile still neben Sila.

Verwunderung stand in ihren Augen, als sie seinen Blick erwiderte.

„Weißt du...“, begann Soujirou, „Ich bin nicht so wie viele Tänzer von hier. Für mich ist es unmöglich eine Tanzpartnerin zu haben, für die ich keine Gefühle hege.“

Sein Blick war immer noch traurig und es schien Sila, als würde er Bilder vor seinem inneren Auge sehen als er ruhig weiterredete:

„Es gab eine Zeit auf SEA, da war ich glücklich! Ich hatte eine Partnerin, die auch meine Tanzpartnerin wurde. Ich liebte sie über alles. Wir verstanden uns so gut wie kaum ein anderes Paar. Wir lebten zusammen...“

Nun wandte er seinen Blick ab von Sila, als ertrug er es nicht mehr sie anzublicken.

„Aber als es aus war zwischen uns ... nun dann habe ich mir geschworen, dass ich nie wieder eine Tanzpartnerin haben würde, außer ihr!“

Silas Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie stand still da und bemühte sich ihre eigenen Gefühle zu ordnen.

Irgendwie mochte sie den Tänzer mittlerweile so sehr, dass sie nichts lieber wollte, als seine Tanzpartnerin zu sein. Doch nun schlich sich in ihr die Frage ein, ob sie „nur“ seine Tanzpartnerin sein wollte oder ob sie ernsthaft darüber nachdachte seine Partnerin zu werden. Sila befürchtete jedoch, dass Soujirou ihr eher ein Lückenfüller sein würde, wenn sie diesem Drang nachgeben würde und so verbarg sie ihre Gefühle vollständig. Er erinnerte sie zu sehr an Chuckie, daran gab es keinen Zweifel und dies war auch mit Sicherheit der Hauptgrund warum sie sich so stark zu ihm hingezogen fühlte. Es wäre ungerecht und Soujirou hätte es nicht verdient nur als Lückenfüller angenommen zu werden.

Sila blickte Soujirou stumm an. Irgendetwas an dieser Situation kam ihr so vertraut vor.

Sie überlegte und bemerkte plötzlich, dass sie vor längerer Zeit eine ähnliche Situation mit ihrem damaligen besten Freund Aron hatte.

Ein Lächeln huschte Sila über den Mund. Nein, diese Situation war der Situation damals zwar ähnlich, denn auch Soujirou flüchtete vor den tanzpartnerwilligen Damen, doch empfand Sila anders für Soujirou als damals für Aron. Aron war nichts weiter als ein guter Freund, wie ein Bruder für Sie. Dieser erwachsene Tänzer vor ihr, der in diesem Augenblick eher Jungenhaft wirkte, weckte mehr als nur freundschaftliche Gefühle Sila gegenüber.

Doch sie lockte ihn durch ihre Vermutung zum Reden als sie leise sagte:

„Du liebst sie immer noch!“

Erschrocken drehte sich Soujirou um und blickte Sila an.

Sila lächelte und wiederholte es:

„Du liebst sie immer noch...“, doch nun wurde sie ernst, ihre Züge formten einen harten Ausdruck, der eher untypisch für sie war, „und das obwohl sie dich sitzen gelassen hat!“

Seine Augen weiteten sich und er trat näher an Sila heran.

„Aber ... das habe ich dir doch gar nicht erzählt! Woher weißt du das?“, fragte er verwundert. Sila zuckte ohne ihr Gesicht zu verändern die Achseln und sagte fest:

„Das sieht man dir an! Du bist nicht der Einzige, dem so etwas passiert ist... Sie hat dich verlassen, aber du hängst immer noch an ihr.“

Nun tat sie etwas unerwartetes. Sie blickte ihn fest an, trat ihm so nahe, dass sich die Nasenspitzen fast berührten und sagte: „Vergiss sie! Sonst macht sie dich kaputt!“

Soujirou war so schockiert über Silas Reaktion, dass er sie nur wortlos anstarrte.

Doch dann seufzte er nur schwermütig, trat höflich einen Schritt zurück und sagte leise:

„Es stimmt... Aber es ist nicht leicht!“

„Nicht leicht, aber auch nicht unmöglich!“, ergänzte Sila, die jetzt wieder lächelte.

Sie ging an ihm vorbei und streckte sich erst einmal ausgiebig, drehte ihren Kopf leicht nach hinten, um ihn anzusehen und sagte mädchenhaft:

„Suche dir eine Tanzpartnerin. Vielleicht hilft es dir ja dabei das alles hinter dir zu lassen. Weißt du?! Das Leben geht weiter! Außerdem hört dann das ewige 'Willst du mein Partner sein?' auf.“.

Sila lachte herzlich auf. Soujirou war verwirrt. Er hatte noch nie jemanden kennengelernt der so war wie Sila. Manchmal schien sie ihm so unberechenbar zu sein. Sie konnte von einem Moment auf den anderen beängstigend ernst und dann wieder fast kindlich wirken. Soujirou fragte sich ob ihn je ein Mensch so sehr verwirrt hatte wie diese Tänzerin.
 

Ihre Fröhlichkeit jedoch steckte an, wie immer wenn er das Lächeln oder Lachen dieser Dame sehen durfte. Es tat ihm so gut, er konnte es nicht verbergen.

Nach ihrer Reaktion auf seine Vergangenheit wurde er nun neugierig. Sicher, er wusste von einem Chuckie, der ihr wohl das Herz gebrochen hatte und er sah auch wie sehr sie sich an die Erinnerung an ihn klammerte, aber er wollte doch noch mehr erfahren und so fragte er:

„Was ist mit dir? Du bekommst doch auch Anfragen am laufenden Band. Deshalb verkriechst du dich ja auch so oft in deinem 'Bunker' oder tanzt mit MIR Partnertänze.“

Sila verstummte, ihr Herz begann wieder einmal schneller zu schlagen.

Ein schneller werdender Schlag des Herzens hatte jedoch nicht mehr so große Macht über Silas äußerlichen Ausdruck und so merkte es Soujirou auch nicht.

Sie verschränkte ihre Arme hinter dem Rücken und lächelte.

„Ich habe noch nicht den richtigen Partner gefunden... Vielleicht bin ich aber auch einfach noch nicht bereit dazu, wieder ein Teil von der Geschichte eines anderen zu werden.“

Sila sah so unschuldig aus, so als würde ihr der Satz nichts bedeuten, doch in ihrem Inneren bebte alles, denn die Erinnerung an Chuckies Antwort auf ihre Frage: „Ist es eine neue Geschichte?“ lautete „Ja! Und wir werden sie GEMEINSAM schreiben!“. Es war eine der schmerzhaftesten Erinnerungen an ihn.

Soujirou blickte Sila verdutzt an.

„Welche Geschichte?“

„Huch? Kennst du den Ausdruck denn nicht?“

„Nicht das ich wüsste“, gab Soujirou etwas schüchtern zurück.

Sila überlegte wie sie ihrem Freund – auch noch in der internationalen Sprache - erklären konnte was sie damit meinte.

„Äh ... nun ... Man nehme mal an, dass jeder Mensch seit der Geburt eine eigene Geschichte (des Lebens) beginnt. Jede Entscheidung und jeder neue Charakterzug gestaltet und formt diese Geschichte.“

Soujirou nickte, wodurch Sila fortfuhr:

„Treffen sich 2 Menschen, so bekommt einer eine Rolle in der eigenen Geschichte. Manchmal verbinden sich auch 2 Geschichten und werden zu einer, zum Beispiel wenn 2 Mensch den Bund fürs Leben eingehen...“

„Ich verstehe...“, bemerkte Soujirou und lächelte. „Ihr habt aber merkwürdige Redewendungen.“

Sila lachte. Es schien als hätte es das ernste Thema davor nicht mehr gegeben.

„Sag mal...“, unterbrach Soujirou die daraufhin entstandene Stille:

„Welche Rolle spiele denn ich in deiner Geschichte?“

Sila wandte sich ruckartig zu Soujirou um. Ungewollt merkte sie wie Röte in ihr Gesicht stieg.

„Wie welche Rolle?“, bemühte sie sich so zu tun, als wüsste sie nicht was hinter seiner Frage steckte.

„Na du erklärtest mir ja was hinter dem Begriff 'Geschichte' von eben zu verstehen ist. Dann nehme ich mal an, dass du auch deine eigene Geschichte hast. Ich bin also die Person, die du kennengelernt hast...“, fuhr Soujirou unbeirrt fort „Da stellt sich mir also die Frage, welche Rolle ICH in DEINER Geschichte spiele.“

Sila wurde plötzlich heiß und kalt gleichzeitig. Wieso stellte er nur so doofe Fragen?! Sie überlegte hin und her was sie darauf erwidern sollte. Am liebsten hätte sie ihm ins Gesicht gerufen „Mein Tanzpartner, ist doch klar!“, doch aus irgendeinem Grund verdrängte sie mal wieder ihre wahren Gefühle und antwortete endlich:

„Die Rolle, die du gerne haben möchtest.“

Sie lächelte sanft und hoffte, dass Soujirou vielleicht doch so denken würde wie sie, doch er wurde nachdenklich.

„Welche ich gerne haben möchte? Nun ... Ich habe keine Ahnung. Such du mir einfach eine Rolle aus.“

Oh dieser Kerl! So ging das doch nicht! Sila war frustriert. Wieso waren Männer immer nur so blind?! Sie seufzte still und beschloss ihr Geheimnis für sich zu behalten.

Vielleicht brauchte Soujirou auch einfach nur noch mehr Zeit um sich an Sila zu gewöhnen. Schließlich kannten sie sich erst wenige Wochen, wenn sie auch diese fast täglich zusammen getanzt und trainiert hatten. Wer weiß, dachte sie sich, vielleicht würde er sich ja so sehr an ihre Anwesenheit gewöhnen, dass er doch noch über eine Tanzpartnerschaft nachdenken würde... wer weiß, überlegte sie mit roten Wagen, vielleicht würde dann auch mehr daraus werden.

Sie wusste genau, dass Soujirou sie mochte. Er hatte auch seine Freunde und viele weibliche Verehrerinnen, aber er war immer bei Sila. Sobald er informiert wurde, dass sie sich zum Tanzen angemeldet hatte, kam er zu ihr. Partnertänze tanzte er nur mit ihr, selbst wenn seine langjährige Freundin NJAngel dabei war.

Gut, eigentlich benahmen sie sich fürchterlich kindisch und ärgerten sich ständig, doch Sila wusste, dass sie tief im Inneren sehr gute Freunde waren.

Beide erinnerten Sila so sehr an Chuckie und seine Arbeitskollegin Summer. Sie fehlten ihr immer noch schmerzlich, doch es gab Hoffnung, merkte sie. Seit sie Soujirou kennen gelernt hatte, dachte sie immer weniger an Chuckie. So langsam trat er in den Hintergrund. Es war ein tolles Gefühl, endlich freier zu sein. Doch zu ihrem großen Ärger war nun Soujirou immer mehr im Vordergrund. Sobald sie ihn wieder sah, tat ihr Herz einen Satz nach oben und sie konnte sich die ersten Tänze so gut wie gar nicht konzentrieren. Diesen Zustand kannte sie noch nicht einmal Chuckie gegenüber.
 

Soujirou, der gemerkt hatte, dass Sila tief in Gedanken versunken war, machte sich bemerkbar.

„Ich merke schon. Ich bin einfach nur der Ruhestörer, der Nachts in deinen 'Bunker' eingedrungen ist.“

Sein Sinn für Humor, war Sila nicht fremd, wusste sie doch wie gerne er sie mit „ihrem Bunker“ ärgerte. Sie besann sich wieder und antwortete nun schlicht:

„Ich teile dir vorerst die Rolle meines besten männlichen Freundes zu!“

„Wie bitte?“, wunderte er sich. „Heißt dein bester männlicher Freund nicht Aron?“

Sila winkte ab und antwortete schnell.

„Ach vergiss Aron... Er war mein bester Freund, das stimmt. Doch seit er geheiratet hat und bei internationalen Wettbewerben tanzt, habe ich jeglichen Kontakt zu ihm verloren.“ Soujirou seufzte. Sila hatte den Eindruck dass ihm diese Rolle nicht gefiel, so bemühte sie ihn doch noch aus der Reserve zu locken:

„Du kannst aber auch jemand anders sein...“

Er hob den Kopf: „Zum Beispiel?“

Ah! So war das nicht geplant, ärgerte sich Sila. ER sollte IHR sagen wer er sein wollte. Nun hatte sie genug und antwortete leicht gereizt:

„Wie wäre es mit Tanzpartner?“

Nun blickte Soujirou völlig verwundert in ihre Augen. Anscheinend hielt er es für einen Scherz, denn er fing an zu lachen.

„Okay okay, ich habe verstanden! Anscheinend bleibt mir wohl keine Wahl als den besten Freund anzunehmen!“

Auf Silas fassungslosen Ausdruck antwortete er ernst:

„Ich werde keine andere Tanzpartnerin haben als meine Ex-Freundin... auch nicht um mich vor den Anfragen der anderen Tänzerinnen hier zu schützen!“

„Nervt es dich denn nicht?“, fragte Sila ungeduldig.

„Ich komme schon klar. Habe keine Probleme damit 'Nein!' zu sagen! Außerdem...“, fügte er hinzu und stupste sie an die Nase „... habe ich ja dich. Du hast mich noch nie gefragt!“

Sila kämpfe um Fassung. Manchmal wünschte sie sich diesem Mann einfach vor das Schienenbein zu treten. So wenig Verstand, schien er manchmal in Sachen Frauen und deren Gefühle zu besitzen!

Sila drehte sich beleidigt um und sagte bissig:

„Pha! Dann will ICH auch keinen Tanzpartner!“

Damit war die Unterhaltung beendet, doch Sila bereute noch lange ihre letzten Worte. Auch wenn Soujirou so tat, als hätte es die Worte nie gegeben, so befürchtete Sila, dass sie sich nun eine Tanzpartnerschaft mit Soujirou gänzlich verbaut hatte.

Sie tanzten weiter und Sila bemühte sich immer in seiner Nähe zu sein in der Hoffnung, dass er vielleicht doch auf die Idee kommen würde, sie um eine Tanzpartnerschaft zu bitten. Auf jeden Fall – nahm sich Sila vor – würde sie um Soujirou kämpfen und falls er sie brauchen würde, würde sie zur Stelle sein.
 

**** *** ** *
 

Es war scheinbar ein Tag wie sonst auch. Philphlader tanzte gemeinsam mit Kiso einen Clubtanz nach dem anderen. Es war ihr ganz recht, dass sie Club tanzten, denn bei diesem Tanz erfüllten sie nicht bei jeder Gelegenheit die Voraussetzungen für eine Tanzpartnerschaft und somit verringerte sich Kisos Fragen um ihre Einwilligung. Obwohl Philphlader es überhaupt nicht mochte, dass Kiso so sehr auf eine Partnerschaft bestand und auch seine Komplimente machten ihr, die sie von ruhiger, schüchternder Art war, sehr zu schaffen. Doch auf der anderen Seite wollte sie seine Anwesenheit nicht missen.

Es war einfach zu verwirrend. Kiso war so gar nicht der Typ Mann, mit dem sich Philphlader normalerweise zeigen lassen würde, geschweige denn immer als Tanzpartner für einen Tanz wählen würde. Lag es daran, dass Kiso der Ziehbruder von Sila war, dachte sie? Nein! Sie wusste, dass es überhaupt nichts mit ihrer besten Freundin zu tun hatte. Philphlader hatte sich einfach so sehr an diesen energiegeladenen Gentleman, der jedoch auch genau so draufgängerisch wie höflich sein konnte, gewöhnt, dass sie sich einen Partnertanz ohne ihn kaum noch vorstellen konnte. Er brachte sie zum Lachen oder auch zum ärgern. Er brachte sie in Verlegenheit, aber er schaffte es auch ihr Herz zum schnelleren Schlagen zu bringen. Ein Blick, ein Wort reichte immer häufiger aus um sie ihrer Fassung zu berauben.

Philphlader gab sich die größte Mühe um diesen Zustand vor allen anderen zu verbergen. Sie schaffte es! Sogar vor Sila brachte sie es fertig völlig kalt auf Kisos penetranten Anfragen zu reagieren – zumindest solange dieser in ihrer Nähe war.

Es konnte natürlich auch sein, dass Sila viel zu beschäftigt mit ihren eigenen Gefühlen war, bemerkte Philphlader. Denn seit sie diesen Soujirou kennen gelernt hatte, tanzte sie fast nur noch mit ihm. Natürlich suchte Sila die Gesellschaft ihrer Freunde auf aber ... es war einfach nicht mehr das Selbe. Sila schwärmte die ganze Zeit nur für diesen Soujirou. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt ihm.

Schon alleine der Name bewirkte, dass Philphlader ihre Nase rümpfte. Sie konnte gut nachvollziehen dass Kiso diesen Tänzer nicht mochte. Philphlader wusste nicht weshalb, sie wusste auch dass es Sila sicher verletzten würde, doch Philphlader konnte diesen Soujirou immer weniger leiden. Wieso war Sila nur so von ihm eingenommen? Er sagte doch kaum ein Wort, wenn andere dabei waren.
 

Plötzlich fiel ihre Aufmerksamkeit auf Kiso, der in ein hitziges Gespräch mit einem neu dazugekommenen Tänzer verwickelt war. Sie konzentrierte sich den Grund des gereizten Gesichtsausdruckes von Kiso zu erfahren. Dummerweise begriff sie erst zu spät, dass sie selbst der Grund der Streitigkeit war.

„Sag mal, tickst du nicht richtig in deinem Kopf? Von einem NOOB (das größte Schimpfwort eines jeden guten Tänzers) wie DIR lasse ich mir noch lange nicht vorschreiben welche Tänzerin ich zur Partnerin wähle!“, schleuderte der Neuankömmling Kiso entgegen.

Philphladers Augen wurden groß. Das würde mit Sicherheit Ärger bedeuten, so viel war klar. Kiso würde solch eine Äußerung von einem Level 16 Tänzer niemals einfach so über sich ergehen lassen. Er würde sogar noch einem Level 32 Tänzer genau so kontern, wie diesem Unglücksknaben. Philphlader seufzte als sie merkte dass alle anderen Mittänzer gebannt auf die Situation starrten. Kisos Level war gerade mal 8 und ihrer war Level 24. Oft gab es Tänzer, die Kiso nicht als ihren Tanzpartner akzeptierten weil sie dachten, dass er ein Anfänger war. Bei Kisos Temperament und seinem eigenen Ärger darüber dass er auf seinem neuen Internat wieder zu einem Anfänger degradiert wurde, machte die Situation nicht gerade einfacher.

„Noob?!“, zischte nun Kiso und seine Augen wurden ganz schmal „du hast doch überhaupt keine Ahnung wen du vor dir hast! Wenn ich dir sage dass Philphlader MEIN Mädchen ist, dann hast du es gefälligst auch zu akzeptieren! Zwing mich nicht, dich hier vor allen Leuten in Grund und Boden zu tanzen!“

Der Rivale lachte verächtlich auf „Du und MICH in Grund und Boden tanzen? Du prollst dich aber ganz schön auf, wegen der Hübschen da. Versuchst wohl dich an eine angehende Profitänzerin ranzuschmeicheln, was?!“

„Wag es ja nicht so über Phil zu reden!“, konterte Kiso voller Zorn.

„Sonst was? Hmm?“, doch bevor Kiso erwidern konnte, wechselte sein Gegner grinsend das Thema.

„Wenn sie wirklich dein Mädchen ist, wie du meinst, wieso bist du dann nicht IHR Tanzpartner?“, sein Gesicht verzog sich zu einer grinsenden Fratze.

Mit der letzten Aussage hatte er Kisos wunden Punkt getroffen. Schon seit Monaten konnte er nicht mehr schlafen, kaum richtig essen, weil diese Tänzerin seine Gedanken erobert hatte. Es begann als er sie zum 1. Mal sah. Diese Tänzerin hatte in ihm etwas ausgelöst, das er lange begraben konnte, das er sehr lange verstecken musste. Doch es war anders als beim ersten Mal, als er diese Gefühle hatte. Es war neu, aber es war auch genau so überwältigend.

Kiso hatte sich seinerzeit geschworen, dass er nie wieder den gleichen Fehler wie vor etlichen Jahren begehen würde und so sagte er nun offen und frei heraus was er wollte. Er wollte Philphlader zur Tanzpartnerin. Es war ihm egal was andere von ihm dachten und er wusste auch dass sie wirklich besser tanzte als er, doch er hatte sein Ziel vor Augen und nichts und niemand würde ihm Philphlader wegschnappen!
 

In hochgestauter Wut griff Kiso nun nach dem Halsausschnitt seines Rivalen und es hätte keine 3 Sekunden gedauert bis dieser freche Kerl eine Faust im Gesicht gespürt hätte, wenn nicht Philphlader dazwischen gegangen wäre. Ihre Hand ruhte auf Kisos Fäusten, die den Kragen seines etwas überrumpelten Gegners fest umklammert hielten. Sie sagte keinen Ton, sondern schaut Kiso nur voll in die Augen.

Dieser Blick reichte aus um Kiso wieder zur Besinnung zu bringen. Er blickte verwundert zu der schönen Tänzerin mit den blauen Augen und bemerkte jetzt erst dass er kurz davor war eine Regel der Hausordnung zu verletzen. Eine Rauferei auf dem Internatsgelände war strengsten verboten und wurde hart bestraft, ohne auf den Grund der Schlägerei zu achten.

Ein dankbarer Blick von Kiso war Philphladers Belohnung für ihr Eingreifen. Erst als er den Jüngling - der gerade mal im Alter von Philphlader zu sein schien - losließ, hörte er die sanfte, ruhige Stimme von Philphlader:

„Lass gut sein, Kiso. Er hat doch keine Ahnung! Komm, DEM müssen wir nichts beweisen!“, damit hakte sie ihren Arm in seinen ein und beide verließen den Raum. Kiso war so verwundert über Philphladers Verhalten, dass er sogar vergaß seinem Gegner einen letzten giftigen Blick hinterher zuwerfen.

Draußen an der frischen Luft angekommen setzte sich Philphlader auf eine hübsche Steinmauer, die einen der vielen großen Springbrunnen umrandete. Kiso stand nicht weit von ihr entfernt, hielt die Hände in seinen Hosentaschen und blickte etwas grimmig drein. Philphlader spürte, dass er sich immer noch über die Worte des ungehobelten Tänzers ärgerte. Warum nur wollte er unter allen Umständen IHR Partner sein? Philphlader konnte ihn nicht verstehen. Es gab allerhand Damen, die Kiso schöne Augen zu machen begannen, gewiss weil er immer sehr freundlich und höflich war und sie auch immer „Lady “ oder „Ladies“ nannte. Doch sobald Kiso auch nur den Hauch von einem Flirtversuch wahrnahm, machte er unmissverständlich klar, dass nur Philphlader SEIN Mädchen war. Bei dem Gedanken durchdrang eine ungewohnte Wärme die Wangen der Tänzerin und sie bemühte sich die Gedanken weg zu schleudern. Die Gesellschaft von Kiso löste in ihr von Tag zu Tag merkwürdigere Gefühle aus.

Schüchtern blickte sie zu dem großen Tänzer empor, denn sie selber war recht klein. Er war stark und gut gebaut. Sein Blick hatte meist etwas rebellisches, doch der Charakter war hauptsächlich höflich und zuvorkommend, auch wenn er es gerne versteckte oder nutze um jemanden zu ärgern oder sich mit jemanden zu messen.

Plötzlich bemerkte Kiso den Blick von ihr und sein Gesicht veränderte sich zu einem sanfteren, fragenden Ausdruck.

„Mmh?“, war seine einzige Reaktion darauf, doch Philphlader wurde wieder rot und drehte den Kopf zur Seite:

„Ach ich ...“, stammelte sie, „Ich finde nur... du brauchst dich nicht wegen seiner Aussage zu grämen, Kiso. Du bist ein guter Tänzer und hast es nicht nötig von so einem möchtegern Fortgeschrittenen Tänzer etwas anderes auf die Nase gebunden zu bekommen. Hör da doch einfach nicht hin.“

„Aber er hatte doch recht! Wenn ich wirklich SO ein guter Tänzer bin, wie du es sagst, warum bitteschön weigerst du dich immer noch mich als deinen Tanzpartner zu akzeptieren? Bin ich dir immer noch nicht gut genug?“, Kisos Stimme hatte einen Hauch von Verwirrung. Er setzte sich neben Philphlader und drehte ihren Kopf vorsichtig wieder in seine Richtung.

In ihrem Blick sah er jedoch einen leichten Schatten. Ihre Züge wurden traurig, als sie leise sagte:

„Ach Kiso! Es ... Es hat doch überhaupt nichts mit deinen Fähigkeiten zu tun! Verstehst du es denn nicht?! Ich KANN einfach nicht die Tanzpartnerin von dir sein! ... Gib es doch endlich auf!“, mit einem Satz sprang sie wieder auf die Füße und lief zurück in Richtung der Tanzhallen.

Kiso starrte ihr schockiert entgegen. Am liebsten wäre er ihr hinterher gelaufen und hätte sie ganz fest in seinen Armen gehalten und zu einer Antwort gezwungen, doch er wusste, dass es sie nur verletzen würde. Oft verstand er einfach nicht was in ihrem Kopf vor sich ging. Manchmal war sie so sehr auf seine Nähe erpicht aber nur um ihm dann wieder vor den Kopf zu stoßen oder ihm einen Korb zu geben, wie ihm schien. Warum baute sie immer nur so eine Mauer um sich, wenn er sich bemühte ihr seine ehrliche Zuneigung zu zeigen?

Kiso grübelte und grübelte. Was konnte er tun um sie zu überzeugen, dass er kein Spielchen mit ihr spielte, wie er es vielleicht zu Beginn vor hatte?
 

Hätte Kiso die Tränen, die Philphladers Wangen herunterkullerten gesehen, dann wäre er sicherlich noch verwirrter gewesen...
 

Ende Kapitel 12:

~ Ein Korb kommt selten allein ~

~ Auftritt einer Lady ~

Kiso stand eine Weile unschlüssig in der Tanzhalle. Es war ungewohnt spät für ihn, doch ans Schlafen konnte er nicht denken. Es war zu dem Zeitpunkt verschwendete Zeit, denn jedes Mal, wenn Philphlader eine Tanzpartnerschaft mit ihm ablehnte, stieg sein Ehrgeiz. Er wusste, dass auf diesem Internat der Levelunterschied zwischen ihm und ihr gewaltig war. Trotz seines Levels 10 ärgerte sich Kiso über alle Maßen, dass ihn viele Tänzer so behandelten, als wären seine tänzerischen Leistungen tatsächlich die, eines Level 10 Tänzers. Er war zwar kein Meister, doch ein guter Tänzer allemal, der auch Tänzern der Amateur-klasse mit erhobenem Kopf stand halten konnte. Selbst wenn Philphlader ihm immer wieder zu bezeugen versuchte, dass ihr sein Level völlig egal war, trainierte Kiso von der Frühe des Tages, bis zum späten Abend. Pausen gönnte er sich nur, wenn es unbedingt notwendig war. Er wollte alles tun was nötig war, damit Philphlader ihn endlich als Partner akzeptieren würde.

Sila war die Einzige in der Liste seiner Freunde, die tanzen war. Er freute sich, denn er tanzte gerne mit seiner kleinen „Schwester“, auch wenn er sich sorgte warum sie um diese Uhrzeit noch nicht im Bett war. Auf dem Weg zu dem Saal, indem Sila tanzte, entschied er jedoch, dass sie alt genug war um selber zu wissen, wann es Zeit war schlafen zu gehen!
 

Die Tür zum Saal war noch verschlossen. Die Tänzer hatten schon ein Lied zu tanzen begonnen. Aus Gewohnheit forschte Kiso in seiner Wartezeit in der Tänzerliste. Neben Silas Namen standen 3 Unbekannte Namen und einer, der Kiso auf der Stelle inne halten lies.

„Soujirou!“, sagte er langsam. Sie tanzte wieder mit ihm! Ruckartig stieg ihm der Zorn in den Kopf. Obwohl Kiso noch nie die Bekanntschaft dieses Tänzers gemacht hatte, konnte er ihn nicht ausstehen. Kiso machte sogar einen weiten Bogen um diesen „Sou“, wie er von Sila genannt wurde. Es war für alle offensichtlich, dass Sila bis über beide Ohren in diesen Kerl verliebt war. Jeglicher Versuch von ihrer Seite aus, dies zu leugnen war geradezu lächerlich. Sila hatte nur noch Augen und Ohren für diesen einen Tänzer. Kiso wusste nicht was ihn wütender machte; dass er Sila so sehr beschlagnahmt hatte und sie dadurch alle anderen Freunde vernachlässigte, oder dass dieser Mensch einfach zu blind für ihre Gefühle zu sein schien.

Jeder – bis auf Soujirou – wusste wie sehr Sila an ihm hing. Was Kiso jedoch anging, so war er sich sicher; dieser Typ hatte Sila nicht verdient! Am liebsten würde er Sila den Umgang mit ihm verbieten, doch er wusste, dies würde mit großer Sicherheit einen Krach zwischen den Ziehgeschwistern auslösen.
 

Aus Protest drehte sich Kiso um und verließ den Flur des Tanzraumes. Wenn Sila mit Soujirou tanzte, wollte er auf keinen Fall zu ihr! Forschend betrachtete er in der Lobby die Liste der offenen Tanzräume, als ihn eine Einladung zu einem Clubtanz ereilte. Dort wurde noch ein Mittänzer gesucht und Kiso machte sich auf den Weg zu diesem Raum.

Alle anwesenden Tänzer waren schon startklar. So verlor auch Kiso keine Zeit um sich bereit zu machen. Die 3 Tänzerinnen, die zur Wahl für den Part mit dem Partner standen, wurden erst nach dem Start des Liedes von ihm beachtet. Bei einem Clubtanz bei dem Philphlader nicht mittanzte, ging Kiso meist wie folgt vor:

Zu erst überließ er den anderen beiden Tänzern die Wahl der Partnerinnen. Er selbst nahm meist die Dame, die übrig blieb. Nur wenn Philphlader dabei war, so war sie immer gleich seine Wahl.

Auch in diesem Augenblick wollte Kiso erst einmal die Wahl der anderen Tänzer abwarten, bis sein Blick auf eine Tänzerin fiel, die ein paar Jahre älter zu sein schien als er. Viele Tänzerinnen – so seine Erfahrung – zogen sich meist ziemlich offenherzig an, nur um bei den Tänzern gut anzukommen, was auch Kiso immer wieder viel Mühe abverlangte, den Blick einzig und alleine auf den Augen ruhen zu lassen. Kiso wählte seine Partnerinnen nie aufgrund dessen Outfits. Meist stießen ihn die extrem offenzügigen Damen ab und er hütete sich davor diese Tänzerinnen zu wählen - wenn es nicht gerade anders ging.

Diese Tänzerin, die nun vor ihm stand, hatte zwar gewohnt weibliche Kleidung an, doch war alles recht gut abgedeckt, so dass Kiso keine Mühe hatte den Blick auf ihrem Gesicht zu lassen. Sie hatte einen recht ordentlichen, eleganten, jedoch weiblichen Stil. Ihm fiel ihre gerade Haltung beim stehen auf und er bemerkte einen erwachsenen, ja fast würdevollen Gesichtsausdruck an ihr. Doch das faszinierendste an dieser Dame war ihre Frisur. Sie hatte pechschwarzes, mittellanges Haar, wobei 2 türkisfarbene Strähnen vor ihren Ohren lose über dem Brustkorb ruhten. Es war fast die gleiche Frisur wie bei Philphlader. Kiso war erstaunt wie viel Ähnlichkeit diese Tänzerin mit „seiner“ Philphlader hatte. Zugegeben; Philphladers Augen waren blau, so wie die von Sila und deren Haut sehr hell. Die Augen der Dame vor ihm waren Rubinrot und ihre Haut dunkler, eher der Ton, den auch seine Haut hatte, doch sonst ähnelte sie Philphlader erstaunlich!

Kiso schüttelte kaum merklich den Kopf.

'Langsam werde ich wirklich total bekloppt!', schalt er sich. 'Jetzt fange ich schon an Philphlader in allen anderen Tänzerinnen zu sehen...'

Er wusste nicht ob es ihre Haltung und Ausstrahlung oder die Ähnlichkeit mit Philphlader war, aber er wollte diesen Tanz unbedingt mit ihr tanzen. Auch auf die Gefahr hin, dass sie mit ihrem Level 18 Kiso mit seinem geringen Level als „Nicht würdig genug!“ erachten würde, wollte er es wagen und traf seine Wahl noch vor den anderen beiden Mittänzern.
 

Lächelnd trat er auf sie zu, machte eine elegante Verbeugung und erbat in internationaler Sprache:

„Es wäre mir eine große Ehre mit euch tanzen zu dürfen, Lady!“

Die sonst eher schmalen Augen der Angeredeten weiteten sich ein wenig.

'Huch! Wie höflich', dachte sie und ein leichtes Lächeln huschte über ihre Lippen als sie einen leichten Knicks machte.

„Gerne“, war die Antwort. Kiso blickte für den Bruchteil einer Sekunde verwundert zu ihr auf, doch im Nu zeigte er ein keckes Lächeln, richtete sich zur vollen Größe nach der Verbeugung auf, senkte den Kopf um seiner - einen Kopf kleineren - Partnerin in die Augen blicken zu können. Sein Zwinkern betonte den Ehrgeiz in seinen Augen während er leise doch betont sagte:

„Schaut nicht auf mein Level! Wir werden gewinnen!“

Zu seiner Überraschung entlockte er ihr ein helles Lachen.

„Nun, wir werden sehen“, erklang es ihrerseits.

Noch bevor Kiso sich ihr vorstellen konnte, wurde der Auftakt gegeben und der Tanz begann.
 

Kiso hielt Wort. Er bestritt den Tanz mit dem 1. Platz. Seine Partnerin wurde Zweite. Zur ihrer großen Verwunderung nahm Kiso ihre Hand, führte diese an seine Lippen und sagte:

„Wie ich gesagt habe; wir haben gewonnen! Ihr seit eine gute Tänzerin.“

Dann lächelte er, ließ ihre Hand los und stellte sich höflich vor: „Kiso Diamon ist mein Name. Ich habe noch gar nicht so lange her auf dieses Internat gewechselt.“

Einer der Tänzer verließ den Saal, so dass noch etwas Zeit zum Reden blieb, bevor es weiter gehen konnte. Leicht beeindruckt von der Höflichkeit des jungen Mannes, strich sich die Unbekannte eine Strähne aus dem Gesicht, denn sie tanzte mit offenen Haaren.

„Mein Name ist Phie.“, sagte sie in ruhigem Ton.

„Ich sehe Sie haben ausgebildete tänzerische Fähigkeiten.“

Stolz flackerte in Kisos Augen auf als er zur Erklärung ansetzte:

„Ich habe auf SEA tanzen gelernt. Lange Zeit war ich da. Meine kleine Schwester hat mich her gebeten!“

„Das erklärt natürlich den Level.“

„Ich arbeite hart daran, dass dieses lästige Übel bald aus der Welt ist!“, konterte Kiso ärgerlich. Phie hob die Augenbrauen an.

„Die Levelbestufung sagt doch lange nichts über die tänzerischen Fähigkeiten aus!“

„Aber es kann dazu führen, dass man vorverurteilt wird!“

„Nun. Menschen, die so etwas tun, handeln nicht richtig! Ich überzeuge mich lieber

persönlich von den Fähigkeiten eines Tänzers.“

Kiso gab sich geschlagen:

„Gut gesprochen, Lady!“

Er wollte gerade etwas fragen, als der letzte benötigte Tänzer den Saal betrat und wieder ein neues Lied begann. Kiso und Phie tanzten einen Tanz nach dem anderen gemeinsam, ohne jedoch die Möglichkeit zu bekommen sich weiter unterhalten zu können. Als es an der Zeit war sich zu verabschieden, verbeugte sich Kiso wieder tief vor seiner Partnerin, lächelte und bedankte sich aufrichtig für ihre Partnerschaft. Dann verschwand der dunkel gekleidete Tänzer mit dem gewissen Charme und ließ die schmunzelnde, mit dem Kopf schüttelnde Phie zurück.
 

Zu ihrer Überraschung verließen nun ein Tänzer nach dem anderen den Tanzraum, so dass Phie ihnen folgte.

'Es gibt auch andere Räume', überlegte sie und steuerte auf den nächst gelegenen Tanzraum zu, bei dem noch Platz für Mittänzer war. Trotz später Stunde war der neue Raum mit Leben gefüllt. Nach einigen Tänzen wusste Phie genau, wer dafür „verantwortlich“ war.

Da waren zum einen ein sich ständig streitendes Pärchen. Schmunzelnd nahm sie die gut gemeinten Scherze zwischen den beiden wahr. Zum anderen bemerkte sie eine hellhäutige Tänzerin mit strahlend blauen Augen und blonden Haaren. Sie sah Jahre jünger aus als Phie, doch die Fröhlichkeit und Ausgelassenheit der Tänzerin, nahmen sie sofort gefangen. Phie bemerkte, dass die junge Tänzerin eine Freundin der beiden Streithähne war und dass sie für das Gleichgewicht zwischen ihnen sorgte.

„Es tut mir leid. Ich habe schon sehr lange nicht mehr getanzt“, sagte Phie beschämt nachdem sie häufige Patzer einstecken musste.

„Ach das macht doch gar nichts! Wir alle tanzen hier aus Spaß. Versuche dich einfach zu entspannen“, rief die blonde Tänzerin, die von den anderen „Sila“ genannt wurde, fröhlich. Ihre Mittänzer bestätigten die Aussage mit einem Lächeln. Auch Phie lächelte und gab sich noch mehr Mühe bei den nächsten Liedern. Immer wenn sie einige Tanzschritte verpasste, wurde sie von Sila aufgemuntert und angefeuert.

Phie war eine Person, die ihre Umgebung, besonders die Menschen darin sehr genau beobachtete. Sie hielt sich eher im Hintergrund auf und wog ihre Worte gewählt ab. Diese Sila hingegen, sprudelte nur so von Worten und Gesten. Phie fühlte sich sofort von ihr angezogen.

„Entschuldigt“, sagte sie nach einigen Tänzen. „Die Geschwindigkeit ist noch etwas schwer für mich. Ich denke ich brauche eine Pause.“

„Soll ich langsamere Lieder wählen?“, hörte sie Sila sofort sagen, die die Spieleführung hatte.

„Nein danke“, schüttelte Phie lächelnd den Kopf und trat langsam aus dem Tanzbereich heraus. „Ich setze mich einfach ein paar Tänze in den Zuschauerbereich. Danke für deine Fürsorge“, fügte sie hinzu.

„Das ist typisch Sila, musst du wissen!“, mischte sich NJAngel dazwischen. „Wenn sie sich nicht ständig um das Wohl der anderen Sorgen machen würde, währe es ein Grund sich Sorgen um SIE zu machen!“

„Ach, jetzt übertreibst du aber maßlos, Angel!“, schalt Sila mit roten Wangen ihre Freundin. Soujirou zwinkerte Sila fröhlich zu:

„Also dieses eine Mal muss ich Angel recht geben. Du brauchst deswegen doch nicht gleich rot zu werden.“

Silas Wangen gewannen noch mehr Farbe. Sie legte ihre kühlen Hände darauf und schmollte:

„Ach ihr seit gemein!“

Nun lachten alle, bis Soujirou verstummte und sein Blick ernster wurde, als er sich näher zu Sila stellte.

„Es tut mir leid, Sila. Noch 2 Lieder, dann muss ich gehen...“

„Ja! Hau doch endlich ab, Souj! Wir können es schon kaum erwarten bis wir endlich unter uns Frauen sein können! Hoffentlich bleibst du dieses Mal laaange in England!“, hörte Phie NJAngel ausrufen. Es hörte sich wirklich hart an, doch Phie bemerkte an ihrem Blick, dass eigentlich das Gegenteil vom Gesagten gemeint war. Soujirou ging auf ihre Neckerei ein:

„Ach! Ich werde mich hüten so lange weg zu bleiben. Wer soll dir denn in meiner Abwesenheit in den Hintern treten? Bei sowas ist auf unsere Sila leider kein Verlass!“

NJAngel rumpelte Soujirou an der Schulter an.

„DIR müsste jemand gehörig in den Hintern treten!“

„Hilfe!“, rief Soujirou halb lachend, während er seine Hände in Abwehrhaltung brachte.

'Ein lustiges Paar“, dachte Phie, die diese Szene von ihrem Platz aus beobachten konnte. 'Ich habe noch nie solch ein Pärchen gesehen.' Doch dann bemerkte sie dass Silas Lächeln gewichen war und sie nur stumm zu den Beiden schaute. Sie wirkte traurig, stellte Phie fest. Auch Soujirou schien ihre Stimmung bemerkt zu haben, denn er wandte sich ihr mit fragendem Blick zu.

„Ich werde dich vermissen.“ Silas Stimme war fast ein Flüstern. Ihr Blick war auf Soujirou gerichtet. Bevor Soujirou ihr jedoch antworten konnte, kam NJAngel schon an Silas Seite, legte den Arm um sie und sagte betont fröhlich:

„Ach was! Warum solltest du DEN da vermissen? Er ist wie der Wind! Mir scheint er findet nie den Ort wo er wirklich hin gehört.“ Dieses Mal ging Soujirou nicht auf ihren Spaß ein.

„Ich bin bald wieder da!“ Sila seufzte, doch sie zwang sich zu einem Lächeln.

„Du hast ja recht! Zu welchen Liedern möchtest du noch tanzen?“

„Egal!“

„Ach Sou! Das sagt du jedes Mal! Es gibt doch so viele schöne Lieder...“

„Genau! Und deshalb ist es ja egal...“

Sila seufzte. Es war immer das Gleiche wenn Soujirou ein Lied oder Tanzmodus auswählen durfte.

„Ach der gute, alte Souj möchte sicher dass DU die Lieder für ihn aussuchst!“, warf NJAngel dazwischen.

„Ich mag die Lieder, die du magst“, bekräftigte Soujirou, „Such du dir die Lieder aus.“

„Außerdem!“, hörte Phie NJAngel wieder sagen, „Außerdem wirst du sicher auch wie immer in dein Apartment gehen, wenn Souj nicht mehr tanzt. Dann sind es auch deine letzten Lieder. Also such dir deine Lieblinge raus.“

„Du bleibst, Angel?“, fragte Sila verblüfft. Die angeredete Tänzerin streckte ihre Zunge frech aus dem Mund und zuckte mit den Schultern.

„Ach! Du kennst mich doch! Ich schlafe am Tag und tanze in der Nacht... Das war nie anders!“

„Das ist ungesund!“, schimpfte Sila, doch ihre Antwort war nur das typische Lacher der Freundin.

„Also gut!“, sagte nun die Spieleführerin und wählte ihr Lieblingslied. Kaum erklangen die ersten Akkorde, da huschte Soujirou ein breites Lächeln über die Lippen.

„Destiny“, sagte er und blickte Sila fröhlich an, „Ich wusste du würdest den Song aussuchen.“ Auch Sila lächelte:

„Bei dem Lied haben wir uns kennengelernt!“

„Genau... Es ist ein toller Song!“

„Nicht wahr?!“, Sila strahlte über das ganze Gesicht und tanzte ein „perfect“ nach dem anderen. Zum Abschluss wählte Sila dann das Lied, zu dem sie sehr oft mit Chuckie getanzt hatte: „I will be good to you“.

„Oh! Der 'Nanana-Song'“, rief NJAngel begeistert aus und Soujirou stimmte mit Sila zum Lachen an. Irgendwie wurde dieses Lied zu den Lieblingsliedern der drei Tänzern. Während des Tanzes stellte Sila erstaunt fest, dass es ihr gar nicht mehr so viel ausmachte zu diesem Lied zu tanzen.

'Es gab eine Zeit', sann sie nach, 'da konnte ich nicht zu dem Lied tanzen, weil mir Chuckie so gefehlt hat...' Sie blickte scheu zu Soujirou und ihre Wangen röteten sich leicht.

'Jetzt ist alles anders...'
 

'Huch?!', fuhr Phie in die Höhe. Sie saß noch immer im Zuschauerbereich und verfolgte fasziniert das Geschehen auf der Tanzfläche. Bei den ersten Tänzen vermutete Phie, dass Soujirou und NJAngel doch mehr waren als ein sich ständig streitendes Paar. Sie fragte sich ob hinter der Neckerei vielleicht mehr steckte. Die Beobachtung bestätigte diesen Gedanken jedoch nicht. Nun bemerkte Phie, dass es sehr interessant war, was die Gefühle der Dreien anging. Die blonde Tänzerin schien den asiatischen Tänzer mehr zu mögen als nur einen normalen Freund. Ihre Blicke verrieten sie. Phie bemerkte aber auch, dass Sila es geschickt versteckte oder spontan so reagierte, dass nicht der Eindruck erweckt wurde, dass sie Gefühle für den Mann hegte. Phie seufzte auf.

'Warum fällt es Menschen nur so schwer zu ihren Gefühlen zu stehen?'

Es lag Phie nicht diese Dinge regeln zu wollen. Sie war nur eine Person, die beobachtete. Wenn jemand ein Problem hatte, könnte er ihr sein Herz ausschütten. Phie konnte auch ohne Mühe Geheimnisse für sich behalten, doch nie ergriff sie selbst die Initiative aufgrund ihrer Beobachtungen. Sie war der Meinung man solle sich nicht in andere Angelegenheiten mischen.

Auch der letzte Tanz ging zu Ende und Phie sah, wie schwer den beiden Tänzerinnen der Abschied von Soujirou fiel. Über Silas strahlende Augen legte sich ein Schleier, als Soujirou den Saal verließ. Wie NJAngel vorhersagte, schickte sich auch Sila zum Gehen an. Höflich verabschiedete sie sich von der schwarzhaarigen Mittänzerin und vergaß – tief in Gedanken versunken – nach ihrem Namen zu fragen.

„Was ist mit DIR?“, rief NJAngel plötzlich in Phies Richtung, „Tanzt du mit mir, oder gehst du auch ins Bett?“ Phie erhob sich lächelnd.

„Tut mir leid. Ich denke ich gehe auch zu Bett. Bin heute erst angekommen und etwas Schlaf würde sicher gut tun.“ NJAngel winkte mit der Hand.

„Ach so! War lustig mit dir! Dann suche ich mir eben andere Mittänzer.“ Mit diesen Worten ließ NJAngel Phie alleine. Diese deaktivierte den Pult des Spieleführers, löschte das Licht und machte sich auch auf den Weg in ihr Apartment.
 

*** ** * ** ***
 

Krachend fiel die Tür ins Schloss. Kurz darauf hörten Philphlader und Sila ein lautes, fröhliches „Hallo, Ladies! Ist es nicht ein wundervoller Tag?“

„Nanu?“, war Silas Reaktion, „Du bist heute aber spät dran. Hast gestern wohl zu lange getanzt?!“

„Musst DU gerade sagen, Sis!“, konterte Kiso ohne zu zögern, „Du warst gestern Abend doch noch tanzen als ich längst im Bett lag!“ Dann lächelte er Philphlader zum Gruß an:

„War lange joggen! Das macht den Kopf frei.“ Philphlader errötete leicht bei seinem durchdringenden Blick.

„Du wirst es nicht glauben, Kiso“, rief Sila aufgeregt und zupfte an seinem Ärmel herum. „Wir haben Besuch! ... Imôtos Schwester ist endlich da! ... Gestern habe ich sogar mit ihr getanzt ... Also die echte Schwester von Imôto meine ich ... Und ich wusste es gar nicht!“ Philphlader lachte kurz auf, doch Kiso starrte seine Zieschwester nur fassungslos an. Dann hob er eine Augenbraue, was bei ihm so viel bedeutete wie: „Ich verstehe nur Bahnhof!“ Als Sila damit fortfuhr Sätze – scheinbar ohne Sinn – von sich zu geben, fasste Kiso sie mit beiden Händen jeweils an einem Arm an, blickte der nun verstummten Sila geradewegs in die Augen und sagte in ruhigem Ton:

„Ey! Nun mach mal ne Pause! Ich habe überhaupt keinen Plan von dem was du da redest!“ Er hielt mit wichtiger Mine eine Hand auf ihre Stirn, dann grinste er:

„Gut! Fieber hast du scheinbar nicht!“ Noch bevor Sila einatmen konnte um ihrem Bruder antworten zu können, hörten alle Drei einen verwunderten Ausruf:

„Nanu?! Das ist aber eine Überraschung!“ Kiso drehte sich verwundert um und traute seinen Augen kaum, als er von Angesicht zu Angesicht vor seiner Club-dance-Partnerin des Vorabends stand.

„Oha!“, rief er überrascht auf, verbeugte sich höflich und lächelte:

„Hätte nicht gedacht, dass wir uns so schnell wiedersehen würden, Lady.“ Phie lächelte fröhlich, dann blickte sie zu Sila und Philphlader.

„Wer hätte je gedacht, dass ich so viele Leute treffen würde, die du auch kennst, Mimi.“

„Du kennst Kiso schon?“

Phies Lächeln wurde sanfter, mütterlicher.

„Gestern Abend hatte ich das große Vergnügen mit diesem großartigen Tänzer in schwarz tanzen zu dürfen.“ Philphlader und Sila starrten sich an.

„Sag jetzt nicht, dass du eine Freundin der beiden Hübschen bist!?“

Phie war sichtlich amüsiert als sie sich neben Philphlader stellte, einen Arm um ihre Schulter legte und Kiso fröhlich erwiderte:

„Eigentlich dachte ich man würde die Ähnlichkeit erkennen ... Ich bin die große Schwester von Philphlader.“

Kiso riss Augen und Mund auf. 'Kein Wunder, dass ich gestern nur noch an Philphlader denken konnte', dachte er.

„Ich wusste gar nicht, dass du eine echte Sis hast, dear.“, wandte er sich Philphlader zu.

Überrumpelt von ihrem neuen Kosenamen erwiderte Philphlader trotzig:

„Du weißt sehr vieles nicht von mir!“

Sila suchte die Situation zu retten:

„Ich freue mich so sehr, dich endlich kennen zu lernen“, sprach sie Phie an und fügte verlegen hinzu, „Gestern hätte ich sofort gewusst wer du bist, wenn ich nicht vergessen hätte mich vorzustellen – wie es sich gehört.“

„Ach, macht doch nichts! Ich bin auch nie auf die Idee gekommen, dass die 'Neechan' von meiner Mimi im wahren Leben 'Sila' heißt. Außerdem warst du ja mit Soujirou und Angel beschäftigt.“

Silas Wangen glühten bei der Erwähnung von Soujirous Namen. Ihre Reaktion wunderte Phie gar nicht, doch der Schatten über Philphladers Augen und der zornige Blick von Kiso gaben ihr ein Rätsel auf.

'Hier ist irgend etwas im Gange!', dachte sie überrascht. Auch das Verhältnis ihrer Schwester zu diesem gutaussehenden, höflichen Tänzer war durchaus eine weitere Beobachtung wert.
 

*** ** * ** ***
 

„Welche Umbaumaßnahmen meinst du denn?“, wunderte sich Philphlader.

„Ist dir das etwa noch nicht aufgefallen?“, gab ihre Schwester zurück. „Das ganze Internat scheint mir in Umbaustimmung zu sein! Als ich noch hier war, war noch gar nichts davon zu sehen!“

„Ooo wirklich? Ich habe nichts davon mitbekommen.“

„Phie, du meinst sicherlich die neuen Gebäude?“, meldete sich Sila zu Wort. „Bald ist es endlich so weit!“, jubelte sie. „Das werden Ballsäle, Phie! Hach“, seufzte sie vergnügt, „Ich habe auf SEA die klassischen Tänze gelernt! Das ist einfach unglaublich!!!“ Silas gute Laune war geradezu angsteckend. Die ersten Tage nach Soujirous Abreise war Sila recht still, doch nun war sie wieder fröhlich.

„Sie führen klassische Tänze an unserer Schule ein? Wirklich?“, Philphlader stand die Verwunderung im Gesicht geschrieben.

„Aber natürlich! Es wird doch überall nur noch davon gesprochen, Imôto! Hast du das denn gar nicht mitbekommen?“

Philphlader war sichtlich verlegen. „Äh... N – nein... Tut mir leid.“

„Es werden jetzt schon Kurse für klassische Tänze gegeben“, plapperte Sila munter weiter und drehte sich einige Male um ihre eigene Achse, wie ein kleines Mädchen, das ein neues Kleid anprobiert. „Ich denke ich werde einen davon belegen um meine Fähigkeiten auszubauen.“

„Magst du solche Tänze gerne, Sila?“, wollte Phie wissen.

„Oh und wie! Mit dem richtigen Partner macht es besonders viel Spaß. Ich bin nur froh, dass ich gelernt habe mit Absätzen zu tanzen.“

„Wieso Absätze, Neechan?“, Philphlader wurde neugierig.

„Nun... Bei klassischen Tänzen trägt die Frau einen hübschen Rock oder sogar ein Kleid! Dazu gehören in dem Fall Absätze!“

„Ooo!“, entfuhr es Philphlader, „Dann bin ich erleichtert, dass wir uns damals den Rock für das Partneroutfit ausgesucht haben.“

„Rock? Habe ich richtig gehört, Mimi? Du trägst einen Rock?“, Phie ließ ihre Überraschung nicht für sich. Mit errötenden Wangen erklärte Philphlader:

„Neechan und ich haben uns ein Partneroutfit zum Tanzen gekauft. Da haben wir uns für einen Rock entschieden.“

„Du meine Güte!“, bemerkte Phie, „Sag, Sila! Wie hast du es angestellt, dass mein Schwesterchen einen Rock trägt?“ Sila lächelte fröhlich.

„Nicht anders wie Imôto, die mich zu Absatzschuhen überredet hat.“

„Ich sehe schon, ihr seit echt gute Freunde, Mimi und du. Ich bin sehr froh, dass sie dich kennen gelernt hat!“
 

„Höre ich etwas von Partneroutfit?“, hörten die drei Frauen neben ihnen eine Männerstimme sagen. Dray, der sich eingemischt hatte, war gerade mit Kiso auf dem Weg zum Internat, als sie die Frauen draußen stehen sahen.

„Hey Digga!“, wandte er sich Kiso zu, „Warum haben wir beide eigentlich kein Partneroutfit? Sag jetzt nicht, dass wir uns nicht mindestens genau so gut verstehen wie diese Kletten da drüben.“ Damit wandte er seinen Kopf in Richtung Philphlader und Sila. Kiso lachte auf.

„Warum auch nicht? Aber wir brauchen was cooleres als die Ladies!“ In dem Moment erblickte er Phie und wandte sich seinem Freund zu.

„Aber du bist unhöflich, Kumpel. Da vorne steht eine Lady, die du noch nicht einmal wahrgenommen hast.“ Damit gingen die beiden zu den Frauen. Kiso verneigte sich höflich und stellte Phie als Philphladers Schwester vor. Um jeglichen Irrtum zu vermeiden, erklärte er kurz und knapp, dass Phie nur die internationale Sprache verstehen konnte, denn sie und Philphlader kamen aus dem Ausland. Philphlader war schließlich auf dem besten Weg eine Übersetzerin zu werden, daher konnte man sich im Gegensatz zu Phie mit ihr in vielen Sprachen verständigen.

„Zwei Mal Philphlader?“, bemerkte noch eine weibliche Stimme von hinten. Überrascht schauten die fünf Tänzer auf und erkannten Shizumi, die in Begleitung von Massayo und Shadow war. Phie lächelte vergnügt:

„Noch mehr Freunde, Mimi?“ Philphlader stellte Massayo, Shadow und Shizumi ihrer Schwester vor.

„Massentreffen!“, lachte Massayo. „Wollt ihr tanzen, oder steht ihr hier aus Spaß herum?“, fügte die tanzwillige Massayo hinzu und sorgte dafür, dass alle Beteiligten auflachten. Phie fiel gleich die bunte Mischung an Charakteren auf. Sogar Geschwister mit spitzen Ohren gehörten dazu. Die Freundlichkeit und deren Freude am Tanzen verband sie alle und Phie fühlte sich schnell angenommen.

'Dieses Mal werde ich sicher gerne hier tanzen. Glaube kaum, dass ich wieder die Schule wechseln brauche', dachte sie erleichtert.
 

Ende Kapitel 13:

~ Auftritt einer Lady ~

~ Die Sache mit dem Aufgeben und Kämpfen ~

Dieses neue Gefühl kann ich nur schwer versteh'n,

es war nicht vorherzuseh'n;

Die Welt wird anders!

Wohin ich auch geh, seh' ich sein Gesicht.

Ich entkomm' ihm nicht!

Mit jedem Blick erkenne ich dieses neue Gefühl.

Ich kann ihm nicht mehr widersteh'n!
 

Und doch auf einmal ist es kein Traum.

Oh doch! Auf einmal wird alles klar, wenn ich ihm nur begegne;

Denn auf einmal steht er mir zur Seite und nimmt zärtlich meine Hand.
 

Doch das was ich fühl' hab ich nie zuvor gefühlt und dieser Mann ist schuld.

Die Welt wird anders! (Sie stellt die Welt mir auf den Kopf)

Ich tu' alles dafür, dass wir uns immer seh'n.

Oh und ich muss gesteh'n: Ich fühl' mich schuldig... (Fühlt sie wie ich jetzt auch dieses neue Gefühl?)

Ich kann ihm nicht mehr widersteh'n!
 

Bin ich auf einmal (Bin ich auf einmal) in ihn verliebt (In sie verliebt).

Oh jetzt auf einmal wird alles klar:

Ich fühl' mich bei ihm so vollkommen. So wie bei keinem andern, wenn er zärtlich mich umarmt!
 

--- Aus: Tarzan Musical „Auf einmal“ ---
 

*** ** * ** ***
 

Seit mehreren Wochen herrschte der absolute Ausnahmezustand im Internat. Kaum wurden die neuen Ballsäle für die Tänzer freigegeben, so stürmten diese die Tanzhallen. Hier und da sah man schon wieder Baumaschinen und -arbeiter, denn die ersten Ballsäle auf AuditionEU reichten bei weitem nicht aus. Teilweise mussten Räume vorreserviert werden. Entgegen jeder Meinung, kamen klassische Paartänze an dem Internat, indem hauptsächlich „Hip Hop“ getanzt wurde, sehr gut an. Die Läden in Internatsnähe konnten sich kaum vor neuen Aufträgen retten. Damen und Herren brauchten eine Garderobe, die den wunderschönen, kleinen Ballsälen würdig war. Selbst die „collen“ Herren des engen Freundeskreises waren hellauf begeistert.

Kiso konnte sogar mit seinen vollendeten Fähigkeiten in Sachen klassischer Tanz glänzen. Auf seinem vorigen Internat gab es solche Einrichtungen immerhin schon seit einigen Jahren. Frauen baten und bettelten – wenigstens um Unterricht – doch Kiso lächelte keck und erklärte:

„Meine erste Wahl ist diese wunderschöne Lady. Wenn sie ein Mal nicht da sein sollte, vielleicht!“, dabei deutete er auf Philphlader.

Philphlader und Kiso tanzten sehr häufig in den Sälen. Maximal konnten 3 Paare gleichzeitig in einem Saal tanzen, doch gab es auch die Möglichkeit als Einzelpaar zu tanzen. Es diente meist nur zur Übung, denn es gab mehr Erfahrungspunkte und Verdienst, je mehr Paare dabei waren. Ohne Mühe lernte Philphlader, dank Kisos Unterstützung, die unterschiedlichen Stilrichtungen. Kiso genoss ihre ungeteilte Aufmerksamkeit spürbar. Er liebte es in Philphladers Augen das Straheln zu sehen wenn sie Synchronpunkte sammelten. Kisos Anfragen auf Partnerschaft gingen spürbar zurück. Der Grund war einfach der, dass eine solche Anfrage bei klassischen Tänzen nicht möglich war.
 

Phie und Sila beobachteten das hübsche Paar aus dem Zuschauerbereich. Jede der Frauen schien ihren eigenen Gedanken nachzuhängen, denn lange Zeit redete niemand ein Wort.

„Kiso ist ein ausgezeichneter Tänzer“, unterbrach Phie Silas Gedanken. Diese blickte lächelnd auf das tanzende Paar, bis sie erwiderte:

„Oh ja, das ist er ... Bei solchen Dingen blüht er förmlich auf.“ Phie bemerkte den Stolz in Silas Augen, bezüglich ihres Bruders.

„Imôto ist aber auch eine ausgezeichnete Tänzerin. Sie hat in so kurzer Zeit so viel gelernt ... Sie kann Kiso ohne Mühe das Wasser reichen ... Ich habe viel länger gebraucht um die Schritte zu lernen.“ Mit jeder Faser ihres Herzens, schien die blonde Tänzerin neben Phie diese beiden Tänzer zu achten. Sie hörte Sila seufzen.

„Sie sind so ein perfektes Paar ... Wenn Kiso sich Imôto doch nur nicht so aufdrängen würde...“. Sila hatte Recht. Kein Paar, das Phie je gemeinsam tanzen gesehen hatte, konnte so harmonieren wie ihre Schwester und Kiso.

„Kiso scheint meine Mimi ziemlich gern zu haben..“, warf Phie in die Stille. Verwundert hob Sila den Kopf.

„Findest du?“

Phie schmunzelte. Sie wusste gar nicht warum sie dies überhaupt zu Sila sagte. Eigentlich behielt sie ihre Gedanken für sich. In Silas Blick stand immer noch Zweifel und Phie überlegte den Grund dafür. Es war einfach zu offensichtlich, dass Kiso sich um Philphlader bemühte.

'Oder ist es doch SO unauffällig?', fragte sie sich, sagte aber: „Kiso ist höflich und zuvorkommend zu Mimi... So viele Damen hätten ihn nur all zu gerne für sich gehabt. Ich rede hier NICHT von Tanzpartnerschaft...“. Phie beobachtete wie Silas Augen vor Überraschung noch größer wurden. „Sag! Hast du das denn gar nicht bemerkt, Sila?“

Sila seufzte und musste sich ehrlich zugestehen, dass sie nur sehr selten mit Kiso gemeinsam getanzt hatte. Seit sie Soujirou kennen gelernt hatte, tanzte sie sogar noch seltener mit allen ihren Freunden. Aus irgendeinem Grund wollte niemand mit ihr tanzen, wenn er dabei war. Sila begriff es nicht und fühlte sich immer häufiger alleine gelassen.

Sie blickte zu Kiso. Er hatte sich seit seiner Ankunft auf dem Internat sehr verändert, fand sie. Konnte es wirklich sein, dass er Philphlader mochte? IHRE Imôto? Sila überlegte weiter. Tief in Gedanken schüttelte sie ihren Kopf. Auf Phies fragenden Blick antwortete sie nur:

„Ich habe bei Kiso noch nie erlebt wie er einer Frau nahe kommen wollte. Er hatte nie ein Mädchen heim gebracht. Noch nicht einmal seine damalige Tanzpartnerin... Ich glaube auch nicht, dass er je eine Freundin hatte oder verliebt war ... Wobei ich mich eigentlich immer schon gefragt habe warum.“ Ihre Augen wurden noch größer und sie starrte Kiso an.

„Vielleicht ... vielleicht ist er ja so aufdringlich, weil er WIRKLICH etwas von ihr möchte?!“

Phie konnte nicht widerstehen. Irgendetwas stimmte doch nicht. Sie wollte zu gerne wissen woran es lag, dass Sila so blind für die Gefühle ihres Bruders – sie schaute zu ihrer kleinen Schwester – und für die Gefühle ihrer besten Freundin war.

„Hast du es denn nicht bemerkt? Ich meine er ist doch dein Bruder!?“

Sila schnappte nach Luft. Dann blickte sie Phie geradewegs in ihr Gesicht. Sie wusste, dass Phie jemand war, der man ein Geheimnis verraten konnte. Mit leiser, reuevoller Stimme erzählte sie ihr, dass sie Kiso auf das Internat bat, damit er Philphlader dazu bewegen würde, seine Tanzpartnerin zu werden.

„Ich... ich habe lange gedacht, dass er es als 'Masche' benutzt, um Imôto als Partnerin zu bekommen...“, Sila tat es sichtlich leid.

„Ich... ich wusste damals einfach nicht mehr wie ich Imôto wieder fröhlich bekommen konnte... Aber“, sie blickte traurig auf die tanzende Philphlader, „Aber ich glaube sie ist jetzt viel unglücklicher...“

Zugegeben! Phie hatte noch nie etwas dergleichen vorher gehört und sie hätte nie gedacht, dass Sila jemals auf solch eine Idee kommen würde. Sie schluckte ihren Schreck hinunter und ein Lächeln umspiegelte ihre vollen roten Lippen.

„Sieht sie wirklich SO unglücklich aus?“

Sila seufzte: „Nein... Sie mag es klassisch zu tanzen. Ach ich weiß auch nicht!“

Phie hatte zwar längere Zeit ihre kleine Schwester nicht gesehen, doch eines fiel ihr sofort auf. Silas Bruder tat Philphlader gut. Sicher, Philphlader versuchte es zu verstecken, vielleicht sogar vor sich selbst, doch es war unumstritten, dass ihr Kiso wichtiger war als Sila glaubte.

„Vielleicht war ich auch zu sehr mit meinen Angelegenheiten beschäftigt“, sinnte Sila laut nach und sprach damit einen Gedanken von Phie aus.

„Ich verstehe einfach nicht warum alle einen Bogen um Soujirou machen...“. Phie bemerkte sofort den Themenwechsel und den verletzten Ausdruck in Silas Gesicht, samt Stimme.

„Kaum einer macht sich überhaupt die Mühe ihn kennen zu lernen.“ Sie schaute auf und sah geradewegs in Phies Augen. „Was hältst DU von ihm, Phie?“

Phie blickte Sila überrascht an: „Ich?“

„Ja! Du hast ihn doch kennen gelernt. Wie findest du ihn?“

„Ich würde das jetzt nicht 'kennen gelernt' nennen“, meinte Phie ehrlich, „Ich habe nur einige Lieder mit ihm getanzt, weiter nichts. Tut mir leid, aber dazu kann ich nichts sagen. Ich habe ihn nicht so kennen gelernt wie du, Sila. Zu dir scheint er eine andere Beziehung zu haben als zu anderen.“

„Kiso kann ihn nicht ausstehen“, fügte Sila bitter zu. „Sonst haben wir so oft bis in die Nacht zusammen über alles mögliche geredet. Alles konnte ich ihm anvertrauen. Aber sobald ich nur den Namen „Sou“ erwähne, springt er an die Decke. Er war doch sonst nicht so.“

„Hast du ihn denn nie gefragt warum er so reagiert?“, wunderte sich Phie.

„Wie denn? Er blockt ab oder wird ärgerlich. Außerdem habe ich schon lange nicht mehr mit ihm getanzt oder geredet. Entweder tanzt er mit Imôto oder ist umringt von Freunden oder Frauen... Oder ich tanze mit Sou...“.

„Vielleicht solltest du mit ihm reden. Es ist sehr schade wenn Geschwister sich nicht mehr verstehen.“

Irgendetwas in Phies Stimme ließ Sila aufhorchen. Sie hob ihren Kopf und blickte Phie neugierig an.

„Du ... äh du weißt aber, dass Kiso nicht mein wirklicher Bruder ist?!“

„Wie bitte?“

„Oje ... Das habe ich dir wohl vergessen zu sagen. Ich dachte du wüsstest das.“

Phies Blick verriet ihre Überraschung. „Ihr seit nicht miteinander verwandt?“

„Äh nein...“, Sila wurde schüchtern, „Er ist der Sohn der besten Freunde meiner Eltern. Als ich jung meine Eltern verloren habe, hat mich die Familie Diamon aufgenommen. Ich wusste sonst nicht wo ich hin sollte. Aber ich war da noch sehr jung. Durch den Schock, den ich erlitten habe, fehlt mir fast alle Erinnerung an sie...“

Ein liebevolles Lächeln umspielte Silas Gesicht. „Ich liebe seine Eltern wie meine eigenen und ihn wie meinen eigenen Bruder. Deswegen tut es auch so weh, dass ich nie wirklich ein Teil seiner Familie werden durfte“

„Wie meinst du das?“, wollte Phie wissen, die merkte, dass hinter Silas ganzen Traurigkeit mehr zu stecken schien, als nur die Sache mit Soujirou.

„Sie haben mir immer wieder versichert ich sei wie eine eigene Tochter ... Aber nie wollten sie mich adoptieren...“

„Warum denn nicht?“

Sila zuckte mit den Schultern: „Weiß ich auch nicht. Ich habe nie gefragt.“

„Nie nachgefragt? Aber Sila! Wenn dich das so beschäftigt, warum fragst du denn nicht?“

„Ich konnte nicht. Ich hätte es nicht ertragen wenn sie mir vorgeworfen hätten, dass ich nicht zufrieden bin mit dem was ich habe... Sie haben sogar erlaubt, dass ich auf meine eigene Faust ihren Namen verwendet habe. Obwohl Kiso das nie gefallen hat. Immer schimpfte er mit mir und sagte, dass ich keine Diamon bin. Konnte ich da mehr bitten?“

Silas Augen glitzerten verräterisch, doch sie biss sich auf die Lippen. Sie hatte früher schon genug deswegen alleine in ihrem Zimmer geweint. Sie wollte hier nicht auch noch damit anfangen.

Phie überlegte. Das klang sehr merkwürdig. Wenn die Eltern von Kiso Sila wirklich als Tochter liebten, so wäre es doch fast nur logisch, dass sie sie auch adoptierten... Es sei denn... Phie bekam eine Idee, doch sie befürchtete, dass sie zu viel hinein interpretierte und so gab sie Sila nur einen Tipp:

„Ich würde an deiner Stelle wenigstens mit Kiso sprechen. Wenn ihr euch sonst immer so gut verstanden habt, dann darfst du es auf keinen Fall zulassen, dass ihr euch fremd werdet! Stehe zu deinen Gefühlen und sprich darüber.“

Fast schon erschrocken blickte Sila Phie an. „Über meine Gefühle reden??? Oh nein! Das kann ich nicht!“ Energisch schüttelte sie ihren Kopf.

„Wenn du alles nur in dich hineinfrisst, dann machst du dich nur kaputt, Sila. Woher sollen andere dich verstehen lernen, wenn du dein Wesen vor ihnen verschließt?“

Gerade als Sila kontern wollte, hörte sie ihren Namen. Philphlader rief in den Zuschauerraum und sagte, dass sie gerne Solotänze tanzen wollte und bat Phie und Sila mitzukommen.
 

*** ** * ** ***
 

Niedergeschlagenheit umgab Kiso schon seit mehreren Wochen. Eigentlich wollte Sila die Zeit nutzen, in der sie und Kiso nach langer Zeit mal wieder alleine waren. Doch nun, als sie seine gebeugten Schultern sah, fehlte ihr der Mut.

„Du wolltest mit mir reden, Sis?“, fragte er ungewohnt kalt.

„Ich äh...“, Sila schluckte schwer. Ihre Augen trafen sich.

„Kiso!“ Silas Blick verriet Sorge. „Ich wollte mich entschuldigen bei dir...“

Eigentlich wollte sie ihm so viel an den Kopf werfen. Ihm sagen, dass sie sich von ihm unfair behandelt fühlte. Ihn ausschimpfen, weil er sich nicht um sie kümmerte. Es hätte vieles gegeben, was sie ihm entgegen schleudern könnte, doch als sie sah wie verletzlich ihr großer Bruder war, taten ihr ihre Gedanken leid.

Kisos böser Gesichtsausdruck änderte sich zu einem fragenden Blick.

„Wofür entschuldigst du dich denn?“

Sila beugte verlegen ihren Kopf und schaute auf ihre Hände. Sie sah aus wie zu ihrer Schulzeit, wenn sie der Mutter etwas beichten musste. Kisos Erinnerungen holten ihn ein und er merkte wie sehr ihm seine Schwester fehlte.

„Wenn sich hier jemand entschuldigen muss, dann wohl ich?“, sagte er.

Sila blickte auf. Ihre Unterlippe wurde hervor geschoben und in ihren Augen glänzte es als sie sich in seine Arme warf. „Ich ... habe dich vermisst!“

Kiso hielt seine Ziehschwester fest. Irgendwie brauchte er sie genau so wie sie ihn. Wahrscheinlich – bemerkte er – würde er immer eine besondere Bindung zu ihr haben. Eigentlich vermutete er, dass sich Sila an seiner Schulter ausweinen würde, doch sie hob ihren Kopf, strich mit ihrer Hand eine Träne weg und blickte ihn mitleidig an.

„Dir geht es nicht gut, nicht wahr? Kiso, was ist los?“ Ihre eigenen Gefühle schienen nicht mehr so wichtig zu sein.

Kiso blickte zur Seite. „Ach!“, schnaufte er, „Deine Imôto raubt mir noch den letzten Nerv!“

„Imôto? Warum???“

„Weil sie mich immer zurückweist! Was soll ich denn NOCH machen, damit sie endlich begreift dass ich KEIN Spielchen mit ihr spiele?!“, frustriert setzte er sich auf eine der Bänke des Zuschauerbereichs. Zum Tanzen hatte er keine Motivation.

„Also bist du ... doch ...“, Sila brachte es nicht fertig den Satz zu Ende zu bringen.

„In sie verliebt? Ihr verfallen? Unfähig an etwas anderes als an sie zu denken? Meinst du das?“

Sila stand mit offenem Mund vor Kiso und starrte ihn nur an.

„Oh man! Seit wann sitzt du so sehr auf der Leitung, Sis?“, fragte er sie und zog an ihrem Arm, damit sie sich zu ihm setzen konnte.

„Ich fürchte ich habe zur Zeit so ein Gefühlschaos in mir, dass ich nichts anderes mehr mitbekomme...“ Sila blickte Kiso nicht an, aber ihre Wangen glühten.

Sein Blick war ruhig aber härter. „Er ist nicht der Richtige für dich, Sis! Lass los! Hörst du?“ Kaum hatte er ihr dies gesagt, wich die Röte und Sila starrte ihn bleich an.

„Wie kannst du so etwas sagen? Du kennst Sou doch gar nicht!“

„Er ist der Falsche!!! Warum willst du das nicht begreifen? Monatelang tanzt ihr Partnertänze und so ein Zeugs! Hat er dich ein einziges Mal nach Partnerschaft gefragt? NEIN! Er hängt zu sehr an seiner Ex! Du wirst ihn nie ändern können!“

„Du kennst ihn nicht, Kiso!!! Er hängt an mir!“, rief Sila verzweifelt.

„Alle, die dich kennen, hängen an dir, Liebes! Auch wenn er dich schätzt. Er LIEBT dich nicht, lass los, sag ich dir!“, fauchte Kiso.

Tränen liefen Sila über die Wangen. Sie ballte ihre Fäuste auf ihrem Schoß. „Niemals! Nicht, solange ich noch Hoffnung habe!“

„Hoffnung auf was? Auf ein gebrochenes Herz? Hat dir Chuck nicht schon genug weh getan, dass du den gleichen Fehler wieder begehst?!“, er spie den verkürzten Namen von Silas ersten großen Liebe förmlich aus.

„Du verstehst mich nicht! Er mag mich ... er ... er muss sich nur an mich gewöhnen“, suchte sich Sila zu verteidigen. Doch kaum sagte sie dies, wurde sie unsanft von zwei Händen an den Armen umfasst und in Kisos Richtung gedreht. Er blickte sie immer noch mit einer Härte in den Augen an, die Sila unbegreiflich war.

„Ich weiß wie wir Männer sind, Sis! Entweder du sagst ihm endlich was du für ihn fühlst, oder du lässt ihn seiner Ex weiter nachtrauern!“

„Hör auf! Ich werde nicht aufgeben! ... Bitte!!! Ich will mich nicht mit dir streiten“, das Flehen in ihrer Stimme war unüberhörbar und Kiso lockerte seinen Griff.

„Du ... du handelst ja auch nicht gerade vernünftig ... Du machst dir und Imôto das Leben ziemlich schwer“, schluchzte sie verzweifelt.

„Das ist was anderes!“

„Ist es das?“

Kiso verschränkte seine Arme über der Brust und schnaufte auf.

„Wenn du sie wirklich gerne hast, dann solltest du aufhören sie zu drängen. Sie wird ja förmlich von dir platt gewalzt.“

„Ach und was soll ich deiner Meinung nach tun? Daneben stehen und zusehen wie sie ein dummer Kerl nach dem anderen anbaggert und ihr nichts von dem erzählen was ich für sie empfinde? So wie du?“

„Du bist unfair! Warum willst du dich unbedingt mit mir anlegen? Haben wir nicht sonst immer über unsere Probleme gesprochen, statt uns gegenseitig fertig zu machen?“, Silas Herz beruhigte sich langsam. Kiso war scheinbar wirklich völlig aus der Fassung. Sonst wusste er sich zu beherrschen. Er war immer der Starke, der Ruhige und der Besonnene – zumindest wenn er mit Sila alleine war und alle seine Masken fallen lies. Sie wischte ihre Tränen mit dem Ärmel weg, atmete tief durch und legte eine Hand auf seine.

„Ich liebe dich Kiso...“, sagte sie leise, „so sehr wie eine Schwester ihren Bruder nur lieben kann. Es tut mir weh, wenn du solche Dinge zu mir sagst. Und es tut mir weh zu sehen wie du dir selbst weh tust...“ Unbewusst übernahm sie die Reaktion seiner Mutter, wenn sie eines ihrer Kinder tröstete, und strich ihm liebevoll über die Wange.

„Vielleicht solltest du Imôto Luft zum Atmen lassen... Soll ich mit ihr reden?“

„Auf keinen Fall! Sie würde nur alles bestreiten und sich noch mehr verkriechen...“

„Aber ... Vielleicht ... vielleicht mag sie dich auch?“

Kiso blickte ihr in die Augen: „Ich liebe sie! Mein ganzes Wesen ist durcheinander wenn sie in meiner Nähe ist. Ich mache mich zum Volltrottel wegen ihr! ... Aber sie lässt nicht einen Stein von ihrer Mauer fallen! Gaaah!!!“, er zerzauste seine Haare und stand auf.

Unruhig schritt er hin und her und war tief in Gedanken versunken.

„Vielleicht sollte ich den Rat, den ich dir gegeben habe, selbst beherzigen und sie aufgeben!?“

„Oh nein! Du darfst nicht aufgeben! ... Sie ist doch deine erste große Liebe!“

Sila verstummte, als Kiso seinen Kopf ruckartig in ihre Richtung wandte. Er blieb stehen und blickte ihr – scheinbar eine Ewigkeit – in die Augen. Zum ersten Mal konnte Sila seinem Blick nicht lange standhalten und senkte diesen auf ihre Hände. Noch nie war sein Blick so durchdringend wie zu dem Zeitpunkt.

„Sie ist nicht meine erste große Liebe... Manchmal erwidert die Person, die wir lieben, einfach nicht unsere Gefühle... Es gibt noch andere, Liebes“

Mit diesen Worten öffnete er die Tür und wollte gerade gehen, als er sich noch einmal umdrehte. „Auch für dich! Jemand, der dich wirklich verdient...“
 

*** ** * ** ***
 

„Eh?“, Sila blickte ihre Freundin verwundert an. „Er hat WAS gemacht?“

„Nichts, Neechan! Kiso hat nichts gemacht“, sagte Philphlader aufgeregt. Sie war außer Atem, als sie sich Phie und Sila in einem - mit Passwort geschützten – Tanzraum anschloss.

„Wir haben einen Partnertanz nach dem anderen getanzt und er hat mich nicht danach gefragt seine Partnerin zu werden“, Philphlader war sichtlich verwirrt.

„Ist doch gut!“, freute sich Sila, „Das wolltest du doch die ganze Zeit“

Phie hörte ihre kleine Schwester seufzen.

„Ich habe sogar gefragt was los sei und er sagte...“, Philphlader stellte sich auf ihren Platz und zeigte an, dass sie bereit für einen Tanz war, „Er würde mich nicht mehr bitten seine Tanzpartnerin zu werden. Zumindest so lange nicht, bis ich soweit wäre.“

Sila jubelte auf, „Endlich hat er es verstanden!“

Doch Phie blickte nur stumm zu ihrer Schwester und betrachtete ihr Gesicht, welches nicht gerade die Freude von Sila widerspiegelte.

„Hmm... ja.“ Philphlader seufzte erneut.

„Du scheinst dich aber nicht so zu freuen, Imôto“, warf Sila in den Raum.

„Doooch. Endlich hat er es verstanden...“ Philphlader war unsicher, doch sie lächelte und sagte: „Ich bin hier um zu tanzen! Fertig, Sila?“

Sila hatte die Spieleleitung und lächelte ihre Freundin an, auch wenn sie merkte, dass Philphlader nicht ganz ehrlich war.

'Schon komisch' , dachte sie sich, 'Wenn er ihr Anfragen schickt, lehnt sie ab. Jetzt lässt er es sein und sie scheint nicht besonders zufrieden zu sein...' Sie blickte ihre Freundin an, doch sie traute sich nicht etwas zu sagen. Kisos Argumente bezüglich der Verschlossenheit von Philphlader ging ihr nicht aus dem Kopf. 'Wenn sie soweit ist und reden will, werde ich da sein', dachte sie und startete ein neues Lied.
 

Nach einigen Tänzen verabschiedete Sila sich von den beiden Schwestern. Sie wollte eher schlafen gehen, denn es war schon sehr spät.

Phie bekam die Spieleleitung und als sie sah, dass ihre kleine Schwester wieder „bereit“ anzeigte, brach Phie ab. Auf den verwunderten Blick von Philphlader sagte sie nur:

„Du kannst dich nicht immer vom Tanzen ablenken lassen, Mimi“ Philphlader hatte so gehofft, dass ihre Schwester ihr dieses Mal ersparen würde über Kiso zu reden.

„Müssen wir wieder davon anfangen, Neenee?“

„Ich zwinge dich zu nichts...“

„Dann lass uns bitte tanzen!“

Phie zögerte. „Warum möchtest du nicht darüber reden? Du bist ziemlich schlecht gelaunt, wenn ich das bemerken darf.“

„Danke“, war die kalte Antwort.

„Was erwartest du eigentlich von Kiso? Soll er ewig so weiter machen wie bisher?“

Philphlader drehte sich weg und schwieg.

„Noch nie stand dir ein Mann so nahe wie Kiso, oder täusche ich mich da? Oh Mimi... Du bestrafst dich selbst.“ Phie nahm ihre kleine Schwester in den Arm, doch sie stieß sich ab.

„Er möchte nicht mein Tanzpartner sein... Zumindest nicht nur. Er möchte mein Partner sein, Neenee! Das ist etwas anderes! Wie kann ich da nachgeben?“

„Empfindest du nichts für ihn?“

Philphlader schüttelte ihren Kopf und zeigte mit ihrer Hand auf ihr Herz. „Das hier ist so trügerisch! Wie soll ich wissen was ich empfinde, wenn es so verwirrend ist was ich fühle?! Es kann nicht sein, dass er etwas für mich empfindet! Warum ich?“

Phie ergriff Philphladers Hand. „Warum denn nicht? Du bist wunderhübsch, bist eine ausgezeichnete Tänzerin und hast einen guten Charakter. Du bist nicht oberflächlich und auch nicht unehrlich. Warum sollte sich ein Mann NICHT in dich verlieben?“

Philphlader schüttelte entschieden ihren Kopf: „Ich verdiene es nicht. Ich bin so launisch und weiß selber nicht was ich möchte! Ich würde ihn nur unglücklich machen!“

„Das lass ihn entscheiden, Mimi! Du bist kein Mensch, der es nicht verdient, dass sich ein Mann um dich bemüht, dich liebt.“

„Er liebt mich nicht! Er ... er will mich nur um seinen Finger wickeln!“, rief Philphlader in die Stille des Raumes. „Ich werde nicht zulassen, dass er mich zu seinen Zwecken gebraucht! Außerdem tut es immer weh jemandem sein Herz zu schenken!!!“

„Wie kommst du nur auf solche Gedanken?“, fragte Phie schockiert.

„ Weil es doch so ist! Schau meine Freunde an... Massayo hält es nicht lange mit einem Freund aus, dein Tanzpartner lässt dich ständig auf ihn warten und Sila...“, Philphlader sprach nicht weiter. Sie kämpfte mit ihren Tränen. Phie legte ihre Hand auf die Schulter ihrer Schwester.

„Schau mir in die Augen und sage mir dass du NICHTS für ihn empfindest, Mimi!“, forderte Phie sie auf. Philphlader blickte in ihre Augen, öffnete den Mund, doch war sie nicht in der Lage ein Wort herauszubekommen. Sie fühlte einen dicken Kloß in ihrem Hals. Stattdessen liefen nun Tränen ihre Wange hinunter und sie warf sich in die Arme ihrer Schwester.

„Was soll ich nur tun? Ich kann nicht mehr schlafen und immer wenn ich irgendwo bin, sehe ich sein Bild vor mir. Überall habe ich das Gefühl seine Stimme zu hören... Ich will nicht!!! Ich will, dass er mich in Ruhe lässt!“

Phie streichelte stumm das pechschwarze Haar ihrer Schwester und ließ sie weinen. Manchmal – so wusste sie – tat es gut, seinen Gefühlen einfach Luft zu machen. Philphlader war immer ein Mädchen gewesen, das ihren eigenen Gefühlen nicht traute. Lieber vergrub sie alle Gefühle in sich selbst, als diese anderen Menschen mitzuteilen. So sehr sich Philphlader auch dagegen sträubte, Phie wusste genau, dass es an der Zeit war endlich einzugestehen, dass Gefühle auch wunderschön sein konnten. Sie freute sich, dass ihre kleine Schwester einen Mann gefunden hatte, der sie mochte, der sogar alles für sie tun würde. Es gab mehrere Stunden, in denen sich Phie alleine mit Kiso unterhalten konnte. Sie schätzte Kiso sehr und lernte bei solchen Momenten diesen, eher rebellisch wirkenden, Tänzer kennen. Phie war der festen Überzeugung, dass Kiso seine Gefühle nicht vortäuschte, sondern dass Philphlader ihm tatsächlich den Kopf verdreht hatte. Ein Lächeln huschte über Phies Gesicht, als sich die Schultern ihrer Schwester allmählich beruhigten und das Schluchzen zu einem gleichmäßigen Atmen überging.

„Es wird Zeit erwachsen zu werden, Mimi“, sagte sie sanft, „und eine neue Herausforderung an zu nehmen...“
 

Ende Kapitel 14:

~ Die Sache mit dem Aufgeben und Kämpfen ~

~ Ein Wiedersehen mit Folgen ~

„Wie seht IHR denn aus?“ Sila und Philphlader blickten neugierig zu Kiso und Dray. Ihr breites Grinsen konnten sie schon von Weitem sehen.

„Gibt es etwas daran auszusetzen, dear?“, fragte Kiso Philphlader keck, während er sich in voller Größe vor den Damen aufbäumte.

„Nein, warum? Es ist nur ungewohnt euch in einem gleichen Outfit zu sehen“, erwiderte Philphlader verlegen.

„Das gibt es nicht!“, rief Sila aus. Sie trat an die Männer heran und bestaunte fasziniert den Arm von Dray. „Ihr habt sogar die gleiche Uhr!“ Philphlader kam ebenfalls näher um sich selbst zu überzeugen.

„Unglaublich!“

„Yeah! Unglaublich stylisch, nicht wahr?!“ Kiso hatte gute Laune. Lächelnd schüttelte Sila ihren Kopf. Die Männer bewiesen mit ihrem Partneroutfit einen wirklich guten Geschmack, stellte sie fest. Das kurzärmige Oberteil war von oben nach unten schwarz und weiß gestreift, wobei das Schwarz dominierte. Dazu trugen beide eine blaue Jeans und schwarz/weiße Schuhe. Abgerundet wurde ihr Outfit mit goldenen Accessoires.

„Ihr seht echt gut aus“, bemerkte Sila, „Als wenn euch nicht schon genug Frauen hinterher laufen würden?!“

Dray lehnte seinen Ellenbogen auf Kisos Schulter. „Tja! Es gibt halt Männer, die sind einfach unwiderstehlich...“

„Unwiderstehlich charmant oder unwiderstehlich dämlich?“, warf Massayo von hinten in den Tanzsaal ein. Sie und Shizumi kamen gerade durch die Eingangstür.

„Charmant natürlich“, grinste Dray und wollte Massayo gerade einen Handkuss geben, als diese ihre Hand ruckartig weg zog.

„Unterstehe dich, Dray! Ich werde dir sicherlich nicht hinterher laufen und dich mit allem möglichen Zeugs beschenken wollen.“

Dray tat als wäre er enttäuscht, doch die anderen beobachteten amüsiert die Szene. Die Tür ging nochmals auf. Phie trat in Begleitung von Shadow in den Saal.

„Wohooo! Oî Lady!“, rief Kiso fröhlich, machte einen Satz zu Phie und verbeugte sich höflich.

„Ey Digga! Das ist der falsche „Schwarzkopf“! Deine Lady steht da drüben“, stichelte Dray frech. Noch bevor er Phie und Shadow begrüßte, bemerkte er, wie Philphladers Gesicht bei seiner Bemerkung an Farbe gewann. Kiso ging dieses Mal nicht auf seinen Spaß ein, sondern lächelte seine Philphlader an.

„Hast du Lust auf klassische Tänze, dear?“

„Wie jetzt?!“, fragte Massayo empört, „Und was ist mit uns?“

Philphlader rettete die Situation. „Mir egal. Ich passe mich an.“

Kiso schaute in die Runde. „Passt doch! Wir tanzen alle kassisch... Philphlader tanzt aber mit mir, damit das klar ist!“

Schon lange reagierte Philphlader nicht mehr gereizt auf seine „Ansprüche“. Sie hatte sich vielmehr so daran gewöhnt, dass es sie eher verwundert hätte, wenn er etwas anderes sagen würde.

„Dann sind wir zwei Tänzerinnen zu viel“, bemerkte Shizumi sachlich. „Ich kann gerne zuschauen.“ Kaum drehte sie sich mit dem Blick zum Zuschauerbereich um, spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Es war Sila, die sie lächelnd anblickte.

„Ist schon in Ordnung, Shizu-chan. Tanz ruhig mit. ICH möchte gerne zuschauen.“

„Ich auch!“, rief Phie und eilte an Silas Seite.

„Ihr wollt nicht mittanzen?“, wollte sich Shizumi vergewissern.

„Nein! Beeil dich! Dein Bruder wartet schon.“

„Wie ihr wollt!“, rief sie über ihre Schulter, „Wenn ihr tanzen wollt, sagt Bescheid!“
 

Kiso, der Spieleführer, wählte als erstes Lied Philphladers Lieblingsstück aus. Die heitere Jive-musik erfüllte die Hallen und sechs Tänzer bewegten sich in drei Paaren zum Rhythmus. Sila stand neben Phie im Zuschauerbereich und freute sich sehr über Philphladers glücklichen Ausdruck im Gesicht. Die Zwei lagen schon wieder mit den Partnerpunkten allen anderen Paaren voraus. Sie beobachtete beide nun schon mehrere Tage. Mittlerweile zweifelte Sila nicht daran, dass Kiso ihre beste Freundin von ganzem Herzen mochte und längst nicht mehr nur an eine reine Tanzpartnerschaft dachte. Sila hoffte, dass auch Philphlader seine Gefühle erwidern konnte. Sie gönnte es Kiso und Philphlader auf jeden Fall.

„Sag mal, Sila?“, hörte sie Phie sagen.

„Ja, bitte?“

„Ich habe dich noch kein einziges Mal in einem Ballsaal tanzen gesehen. Du hast dich doch am meisten von uns allen darauf gefreut.“

Sila schmunzelte. Ihre Wangen gewannen an Farbe, als sie erklärte:

„Ich warte noch.“

„Du wartest? Worauf?“

Sila stützte sich mit den Händen am Geländer ab.

„Ich warte darauf, dass Sou wieder kommt.“, gestand sie, „Meinen ersten klassischen Tanz auf diesem Internat möchte ich nur mit ihm tanzen...“

Phie betrachtete die hübsche Tänzerin eine Weile.

„Weiß er eigentlich, dass du so sehr auf ihn wartest?“, fragte sie vorsichtig.

„Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn vermissen werde und er sagte es auch.“

„Auch, dass du auf ihn wartest?“

„Ist es nicht selbstverständlich?“, Silas Lächeln ging leicht zurück.

„Nein, Sila! Für Männer ist es NICHT selbstverständlich! Man muss ihnen schon offen sagen, was man von ihnen möchte.“

Sila seufzte. „Ich bin mir sicher, dass er es weiß... Warum muss ich immer gleich sagen was ich denke?“

Phie bemerkte, dass sie gegen eine Wand sprach und Sila einfach nicht begreifen wollte, dass sie eben auch einmal etwas sagen musste. Je mehr Hoffnungen sie sich machte, desto mehr Sorgen machte sich Phie um ihre Freundin. Sie hatte Sila sehr gerne und wollte nicht, dass ihr schon wieder das Herz gebrochen werden würde. Doch sie musste ihre eigenen Erfahrungen machen, fand Phie. Da konnte sie erzählen, soviel sie wollte.
 

„Hast du Lust etwas zu tanzen, Phie?“, fragte Sila.

Phie überlegte ob sie nicht lieber im Zuschauerbereich bleiben sollte, aber dann gab sie doch nach. „Möchtest du in einen anderen Raum?“

„Ja... Nur zuschauen ist auch langweilig.“ Sila lächelte ihre ältere Freundin an und verließ den Raum.

Der neue Raum stand für jeden offen. Getanzt wurden Einzeltänze; Jeder gegen jeden. Phie und Sila schlossen sehr schnell Freundschaft und waren bald unzertrennlich. Für Sila war Phie die große Schwester, die sie sich immer schon gewünscht hatte. Für ihre Freunde war sie meist die Älteste und einige schauten zu ihr auf. Sie war oft ein Vorbild und musste demnach manche Entscheidungen mehrmals abwiegen. Bei Phie durfte sie auch endlich einmal die kleine Schwester sein. Es tat Sila gut, jemanden zu haben, der so anders war als sie selbst. Phie war bedachter, sie redete nicht gleich drauf los und überlegte ihre Entscheidungen generell erwachsener. Sila kam sich meist noch ziemlich kindlich vor, doch sie wusste, dass Phie sie dennoch schätze. Natürlich tat es ihr manchmal leid, nicht mit ihrer besten Freundin zu tanzen. Philphlader wurde nun von Kiso in Beschlag genommen und war glücklich wenn sie mit ihm tanzte. Sila war dankbar. Sie hätte es sich nie erträumen lassen können, dass auch nur ein Hauch von Gefühlen zwischen den Beiden existieren könnte. Bei Philphlader fing die Mauer, die sie sich jahrelang aufgebaut hatte, endlich an zu bröckeln. Die Zwei sollten so viel Zeit zusammen genießen, wie sie konnten, beschloss Sila für sich. Sie hatte noch andere gute Freunde und immerhin könnte sie auch jederzeit mit ihrer Imôto und Kiso gemeinsam tanzen, wenn sie es wollte.

Die Tänze verliefen ohne besondere Vorfälle. Sila feuerte die Mittänzer an und erfüllte als Spieleführerin einige Liederwünsche. Nach und nach verließen die Mittänzer den Tanzsaal und Phie und Sila waren alleine. Gerade, als Sila damit beschäftigt war das nächste Lied auszusuchen, bemerkte Phie wie die Tür aufging und ein Tänzer der Raum betrat. Sila bemerkte ihn nicht, denn sie summte ein Lied vor sich hin und war in der Liste vertieft, aus der sie die Lieder aussuchen konnte. Phies Augen weiteten sich, als sie den Tänzer erkannte und sie wollte gerade den Mund öffnen, als der neue Tänzer seinen Zeigefinger lächelnd an die Lippen hielt. Phie begriff sofort und schwieg. Der Tänzer nickte freundlich und stellte sich leise hinter Sila. Gerade als sie ihren nächsten Song ausgesucht hatte, spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Erschrocken fuhr sie herum und blickte in die schönsten grünen Augen, die sie seit langem sehen konnte. Ein strahlendes Lächeln umspielte seine Lippen, doch er kam nicht mehr dazu etwas zu sagen, weil Sila ihm schon längst um den Hals fiel.

„Ich glaube es nicht! Du bist zurück!!!“, war das Einzige was Sila – mit glühenden Wangen – heraus brachte.

Soujirou lachte herzlich auf. „Das nenne ich aber einen stürmischen Empfang, Sila.“

Verlegen löste Sila ihre Arme von seinem Nacken und schmunzelte Soujirou an.

„Selbst Schuld, wenn du mich so überfällst! Wann bist du denn angekommen? Du warst aber ganz schön lange weg! Weiß Angel, dass du wieder da bist...?“

Ein erleichtertes männliches Lachen erklang im Tanzsaal.

„Du überschlägst dich ja mit Fragen, Sila! Darf ich vielleicht erst einmal durchatmen?“

Mit hochrotem Kopf verbeugte sich Sila und murmelte eine „Entschuldigung“. In diesem Augenblick bemerkte sie erst seine Handgepäcktasche.

„Du bist gerade erst angekommen???“

„Ja! Habe gesehen, dass du noch tanzen bist“, er stupste sie wie sonst auch an die Nase, „Manche Dinge ändern sich scheinbar nie, was? Es ist spät wie eh und je und du tanzt immer noch.“

Phie wusste nicht ob sie bleiben oder die Beiden alleine lassen sollte. Man konnte Soujirou tatsächlich ansehen wie gerne er in Silas Nähe war, doch war es genug? War es wirklich genug, um zu erkennen wie sehr Sila ihn liebte? Phie seufzte. Irgendetwas an seiner Art machte ihr Kummer. Doch sie schüttelte den Gedanken bei Seite und redete sich ein, dass sie dies gar nicht beurteilen könnte, da sie den Tänzer nur flüchtig kannte. Jetzt drehte sich Soujirou zu Phie um, verbeugte sich höflich und begrüßte sie.

„Danke sehr, dass du mich nicht verraten hast“.

„Ehrensache“.

Plötzlich erklang ein Poltern im Flur der Tanzsäle. Wieder einmal wurde die Tür aufgerissen und eine atemlose NJAngel stand in der Tür. Sie hielt sich mit einer Hand an dem Türgriff fest, die andere stütze sich auf ihre Knie. Sie atmete schwer und schien sehr schnell gelaufen zu sein.

„Souj! Du treulose Tomate du!!!“, schimpfte die junge Tänzerin mit, vom Laufen gerötetem Gesicht, schon in der Tür.

„Ach du meine Güte. Auf DICH war ich jetzt nicht vorbereitet“, lachte Soujirou, der sichtlich gut gelaunt war, obwohl man ihm die lange Reise im Gesicht ablesen konnte. NJAngel durchquerte stampfend – wie ein trotziges Kind – den Raum und bäumte sich vor ihm auf. Phie fand es recht amüsant die Szene zu beobachten. NJAngel war ganze 13 Jahre jünger als Soujirou und mindestens einen Kopf kleiner. Es sah einfach zu goldig aus, wie diese temperamentvolle junge Dame vor ihm mit einer Schmolllippe stand. Soujirou wollte sie gerade begrüßen, da holte die kleine Dame aus und trat ihn direkt vor sein Schienbein. Soujirou ließ einen kurzen Schrei los und begann an der schmerzenden Stelle zu reiben. Er bekam zwar nicht so schnell einen blauen Fleck, doch wollte er lieber sicher gehen.

„Au! Du kleines Biest. Wofür war das denn gerade?“

NJAngel rümpfte empört ihre Nase. „Dafür, dass du Sila und mich so lange hast warten lassen! Ich habe was nachzuholen!“

„Ich dachte es wäre dir lieber, wenn ich gar nicht wieder kommen würde?“

„Hey! Werde mal nicht frech, junger Mann.“ NJAngel streckte Soujirou ihren Zeigefinger wie eine Lehrerin entgegen.

„Wenn ich gewusst hätte, dass mich SO etwas erwartet, hätte ich noch einige Wochen drangehängt! Wärst du dann glücklicher?“

„Nein! Dann hättest du jetzt NOCH ein Bein, das schmerzen würde.“

„Oh Mädchen! Was mache ich bloß mit dir?!“, gab sich Soujirou geschlagen.

Sila kam an NJAngel heran und sagte in einem ruhigen aber bestimmten Ton:

„Das war nicht die feine Art, Angel... Soujirou ist gerade erst zurück und du schlägst ihn. Wenn er morgen wieder wegläuft, dann mache ich dich persönlich dafür verantwortlich.“ Nun erklang ein drei-stimmiges Lachen, in das auch Phie mit einstimmte. Sila schien von einem Augenblick auf den anderen ihr herzliches Lachen wieder zu haben.

„Endlich bist du da, Souj. Jetzt kann Sila auch endlich wieder mit uns tanzen!“, bemerkte NJAngel und klatschte in ihre Hände. Soujirou blickte Sila ruhig an.

„Wieso 'endlich'?“

Sila spürte, wie ihr Gesicht warm wurde. Sie wusste genau was NJAngel ansprach. Immer und immer wieder bettelte sie Sila an, mit ihr und ihren Freundinnen in einem der Ballsäle klassische Tänze zu tanzen. „Nie zeigst du uns, was du schon alles kannst, Sila.“, schimpfte NJAngel so oft mit ihr, doch Sila blieb fest und sagte, dass sie nur mit Soujirou ihren ersten Tanz tanzen wollte. NJAngel verstand nicht warum sie sich da so stur stellte.

„Es gibt doch genug gute Tänzer. Sogar dein Bruder hat dich um einen Tanz gebeten“, warf NJAngel ihr gerne an den Kopf, doch es änderte nichts. Sila blieb felsenfest bei ihrer Meinung. Da Sila nun fürchtete, dass NJAngel Soujirou darüber berichten würde, stellte sie sich zwischen die beiden Freunde und blickte auf ihre Uhr.

„Sou, du hast sicher einen anstrengenden Tag hinter dir. Ich denke du brauchst deinen Schlaf. Und du, Angel!“, sagte sie in einem bestimmenden Ton, während sie sich zu der kleinen Tänzerin umdrehte, „Du lässt Sou ausruhen, bevor du die nächste Attacke planst. Es ist spät!“

„Für uns alle ist es spät, Sila“, schloss Soujirou.

„Ich bin doch kein kleines Kind mehr“, schmollte NJAngel, gab sich aber geschlagen.

„Ich denke ich schließe mich euch an. Es war tatsächlich ein langer Tag“, schloss Phie und half Sila den Pult des Spieleführers herunterzufahren und das Licht zu löschen.
 

*** ** * ** ***
 

Es war bestimmt schon der 15. Tanz in Folge. Endlich wurden die restlichen 4 Tänzer, die mit Philphlader und Kiso gemeinsam klassische Tänze getanzt hatten, müde und fingen an den Ausgang zu suchen. Im Schatten des Zuschauerbereiches, stand Dray an eine Säule gelehnt, mit verschränkten Armen und sah seinem besten Freund und der Frau, der er scheinbar mit Haut und Haaren verfallen war, beim Ausschalten der Geräte zu. Kisos Lächeln wurde allmählich ansteckend. Ein Strahlen ging von ihm aus, wenn er mit „seiner“ Philphlader zusammen war. Wenn er mit ihr zusammen war, schien er jeden anderen um sich herum zu vergessen. Dray konnte zwar innerlich das Verhalten seines Freundes nachvollziehen. Auch er hatte eine gute Freundin, die sogar einer Tanzpartnerschaft eingewilligt hatte. StepZz, war eine ausgezeichnete Tänzerin und ein wunderbarer Mensch. Seit der Tanzpartnerschaft spürte Dray wie stark er von ihr angezogen wurde. Nicht lange, so wusste er, würde er ihr seine wahren Gefühle zeigen. Er konnte seinen Freund nur all zu gut verstehen, doch das ewige Hin und Her zwischen ihm und Philphlader ging ihm gewaltig auf die Nerven. Dray hielt sich absichtlich zurück, denn er sah sich nicht in der Position, in der er ein ernstes Wörtchen mit Philphlader reden könnte. Doch nachdem er bemerkte, dass scheinbar niemand - nicht einmal ihre eigene Schwester oder beste Freundin - darauf reagierten, beschloss er die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Die Katze müsste endlich aus dem Sack, fand er, damit im Internat und Freundeskreis wieder Ruhe einkehren würde.

„Du bist noch hier?“, hörte er Kiso verwundert ausrufen. Dray war so sehr in Gedanken versunken, dass er die Beiden fast übersehen hätte. Kiso stand mit fragendem Blick vor Dray. Er hatte seinen Arm wie ein Gentleman angewinkelt, so dass Philphlader ihren hindurchziehen konnte. In diesem Augenblick boten die Beiden ein sehr hübsches Bild ab. Dray wunderte sich wieder einmal warum die Zwei so lange brauchten um einander ihre Gefühle einzugestehen. Sie waren sogar zu stur um Tanzpartner zu werden.

Ein Grinsen durchfuhr Drays Gesicht als er Kiso zunickte und sich vor Philphlader verbeugte. Kiso, dem solch eine Geste nicht fremd war, zog verwundert eine Augenbraue hoch. Seit die klassischen Tänze das Internat erreicht hatten, gab es auch Kurse des Anstands und der Manieren. So lernten die Tänzer sich gerade in Ballsälen richtig zu verhalten. Verbeugte sich ein Mann vor einer Dame, die eindeutig in Begleitung war, so forderte er damit die Begleitung der Dame an.

„Suchst du Streit?“, zischte Kiso seinen Freund an. Dieser beachtete Kiso ausnahmsweise mit keinem Blick, sondern ließ seine Augen nicht von Philphladers Augen weichen.

„Es währe mir eine Ehre, wenn ich die Dame unter vier Augen sprechen könnte“, sagte Dray betont übertrieben. Erstaunen stand in Philphladers Gesicht geschrieben. Einen kurzen Augenblick suchten ihre Augen verwirrt den Blick von Kiso. Seine finstere Mine zeigte ihr, dass er keineswegs begeistert von der Idee war, Philphlader mit Dray alleine zu lassen. Doch Dray stand immer noch in Verbeugung und ließ nicht locker. Was auch immer Dray von Philphlader wollte, es müsste etwas Dringendes sein, stellte Philphlader fest. Kiso bemerkte wie ihr Arm aus seinem herausgezogen wurde, doch er ergriff ihre Hand und blickte ärgerlich auf Dray.

„Was du zu sagen hast, kannst du auch vor mir tun!“, zischte er eifersüchtig.

Kisos schnelle, heftige Reaktion hätte Philphlader vorausahnen können. Sie wusste nicht weshalb, aber sie mochte seine Reaktion. Diese Reaktionen führten oft dazu, dass sich Philphlader sicher und geborgen in seiner Nähe fühlte. Nie hätte sie es vor jemand anderem zugegeben, aber sie schätzte seine Art und mochte es, wenn er sie verteidigte. Philphlader lächelte Kiso an, legte ihre linke Hand auf die von Kiso, mit der er ihre rechte Hand umklammert hielt. Philphladers stille Art sorgte alleine schon dafür, dass Kiso sich etwas entspannte.

„Er ist doch dein bester Freund und er ist auch mein Freund. Bitte, Kiso. Lässt du uns bitte alleine?“ Philphlader wunderte sich selbst über ihren ruhigen Tonfall. Anscheinend hatte sie unbewusst gelernt, wie sie mit Kisos Temperament umzugehen hatte. Kiso starrte Philphlader empört an, lies ihre Hand jedoch immer noch nicht los.

„Gute Nacht, Kiso. Und danke, dass du mit mir getanzt hast“, sagte Philphlader daraufhin entschieden und zog ihre Hand aus seiner.

„Wie du wünscht“, gab Kiso gereizt zurück, nickte verärgert und wandte sich zum Gehen. Doch bevor er den Saal verließ, drehte er sich noch einmal um, ging zu Dray und sagte fest:

„Wenn du ihr etwas tust, wirst du es bereuen!“

„Ey Digga! Keep cool, Kumpel und reg dich mal ab! Ich will doch nur mal ein paar Worte mit deiner Lady wechseln. Ist das jetzt verboten?“, Drays typisches Grinsen entwaffnete Kiso und lockte ebenfalls ein Grinsen aus seinem Mund.

„Sorry, Kumpel. Gib gut auf sie Acht!“, klang es endlich aus seinem Mund. Kopfschüttelnd verließ er den Raum. Jetzt war er schon so weit, dass er eifersüchtig auf seinen besten Freund wurde. Kiso hielt im Laufen inne und sog die kühle Abendluft in sich auf.

„Langsam übertreibst du es entschieden mit deiner dummen Eifersucht!“, schimpfte er mit sich. Er drehte sich noch einmal um und blickte stumm zum Ausgang.

'Aber was will Dray zu so später Stunde noch von ihr?'
 

*** ** * ** ***
 

Überall hatte Philphlader schon nach Kiso gesucht. Auch das Kommunikationsgerät zeigte seine Abwesenheit an. Sie wusste nicht ob Kiso ihr vielleicht doch böse war, weil sie ihn am vorigen Abend einfach so weggeschickt hatte. Philphlader machte sich Vorwürfe, kannte sie doch Kisos Art. Ihre große Schwester war auch noch nicht in den Tanzhallen. Philphlader seufzte. Was sollte sie nun tun? Seit Dray mit ihr am Abend zuvor gesprochen hatte, wurde ihr Herz schwer. Dunkle Augenränder zeigten wie wenig Schlaf die Tänzerin bekommen hatte.

„Imôto?!“, klang es im Vorhof der Tanzhallen. Philphlader drehte sich um und sah ihre beste Freundin auf sie zukommen. Sie blickte nach rechts und nach links und stellte erleichtert fest, dass Sila ausnahmsweise weder von NJAngel, noch von diesem Soujirou begleitet wurde.

„Du bist aber früh auf, Imôto“, jubelte Sila lachend und schlang Philphlader in die Arme. Doch kaum hatte sie ihre Freundin umarmt, hielt Sila inne und blickte Philphlader verwundert an. „Was ... was ist los, Imôto? Du bist so bleich!“, stellte Sila mit großen, sorgenvollen Augen fest. Obwohl der Sommer schon lange vorbei war, schien die Sonne an diesem Morgen schön hell und erwärmte den Vorhof. Auch in Silas Herzen schien die Sonne. Schon alleine das Wissen, dass Soujirou wieder da war, beflügelte ihr Wesen. Am liebsten hätte Sila die ganze Welt umarmt. Soujirou war schon mehr als zwei Wochen im Internat, doch am Abend zuvor wurde ihr großer Wunsch endlich erfüllt. Sie konnte, zusammen mit Phie und einem unbekannten Tänzer, ihren ersten klassischen Tanz in dem neuen Ballsaal von AuditionEU tanzen. Sila konnte sich noch gut dran erinnern wie ihr Herz schlug, als Soujirou sie lächelnd in den Saal führte. Er war etwas schüchterner als gewohnt und entschuldigte sich im Vorfeld, falls er Fehler machen würde. Von den Fehlern konnte Sila nichts feststellen, sie genoss den Tanz von ganzem Herzen und würde noch lange daran zurückdenken. Um so schwerer war es in ihrem jetzigen Zustand den traurigen Blick von ihrer Freundin zu sehen.

„Kann ... kann ich dir helfen, Imôto?“, fragte Sila besorgt. Philphlader hob ihren Kopf und blickte Sila direkt ins Gesicht. Ihr Gesicht glühte nun, so dass Sila erschrocken ausrief:

„Imôto! Hast du Fieber?“

Ein schüchternes Lächeln umspielte Philphladers Lippen. Sie schüttelte verlegen den Kopf, hob ihre Hand an und versteckte eine Haarsträhne hinter ihrem Ohr.

„Nein...“, hörte Sila sie sagen, „Ich habe kein Fieber.“ Verlegen legte sie ihre Handflächen auf die Wange.

„Ich freue mich so dich zu sehen, Imôto“, sagte sie lächelnd, „Weißt du. Ich wusste schon nicht was ich machen sollte. Da bist du gekommen.“

Philphlader strahlte. Den Gesichtsausdruck kannte Sila gar nicht und war gespannt darauf, was geschehen sei. Philphlader überlegte wie sie es sagen sollte. Endlich atmete sie tief durch und bat:

„Ich brauche deine Hilfe, Neechan!“

„Alles was du möchtest, Imôto!“

„Kannst du ... Ich meine ... Kannst du vielleicht deinem Bruder von mir ausrichten ... dass ... ich ... einverstanden bin?“, die Röte in Philphladers Gesicht wurde noch stärker, aber ihr verlegenes Lächeln verschlug Sila den Atem. Mit offenem Mund starrte sie ihre Freundin an. Sie hatte Angst sie noch einmal zu fragen, denn sie befürchtete, sie hätte sich verhört.

„Einverstanden?“, brachte sie nur mit großen Augen hervor.

„Ja, Neechan“, Philphlader sah so glücklich aus, als sie es endlich über die Lippen gebracht hatte. „Ich bin einverstanden ... Es sei denn“, fügte sie verlegen hinzu, „er hat mich schon aufgegeben!“

Das Quietschen, das auf Philphladers Worte folgte konnte man sicherlich noch in den Parkanlagen des Internats hören. Sila fiel freudestrahlend um Philphladers Hals.

„Ich glaube es nicht!!!! Imôto!!! Heißt es – heißt es... Heißt es etwa, dass du seine Tanzpartnerin werden möchtest???“, Silas Wangen glühten nun genau so stark wie die ihrer Freundin. Das befreiende Lachen ihrer Freundin, trieb ihr die Tränen in die Augen. Sila umarmte Philphlader immer und immer wieder, bis sie einen Schritt nach hinten ging und sie erstaunt fragte: „Aber ... Wieso auf einmal?“ Sie wollte nicht unverschämt sein.

Philphlader lachte herzlich. Es war ein Lachen, dass so unendlich gut tat.

„Der gute Dray hat mir gestern Abend ganz schön den Kopf gewaschen“, sagte sie verlegen und kratzte sich am Kopf.

„Dray? Unser Dray???“, Silas Erstaunen wurde immer größer, „Kaum zu fassen!“

Von diesem Schrecken musste sich Sila erst einmal erholen und setzte sich auf eine der Bänke, die man überall auf dem Internatsgelände finden konnte. Sie blickte zu der fröhlichen Philphlader auf und fragte, nur um sicher zu gehen, dass sie sich nicht verhört hatte:

„Du bist ganz sicher, dass du Kisos Tanzpartnerin werden möchtest? Ich ... werde es ihm sofort sagen, wenn du magst.“

Mit roten Wangen nickte Philphlader fröhlich. Sie fühlte sich auf einmal so erleichtert wie noch nie zuvor. Kiso wollte mehr als Tanzpartnerschaft, dass wusste sie, doch der erste Schritt alleine schon für eine Tanzpartnerschaft wurde getan. Philphlader wusste, dass sie sich auf ihre Freundin verlassen konnte. Fröhlich setzte sie sich neben Sila, die ihr Kommunikationsgerät in den Händen hielt und eine Nachricht an ihren Bruder schickte. Die beiden Freunde saßen gemeinsam und redeten fröhlich. Es tat beiden gut. Obwohl draußen der Herbst Einzug erhielt, fühlten sie sich als sei es gerade Frühling geworden. Es war ein befreiendes Gefühl... bis ein „Pling“ die Stille des Morgens erfüllte.

Verwundert blickte Sila auf ihr Kommunikationsgerät. „Nanu? Die Antwort kommt aber schnell!“

Lächelnd öffnete Sila die eingegangene Nachricht, als ihre Gesichtszüge plötzlich erstarrten. Verwunderung stand in Philphladers Gesicht und Zweifel durchbohrten ihr Herz, denn sie dachte, die Nachricht wäre von Kiso 'Vielleicht hat er mich DOCH aufgegeben?!'

„Ist etwas, Neechan? Was schreibt Kiso?“, wagte sie zu fragen.

Sila schüttelte bleich ihren Kopf. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, als würde sie den Inhalt des eben Gelesenen nicht begreifen können.

„Die Nachricht ist ... nicht ... von Kiso“, flüsterte Sila und sackte stumm von ihrem Platz auf der Bank auf dem Boden zusammen, so dass ihr Kommunikationsgerät herunter fiel. Voll Sorge über Silas plötzliche Reaktion, nahm Philphlader ihr Gerät in die Hände. Eigentlich wollte sie nicht neugierig sein, aber Silas Zustand erschreckte sie. Die Nachricht war von Soujirou. Mit großen Augen las Philphlader seine Nachricht:

„Guten Morgen Sila. Du wirst es nicht glauben. Heute Nacht ist etwas unglaubliches geschehen. Stell dir vor: Ich habe eine Tanzpartnerin! Ich kann es nicht erwarten dich ihr vorzustellen.“
 

Ende Kapitel 15:

~ Ein Wiedersehen mit Folgen ~

~ Folgen einer Entscheidung ~

Alleine gelassen atmete Philphlader tief durch. Es war ein friedlicher, schöner Herstmorgen. Sie genoss die Stille. So ruhig sie auch nach außen hin wirkte, so aufgewühlt waren ihre Gedanken. Sila hatte sie erstaunt. Philphlader erlebte an diesem Morgen wieder einmal die berühmt, berüchtigten Launenwechsel ihrer Freundin. Es begann mit einer guten Laune, die fähig war alle anderen mitanzustecken. Ihr herzliches, vergnügtes Lachen hallte immer noch in Philphladers Ohren nach. Seit sie jedoch die Nachricht von Soujirou erhalten hatte, verschwand das Lachen aus Silas Gesicht und damit jegliche Farbe. Für einen kurzen Moment gefürchtete Philphlader, dass Sila das Bewusstsein verlieren könnte. Doch sie rappelte sich wieder auf. Tränen, die in ihren Augen standen, zeigten Traurigkeit. Jedoch nur bis zu dem Moment, indem sie mit zusammengeballten Fäusten und trotzigem Blick in der großen Lobby verschwand. Philphlader fühlte mit ihrer Freundin. Sie schüttelte den Kopf.

'Dabei haben wir sie immer gewarnt! Sie wollte einfach nicht hinhören...'

Seufzend blickte sie auf einen der vielen Nebeneingänge des Internats, indem Sila verschwand.

„Aber es tut mir trotzdem so leid für dich, Neechan“, flüsterte sie.

'Vielleicht ... Vielleicht ist es aber auch gar nicht mal so schlecht! Es tut zwar weh, aber Sila und Soujirou gehören einfach nicht zusammen!', sann sie verärgert weiter. Sie beugte sich auf ihrer Bank nach vorne und stützte ihren Kopf mit einer Hand ab.

„Warum muss es immer so kompliziert sein, zwischen Männern und Frauen?“, dachte sie laut.

„Findest du?“

Philphlader hob erschrocken ihren Kopf. Versunken in Gedanken bemerkte sie gar nicht, dass sich ein Mann vor sie gestellt hatte. Sie bemerkte noch nicht einmal, dass sie wenige Augenblicke von diesem Mann beobachtet wurde. Als ihr Blick seine türkisfarbenen Augen traf, errötetet sie tief.

„Kiso!“

„Leibhaftig!“ Kiso strahlte über sein ganzes Gesicht. Seine Brust hob und senkte sich schneller als sonst. Er musste es ziemlich eilig gehabt haben, bemerkte Philphlader. Nun, wo er vor ihr stand, bekam Philphlader nicht einen Ton über die Lippen heraus.

„Ich habe eine Nachricht von Sila bekommen“, begann Kiso.

„Um ehrlich zu sein hat mich die Nachricht aus dem Bett geschmissen“, fügte er ein wenig verschmitzt hinzu. Philphlader mochte es sehr, wenn Kiso lächelte. Seine leuchtenden Augen machten ihr Mut. Sie setzte sich wieder aufrecht auf die Bank, lehnte sich an die steinerne Internatswand und streckte vergnügt ihre Beine aus.

„So. Neechan hat dich aus dem Bett geschmissen? Das muss aber eine wichtige Nachricht gewesen sein, wenn sie dich damit aus dem Bett bekommen konnte, du Langschläfer.“

„Wichtig? Also wenn es kein hinterhältiger Scherz von meiner lieben Sis war, dann war es eine gigantische Nachricht, dear“, gab Kiso ehrlich zurück. Philphlader antwortete nicht. Kiso studierte jedoch ihre hübschen Gesichtszüge, in der Hoffnung zu erfahren ob es ehrlich gemeint oder doch nur ein schlechter Scherz war. Kisos Grinsen wurde breiter, als Philphladers Lippen ihm ein wissendes Lächeln zeigten.

„Yeehaaa!“, rief er aus „Also ist es tatsächlich wahr!?“ Philphlader nickte leicht verlegen. Kiso blickte nach rechts und nach links.

„So! Wo hat sie sich versteckt?“

„Versteckt? Wer?“

„Na, meine Sis! War sie nicht bei dir, als sie mir die Nachricht schrieb?“

„Oh ... Nee – ee – chan!“ Philphlader dehnte das Wort unbewusst lang. „Sie äh... war auch hier“, stotterte sie. Was sollte Philphlader nur tun? Sollte sie Kiso erzählen, dass seine kleine Schwester von Soujirou eine niederschmetternde Nachricht erhalten hatte?! Sicher; Früher oder später würde es Kiso erfahren und sich fürchterlich darüber aufregen. Würde sie es ihm in diesem Moment sagen, wüsste sie nicht wie sie das Thema der Tanzpartnerschaft je zu einem anderen Zeitpunkt wieder ansprechen sollte. So wie sie ihn kennen gelernt hatte, würde er wutentbrannt seiner Schwester folgen. Wenn er auch noch Soujirou zu Gesicht bekommen würde, würde es sicherlich keinen guten Ausgang nehmen. Für niemanden! Sie tanzte nun schon fast ein Jahr lang mit diesem temperamentvollem Tänzer und kannte sein Verhalten zu gut. Wenn er Sila auch nur eine Träne vergießen gesehen hätte, könnte ihn mit großer Sicherheit niemand mehr stoppen. Solch eine Beziehung zwischen Menschen, die mit einander aufwuchsen, hatte Philphlader noch nie erlebt. Schließlich entschied sie sich nach langem Hin und Her Kiso nicht alles zu verraten.

„Sie ist vor einigen Minuten in die Tanzhalle gegangen.“

„So ist das“, hörte sie Kiso grinsend sagen. Sein Blick ruhte auf ihren Augen, als er sich vorne über sie beugte. Philphlader war so überrumpelt, dass sie ihren Atem anhielt. Kiso stützte sich mit beiden Händen an der Wand des Internats ab. Phils Kopf befand sich genau zwischen seinen großen Händen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Philphlader fand es töricht, doch es schien sich nicht beruhigen zu wollen. Als Kisos Gesicht sich ihrem näherte, so dass sie sein Parfüm riechen konnte, hatte sie das Gefühl ihr Herz würde aus der Brust springen. Zu ihrer Überraschung führte Kiso seinen Mund nahe an ihr Ohr und flüsterte:

„In diesem Moment bin ich glücklicher, dass nur du und ich hier sind.“

Er beugte sich ein wenig zurück. So konnte er in ihre Augen sehen. Sie sah entzückend aus, wie sie mit roten Wangen, scheinbar leicht überrascht, vor ihm saß. Philphlader konnte seinem Blick nicht mehr standhalten und senkte verlegen den Kopf. Mit seiner rechten Hand hob er vorsichtig ihren Kopf am Kinn an. Noch nie zuvor sah sie so einen zärtlichen Blick bei einem Mann, als er lächelnd sagte:

„Wenn du es dir nicht anders überlegt hast, würde ich gerne einen Partnertanz mit dir tanzen.“ Sein Zwinkern sagte alles. Philphlader war sich sicher, dass er wieder einmal – aber dieses Mal nach längerer Pause – eine Anfrage auf Tanzpartnerschaft stellen würde. Dieses Mal würde sie zustimmen. Mit einem Lächeln und leuchtenden Augen nickte Philphlader ihm zu.

„C'mon darling. Let's dance!“, rief er Philphlader fröhlich zu, indem er seine starke Hand ausstreckte, um ihr beim Aufstehen zu helfen.

„Let's dance“, wiederholte Philphlader schüchtern und legte verlegen ihre rechte Hand in seine.

'Neenee hat recht! Es wird Zeit erwachsen zu werden!'

Sie stand vor diesem gut aussehenden Mann, der einen Kopf größer war als sie und fragte sich zum ersten Mal aus welchem Grund sie jetzt erst begriff wie gerne sie ihn hatte, wie gerne sie in seiner Nähe war und wie wertvoll er ihr von Tag zu Tag wurde.
 

*** ** * ** ***
 

„Wie konntest du nur?!“, rief Sila noch bevor Soujirou sie begrüßen konnte. Irritiert blickte er zu ihr hinunter.

„Was ist los, Sila?“

„Wie konntest du nur Megu-sama zu deiner Tanzpartnerin machen?“

Sila bebte innerlich. Die ganze Zeit behauptete Soujirou, er wolle keine Tanzpartnerschaft. Die ganze Zeit wollte er nur mit Sila tanzen, damit ihn die partnerlosen Frauen in Ruhe ließen. Aus Respekt zu seiner Einstellung hatte sie ihn nie um Tanzpartnerschaft gebeten. Obwohl sich ihr Herz nach ihm sehnte, hatte Sila geschwiegen. Sie wollte ihm Zeit geben.

„Sie hat mich gefragt und...“

„Du wolltest doch gar keine Tanzpartnerin!“, warf sie ihm empört entgegen. Soujirou hielt inne und forschte in Silas Gesicht. Er kannte ihre Launenschwankungen, doch dieser Gesichtsausdruck war ihm neu. Sie sah irgendwie verletzt aus. Soujirou seufzte und ging einige Schritte auf sie zu.

„Um ehrlich zu sein... Sie bat mich so lange ihr Partner zu werden, bis ich schließlich nachgab.“

Erschrocken sah er wie Sila ihre Hände zu Fäusten ballte und ihr Tränen in die Augen schossen. Er schluckte hart. In Silas Blick stand Anklage. Auf einmal fühlte er sich befangen und hatte das Gefühl sich für seine Entscheidung rechtfertigen zu müssen.

„Ich wollte ja auch keine Partnerin, Sila. Megu-sama ging es wie mir ... Sie wollte auch keinen Partner. Wir tanzten zusammen“, berichtete er ruhig weiter „Sie wunderte sich warum ich nie einen Antrag stellte, wie die anderen Tänzer. Die Tanzpartnerschaft existiert doch nur in unseren Daten. Zumindest haben wir beide jetzt Ruhe vor Anfragen.“

'Warum hast du denn nicht mich gefragt?!', wollte Sila wissen, doch sie brachte kein Wort über ihre Lippen. Er fasste sie bei den Armen.

„Du bist so aufgebracht. Warum?“

Silas Lippen bebten. Selbst wenn die Tanzpartnerschaft Zweckgebunden war, fühlte sie sich zutiefst verletzt.

„Weil du immer sagtest du wolltest keine Partnerin!“

Sila machte eine ruckartige Bewegung und löste sich aus seiner Berührung. Soujirou wusste nun gar nicht mehr war er ihr noch sagen konnte.

„Du hast doch selbst gesagt, dass ein Partner vor ständigen Anfragen schützen kann...“

Sila biss die Zähne zusammen.

„Damit meinte ich doch...“, sie blickte ihm tief gekränkt in die Augen „Du hättest mich doch fragen können!“

„Dich???“

Erschrocken fuhr er zurück. Hätte sie ihm gesagt, dass sie nie wieder tanzen wollte, er hätte nicht erschrockener sein können.

„Ja mich!“, Sila war so wütend auf Soujirou, dass ihr egal war ob sie ihm ihr gut gehütetes Geheimnis verriet.

„Oder bin ich nicht so gut wie Megu-sama?!“ Ihre Augen funkelten.

„Was redest du da? Megu-sama kann dir nicht das Wasser reichen! A – aber Sila! Ich dachte DU wolltest keinen Partner mehr.“

Soujirou verstand die Welt nicht mehr.

„Ach lass mich doch in Ruhe! Werde glücklich mit dieser Megu-sama!“

Mit diesen Worten drehte sich Sila auf dem Absatz herum und verließ mit hochrotem Kopf den Vorbereitungsraum seines Tanzraumes.

„Sila!“ Soujirou lief ihr nach. „So warte doch! Sila!“

Mit einem Satz ging er schnellen Schrittes neben ihr, doch Sila wurde weder langsamer, noch blickte sie ihn an.

„Wir sind doch Freunde!?“, rief er verwirrt und griff mit einer Hand auf ihre Schulter. Ohne ein Wort zu sagen schüttelte sie seine Hand ab und verließ die große Lobby. Soujirou blieb stehen und blickte Sila nur stumm hinterher.

„So habe ich sie noch nie erlebt“, murmelte er.
 

„Was war denn DAS eben für ein Abgang?“

Soujirou drehte sich um und sah NJAngel, wie sie mit großen Augen zum Ausgang, in dem Sila verschwand, blickte. Nun drehte sie ihren Kopf zu ihm und wartete mit erhobener Augenbraue auf eine Erklärung. Überall in der Lobby waren kleinere Inseln zu sehen. Diese waren rundum mit verzierten Sitzbänken ausgestattet. Völlig erschöpft sackte Soujirou auf eine der Bänke.

„Frag mich was Leichteres ... Ich verstehe euch einfach nicht!“

NJAngel war ebenfalls verwirrt. Sie hatte die Szene zwischen Soujirou und Sila gesehen. Noch nie hatte sie die fröhliche Tänzerin so wütend gesehen.

„Wow!“, NJAngel setzte sich neben Soujirou „Du musst etwas sehr schlimmes getan haben, damit Sila so wütend werden konnte.“

Soujirou blickte NJAngel fest an. „Ich habe ihr nur eine Nachricht geschrieben um zu erzählen, dass Megu-sama und ich jetzt Tanzpartner sind.“ Ungläubig schüttelte er seinen Kopf „Aber sie fuhr mich gleich in der Tür an...“

„Das ist ein Scherz?!“

„Ein Scherz? Von Sila?“

„Nein! DU machst Scherze, oder?“

Soujirou seufzte schwer. „Ich mache keine Scherze! Jetzt fang bloß nicht auch noch so an...“

„Du bist so ein Idiot!“, schimpfte NJAngel Soujirou lautstark aus.

„Du hättest ihr auch gleich ins Gesicht schlagen können!“, sie schüttelte ihren Kopf. „Ich weiß ja, dass du nicht gerade ein Blitzmerker bist, was Frauen angeht, Souj, aber dass du SO dämlich sein könntest, hätte ich im Leben nicht gedacht!“

Soujirou wurde unruhig. Anscheinend wusste NJAngel etwas, was er nicht wusste.

„Was HABE ich denn falsch gemacht?“ NJAngel sprang auf und streckte Soujirou anklagend den Zeigefinger entgegen.

„Du tanzt seit zig Monaten mit Sila. Kaum läuft dir so ne Japanerin – Megu-sama genannt – über den Weg, machst du sie zur Partnerin.“

„SIE hat MIR die Anfrage geschickt“, verteidigte sich Soujirou.

„Das tut doch nichts zur Sache! Du hast Sila betrogen!“, schimpfte NJAngel.

„Betrogen?!“

„SIE hättest du zur Partnerin machen sollen, du Trottel!“

„Sie wollte keinen!“

„Ach und warum nicht?“ Aus NJAngels Augen funkelte es ähnlich wie aus Silas. Sie hatte längst gemerkt, dass Sila sehr gerne mit Soujirou tanzte. Schon länger vermutete NJAngel, dass Sila sicher nichts gegen eine Tanzpartnerschaft mit Soujirou gehabt hätte.

„Man! Da bin ich mal gespannt, wie du da raus kommst...“, auch NJAngel bewegte sich ohne ein weiteres Wort zum Ausgang. Soujirou hörte nur noch wie sie ärgerlich, aber laut ausrief:

„Männer sind wirklich totale Idioten!!!“
 

*** ** * ** ***
 

„Na wenn DAS nicht mal was ist!“, rief Massayo aus und zwinkerte Shizumi verschmitzt zu.

„Kiso und Philphlader sind Tanzpartner...“ In einer übertriebenen Geste legte sie ihre Hand aufs Herz und seufzte scheinbar zufrieden „Dass ich DAS noch miterleben würde...“

„Ich gratuliere euch herzlich“, freute sich Shizumi mit ihren Freunden zusammen. Shadow und Dray standen nur grinsend da und klopften Kiso mit wichtiger Mine auf die Schulter. Massayo konnte ihre Neugierde nicht mehr zügeln:

„Sag! Was war nun der Grund dass du unserem guten Kiso nun endlich zugestimmt hast?“

Kisos Kopf fuhr in die Höhe. Diese Frage hatte er sich auch schon gestellt, sich aber nicht getraut zu fragen. Philphlader senkte verlegen den Kopf, als sie alle Blicke auf sich ruhen spürte. Nach einer kurzen Stille hob sie ihren Kopf und lächelte Dray an.

„Sagen wir es so: Dray hat mir ins Gewissen gesprochen.“

Nun war Dray derjenige, den alle Blicke trafen. Sein Grinsen zeigte, dass Philphlader die Wahrheit sagte. Stumm stellte sich Kiso neben seinen Freund, der das gleiche Tanzoutfit trug wie er und flüsterte:

„Ich bin dir ne Entschuldigung schuldig. Gestern war ich...“, weiter kam er nicht, als er einen Ellenbogen in seiner Seite spürte.

„Ey Digga! Kein Ding, sag ich dir!“ Sein Grinsen wurde noch breiter, als er zwinkerte:

„Du hättest mit Sicherheit das Selbe getan.“

Massayo legte ihren Ellenbogen auf Kisos Schulter. Sie stemmte die freie Hand auf ihre Hüfte und fragte Kiso keck:

„Und? Wie fühlt man sich so, wenn man endlich die Herzensdame erobert hat?“

„Wie?“, wunderte Shizumi sich, „Ich dachte ihr seit nur Tanzpartner?!“ Ohne es zu wollen, bewirkten ihre unbedachten Worte, dass Philphladers Wangen zu glühen begannen. Kiso genoss die Atmosphäre. Nun, da Philphlader endlich seine Tanzpartnerin war, war er glücklicher als er es sich jemals erhofft hatte. Seine Laune konnte nicht besser sein, als er durch den Tanzsaal hinter Philphlader schritt, um ihr seine Hände auf die Schultern zu legen.

„Naja! Was nicht ist, kann ja alles noch werden. Nicht wahr, darling?“

Mit hochrotem Kopf drehte sich Philphlader zu ihm um. Ihr verlegener Blick fiel auf seinen Zärtlichen. Sein Lächeln steckte sie an.

„Du musst es natürlich auch gleich übertreiben!“

Er beugte seinen Kopf dicht an ihren, als er ihr ins Ohr flüsterte: „Ich will mit dir tanzen ... alleine!“

„Hey! Es gibt hier nichts zu flüstern ihr Turteltauben!“, rief Massayo empört.

„Lass mich raten“, seufzte Dray „Du willst Philphlader für dich alleine haben!?“

Kiso grinste: „So sieht's aus, Kumpel. Sorry Leute, aber ich entführe euch mal diese Lady!“

Dray klatschte in Kisos Hand ein, tat jedoch beleidigt:

„So fängt's an ... Schon hast du keine Zeit mehr für Freunde.“

„Denkst du? Und was passiert wenn dich DEIN Schätzchen ruft?“

Grinsend gab sich Dray geschlagen. „Okay! Viel Spaß euch!“
 

*** ** * ** ***
 

Die Stimmung im privaten Vorbereitungssaal war sehr gedrückt. NJAngel und Phie waren am Ende ihrer Ratschläge für Sila angekommen. Zu Beginn dachte NJAngel, dass Sila gerne nur die Tanzpartnerin von Soujirou wäre. Zu ihrer großen Überraschung stellte sie jedoch fest, dass Sila viel mehr wollte als nur seine Partnerin im Tanz zu sein. Die sonst so fröhliche Sila wurde immer zurückgezogener.

„Hast du noch einmal wieder mit Soujirou gesprochen?“, fragte Phie.

„Ja, habe ich!“

„Was hast du ihm denn gesagt?“

Sila wandte ihren Blick von Phie ab. „Ich sagte, dass ich es total unfair fand, dass er sich von einer 'Unbekannten' zureden lassen hat und ihr Partner wurde.“

„Und?“, wollte NJAngel wissen.

„Und ich sagte dass er mir immer sagte, dass er keine Partnerin wollte. Deshalb habe ich ihm nie eine Anfrage gemacht ... Außerdem ist es ja wohl SEINE Aufgabe gewesen einen Antrag zu machen. Ich finde es so lächerlich, dass diese Megu-sama ihm so lange in den Ohren lag, bis er nachgab!“

Sila war wütend. Bei ihr konnte man Wut meist nur mit Verletzung zusammen erkennen. Wenn Sila in dieser Verfassung war, konnten ihr leicht Tränen hoch steigen. Phie erkannte diesen Zustand bei ihr. Die Tränen, die sich in ihren großen Augen stauten, waren eher aus Wut oder Verzweiflung, als aus Traurigkeit.

„Hast du ihm das genau so gesagt, Sila?“, forschte Phie vorsichtig.

„Natürlich nicht!“, erwiderte Sila gereizt, „Den Teil mit Megu-sama habe ich für mich behalten! Er würde das nie verstehen!“

„Ach Mädchen!“ Phies Aufstöhnen war eindeutig. „Damit machst du dir nur das Leben unnötig schwer ... So hart es auch klingen mag: Wenn du nicht endlich lernst und dich überwindest den Mitmenschen deine wahren Gefühle preis zugeben, wirst du weiter missverstanden und verletzt werden!“

Mütterlich legte Phie ihren Arm um Sila. „Ich meine es doch nicht böse ... Woher sollen, gerade Männer, wissen was du in deinem Herzen versteckst? Du musst es ihm sagen...“

NJAngel verlor die Geduld. Für sie war Soujirou wie ein großer Onkel, mit dem man Tanzen und seinen Spaß haben konnte. Sie konnte einfach nicht begreifen wie diese hübsche, in ihren Augen, erwachsene Tänzerin hinter so einem „alten Kerl“ her sein konnte.

„Ach weißt du?! Das ganze Theater um Soujirou lohnt sich doch gar nicht. Er wird es NIE checken, wenn du mich fragst!“

Sie umkreiste Sila und bückte sich leicht, um den Augenkontakt zu der nach unten blickenden Sila zu erhalten.

„Vergiss ihn! Es gibt jede Menge toller Tänzer und Männer. Du bekommst doch Anfragen ohne Ende, wenn du dich nicht gerade einbunkerst wie jetzt!“

Sila ging zwei Schritte voraus, drehte sich mit einem Ruck wieder um und sagte entschlossen:

„Ich möchte aber keinen anderen! Ich möchte IHN! Versteht ihr das denn nicht? Nur IHN!“

Ihre Augen brannten und ihr Blick wurde verschleiert, als sie wieder eine Tränenflut unterdrücken musste.

'Jetzt hör auf mit der elenden Heulerei, Sila!', schimpfte sie im Stillen mit sich selbst. Als Sila wieder aufblickte bemerkten Phie und NJAngel verwundert einen neuen Anflug von Ehrgeiz.

„Die Tanzpartnerschaft ist also platonisch?!“, fragte sie mehr sich als die anderen. „Ich habe Megu-sama noch nicht ein Mal in den Tanzhallen gesehen. Wenn Soujirou tanzt, ist er nur bei mir. Nie sah ich ihn mit ihr zusammen!“

Plötzlich funkelten ihre Augen, die wenige Minuten zuvor noch so leer aussahen.

„Ich werde ihn überzeugen, dass ICH die bessere Tanzpartnerin bin!“

„Äh ... und wie willst du das anstellen?“, wollte NJAngel ungläubig wissen.

„Indem ich für ihn da bin! Er soll merken, dass er mir vertrauen kann!“

Phie und NJAngel blickten sich fassungslos an.

„Aber Sila“, versuchte Phie es noch einmal, „Das hast du vorher doch auch schon gemacht ... Das hat doch gar nichts...“

„Dann muss ich mich eben noch mehr anstrengen!“, unterbrach Sila sie. „Entschuldigt mich! Ich gehe Soujirou suchen! Ihr könnt ja gerne mitkommen, wenn ihr wollt!“

Mit diesen Worten verabschiedete Sila sich und verschwand durch die Eingangstür. Phie starrte ihr nur ungläubig hinterher, während NJAngel lauthals schimpfte:

„Wie kann man nur so stur sein?“
 

*** ** * ** ***
 

Wie Sila vermutet hatte, tanzte Soujirou immer mit ihr. Sie hoffte immer wieder Megu-sama wenigstens zu begegnen, doch jedes Mal, wenn sie in der Anwesenheitsliste forschte, stand unter ihrem Namen „Nicht anwesend!“. Sila wunderte sich sehr. Überhaupt fragte sie sich wo und vor allem wann Soujirou diese Japanerin kennen gelernt haben sollte. Doch Sila war zu stolz um Soujirou nach Megu-sama zu fragen und er selbst erwähnte sie mit keinem Wort. Manchmal war Sila neidisch auf die Tänzerin, die es geschafft hatte Soujirous Tanzpartnerin zu werden.

'Vielleicht liegt es daran, dass ich keine Asiatin bin', dachte sie hin und wieder. Doch da sie den Rat von Phie ignorierte und lieber schwieg, erfuhr Sila Soujirous wahre Gedanken nicht. Er ahnte auf diese Weise auch nichts von ihren Gefühlen. Phie tanzte immer gerne mit Sila. Ihr war es egal ob Soujirou dabei war oder nicht. Sie sprach Sila auch nicht mehr wegen Soujirou an, hoffte jedoch, dass sie dadurch nicht noch alles schlimmer machte.

Sila tat als hätte es ihre Auseinandersetzung mit Soujirou nie gegeben. Sie schaffte es sich selbst einzureden, dass Soujirou sie mochte. Mit Sicherheit hatte Soujirou Sila gern, denn er verbrachte seine Zeit mit ihr, wenn Sila tanzen war. Doch ob diese Gefühle wirklich zu mehr als reiner Freundschaft fähig waren, wagte Phie immer weniger zu hoffen. Dafür beobachtete sie ihn schon zu lange. Früher oder später würde Sila die Augen vor der Wahrheit öffnen müssen. Leider ahnte Phie, dass ihr an diesem Tag das Herz brechen würde.

Im Laufe der Zeit wuchs die blonde Tänzerin Phie sehr ans Herz. Es war schön zu sehen, dass ihre jüngere Schwester so fröhlich mit ihrem Tanzpartner war. Kiso war ein guter Mann, der Philphlader von Herzen mochte und schätzte. Phie war sich sicher, dass die Beiden mehr verband als nur der Tanz. Sah sie dann auf Philphladers beste Freundin, wurde ihr das Herz schwer. Bei ihr sah sie kein gutes Ende voraus.

Sie blickte zu Sila, die in kuren Abständen zur Uhr blickte. Phie wusste genau was dies bedeutete. Sila wartete auf Soujirou. Tatsächlich betrat der Tänzer kurze Zeit später den Raum.

„Nanu?“, fragten Phie und Sila fast synchron, als sie Soujirou sahen. Sila hob eine Augenbraue an. Der Soujirou, der heute vor ihr stand war schwer vom Soujirou der letzten Tage zu erkennen. Er trug nicht nur andere – viel engere – Kleidung, er hatte seine Haare in ein mittleres Braun färben lassen. Phie bemerkte sofort das Missfallen von Silas Seite aus.

„Du meine Güte“, rief diese aus, „was hast du denn mit deinen Haaren gemacht?!“

Silas Bestürzung klang in ihrer Stimme. Sie bemerkte eine Sonnenbrille, die in seinem – nun auch viel kürzerem – Haar auf dem Kopf steckte.

„Seit ihr überrascht?“, fragte er freudestrahlend.

„Überrascht? Äh ja ... Aber ... Warum hast du deine Haare gefärbt?“, gab Sila zurück. Soujirous sichtlich gute Laune erstaunte die beiden Frauen.

„Megu-chan hat gesagt, ich brauche mal einen neuen Look.“

Sofort legte sich ein Schatten über Sila, wie Phie besorgt feststellen musste.

„Sie hat mir auch das Outfit ausgesucht und war mit mir beim Frisör“. Soujirou lächelte und zeigte auf seine Brille.

„Megu-chan hat sie mir geschenkt ... Sie sagt dass es besser zu meinem neuen Look passen würde.“

„Das hat also Megu-SAMA gesagt?!“, klang es kühl von Silas Seite.

„Sie hat NATÜRLICH auch daran gedacht, dass du mit dem Ding da oben tanzen musst?!“, stellte sie sarkastisch fest. Phie merkte sofort die Veränderung in Sila. Soujirou anscheinend auch, denn sein Lächeln ging zurück.

„Es gefällt dir nicht...“

„Ich finde es total schade, dass du deine schönen schwarzen Haare gefärbt hast...“

Sie ging ganz nahe an Soujirou heran und sagte leise: „Wie mir scheint ist Megu-sama nun eine echte Tanzpartnerin von dir geworden...“

Soujirou blickte Sila erschrocken an und wollte gerade etwas erwidern, als Sila ihn unterbrach:

„Herzlichen Glückwunsch, Soujirou ... Ich wünsche dir alles Glück der Welt!“

Mit diesem Satz drehte sich Sila zur Tür, hob die Hand und sagte, ohne sich noch einmal umzudrehen: „Ihr könnt ohne mich tanzen! Mir ist die Lust vergangen!“

Phie und Soujirou blickten sprachlos auf die geschlossene Tür. Als Soujirou sich besann und Sila nachlaufen wollte, hielt Phie ihn auf.

„Ich fürchte du würdest alles nur noch schlimmer machen“, sagte sie ernst, „ICH gehe ihr nach.“
 

*** ** * ** ***
 

Kiso war wütend. Seit der Nachricht von Phie war nun schon über eine Stunde vergangen. Er und Philphlader waren gerade beim Tanzen, als ihn die Nachricht von Silas Verschwinden erreichte. Phie hatte selbst schon nach Sila geschaut, ist sogar bis zu ihrem Apartment gelaufen, doch von Sila fehlte jede Spur. Entweder würde sich Sila in ihren 4-Wänden verschanzen, oder sie hätte einen stillen, abgelegenen Ort in oder außerhalb des Internats aufgesucht. Kiso glaubte nicht, dass Sila nach hause gelaufen sei und so bat er Philphlader und Phie im Gebäude und außerhalb zu suchen. Im Park gab es auch genug Möglichkeiten um unterzutauchen. Kiso hielt inne. Er kannte Sila gut. Wo könnte sie hin gelaufen sein?!

Nicht weit von seinem Blick entfernt konnte er einen Hügel sehen. Er lag genau auf der gegenliegenden Seite des Parks.

„Das gibt es doch nicht!“, wunderte er sich laut, „Es sieht dem Ort sehr ähnlich, an dem sie oft verschwand, wenn sie früher ein Problem hatte.“

Kiso war sich nicht sicher, doch er wollte wenigstens nach schauen. Wenn es Sila nicht gut ging, so suchte sie meist einen abgeschiedenen Platz, der etwas erhöht lag.

„Ich kann so besser nachdenken“, pflegte sie ihm oft zu sagen.

Er traute seinen Augen kaum, als er tatsächlich einen blonden Kopf hinter einem Baumstamm hervorschauen sah.

„Hab ich dich!“, rief er so laut, dass Sila sich erschrocken umdrehte. Ihre geröteten Augen wurden ganz groß als sie ihren Ziehbruder sah.

„Phie, Philphlader und ich suchen schon seit ner Stunde nach dir! Was hast du dir dabei gedacht, Fräulein?!“, warf er ihr wütend entgegen.

Fräulein... Diesen Ausdruck benutzte er immer dann, wenn er wütend auf sie war. Wieder schossen ihr Tränen in die Augen und sie drehte sich von ihm weg. Vielleicht hätte Sila zu dem Zeitpunkt einfach nur jemanden zum Zuhören gebraucht, statt ihren Bruder, der sie anklagte. In der letzten Stunde hatte sie sich selbst schon hart genug angeklagt und war erschöpft.

„Ich hoffe das war dir eine Lehre! Ich habe dir doch gleich gesagt, dass er nicht der Richtige für dich ist. Du hättest ihn schon längst...“

„Bitte! Bitte lass mich in Ruhe...“, unterbrach ihn Sila müde. Tränen liefen ihre Wange hinunter. Jetzt erst hielt Kiso in seinem wütenden Wortschwall inne. Sila war kreidebleich, auch wenn ihre Augen und Wangen von ihren Tränen gerötet waren. Die Wut auf Soujirou hatte ihn jedoch unsensibel gemacht. So drehte er sich ärgerlich um und sagte bissig:

„Wenn du es wünschst! Dann heul doch alleine herum!“

Kaum hatte er 2 große, wütende Schritte in die entgegengesetzte Richtung gemacht, hörte er ein leises Schluchzen. Wieder hielt er inne. Noch bevor er sich umdrehte, sah er Philphlader den Hügel hinaufgehen. Sein stummes Nicken zeigt ihr, dass er Sila gefunden hatte. Doch Philphlader sah auch, dass Kiso sehr verärgert war. Einen kurzen Augenblick fragte sie sich ob sie wieder umdrehen sollte. Doch als sich ihre Blicke trafen, erinnerte sich Philphlader, dass sie sich versprochen hatte, von diesem Tage an Kiso zur Seite zu stehen. Sie hatte ihn in ihr Herz geschlossen, auch mit seinem Temperament. So ging sie weiter. Sie ging auch weiter, als sie sah wie Kiso sich wieder umdrehte.
 

Hätten ihn seine Eltern nicht gelehrt, dass das Fluchen keine Lösung war, währe dies der geeignete Moment für Kiso gewesen um von einem dieser Wörter Gebrauch zu machen. Doch er beherrschte sich, drehte sich wieder um und sah zu Sila. Sie kauerte mit dem Rücken zu Kiso gewandt auf dem Gras. Die Beine waren bis zur Brust vorgezogen. Mit dem Rücken lehnte sie am Baumstamm. Ihre Schultern zuckten und zeigten den Kampf und die Traurigkeit in seiner Ziehschwester. Das Schluchzen war nicht sehr laut, denn Sila bemühte sich es zu unterbinden. Doch Kisos Herz krampfte sich zusammen, denn es war trotz allem herzzerreißend.

Er holte tief Luft und ging wieder die wenigen Schritte auf Sila zu. Sie hörte seine schweren Schritte, aber sie hatte nicht mehr die Kraft auf noch eine Auseinandersetzung mit ihm. Doch zu ihrer Überraschung spürte sie eine sanfte, große Hand auf ihrer Schulter. Mit Tränen im Gesicht schaute sie zu Kiso herauf und sah, dass er ihr seine Hand reichte. Sein Blick hatte sich verändert. Plötzlich konnte sie Mitleid in seinen Augen sehen.

„Komm schon! Ich helfe dir auf“, sagte er nun mit beherrschter Stimme. Ohne nachzudenken legte sie ihre Hand in seine und ließ sich von ihm hochziehen. Ihr Schluchzen ließ die Schultern immer noch erzittern, als sich ihre Blicke trafen. Kiso fasste sie beim Arm und zog Sila sanft an sich heran. Seine Wärme erfüllte sie augenblicklich und zerschmolz ihren Widerstand. Sila klammerte sich an ihren Bruder und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie brauchte ihm nichts zu erklären, denn er verstand sie. Er hielt sie fest in seinen Armen, strich mit einer Hand ihr Haar und lies sie weinen.

„Schon gut ...“, flüsterte er, „weine dich in Ruhe aus.“
 

Als er seinen Blick hob, sah er Philphlader verlegen hinter Sila stehen. Er sah, dass auch ihr Tränen in die Augen stiegen. So hatte er sich den Abschluss des Tages nicht vorgestellt. Eigentlich wollten Kiso und Philphlader am Abend Sila und Phie aufsuchen um ihnen das freudige Ereignis zu erzählen. Voll Liebe blickte er Philphlader in die Augen. An diesem Tag hatte er ihr sein Herz geschenkt und von ihr die Worte hören dürfen, die er noch nicht einmal gewagt hatte je träumen zu dürfen. Er sah Philphlader wieder vor sich, wie sie wenige Stunden zuvor mit gesenktem Blick vor ihm stand und leise „Ich ... habe lange dagegen angekämpft, aber ... es geht nicht mehr! Ich möchte es auch nicht mehr ignorieren, denn ich liebe dich, Kiso!“, sagte. Er erinnerte sich noch an ihren Duft, als er sie zärtlich umarmte und an die weichen Lippen, die er mit seinen berühren durfte. Er ahnte nicht, dass er am Abend noch eine Frau in seinen Armen halten würde.

'Wie unterschiedlich können nur Gefühle sein?', stellte er mit seinem Seufzer fest.
 

Die Hand, die noch vor kurzem Silas Haare streichelte, erhob sich nun und wurde Philphlader entgegen gestreckt. Verwunderung stand in ihrem Gesicht geschrieben, doch sie ergriff seine Hand. Kiso zog Philphlader nahe an sich heran, verschränkte seine Finger mit ihren und flüsterte ihr ins Ohr:

„Morgen können wir es immer noch erzählen ... Jetzt braucht sie uns!“
 

Ende Kapitel 16:

~ Folgen einer Entscheidung ~

~ Wie schnell doch ein Jahr vergeht ~

Ehrfurchtsvoll stand Sila vor dem Hauptgebäude des ihr noch so vertrauten Tanzinternats. Ein Angestellter hatte ihre Koffer bereits in ihr Apartment gebracht. Sila selbst wollte als erstes den Duft des Internats, in dem sie so viele Jahre gelernt und getanzt hatte, aufnehmen. Als ein scharfer Wind seine Richtung änderte, zog sie sicherheitshalber den langen, dicken Mantel, den ihre Eltern ihr mitgegeben hatten, enger um ihren Körper.

'Ja!', dachte sie, 'Es wird wieder Herbst... Kaum zu glauben, dass es jetzt schon über ein Jahr her ist, seit...'

Sie konnte den Gedanken noch nicht einmal zu Ende führen, da bemerkte sie drei Gestalten, die auf sie zu kamen. Ohne sich groß anzustrengen, wusste sie gleich wer es war. Mit einem Jauchzen lief sie der Person entgegen, die den beiden Begleitern einige Meter voraus geeilt war. Kiso breitete lachend die Arme aus und lies Sila hinein fallen.

„Willkommen zurück, Sis!“, rief er fröhlich. Er ließ sie los, trat einen Schritt nach hinten und blickte ihr geradewegs ins Gesicht.

„Du siehst noch ziemlich blass aus...“, stellte er mit einem Stirnrunzeln fest.

„Aber es geht wieder aufwärts“, versicherte sie ihm tapfer. Philphlader und Phie standen etwas weiter hinter Kiso. Sie wollten den Geschwistern erst einmal Zeit geben. Sie haben sich lange nicht sehen können. Doch Kiso drehte sich lächelnd zu ihnen herüber und erklärte voller Stolz:

„Darf ich euch Sila DIAMON vorstellen? Meine Adoptivschwester?!“

Silas Gesicht bekam etwas Farbe und ihre Augen wurden mit dem gleichen Stolz erfüllt wie die von Kiso. Sie nickte lächelnd, fühlte sich aber etwas befangen. Als ihr Blick auf den Ring um Philphladers rechten Ringfinger fiel, wurde das Leuchten in Silas Augen größer. Dies war Kiso nicht entgangen.

„Ich Dummkopf! Ich wollte Sila nicht in Beschlag nehmen.“

Ein Jubeln erklang kurz darauf, als Sila in Philphladers und Phies Arme gleichzeitig fiel.

„Ich habe dich furchtbar vermisst, Neechan“, flüsterte Philphlader mit Tränen in den Augen.

„Es ist schön dich wieder bei uns zu haben“, fügte Phie hinzu.

Es tat so gut wieder in der Heimat zurück zu sein, stellte Sila fest. Ihr Herz wollte ihr vor Freude aus der Brust hüpfen. Als sie Philphlader, Phie und Kiso anschaute, bemerkte sie erst wie sehr sie ihre Freunde wirklich vermisst hatte. Kiso ging einen Schritt zurück und legte einen Arm um Philphladers Taille. Silas Grinsen war nicht zu übersehen. Mit geröteten Wangen fragte sie neugierig:

„Uuuuund? Wie ist es so, verheiratet zu sein?“

Philphlader errötete, blickte aber Kiso liebevoll lächelnd an.

„Ich könnte nicht glücklicher sein!“, erwiderte Kiso lächelnd und blickte seine Frau zärtlich an. „Habe ich doch das Glück die beste Ehefrau der Welt an meiner Seite zu wissen!“

Philphlader schmunzelte und gab Kiso einen kleinen Ellengobenhieb in die Seite.

„Du musst doch nicht immer so übertreiben.“

„Das ist nicht übertrieben! Wenn du mich fragst, so ist das noch entschieden untertrieben!“

Sila lachte. Sie freute sich sehr für Kiso und Philphlader. Es tat so gut die Beiden zu sehen, wie sie vor allen anderen ihre Zuneigung zueinander zeigten. Seit sie ein Paar wurden, hörten sie auf, dem anderen die Gefühle zu verheimlichen. Es war eine gute Entscheidung, stellte Sila fest. Sie sah die Liebe zum Anderen in beiden Blicken. Sie waren erst einige Monate verheiratet, doch Sila wünschte ihnen von Herzen, dass diese Liebe mit jedem weiteren Monat, Jahr und durch alle Schwierigkeiten hindurch nur an Tiefe zunehmen möge. Kiso machte einen Vorschlag:

„Sag mal, Anata! Was hältst du davon, wenn wir Sila heute zu uns zum Abendessen einladen? Es sei denn“, er blickte Sila ernst an „du würdest nach der langen Reise lieber ausruhen?“

Sila winkte lächelnd ab:

„Ich würde sehr gerne mit euch zu Abend essen, wenn es für Imôto okay ist.“

Philphlader versicherte, dass sie sich freuen würde Gäste zum Abendessen zu haben.

„Wie schön! Dann kann ich euer Apartment endlich sehen! Aber sag mal“, fuhr Sila mit fragendem Blick fort, „was meinst du mit 'Anata'?“

Philphlader lachte vergnügt auf.

„Ach Neechan! Eigentlich hat es im Japanischen nur eine Bedeutung im zusammenhängenden Satz und da steht es nur für die persönliche Anrede eines Partners oder Ehemannes...“

„Na und?! Ich mag den Begriff! Bei mir heißt es so viel wie 'darling' ... Aber 'darling' oder 'honey' sagen so viele Männer zu ihren Frauen! Ich finde es dumm Phil so zu nennen!“, verteidigte sich Kiso, „Meine Phil ist die Einzige die 'Anata' genannt wird!“

„Er lässt sich einfach nicht umstimmen, Neechan“, lächelte Philphlader vergnügt. „War er immer schon so stur?“, fragte sie im Scherz.

„Schlimmer als stur, Imôto!“, lachte Sila als sie ihren Scherz mitmachte.
 

Phie beobachtete die Szene mit einem Lächeln. Es kam ihr viel länger vor als nur ein Jahr, das seit Silas Abreise vergangen war. Kiso hatte Recht, stellte sie besorgt fest. Sila war noch sehr blass. Phie befürchtete, dass Silas Zustand sich beim Tanzen wieder verschlimmern könnte, doch sie erinnerte sich, dass sie im Brief erwähnte, dass der Arzt ihr ein gesundes Maß an Bewegung verschrieben hatte. In Gedanken ging sie zurück zu dem Tang, an dem sie, Philphlader, Kiso und der Rest des inneren Freundeskreises mit Sila am Flughafen standen und sie ein letztes Mal baten nicht weg zufliegen. Die dumme Geschichte mit Soujirou hatte Sila sehr zugesetzt. Obwohl Sila ihr versicherte, sie habe aus ihren Fehlern gelernt und wäre in Frieden mit ihm auseinander gegangen, war sie sich sicher, dass Sila nur seinetwegen zurück zu ihren Zieheltern fuhr.

„Ich habe schreckliches Heimweh, Phie!“, klagte sie ihr nach einem misslungenen Versuch Sila zu bitten nicht fort zu gehen. Auch Philphlader und Kiso konnten Sila nicht umstimmen. Als sie winkend in ihr Flugzeug stieg, ahnte niemand, dass Sila für so lange Zeit im Ausland bleiben müsste. Als Sila von der Verlobung zwischen Kiso und Philphlader hörte, wollte sie sofort wieder heim, doch sie erkrankte schwer in den darauf folgenden Tagen an einem bösartigen Virus. Der Arzt verordnete strickte Bettruhe und ihre Zieheltern, die zu dem Zeitpunkt schon die Adoptionsunterlagen bei den Behörden eingereicht hatten, kümmerten sich aufopferungsvoll um sie.
 

Phie blickte Kiso an, dessen Augen voller Freude strahlten. Er hielt seine Frau immer noch mit einem Arm umarmt, während er sich mit Sila unterhielt. Bei der Erinnerung an Kiso, als er von Silas Krankheit erfuhr, spürte Phie einen kalten Schauer den Rücken hinunter laufen. Sie wusste zwar von Anfang an, dass Kiso und Sila etwas Starkes verband, doch erlaubte sie sich nicht einmal zu denken WIE stark die Verbindung in Wirklichkeit vielleicht sein könnte.

Phie fand Kiso in einem Raum auf einer Stufe sitzen. Der ganze Raum wurde nur von den letzten Sonnenstrahlen des Tages notdürftig erhellt. Kiso hatte sich vorn über gebeugt und seine Ellenbogen auf die Oberschenkel gestützt. Sie fand nie heraus ob seine Augen von Tränen oder der Anspannung der letzten Tage gerötet waren. Seine Stirn wurde in Falten zusammengezogen und sein Blick zeigte seine Sorge um Sila.

„Wieso packst du nicht deine Sachen und fliegst für ein paar Tage zu ihr?“, fragte Phie ihn mütterlich, nachdem sie sich einige Minuten schweigend, zu ihm setzte. Ohne sie anzublicken konterte er mutlos.

„Wie stellst du dir das vor? Phil steckt mitten in ihren Semesterprüfungen! Ich kann sie nicht alleine lassen!“

„Hör mal“, erwiderte sie sanft, „Mimi braucht sowieso viel Zeit zum Lernen. Außerdem kannst du längst wieder zurück sein, wenn ihre Prüfungen beendet sind. Wir sind ja auch noch da.“

„Und die Hochzeit?“

„Die Vorbereitungen stehen doch eh still, solange Mimi ihre letzte Prüfung noch nicht geschrieben hat!“

Kiso gab auf: „Es geht einfach nicht!“

„Wieso nicht?“ Phie verstand einfach nicht warum Kiso so offensichtlich nach Gründen suchte um nicht zu Sila zu fahren.

„Weil! Gaaah!!! Wie könnte ich JETZT zu ihr fahren? Es würde nur Gerede geben!“

„Gerede???“, Phie blickte ihn verdutzt an, „Ihr seit doch Geschw...“

„Wir sind KEINE Geschwister!“, unterbrach Kiso Phie merklich gereizt. Als er seinen lauten Ton bemerkte, stammelte Kiso eine vorsichtige Entschuldigung und vergrub sein Gesicht in seinen großen Händen.

„Es ... es gibt da noch einen Grund, nicht wahr?“, fragte Phie nach einer Weile vorsichtig. „Du hast Sila nie als Schwester akzeptiert und warst ziemlich aufgebracht wenn sie dich als Bruder sah ... Warum?“

Kiso schwieg. Phie sah in seinem Verhalten, dass er nicht bereit war darüber zu reden.

„Ich wollte dich nicht ausfragen. Verzeih bitte.“

„Ich habe sie geliebt!“

Phie dachte sie hätte nicht richtig hingehört, denn Kiso sprach seinen Satz fast flüsternd aus. Seine Stimme zitterte.

„Bitte?“

Kiso hob seinen Kopf an und drehte sich zu Phie um mit ernstem Gesicht zu wiederholen:

„Ich habe sie geliebt! Leidenschaftlich! Nicht als Schwester ... sondern als Frau!“

„Ach du meine Güte!“ Phie schnappte nach Luft. Kiso erlebte zum ersten Mal, dass Phie die Worte ausblieben. Tatsächlich blieben ihr die Worte im Hals stecken, bis sie tief einatmete und leise fragte: „Wie lange?“

„Bis zu dem Augenblick, an dem ich deiner Schwester zum ersten Mal in die Augen sah...“

Phie schüttelte den Kopf. „Das mir das selbst nicht aufgefallen ist...“

„Unmöglich!“ Sein Unterton bekräftigte seine Aussage. „Ich habe es all die Jahre geschickt versteckt. All die Jahre habe ich gewartet und gehofft, sie würde die Augen öffnen und mehr für mich empfinden als nur für einen Bruder. Ich habe still gelitten als ihr dieser Chuck über den Weg lief...“

Sein Blick wurde noch ernster

„Deshalb habe ich ihr immer und immer wieder gesagt, sie solle dem Soujirou endlich ihre Gefühle anvertrauen ... Sie sollte nicht den gleichen Fehler wie ich machen und ihre Zeit mit hoffnungslosem Warten vergeuden!“

Phie nickte. Es war als ob ein Schleier aus ihren Augen herunter fiel. Es war so offensichtlich, aber niemand hatte es bemerkt.

„Und deine Eltern?“, fragte sie. Ihre Augen wurden größer: „Und Mimi???“

„Mutter und Vater haben mich vom ersten Moment an durchschaut. Sie kannten mich eben gut. Du hättest Sila als junges Mädchen sehen sollen, als sie mit leerem Blick und schwarzem Kleid bei uns auftauchte. Es hat Jahre gedauert bis sie wieder lächeln konnte.“

Ein zärtliches Lächeln huschte über seine Lippen.

„Meine Eltern sagten es nie, aber ich bin überzeugt, dass sie Sila aus dem einen Grund nicht adoptierten. Sie kannten meine Gefühle zu ihr.“

„Aber selbst als Adoptivschwester wäre sie doch nicht blutsverwandt mit dir...“

„Du verstehst es nicht! In unserem Land herrschen strenge Vorschriften diesbezüglich. Da dürfen Ziehgeschwister heiraten, Adoptivgeschwister nicht. So ist es immer schon gewesen. Als Adoptierte trägt Sila den gleichen Namen wie ich und das ist bei uns der Knackpunkt.“

„So ist das.“ Phie verstand solche sinnlosen Gesetze wirklich nicht. Da gab es ein Mädchen, das all die Jahre darunter litt, dass sie nie eine „Diamon“ werden konnte und der Regierung war es scheinbar gleichgültig.

„Und Phil...“ Kiso seufzte und blickte traurig auf den Boden. „Seit wir zusammen gekommen sind, hatte ich ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber, weil ich ihr nie erzählt habe wem meine erste Liebe gehörte...“

Phie hörte gespannt zu und wagte es nicht Kiso zu unterbrechen.

„Seit wir uns verlobten schlief ich deswegen keine Nacht mehr durch... Weißt du? Ich hatte Angst sie würde mich verlassen, wenn ich es ihr sage ... Aber ich wollte ehrlich sein! Eine Ehe einzugehen und Geheimnisse vor dem Partner zu haben ist falsch!“

Phie nickte. In ihr kam noch mehr Achtung zu diesem Mann hoch.

„Ich gestand es ihr nur wenige Tage, bevor uns die Nachricht von Silas Krankheit erreichte.“ Kiso rieb sich die Stirn. „Phil war so still in den Tagen ... Ich bin mir sicher es war ein Schock für sie ... Dann kam die Nachricht und ihre Lernphase. Wie könnte ich da Hals über Kopf meine Sachen packen und zu Sila fahren? Phil würde mir doch nie wieder vertrauen!“

Kisos Begründung war mit Sicherheit richtig. Phie blickte Kiso voll ins Gesicht, als suche sie zu erfahren ob Kiso immer noch starke Gefühle für Sila in sich trug. Unbewusst vielleicht.

„Also hast du dich für Mimi entschieden?“

Kiso hob eine Augenbraue an, als würde Phie in einer fremden Sprache reden.

„Natürlich! Ich liebe Philphlader über alles! Für Sila empfinde ich nur noch wie für eine kleine Schwester.“
 

Ehrlichkeit stand an diesem Abend in Kisos Augen geschrieben, erinnerte sich Phie. Sie blickte das neuste Familienmitglied der Diamon's an.

'Nun ist dein Traum endlich in Erfüllung gegangen!', dachte sie lächelnd.

Zu Beginn waren Kiso und Philphlader drauf und dran den Hochzeitstermin wegen Sila zu verschieben. Als Sila das hörte, bat sie die Beiden ihren ausgesuchten Termin zu lassen. Nachdem Sila nach und nach kräftiger wurde, schaffte sie es auch die Eltern zu überreden zur Hochzeit zu fahren. Sie selbst wollte von Herzen gerne dabei sein, doch der Arzt verbat ihr immer noch das Zimmer zu verlassen. Ihr Körper zeigte ihr, dass sie sowieso zu schwach war. So fügte sie sich und tat alles was der Arzt verlangte um wieder ganz gesund zu werden. Sie wurde es. Wenn auch ihre frühere Kraft nur nach und nach zurück kam, so war sie wieder so fit, dass sie reisen konnte. Bei den Eltern blieb sie dann nur noch so lange bis die Adoption durch war. Sie wollte so gerne als eine „Diamon“ zurückkehren.

„Neenee?“

Phie schreckte aus ihren Gedanken auf und merkte, dass sie von sechs Augenpaaren angeschaut wurde. Eine leichte Röte zog über ihre Wangen, als sie entgegnete:

„Entschuldige bitte, Mimi. Was sagtest du?“

Philphlader lächelte. „So in Gedanken? Ich wollte wissen ob du heute Abend auch zu uns kommen möchtest?“

Phie brauchte nicht lange für die Antwort:

„Sehr gerne! Sila kann sich ja frisch machen und ich gehe mit dir heim. Zu Zweit ist das Essen schnell gemacht!“

„Einverstanden!“

„Moment“, warf Kiso ein, „Und ich?“

Phie tätschelte die Schulter ihres Schwagers. „Ach Kisolein! Dir wird sicher etwas einfallen, wie du dich nützlich machen kannst.“
 

*** ** * ** ***
 

Es wurde immer schneller dunkel. Philphlader nutzte dies um das Esszimmer mit leuchtenden und duftenden Kerzen zu schmücken. Das ganze Zimmer roch dezent nach Apfel und Zimt. Philphlader schien sich so langsam auf die Weihnachtszeit einzustimmen. Nachdem Kiso und Philphlader Sila stolz durch alle Zimmer des gemeinsamen Apartments geführt hatten, saßen sie zusammen mit Phie am gemütlich gedeckten Esszimmertisch und stellten ihre leeren Kaffeetassen auf die Teller. Während des ganzen Essens beantworteten sie geduldig Silas Fragen so gut sie konnten. Nun schob Sila ihre Tasse, die zuvor noch mit heißer Schokolade gefüllt war, zur Seite. Ihre Augen funkelten verschmitzt, während sie sich – gestützt auf ihre Ellenbogen – nach vorne beugte.

„Jetzt muss ich aber NOCH was wissen. Und zwar bitte in allein E i n z e l h e i t e n“, sagte sie zu Philphlader gewandt. Wie hat es mein Brüderchen nur geschafft dir einen Heiratsantrag zu machen???“

Philphladers Augen wurden groß und Sila bemerkte wie die Wangen zu glühen begannen.

„Äh...“, war das Einzige, was Philphlader verlegen heraus bekommen konnte. Kiso legte grinsend seine Hand auf ihre und übernahm die Antwort:

„Ganz einfach, Sis! Wir hatten mal wieder getanzt“, er zeigte mit dem Kopf auf Phie, „Phie war auch dabei. Nach dem Tanz habe ich mich hingekniet und Anata gebeten mich zu heiraten!“

Silas Augen wurden vor Verwunderung groß. „Einfach so? Warst du denn gar kein bisschen nervös?“

„Und ob“, fiel Phie dazwischen. In ihrem Blick stand ein neckender, amüsierter Ausdruck. „Du hättest ihn mal sehen sollen, als Mimi ohne ein Wort zu sagen den Raum verließ.“ Phie hob ihre Hand an den Mund, denn sie konnte sich das Lachen nicht mehr verkneifen.

„Nein!“, rief Sila und blickte ihre beste Freundin an, deren Gesicht noch mehr Röte bekommen hatte. „Du bist abgehauen und hast Kiso stehen lassen?“ Sila konnte sich die Szene sehr gut bildlich verstellen. Ihr Blick war leicht mit Mitgefühl für Kiso erfüllt. Phie ergriff wieder das Wort:

„Aber am Besten waren die langen 'Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa's', mit denen Mimi mein Kommunikationsgerät daraufhin zuspamte!“

Nun lachte Sila auch auf. „Und dann?“

„Nachdem der gute Kiso vor Angst halb ohnmächtig geworden ist, kam Mimi verlegen wieder zurück.“ Phies Blick war zärtlich auf Kiso und Philphlader gerichtet. „Sie entschuldigte sich, blickte Kiso tief in die Augen und sagte: 'Ja! Ich will deine Frau werden!'“

„Aah!“, seufzte Sila mit ineinander verschränkten Fingern unter ihrem Kinn, „Was gebe ich drum um dabei gewesen sein zu können.“

„Nun“, Kiso fand seine Worte wieder, „Wenn du in deinem Apartment in die Abstellkammer schaust, wirst du ein großes Päckchen darin finden.“

„So?“, Sila starrte ihren Bruder fragend an. Sein Gesichtsausdruck wurde ganz feierlich.

„Wenn du wieder etwas tanzen darfst, findest du darin ein paar neue Outfits, die dir hoffentlich gefallen werden.“

„Eh? Aber ... aber wofür?“

„Als kleine Entschädigung dafür, dass du nicht bei unserer Hochzeit sein konntest.“

Philphlader ergänzte ihren Mann: „Neben den Outfits findest du auch eine DVD mit unserer Hochzeit und eine CD mit allen Fotos, Neechan...“

Sila jubelte laut auf. Es tat gut wieder zu hause zu sein!
 

*** ** * ** ***
 

Als Sila sich am Abend auf den Heimweg machte, merkte sie wie warm es um ihr Herz geworden war. Es stimmte, sie hätte gar nicht abreisen brauchen, doch nach dem Abschied von Soujirou war ihr Herz ganz schwer. Sila ertrug es einfach nicht in den vertrauten Hallen zu tanzen. Sie brauchte eine Auszeit...

'Wie bei Chuckie', sann sie nach. Der Park war schwach beleuchtet und sie hörte noch das Wasser im Springbrunnen plätschern. Dieses Geräusch hatte sie immer als sehr angenehm empfunden. Normalerweise gab es auch zu dieser Uhrzeit noch Menschen, die durch den Park gingen, doch die Stille um sie herum zeigte, dass Sila alleine war. Bei einer Bank blieb sie stehen.

'War es hier?' Ihr Blick wanderte auf die angrenzende Umgebung.

'Ja!', stellte sie fest, 'Es war tatsächlich hier!'

In Gedanken verloren setzte sie sich auf die Bank. Vor sich konnte sie noch gut den Springbrunnen sehen. Der Blick nach oben zeigte, dass es der Mond war, der ihren Augen die Möglichkeit gab zu der Zeit noch so viel von der Umgebung erkennen zu können.

'Als ich das letzte Mal hier war, schien die Sonne', überlegte sie. 'Genau! Es war einer der warmen Tage im Oktober...'
 

Sila stand vor dem Springbrunnen und genoss die kühle Brise, die ihr durch die Bewegung des Wassers entgegen wehte. Als Soujirou sich neben sie stellte, waren Silas Augen geschlossen. Eine kurze Weile nahm er sich die Zeit auf das hübsche Gesicht zu schauen. In diesem Augenblick lag ein friedlicher Ausdruck auf ihrem Gesicht, doch Soujirou wusste, dass ihr Lächeln längst nicht mehr so unbekümmert war, wie zu dem Zeitpunkt, an dem er ihr zum ersten Mal begegnet war. Seit sie ihm den Grund dafür beichtete, trug er starke Schuldgefühle mit sich herum. Er war so blind, dass er die tiefen Gefühle, die sie für ihn empfand, ganz und gar übersah. Eine Zeit lang überlegte er, ob er nicht doch ihre Gefühle erwidern könnte. Er musste sich und ihr jedoch ehrlich gestehen, dass er nur für eine einzige Frau starke Gefühle empfand. Diese Frau war seine Ex-Freundin. All die Jahre nach ihrer Trennung war er immer noch nicht in der Lage Liebe für jemand anderen zu empfinden. Sila öffnete ihre himmelblauen Augen und blickte Soujirou mit großen Augen an.

„Seit ... seit wann stehst du schon hier?“, fragte sie verlegen.

„Ich? Äh ... Ich bin gerade erst gekommen! Ich wollte dich nicht in deinen Gedanken stören!“

Sila richtete ihren Blick wieder auf den Brunnen. „Du wolltest mich sprechen?“, fragte sie daraufhin ruhig, obwohl sie tief im Herzen wusste warum Soujirou da war.

Soujirou suchte nach Worten. Es war eine bittere Erfahrung für ihn diese Frau so traurig, so ernst zu sehen.

„Ich ... ich wollte mich verabschieden...“ Seine Worte klangen traurig.

Sila drehte ihren Kopf zu ihm und blickte ihm stumm in die Augen. Ihr Blick löste den Drang in ihm aus, sie in seine Arme zu ziehen, doch Soujirou wusste, er würde ihr damit mehr schaden als helfen. Die Röte, die sich häufig in ihren Wangen zeigte, wenn sie alleine mit ihm sprach oder tanzte, konnte er schon länger nicht mehr entdecken.

„Wie lange möchtest du dieses Mal weg bleiben?“, fragte sie ruhig.

Soujirou schluckte schwer: „Ich fürchte ... Ich gehe für immer.“

„Wie bitte?“, Silas Augen wurden wieder groß. „Du verlässt uns?“

„Es ist das Beste für uns alle, denke ich...“

„Aber Sou...!“ Tränen stiegen in ihren Augen auf. „Bitte! Du ... Du musst doch nicht gehen...“, sie schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. „Es war alles meine Schuld! Ich hätte von Anfang an ehrlich zu dir sein sollen!“

„Ist schon gut, Sila! Ich habe schon länger überlegt ob sich das Hin- und Herfliegen überhaupt lohnt. Die Tanzpartnerschaft mit Megu-sama habe ich aufgelöst.“

Sila erkannte den Blick, der entschlossen war das durchzusetzen, was Soujirou beschlossen hatte.

„Dann gibt es wohl kein zurück?“

„Leider ja ...'“, erwiderte Soujirou, doch in Gedanken fügte er hinzu: 'Für dich wird es das Beste sein! Du wirst mich vergessen...'

„Dann ist es also ein Abschied für immer?“

Soujirou sah, wie Sila ihren Blick zu ihm hob. Eine Träne rollte ihr über die Wange. Tief traurig blickte sie ihm direkt ins Gesicht.

„Wir sehen uns sicher noch, aber ich wollte mich bei dir unter vier Augen verabschieden.“

„Wann reist du ab?“

„In vier oder fünf Tagen. Bis dahin habe ich alles geregelt, was noch ansteht.“

„Ich verstehe...“ Eine weitere Träne rollte nun über die andere Wange. „Dann werden wir uns nicht mehr sehen.“

„Wie?“ Soujirou war überrascht.

„Ich reise morgen früh ab.“

„Wohin?“

„Zu meinen Eltern.“

Soujirou war sprachlos. „Du MUSST nicht gehen! ICH verlasse die Schule. Bleibe bei deinen Freunden. Sie brauchen dich, Sila!“

Trotz Tränen huschte ein Lächeln über Silas Lippen als sie erklärte:

„Nur zu Besuch. Ich habe Heimweh, weißt du? In ein paar Wochen bin ich wieder hier.“

„Ach so!“

Soujirou und Sila standen sich schweigend gegenüber. Als Sila sicher war, dass alles gesagt wurde, umarmte sie Soujirou. Sie gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange und flüsterte:

„Leb wohl! Ich werde dich vermissen!“

Ohne ein weiteres Wort, ohne einen weiteren Blick, ließ Sila ihn stehen.
 

Es stimmte. Seit diesem Tag hatte Sila ihn nicht mehr gesehen.

'Es ist über ein Jahr her', sann sie nach. Wenn sie nun zurück an den Abschied dachte, stellte Sila erstaunt fest, dass sie es besser verkraftet hatte als ihre damalige Trennung von Chuckie.

'Du hast mich verändert, Sou', dachte sie lächelnd, 'Seit du für immer nach London zurückgeflogen bist, bin ich ein anderer Mensch geworden.'

Seit dem Tag, an dem sie begriffen hatte, dass ihre versteckten Gefühle Schuld an dem Ende zwischen ihr und Soujirou waren, beschloss sie ehrlich zu ihren Gefühlen zu stehen. Es gelang ihr natürlich nicht von einem Tag zum Anderen, doch nach einem Jahr war sie in der Sache ganz verändert. Sie wusste zwar nicht was ihr die Zukunft bringen würde, doch sie wusste, dass sie den Menschen in ihrer Umgebung mit Offenheit begegnen wollte. So etwas dürfte nicht noch einmal geschehen!
 

*** ** * ** ***
 

Es dauerte eine Zeit lang, bis Sila wieder tanzen konnte. Nach und nach wurde sie wieder fitter und konnte mehr Zeit in den Tanzhallen verbringen. Natürlich war es nicht gleich möglich für sie dort wieder einzusteigen wo sie aufgehört hatte, doch sie gab nicht auf. Massayo sah man nun seltener, denn sie war im Begriff eine Gilde (Im Internat als „FAM“ bekannt) zu gründen. Dray war glücklich verlobt und tanzte immer häufiger mit seiner zukünftigen Frau auf Wettbewerben. Shizumi widmete sich häufiger ihrem Hobby, dem Zeichnen. Wenn sie tanzen war, dann meist zusammen mit ihrem Zwillingsbruder. Shadow verbrachte seine freie Zeit gerne mit Kiso, wenn Shizumi nicht dabei war.
 

Als sich Sila am späten Nachmittag zum Tanzen anmeldete, erhielt sie sogleich eine Nachricht von Shizumi:

„Ich habe schon auf dich gewartet. Wenn du Lust hast zu uns in den Raum zu kommen, dann bist du herzlich eingeladen.“

'Nanu?', dachte Sila bei sich, 'Es ist doch sonst nicht ihre Art mich zu sich in den Raum einzuladen...' Normalerweise ging Sila automatisch zu Shizumi in den Raum. War es ein Raum, der mit einem Passwort geschützt wurde, so kannte Sila das Passwort. Jeder Tänzer aus dem Freundeskreis hatte sein spezielles Passwort. Wenn andere in ihre Räume wollten, konnten sie so immer unangemeldet erscheinen. Eine eigenartige Neugierde überfiel Sila. Vielleicht wollte Shizumi ihr etwas zeigen oder erzählen. Als Sila die Übersicht der Tänzer in Shizumis Raum aufrief, sah sie, dass Shizumi und Shadow mit einer unbekannten Tänzerin niedrigen Levels tanzten. Der Name kam ihr zwar bekannt vor, doch aus Erfahrung wusste Sila, dass dies bei einem Tanzinternat nichts hieß. Es gab viele Tänzer, die unter einem Künstlernamen angemeldet waren. Doch als sie den Raum betrat, blieb sie vor Verwunderung noch in der Tür stehen. Die Tänzerin, die mit Shizumi und Shadow im Raum stand, hatte lockiges, goldblondes Haar. Auf einer Seite hielt eine Klammer mit einer Sonnenblume einige Strähnchen fest. Als sie das Lächeln auf allen drei Gesichtern sah, wurden Silas Augen groß.

„Eben hab ich mir nichts gedacht, als ich den Namen las...“, begann sie, „Aber jetzt ... Sango-chan??? Bist du das wirklich?“

Shizumi und Shadow blickten sich grinsend an.

Shadow lachte: „Ach man! Du hast gewonnen, Sis. Sie hat sie tatsächlich gleich erkannt.“

Sango lächelte und schüttelte gleichzeitig den Kopf, während sie auf Sila zuging.

„Sila?“, fragte sie ungläubig, „Bist du es wirklich!?“

Nun erklang ein lautes Jauchzen, als sich die Bekannten aus alten Kindertagen nach all den Jahren wieder begegneten.

„Ich glaube es nicht, Sango-chan! Du bist nun auch hier?“ Sila war verblüfft. „Wolltest du nicht zur Kunstakademie gehen?“

Sango zwinkerte. „Das habe ich auch gemacht! Aber als ich fertig war und wieder auf unsere Schule kam, waren du und Shizumi nicht mehr da...“ Sie blickte zu Shadow herüber. „Als ich ihm mal über den Weg gelaufen bin, hat er mir erzählt, dass ihr Zwei nun hier tanzt! Er hat so sehr davon geschwärmt wie toll das ist, dass ich es doch glatt ausprobieren musste!“

„Ach Sango-chan!“, seufzte Sila, „Wir haben uns wirklich total aus den Augen verloren... Es ist viel passiert!“

„Ja! Aber nun bin ich hier und ich habe vor noch viel besser zu werden!“, lächelte Sango, fügte aber verlegen hinzu, „Aber leicht ist es nicht ... Ihr seit auch schon so gut...“

„Das macht nichts, Sango-chan! Wir bringen es dir schon noch bei! Aber erzähl mal; Zeichnest du noch?“Sango berichtete Sila kurz über ihre letzten Jahre. Sie erzählte, dass sie sich damit ihr Geld verdienen würde. Doch im Laufe der Jahre merkte sie, dass sie durch das viele Sitzen am Schreibtisch keine Bewegung mehr hatte.

„Das Tanzen hier ist wirklich besser als jedes Fitnessstudio“, sagte sie und massierte sich ihre schmerzenden Oberschenkel, „Ich spüre Muskeln, von denen ich noch nicht einmal ahnte, dass sie existieren würden...“

Damit brachte sie alle zum Lachen. Früher, als Sila mit Shizumi und Sango das Internat für kreative Kinder besuchte, waren sie eher flüchtige Bekannte. Doch Sila spürte, dass sich dies mit Sicherheit nun ändern würde. Zumindest hatten sie beim Tanzen und vielleicht auch – wenn Zeit war – beim Zeichnen, die besten Voraussetzungen um Freunde werden zu können.
 

*** ** * ** ***
 

Es stellte sich schnell heraus, dass Sango mehr Talent zum Tanzen hatte, als alle gedacht haben. Sie selbst stellte erstaunt fest wie viel Spaß es ihr machte schnellere Lieder und andere Schwierigkeiten auszusuchen. Sango lernte Kiso, Philphlader, Phie, Massayo und Dray kennen. Schnell wurde sie im Freundeskreis angenommen. Ihr Ehrgeiz steckte alle an. Sango hatte ein Wesen, das bei allen gut angenommen werden konnte. Ihre freundliche, sanfte Art, schien mit Phie zusammen die vielen unterschiedlichen Charaktere des inneren Freundeskreises abzurunden. Zu Beginn tanzten Sila, Shizumi und Shadow sehr viel mit Sango zusammen. Sila taten die leichteren Tanzstile und Songs gut, denn so kam sie auch schneller wieder zu ihrer alten Form. Später gesellten sich auch die restlichen Tänzer des inneren Freundeskreises dazu.
 

*** ** * ** ***
 

Der Herbst verging wie im Flug. Auch Weihnachten lag nun hinter den Internatstänzern. Sila flog mit Kiso und Philphlader gemeinsam zu den Eltern. Phie, Shizumi und Shadow, Sango, Dray und Massayo feierten ebenfalls im Kreise ihrer Familien. Ein neues Jahr hielt Einzug. Über Nacht des zweiten Tages im neuen Jahr veränderte sich die gesamte Landschaft um AuditionEU herum in eine weiße Winterlandschaft. Immer häufiger sah man die Tänzer in den Parkanlagen spazieren gehen. Hier und da spielten jüngere Tänzer eine Schneeballschlacht oder bauten Schneemänner. Das Leben ging jedoch schnell wieder den gewohnten Lauf. Doch wie in jedem neuen Jahr fragte sich jeder was dieses Jahr ihnen bringen würde. Neue Dinge, neue Leute, neue Bekanntschaften oder Freunde?!
 

Immer häufiger tanzte Sila, die nun auch mit ihrem 21. Level zu den „Amateuren“ gehörte, in einem privaten Raum. Sie mochte zwar immer noch gerne Partnertänze tanzen, doch war sie es endgültig leid, dass ihre Tanzpartner ziemlich schnell um eine Tanzpartnerschaft baten. Wenn sie Partnertänze tanzte, dann fast nur noch mit ihren männlichen Freunden, wenn sie frei waren.

Es war später Nachmittag, als Kiso, der gerade zusammen mit seiner Frau, Massayo und Sila tanzte, auf seine Uhr blickte.

„Gaaaah! Anata!!! Wir haben die Zeit vergessen! Koreaner wartet sicher schon!“

„So spät schon?“, wunderte sich Philphlader, die das Zeitgefühl vergessen hatte. Schnell verabschiedeten sich Philphlader und Kiso von den beiden Tänzerinnen, mit der Erklärung, sie hätten sich mit Koreaner verabredet. Koreaner war ein guter Freund von Philphlader. Sie kannten sich schon von klein auf. Er war lange Zeit verreist und wurde nach seiner Ankunft von Kiso und Philphlader zum Essen eingeladen. Er tanzte ebenfalls auf dem Internat. Massayo und Sila tanzten zu Zweit weiter. Durch die vielen Dinge, die Massayo für ihre „FAM“ regeln musste, hatten die Freundinnen nicht mehr so oft Zeit für einander. So tanzten sie fröhlich ein Lieblingslied nach dem anderen und plauderten über alltägliche Dinge. Nur wenige Lieder wurden getanzt, nachdem Philphlader und Kiso den Saal verließen, da bekam Sila eine Nachricht über das Kommunikationsgerät. Massayo bemerkte auf der Stelle, dass etwas Ungewöhnliches in der Nachricht enthalten sein musste, denn Sila zog ihre Stirn in Falten.

„Alles klar?“, fragte sie interessiert.

„Äh... Koreaner schreibt mir“, erwiderte Sila und dachte laut, „Ich dachte er ist mit Kiso und Imôto verabredet...“

Massayo blickte ihrer Freundin neugierig über die Schulter.

„Oh! Ein Freund ist bei ihm! Kennst du den?“, wollte Massayo wissen. Sila schüttelte nur ihren Kopf und gab eine Nachricht ein.

„Es ist ungewöhnlich, dass Koreaner mich bittet einen seiner Freunde in meinen privaten Raum einzuladen...“

„Ach Sila! Koreaner ist doch mit Kiso und Philphlader verabredet. Vielleicht ist sein Freund neu hier, oder schüchtern und er möchte ihn nicht alleine lassen.“, lächelte Massayo.

„Aber warum fragt er MICH?“, wollte Sila wissen, „So super gut verstehen Koreaner und ich uns doch gar nicht... Er spricht nur Französisch. Selbst Englisch fällt ihm schwer ...“

Massayo seufzte. Sie verstand nicht, warum Sila sich so sehr dagegen sträubte einen Unbekannten in den Tanzraum aufzunehmen. Sonst war sie immer hilfsbereit und freundlich fremden Tänzern gegenüber.

„Er wird sich schon nicht auf uns stürzen, Süße“, lächelte Massayo fröhlich. Sie hatte sehr gute Laune, wie Sila feststellen konnte. Massayo streckte sich ausgiebig. „Außerdem schrieb Koreaner er sei sehr nett und er würde gerne in einem Raum tanzen, der nicht überfüllt ist.“

„Ich hoffe nur, dass er kein Anfänger ist. Die langsamen Lieder kann ich heute nicht mehr hören“, schmollte Sila während sie eine weitere Nachricht verschickte. Massayo zuckte nur mit der Schulter. Sila schien heute mit dem falschen Bein aufgestanden zu sein, dachte sie bei sich. Sie selbst war in Abenteuerlaune und ein neuer Tänzer war immer für ein Abenteuer gut.

„Gib ihm doch eine Chance“, sagte sie mit einem freundschaftlichen Klapps auf Silas Schulter, „Wie heißt er eigentlich?“

„Keine Ahnung“, erwiderte Sila gleichgültig, „Weiß noch nicht einmal seinen Level. Habe Koreaner mein Passwort gegeben und geschrieben er kann ihn her schicken.“

„Juhuuu!“, erklang es aus Massayos Richtung.

„Aber sieh bloß zu, dass du deinen Flunsch abstellst, sonst ... Oh! Hallo!“, änderte Massayo ihren Satz, als sie einen großen, schwarz haarigen Mann durch die Tür eintreten sah. Sila, die seitlich von dem Neuankömmling stand, drehte sich in die Richtung, in die Massayo nun unterwegs war. Als sie den Mann sah, wurden ihre Augen groß und sie stieß einen tiefen, aber kaum hörbaren Seufzer aus. Sie stützte sich mit einer Hand am Spieleführerpult ab und drehte ihr Gesicht aus dem Sichtbereich des neuen Tänzers.

'Alles! Alles, nur kein Asiat!' Für einen kurzen Moment musste sie die Tränen, die ihr in die Augen traten, zurückdrängen. Sie verachtete sich selbst, dass sie so überreagierte, nur weil ein asiatischer Tänzer den Saal betrat. Seit sie klein war, hatte Sila eine besondere Schwäche für Asiaten. Etwas an den Gesichtern faszinierte und fesselte sie. Als sie mit Kiso auf SEA tanzte, bestand ihre Freundesliste – mit Ausnahme von Kiso - nur aus Asiaten , wobei auf dem Internat so ziemlich alle Nationalitäten vertreten waren. Azad, Summer, Chuckie und Soujirou waren ebenfalls Asiaten. Sila war ärgerlich! Sei versprach sich selbst diesem neuen Tänzer keine Chance auf Freundschaft zu geben. Unter keinen Umständen wollte sie sich wieder mit einem asiatischen Mann anfreunden!
 

Als sie sich wieder zu Massayo und dem Tänzer umdrehte, war ihr Blick entschlossener denn je. Mit trotzigem, hochgehobenem Kinn, ging sie um ihren Bedienpult herum auf die Beiden zu, um sich höflichkeitshalber vorzustellen...
 

Ende Kapitel 7:

~ Wie schnell doch ein Jahr vergeht ~

~ Der tanzende Poet ~

„Wow! Tatsächlich aus Korea?“, stellte Massayo erstaunt fest, „Das ist aber unglaublich weit weg...“

Ihr Gesprächspartner lachte auf: „Mit dem Flugzeug ist es kein Problem. Ich fliege zudem sehr gerne!“

„Du sprichst aber echt super unsere Sprache“, bemerkte Massayo, die nicht lange brauchte, bis sie dem Neuankömmling eine Frage nach der anderen stellte.

Skyre...“, sagte sie lang gezogen, „Hmm ... Der Name klingt aber nicht sehr koreanisch, wenn du mich fragst.“

Ein amüsiertes Funkeln zeigte sich in Skyres Augen. „So?! WIE klingt denn ein koreanischer Name?“

„Äh ... Das weiß ich auch nicht“, musste Massayo zugeben, „Aber Skyre klingt ziemlich amerikanisch, wenn du mich fragst und das 're' am Ende klingt als hätte man beim Reden eine heiße Kartoffel im Mund.“

Sichtlich amüsiert über ihre offene Art, lachte Skyre auf, verbeugte sich wie ein Gentleman vor Massayo und sagte mit übertriebenem amerikanischen Akzent:

„Sie haben Recht. Mein Vater ist Amerikaner. Ich bin dort geboren und habe da, wie auch in diesem Land hier 3 Jahre gelebt, bevor wir ganz nach Korea, dem Heimatland meiner Mutter, gezogen sind. Vater sprach Englisch oder Deutsch mit mir und Mutter nur Koreanisch.“ Er zuckte mit den Schultern, sprach aber wieder normal, „Wenn man damit aufwächst, ist es ganz normal.“

Sila hörte den Beiden teilnahmslos zu. Hin und wieder merkte sie, wie Massayo versuchte sie ins Gespräch mit einzubeziehen, doch Sila blockte scheinbar völlig ab. Auch wenn Massayo es nicht zeigte, so stieg darüber Ärger in ihr auf, wie sie sich Skyre gegenüber verhielt. Sila war nicht sie selbst.

„Wenn es dir Mühe macht meinen Namen auszusprechen“, hörte sie Skyre zu Massayo sagen, „kannst du mich gerne Sky nennen. Eigentlich nennt mich daheim kaum einer 'Skyre'.“ Skyre blickte zu der stummen, blonden Tänzerin hinüber und korrigierte sich schnell um nicht unhöflich zu sein.

„Ich meinte: IHR Beide könnt mich gerne 'Sky' nennen, wenn ihr möchtet.“

Da Sila nur ein kaum merkliches Kopfnicken als Reaktion zeigte, übernahm Massayo wieder die Führung.

„Sky klingt toll! Nicht so spröde.“

Nach dem Tanz hielt Massayo inne und holte ihr Kommunikationsgerät heraus.

„Wartet mal bitte, bevor ihr das nächste Lied anmacht. Ich habe ne Nachricht bekommen.“

Silas und Skyres Blicke trafen sich kurz. Skyre merkte, wie ihr Blick ihm sofort wieder auswich.

'Komisch ... Sie hält sich total auf Distanz', dachte er verwundert über die Reaktion dieser Tänzerin.

„Hmm...“, gab Massayo von sich und blickte Sila an.

„Du! Ich setze mich grad mal in den Zuschauerbereich ... Das hier wird länger dauern. Ich muss noch einige Dinge wegen der FAM regeln. Tanzt doch so lange ohne mich weiter.“

„Ohne dich?“, Silas Augen weiteten sich.

„Ja! Ich melde mich schon, wenn ich fertig bin.“ Massayo lächelte Skyre an. „Freut mich dich kennen gelernt zu haben, Sky. Weiter so! Du bist ein guter Tänzer!“

„Dankeschön“, erwiderte Skyre ebenfalls lächelnd und nickte freundlich. Er sah, wie Massayo ihm den Rücken zukehrte und der blonden Tänzerin etwas ins Ohr flüsterte. Kaum hatte Massayo ihr etwas zugeflüstert, bemerkte er, wie sich Silas große Augen noch mehr weiteten und ihr Gesicht auf einen Schlag rot wurde. Er wollte nicht neugierig sein, so tat er als hätte er die kleine Szene nicht mitbekommen. Silas Mund öffnete sich. Es schien, als wollte sie empört protestieren, doch kein Ton verließ ihre Lippen. Sie schloss ihren Mund wieder und blickte mit einem leichten Schmollmund zu Skyre herüber. Er merkte es, doch ließ er ihr etwas Zeit, bis er ihren Blick erwiderte. Überrascht von seiner Aufmerksamkeit errötete Sila noch mehr. Sofort konzentrierte sie sich unbeholfen auf die Liederliste ihres Pults und tippte nervös mit dem Finger die Zeilen nach unten, als suche sie ein Lied.

'Das ist so unfair von dir Massayo', dachte sie frustriert, 'Warum musst du mich mit dem Neuen alleine lassen?'

„Was ist los mit dir Sila? Du bist heute schrecklich unhöflich!?“

Der Satz, den Massayo ihr mit bitterbösem Blick als letztes zuflüsterte, erschütterte Sila. Sie und unhöflich? Alle sagten sonst immer wie höflich und hilfsbereit sie sei.

„Du bist heute schrecklich unhöflich!“, drang es erneut in ihre wirren Gedanken.

'Nein! Das ist nicht wahr!', konterte sie in Gedanken, 'Ich habe nur keine Lust mich mit dem Neuen anzufreunden! Muss ich denn mit jedem neuen Tänzer, der in meinen Raum kommt, Freundschaft schließen?'

Die Stille, die in der Zeit nach Massayos Verlassen der Bühne zwischen den beiden übrig gebliebenen Tänzern entstand, wurde immer bedrückender.

„Äh ... Gibt es ein Lieblingslied, dass ich für dich auswählen kann?“, fragte sie mit kurzem Blick auf den asiatischen Tänzer.

'Ich bin nicht unhöflich!', bestätigte sie noch einmal in Gedanken. Skyre lächelte.

„Es gibt hier viele gute Songs. Von mir aus kannst du gerne die Funktion 'Random' so lassen.“

Sie tat, wie er vorschlug. Sila bemühte sich zu ihm so zu sein wie zu jedem anderen fremden Tänzer auch, doch selbst das Anfeuern blieb aus, denn Skyre machte nicht einen einzigen Fehler. Nach einigen Liedern, die eher stumm verliefen, wartete Skyre länger als sonst mit seinem „Fertig!“, was Sila stutzig machte. Sie sah, dass er sie anlächelte. Noch bevor sie etwas sagen konnte, ergriff Skyre das Wort.

„Entschuldige bitte, Sila.“

„Eh?“ Sila war nicht darauf vorbereitet eine Entschuldigung von dem Tänzer zu erhalten. Skyre bemerkte ihren fragenden Blick und beeilte sich zu erklären, indem er leicht schüchtern an seinem Hinterkopf kratzte.

„Nun ... also ... Ich habe mich euch Beiden aufgedrängt. Ihr wart zu Zweit im Raum. Es tut mir leid, dass ich gestört habe.“

„Du hast uns nicht gestört! Wir lernen gerne neue Leute kennen!“, sagte Sila schnell, während ihre Augen größer wurden. Doch kaum hatte sie den Satz ausgesprochen, merkte sie wie Skyre stutzte.

'Ops ... Habe ich mich wirklich so verhalten als würde ich gerne Leute kennen lernen?' Ihre Wangen glühten nun vor Scham. Sie verbeugte sich und sagte leise:

„Wenn sich jemand entschuldigen muss, dann bin ich es ... Ich war sehr unfreundlich. Tut mir leid.“

Skyre wunderte sich über ihr Benehmen. Gerade auch die Verbeugung passte überhaupt nicht in ihre Kultur hinein. Hätte sie keine großen, blauen Augen und blonde Haare, würde er glatt denken, dass er bei sich daheim wäre. Anscheinend hatte Sila mehr mit asiatischen Menschen zu tun, als man es ihr anmerken konnte.

Kaum hatte Sila sich entschuldigt, sah sie, wie Skyre auf sie zu kam, vor ihr stehen blieb und ihr lächelnd die Hand hinhielt. Verwirrt blickte Sila von seinem Gesicht auf die Hand und wieder zurück.

„Fangen wir eben von vorne an“, sagte er fröhlich. Irgend etwas an dieser Frau hatte sein Interesse geweckt.

„Hallo! Mein Name ist Skyre, aber alle nennen mich 'Sky'. Freut mich dich kennen zu lernen.“

Mit großen Augen und roten Wangen ergriff Sila sofort seine Hand und sagte mit einem eher schüchternen Lächeln:

„Hallo ... Freut mich auch. Mein Name ist Sila...“

Obwohl ihr die Szene fürchterlich peinlich war, stimmte sie in sein Lachen ein. Verwundert stellte sie fest wie groß er in Wirklichkeit war. Sie selbst fand sich mit ihren 1,74 Metern recht groß, doch er überragte sie weit über einen halben Kopf. Selbst für einen Koreaner war es ungewöhnlich. Ebenso ungewöhnlich waren auch seine mittelblauen Augen, denn normalerweise hatten Koreaner dunkle Augen. Zumindest die, mit denen sie früher zu tun hatte. Doch trotz seiner Größe und Augenfarbe, stand vor ihr ein echter asiatisch aussehender Mann und sorgte bei Sila nur mit seiner bloßen Anwesenheit für Bauchschmerzen.

Nun, da die Sache geklärt wurde, zeigte Skyre an, dass er bereit zum Tanz war. Diesen Tanz konnte Sila jedoch wieder ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, tanzen. Skyre erzählte ihr, dass er sehr dankbar war, bei Sila und Massayo im privaten Raum tanzen zu können.

„Warum?“, wollte Sila, die nun doch Interesse zeigte, wissen.

„Ursprünglich tanzen gelernt habe ich in Korea. Wenn ich hier bin, dann möchte ich lieber nicht in überfüllten Räumen tanzen...“ Ein Schatten überzog seine Augen, „Daheim habe ich genug Leute um mich herum.“ Er machte gerade seinen „Finishmove“. Sila, die einen Schritt zuvor gepatzt hatte und so diesen wichtigen „Move“ nicht machen durfte, beobachtete den eleganten Tänzer.

'Seine Haltung ist ausgezeichnet. Besser geht es wirklich nicht. Er tanzt Klassen weiter als wir', erwischte sie sich in Gedanken. Skyre entging ihr bewunderter Blick nicht, so erklärte er neutral:

„Ich tanze schon lange. Die Tanzinternate in Korea sind etwas weiter als eure...“, um jedoch nicht eingebildet herüber zu kommen, fügte er hinzu: „Aber ich bin trotzdem gerne hier.“

„Dann sei uns herzlich willkommen.“ Dieses Mal klang der Satz so aufrichtig, wie Sila ihn meinte.
 

*** ** * ** ***
 

Obwohl Skyre gerne – wie er behauptete – in privaten Räumen mit wenigen Mittänzern tanzte, merkte Sila, dass er immer häufiger bei ihr und ihren Freunden war. Philphlader und Kiso brauchte sie ihm nicht vorzustellen, Sango und Phie mochten den koreanischen Tänzer vom ersten Moment an. Sila konnte ein Seufzen nicht verkneifen.

'Scheint so, als komme er bestens mit allen aus... Dabei wollte ich mich doch gar nicht mehr mit einem Asiaten anfreunden...'

„Sag mal, Sky?“, hörte sie Philphlader fragen, „Verstehst du eigentlich auch die koreanischen Lieder?“

Amüsiert schmunzelte er Philphlader an: „Warum denn nicht? Immerhin lebe ich in Korea. Dort wird fast ausschließlich in koreanisch gesungen.“

„Hach! Wie schön muss es sein Koreanisch von Geburt an lernen zu dürfen“, schwärmte Philphlader. Auf Skyres fragenden Blick antwortete Kiso mit einem Lachen:

„Meine Frau studiert Sprachen. Ich glaube sie würde am liebsten jede Sprache der Erde sprechen können“, neckte er Philphlader liebevoll und legte seinen Arm um ihre Taille.

„So ist das“, bemerkte Skyre freundlich, „Eine Frau mit vielen Begabungen!“

Philphlader errötete verlegen wegen dem unerwartetem Kompliment.

„Yeah! Genau so wie die hübsche Blonde da vorne“, grinste Kiso frech, während er in Silas Richtung nickte.

„Kiso!“, rief Sila empört und verlegen zugleich. Sie verstand nicht aus welchem Grund er so etwas behauptete. Skyre lächelte nur, blickte jedoch wieder zu Philphlader und meinte:

„Wenn ich übersetzen soll, stehe ich zu euren Diensten.“

Philphlader nickte freundlich, doch ihrer Schwester entging nicht der kurze, fragende Seitenblick, den Philphlader ihrem Mann zuwarf.

„Korea...“, hauchte Sila ehrfurchtsvoll. „Du hast tatsächlich dort tanzen gelernt?“

Sie schien so neugierig zu sein, dass sie ihre anfängliche Distanz zu dem Tänzer aus den Augen verloren zu haben schien.

„Ja. Wieso?“

„Man hört, dass die besten Tänzer der Welt von dort kommen“, schwärmte sie, „Es muss toll sein zu koreanischen Liedern tanzen zu können!“

„Hier gibt es doch auch koreanische Lieder“, bemerkte Sango verwundert.

„Naja ... Die paar Lieder, die wir hier haben ... Sango-chan! Stell dir nur einmal vor; In Korea gibt es sogar Bands, die nur für die Tanzinternate ihre Lieder schreiben. Da gibt es so einen Andrang, dass nur die allerbesten und berühmtesten Bands in den Genuss kommen Lieder für die Tanzinternate schreiben zu dürfen. Und dann muss das neue Lied erst einmal bei einer ausgewählten Jury durchkommen.“

Skyre schwieg, er lächelte nur freundlich.

„Aber ich denke mal für jemanden, der dort lebt, ist es bestimmt gar nichts so besonderes“, sagte sie mit einem fragenden Blick zu Skyre. Als er die Blicke auf sich gerichtet sah, antwortete er diplomatisch:

„Jedes Land hat seine Reize, denke ich.“

Da Phie immer noch den fragenden Blick von Sango sah, suchte sie zu erklären:

„Unsere Sila steht irgendwie total auf asiatische Lieder und solche Dinge.“

Sango zuckte nur mit den Schultern. „So hat jeder seine Vorlieben.“

Während sich die Vier unterhielten, nutzte Philphlader die Situation und flüsterte Kiso zu:

„Was hast du vor, Anata?“

„Ich?“ Kiso ließ seinen Blick nicht von Sila und Skyre ab.

„Ja, du! Ich merke doch, dass du etwas im Schilde führst.“ Zärtlich schob sie ihren Arm unter seinen. Kiso nickte nur zu Sila.

„Schau sie dir doch an! Sie scheint langsam warm zu werden.“

Noch bevor Philphlader etwas sagen konnte rief Sila:

„Wenn ihr mit tanzen wollt, müsst ihr euch schon auf euren Platz stellen und 'Fertig!' aktivieren.“

Kiso winkte lächelnd ab: „Schon okay, Sis! Tanzt mal! Wir setzen eine Runde aus.“

Sila fragte nicht lange, denn Sango, Phie und Skyre waren längst startbereit. So gab sie das „Okay!“ für den nächsten Song.
 

„Was meinst du mit 'warm', Anata?“, wollte Philphlader wissen. Mittlerweile benutzte sie das gleiche selbst erfundene Wort Kiso gegenüber.

„Na! Schau sie dir doch mal an!“, forderte Kiso höflich. Philphlader blickte auf Sila, deren Punkte erst dicht hinter denen von Skyre waren, sah aber auch, wie der Abstand zwischen den Punkten immer größer wurde, je länger das Lied war.

„Sky ist ein wirklich sehr guter Tänzer“, bemerkte sie, „und Neechan wird von Tag zu Tag besser. Bald hat sie wieder ihre alte Form zurück.“

Lächelnd stellte sich Kiso hinter seine Frau, die sich mit beiden Händen am Geländer des Zuschauerbereichs abstützte. Er umschlang sie und stützte sich ebenfalls mit den großen Händen am Gelände ab. Sein Kopf lehnte sanft auf ihrer Schulter, als er flüsterte:

„Das habe ich nicht gemeint... Ich habe nie verstanden, was Sila so an Asiaten fasziniert, aber egal ob ich's versteh oder nicht, es ist so. Glaube mir! In ein paar Wochen tanzen die Beiden alleine in einem Raum...“

„Wie? Wie kommst du denn darauf?“

„Sila wird von Asiaten wie ein Metall vom Magneten angezogen und Sky mag Sila...“

Philphlader drehte sich leicht nach hinten und hob den Kopf an, um Kisos Gesichtsausdruck sehen zu können. Als sie es sah, weiteten sich ihre Augen, als könne sie es nicht fassen.

„Du denkst ... Du willst sie doch nicht...“

„Verkuppeln?“, seine Augen wurden schmaler, doch sein Grinsen um so breiter.

„Anata! Ich denke bei so was sollten wir uns doch nicht einmischen!“

Kiso lachte leise. „Nicht? Also ich finde es nur fair. Schließlich hat sie uns auch verkuppelt.“ Bei dem schönen Gedanken gab er ihr einen zärtlichen Kuss auf die Schulter.

„Sie wollte doch nur dass wir Tanzpartner werden. Mehr nicht.“

„Na und? Am Ende wurden wir ein Paar. Ob sie es plante oder nicht. Wegen ihr habe ich jetzt eine wundervolle Ehefrau. Warum sollten wir ihr nicht den gleichen Dienst erweisen?!“

Seine Komplimente immer noch nicht gewöhnt, errötete Philphlader leicht, wurde aber schnell wieder ernst.

„Selbst wenn Sky sie mögen sollte ... Das hat doch keinen Sinn. Er lebt in Korea.“

„Das ist kein Hindernis, dar“, erwiderte er schnell, „Ich bin auch hier hin gezogen. Wenn sich Menschen lieben, dann ist so etwas kein Hindernis!“

Philphlader war nicht überzeugt. Mit sorgenvollem Gesicht blickte sie auf Skyre.

„Wir wissen so gut wie nichts über ihn ... Wer weiß wer er wirklich ist...“

„Wer er wirklich ist?“, fragte Kiso skeptisch, „Wie meinst du das?“

„Ach ...“, wehrte Philphlader ab, „Er kommt mir nur irgendwie so bekannt vor ... Nicht vom Namen her ... Sein Gesicht habe ich schon irgendwo gesehen.“

„Ach was! Der sieht sicher nur jemandem ähnlich. Außerdem sehen doch eh alle Asiaten gleich aus!“

Philphlader schmunzelte. „Nur für Leute wie dich, die nicht viel mit ihnen zu tun haben! Außerdem...“, fügte sie besorgt hinzu, „würde es Neechan sicherlich nicht gefallen verkuppelt zu werden...“

„Und?“, bemerkte Kiso belustigt, „Soll sie sich doch beschweren kommen, Anata!“
 

*** ** * ** ***
 

Kiso hatte tatsächlich einen guten Blick für seine Schwester. Wie er seiner Frau sagte, tanzten Sila und Skyre immer häufiger zusammen. Doch zu seiner großen Enttäuschung hielten die Beiden jeglichen Abstand zwischen ihnen ein, sogar bei den Partnertänzen. Kein Funke von Verliebtheit konnten er oder Philphlader in den Augen entdecken. Weder bei Sila, noch bei Skyre. Es war als währen sie nur gute Bekannte, die sich beim Tanzen verstanden.

Doch fand sich ein anderes „Pärchen“, das alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Vollkommen unerwartet, stellten Sila, Phie, Philphlader, Kiso, Massayo, Dray und auch Shizumi fest, dass Sango und Shadow immer häufiger gemeinsam gesehen wurden. Sie tanzten nur noch gemeinsam, gingen am Abend durch den Park und schienen sich hervorragend zu verstehen.

„Also wenn mich nicht alles täuscht, bekommen wir bald das nächste Liebespaar im Freundeskreis“, bemerkte Massayo grinsend.

„Komisch komisch ... Früher haben sie sich nicht so gut verstanden“, wunderte sich Shizumi, „Oder hast du etwas mehr mitbekommen, Sila?“

Sila schaute auf. Sie blickte verwundert zu Massayo, Shizumi, Kiso, Philphlader und Skyre.

„Was habe ich mitbekommen?“

„Träumst du?“

„Nein. Ich habe eben nur Sango-chan und Shadow dort drüben vorbeigehen gesehen und mich gefragt seit wann sie sich so gut verstehen.“ Sila zeigte aus dem Fenster, neben sich. Verwunderung stand in ihrem Gesicht geschrieben, als die fünf Tänzer vor ihr, anfingen zu lachen. Silas Wangen bekamen etwas Farbe.

„Hab ich was lustiges gesagt?“

„Typisch Sila“, amüsierte sich Massayo, „Shizumi fragte dich eben ob du mitbekommen hättest, dass sich die Beiden früher auf eurem Internat auch so gut verstanden haben.“

„Oh! Äh ... Nein. Aber“, Sila lächelte und schaute erneut aus dem Fenster, „Irgendwie sind die Beiden ein süßes Paar, findet ihr nicht?“

Massayo und Kiso grinsten, Philphlader nickte, doch Skyre zuckte nur mit den Schultern. Er wollte sich nicht in solche Dinge einmischen.

„Wieso denkt ihr eigentlich alle, dass Sango und mein Bruder ein Paar sind? Sie verstehen sich doch nur gut. Und jeder geht mal mit einem anderen spazieren. Du, Sila, gehst auch oft mit Kiso spazieren und keiner sagt etwas.“

Sila lachte, „Kiso und ich sind Geschwister, Süße! Hast du mich je mit jemand anderem spazieren gesehen als mit Sou?“

„Och komm schon. Noch bevor du dich mit Soujirou angefreundet hast, hast du häufig mit anderen Männern Spaziergänge gemacht. Du hast ja schon alleine 3 Sensei's, mit denen du viel unternommen hast!“

Shizumi mochte Sango gerne und ihren Bruder auch und gerade aus diesem Grund wollte sie nicht, dass andere hinter deren Rücken solche Gerüchte verbreiteten.

„Sensei's?“, fragte Skyre neugierig. Philphlader erklärte:

„'Sensei' ist ein japanischer Ausdruck für 'Lehrer'. Neechan mag es gerne neue Wörter von mir in anderen Sprachen zu lernen.“

„Weißt du, Kumpel“, mischte sich Kiso dazwischen, „meine Sis ist so schlecht beim Tanzen der anspruchsvolleren Tanzschritte, dass sich 3 gute Tänzer dazu erbarmt haben, sie zu trainieren.“ Er zwinkerte seiner Schwester frech zu.

„Was erzählst du da? Wenn hier einer Übung bei den Schritten braucht, dann ja wohl du, mein verehrtes Brüderchen! Außerdem kann mir Übung durchaus nicht schaden. Involk, Densel und Silvar waren nur so freundlich mich dabei zu unterstützen.“

„Du scheinst sehr beliebt zu sein, Sila“, bemerkte Skyre.

„Das stimmt doch gar nicht“, konterte Sila ohne zu überlegen. Sie mochte es nicht, dass Kiso sie seit einiger Zeit immer wieder versuchte beliebter und besser zu machen als sie war.

„Vielleicht brauchst du einen besseren Lehrer“, neckte Kiso sie weiter, „Jemanden, der in seinem Fach so gut ist wie unser Sky z.B.?“

Philphlader drehte ihren Kopf ruckartig in Kisos Richtung. Es war offensichtlich, dass sie absolut nicht seiner Meinung war, dass es richtig wäre Sila mit Skyre zu verkuppeln.

„Sky hat besseres zu tun, als mich zu unterrichten. Außerdem reichen mir 3 Sensei's!“, maulte Sila empört.

„Äh ... Ich will euch ja ungern beim Zanken stören, aber es wird Zeit für mich. Meine FAM wartet darauf, dass wir gegen eine andere FAM im Tanz antreten. Die sind sogar so dreist, dass sie versuchen uns in aller Öffentlichkeit anzugreifen“, unterbrach Massayo Sila und Kiso.

„Ich schließe mich auch an. Es ist schon sehr spät und ich wollte bis morgen noch ein Bild fertig stellen“, sagte Shizumi.

Kiso streckte sich ausgiebig und meinte auf Sila blickend. „Ich denke Anata und ich sollten jetzt auch heim gehen, oder möchtest du noch tanzen?“ Philphlader gähnte. Auch sie war müde von dem langen Tag. „Nein. Ich brauche ein Bad und etwas warmes zu trinken. Tut mir leid, Neechan.“

Sila schüttelte den Kopf. „Du lernst am Vormittag immer so viel für die Uni und dann tanzt du immer regelmäßig hier. Ein Wunder, dass du überhaupt so lange durchgehalten hast.“

Massayo und Shizumi verließen bereits den Saal, als Kiso seiner Frau den Arm anbot.

„Viel Spaß euch Beiden noch“, zwinkerte Kiso Sila und Skyre zu und fügte noch einmal neckend zum Schluss hinzu: „Vielleicht will Sky dir doch was beibringen?“

Mit diesem Satz verließ er mit Philphlader der Raum und lies eine verärgerte Sila und einen Skyre, der bei dem Durcheinander längst den Überblick verloren hatte, zurück. Skyre hörte ein resigniertes Seufzen aus Silas Richtung.

„Er scheint dich zu mögen“, sagte er nach einer Weile lächelnd.

„Hmm?“

„Kiso meine ich. Er ist ein netter Kerl. Manchmal etwas eigensinnig und stur, aber er scheint dich zu mögen.“

Sila hob eine Augenbraue, eine Eigenschaft, die sie von Kiso übernommen hatte. „Und wie kommst du darauf?“

„Weil er dich immer neckt. Ich glaube er mag es dich aus der Bahn zu werfen.“

Ein Lächeln huschte über Silas Lippen. „Ach ich denke, er ärgert generell jeden, der ihm über den Weg läuft. Jetzt ist er schon einige Monate mit Imôto verheiratet und er macht ihr immer noch Komplimente, die sie verlegen machen. Extra, wie ich glaube.“

Skyre antwortete nicht. Irgendwie merkte er es ebenfalls, dass der temperamentvolle Tänzer mehrere Facetten hatte. Einerseits suchte er seine Schwester immer wieder ins beste Licht zu stellen und auf der anderen Seite fühlte sich Skyre immer mehr von ihm beobachtet. Sobald er mit Sila tanzte, wurde der Blick ihm gegenüber immer häufiger und durchdringender. Skyre schüttelte kaum merklich den Kopf.

'Damit muss ich mich nicht befassen. Jeder hat seine Eigenart. Vielleicht bilde ich es mir ja nur ein.'

„Du musst nicht hier bleiben, wenn du lieber wo anders tanzen möchtest“, schlug Sila vor, der das Schweigen zwischen ihr und Skyre unangenehm war. Skyre blickte auf.

„Nein. Ich tanze gerne mit dir“, sagte er in seiner ehrlichen Art. Sila stockte. Sie warf ihm einen fragenden Blick zu, dann lächelte sie jedoch und fragte:

„Welches Lied wünscht du dir?“

„Kann ich dich was fragen, Sila?“, wechselte Skyre überraschenderweise das Thema.

„Hmm?“

„Du musst mir ja auch nicht antworten ... Wenn es dir unangenehm ist.“

Sila zog ihre Stirn in Falten. „Schon okay. Was möchtest du wissen?“

„Wie kommt es eigentlich, dass du mit so vielen – männlichen – Tänzern befreundet bist, aber keinen davon als Tanzpartner nimmst?“

„Meine Freunde fragen mich doch nicht nach Tanzpartnerschaft“, sagte Sila höflich. Sie blickte ärgerlich aus dem Fenster. „Die meisten, die mich als Tanzpartner haben wollen, kennen mich nicht wirklich. Auf so was gehe ich nicht ein! Außerdem habe ich derzeit einfach keine Lust einen Tanzpartner zu haben.“

„Das ist aber selten. Ich frage weil du so gerne Partnertänze magst. Tut mir leid, ich wollte dich nicht ausfragen...“

Silas Blick wurde sanfter. Wie sie zu Beginn befürchtet hatte, merkte sie wie sie den asiatischen Tänzer immer mehr zu schätzen wusste. Er hatte eine schlichte, einfache auch manchmal ruhige, in sich gekehrte Art. Er fragte lieber andere über ihre Lebenswege, als von sich aus etwas preis zu geben. Irgendetwas an ihm war manchmal sogar etwas geheimnisvoll. Doch Sila respektierte es. Jeder hatte Dinge, über die er nicht gerne reden wollte und so war es vielleicht auch gut, dachte sie. Man musste nicht immer ein offenes Buch für andere sein.

„Ein Tanzpartner sollte ein sehr guter Freund sein. Ich hatte schon mal eine Tanzpartnerschaft mit jemandem, der mir kein guter Freund war. Es war keine gute Tanzpartnerschaft. Für mich ist es wichtig. Außerdem ...“, fügte Sila hinzu, „Ist es praktischer für mich jemanden als Partner zu haben, der die gleiche Sprache spricht.“

Ein flüchtiger Schatten legte sich um Silas Augen, doch er war auch schnell wieder weg, als Sila lächelte und sprach: „Wenn man sich in einer anderen Sprache verständigen muss, kann es zu einigen Missverständnissen kommen.“

Sila seufzte und sagte ehrlich: „Aber eigentlich rede ich nicht gerne über Tanzpartnerschaft.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es gibt derzeit auch niemanden, der dafür in Frage kommen könnte. Deswegen tanze ich Partnertänze eher mit meinen Freunden oder Bekannten.“

Skyre sagte nichts, er nickte nur gedankenverloren. Nun war es Sila, die neugierig wurde. Sie stellte sich vor ihn, verschränkte ihre Hände hinter dem Rücken, lächelte und fragte fröhlich: „Was ist mit dir? Gibt es in deinem Internat in Korea eine hübsche Tänzerin, die auf ihren Tanzpartner wartet?“

Verwundert blickte Skyre in die himmelblauen Augen von Sila. Erst wusste er nicht was sie meinte.

„Auf mich? Oh! Nein. Ich hatte noch keine Tanzpartnerin.“

„Nicht?“

„Nein. Ich äh ...“

Sila bemerkte schon seit sie das erste Mal mit dem Tänzer alleine in einem Raum war, dass Skyre teilweise sehr schüchtern sein konnte. Sie wusste nicht ob es an ihr lag, oder ob er sich generell unwohl fühlte wenn er mit einer oder mehreren Frauen alleine in einem Raum war. Wenn Kiso, Shadow oder Dray dabei waren, dann war Skyre anders. Die selbe Schüchternheit lies den großen Tänzer vor ihr irgendwie kindlich wirken. Sila bemühte sich darüber nicht zu kichern. Sie wusste nicht ob sie seine Gefühle damit nicht vielleicht verletzten würde. Anscheinend war ihm das Thema unangenehm. Sila schritt einige Schritte im Vorbereitungssaal herum. Sie wollte ihn nicht drängen über Dinge zu reden, die er nicht wollte. Gerade, als sie ihm vorschlagen wollte, noch einige Runden zu tanzen, hörte sie wie Skyre leise sagte:

„Ich kann nicht einfach nur mit einer guten Freundin eine Tanzpartnerschaft eingehen. Ich denke ich könnte nie so viele Partnertänze nur mit einer Frau tanzen, für die ich nichts empfinde.“

Sila blieb stehen und blickte Skyre ruhig in die Augen. Skyre seufzte.

„Vielleicht ist das altmodisch. Wenn ich eine Frau bitten sollte meine Tanzpartnerin zu werden, dann nur die, der mein Herz gehört ... denke ich.“

Sila gefiel seine Einstellung. Es gab zu wenig Männer, die so dachten wie Skyre.

Sie schmunzelte leicht. 'Ich wette es gibt eine Frau, in Korea, an die er denkt.'

„Ich finde es ist gar nicht altmodisch“, sagte sie freundlich, „Gerade die klassischen Tänze sind sehr ... Wie soll ich sagen...“, Silas Wangen nahmen wieder etwas Farbe an, „Sie sind sehr eng. Mir fällt es nicht immer leicht mit jedem x-beliebigen Tänzer Salsa oder ChaChaCha zu tanzen... Manche Männer halten mich aber auch viel zu nahe. Das geht mir sehr gegen den Strich!“

„Schämen sollten sie sich!“, rief Skyre aus. In diesem Augenblick, sprach aus seinen Augen keine Schüchternheit mehr. Sila schmunzelte erneut. Skyre nahm schon tatsächlich hin und wieder einen Beschützerinstinkt Sila gegenüber an.

'Anscheinend wirke ich wohl auf alle Männer so, als müsste man mich beschützen', dachte sie etwas wehmütig.

„Ich hoffe ich habe dir keinen Anlass gegeben, verärgert zu sein?!“ Ehrliche Sorge stand in seinen Augen. Sila lächelte freundschaftlich.

„Mach dir mal keine Sorgen. Du bist der mit Abstand anständigste Mann, mit dem ich bisher getanzt habe.“

„Nun, ich gebe mir Mühe. Eine Dame mit Anstand zu behandeln ist eine hohe Kunst, die es sich zu erkämpfen lohnt.“

„Hmm?“ Sila zog skeptisch eine Augenbraue hoch. Sie blickte Skyre voll ins Gesicht, als suche sie zu erkennen ob er sie necken wollte. Doch Skyre lächelte nur. So wie er es immer tat. Sila traf noch nie auf jemanden, der so viel lächeln konnte.

„Das war aber poetisch“, sprach sie mit Verwunderung aus.

„Poetisch?“

„Ja, das was du über uns 'Damen' gesagt hast.“

„Ach so...“, verlegen kickte Skyre einen unsichtbaren Stein mit seinem Fuß weg „Manchmal sage ich so komische Sätze. Das kommt einfach so... Entschuldige.“

Sila lachte vergnügt.

„Nicht doch. Dafür brauchst du dich doch nicht zu entschuldigen. Man trifft nicht jeden Tag auf einen tanzenden Poeten.“

„Tanzenden was? Tanzenden Poeten?“

Lachend stellte sich Sila wieder hinter das Spieleführerpult und fragte gut gelaunt:

„So! Welches Lied darf ich für Sie aussuchen, Herr Poet? Zum Abschied mal ein koreanisches Lied?“

„Dir gefällt die Musik in koreanisch wirklich, nicht wahr?“

Sila nickte nur, war aber in Gedanken schon bei der Liederliste. „Ich mag koreanisch, weil es sich sehr weich anhört. Auch wenn ich es nicht verstehe, so klingt es irgendwie schön. Und das hier mag ich am aller liebsten!!!“

Skyre konnte auf dem Display sehen, dass sie sich für das Lied „Storm“ entschieden hatte. Ein verschmitztes Lächeln huschte über seine Lippen, als er das Lied sah.

„Was ist?“ Sila war seine Mimik nicht entgangen.

Ertappt, versuchte Skyre sein Grinsen in den Griff zu bekommen und suchte eine Erklärung:

„Ich ... habe nur grad gedacht ob du überhaupt weißt worum der Song handelt“.

Silas Lippen zogen sich zu einem Schmollmund zusammen. „Du machst mir Scherze. Woher sollte ich das wissen?“

„Soll ich es dir verraten?“

„Wenn du willst.“

„Um eine verlorene Liebe“, sein Blick war immer noch amüsiert.

„Eh?“

„Ja! Wie der Titel 'Storm' schon sagt, dreht sich bei dem Lied viel um den Sturm. Den Sturm, der nach einer Trennung entsteht. Die Frau, um die es in dem Lied geht, hat den Sänger verlassen und ihm das Herz gebrochen.“

„Huuuui“, rief Sila aus, „Ich glaube es ist doch besser, wenn ich nicht weiß worum es in den Lieder geht.“

Skyre lachte.

„Aber sag mal. Imôto erzählte mir mal dass 'Ich liebe dich' auf koreanisch 'Saranghae' heißt. Stimmt das?“

Skyre lächelte. „Ja, ich habe es ihr erzählt.“

„Ach so. Meine Güte. Seit sie mir davon erzählt hat, höre ich das Wort in jedem Lied heraus.“

„Tja! So ist das bei uns in Korea“, sagte Skyre einfach, „Wir hören gerne Lieder über die Liebe. Auch in den Tanzliedern hört man viel davon, das ist richtig. Aber am Besten kommen bei uns Lieder an, die mit Trennung zu tun haben. Wir Koreaner stehen auf Herzschmerz.“

„Oje, wieso denn das?“

„Keine Ahnung. Ist wohl einfach so.“

Sila schüttelte empört den Kopf. „Das kann ich aber nicht nachvollziehen, wieso Menschen gerne Lieder über zerbrochene Beziehungen hören.“

„Du kannst auch ein anderes Lied anmachen“, schlug Skyre ihr vor.

„Nein! Ich mag es trotzdem. Die Stimme vom Sänger gefällt mir gut. Außerdem wird es für dich Zeit. Du musst morgen früh los, nicht wahr?!“

„Äh ja. Korea wartet. Obwohl ich irgendwie das Gefühl habe, dass ich gerade erst hier angekommen bin. Es kommt mir nicht so vor als hätte ich hier schon 7 Wochen getanzt.“

„Deine Leute freuen sich mit Sicherheit schon sehr, dich wieder zu sehen“, lächelte Sila und startete eines ihrer Lieblingslieder.
 

Skyre hörte kaum das ihm so vertraute Lied. Seine Stimmung sackte merklich ab, obwohl er sich bemühte dies nicht zuzugeben.

Korea...

Ja, Sila hatte Recht. Es gab unheimlich viele Leute, die seiner Ankunft entgegen fiebern würden. Doch für ihn hieß es nur seine Arbeit zu tun und eine gute Laune dabei zu zeigen. Schauspielerei stand wieder an der Tagesordnung. Er blickte die blonde Tänzerin an, die leise zu der Melodie summte.

'Komisch', dachte er wehmütig. 'Wie kommt es, dass ich mich hier so wohlgefühlt habe? Sie und ihre Freunde sind doch ganz normale Menschen und doch...' Er lächelte sanft.

'Vielleicht habe ich zum ersten Mal nach langer Zeit erfahren wie es ist wieder ICH selbst sein zu dürfen...'

Der Takt begann und er sah, wie Sila zu tanzen begann. Ein letztes Mal blickte er zu ihr hinüber.

'Indem du mich so angenommen hast wie ich wirklich bin, hast du mir mehr geschenkt als jeder andere.'
 

Ende Kapitel 18:

~ Der tanzende Poet ~

~ Die Stimme des Frühlings ~

Der Schnee hinterließ noch hier und da einige kleine Häufchen. Überall konnte man erkennen wie die ersten Frühlingsblumen ihre Köpfe zur Sonne streckten. Es schien, als würde die Welt wieder tief einatmen und ein neues Leben ankündigen. Man konnte sogar die ersten Vogelgesänge durch das leicht geöffnete Fenster hören. Philphlader hatte ihre Augen geschlossen und lauschte dem Klang der lange vermissten Singvögel. Sie atmete tief die frische Morgenluft ein, während draußen alles noch still war, denn die Sonne war erst wenige Minuten zuvor aufgegangen. Sie ahnte nicht welch ein Anblick sie bot, als der Wind mit ihren Haaren spielte. Ein Augenpaar hing an ihr und das Lächeln spielte um die Lippen ihres Beobachters. Kiso hatte sich schon lange daran gewöhnt so früh aufzustehen. Er tat es seiner Frau zuliebe, die nie lange im Bett bleiben konnte. Meist stand sie noch vor Sonnenaufgang auf, schlich sich mit einer heißen Tasse Tee in das großzügig eingerichtete Arbeitszimmer und nutzte die frühe Zeit um sich ihrem Studium über den dicken Vokabel- und Grammatikbüchern zu widmen. Die erste Zeit nach der Hochzeit, bemerkte Kiso erst viel zu spät, wenn seine Frau nicht mehr neben ihm lag, doch er passte sich schnell daran an und stand mit ihr gemeinsam auf. In der Zeit, in der sie über ihren Büchern grübelte, machte er sich im Badezimmer fertig und ordnete alle Dinge in der Küche. Auch wenn er schon sehr früh alleine eine Wohnung hatte und auch nicht wirklich der Frühaufsteher war, so verließ Kiso, durch das Vorbild seiner Mutter, niemals das Haus ohne vorher vernünftig gefrühstückt zu haben. Seine Frau brachte die unmögliche Eigenschaft in die Ehe mit, dass sie sehr früh aufstand, eine Tasse Tee trank, einige Stunden über ihren Büchern verbrachte, nur um dann Hals über Kopf die Wohnung zu verlassen, um nicht zu spät zur Vorlesung zu kommen. So machte es sich Kiso zur Gewohnheit, für das Frühstück zu sorgen. Philphlader war heute sehr still. Sie schien zu träumen. In der Hand hielt sie noch eine Scheibe Brot, die sie auf eine andere, bereits fertig belegte Brotscheibe, legen wollte.

Als sie ihre Augen öffnete, schaute sie direkt in Kisos türkisblaue Augen. Eine leichte Röte der Verlegenheit huschte über ihre Wangen.

„Du beobachtest mich?“

„Warum auch nicht? Du siehst süß aus, wenn du vor dich hin träumst, dar!“, gab er grinsend zurück.

Ein Lächeln huschte Philphlader über die Lippen, was noch größer wurde, als sie merkte, dass sie ihre Brotscheibe immer noch in den Händen hielt. Sie seufzte wehmütig.

„Am liebsten würde ich heute zu hause bleiben.“

„Dann tu's doch!“

„Du weißt doch genau so gut wie ich, dass es für mich wichtig ist, an der Vorlesung teilzunehmen.“

„Ich weiß, ich weiß“, sagte Kiso, stand auf und begann das leere Geschirr abzuräumen. Philphlader beobachtete ihn distanziert.

„Du machst es schon wieder!“

„Mmh?“ Kiso ließ sich nicht von seiner Arbeit stören.

„Du räumst schon wieder das Geschirr weg. Es ist doch MEINE Aufgabe... Und ich sitze hier faul herum...“

Kiso hielt inne und blickte seine Frau ernst an. Dann legte er in aller Ruhe den letzten Teller in die Geschirrspülmaschine und ging wieder zurück zu ihrem Platz. Da Philphlader immer noch auf ihrem Stuhl saß, musste sie ihren Kopf zu Kiso anheben. Er hatte sich neben sie gestellt. Mit einer Hand umklammerte er ihre Stuhllehne, mit der anderen stützte er sich am Esstisch ab. Sein Lächeln hatte immer wieder die Macht, Philphlader aufzuheitern, genau so wie es an diesem Morgen der Fall war.

„Erzähl doch nicht so'n Unsinn, Anata. Du lernst so viel und tanzt auch noch immer dann, wenn du Zeit dazu findest. Wenn ich Mittags heim komme, dann finde ich immer etwas warmes zu Essen oder ich bekomme eine liebevoll gestaltete Lunchbox von dir mit zum Tanzen. Also erzähl mir bitte nicht, dass es auch noch DEINE Aufgabe ist so was leichtes wie das Einräumen des Geschirrs in die Maschine, zu übernehmen. Dann habe ich ja gar nichts, womit ich dich etwas entlasten kann!“

Ein Lächeln huschte über Philphladers Gesicht. Kiso bemühte sich wirklich immer darum sie zu entlasten, wo immer er konnte.

„Ach ich weiß auch nicht was heute mit mir los ist“, seufzte sie mutlos.

Kiso gab ihr einen Kuss auf die Wange und machte sich wieder ans Werk um die restlichen Lebensmittel an ihre Plätze zu stellen. Als er sich endlich zufrieden ihr gegenüber setzte, sagte er endlich:

„Jeder hat mal einen Tag, an dem alles irgendwie merkwürdig ist...“

„Gehst du gleich wieder ins Internat?“, wechselte Philphlader das Thema.

„Yeah!“

„Kannst du etwas für Neechan mitnehmen?“

„Klar! Was gibt’s denn?“

Philphlader blickte an Kiso vorbei und konnte aus der geöffneten Tür in den Flur schauen. Auf einer Kommode lagen einige CDs. Kiso folgte ihrem Blick und entdeckte es ebenfalls.

„Soll ich ihr die CDs vorbei bringen?“, fragte er.

Philphlader überlegte. Sie schien in ihren Gedanken weiter entfernt zu sein. Kiso dachte sich nichts dabei, denn es gab immer einmal Tage, an denen sie stiller war als an anderen. Kiso lernte schnell, es zu akzeptieren. Philphlader erhob sich von ihrem Platz, ging wortlos an Kiso vorbei und stellte sich vor den kleinen Stapel der 3 CDs. Gedankenverloren nahm sie die oberste CD in die Hand. Es folgte die zweite und dritte CD.

„Ach weißt du was? Sie hat die Lieder eh schon. Danke, aber du brauchst die Sachen nicht mitzunehmen.“

„Wie du magst.“ Auch Kiso erhob sich von seinem Platz. Er ging an Philphlader vorbei, durchquerte das Wohnzimmer und begann seine Sporttasche für den Tag im Internat zusammenzustellen.

„Jetzt wo du Sila erwähnt hast...“, rief er ihr aus dem Schlafzimmer zu, „Ist dir auch schon aufgefallen wie diese Frau zur Zeit drauf ist?!“

„Wie meinst du das?“, Philphlader steckte ihren Kopf ebenfalls in das Schlafzimmer.

„Naja“, Kiso schmiss die volle Tasche auf den Boden und setzte sich auf das Bett, „Sie ist so fröhlich.“

„Ist sie nicht immer fröhlich?“ Bei dem Gedanken an Sila, lächelte Philphlader wieder etwas mehr.

„Es wäre mir lieber sie würde nicht so fröhlich durch die Gegend hoppeln...“

„Anata! Was redest du da? Gönnst du es ihr denn nicht fröhlich zu sein? Soll sie sich wieder in privaten Räumen einschließen und mit traurigem Blick einen Tanz nach dem anderen bestreiten?“

„So habe ich es auch nicht gemeint“, verteidigte sich Kiso, „Sky ist nun schon so lange weg und sie scheint es überhaupt nicht zu interessieren!“

Philphlader blickte ihren Mann stumm in die Augen. Sie verstand nicht warum er immer noch so ergriffen von der Idee war, dass Sila und dieser Skyre ein Paar sein könnten.

Kiso ließ sich mit dem Rücken auf das Bett fallen, verschränkte die Arme hinter seinem Hinterkopf und sagte:

„Es sieht so aus, als hätte sie ihn nie kennen gelernt. Seit er wieder nach Korea zurückgeflogen ist um seiner Arbeit nachzugehen, hat sie kein einziges Wort von ihm gesagt. Hallo? Was ist los mit der Frau?“

„Ganz einfach“, sagte Philphlader so ruhig wie sie konnte, „Es scheint, dass sie und Sky wirklich nicht mehr als gute Bekannte waren. Sie haben viel zusammen getanzt, ja, aber mehr auch nicht. Ich glaube Neechan hat ihn nur ihn die Freundesliste aufgenommen, weil wir uns alle so gut mit ihm verstanden haben.“

„Verstehst du dich auch gut mit ihm? Du scheinst einen gewissen Abstand zu ihm zu halten.“

„Ich habe nichts gegen ihn. Ich finde es nur nicht gut von dir Neechan mit jemandem verkuppeln zu wollen, der auf der anderen Seite der Erde zu hause ist... Das ist nicht richtig! Außerdem ist er wieder bei sich zu hause, Anata. Neechan sagte, er kommt nicht wieder.“

„Wie? Er kommt nicht wieder? Er hat doch immer gesagt, wie sehr er es genossen hat, mit uns zusammen zu tanzen. Woher weiß Sis, dass er nicht wieder kommt?“

Philphlader zuckte nur mit den Schultern. Sie hatte keine Lust an diesem Tag auch noch über den koreanischen Tänzer zu reden. Er war ein ausgezeichneter Tänzer, das stand fest und er war sehr freundlich und ein guter Mittänzer. Er respektierte die Frauen und schien ihre Freundin gerne zu haben. Philphlader war jedoch innerlich dankbar dafür, dass er so weit weg war. Sie hatte schon viel mit Asiaten zu tun gehabt und konnte ihre Gesichter hundert Prozentig auseinander halten. Als sie gemeinsam mit ihrem Freund Koreaner auf „Nexon“ getanzt hatte und diesen unglaublichen Tänzer kennen gelernt hatte, fiel es ihr nicht auf. Doch seit sie ihm beim letzten Mal wieder auf „AuditionEU“ begegnete, kam ihr sein Gesicht sehr bekannt vor. Sie wusste zwar wie es ist, nicht so viel von sich verraten zu wollen und nicht jedem beliebigen Menschen seine Lebensgeschichte kund zu tun, doch sein Ausweichen bei solchen Fragen entfiel Philphlader nicht.

Sie war sich zwar nicht ganz sicher ob sie mit ihrer Vermutung vielleicht doch viel zu hoch griff, doch sie wollte ihre Gedanken auch nicht weiterhin damit belasten. Er war weit weg und Philphlader hoffte, dass er an seinem Platz bleiben würde. Es tat so gut, ihre Freundin mal ohne Liebeskummer zu erleben, sie einmal wirklich glücklich zu sehen, dass Philphlader es ihr nicht wünschen wollte, dass sie ihr Herz wieder einmal an jemanden verliert, der gar nicht in ihrer Nähe bleiben konnte.
 

„Dann richte ich deiner Neechan eben nur einen Gruß von dir aus, okay?“, rief Kiso, der bereits seine Schuhe im Flur anzog.

„Mach das! Ich komme nachher aber auch dazu.“ Philphlader legte unbemerkt eine von Kisos Lieblingsschockoladentafeln mit in seine Tasche, gab ihm einen Kuss und verschwand im Arbeitszimmer um ebenfalls ihre Tasche für die Uni zu packen.
 

*** ** * ** ***
 

„Du strahlst ja heute so“, freute sich Phie als sie Sila begegnete. Sango ging an ihrer Seite und fragte Sila freundlich:

„Gibt es einen besonderen Grund, warum du so glücklich bist?“

Sila lachte über die Aussagen ihrer Freundinnen. „Brauche ich denn immer einen Grund um glücklich zu sein?“ Sila atmete die klare Luft ein und lächelte noch mehr. „Endlich kommt der Frühling! Endlich scheint die Sonne wieder stärker. Habt ihr schon die Vögel singen gehört?“

Sila schien ganz aus dem Häuschen zu sein. Phie und Sango lachten. Es war ein freundliches, freundschaftliches Lachen, denn es wurde von Sila angesteckt.

„Du klingst als wärst du frisch verliebt, Sila“, scherzte Sango.

„Wenn man sich in den Frühling verlieben könnte, dann würde ich dir natürlich Recht geben, Sango-chan.“ Sila blickte die junge Tänzerin an. Die Tänzerin mit den goldenen, welligen Haaren, hatte Silas Herz im Sturm erobert. Früher kannten sie sich nur auf Grund ihrer Bilder, doch seit Sango ebenfalls tanzte, lernten sie sich als gute Freundinnen schätzen. „Außerdem bin ich einfach zufrieden so wie es zur Zeit ist. Es tut so gut, frei von dem Gedanken an irgendeinen Mann zu sein. Findest du nicht, dass es ein schöner Grund ist, sich zu freuen?“

Sila und Phie entging nicht wie sich die Wangen von Sango erröteten. Unbewusst hatte Sila ein Thema angesprochen, was sie zu beschäftigen schien. Wie gerne hätte Sila ihre Worte hinuntergeschluckt, aber das Lächeln von Sango weckte solch eine Neugierde in ihr, dass sie sich nicht mehr halten konnte.

„Und was ist mit DIR, Sango-chan?“

„Mit mir?“, stockte sie verlegen. „Was sollte mit mir sein? Ich mag auch den Frühling...“

„Gibt es nicht noch jemanden, den du gerne magst?“

Sila sah mit einem Lächeln, wie Sangos Augen größer wurden. Voller Scham hielt sie ihre Hände an die Wangen. Silas Grinsen zeigte eindeutig, dass sie diese Frage eigentlich nur rhetorisch gestellt hatte.

„Du bist gemein. Sowas fragt man doch nicht einfach so jemanden ins Gesicht!“, beschwerte sich Sango.

Sila lachte erneut. In ihrem Blick stand ein belustigtes Funkeln. „Wen soll ich denn sonst fragen? Dann bin ich lieber so direkt und frage dich selbst, bevor ich irgendwelche Dinge hinter deinem Rücken sage...“

Sango schätzte die Ehrlichkeit ihrer Freundin. Sie blickte Phie an und schaute wieder zu Sila.

„Ja! Wir sind Tanzpartner... Gestern Abend hat mich Shadow gefragt und ich habe 'Ja!' gesagt... Was ist denn schon dabei? Wir tanzen gut zusammen.“

Sila seufzte: „Oooch! Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen, Sango-chan! Ist es eine reine Tanzpartnerschaft oder ist da mehr?“

Nun bemerkte sie, wie Sango aufgab. Sie holte tief Luft, schaute jedoch etwas traurig.

„Es ist eine Tanzpartnerschaft... Ich weiß auch nicht ... Ich habe mich nicht getraut ihn zu fragen ob da nicht vielleicht ... na ja ... ob er nicht vielleicht auch eine andere Partnerschaft im Sinn hat.“

„Sango-chan! Wenn du Shadow magst und wenn du mehr möchtest, als nur seine Tanzpartnerin zu sein, dann solltest du deinen Mut zusammen nehmen und es ihm sagen! Wenn er nicht interessiert ist, dann weißt du wenigstens woran du bist. Falls doch, so hast du dir dann jede Menge Ärger und Herzschmerz erspart.“

„Hört, hört!“, meldete sich nun auch Phie zu Wort, „Da hat wohl jemand einiges dazugelernt?“

Sango bemerkte den Blick, den Sila und Phie austauschten.

„Es ist aber so schwer“, sagte sie leise.

„Glaube mir, ich weiß wie schwer das ist, Sango-chan. Aus eigener Erfahrung!“, sagte Sila, „Aber du machst es keinem leichter, wenn du den guten Shadow nicht einweihst...“

Aus Sangos Augen sprach nun neuer Mut, als sie antwortete: „Vielleicht hast du Recht! Ich hoffe ich werde dann auch noch genug Mut haben, wenn ich vor ihm stehe...“

„Auf in den Kampf!“, rief Sila fröhlich.

„Yeah! Ganz meine Meinung!“

Alle drei Frauen drehten sich zeitgleich um. Kiso stand grinsend hinter ihnen.

„Heeey! Brüderchen!!!“

Sila warf sich quietschend in seine Arme. Kiso hob eine Augenbraue an und schaute verwirrt zu Phie und Sango.

„Okay...“, sagte er vorsichtig, „Wer ist es?“

„Wer ist WAS?“

„In welchen Typen hast du dich verliebt, Sis?“

Phie und Sango seufzten. Sie brauchten sich die Szene nicht mit anzusehen, die auf Kisos Kommentar folgte. Sila stürzte sich mit roten Wangen auf ihren Bruder, Kiso tat so als würde er gar nicht wissen, aus welchem Grund er gejagt werden würde und so weiter. Phie und Sango ergriffen ihre Tanztaschen, winkten dem spielerisch zankendem Geschwisterpaar zu und gingen schon mal in die Umkleidekabinen voraus.
 

Es dauerte nicht lange, bis die vier Freunde die Tanzhallen unsicher machten. Silas gute Laune steckte alle an. Selbst Kiso „beschwerte“ sich nicht mehr darüber, dass seine Adoptivschwester solch eine Fröhlichkeit an den Tag legte. Erst als die Tür geöffnet wurde und Shadow sich zu den Tänzern gesellte, merkte er dass die Stimmung wechselte. Sango wurde stiller, sogar etwas nervöser. Kiso bemerkte wie sich Sila und Phie immer häufiger vielsagende Blicke zuwarfen.

'Frauen!', dachte Kiso, 'Immer wissen die mehr als ich!'

„Wohoooo! Ey Alter!“, rief er jedoch auf einmal aus, nachdem er die Daten seines Freundes im Kommunikationsgerät durchgesehen hatte. Er sah, wie Shadow und die Frauen ihn verwundert anblickten. Kiso ging auf Shadow zu und klopfte freundschaftlich auf seine Schulter.

„Warum erzählst du mir denn nicht, dass du und Sango Tanzpartner seit?“

Shadow und Sango wechselten einen Blick aus, wobei sich Phie im Stillen fragte wer von den Beiden verlegender aussah.

„Also ... weil ... Äh.“

„Jetzt hör auf zu stammeln und lass dich mal drücken! Eine feine Lady hast du dir da ausgesucht!“ Kiso ergriff eine Hand von Shadow und zog ihn kumpelhaft an sich heran um ihm erneut einen Klapps auf den Rücken zu versetzen.

„Ich wünsche euch eine gute Tanzpartnerschaft!“

„Danke Kumpel!“

„Ja, danke Kiso“, lächelte auch Sango.

Trotz Sangos Lächeln verliefen die darauf folgenden Tänze recht schweigsam. Sila fühlte die Spannung, wusste aber nicht wie sie eingreifen konnte, und beschloss daher, sich einfach auf die Tänze zu konzentrieren.

Es dauerte nicht lange, bis Sango bei ihrem „Okay“ für den nächsten Tanz zögerte. Alle Augen wurden auf sie gerichtet als sie schüchtern sagte: „Entschuldigt bitte. Ich bin heute nicht in der Stimmung zu tanzen...“

„Willst du heim?“, fragte Shadow.

„Ich denke schon...“

„Soll ich dich begleiten?“, schlug er höflich vor, „Mir ist heute auch nicht so sehr nach Tanzen zu mute.“

„Gerne.“ Sangsos Lächeln war aufrichtig. „Vielleicht könnten wir einen kleinen Umweg durch den Park machen? Ich könnte etwas frische Luft gebrauchen.“

„Ihr Wunsch ist mein Befehl.“ Shadow und Sango verabschiedeten sich von ihren Freunden und verließen die Tanzhalle.

Phie rückte näher zu Sila heran und flüsterte: „Meinst du, sie spricht es an?“

Sila blickte auf die Tür, aus der das Tanzpaar hinausgegangen war und zuckte nur mit der Schulter, „Ich weiß es nicht. Ich wünschte sie würde es klären.“ Lächelnd drehte sie sich zu Phie. „Ich wünsche niemandem so lange auf eine Enttäuschung warten zu müssen, wie ich es gemacht habe.“ Phies Blick wurde trauriger, doch Sila nickte ihr fröhlich zu. In ihrem Blick war kein Selbstmitleid zu sehen. „Ich bin darüber hinweg. Wir haben uns als Freunde verabschiedet und Sou hat mir geholfen die Sache mit Chuckie zu verarbeiten.“ Sie streckte sich ausgiebig. „Außerdem habe ich erst einmal genug davon Männern hinterher zu laufen! Es ist schön, sein Leben ohne Liebeskummer genießen zu können.“

Kiso, der die beiden Frauen beobachtet hatte, mischte sich mit ernster Mine ein: „Gibt es wirklich keinen, an den du denkst, Sis?“

„Hmm?“, verdutzt drehte sich Sila zu ihrem Bruder um und erforschte seinen Blick. „Wieso fragst du?“

„Nur so. Irgendwie kann ich es mir bei dir nicht vorstellen, dass es keinen Mann gibt, der dir etwas bedeutet.“

Sila lächelte, ging auf Kiso zu und hackte sich vergnügt in seinen Arm ein.

„DU bedeutest mir etwas!“

„Hallo? Ich bin dein Bruder!“

„Aber du bist auch ein Mann und auf deine Frage habe ich geantwortet. Die anderen Männer interessieren mich nicht.“ Sie streckte ihre Zunge heraus und lief wieder an ihren Platz hinter dem Spieleführerpult.

„Auch kein gewisser Koreaner?“, hörte sie Kiso sagen.

„Eh?“

„Ach komm! Du weißt wen ich meine!“ Kiso wurde etwas grimmig, weil sich Sila angeblich so unwissend stellte.

„Wen meinst du? Koreaner? Imôtos Koreaner???“

Phie kicherte, denn sie erkannte Kisos Andeutungen schon sehr lange. Irgendetwas führte er im Schilde, dass wusste sie.

„Doch nicht den Koreaner!!! Ich rede hier von deinem tanzenden Poeten!“

„MEIN tanzender Poet?“, rief Sila empört aus und betonte das erste Wort. „Wovon bitteschön sprichst du? Mich interessiert Sky nicht die Bohne!“

Silas Blick war eindeutig genervt. Schon wieder zeigte sich ihre Eigenschaft der schnell wechselnden Stimmung. Phie fühlte sich etwas fehl am Platz. Einerseits wollte sie die Wolke, die sich über Sila und Kiso ausbreitete, lichten, aber andererseits war sie der Überzeugung, dass es sie nichts anging. Also blieb sie an ihrem Platz stehen und entschloss sich das Geschehen einfach zu beobachten.

„Ach ja? Aber Asiaten ziehen dich doch magisch an. Er ist auch einer und du...“

„...und ich habe überhaupt gar kein Interesse an DIESEM Asiaten! Wer hat dir denn so etwas in den Kopf gesetzt?!“

„Ihr habt immer zusammen getanzt und ihr habt euch gut verstanden!“

„Er ist ein guter Tänzer, ja! Er mag Paartänze, so wie ich, ja! Aber nur weil er ein Asiat ist, heißt es doch noch lange nicht, dass ich ihm um den Hals fallen möchte!“ Silas Stimme wurde lauter. „Außerdem habe ich ihn nur in meine Freundesliste aufgenommen, weil IHR ihn alle so mochtet!“ Damit verschränkte sie ihre Arme vor der Brust und warf Kiso einen bitterbösen Blick zu. Er bereute schon fast das Thema angesprochen zu haben, doch sein Temperament war entfacht und auch er verschränkte seine Arme vor der Brust:

„Ach so. Und wenn dich dieser Sky nicht interessiert, warum regst du dich dann so darüber auf, dass ich einfach nur etwas vermutet habe?“

Sila riss ihren Mund auf um eine Antwort zu geben, doch ihre Argumente blieben aus. Sie schüttelte den Kopf und holte erneut Luft:

„Deine Vermutung war blöde! Ich bin zufrieden so wie es ist!“

„Aha. Und was machst du, wenn er sich in dich verlieben sollte?“

„Was erzählst du da für ein Blödsinn? Hast du Tomaten in den Ohren oder willst du mir heute jedes meiner Worte im Mund verdrehen?“, Sila knallte mit ihrer flachen Hand auf ihren Pult. Sie ging wütend um den Pult herum, baute sich vor Kiso in voller Größe auf und zischte:

„Außerdem kommt er nie wieder!“, ohne einen weiteren Blick auf ihn zu richten und ohne daran zu denken, dass auch Phie noch im Raum war, schritt sie zur Tür. Dann drehte sie sich noch einmal um und grinste triumphierend: „Und das ist auch gut so! Er soll in Korea bleiben und uns hier in Ruhe lassen!“
 

*** ** * ** ***
 

Als Philphlader mit ihren Vorlesungen und Aufgaben für den nächsten Tag fertig war, lief sie fröhlich den Gang zum Tanzraum, in denen ihre Freunde tanzten, entlang. Während sie darauf wartete, dass die Tür zum Raum freigegeben wurde, summte sie leise eine Melodie. Sie war zufrieden mit ihrer Entscheidung Sila die CDs nicht zu zeigen. Warum sollte sie Sila unnötig beunruhigen, indem sie ihr etwas zeigte, wovon sie noch nicht einmal selbst überzeugt war? Es war schon spät am Abend, aber sie freute sich wenigstens noch eine Stunde mit ihren Freunden zusammen tanzen zu können. Als die Tür freigegeben wurde und sie den Raum betrat, stutzte sie jedoch.

„Nanu?“, sie blickte sich verwundert um, als sie nur Kiso und Phie im Raum sah, „Wo sind denn die anderen?“

Phie begrüßte ihre Schwester mit einer Umarmung. Dann sagte sie sachlich:

„Sango und Shadow sind zu Zweit weggegangen. Sie wollten heute nicht mehr tanzen.“

„Und Neechan?“, Philphlader blickte auf ihre Uhr, „Normalerweise tanzt sie doch um diese Uhrzeit.“

„Tja ... Sila ist...“, Phie wollte den Satz auch sachlich weitergeben, aber Kiso beendete ihn für sie:

„Sila ist abgehauen. Ich habe sie geärgert!“

Philphlader blickte ihren Mann verdutzt an, weil sie nicht genau wusste, ob er scherzte oder nicht. Doch als sie Phies Seufzen wahrnahm, wusste sie, dass es stimmte.

„Warum hast du sie geärgert?“

„Das ist eine lange Geschichte...“

„Ich gehe sie suchen!“ Philphlader drehte sich auf der Stelle um, doch eine Hand hielt sie am Arm fest. Sie drehte sich um und sah Phie in die Augen.

„Mach dir keine Sorgen um sie. Sila und Kiso ärgern sich doch ständig. Er hat nur einen Nerv bei ihr getroffen. Sie wird sich sicherlich wieder beruhigen. So wie ich sie kenne, ist sie morgen wieder die Alte.“

Philphlader blickte besorgt zu ihrem Mann. „Ich hoffe nur es hat nichts mit Sky zu tun...“

Als sie Kisos finstere Mine sah, seufzte sie: „Ach Anata! Das führt doch zu nichts...“

„Ich weiß, ich weiß.“ Kiso klang wie ein kleiner Schuljunge, der bei einen von seinen Streichen erwischt wurde.

„Versprich mir bitte, dass du dich bei ihr entschuldigst, ja?“

„...Okay... Wenn's sein muss.“

„Es MUSS sein, Anata!“

„Ist ja schon gut! Wenn ich sie sehe, sage ich ihr, dass es mir leid tut! Können wir jetzt tanzen?“

Philphlader und Phie tauschten einen erleichterten Blick aus und schlossen sich Kiso an.
 

*** ** * ** ***
 

Als sie bemerkte, dass die Laternen im Park angezündet wurden, schaute Sila auf. Auf ihrem Schoß lag ein Roman, in dem sie so lange gelesen hatte, dass sie die Zeit ganz vergaß. Nachdem sie sich so kindisch angestellt hatte und die Tanzräume verlassen hatte, spürte sie nicht das Verlangen erneut zurück zu gehen um sich, gut möglich, weiter mit Kiso zu streiten. Sie wusste selbst nicht warum seine Bemerkung sie so verärgert hatte.

„Du dummes Mädchen!“, schalt sie sich laut. 'Du hast dich aufgeführt wie eine Grundschülerin!'

Das, was sie so verärgert hatte, war der Blick, den Kiso ihr zuwarf, als er Skyre erwähnte. Sila hatte es schon gemerkt, als Skyre noch vor einigen Monaten zu Besuch war. Irgendetwas an seinem Blick, an seiner Art Sila in ein besseres Licht zu stellen, hatte sie von Anfang an verärgert. Sie wusste nicht genau warum er es tat, doch gefiel ihr nicht, dass er sich in ihre Angelegenheiten einzumischen versuchte. Sie war alt genug um sich mit der Person anzufreunden, mit der sie sich anfreunden wollte. Skyre war ein sehr lieber Mensch und ein ausgezeichneter Tänzer. Sie schätzte ihn eindeutig mehr, als zu Beginn und doch spürte sie, wie sie ihm gegenüber eine Mauer aufbaute. Sie befürchtete, dass es tatsächlich etwas damit zu tun hatte, dass Asiaten eine Anziehungskraft auf sie ausübten.

Sila blickte sich im Park um. Sie hatte gar nicht bemerkt wie leer der Park geworden war. Normalerweise hatte sie kein Problem damit, alleine zu der Uhrzeit unterwegs zu sein, doch heute lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Es war eindeutig klüger, wenn sie in ihr Apartment zurückkehren würde, beschloss sie. Sie nahm ihr Buch, steckte das selbstgemachte Lesezeichen an die zuletzt gelesene Stelle und stand auf, um sich auf den Heimweg zu machen.
 

Als sie ein Knacken hinter sich hörte fuhr sie aufgeschreckt herum. Dabei fiel ihr Buch auf den Boden. Erschrocken beugte sie sich hinunter um es aufzuheben. Doch bevor sie das Buch erreichen konnte, bemerkte Sila eine große Hand, die schneller war als sie. Blitzartig zog sie ihre Hand zurück und blickte die Gestalt an, die nun mit ihrem Buch in den Händen vor ihr stand. Ihr Gesicht verlor jegliche Farbe, als sie ihrem Gegenüber in die Augen blickte...
 

Ende Kapitel 19:

~ Die Stimme des Frühlings ~

~ Der Mann mit den zwei Gesichtern ~

Ohne ein Wort zu sagen, stand Sila an der Stelle, an der sie sich wieder aufgerichtet hatte und starrte ihr Gegenüber an.

„Oh bitte! Ich wollte dich nicht erschrecken... Aber... Sila! Jetzt bin ich selbst überrascht!“, hörte sie eine bekannte Stimme zu ihr sagen.

Silas Augen wurden ganz groß. Würde ein Geist vor ihr stehen, so könnte sie nicht erschrockener sein.

„Sky...“ Sie hauchte den Namen eher als sie ihn aussprach und schaute zu ihm hinauf, als würde sie alles nur träumen. Zu erst dachte Sila, er wäre ein Fremder, denn die Laterne warf mehr Schatten auf sein Gesicht als Licht.

„Du ... du trägst ja deine Haare ganz anders...“, war das Einzige, was sie in dieser Situation über ihre Lippen bringen konnte. Fragen flogen in ihren Gedanken kreuz und quer, doch der Kloß in ihrem Hals ließ keine der Fragen hinaus. Etwas verlegen berührte Skyre mit einer Hand seine Haare. Er trug sie nun kürzer und wirkte damit irgendwie etwas älter, männlicher.

„Ach das ist nichts! Es war wohl nur ein schwacher Versuch meine Situation auf der Arbeit positiv zu beeinflussen...“

Sila zog verwirrt ihre Augenbrauen zusammen. Nun verstand sie gar nichts mehr.

„Was haben denn deine Haare mit deiner Arbeit zu tun?“, fragte sie vorsichtig. Er hatte ihre Neugierde geweckt. Doch statt eines Lächelns, wie sie es von ihm gewohnt war, legte sich ein Schatten auf sein Gesicht. Irgendetwas schien nicht in Ordnung zu sein.

„Ich wollte nicht unhöflich sein... Ich dachte nur... Naja, du warst nicht sehr lange in Korea...“

„Als ich zurückkehrte, dachte ich, ich könnte alles wieder in Ordnung bringen, aber es wurde nur noch schlimmer.“ Skyre gab ihr das Buch zurück, das er aufgehoben hatte. Als Sila jedoch merkte, dass er nicht in der Stimmung war noch weiter zu reden, versuchte sie ein anderes Thema anzuschneiden.

Doch Skyre kam ihr zuvor:

„Ich hätte nie gedacht, dass noch jemand um diese Zeit durch den Park geht und dann treffe ich ausgerechnet dich! Bist du auf dem Weg zu den Apartments?“

„Ja!“, sagte Sila, „Ich wollte gerade heim gehen und du?“

„Ich bin auch auf dem Weg dort hin. Man hatte zwar leider nicht mehr mein altes Apartment für mich, aber das Neue ist auch nicht so weit davon entfernt... Darf ich dich begleiten?“

Sila nickte und beide machten sich auf den Weg in Richtung Internatsapartment, wobei sie jedoch schweigsam nebeneinander gingen. Das Schweigen war Sila fürchterlich unangenehm, so versuchte sie wenigstens irgendetwas zu fragen:

„Du bleibst also wieder für ein paar Tage?“

Stille. Sila schaute zu ihm auf und erkannte sein ernstes Gesicht. Er schien tief in Gedanken zu sein und Sila bemerkte wie ihr langsam die Ideen ausgingen.

„Ich weiß nicht wie lange ich bleiben werde, Sila, ich...“

So hatte sie ihn noch nie zuvor erlebt und es schien als hätte Skyre eine schwere Bürde mitgebracht. Er sah so durcheinander aus, dass sich Sila nicht einmal mehr traute noch irgendetwas weiter zu fragen.

„Ich brauchte Abstand zu allem! Abstand vor meinem Alltag und auch Abstand von allen meinen Verpflichtungen... Hier fühle ich mich frei. Es ist als könnte ich endlich durch atmen.“

Skyre sprach über Dinge, die für Sila überhaupt keinen Sinn zu haben schienen, denn sie musste sich selbst eingestehen, dass sie über ihn so gut wie nichts wusste. Es war schon merkwürdig; Nur wenige Stunden zuvor noch, hatte sie sich so sehr mit Kiso über Skyre gestritten, dass sie das Weite gesucht hatte. Das Letzte, was sie an diesem Tag wollte, war auch noch Skyre leibhaftig zu begegnen. So etwas hätte sie sich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen vorzustellen vermocht, doch plötzlich stand er wie aus dem Nichts vor ihr und benahm sich wie ein anderer Mensch. Am Nachmittag verspürte sie noch Wut darüber, dass sie sich wegen Skyre mit Kiso gestritten hatte, doch nun, als sie ihn vor sich stehen sah, zerfloss ihr Herz vor Mitleid zu ihm. Kein Mann mochte es, bemitleidet zu werden, dass wusste Sila, doch es tat ihr weh, den fröhlichen und energiegeladenen Tänzer in solch einem Zustand zu sehen. Seine ganze Haltung zeigte wie verzweifelt er sein musste. Sonst hatte er einen aufrechten Gang, sein Blick hatte ein gewisses Funkeln, gerade wenn er zu einer Melodie summte, oder zu einem Lied tanzte, das er gerne mochte oder wenn er irgendwelche poetischen Dinge von sich gab. Der Skyre, der nun vor ihr stand, ließ seine Schultern hängen und das Leuchten in den Augen war gar nicht mehr erkennbar.

„Da sind wir“, sagte sie leise, als sie nur noch wenige Schritte vor ihrem Haupteingang standen.

Skyre blickte verwundert auf, als hätte er gar nicht gemerkt, dass er bereits 20 Minuten lang neben Sila gegangen war.

„Danke, dass du mich begleitet hast.“ Ein leichtes Lächeln huschte über ihre Lippen.

Skyre schüttelte nur traurig den Kopf. „So habe ich mir unser Wiedersehen gar nicht vorgestellt. Entschuldige bitte meine bedrückte Stimmung. Wenn ich etwas Schlaf abbekomme, kann ich es sicherlich besser im Griff haben. Außerdem...“, er bemerkte den Wachmann, der vor dem Haupteingang seine Pflicht tat und atmete erleichtert auf, „Außerdem ist dies nicht die rechte Zeit für eine Frau, um alleine durch den dunklen Park zu gehen... Schon gar nicht wenn sie so hübsch ist wie du.“

Verwunderung stand in ihrem Blick geschrieben, als Sila zu Skyre hinauf schaute. In Gedanken versuchte sie sein Lob irgendwie einzuordnen, doch sie tat alle Möglichkeiten ab, in der Meinung, dass er einfach nur etwas nettes sagen wollte und beschloss so, seine Bemerkung einfach zu ignorieren.

„Ich wünsche dir eine gute Nachtruhe“, sagte sie stattdessen und verbeugte sich. Ein Nicken war ihre Antwort und so drehte sie sich um und ging einige Schritte in Richtung Haupteingang, wo sie auch dem Wachmann ein freundliches Nicken schenkte. Erst als sie stehen blieb und sich erneut zu Skyre umdrehte, bemerkte sie, dass er immer noch an seinem Platz stand und ihr nachschaute. Fragend zog er die Augenbrauen hoch, als er bemerkte, dass Sila Luft holte um etwas zu sagen.

„Ich hoffe, dass du hier bei uns das findest, was du suchst...“, sagte sie ehrlich und lächelte. „Willkommen zurück!“

Ihren Dank für die aufrichtigen Worte erhielt Sila nun in dem Lächeln, dass sie von Skyre noch so gut in Erinnerung hatte. Er brauchte nichts zu sagen, denn sein Lächeln genügte Sila. So drehte sie sich um und betrat die Lobby der Apartments. Erst als sie in ihrem Apartment angekommen war, sich ihren Pyjama anzog und sich im Badezimmer die Zähne putzte, bemerkte Sila wie erschöpft sie war. Sie hatte in den letzten Wochen eindeutig zu viel getanzt und sich zu wenig geschont. Ihr Arzt hatte sie gewarnt und ihr das Versprechen abgenommen sich nicht gleich wieder auf ihrem gewohnten Niveau zu verausgaben. Die Schwäche, die ihren Körper nun durchdrang, war eindeutig ein Zeichen dafür, dass sie sich nicht an das Versprechen gehalten hatte und Sila war wieder erneut gezwungen die Intensität ihres täglichen Trainings zurück zu stellen, um sich mehr Ruhe und Pausen zu gönnen. Während sie das Licht in ihrem Schlafzimmer ausschaltete, sich in ihre warme Decke kuschelte und sich schlaftrunken fragte, ob dieser merkwürdige Tag nicht einfach nur ein Erzeugnis ihrer wirren Fantasie war, ahnte sie nicht, dass ein einsamer Mann seinen Blick erst vom Fenster nahm, als das Licht nicht mehr schien. Erleichtert drehte sich Skyre in die Richtung der Apartments für männliche Tänzer um und machte sich, tief in Gedanken versunken, auf den Weg zu seinem neuen Apartment. Erst in diesem Augenblick wurde ihm klar, wie dringend er die Auszeit brauchte und wie nahe er dran war in eine bodenlose Depression zu fallen.
 

*** ** * ** ***
 

„Es tut mir leid, Sis, dass ich dich gestern wieder gereizt habe...“

Staunend stand Sila vor ihrem Adoptivbruder und hörte sich seine Entschuldigung an. Phie, Philphlader und Sango waren ebenfalls anwesend und lächelten sie freundlich an. Als Sila noch vor wenigen Minuten vor der Tür zum Vorbereitungssaal stand und sich fragte, wie Kiso wohl auf sie reagieren würde, hätte sie niemals damit gerechnet, dass er sofort auf sie zustürmen würde um sich vor allen anderen bei ihr zu entschuldigen. Beschämt über seine Initiative, verbeugte sie sich und erwiderte mit leicht geröteten Wangen:

„Nicht doch! Ich hätte nicht gleich so an die Decke gehen sollen! Ich habe mich wie ein kleines Mädchen verhalten, als ich weggelaufen bin.“

Kiso grinste, denn er war auch froh, dass die Sache so schnell bereinigt werden konnte.

„Nun“, sagte er und nahm seine Schwester in den Arm, „für mich wirst du wohl trotzdem mein kleines Mädchen bleiben!“

Sila hörte nur wie ihre Freundinnen kicherten. Normalerweise würde sie auf seine Neckerei eingehen, aber ihr tat Kisos Wärme an diesem Tag gut und sie verweilte einen Augenblick in seiner Umarmung. Kiso, der mit ihr gemeinsam aufgewachsen war, und sie besser kannte, als jeder andere, bemerkte sofort, dass sich Sila an diesem Tag anders verhielt. Vorsichtig ließ er sie los und beobachtete ihre Gesichtszüge aufmerksam.

„Du wirkst etwas abgespannt, Sis!“, stellte er fest, „Hast du dich nicht vielleicht doch etwas zu sehr beim Tanzen angestrengt?“

Sila nickte nur. „Das denke ich auch. Ich fürchte ich muss wieder mehr Pausen einlegen...“

„Neechan!“, klang es von der Seite als Philphlader auf Sila zueilte. „Du musst uns doch sagen, wenn wir zu wenig Pausen machen...“

„Mach dir keine Gedanken“, lächelte Sila, „Ich bin alt genug um selbst auf mich aufzupassen... Ich habe es nur übertrieben, dass ist alles.“

Phie und Sango traten hinzu und Phie wechselte das Thema. „Hast du gestern deine Zeit noch sinnvoll nutzen können?“

Über Phies Talent Themen, die für eine Gesprächsperson unangenehm wurden, zu umgehen, indem sie gezielte Fragen zu einem anderen Thema stellte, wunderte Sila sich schon seit sie Phie begegnete. Lächelnd antwortete sie:

„Ich bin in den Park gegangen. Es war doch so schönes Wetter und da habe ich beschlossen meinen Roman weiter zu lesen.“ Sie klopfte sich auf ihre Trainingstasche und lächelte. „Ich nehme es zwar immer mit, aber ich habe schon lange nicht mehr weiter gelesen.“

In demselben Augenblick fiel ihr etwas ein und sie stellte sich neugierig neben Sango.

„Und wie hast du gestern deinen Tag verbracht, Sango-chan?“

„Du bist auch gar nicht neugierig?!“, gab Sango zurück.

„Nur weil du dir immer alles aus der Nase ziehen lässt!“

Sango seufzte und gab sich geschlagen. Zudem war sie sich bewusst, dass ihre Ausstrahlung sie mit Sicherheit vor Sila verraten würde.

„Shadow und ich sind spazieren gegangen...“

„Und?“

„Und dann hat er mich heim gebracht...“

„Uuunnd?“

„Och man, Sila! Du bist ja manchmal ungeduldiger als deine Imôto!“

„Eh?“, Sila blickte zu Philphlader und dann auf Phie, die beide grinsend vor ihr standen. Sogar Kiso schien eingeweiht worden zu sein.

„Das kommt nur daher, dass ich anscheinend immer die Letzte bin, die irgendetwas mitbekommt!“, schmollte Sila. Sango schmunzelte und schien es zu genießen endlich auch einmal die Möglichkeit zu haben Sila auf die Folter zu spannen. Sie erinnerte sich zu gut daran, dass es sonst eher umgekehrt war.

„Keine Sorge, ich sage es dir ja!“, berichtete sie weiter, „Ich weiß auch nicht warum, aber ich habe ihn auf eine Tasse Tee bei mir eingeladen.“

Silas Augen wurden groß. „Männlicher Besuch im Apartment?“

„Es war Nachmittag, da ist das kein Verbrechen“, rollte Sango mit den Augen. „Außerdem haben wir uns nur bei einer Tasse Tee unterhalten!“

Da Sila befürchtete, Sango würde nicht mehr weiter erzählen, wenn sie sich weiterhin einmischen würde, schaute sie sie nur mit erwartungsvollem Blick an.

„Und irgendwann musste ich daran denken, was du mir gesagt hast... Dass es keinem etwas bringt, wenn man nicht ausspricht, was einen bewegt. Also“, Sango holte tief Luft, „habe ich allen Mut zusammengenommen und ihn gefragt wie er unsere Partnerschaft sieht.“

Sila nickte ihr nur mit großen Augen zu, doch als sie Sangos rote Wangen sah, erhellte ein Lächeln ihr Gesicht.

„Er war so schüchtern und hat kaum ein Wort herausgebracht.“, schmunzelte Sango, „aber dann hat er mir gestanden, dass er mich auch gerne als Partnerin kennen lernen würde...“

„Und jetzt?“, konnte sich Sila nicht mehr zurückhalten.

„Und jetzt sind wir nicht nur Tanzpartner, sondern auch ein verliebtes Pärchen.“

Strahlend und voller Freude für ihre Freundin, umarmte Sila ihre Freundin und quietschte dabei auf ihre typische Art.

„Aber warum bist du denn jetzt alleine hier? Wo ist der Held des Tages?“, wollte Sila wissen.

„Er bringt Shizumi zu den Eltern, sie hat sich in ihrer Heimatstadt an einem Zeichenkurs angemeldet.“

„Eh? Und ich weiß nichts davon?“

„Sie musste sich sehr kurzfristig entscheiden, weil ein Platz frei geworden ist.“

„Gestern war sie hier, um sich für ein paar Wochen zu verabschieden, aber wir konnten dich nicht erreichen...“, warf nun Philphlader ein.

„Oh“, bemerkte Sila, „Ich hatte mein Kommunikationsgerät ausgeschaltet... Schade... Ich hätte mich gerne verabschiedet...“

„Ach, Kopf hoch, Neechan! Sie kommt ja wieder!“

„Oh ... Äh! Apropos Wiederkommen...“, sagte Sila leise und wunderte sich selbst, dass sie das Thema angesprochen hatte. Als sie die verwunderten Blicke ihrer Freunde spürte, wurde sie noch verlegener.

„Gestern Abend, also wenn ich das nicht alles geträumt habe, habe ich auch jemanden getroffen der wieder gekommen ist...“

Alle Anwesenden tauschten verdutzte Blicke unter sich aus, doch Sila nahm gerade noch wahr, wie Kisos Kopf in die Höhe schreckte und sein Gesichtsausdruck ärgerlich wurde als er ernst fragte: „Wer ist zurück gekommen? Doch nicht etwa einer deiner 'guten Bekannten'?“

Die Art wie Kiso die letzten beiden Worte aussprach, ließ Sila erkennen, dass er entweder von Chuckie oder von Soujirou sprach. Sie schüttelte beschwichtigend mit dem Kopf, denn sie wollte nicht schon wieder einen Streit mit ihrem Bruder riskieren.

„Nein, nein! Es war eher ein neuer Bekannter... Also wenn ich nicht völlig durch den Wind bin, dann habe ich gestern Sky gesehen.“

„Sky?!“, klang es synchron von allen. Kiso, Phie und Sango blickten Sila verwundert an, doch Philphladers Reaktion hinterließ ein ungutes Gefühl bei Sila, denn kaum hatte sie Skyre erwähnt, schien Philphlader zu erstarren.

„Er ist wieder da?“, fragte Sango aufgeregt. Man sah ihr an, dass sie den Koreaner gerne hatte.

„Wie kann Sky wieder da sein, wenn du gerade gestern noch behauptet hast, dass er nie wieder kommen würde?“, hörte sie Kiso sagen, der nun mit verschränkten Armen vor ihr stand. Schon wieder fühlte sich Sila in die Ecke gedrängt, doch sie wollte nicht erneut riskieren, dass sie von jedem missverstanden wurde.

„Um ehrlich zu sein, hat er immer davon gesprochen, dass er auf jeden Fall wieder kommen wollte...“, sagte sie und bemühte sich völlig gleichgültig zu klingen, „Ich habe es ihm aber einfach nicht geglaubt! Wisst ihr? Es ist mir wirklich egal ob er in Korea oder hier ist! Ich muss mich nicht unbedingt mit noch jemandem anfreunden!“ Kaum hatte Sila die Worte gesagt, welche sie auch so gemeint hatte, taten sie ihr dennoch leid. Es war ziemlich unfreundlich von ihr, Skyre noch nicht einmal die Chance zu geben ein Freund von ihr werden zu können. Sie hatte ihn gleich in eine Schublade gesteckt und weigerte sich partout ihn dort herauszuholen. Zudem hatte sie immer noch seinen Gesichtsausdruck vor ihr, als er so nachdenklich und mit seinen Gedanken so weit weg zu sein schien.

Ihre Freunde merkten ihren traurigen Blick und selbst Kiso war so verwundert über Silas Reaktion, dass er die bissige Bemerkung, die er auf der Zunge hatte, hinunterschluckte.

„Aber ...“, versuchte Sila auch ihre anderen Gedanken ans Licht zu bringen, „Aber gestern war er nicht er selbst ... Er war so seltsam!“

„Wie meinst du das, Neechan? Hat er dir was getan?“ Philphladers Augen wurden größer. Kiso legte seinen Arm um seine Frau. „Jetzt spielt dir aber deine Fantasie einen Streich, Anata.“

„Ach was, nein!“, beruhigte Sila ihre Freundin, „Er hat mich sogar nach hause begleitet. Es war was anderes... Irgendwie habe ich den Eindruck, dass er auf der Flucht war.“

„Auf der Flucht?“

Sila zuckte mit der Schulter. Sie konnte einfach nicht ausdrücken was sie sagen wollte.

„Auf der Flucht vor seinem Leben in Korea... Er hat eigentlich kaum etwas gesagt, was einen Sinn ergab, aber er sah sehr bedrückt aus...“

„Sky und bedrückt? Kann ich mir gar nicht vorstellen bei ihm“, wunderte sich Sango, „Sonst ist er immer total fröhlich und summt beim Tanzen die Melodie mit und so...“

„Ich hab auch keine Ahnung“, versuchte Sila mit dem Thema abzuschließen, „Vielleicht habe ich das alles ja auch nur geträumt!“

Sie bemerkte dass der Platz hinter dem Spieleführerpult frei war und nahm ihren gewohnten Platz dahinter ein.

„So! Wer etwas tanzen möchte, der stellt sich jetzt auf seinen Platz!“

„Oh, die Leiterin hat gesprochen“, rief Phie freundlich und folgte aufs Wort. Kiso, Philphlader und Sango stellten sich ebenfalls an die vorgesehenen Plätze. Es war offensichtlich, dass niemand wusste, was man zu dem sagen konnte, was Sila erzählt hatte und selbst Kiso fragte sich ernsthaft ob seine Schwester das Erzählte nicht doch geträumt haben musste.

„Aber du denkst dran, dass du dich schonen musst, Neechan?“, fragte Philphlader Sila besorgt, bevor sie ihr „Okay!“ zum Tanzen gab. Sila zwinkerte ihr zu und zeigte auf den Monitor.

„Schau! Ich habe heute mal leichte Lieder ausgesucht und die Geschwindigkeit ist wirklich einfach. Wenn ich mich dabei verausgaben sollte, dann brauche ich erst gar nicht mehr zu tanzen.“

Philphlader und die anderen waren erleichtert und einverstanden. Wieder einmal merkte Sila, was den inneren Freundeskreis ausmachte; Alle passten sich den Fähigkeiten oder der Geschwindigkeit der Schwächsten der Gruppe an. Sie lächelte und wählte das Lieblingslied des inneren Freundeskreises: „Take a look“.
 

Nach guten 2 Stunden Tanztraining, war es Zeit zu Mittag zu essen. Sila war es mehr als Recht, denn ihr tat eine längere Pause gut.

„Wie sieht es bei euch aus?“, wollte Sango wissen, „Ich hätte richtig Lust heute in der Kantine zu essen. Wer kommt mit?“

„Wiii! Ich bin dabei!“, jubelte Sila. „Habe heute einfach keine Lust gehabt mir eine anständige Lunchbox zu machen.“

„Gut, einverstanden! Ich komme gerne mit euch“, nickte Phie höflich.

Philphlader nickte ebenfalls und suchte Kisos Antwort. Dieser seufzte künstlich und sprach: „Ich ergebe mich. Also! Ich habe eine tolle Luchbox und brauch gar nicht in die Kantine zu gehen, aber wenn ihr alle hin wollt, dann muss ich mein Essen eben wieder rein schmuggeln...“

„Ach was. Niemand wird sich beschweren. Außerdem ist es eh nur ein Gerücht, dass man kein Essen in die Kantine nehmen darf!“, stellte Sila klar. Phie half ihr das Führerpult ordnungsgemäß herunterzufahren und den Raum für die nächsten Tänzer vorzubereiten.

Der Weg zur Internatskantine dauerte gerade mal 5 Minuten, denn die Kantine war, neben der Lobby, im Zentrum der Internatsgebäude errichtet worden. Gerade zur Mittagszeit waren dort recht viele Tänzer anzutreffen, so dass reger Betrieb in der großen Kantine herrschte. Obwohl das Tanzinternat „AuditionEU“ zu den kleineren Internaten gehörte, spürte man auch dort, dass immer mehr Andrang herrschte. Dies konnte man besonders gut an der 2. Etage der Kantine erkennen, denn obwohl in beiden Stockwerken die gleichen Farben und Accessoires verwendet wurden, konnte man noch gut den Neubau von dem Altbau unterscheiden. Als Sila auf das Internat kam, bestand die große Kantine aus nur einer Etage.

„Ich gehe schon rauf und suche uns einen Tisch!“, hörten die Tänzerinnen Kiso rufen, während sie sich dem Buffet zuwandten. Kiso schritt eine der beiden breiten Treppen zur 2. Etage hinauf. Er war zufrieden mit seiner Wahl, denn wie immer waren oben viel weniger Leute anwesend und der Geräuschpegel war durchaus erträglich. Seit die 2. Etage eingeweiht wurde, tummelten sich dort eher die Neulinge des Internats. Es lag meist daran, dass Tänzer, die das Internat schon wesentlich länger besuchten, ihre eigenen Stammtische hatten. Obwohl jeder sich setzen konnte, wo er wollte, waren diese Stammtische immer von den gleichen Tänzern und Gruppen besetzt. Es konnte natürlich auch sein, dass die meisten Tänzer einfach zu faul waren die Treppe zu nehmen. Kiso war es nur recht, denn er mochte es sein Essen in Ruhe einnehmen zu können, oder einfach in Ruhe den Ausblick auf die Internatsgebäude und die Außenanlagen zu genießen. Zudem konnte Kiso das Gehabe der „besseren“ Tänzer nicht ertragen. Deren Gesprächsstoff ging selten über die eigenen Rekorde oder Rivalitäten hinaus. Solche Dinge forderten Kisos Zorn heraus. Er erinnerte sich, dass er sich, bevor er Philphladers Gunst gewonnen hatte, immer wieder mit solchen möchtegern Tänzern anlegte. Meistens endeten solche Debatten in einem Tanzsaal und ziemlich unfreundlichen Worten.

„So sehr in Gedanken versunken, mein lieber Schwager?“, hörte er Phie neben sich sagen. Er blicke zu ihr herauf und musste über seine Tagträumerei schmunzeln.

„Du erwischt mich einfach immer wieder in solchen Situationen. Wenn ich es nicht besser wüsste“, sagte er lächelnd und bot ihr einen Platz ihm gegenüber an, „dann würde ich meinen, du wartest nur darauf mich dabei zu ertappen.“

Phie setzte sich mit ihrem Essenstablett Kiso gegenüber und lächelte freundlich, während sie sich eine Serviette auf den Schoß faltete. Sie mochte seine Art sehr gerne, auch wenn er manchmal etwas zu weit ging, mit seiner Neckerei.

„Wo ist denn der Rest?“, fragte er und hielt nach Philphlader, Sango und Sila Ausschau.

„Sango wollte unbedingt warmen Reis haben. Sie hat sich mit Mimi angestellt um darauf zu warten und Sila habe ich aus den Augen verloren. Ich glaube sie wollte sich eine heiße Schokolade holen.“

Gerade als Phie sich ihre Teller passend zurecht gestellt hatte, wie sie es immer zu tun pflegte, gesellten sich Philphlader und Sango an den großen Tisch, den Kiso für die Gruppe ausgesucht hatte.

„Wo ist denn Neechan?“, wunderte sich Philphlader, während sie sich neben ihren Mann setzte.

„Da hinten ist sie! Sie hat die andere Treppe genommen!“, rief Sango und zeigte in Silas Richtung. Doch anstatt sich ihrem Essen zuzuwenden, stutzte sie und tippte Phie an, die ihre Tischnachbarin war. Ohne ihren Blick von dem Mann zu wenden, der ihr Interesse auf sich gelenkt hatte, sagte sie zu Phie: „Kommt der Typ dir nicht auch bekannt vor?“

Phie blickte auf, um Sangos Blick zu folgen. Auch Philphlader und Kiso wurden neugierig und schauten ebenfalls in die Ecke, neben der großen Treppe, welche Sila in dem Moment hinauf stieg. Sie sahen einen großen, schwarzhaarigen Mann, der gerade dabei war, sein leeres Tablett in den Geschirrwagen zu räumen. Da er jedoch mit dem Rücken zu ihnen stand, warteten die Freunde bis er sich umdrehen würde. Gerade als sich der Tänzer umdrehen wollte, geriet er ins Schleudern weil er eine Pfütze, die sich unter dem Getränkewagen gebildet hatte, übersehen hatte. Kiso wollte gerade noch Sila laut zurufen, dass sie sich nicht bewegen sollte, da krachte es auch schon lautstark vor der Treppe. Alle Anwesenden, die diese Ecke von ihren Plätzen aus sehen konnten, hielten erschrocken inne und wandten sich um, um zu sehen was geschehen war. Sila hatte noch versucht ihr Tablett zu retten, als sie spürte wie jemand sie mit voller Wucht gegen die Seite rammte, doch es war ihr nicht gelungen. So purzelte ihr Geschirr mitsamt dem Essen auf den Boden und verursachte einen gewaltigen Lärm. Zu allem Überfluss wurde auch sie von der Wucht des Aufpralls mitgerissen und fand sich mit ihrem Hintern auf dem Boden wieder. Benommen und mit glühenden Wangen, weil sie genau wusste, dass alle Blicke nun unfreiwillig auf sie gerichtet sein mussten, bemerkte sie erst gar nicht, dass eine Person sich neben sie gehockt hatte und dabei war den Schaden zu inspizieren.

„Es tut mir schrecklich leid! Ich bin eben in der Pfütze ausgerutscht und konnte mich nicht mehr halten“, hörte sie eine bekannte Stimme verlegen sagen. Der Tänzer hatte sie noch nicht einmal angesehen, doch sie wusste genau wer es war.

„Sky?!“, rief sie erschrocken.

Skyre hielt beim Zusammensuchen der Scherben inne und wandte seinen Blick ruckartig Sila zu.

„Das gibt es doch nicht!“, war das Einzige was er ihr gegenüber herausbringen konnte. Er sprang auf und reichte Sila die Hand. Beim Aufstehen biss sie die Zähne zusammen, als sie einen stechenden Schmerz am Steißbein spürte, auf dem sie unglücklicherweise gelandet war.

„Ich bin untröstlich, Sila! Wie kann ich das nur wieder gut machen?“, fragte er voller Bedauern, als er sah, wie sie sich die wunde Stelle rieb. Doch Sila hatte nicht mehr die Gelegenheit Skyre eine Antwort darauf zu geben, denn sie hörte schon wie ihre Freunde zu den beiden Unglücksraben eilten.

„Es ist tatsächlich wahr! Sky ist wieder da!“, rief Sango fröhlich aus und begrüßte ihn stürmisch. Während Phie und Philphlader sich bei Sila nach ihrem Wohlergehen erkundigten, grüßte auch Kiso den Neuankömmling grinsend. Nachdem auch Phie und Philphlader Skyre gegrüßt hatten, halfen alle erst einmal den Schaden zu beheben. Sango eilte um einen Aufnehmer zu organisieren, Phie und Philphlader besorgten einen Besen und Handfeger, während Kiso und Skyre sich um die Scherben kümmerten. Sila stand nur Abseits und konnte die Szene beobachten. Nachdem alles wieder sauber war, bestand Skyre darauf Sila das Essen zu ersetzen. Nach mehreren Entschuldigungen und einem neuen Essen saßen die Freunde nun endlich am Tisch und genossen, bis auf Skyre, der schon fertig war, ihr Essen. Sila nahm das Essen fast schweigend ein, während Kiso, Sango und Phie fröhlich mit dem unerwarteten Tischnachbarn sprachen. Nur Philphlader war ähnlich schweigsam wie Sila. Sila bemerkte, dass Philphlader immer wieder verstohlene Blicke zu Skyre hinüber warf, so, als müsste sie irgendetwas in ihren Gedanken bestätigen. Dieses Verhalten Skyre gegenüber machte Sila neugierig, aber sie wollte es nicht ansprechen, wenn andere dabei waren. Doch eine Sache weckte Silas Neugierde noch mehr als alles andere; Es war Skyre selbst. Genau so wie er da saß und fröhlich mit ihren Freunden redete und mit seinen Armen und Händen gestikulierte, genau so kannte sie Skyre. Der Skyre, dem sie am Vorabend begegnete, war ihr mehr als fremd. Sila stocherte lustlos im Essen herum, während sich ihre Gedanken immer wieder um den niedergeschlagenen Skyre drehten. Lag sie so falsch? War Skyre vielleicht einfach nur erschöpft von dem langen Flug? Oder war alles doch nur ein Traum?

„Neechan? Du hast ja kaum dein Essen angerührt“, hörte sie Philphlader besorgt sagen. Als sie aufschaute, bemerkte sie, dass alle Blicke auf sie gerichtet waren. Röte stieg in ihr auf, denn sie konnte noch nie gut damit klar kommen, wenn man so auf sie achtete. Skyre, der ihr gegenüber Platz genommen hatte, blickte sie besorgt an. „Es war alles meine Schuld! Wegen mir bist du auf das Steißbein gefallen...“

„Ach! Ist doch schon gut“, gab Sila zurück, „Du hast dich schon mehr als genug entschuldigt. Es war ein blöder Zufall, mehr nicht!“ Ihre Blicke trafen sich, doch Sila fand nichts, nicht einmal annähernd den Blick, den sie am Vorabend bei Skyre hatte sehen können.

'Und doch weiß ich, dass es genau so war, wie ich es in Erinnerung habe!', machte sie sich in Gedanken bewusst, während sie es aufgab den Teller leer zu bekommen. So legte sie ihr Besteck und die benutzte Serviette auf den Teller und schob ihn zur Tischmitte. Sie warf erneut einen flüchtigen Blick auf Skyre, der sich in einem heiteren Gespräch mit Sango befand.

'Deine neue Frisur hat dich verraten!', dachte sie, 'Was auch immer du verbirgst, Skyre, ich muss zugeben, dass du ein hervorragender Schauspieler bist!'
 

*** ** * ** ***
 

Mittlerweile glaubte jeder, dass Silas Bericht über den niedergeschlagenen Skyre nur ihrer Fantasie entsprang. Sila hatte auch nicht das Bedürfnis darauf zu bestehen, dass es sich genau so zugetragen hatte, wie an jenem Abend vor gut 8 Tagen, als sie ihm im Dunklen begegnete. Es war eindeutig für sie, dass Skyre irgendetwas verheimlichen wollte, denn sie beobachtete ihn schon seit er sie in der Kantine umgeworfen hatte, und sie konnte keine Veränderung in seinem Verhalten erkennen. Skyre redete, lachte, summte, dichtete und tanzte, genau so, wie er es bei seinem letzten Aufenthalt auf dem Internat getan hatte. Sila zuckte bei den Gedanken mit der Schulter, denn sie hatte eindeutig besseres zu tun, als sich über die Probleme von anderen Gedanken zu machen.

„Wie fühlst du dich, Neechan?“ Philphlader hatte sich zu ihr in den Zuschauerbereich gesetzt. Während Phie, Kiso, Sango und Shadow mit Skyre gemeinsam tanzten, hatte sich Sila irgendwann zurückgezogen um ihre Pausen einzuhalten. Diese Zeit nutzte sie immer wieder gerne um sich in eines ihrer Romane zu vertiefen. Sila blickte freundlich zu ihrer Freundin.

„Ich fühle mich gut. Ich darf nur nicht vergessen mich an die Pausen zu halten, sonst werde ich wieder daran erinnert, dass mein Körper noch nicht in der Form ist, wie er früher war.“

„Es tut mir so leid für dich, Neechan... Du warst immer so ehrgeizig bemüht Fortschritte zu machen!“

„Mach dir um mich keine Gedanken, Imôto“, suchte Sila ihre Freundin aufzumuntern, „Es könnte viel schlimmer sein. Außerdem bin ich hier in Gesellschaft. Das ist schön und ich merke wie es mir gut tun.“ Sila schloss ihr Buch, stand auf und streckte sich. „Sag, möchtest du mit mir ein wenig im Park spazieren? Es ist so schönes Wetter und ich habe den Drang etwas frische Luft zu atmen.“

„Natürlich“, war die blitzschnelle Antwort, „Ich sage nur Anata Bescheid.“

Als Sila gerade ihre Sporttasche fertig gepackt hatte, hörte sie mehrere Stimmen hinter ihr. Erstaunt stellte sie fest, dass alle anderen im Raum ihre Taschen ebenfalls fertig gepackt hatten und erwartungsvoll auf sie blickten.

„W – was ist denn jetzt?“, wollte sie verwirrt wissen. Philphlader seufzte: „Als ich Kiso sagte, dass ich mit dir in den Park gehen möchte, ließ er alles stehen und liegen um uns zu begleiten... Tja“, sie blickte zu den anderen, „und der Rest wollte nicht ohne uns tanzen und alle haben sich entschlossen mit zu gehen.“

Obwohl Sila gerne alleine mit Philphlader spazieren gegangen wäre, musste sie doch schmunzeln. So war der engere Freundeskreis eben. Wenn es sein musste, so warfen alle ihre Termine über Bord, nur um gemeinsam etwas zu unternehmen.
 

Nachdem alle Sporttaschen in den entsprechenden Schließfächern verstaut waren und die Gruppe von sieben Freunden im Park angekommen war, bildeten sich schon die ersten kleineren Grüppchen: Sango und Shadow waren eindeutig ein verliebtes Paar, denn sie suchten jede Gelegenheit um Zeit mit einander zu verbringen. Und wenn sie zusammen waren, so wurde gekichert und geflirtet, so viel wie möglich. Phie, Philphlader und Sila nahmen unter einem großen Baum auf einer steinernen Bank platz, während Skyre und Kiso ihre Scherze am Brunnen, wenige Meter vor den Damen, machten. Sila genoss den Frühling. Obwohl sie eher die kalte Jahreszeit bevorzugte, so war es der Frühling, der sie durch die frische Luft, die Farbenpracht und die warmen Sonnenstrahlen, immer wieder zum staunen über die Natur brachte. Vor gut zwei Jahren, hatte sie nur ihr Tanzen im Kopf, doch seit sie solch eine lange Zeit krank im Bett liegen musste und genug Zeit hatte über alles nachzudenken, merkte sie, dass sie nun vieles in ihrer Umgebung auf eine andere Weise zu schätzen lernte.

„Ach, sag mal Imôto!“, wandte sich Sila ihrer Freundin zu, „Du wolltest mir doch neulich mal ein paar von deinen neuen Alben von 'RedMotion' ausleihen?! Hast du mal dran gedacht?“

Philphlader stutzte bei der Erwähnung von ihrer und Silas Lieblingsband aus Korea, doch dann hörte Sila Philphlader in einer für sie ungewohnten Lautstärke sagen:

„'RedMotion' sagtest du? Stimmt! Ich erinnere mich. Entschuldige bitte, ich kam noch nicht dazu dir die neuen CDs vorbei zu bringen.“

Sila und Phie blickten sich verwundert an. Es war sonst nicht Philphladers Art die Lautstärke anzuheben.

„Macht doch nichts“, erwiderte Sila freundlich, „Ich habe ja selbst nicht mehr dran gedacht...“

Philphlader sagte eine Weile nichts, als würde sie ihre Worte abwägen. Keiner der beiden Frauen, die mit Philphlader auf der Bank saßen, bemerkten den Blick, den sie zu Skyre und Kiso warf. In der Überzeugung, dass ihre Lautstärke ausgereicht hatte, damit die Männer am Brunnen mithören konnten, sprach Philphlader weiter:

„Weißt du was? Yong-Kyun, hat jetzt eine neue Frisur!“ Scheinbar ahnungslos blickte sie beim Reden lächelnd zu Skyre und Kiso. „Ist schon faszinierend wie oft ein Bandsänger sein Erscheinungsbild verändert. Oder was sagst du dazu, Neechan?“

Verdutzt blickte Sila Philphlader an, schüttelte ihren Kopf und erklärte: „Dazu kann ich nichts sagen, denn ich habe doch nur die Lieder von dir bekommen, Imôto! Ich weiß gar nicht wie die Bandmitglieder aussehen. Du hast mir nur einmal erzählt wie der Sänger heißt, mehr nicht...“

Mit einem verschmitzten Lächeln nahm Philphlader wahr, dass Skyre plötzlich Interesse für ihr Gespräch mit Sila zeigte, obwohl sie zugeben musste, dass er es sehr gut versteckten konnte. Kiso, Phie und Sila schien überhaupt nicht aufgefallen zu sein, dass Skyre mit einem Ohr an jedem Wort von Philphlader und Sila hing.

„Sie sind halt Koreaner... und so sehen sie auch aus“, sagte sie schlicht, doch sie wusste, dass sie damit ihre Freundin, die Asiaten sehr gerne mochte und durchaus an ihren Gesichtern unterscheiden konnte, neugierig gemacht hatte.

„Jetzt hast du mich aber so weit! Du hast doch sicher Bilder von ihnen?! Da höre ich schon so lange ihre Lieder und weiß gar nicht mal wie die Band eigentlich aussieht.“ Sila hüpfte von ihrem Platz und klatschte fröhlich in die Hände, so wie sie es immer tat, wenn sie eine Idee bekommen hatte.

„Ich hab's! Ich komme nachher einfach zu euch und hole mir die CDs ab! Was hältst du davon, Imôto?“

„Ähm ... Das ist keine so gute Idee, Neechan“, suchte Philphlader Sila noch etwas hinzuhalten.

„Warum nicht?“

„Weil ... weil ich die CDs zur Zeit selber gerne höre ... Beim Lernen... Du weißt schon!“

„Oh! Wenn das so ist... Sag mir bitte Bescheid, wenn du sie weggeben möchtest, ja?“ Für Sila war das Thema damit abgeschlossen, doch für Philphlader fing es gerade erst an, denn weder ihre Freundinnen, noch Kiso bemerkten, dass Philphladers und Skyres Blicke sich in dem Augenblick trafen. Als Skyre den Namen „RedMotion“ aus Silas Lippen hörte, war er überrascht, doch als er nun dem durchdringenden Blick von Philphlader standhielt, schlich sich in ihm das Gefühl ein, dass es vielleicht doch jemanden geben könnte, der ihn durchschauen konnte, jemand, der vermutlich bereits mehr wusste, als sie zuzugeben bereit war. Schnell wandte er sich wieder Kiso zu, der ihm gerade etwas lustiges von sich und Sila erzählte, als sie noch kleiner waren, und hoffte, dass Philphlader nur zufällig zu ihm geschaut hatte.
 

Sila hatte nicht oft die Möglichkeit genutzt um in der Stadt einkaufen zu gehen, doch an diesem Tag war jeder ihrer Freunde verhindert und so beschloss sie, die Zeit zu nutzen um die Stadt zu besuchen. Sie verbrachte viel Zeit in einem Zeichenladen, denn obwohl Tanzen ihr Beruf geworden war, zeichnete sie immer noch sehr gerne, besonders in der letzten Zeit, in der sie nicht mehr so viel tanzen konnte wie früher. Auch im Buchladen fand Sila einige neue Romane, wobei sie befürchtete, dass sie wieder einmal zu viel kaufen würde und gar nicht so bald Zeit finden würde, sie alle zu lesen. Doch wenn Sila einmal im Kaufrausch war, dann fiel es ihr nicht sehr leicht, auf ihre Vernunft zu hören. Gerade als sie sich auf den Heimweg machen wollte, lief Sila an einem Musikladen vorbei. Gerne vertrieb sie sich auch die Zeit damit, die CDs durchzuwühlen, immer in der Hoffnung ein Schnäppchen zu machen. Gerade als sie wieder gehen wollte, bemerkte sie eine Reihe von Schildern auf denen „Musik vom asiatischen Markt“ zu lesen war. Nun wurde sie neugierig. Sie ging näher an den Ständer heran und sah, dass die CDs nach Ländern sortiert waren. Gerne hörte sie japanische Lieder, doch seit Philphlader die Gruppe 'RedMotion' entdeckt hatte und seit sie im Tanzinternat zu koreanischer Musik tanzen konnte, lenkte Sila ihr Augenmerk auf die koreanischen CDs.

'Vielleicht haben sie hier auch CDs von „RedMotion“', dachte sie und klappte eine CD nach der anderen nach vorne, 'dann kann Imôto ihre CDs noch weiter hören!'

Mit einem kleinen Jubel fand sie tatsächlich eine CD, auf der in großer, roter Schrift „RedMotion“ geschrieben stand. „Na wen haben wir denn da?“, begrüßte Sila die CD in ihrer Hand. Sie sah auf das Cover und konnte fünf männliche Bandmitglieder sehen. Sehr zufrieden mit ihrem Fund, hob sie die CD näher an ihr Gesicht um jeden Einzelnen der hübschen Koreaner ansehen zu können. Als ihr Blick jedoch auf den 3. Koreaner fiel, hielt sie plötzlich inne. Sie hielt die CD wieder weiter weg, wich mit ihrem Blick jedoch nicht von der Person in der Mitte, ab. Dann hob sie die CD wieder näher an ihr Gesicht um auch ja sicher zu gehen, dass ihre Fantasie ihr keinen Streich spielte, doch das Gesicht änderte sich nicht. Ihre Augen wurden vor Staunen ganz groß, während sie die leere Hülle hastig öffnete um das Booklet herauszunehmen. Alle Bandmitglieder waren dort einzeln oder zusammen auf mehreren Fotos abgebildet.

„Stimmt etwas nicht mit der CD, Miss?“, fragte der Verkäufer, der Silas Reaktion bemerkt hatte. Sila blickte verwirrt auf, steckte entschlossen das Booklet wieder an seinen Platz, klappte die CD zu und schritt zur Kasse.

„Ganz im Gegenteil! Haben sie noch mehr CDs von der koreanischen Band 'RedMotion'? Ich möchte sie kaufen!“
 

Zehn Minuten später verließ Sila mit vier eigenen CDs ihrer Lieblingsband den Musikladen. Ihr Blick war ernster und entschlossener denn je, als sie mit schnellem Schritt in Richtung Tanzinternat ging.

'Es wird Zeit, dass wir uns unterhalten, Yong-Kyun Sky! ... Oder wie auch immer du heißen magst...'
 

Ende Kapitel 20:

~ Der Mann mit den zwei Gesichtern ~

~ „Wer bist du wirklich?“ ~

Verwundert erwiderte Skyre Silas Blick, denn so hatte er sie noch nie erlebt. Sie stand kerzengerade vor ihm, mit einem Blick, der scheinbar tiefer in ihn hineinsehen wollte, als er jemals einem Menschen hineinzusehen erlaubte. Etwas an ihrem ernsten Blick und ihrer geballten Faust zeigte ihm, dass sie keine Scherze machen wollte.
 

Als Sila am späten Nachmittag den Raum betrat, den Skyre zum Tanzen eröffnet hatte, ging für ihn eine Sonne auf. Normalerweise war er derjenige, der Sila in ihrem Raum aufsuchte, doch an diesem Tag begrüßte sie mit einem höflichen Lächeln sowohl ihn, als auch die fremden Mittänzer, die ihr Geschick im Tanz gegen Skyre versuchten. Ohne weitere Worte zu verlieren, stellte sie sich an den letzten freien Platz und zeigte an, dass sie bereit zum Tanz war. Genau so wie er es gewohnt war, wenn Philphlader nicht dabei war, nahm Sila gleich nach dem ersten Tanz den zweiten Platz hinter ihm ein und noch mehr; Skyre bemerkte die Blicke, mit denen sie von den männlichen Mittänzern beäugt wurde. In sich hinein lächelnd konnte er jedoch beobachten wie sie auf der Stelle ihre innere Mauer hochzog und die Mittänzer mit keinem weiteren Blick würdigte. Dabei fiel ihm auf, dass er es im Stillen sogar genoss, der einzige Tänzer zu sein, der überhaupt von Sila registriert wurde, obwohl er gleich von Anfang an bemerkte, dass sie nur das Nötigste redete.

'Sila mag keine fremden Männer um sich herum', dachte er. 'Ich habe ihre Abneigung ja gleich von der ersten Sekunde an genau so abbekommen'.

Ein Schmunzeln erhellte sein Gesicht, als er an die ersten Tänze und die darauf folgenden Wochen und Monate mit dieser seltsamen Tänzerin dachte. Einige Tänze vergingen und nach und nach verließen die Mittänzer den Raum, was weder Skyre noch Sila wunderte, denn es war immer das gleiche Spiel, nachdem fremde Mittänzer merkten, dass sie besonders Skyre nicht das Wasser reichen konnten. Sila hingegen war es völlig gleichgültig ob sie an zweiter oder letzter Stelle tanzte, sie genoss es einfach zu tanzen und besonders die Gemeinschaft mit ihren Freunden zu haben.

Doch kaum hatte der letzte Mittänzer die Tür zum Vorbereitungssaal hinter sich geschlossen, drehte sich Sila um und begab sich ebenso wie der letzte Tänzer auf direktem Weg zur Tür. Im ersten Augenblick dachte Skyre schockiert, dass er sie auf irgend eine Weise verärgert haben könnte, doch als er ein lautes Klicken hörte, stellte er fest, dass sie nur die Tür für Außenstehende blockiert hatte. Danach stellte sie sich aufrecht vor den verwunderten Skyre, der die Welt nicht mehr zu verstehen schien, und fragte ihn mit ernstem Blick, ohne jede Vorwarnung und geradewegs heraus: „Wer bist du wirklich, Skyre? Oder sollte ich dich besser bei deinem richtigen Namen nennen?“

Skyre spürte wie sein Herz einen Aussetzer machte, doch äußerlich erwiderte er ihren Blick und schien die Ruhe selbst zu sein. Solch eine Situation konnte ihn nicht dazu bringen, seine Fassung zu verlieren. Er hatte es nur ein einziges Mal seit einer langen Zeit zugelassen, dass jemand, zudem noch eine völlig fremde Ausländerin, seine wahren Gefühle sehen konnte, und für diese „Schwäche“ würde er sich zu gerne immer wieder selbst ohrfeigen. Seit diesem Tag, musste er immer wieder die durchdringenden Blicke von Sila einstecken, auch wenn er sie nach außen hin gut ignorieren konnte. Schauspielerei war zum Teil seines Lebens geworden, auch schien er es schon wie aus Reflex zu tun, denn manchmal erschauderte er selbst vor sich und fragte sich, wer er eigentlich in Wirklichkeit sei, ohne die ganzen Masken.

„Du hast mich doch eben gerade schon bei meinem richtigen Namen genannt: Skyre“, sagte er und tat, als wüsste er überhaupt nicht was Sila von ihm wollte, doch Sila verdrehte die Augen und fuhr ernst fort: „Ich rede hier nicht von Skyre oder Sky. Ich spreche hier von deinem koreanischen Namen Yong-Kyun!“

Skyre dachte nach, dann lächelte er: „Yong ist einer der klassischen Nachnamen in Korea und Kyun ist ein ziemlich bekannter und beliebter Vorname bei uns.“ Er zuckte mit der Schulter. „Wer ist dieser Yong-Kyun, von dem du sprichst?“

„Er ist der Leader, Sänger und Texter von der koreanischen Gruppe 'RedMotion'.“

„Ach DER Yong-Kyun“, nickte Skyre freundlich, „Du scheinst dich gut mit koreanischen Themen auszukennen, Sila.“

„Quatsch! Ich kenne nur 'RedMotion', weil sie tolle Lieder machen!“

Skyre war erstaunt über den ernsten Blick, der einfach nicht von Silas Gesicht verschwinden wollte. Ihr schien die Sache wichtig zu sein, doch schien sie zu viel zu wissen oder wenigstens zu ahnen, als dass er sich wirklich ernsthaft herausreden könnte. Er kannte sie noch nicht gut genug, aber immerhin lange genug, um zu wissen, dass Sila ziemlich stur und unnachgiebig sein konnte, wenn sie sich erst einmal etwas vorgenommen hatte. Diese Charaktereigenschaft verband sie auf gewisser Weise mit ihrem Adoptivbruder, fand Skyre und wunderte sich selbst, warum er diesen Vergleich so amüsant fand.

„Wirklich? Wenn du sie so gut kennst, dann sag mir doch einfach mal welches Lied du von ihnen am liebsten hast.“

Sila riss empört die Augen auf. 'Ich fasse es nicht! Er will doch tatsächlich das Thema wechseln', dachte sie zwar, doch sie ging trotz allem auf seine Frage ein, denn sie brauchte keine zwei Sekunden um „After Love!“ zu erwidern. Skyres Lächeln verwirrte Sila, denn sie war sich hundert prozentig sicher, dass sie ihn schon bei der bloßen Erwähnung von dem koreanischen Namen entwaffnen würde. Statt auf ihre Antwort einzugehen, sich zu verteidigen oder zu versuchen überhaupt irgendetwas zu erklären, ergriff Skyre Silas Hand. Ohne darauf vorbereitet zu sein, dass er sie überhaupt in Betracht ziehen würde, anfassen zu wollen, schien Sila innerlich zu erstarren, als sie ihn mit ihren großen Augen anstarrte, denn er stand nur noch wenige Zentimeter vor ihr entfernt und wagte es auch noch ihre Hand zu halten. Doch bevor sie irgendetwas tun oder sagen konnte, zog Skyre sie mit sich, während er die Saaltür wieder entriegelte, die Tür aufstieß und mit ihr den Raum verließ ohne ihn vorschriftsmäßig für die nächsten Tänzer vorzubereiten. Auch wenn es ihr schwer fiel seinem schnellen Schritt stand zu halten, hatte Sila kaum eine andere Wahl als ihm zu folgen, denn er lockerte seinen Griff nicht einmal ein wenig. Sie gingen durch die große Lobby, an der Cafeteria vorbei und begaben sich auf einen schmalen Weg, der zu den weiter entfernten Gebäuden führte, welche Sila noch nie gesehen, geschweige denn betreten hatte. Sie schien sogar vergessen zu haben, dass Skyre sie immer noch bei der Hand hielt, denn ihre ganze Aufmerksamkeit galt den unbekannten Gebäuden, wobei ein gigantisches, rundlich erbautes und sehr hohes Gebäude vor ihnen ihr den Atem raubte. Noch nie zuvor sah sie solch eine Architektur und schon gar nicht in der Nähe des großen Internatsanwesens. Sieben breite Stufen, die nach oben hin enger wurden, führten zu diesem Gebäude hinauf und Sila bemerkte, dass Skyre endlich sein Tempo zügelte, nachdem sie vor einem reich verzierten und mit vier großen Eingangstoren bestückten Eingang standen. Sila blickte erstaunt zu den hohen Türen auf und schätzte diese auf mindestens 4 Meter Höhe.

„Was ist das hier für ein Gebäude?“, flüsterte sie mehr als sie redete. Doch Skyre lächelte nur, ließ endlich ihre Hand los und ging zielgerichtet auf die rechte äußere Tür zu.

„Hey! Was machst du da?“, rief Sila erschrocken. Ihre Stimme klang sehr unsicher, als hätte sie vor etwas Angst. „Weißt du denn nicht, dass uns verboten ist andere Gebäude außer der Apartments und der Tanzräumlichkeiten zu betreten?“

Entsetzt merkte sie, dass Skyre ihre Worte überhaupt nicht interessierten und schaute ängstlich nach rechts und links, um zu sehen ob sie von irgendjemanden entdeckt werden konnten. Als ihr Blick wieder an die Stelle fiel, an der sich Skyre das letzte Mal aufhielt, stellte sie fest, dass er nicht mehr da war. Stattdessen stand die große Tür offen und ehe sie sich überlegen konnte, was sie tat, lief Sila durch die Tür. Fassungslos hob sie ihren Kopf an, als sie in einer großen Konzerthalle stand, in der sogar die Sitze wie in einem modernen Kino mit jeder Reihe erhöht wurden. Unbewusst hob sie ihre Hände an ihre Brust, als schien sie Angst zu haben die dunkelrot überzogenen Stoffsitze zu berühren oder überhaupt zu atmen. Es gab sogar sechs Balkone auf zwei Etagen in diesem Konzertsaal und Sila musste erkennen, dass sie noch nie in solch einem Konzertsaal gestanden hatte. Doch plötzlich schien ihr einzufallen, dass sie Skyre aus den Augen verloren hatte, denn sie schaute sich suchend um. Wiederum wurden ihre Augen vor Erstaunen größer, als sie ihn auf der Bühne, neben einem reinen weißen Flügel stehen sah. Seine Augen funkelten, als wäre er ein kleiner Junge, der seiner Mutter ein selbstgemachtes Geschenk überreichte.

„Bist du verrückt geworden?“, fuhr sie ihn an, während sie auf ihn zulief. „Wir dürfen noch nicht einmal einen Fuß hier hinein setzen und du stellst dich mitten auf die Bühne!“

„Wer sagt, dass es verboten ist?“

„Eh?“

Sila sah, wie Skyres Lächeln breiter, aber herzlicher wurde, als er ihr seine Hand reichte um sie auch auf die Bühne zu ziehen. Am liebsten würde sie seine Hand mit ihrer Hand von sich stoßen, doch diese schien sich wie von selbst in seine zu legen und sie spürte seine Kraft, als er sie zu sich auf die Bühne zog. Einen kurzen Augenblick fühlte sie wie eine lang nicht mehr vorgekommene Röte in ihre Wangen schoss, doch sie atmete ruckartig ein und aus, um das lästige Übel dadurch zu vertreiben, in der Hoffnung Skyre, welche Absichten er auch ihr gegenüber hegte, würde dieses ungeliebte Zeichen nicht falsch deuten. 'Frauen werden eben manchmal rot', schimpfte sie ärgerlich in sich hinein. Nachdem Skyre überzeugt war, dass Sila fest auf der Bühne stand, ging er um den wunderschönen Flügel herum und nahm auf dem gepolsterten Klavierhocker platz. Ehe sie sich bewusst wurde, was geschah, begann er, fast schon liebevoll, die Tasten herunter zu drücken. Sila hielt erschrocken den Atem an als sie den instrumentalen Part eines bekannten Liedes erkannte. Ein Lied, das sie Wochenlang rauf und runter gehört hatte und bei dem so viele Tränen geflossen waren, eine Melodie, die im Lied eigentlich von einer Geige gespielt wurde, welche jedoch als Klavierstück nicht weniger schön war.

'Er spielt tatsächlich „After love“', stellte sie fest und spürte wie ein kalter Schauer ihren Rücken hinunterwanderte als Skyre einatmete und an der richtigen Stelle zu singen begann. In jenem Augenblick hatte Sila das Gefühl alles nur zu träumen, als würde sie – wie zu der Zeit, nach der Trennung von Chuckie – auf ihrem Sofa liegen und das Lied hören. Seine Stimme war die selbe Stimme, die sich in ihren Ohren so sehr eingeprägt hatte, denn sie mochte den Klang der Stimme des Sängers von 'RedMotion' sehr gerne und ihr gefiel es wie er seine Worte formte, auch wenn sie seine Sprache nicht verstand. Damals hatte sie über das Internet eine englische Übersetzung von dem koreanischen Lied gefunden und auch jetzt hallten die Worte in ihrem Kopf, als würde Skyre nicht auf koreanisch, sondern in der internationalen Sprache singen:
 

„Nur für dich habe ich gelacht

Nur für dich habe ich gelebt

...und ich glaubte an deine Liebe!
 

Aber es war alles eine Lüge!

Weil du mich verlassen hast mit so viel Schmerz

...gefüllt mit Traurigkeit und Tränen
 

Du sagtest, du würdest nur mich lieben, mich beschützen

Aber deine Liebe war nur eine Lüge

Du hast mein Herz genommen und meine Liebe

Weggehen, verlassen ist alles was deine Liebe ist!“
 

Als Skyre den letzten Akkord gespielt hatte, pochte Silas Herz immer noch so sehr, als hätte sie einen Marathonlauf hinter sich. Sie sah, wie er ihr ein strahlendes Lächeln schenkte, als er sie das erste Mal, nachdem er auf dem Flügel zu spielen begann, ansah. Doch sein Lächeln verstummte augenblicklich als er eine einsame Träne auf ihrer Wange sah. Sofort sprang er auf und fragte verwundert was er falsch gemacht habe, begleitet von Entschuldigungen darüber, dass er sie gegen ihren Willen in die Konzerthalle geführt hatte und endete mit Entschuldigungen darüber, dass er ihr nicht gleich erzählte wer er war. Überrascht hörte er ein helles Lachen, ein Lachen, dass durch die Akustik im Gebäude noch verstärkt wurde. Trotz feuchten Augen, lag ein Leuchten auf Silas Gesicht, auch dann noch, als sie mit ihrer rechten Hand die Träne von ihrer geröteten Wange wischte.

„Du bist doch noch der selbe geblieben“, hörte er sie sagen.

„Wie meinst du das?“

„Du machst dir zu erst um alle anderen sorgen, bevor du an dich denkst.“

Diese Worte trafen Skyre unerwartet. Wie konnte Sila, die ihn nur wenige Monate kannte, so etwas von ihm sagen? Er selbst wusste gar nicht wer er wirklich war, was sein Wesen ausmachte. Alles was er kannte, war ein Yong-Kyun, der nach der Pfeife der Manager, der Fans und der Medien tanzte, und Tag für Tag gezwungen war sein „ich“ zu verleugnen um etwas zu sein, was er gar nicht war und immer weniger ertragen konnte.

Doch bevor er ihr etwas entgegnen konnte, bemerkte er ihren traurigen Gesichtsausdruck und war völlig verwirrt als er sogar Mitleid in ihrem Blick bemerkte, während sie fast flüsternd sagte: „Es tut mir von ganzem Herzen leid für dich...“

Immer wieder staunte Skyre darüber wie schnell Silas Stimmung sich ändern konnte, genau so wie sich das Wetter manchmal ändern konnte. Doch aus ihrem Satz wurde er nicht schlau, im Gegenteil; Er war sogar etwas enttäuscht, denn er hatte sich ihre Reaktion ganz anders vorgestellt.

'Wobei', stutzte er in Gedanken, 'WAS habe ich mir eigentlich vorgestellt? Dass sie anfängt zu kreischen, wie es die Mädels in Korea tun, sobald ich auch nur auf die Straße gehe? Dass sie mir um den Hals fällt, nur weil ich ihr Lieblingslied gesungen habe? Dass sie mich um ein Autogramm bittet? Nein! Wenn sie so reagieren würde, wäre sie nicht Sila.' Aber er musste sich doch eingestehen, dass er niemals erwartet hätte, dass Sila ihn mitleidig ansehen würde, nachdem er ihr sein Geheimnis anvertrauen würde. Anscheinend wusste sie nicht, was es ihn kostete hier, in dieser kleinen Stadt zu zeigen, dass er nicht nur Skyre, sondern in Wahrheit Yong-Kyun Skyre war, ein Mann, der in Korea so tief in eine Krise gestürzt war, dass er die Flucht ergriffen hatte.

„Was tut dir leid?“, erwiderte er und suchte ihre Gedanken zu ergründen.

„Das, was du erlebt hast ... Ich meine“, sie atmete tief ein und Skyre hatte den Eindruck ihr wollten schon wieder Tränen in die Augen steigen. „Es muss schrecklich sein so sehr verletzt worden zu sein!“

Skyre verstand die Welt nicht mehr: „Wovon redest du bitte, Sila?“

„Von deinem Lied!“

„W – Wie bitte? Der Text ist doch auf koreanisch.“

„Ich weiß, aber ich habe mal die Übersetzung davon ausgedruckt“, gab Sila weiter. Skyre seufzte, ihm war seine Enttäuschung im Gesicht abzulesen, „Das ist doch nur ein Lied.“

„Nur ein Lied? Aber es wurde doch von dir geschrieben, oder habe ich da was falsch verstanden?“

Skyre klappte den Flügel zu und Sila konnte sehen, dass seine Stimmung sank. „Ja, ich habe es geschrieben, na und?“

Verwundert über seine schlechte Laune sah sie ihn fragend an, doch dann sagte Sila versöhnend: „Du ... musst nicht darüber sprechen, wenn du nicht willst. Schon gar nicht mit mir.“

„Sila!“ Er ergriff sie an den Armen und sagte mit einem gereiztem Unterton, „Es ist NUR ein Lied!“

„Aber dein Text...“

„Der Text wurde nach der Melodie geschrieben. Was hat das mit mir zu tun?“

Nun war auch Sila verwirrt, denn ihr schien, dass er überhaupt nicht verstand was doch so offensichtlich zu sein schien. „Vieles! Schließlich hast du es geschrieben. Da stecken doch deine Gefühle, Erinnerungen und Gedanken drin.“

„Bitte was?“

„Rede ich chinesisch oder was?“, Sila fühlte sich nicht für voll genommen.

„Da – da stecken KEINE Gefühle und Erinnerungen von mir drin!“, rief Skyre verärgert und sah wie Sila erschrocken die Augen aufriss. Erst jetzt bemerkte er was sie mit ihrem Mitleid meinte und dass sie mit ihrer Äußerung einen wunden Punkt bei ihm getroffen hatte. Doch sie ließ nicht locker, denn es schien als wollte sie mit allen Mitteln verstehen, warum er ein Lied geschrieben hatte, was ihm überhaupt nichts bedeutete.

„Wie kannst du denn ein Lied mit solchen tiefen Gefühlen schreiben, wenn du so etwas gar nicht erlebt hast?“

„Ich schreibe, was die Fans hören wollen... Ich habe es dir doch schon einmal erklärt, dass wir Koreaner auf Herzschmerz stehen und mein Song gibt ihnen was sie wollen.“

Sila rümpfte angewidert die Nase, doch ihr verachtender Blick traf Skyre härter als sie eigentlich gewollt hatte. Instinktiv hatte er das Gefühl sich rechtfertigen zu müssen, als ihm einfiel: „Du hast doch selbst gesagt, dass es dein Lieblingslied ist. Deswegen habe ich es doch extra für dich gesungen!“

„Das hat einen anderen Grund“, sagte sie verärgert, drehte sich auf dem Absatz um und sprang die Bühne herunter. Erschrocken darüber, dass Sila ihn ohne weiteres stehen ließ, lief er ihr nach: „Was für einen Grund?“

„Das geht dich nichts an!“, fuhr sie ihn an. In diesem Augenblick schienen Skyres Gedanken hin und her zu rasen. Er wollte ihr eine Freude machen, ihr sein Geheimnis anvertrauen um sich ihr vielleicht ein klein wenig zu öffnen, in der Hoffnung, dass auch sie in ihm endlich einen Freund sehen könnte, doch nie hätte er damit gerechnet, dass Sila zu ihm so kalt werden könnte wie er es manchmal bei den Streitigkeiten zwischen ihr und ihrem Bruder bemerkte. Er spürte eine nie gekannte Angst, das wenige Vertrauen, das Sila ihm entgegengebracht hatte, auch noch zu verlieren. Aus diesem Grund tat er etwas, was er niemals zuvor getan hatte; Er ergriff von hinten ihren Arm und drehte sie mit seiner Kraft zu sich herum. Doch als er die Tränen sah, die ihre Wangen herunterliefen, ließ er ihren Arm los und stotterte eine Entschuldigung. Sila stand nur steif vor ihm, nur wenige Zentimeter, doch er wagte es nicht sie noch einmal zu berühren. Sie wirkte so verletzt, dass er sich die größten Vorwürfe machte, was er ihr nur angetan haben könnte. Sie wischte sich mit ihrem Ärmel die Tränen von den Wangen, sichtlich verlegen, dass er sie gesehen hatte. Gerade als sie sich jedoch von ihm weg drehen wollte, sah sie auf ein weißes Papiertaschentuch, das er in seiner Hand ihr entgegen hielt. Stumm nahm sie es an, doch sie wagte keinen weiteren Blick, denn es war ihr unsagbar peinlich, dass sie vor dem Koreaner ihre Beherrschung verloren hatte. Sie ärgerte sich, dass ein Lied, das sie damals so oft hörte, es schaffen konnte, dass sie Tränen vergoss und dies auch noch ausgerechnet vor Skyre, dessen Freundschaft sie immer wieder suchte von sich fern zu halten. Erschöpft setzte sie sich auf einen gepolsterten Sitz und sagte - eine für Skyre gefühlte Ewigkeit - kein einziges Wort. Unschlüssig stand er immer noch an seiner Stelle, gefolgt von einem schlechten Gewissen, doch mit dem Ziel diese dumme Situation aus der Welt zu schaffen. Er wusste nicht warum, aber er wollte Sila wieder lächeln sehen. So setzte er sich reuevoll, wie ein kleiner Junge, der etwas böses getan hatte, auf den Boden, neben dem Sitz, auf dem sie Platz genommen hatte, sagte aber kein Wort.

„Ich habe dieses Lied früher sehr oft gehört...“, hörte er Sila leise sagen. Langsam hob er seinen Kopf an und sah, dass ihr Blick in die Ferne gerichtet war.

„Gerade zu einem Zeitpunkt, an dem mein Herz gebrochen wurde, habe ich das Lied entdeckt... Als ich den Text dazu gefunden habe, wurde das Lied mein Begleiter für mehrere Monate...“ Sila seufzte und knüllte das gebrauchte Taschentuch zusammen, „Es war als würde es die Worte sagen, die ich nicht sagen konnte, keinem Menschen. Es war als würde es für mich sprechen. Das Lied ist mit so viel Gefühl gesungen worden, weißt du?“ Nun sah sie ihn direkt an. „Sag mir: Wie kann man ein Lied schreiben, das jemanden zum weinen bringt, ohne dass man so etwas erlebt hat? Wie gefühlskalt muss man sein, um solche Dinge zu schreiben, nur weil die Fans es wollen?“

Skyre spürte einen Stich im Herzen, „Ich bin nicht gefühlskalt!“

„Bist du nur Sänger geworden, um von den Fans angenommen zu werden? Um Musik zu machen die anderen gefällt? Sag es mir!“
 

Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn und sein atmen setzte aus, als Sila ihm ihre Fragen so direkt an den Kopf warf. Sein Gesicht verlor die Farbe, als er es wagte ihre Fragen noch einmal aufzugreifen. Warum hatte er das Lied geschrieben? Das und die vielen anderen, die im koreanischen Radio und Fernsehen rauf und runter liefen?

Er erinnerte sich noch daran, als er den Ratschlag von seinem Manager erhielt bei seinem ersten Song genau darauf zu achten, dass er die Wünsche der Fans respektierte. Die Fans würden schließlich entscheiden welche Band, welcher Sänger steht und fällt. Sie waren die Jury für eine kleine Band, die erfolgreich werden wollte.

'Wollten wir wirklich nur erfolgreich werden?', überlegte Skyre, 'Oder haben wir damals nicht einfach nur angefangen an die Öffentlichkeit zu gehen, weil uns Leute gesagt haben, wir hätten was drauf?' Skyre erinnerte sich noch wie gerne er und seine vier Bandkollegen sangen und Instrumente spielten. Sie traten aus Spaß in Clubs auf und wurden sehr gerne eingeladen. Irgendwann kam ein Manager zu ihnen und überredete sie einen Song zu schreiben und diesen dann vor Publikum als eine neue Band vorzustellen. So wurden aus fünf Freunden, die gerne zusammen sangen, eine Band mit dem Namen „RedMotion“. Nach vier Jahren, waren sie in ganz Korea beliebt. Skyre schrieb Lieder, die einer nach dem anderen erfolgreich waren, sogar für Tanzinternate schrieben sie Lieder, die ohne Mühe akzeptiert und eingeführt wurden. Doch eines Tages wurde Skyres „heile Welt“ von einem geschätzten Freund, der selbst Sänger war, erschüttert. Nach einem großartigen Konzert, nahm ihn Lee Kai bei Seite und sagte zu ihm in direkter Weise: „Es war eine großartige Show, aber ich muss sagen ich bin enttäuscht von dir, Kyun.“

„Ich weiß, ich hätte etwas mehr geben können. Beim nächsten Mal werde ich dich vom Hocker reißen, dass verspreche ich dir!“, erwiderte Skyre daraufhin gut gelaunt in seinem privaten Umkleideraum. Doch Lee Kai schüttelte nur traurig den Kopf.

„Ich fürchte das kannst du nicht. Deine Leistung geht den Bach runter, mein Freund. Du schauspielerst nur.“

Auf solch eine niederschmetternde Kritik war er nicht vorbereitet, schon gar nicht von seinem besten Freund, der als Solist sehr beliebt war.

„Ich verstehe nicht was du meinst.“

„Das, was du auf der Bühne spielst, ist fahl und lasch. Wo hast du dein Herz gelassen, Kyun? Wo ist das Leuchten in den Augen, dass ich früher so sehr bei dir bewundert habe? Die Dinge, die du singst, hast du niemals empfunden. Du spielst nur die Gefühle und die Fans kaufen es dir ab, weil sie dich nicht kennen.“ Lee Kai atmete traurig ein, denn er wusste, dass er mit dem, was er sagte, die Freundschaft von Yong-Kyun aufs Spiel setzte. „Aber ich kenne dich. Ich weiß wie du bist und was du bist. Leider muss ich mit jedem weiteren Konzert feststellen, dass ich den Star von 'RedMotion' nicht kenne. DU bist ein Fremder für mich geworden, Kyun!“

Diese Worte haben Skyre mehr verletzt als alles, was er in seinem Leben erlebt hat. Damals hatte er sich nicht aufgeregt, hatte seinem Freund nur höflich gedankt, dass er ihm seine Meinung gesagt hatte, doch seit diesem Tag, gab es einen Bruch. Skyres Launen während der Konzerte waren unvorhersehbar. Ihm setzte das harte Urteil mehr zu, als irgendein Urteil in der Klatschpresse. Seine Bandkollegen und auch die Fans bemerkten seine Launen- und Leistungsschwankungen und es dauerte nicht lange, bis ihm sein Manager freundlich „riet“ sich ein wenig Auszeit zu suchen. Als kleiner Junge, wurde Skyre von seinen Eltern auf das Tanzinternat in ihrer Stadt geschickt. Sein Vater wollte, dass aus ihm ein großartiger Tänzer wurde und sein Wunsch erfüllte sich, denn Skyre gewann einen Titel nach dem anderen. Bis er jedoch seine Liebe zum Gesang fand und zudem auch noch Freunde bekam, die gerne musizierten, wie er es auch gelernt hatte und gegen den Willen seiner Eltern die Band „RedMotion“ gründete. Seit dieser Zeit hatte Skyre mit dem Tanzen aufgehört, denn er wollte jemand sein, der er nicht war und verheimlichte seine tänzerischen Fähigkeiten hervorragend. Das Musikbusiness hatte ihn völlig eingenommen und sein Erfolg stieg ihm zu Kopf. Als sein Manager ihm klar machte, dass er in seiner Verfassung nicht mehr auf der Bühne stehen durfte, wollte Skyre nur noch irgendwohin, wo ihn keiner kannte, fliehen. Als er auf dem Flughafen ankam, las er auf der Anzeigetafel einen Ort, den er schon einmal gehört hatte. Während der Zeit, als er für einige Jahre im Ausland lebte und ein mittleres Tanzinternat besuchte, lernte er 2 Freunde kennen, Philphlader und Koreaner, die ihm von einem kleinen Tanzinternat erzählten, der in diesem Ort sein sollte.

'Komisch, dass es mir gerade jetzt einfällt', dachte er und erkundigte sich, ob die Angaben richtig waren. Als man ihm seine Frage nach einem Tanzinternat in diesem Ort bestätigte, buchte er ein Ticket und flog dort hin.
 

Niemals hätte er sich träumen lassen können, dass er seine früheren Freunde dort antreffen würde und noch viel mehr; dass er dort auf einen kleinen Freundeskreis, nein, vielmehr einer einzelnen Tänzerin stoßen würde, die scheinbar mehr über ihn wusste, als er selbst.

„Ich habe eine Bitte“, sagte Skyre leise. „Bitte verrate mich noch nicht den anderen, obwohl ich glaube, dass Philphlader schon längst etwas ahnt...“ Er stand auf und ging langsam in den Eingangsbereich des Konzertsaales zurück, wobei er mehr zu sich als zu Sila sagte: „Ich brauche Zeit um über deine Fragen nachzudenken...“

Als Sila seinen Zustand erkannte, tat es ihr leid, dass sie ihm so direkt Vorwürfe gemacht hatte. Sie hatte mal wieder einen Menschen mit ihren Überzeugungen überrollt. Langsam stand sie auf, stopfte ihr Taschentuch in eine kleine Tasche ihrer kurzen Jacke und lief Skyre nach. Während sie den schmalen Weg wieder zurückgingen und Skyre mit beiden Händen in den Taschen und tief in Gedanken neben Sila her ging, musste sie wieder einmal an den Abend zurückdenken, als sie ihn im Park traf. Genau so niedergeschlagen sah er nun aus, doch in Silas Herz schlich sich nun langsam Verständnis für den Mann ein, den scheinbar etwas gewaltiges beschäftigen musste. Während sie zu dem großen, gebeugten koreanischen Mann aufsah, spürte sie einen inneren Drang ihm zu helfen, aus dem Loch, in dem er steckte, heraus zu kommen.

„Erinnerst du dich noch an das, was ich dir sagte, als wir das letzte mal zu Zweit spazieren gingen?“, fragte Sila und ein leichtes Lächeln erschien auf ihren Lippen. Skyre drehte seinen Kopf nach rechts um Sila ansehen zu können und bemerkte wohl zum hundertsten Mal wie hübsch er diese Tänzerin mit den weichen, blonden Haaren fand.

„Ich denke schon...“

„Ich sagte dir: 'Ich hoffe, dass du hier bei uns das findest, was du suchst...'“, sagte Sila und schob, ohne darüber nachzudenken was sie tat, ihren linken Arm unter seinen Rechten und lehnte, zu seinem großen Erstaunen, gleichzeitig ihren Kopf auf seinen Oberarm.

„Vielleicht hast du längst gefunden, was du suchst... Wenn du mir erlaubst, würde ich dir gerne helfen!“
 

Ende Kapitel 21:

~ „Wer bist du wirklich?“ ~

~ Die Blume und die Raupe ~

Es schien ein neuer Wind in den Tanzsälen des inneren Freundeskreises zu wehen. Kiso, Philphlader, Phie, Sango und Shadow merkten sofort, dass etwas zwischen Sila und Skyre anders war als zuvor. Es war, als wären die Beiden über Nacht zu Freunden geworden, wobei niemand genau den Grund dafür kannte. Kiso beobachtete seine Adoptivschwester während des Tanzes und war zugleich überrascht, dass sie so locker und unbeschwert war, wie er es schon lange nicht mehr bei ihr gesehen hatte. Seit er sie und Skyre zu verkuppeln suchte, gab es immer mehr Reibereien zwischen Kiso und ihr. Sila weigerte sich in Skyre einen Freund zu sehen, aus Gründen, die Kiso nie ganz begriff, weil sie sich sonst sofort zu asiatischen Menschen hingezogen gefühlt hatte. Diese Frau war für ihn zu einem einzigen Rätsel geworden. Früh am Morgen trafen sich Kiso, Philphlader, Phie, Skyre und Sila um den Tag zum Tanzen zu nutzen. Aus Höflichkeit Phie gegenüber, ließen sie jedoch die Partnertänze weg, da diese sonst mit einem fremden Tänzer tanzen musste, was ihr zwar nichts auszumachen schien, doch keiner der Anwesenden ihr antun wollte. Es war fast Mittag, als Sila nach einem Tanz ihren Platz verließ und deutlich machte, dass es Zeit für sie war ihre Pausen einzuhalten. Auch wenn schon einige Zeit nach ihrer Genesung verstrichen war, so schien es, dass Sila immer noch Probleme hatte, die alte Form zurück zu gewinnen. Egal wie viele Pausen sie einhielt, wie sehr sie sich zurücknahm, ihr Körper war nicht mehr in der Lage die Leistung zu bringen, die sie vor ihrer Krankheit bringen konnte. Oft spürte sie das Mitleid ihrer Freunde, in besonderer Weise von Philphlader, doch Sila hatte sich allmählich mit ihrer Situation abgefunden und hatte sich sogar schon Gedanken um ihre Zukunft als Tänzerin gemacht. Doch die Idee, die in ihren Gedanken immer mehr Form gewann, war noch etwas unausgereift und so sprach sie das Thema vor ihren Freunden noch nicht an. Sie genoss die Zeit des gemeinsamen Tanzes und nutzte ihre Pausen um im Park spazieren zu gehen oder eines ihrer vielen Romane weiter zu lesen.

„Ich gehe bei dem schönen Wetter in den Park“, sagte sie mit einem Lächeln zu ihren Freunden, während sie ihre Sporttasche packte. Insgeheim war sie froh, dass Kiso, Philphlader, Phie und Skyre nun das Tempo der Lieder und den Schwierigkeitsgrad erhöhen konnten, denn sie fühlte sich manchmal wie ein Klotz am Bein, weil sie wusste, dass sich ihre Freunde ihr zuliebe anpassten.

„Später, am Nachmittag, stoße ich wieder zu euch, okay?“

Doch bevor sie sich umdrehen konnte, um den Raum zu verlassen, hörte sie Skyre hinter sich sagen: „Warte! Ich komme mit.“

„Eh?“

Skyre nickte seinen Freunden höflich zu, während er zu seiner Sporttasche ging.

„Nutz doch mal die Chance endlich mal Power beim Tanzen zu geben“, suchte Sila ihn zu überzeugen da zu bleiben, „Du verlernst das Tanzen noch!“

Skyre lachte auf. „Ich verlerne das Tanzen schon nicht. Komm, ich nehme deine Tasche.“ Mit den Worten schritt er ihr entgegen und griff nach ihrer Sporttasche, doch Sila hielt den langen Griff, der auf ihrer Schulter lag mit einer Hand fest.

„Ich brauche zwar einige Pausen beim Tanzen, aber ich bin noch lange keine Oma, die ihre Tasche nicht mehr tragen kann!“

Skyre grinste nur und konnte ihr den Griff ohne Mühe abnehmen um ihn um seine Schultern zu hängen. Die drei zurückgelassenen Freunde beobachteten noch wie Skyre aus dem Raum schritt, dicht gefolgt von einer schimpfenden Sila. Es kehrte Stille im Raum ein, denn anscheinend wusste niemand so recht, was man dazu sagen sollte. Doch in dem Augenblick wurde die Tür aufgerissen und Sango betrat den Raum, dicht gefolgt von Shadow.

„Sagt mal! Irgendwas verheimlichen die beiden doch!?“, begrüßte sie Kiso, Philphlader und Phie, indem sie mit dem Kopf auf den Ausgang deutete. Kiso atmete lautstark ein und aus.

„Keine Ahnung! Wirklich keine Ahnung. Hat sie dir denn nichts erzählt, Anata?“, wandte er sich an seine Frau. Doch Philphlader zuckte nur mit der Schulter: „Nein ... Ich weiß überhaupt nicht was los ist. Sie sind von einem Tag auf den anderen irgendwie Freunde geworden ...“

Shadow kratzte sich den Kopf. „Vielleicht wollen sie ja Tanzpartner werden“, lächelnd legte er seine Hand auf Sangos Schulter, „Oder vielleicht noch mehr.“

„Hmm...“, Philphlader schien in Gedanken zu sein, „Ich weiß nicht... Neechan verhält sich nicht wirklich so, als sei sie verliebt...“

„Nicht wirklich“, stimmte Kiso ihr zu, „Aber trotzdem ist etwas anders!“

Phie holte Luft, als wollte sie etwas dazu sagen, doch dann schloss sie wieder den Mund, denn irgendwie hatte sie den Eindruck, dass es klüger wäre bei diesem Thema zu schweigen. Sie war eh eine Person, die mehr beobachtete als redete und das, was sie sehen konnte, zeigte ihr etwas, was sie noch nicht genau in Worte fassen konnte und bevor sie irgendwelche Gerüchte verbreitete, lächelte sie lieber und bat ihre Freunde sich auf ihre Plätze zu stellen, denn nach Silas Weggang wurde ihr der Spieleführerpult übergeben.
 

*** ** * ** ***
 

Nachdem Skyre beide Sporttaschen in einem Fach, den man verschließen konnte, verstaut hatte, schlenderte er mit Sila zum Park. Ihm fiel schnell auf, dass sie aus irgendeinem Grund von diesem Park angezogen wurde. Er wusste leider nicht ob ihre Gefühle oder Erinnerungen etwas damit zu tun hatten, aber es war unübersehbar, dass Sila es liebte in diesem Park spazieren zu gehen oder sich einfach nur auf eine Bank zu setzen um zu träumen oder über etwas nachzudenken. Er war erstaunt, wie leicht es für ihn geworden war, Sila besser, viel besser kennen zu lernen. Ihm schien, dass sie – seit er nur wenige Tage zuvor sein Geheimnis verraten hatte – viel offener zu ihm war.

„Hast du etwa Angst, dass ich im Park entführt werden könnte?“, hörte er nun Sila sagen, die neben ihm auf einer Parkbank in der Sonne saß. Er drehte sich zu ihr und sah ein verschmitztes Lächeln und ein leichtes angriffslustiges Funkeln in den Augen. Er musste lächeln, denn es war eine eindeutige Anspielung auf den Abend, als er Sila im dunklen Park traf und darauf bestand, sie nach hause zu begleiten.

„Nun...“, sagte er, nachdem er einen kurzen Moment über seine Antwort nachdachte, „falls dich jemand wirklich entführen möchte, muss ich ihn wohl zu Boden tanzen. Das ist meine Pflicht als dein Beschützer.“

Sila lachte, „Mein Beschützer, ja?“ Doch Skyres Grinsen verriet, dass er ihren Scherz einfach nur erwiderte. Wieder entstand eine Stille zwischen den Beiden. Skyre sah, dass Sila ihre Augen geschlossen hatte, vermutlich weil sie einfach nur die warmen Sonnenstrahlen genoss. Auch er würde womöglich das Gleiche tun, wenn er nicht plötzlich einen Drang verspürte einen Arm um Silas Schulter zu legen. Erschrocken über einen solchen Gedanken ballte er seine Hände zu Fäusten zusammen und wandte seinen Blick wieder einem wunderschönen Beet zu, deren Blumenpracht in ihrer vollen Schönheit zur Geltung kam. Doch vor seinem inneren Auge sah er sie immer noch mit geschlossenen Augen und einem friedlichen, zufriedenen Gesichtsausdruck in der Sonne sitzen.

'Was ist nur los mit mir?', fragte er sich in Gedanken und spürte plötzlich ein warmes, kribbelndes Gefühl, das sich in seiner Brust ausbreitete und ihm den Atem zu rauben schien. Er presste eine Hand auf seine Brust, denn solch ein Gefühl konnte er überhaupt nicht einordnen. Zu seiner Erleichterung und in der Hoffnung etwas abgelenkt zu werden, hörte er Sila sagen: „Sky... Sag mal, vermisst du es als Star in Korea auf der Bühne zu stehen?“

Sie hatte ihre Augen wieder geöffnet und ihr Blick ruhte auf seinen Augen.

„Ich ... Um ehrlich zu sein, weiß ich es gar nicht...“, er streckte sich, als würde er sich auf eine schwere Antwort vorbereiten. „Eigentlich kenne ich fast gar nichts anderes als von einem Termin zum anderen zu hetzen, von einer Probe zur nächsten und von einer Vorstellung oder von einem Auftritt zur anderen.“ Er erwiderte wieder ihren Blick und sagte fast liebevoll: „Naja ... das war BEVOR ich hier hin kam.“

Sila nickte und es huschte kurzzeitig ein Lächeln über ihre Lippen, was jedoch schnell wieder zu einem ernsten Gesichtsausdruck wechselte. Es sah so aus, als würden sie irgendwelche Gedanken beschäftigen. Nach einer kurzen Stille, lehnte sich Skyre nach vorne und legte seine Ellenbogen auf die Oberschenkel, wobei er die Hände zusammenfaltete und sein Kinn darauf stützte.

„Meinst du“, fragte er leise, ohne dabei seinen Blick von dem Blumenbeet zu nehmen, „ich sollte aufhören Lieder zu schreiben ...?“

Sila riss ihre Augen auf und warf ihm einen schockierten Blick zu, den er aus dem Augenwinkel wahrnehmen konnte.

„Auf keinen Fall!“

Seine Augenbrauen schoben sich zusammen, als er seinen Kopf in ihre Richtung neigte und ihr eine Zeit lang nur in die himmelblauen Augen sah.

„Aber was hat es für einen Sinn, wenn ich Lieder schreibe die zwar gut ankommen, bei denen ich mich aber selbst verliere?“ Er sah traurig aus, stellte Sila fest.

„Manchmal frage ich mich wer ich überhaupt bin und was mich ausmacht...“

„Dann solltest du einmal die Augen aufmachen und dich selbst prüfen. Also ich weiß wer du bist und was dich ausmacht!“

„Wirklich?“ Skyres Kopf schoss in die Höhe. Langsam stand Sila auf und ging einige Schritte auf das Blumenbeet zu, das nicht weit vor ihrer Bank angelegt wurde. Sie hielt ihre Hände immer noch hinter dem Rücken als sie sich zu ihm umdrehte und mit einem sanften Lächeln sagte: „Du bist einer der höflichsten Männer, die ich je gesehen und mit denen ich je getanzt habe. Selbst als ich dich am Anfang ziemlich kalt behandelte und einen großen Abstand zu dir hielt, warst du ein Gentleman. Beim Tanzen hältst du weder zu viel, noch zu wenig Abstand und ermöglichst es mir dadurch mich deiner Führung perfekt anzuvertrauen.“ Sie schmunzelte und ein Funkeln trat aus ihren Augen hervor, „Und du kannst ziemlich schüchtern sein und entschuldigst dich viel zu oft für Dinge, die keiner Entschuldigung bedürfen.“

Nun ging sie wieder auf ihn zu und lächelte, „Das bist du, Skyre. Ich weiß ja nicht wie du in Korea so drauf bist, aber so wie ich dich hier kennen gelernt habe, so bist du wirklich.“

Skyres Herz schlug immer noch schneller als gewohnt. Er war nicht auf solche Worte vorbereitet. „Woher willst du wissen, dass ich nicht in Wirklichkeit so bin wie in Korea und nur hier meine Masken aufsetze?“

„Ganz einfach! Weil dein bester Freund zu dir gesagt hat, dass du schauspielerst und dass du das Leuchten in deinen Augen verloren hast.“

Skyre hatte Sila nach und nach einiges aus seiner Vergangenheit verraten, wodurch sie ihn viel besser verstehen lernen konnte.

„Das Leuchten in deinen Augen, habe ich gesehen!“ Ihre Wangen fingen wieder an, warm zu werden, „Ich habe es gesehen, wenn du tanzt und ich habe es sogar gesehen, als du mir 'After love' im Konzertsaal vorgespielt und -gesungen hast, sogar wenn du mit Kiso deinen Spaß treibst, sehe ich das Leuchten. Deswegen sagte ich, dass du so wie du hier bist, du selbst bist.“

Skyres Augen weiteten sich, als wäre ein Schleier von seinen Augen abgefallen, doch dann schüttelte er den Kopf, als würde er etwas nicht verstehen. „Wie kann es denn sein, dass ich – wie du ausgedrückt hast – ein Leuchten in den Augen hatte, als ich 'After love' gesungen habe. Ich habe es doch ohne irgendwelche Gefühle oder Erinnerungen gesungen...“

Silas Lächeln wurde breiter. „Du hast es für MICH gesungen. Das ist ein Unterschied! Hast du deine Lieder jemals für jemand anderen als für die Fans gesungen?“

Skyre war ganz schockiert als er von Sila das zu hören bekam, was er eigentlich selbst wissen sollte. Tatsächlich! Er hatte das Lied ganz allein für Sila gesungen und vielleicht war das auch der Grund warum er so enttäuscht war, als sie nicht wirklich darauf eingegangen war, sondern eher nach seinem Motiv der geschriebenen Lieder fragte. Plötzlich sprang er auf. „Sag mal! Glaubst du wirklich, dass ich jemals Lieder schreiben könnte, die aus meinem Inneren kommen?“

„Natürlich!“

Er fuhr sich verlegen mit der rechten Hand durch die Haare, als steckte er in einer Zwickmühle. „Was ist, wenn die Fans dann weglaufen?“

„Dann sollen sie doch weglaufen! Es zerstört dich, wenn du dich selbst für sie aufgibst“, sagte Sila und legte freundlich eine Hand auf seinen Arm.

„Aber“, Skyre ging zwei Schritte auf das Beet zu, vielleicht ein wenig zu schnell, aber ihre Berührung löste in ihm wieder das merkwürdige Gefühl in der Brust aus, „worüber sollte ich denn schreiben? Ich habe in meinem Leben nicht so viel erlebt, wie du zum Beispiel.“

Sila senkte den Blick, denn Skyre erzählte ihr vor einigen Tagen, dass er Phie gebeten hatte, etwas von Silas Vergangenheit zu erzählen. Sie war ihm nicht böse gewesen, ihre Vergangenheit gehörte untrennbar zu ihrem Leben, doch irgendwie machte es sie traurig, dass Skyre von Chuckie und Soujirou wusste. Doch sie zerstreute ihre Gedanken und konzentrierte sich lieber darauf Skyre zu helfen, wie sie es versprochen hatte.

„Natürlich nehmen Männer die Dinge, die um sie herum passieren nicht so sehr mit ihrem Gefühl auf, wie wir Frauen, aber du hast hier doch auch schon eine Menge über Freundschaft gelernt, nur um eine Sache zu nennen.“ Sie ging ebenfalls vor das Beet, setzte sich in die Hocke und stupste eine zierliche kleine lila farbige Blume an. „Als ich noch auf einem anderen Internat war und dort im Chor gesungen habe, sagte unser Dirigent uns einmal etwas wunderschönes. Er sagte, dass wir nur dann eine echte Ausstrahlung hätten, wenn wir uns mit dem Text identifizieren würden.“ Sie blickte zu ihm auf. „Du hast eine wundervolle Stimme und zudem noch die Gabe, dass du dich nicht in irgendwelche Liedtexte einfühlen musst, sondern die Möglichkeit hast, deine eigenen Gedanken und Erinnerungen aufzuschreiben. So etwas darfst du nicht wegwerfen!“

Skyre lächelte leicht verlegen, „Du findest meine Stimme 'wundervoll'?“ Silas Blut schoss wieder in ihre Wangen, doch sie drehte ihren Kopf schnell den Blumen zu, in der Hoffnung, Skyre hätte es nicht bemerkt. „Ja! Ich habe sie gleich gemocht als ich sie zum ersten Mal gehört habe“, gab sie ehrlich zu, doch wagte sie es nicht ihn dabei in die, für Koreaner untypisch, blauen Augen zu sehen. Ihre Augen weiteten sich jedoch erstaunt, als sie eine schneeweiße Blume vor ihrem Gesicht sehen konnte. Skyre hatte diese Blume gepflückt und hielt sie ihr entgegen. Überrascht richtete sie sich wieder auf und nahm die schöne Blume in ihre Hand. Sie roch sogar sehr gut.

„Ich finde du bist wie diese Blume“, sagte er leise zu ihr.

Sila hob verwundert ihren Kopf und sah ihn Lächeln. 'Er macht mir wieder Komplimente', dachte sie verlegen, aber sie staunte darüber, dass sie es dieses Mal genoss. Doch sie wollte nicht darauf eingehen, dazu war sie in diesem Moment einfach zu durcheinander, so lächelte sie schelmisch und neckte ihn: „Du vergleichst mich mit der falschen Blume... Diese hier hat keine Dornen.“

Skyre, der ihre Andeutung auf ihre Abwehrhaltung zu Beginn verstand, fing plötzlich herzlich an zu lachen, was Sila ebenfalls zum Lachen brachte.

„Nein Sila! Selbst wenn du Dornen hättest, wären sie nicht spitz genug um jemanden damit wirklich zu verletzen.“ Das Leuchten in ihren Augen faszinierte ihn nur noch mehr, als er sie vor sich stehen sah, mit leicht geröteten Wangen und der weißen Blume in beiden Händen. Sie hatte ihren Blick gesenkt und konzentrierte sich ganz auf die Blume, ohne zu ahnen welch einen Anblick sie für den Mann, der ihr gegenüber stand, bot. Plötzlich schoss eine Melodie durch Skyres Kopf, eine Melodie, die er schon seit einigen Tagen nicht mehr aus seinen Gedanken lösen konnte. Er wusste, dass er diese Melodie noch nie zuvor gehört hatte, doch konnte er sich nicht erklären, warum ausgerechnet Sila in ihm den Drang auslöste ein neues Lied zu komponieren. Wenn er sonst ein Lied schrieb, dann immer aus eigenem Antrieb heraus, weil die Fans ein neues Lied brauchten, doch diese Situation war ihm neu und unbekannt. In seinen Gedanken wählte er die Instrumente und baute die Melodie aus, als Sila ihn aus seinen Gedanken riss. Ihr Blick war voll auf ihn ausgerichtet und ihr Lächeln verzog sich zu einem leichten grinsen, so wie er es häufig beobachten konnte, wenn sie sich mit Kiso neckte.

„Weißt du womit ich dich vergleichen würde?“, fragte sie und drehte ihre Blume in einer Hand.

„Jetzt bin ich aber gespannt!“

„Mit einer Raupe.“

„Mit einer Raupe?“ Skyre war sichtlich verwundert. Die Melodie, die in seinem Kopf herumschwirrte schien abrupt zu verstummen.

„Wieso mit einer Raupe?“

Sila schmunzelte, denn sie hatte mit so einer ähnlichen Reaktion gerechnet. Sie warf einen Blick auf einen grünen Busch, nicht weit vom Beet entfernt und winkte Skyre, damit er ihr folgen sollte. Er sah, dass Sila in die Hocke ging und einige Brennnesselgewächse, die sich darunter befanden, untersuchte.

„Ah, da seit ihr ja noch“, hörte er sie fröhlich zu diesen unschönen Pflanzen sagen. Sie drehte sich nicht um, sondern winkte Skyre herbei, der nun ebenfalls neugierig neben Sila in die Hocke ging um zu sehen mit „wem“ sie gesprochen hatte. Als sein Blick auf mehrere hässliche, schwarze Raupen mit kleinen, weißen Punkten und langen Stacheln am Körper fiel, konnte er sich ein angewidertes Schnaufen nicht verkneifen. Sila saß nur da und beobachtete in aller Ruhe und Geduld seine Reaktion.

„Diese Raupen wecken Verachtung in dir?“

„Na und ob! Ich verstehe nicht warum du mich mit solchen hässlichen Dingern vergleichst! Bin ich so abstoßend?“ Skyre stand energisch auf, wobei sich seine Laune schlagartig zu verändern schien. Sila blieb in der Hocke und beobachtete eine kleine Weile die Raupen beim Fressen. Niemals zuvor konnte er solch einen zärtlichen Ausdruck in ihren schönen Augen sehen und Skyre bereute es schon fast so schlecht von den Tierchen gesprochen zu haben, die so zärtlich angeschaut wurden. Ein Hauch von Neid stieg in ihm hoch, doch er schüttelte verärgert solch dumme Gedanken von sich. Langsam stand Sila auf und richtete ihre blauen Augen auf Skyre.

„Ich habe dich mit einer Raupe verglichen weil ich finde, dass deine jetzige Situation vergleichbar mit dem Leben einer Raupe ist.“ Sila holte tief Luft und nahm sich etwas Zeit um ihre Worte in Gedanken vorzubereiten. „Eine Raupe weiß noch nicht warum sie lebt, sie hat nur einen einzigen Instinkt und der lautet: Fressen! Tag für Tag folgt sie ihrem Trieb und frisst und frisst und frisst.“ Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Es ist wie bei dir. Du machst zwar gerne Musik, doch lässt du dir von anderen Menschen deinen Tagesablauf aufzwingen. Du hetzt von einem Termin zum anderen, singst ein Lied nach dem anderen und schreibst ein Lied nach dem anderen, ohne zu wissen wofür oder für wen.“

Skyre musste schlucken.

Silas Blick wurde etwas ernster: „Als du mir 'After love' gesungen hast und ich den Grund erfuhr, aus welcher Motivation heraus du das Lied geschrieben hast, da ging es mir ähnlich wie dir, als du dich angewidert von den Raupen abgewandt hast.“ Sila ergriff sanft seinen Arm und wandte ihren Blick nicht von seinen Augen ab, „Bitte verstehe mich nicht falsch! Ich habe große Achtung von deiner Leistung, aber ich merke doch wie leer du bei der ganzen Sache bist...“ Die Hand, die seinen Arm ergriffen hatte legte sich nun auf seine linke Brust, „Dein Herz wird dabei unterdrückt, der echte Sky vernichtet!“

Nun senkte Sila traurig ihren Blick und ging einen Schritt nach hinten. „Ich habe einen fröhlichen, energischen und ständig lächelnden Sky kennen gelernt. Einen, der so viel Spaß am Tanzen hatte, dass ich ganz erschrocken war, als ich dich an dem Abend deiner Ankunft so niedergeschlagen gesehen habe. Ich konnte mir gar nicht vorstellen dass du eigentlich so deprimiert sein könntest und meine Freunde haben mir auch kein Wort davon geglaubt.“

„Tja!“, sagte Skyre klanglos, „Dann werde ich mich wohl mein ganzes Leben lang durchfressen müssen, um es mit deinen Worten zu sagen.“

„Weißt du denn gar nicht was das für eine Raupe ist?“, wollte Sila plötzlich wissen.

„Ich bin Sänger, kein Raupenfachmann.“

Sila grinste, „Aus dieser hässlichen Raupe wird ein Tagpfauenauge werden, wenn ihre Zeit dazu reif ist.“ Da sie an seiner Reaktion erkannte, dass er wirklich keine Ahnung hatte von dem was sie meinte, fuhr sie fort: „Ein Tagpfauenauge ist ein wunderschöner Schmetterling in leuchtendem Rot und schwarzen, mit braun gesäumten Rändern. Du erkennst den Schmetterling an seinen großen, leuchtenden rot-gelb-blauen Augenflecken. Dieser Schmetterling ist hier weit verbreitet und geliebt, denn er gehört zu den Edelfaltern. Aus solch einer unscheinbaren, hässlichen Raupe wird eines Tages ein wundervoller Schmetterling werden, der überall gerne gesehen wird und geliebt ist.“

Sila schwang ihre Arme auf ihren Rücken, blickte Skyre fröhlich an und sagte:

„Ich bin überzeugt, dass auch du das Potential tief in dir drin hast, ebenso die Erfahrungen, die du nutzen kannst, um aus einer Raupe ein wunderschöner Schmetterling zu werden.“

Skyre holte tief Luft: „Und du nennst MICH einen Poeten? An dir ist eine Naturforscherin verloren gegangen!“

Sila lachte, „Nicht doch! Als ich krank war und das Bett hüten musste, da musste ich mir doch irgendwie die Zeit vertreiben. Also habe ich ein Buch über Schmetterlinge studiert.“

„Hmm ...“, Skyre warf erneut einen Blick auf die Brennnesseln, „Anscheinend habe ich nicht weiter als die Raupe gesehen... vielleicht liegst du gar nicht mal so falsch damit... Aber es ist so schwer umzudenken!“

„Dafür hast du doch deine Freunde.“

Skyre lächelte und schickte sich an wieder auf den sonnigen Weg zu gehen. „Ja, aber die Lieder können meine Freunde nicht für mich schreiben...“
 

Skyre und Sila gingen eine Weile schweigend nebeneinander. Jeder schien seinen Gedanken nachzuhängen, bis Skyre mitten auf dem Weg stehen blieb. Verwundert drehte sich Sila, die ihre Blume nun hinter ihr linkes Ohr gesteckt hatte, zu ihm um und hob fragend die Augenbrauen an.

„Seit einigen Tagen habe ich eine Melodie im Kopf“, hörte sie Skyre sagen.

„Tatsächlich? Welche?“

„Ich kenne sie nicht. Die Melodie nimmt einfach so Gestalt in meinem Kopf an.“

„Interessant! Ich würde sie gerne hören.“

Skyres Gesicht erhellte sich und plötzlich verspürte er einen inneren Drang diese Melodie auszubauen. Merkwürdigerweise kamen ihm sogar an einer Stelle zwei Worte immer und immer wieder in den Sinn. Zwei Worte, die sein Gefühlsleben komplett durcheinander schmissen. „Es ist noch gar nicht wirklich ausgereift, aber wenn du Lust hast, kann ich dir einen Teil auf dem Flügel vorspielen“, schlug er Sila vor.

„Einfach so? Ohne Noten?“

Skyre lachte: „Ich sehe zwar nicht so aus, bin aber Profi! Dafür brauche ich doch keine Noten!“

Silas Wangen erröteten verlegen. „Aber du willst doch nicht wieder in den Konzertsaal?“

„Ich weiß nicht wo sonst noch ein Flügel steht.“

„Aber da dürfen wir doch nicht hin!“, beharrte sie.

Skyre grinste und holte einen Schlüsselbund heraus, den er vor ihrem Gesicht herum baumeln ließ. „Nicht? Und warum hat mir der Direktor diesen Schlüssel höchst persönlich nachmachen lassen?“

Sila riss die Augen auf, „Das hat er getan?“

„Ja! Er sagte ich darf den Flügel nutzen, wann immer mir danach ist. Er hat auch nicht verboten, dass ich dort in hübscher Begleitung erscheinen kann.“

'In hübscher Begleitung', hallte es in Silas Ohren. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie und Skyre wirklich eher so aussahen als wären sie ein Paar, die den sonnigen Tag im Park nutzten, wie Sango und ihr Shadow es, seit sie ein Paar waren, so gerne taten. Mit großen Augen und hochroten Wange drehte sie sich abrupt von Skyre weg. Warum hatte sie die Paare, die den Park überfüllten vorher gar nicht wahrgenommen? Warum wählte sie ausgerechnet den Park, als Skyre sie begleiten wollte? Plötzlich wurde ihr schlecht, auch wenn sie sich gar nicht erklären konnte warum und der Park schien sich um sie herum drehen zu wollen. Sie dachte an Skyres Komplimente, an die weiße Blume, daran, dass sie ihm unbewusst ziemlich nahe gekommen war und sogar ihre Hand auf seine Brust legte. 'Was habe ich nur getan?'

„Sila?“

Skyres erschrockener Gesichtsausdruck, nachdem er sich vor sie gestellt hatte, riss sie aus ihren Gedanken. „Was ist passiert? Du bist so blass!“

Sie schaffte es gerade noch einen Satz nach hinten zu machen, als Skyre ihre Schultern ergreifen wollte und blickte ihn nur mit großen Augen an.

„Was hast du denn?“, fragte Skyre besorgt, dem nicht entgangen war, dass sie ihm ausgewichen war.

„Ich ... äh ... Also ...“, langsam bekam sie ihre Farbe im Gesicht zurück, doch schien sie von einem Moment zum anderen völlig die Fassung verloren zu haben. Skyre sah sie nur ratlos an.

„Sila? Sky?“, hörte er in diesem Augenblick und sah, dass Sila sich rasch zu den Stimmen umdrehte. Obwohl er in ihre Blickrichtung gestanden hatte, hatte er Sango und Shadow zuvor gar nicht wahrgenommen. Der verwunderte Gesichtsausdruck von Sango, gefolgt von einem fragenden Blick, bestätigte Silas Vermutung, dass der harmlose Aufenthalt im Park ein völlig falsches Bild auf sie und Skyre warf.

„Ihr seit immer noch unterwegs?“, ergriff Sango das Wort, doch Sila sah an ihrem Blick, dass sie eindeutig mehr sagen wollte, es sich jedoch zu verkneifen schien.

„Wir haben uns unterhalten...“, erklärte Sila schnell, eher zu schnell.

„Mit Sky?“

„Ja...“

Sangos Augenbrauen schossen in die Höhe als sie von Sila auf Skyre blickte, der einige Meter entfernt fröhlich mit Shadow plauderte, und wieder zurück zu Sila schaute. Doch bevor sie etwas sagen konnte, wechselte Sila schnell das Thema:

„Und ihr beiden? Ihr tanzt nicht mehr mit den anderen?“

Sango lächelte. „Wir haben ein wenig mit den anderen getanzt, aber heute ist das Wetter so schön, also wollten wir lieber unsere gemeinsame Zeit nutzen und hier im Park spazieren“, und fügte mit einem durchdringenden Blick hinzu, „so wie alle anderen Pärchen hier.“

Sila blieb die Luft aus. Sie ärgerte sich darüber, dass sie mit Skyre in den Park gegangen war. Wenn sie jetzt darauf eingehen würde oder die Lage zu erklären suchte, so würde Sango mit Sicherheit denken, sie suche nur Ausreden, daher sagte sie schlicht: „Ach so...“

„Wollt ihr euch uns anschließen?“, fragte nun Shadow Skyre und Sila.

Skyre schüttelte den Kopf, ohne Silas Reaktion abzuwarten. Er hatte den Entschluss gefasst, dass die Melodie in seinem Kopf endlich Gestalt annehmen sollte und er wollte den Moment keineswegs verpassen, Silas Reaktion zu sehen. Daher ergriff er das Wort:

„Danke, aber Sila und ich wollen noch was erledigen. Außerdem möchten wir euch Turteltauben nicht im Wege stehen, nicht wahr, Sila?“

Ein dankbarer Blick von Sila war seine Belohnung als er seine Hand sanft auf ihren Rücken legte um anzuzeigen, dass sie gehen wollten. Sila nickte freundlich und ließ zusammen mit Skyre nach einem kurzen Abschied eine verwunderte Sango und einen ebenso verwunderten Shadow stehen.
 

*** ** * ** ***
 

Der Konzertsaal löste bei Sila, wie schon beim ersten Besuch, ein großes Erstaunen aus. Doch war sie dankbar, dass sie dieses Mal keine Angst hatte gesehen oder bestraft zu werden, weil Skyre die Erlaubnis hatte, den Saal zu betreten. Aus einem unbekannten Grund empfand Sila ein kleines Kribbeln im Bauch, als wäre sie ein kleines Mädchen, das ein großes Geheimnis mit ihrer besten Freundin teilte. Sie sah auf die Bühne, die Skyre in dem Augenblick bestieg und merkte erst jetzt, dass sie tatsächlich ein großes Geheimnis in sich trug. Auch wenn sie Skyres Vermutung teilte, dass Philphlader ebenfalls seine Identität herausgefunden hatte, so wusste Sila es als einzige aus seinem Mund. Skyre bat sie, es vorerst noch geheim zu halten, bis er etwas klarer denken konnte und Sila akzeptierte seine Bitte.

'Freunde', klang es in ihren Gedanken, 'Jetzt habe ich es doch tatsächlich zugelassen, dass wir Freunde wurden... Und jetzt?' Ein kalter Schauer lief ihren Rücken hinunter als sie daran dachte wie Skyre sie angesehen hatte, als er ihr die Blume reichte und sagte, dass sie wie die Blume sei. Vorsichtig berührte sie mit ihren Fingern die Blume an ihrem Ohr.

'Wie kann er mich mit einer weißen Blume vergleichen, wo ich doch so grob zu ihm war?' Ein ziehen in ihrer Brust ließ sie den Atem anhalten. 'Nicht doch!' Erschrocken hob sie ihre Hand an ihr Herz, was bei der Erinnerung an die Blume wesentlich schneller schlug, als sie es jemals zulassen durfte. 'Du dummes, dummes Mädchen!', schimpfte sie sich selbst aus, 'Willst du denn niemals dazu lernen?!' Für einen kurzen Moment fühlte sie, wie Tränen sich in den Augen ansammeln wollten, 'Genau aus diesem Grund habe ich mich vor ihm fern gehalten! Bitte nicht!' Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und schüttelte die Gedanken entschieden, fast wütend von sich ab. Sie zwang sich mit festem Schritt ebenfalls auf die Bühne zuzuschreiten auf der der Flügel stand und vor dem Skyre sich bereits hingesetzt hatte und einige Akkorde spielte. Als sie an seiner Seite stand und auf seine Hände blickte, sah sie wie diese nun über die Tasten wanderten, ohne diese jedoch hinunter zu drücken. Es schien als würde Skyre die Töne in Gedanken durchgehen. Plötzlich hob er seinen Kopf an, lächelte und sagte: „Das ist es! Noch nicht ganz ausgearbeitet, aber das klingt ganz nach einem neuen Lied!“

Mit diesen Worte blickte er wieder auf die Tasten und begann eine wundervolle Melodie zu spielen. Es war eine stürmische Melodie, voller Energie. Sila vermutete, dass es das Intro sein könnte, während die Töne plötzlich sanft wurden, ja sogar fast zärtlich klangen. Die Melodie wurde wieder lauter und erhabener, bis sie wiederum wechselte, jedoch aber nichts von ihrem Elan verlor. Sila vermutete, es könnte der Refrain sein und als sie Skyre summen hörte, fühlte sie sich dessen bestätigt. Es folgte wieder ein Teil, bei dem die Melodie sanfter wurde um zum Ende hin wieder anzusteigen und zu dem Part hinführte, bei dem Skyre erneut mitsummte.

Als Skyre sein Lied zu ende gespielt hatte, blickte er Sila strahlend an.

„Das ist es! Sila! Das wird mein Comebacksong!“

Seine Freude war ansteckend und ließ ihr einen kleinen Jubelruf entlocken.

„Ich freue mich sehr für dich, Sky! Wie wird er heißen?“

Der Satz löste eine merkwürdige Reaktion in Skyre aus, denn das Lachen wurde zu einem geheimnisvollen Lächeln, was Sila gar nicht einschätzen konnte.

„Das sage ich nicht!“

„Eh? Warum nicht?“

Skyre klappte grinsend den Flügeldeckel wieder über die Tasten. „Weil der Song noch nicht fertig ist. Wenn es soweit ist, dann werde ich es verraten!“

„Aww! Du bist gemein! Dann sing mir doch wenigstens den Part vor, den du gesummt hast.“

Skyre stuppste ihre Nase an. „Nein! Sei nicht so neugierig.“ Er sah ihren Schmollmund und nahm ihr gut riechendes Parfüm wahr. Was würde er nur darum geben, wenn sein Lied schon fertig wäre und er ihr die beiden Worte des Titels sagen konnte, doch er war so motiviert, dass er es nicht abwarten konnte, das Lied fertig zu schreiben und es seiner Band vorzustellen. Sein Herz schlug vor Vorfreude schneller, als er es jemals zuvor bei einem neuen Lied spürte. Er hatte das Gefühl er müsste platzen, wenn er seiner Freude über ein Lied, was aus seiner tiefsten Empfindung heraus geschrieben werden sollte, nicht Ausdruck verleihen konnte.

So hob Skyre Sila lachend an, ähnlich wie er es bei den klassischen Tänzen tat, und drehte sich einmal mit ihr im Kreis. Als er die verwunderte Sila wieder sanft auf den Boden stellte, ergriff er ihren Arm und wirbelte sie in wenigen Schritten über die Bühne, als würden sie zu einer Melodie tanzen.

Nachdem beide wieder still standen, starrte Sila Skyre nur mit großen Augen und einem rasenden Herzschlag an, so sprachlos war sie schon lange nicht mehr. Skyres Verhalten war so sonderbar, dass sie sich ernsthaft fragte ob es nicht doch gefährlich war sich mit diesem unglaublichen Mann alleine in diesem Saal aufzuhalten.

Ohne zu wissen was geschah, fand sich Sila in seinen Armen wieder und spürte seine starke Umarmung. Sie war so überrumpelt, dass sie es noch nicht einmal geschafft hatte, die Hände schützend vor ihren Körper zu legen, die nur kraftlos an ihrer Seite hingen. Skyre spürte, dass Sila ihren ganzen Körper anspannte und wusste, dass es ein Fehler war, dem Drang sie in den Arm zu nehmen, nachzugeben. Doch konnte er nicht anders, weil er sie mit Sicherheit für einige Wochen, vielleicht Monate nicht mehr sehen würde und so hauchte er ihr ins Ohr:

„Vergib mir bitte... Ich bin nur so dankbar, dass ich nicht weiß wie ich es ausdrücken soll... Danke, Sila!“

Nun kehrte Leben in ihre Arme zurück und sie hob sie auf seine Brust um sich vorsichtig von ihm wegzudrücken. „Du brauchst dich nicht zu bedanken! Schreib ein wundervolles Comebacklied und zeig deinen Fans wie du wirklich bist!“

Skyre kramte in seiner Hosentasche, holte seinen Schlüsselbund heraus und löste den Schlüssel für den Konzertsaal vom Bund. Mit fragendem Blick nahm Sila den dargebotenen Schlüssel in die Hand und sah wieder den Blick, mit dem er ihr die Blume gereicht hatte, als er leise sagte: „Ich muss zurück! Noch heute!“

Mit diesen Worten sprang er von der Bühne und ging in Richtung Ausgang. Kurz bevor Sila ihn nicht mehr sehen konnte, blieb er stehen und drehte sich für einen flüchtigen Blick um: „Warte auf mich!“
 

Noch ehe sie etwas entgegnen konnte, war er außer Sichtweite und ließ sie wie gelähmt auf der Bühne stehen. Erst als Sila auf den Schlüssel in ihrer Hand hinunterblickte, bemerkte sie, dass sie am ganzen Körper zitterte und ihr Herz nicht aufgehört hatte zu rasen. Sie ließ sich auf den Boden sinken und umklammerte mit ihren Händen die Arme.

'Tue mir das nicht an, Sky! Du darfst dich nicht in mich verlieben! Unter keinen Umständen darfst du das!'

Eine warme Träne rollte ihre Wange hinunter. 'Ich kann nicht... Nie wieder!'
 

Ende Kapitel 22:

~ Die Blume und die Raupe ~

~ Veränderungen ~

Wenn es für Dummheit einen Preis gäb'

Würd' ich ihn garantiert gewinnen.

Die Herren geh'n mir auf die Nerven.

Das hab' ich hinter mir, Männer spinnen!
 

Was willst du verstecken?

Du bist in den Kerl verschossen!

Willst du uns erschrecken?

Und ihn von der Kante stoßen?

Änd're deine Meinung,

sonst bist du allein und er ist nicht mehr da!
 

Oh nein, niemals, nie im Leben, nicht so!
 

Gib zu, du schwebst nur auf Wolken, oh-oh
 

Kein Liebeskram, nein, ich will keinen Mann!

Ich will die Männer nur vergessen,

Sonst werd' ich's bitter bereuen!

Das ganze ist für mich gegessen!

Sonst werd' ich nächtelang nur noch heulen!
 

Was soll das Gejammer?

Du willst alles nur verneinen!

Das ist doch der Hammer!

Es gibt für dich nur noch einen.

Sei jetzt mal erwachsen, mach' jetzt keine Faxen,

Mädchen, sag', sag', sag' doch „Ja!“
 

Oh nein, niemals, nie im Leben, nicht so!
 

Du wirst schon seh'n, sag' der Liebe „Hallo!“
 

Es tut nur weh, nein, ich will keinen Mann!
 

Sei still, du spinnst, ja, du willst einen Mann!
 

So muss es sein, ich will keinen! Lasst mich allein, ich will keinen!
 

Sieh's endlich ein, du bekommst deinen Mann.
 

... Na, fein, kann sein, ... außer IHM keinen Mann …
 

--- Aus: Disney's Hercules - „Ich will keinen Mann“ ---
 


 

*** ** * ** ***
 

Als sie vor der Tür zum Tanzsaal stand, in dem laut Anzeige Kiso, Philphlader, Sango, Shadow und Phie tanzten, holte Sila erst einmal tief Luft. Mittlerweile hatte sie sich wieder gefangen und wollte noch ein wenig zusammen mit ihren Freunden tanzen, auch wenn es schon weit über den Nachmittag hinaus war. Auch das Abendessen hatte sie verpasst, wie ihr ein Blick auf die Uhr bestätigte.

'Dieses Mal werde ich nicht nachgeben!', versuchte sie sich immer wieder streng vorzusagen. Doch immer wenn die Wut über die Gedanken, die sie den Tag über beschäftigt hatten, vorüberging, kamen ihr Zweifel ob sie Skyres Verhalten tatsächlich richtig interpretiert hatte. Schließlich zuckte sie erschöpft vom Grübeln ihre Schultern und sagte zu sich selbst: „Du bewertest es einfach über...“

Auch wenn sie wusste, dass sie später wieder in den Tanzsaal kam, als geplant, so hätte sich Sila nicht ausmalen können welch ein Anblick sich ihr bot, als ihre Freunde sie durch die Tür kommen sahen.

Philphlader lief ihr sofort entgegen und umarmte sie: „Neechan! Ist alles in Ordnung? Wir waren drauf und dran dich suchen zu gehen!“

„Wo hast du dich denn so lange rumgetrieben, Sis? Sango und Shadow sind schon zwei Mal den Park durchgegangen!“

Sila konnte an Kisos verärgertem Gesichtsausdruck erkennen, dass er sich Sorgen um sie gemacht hatte. Aber nicht nur Kiso, denn Phie, Sango und Shadow schienen genau so erleichtert darüber zu sein Sila in ihrer Mitte wieder zu sehen.

Sichtlich verlegen blickte sie in die Runde: „Ich habe wohl die Zeit vergessen... Aber warum macht ihr euch denn gleich solche Sorgen?“

Jetzt erst fiel ihr Blick auf ihre Sporttasche, die auf einer Bank lag. Es war die Sporttasche, die Skyre zusammen mit seinen Sachen in sein Fach geschlossen hatte.

„Herrje!“, rief sie aus und ging zu ihrer Tasche, „Ich habe ja gar nicht dran gedacht, dass Sky unsere Taschen zusammen weggelegt hatte... Wie kam sie her?“

„Wie wohl! Die hat Sky hier abgeliefert“, sagte Kiso, „Und zwar vor 3 Stunden!“

„Er hatte es eilig wieder nach Korea zu kommen“, fügte Philphlader verwundert hinzu. „Hat sich schnell verabschiedet, deine Tasche Kiso in die Hand gedrückt und ist gleich wieder weg gestürmt...“

Sila spürte, wie alle Blicke auf sie gerichtet waren und Sangos Frage: „Was ist denn passiert?“, hätte sie vorausahnen können. Ruhig zuckte sie mit den Schultern, öffnete ihre Tasche, um einen kurzen Kontrollblick hineinzuwerfen und sagte als wäre es das Normalste der Welt: „Nichts ist passiert! Zumindest nichts von dem was ihr vielleicht denkt! Sky wollte nur so schnell wie möglich nach Korea zurück um sein Comebacklied zu schreiben.“

Erst als der Reißverschluss wieder geschlossen war, sie sich wieder den Freunden zuwandte und den entsetzten Gesichtsausdruck von Philphlader sah, bemerkte Sila ihren Ausrutscher.

„Was für ein Comebacklied?“ Philphladers Frage klang fast wie ein Flüstern.

Sila fuhr mit einer Hand an ihren Mund. 'Es sollte ein Geheimnis sein...' Aber es wäre auch nicht fair ihren Freunden jegliche Erklärung zu verwehren, stellte Sila fest. Skyre musste gewusst haben, dass seine plötzliche Ausreise Sila in eine missliche Lage bringen würde. Sie lies die Hand wieder sinken und ihre Augen begannen zu leuchten, als sie Philphlader anstrahlte: „Du hast recht vermutet, Imôto! Skys vollständiger Name lautet: Kyun Skyre Yong...“

„Nein!“, war das Einzige, was Philphlader in ihrem Schrecken in der Lage war zu erwidern. „DER Kyun Yong...?“

„Jepp!“

„W – wie kommt er denn hier zu uns auf die Tanzschule?“ Philphlader war so verwirrt, dass sie sich erst einmal neben Silas Sporttasche auf die Bank setzen musste. Sango mischte sich fragend ein: „Wer ist Kyun Yong?“

Sila grinste: „Kyun Yong ist der Leader und Texter einer sehr berühmten koreanischen Band mit dem Namen 'RedMotion'. Die Gruppe schreibt sogar ihre Songs für unsere Tanzinternate.“

„Hör auf uns ein Märchen aufzutischen, Sis“, konterte Kiso, dem das Gespräch ziemlich unglaubwürdig wurde.

„Das sind keine Märchen!“, schmollte Sila. „Aber es war ja klar, dass du mir nicht glauben würdest! Du hast mir ja noch nicht einmal geglaubt, als ich erzählt habe, dass Sky so deprimiert war!“ Grummelnd fügte sie hinzu, „Kein Wunder, dass Sky wollte, dass es noch keiner weiß...“

„Sky war deprimiert?“, wollte Sango besorgt wissen. Es war unschwer zu erkennen, dass Sango freundschaftlich an Skyre hing.

„Das war er! Eigentlich ist er nur hier auf das Internat gekommen, weil er vor seinen Fans und Aufgaben in Korea geflohen ist“, sie wandte sich bei ihrer Erklärung an Philphlader. „Wir haben es alle nicht gemerkt, aber ich habe es nicht geträumt, als ich Sky so am Boden zerstört gesehen habe...“

Sango runzelte die Stirn. „Aber er war doch immer so fröhlich. Auch als er sich verabschiedet hat. Da hat er richtig gestrahlt und sich total gefreut!“

„Er hat seine Rolle gut gespielt, Sango-chan“, hörte Sila dicht neben sich und sah wie Phie sich zu ihrer Schwester setzte.

„Du hast davon gewusst?“ Sila war verblüfft, doch Phie schüttelte den Kopf, „Nein! Ich habe nur gesehen, dass sein Lächeln nicht echt war … Zumindest nicht immer. Den Grund dafür kannte ich nicht. Aber das was du erzählt hast, ergibt nun einen Sinn.“

„Seit wann weißt du das mit Yong-Kyun, Neechan?“, fragte Philphlader interessiert.

„Noch nicht so lange wie du es vermutet hast, Imôto. Es ist noch keine Woche her...“

„Wie hast du das herausgefunden?“ Philphladers Energie kam plötzlich wieder zu ihr zurück und ihre Augen nahmen das gleiche Leuchten ein, wie die von Sila.

„Als ich in der Stadt war, habe ich endlich die CDs von 'RedMotion' gefunden und als ich Sky auf dem Cover sah, bin ich fast umgekippt!“

„Und dann?“

„Dann bin ich sofort ins Internat gegangen, zu Sky in den Raum und habe ihn zur Rede gestellt!“

„Du hast WAS?“ Der Satz kam fast wie aus einem Munde von Silas Freunden. Verwundert sah sie sie an. „Was ist daran so seltsam?“

„Sowas hättest du früher nie gemacht“, bemerkte Philphlader. Die anderen nickten zur Bestätigung. Wieder zog Sila ihre Lippen kraus: „Was meinst du mit 'früher'?“

„Na … also … früher eben!“

„Das war sehr direkt“, rettete Phie ihre Schwester. „Es ist noch gar nicht so lange her, da hast du solche Dinge eher zu Tode geschwiegen!“

„Tsz!“, schnaubte Sila und drehte sich beleidigt um.

„Du, Neechan...“, Philphlader zupfte an Silas Oberteil, „Warum ist Sky denn jetzt so schnell nach Korea zurück?“

Ohne sich wieder umzudrehen antwortete Sila: „Skys Problem lag darin, dass er immer nur Lieder für seine Fans geschrieben hat. Dass, was sie hören wollten, hat er ihnen quasi auf einem Silbertablett vorgesetzt.“ Sie drehte sich nun wieder zu ihren Freunden um, legte ihre Sporttasche auf den Boden und setzte sich ebenfalls neben Philphlader. „Dabei hat er sich immer mehr gefragt wofür er das alles macht und von Termin zu Termin hetzt. Nach und nach landete er in einer Identitätskrise...“

Sango war es, die den Ausgang der Geschichte nicht schnell genug hören konnte. „Und wieso ist er jetzt so schnell wieder nach Korea zurückgekehrt?“

„Nachdem er mir ein Lied vorgesungen hat und es keinen Zweifel mehr gab, dass er der echte Yong-Kyun ist, haben wir uns viel über das Thema unterhalten...“ Silas Stimme war ruhig und sachlich als sie erzählte, „Heute hat es bei ihm irgendetwas verändert. Er erzählte, dass er gerne ein Lied aus eigenem Antrieb und Erfahrungen schreiben wollte und er hat sogar schon eine Melodie im Kopf gehabt. Die Melodie hat er mir vorgespielt und dann sagte er, er muss sofort zurück um seinen Bandkollegen das Lied vorzustellen... Das war's. Mehr weiß ich nicht!“

'Warte auf mich', hallte es in ihrem Geist nach und sie hob unbewusst ihre Hand an die weiße Blume hinter ihrem linken Ohr.

„Er hat dir ein Lied gesungen, Neechan? Welches?“ Philphladers Augen funkelten wie Diamanten. Vergessen waren all ihre Gedanken der Tage zuvor. Vergessen auch die Sorge, dass Kiso Sila und ihn verkuppeln wollte.

„'After love'. Er hat gefragt welches Lied der Gruppe ich am liebsten mag und ich habe 'After love' gesagt.“

Das Quietschen, dass nun von den beiden erwachsenen Frauen kam, lies Kiso die Augen rollen. Es war ein seltener Anblick, aber es zeigte, dass Philphlader und Sila wohl den selben Geschmack hatten.

„Und wie ist es ihn live zu hören?“

„Wiiiiii~ Unglaublich, Imôto! Du würdest dahinschmelzen! Ich war total baff!“

Sango hob eine Augenbraue an und setzte sich auf die freie Bank neben Sila,

Philphlader und Phie. Ihr lautes Seufzen lies Sila und Philphlader innehalten. „Ich weiß gar nicht was an einem Rockstar so toll sein soll... Schon gar nicht an einem koreanischen.“

„Stimmt ja! Du magst koreanische Lieder nicht so dolle,“ stellte Kiso grinsend fest.

„Mir ist es lieber, wenn Sky hier mit uns tanzt als irgendwo in Korea herumzusingen. Er lockert unsere Gruppe so schön auf und jetzt wo Sila und er Freunde sind, macht es noch mehr Spaß! Sky soll wieder zurückkommen!“

Ob Shadow eifersüchtig war oder seiner Freundin einfach nur Trost spenden wollte, als er sich neben sie setzte und ihre Hand nahm, wusste Sila nicht, aber sie fand es niedlich als Sango ihren Kopf an seine Schulter lehnte und ein Gesicht machte, als wäre jemand gestorben.

„Er kommt zurück!“, sagte Sila schnell.

„Woher weißt du das?“ Kisos Blick durchdrang ihre Augen, als wolle er erneut ihr Herz ergründen. Dieser Blick hatte die Macht, Silas ganzen Zorn herbeizubeschwören. Es war der selbe Blick, den er anwandte, wenn er wissen wollte ob sie sich nicht doch ein klein wenig zu dem koreanischen Tänzer hingezogen fühlte. Doch Sila war es leid sich mit ihrem Adoptivbruder anzulegen.

„Weil er es gesagt hat!“

„So wie er 'gesagt' hat, dass er NIE wieder kommen würde?“

„Gib es auf, Kiso! Heute habe ich keine Lust mich mit dir zu streiten... Damals habe ich es gesagt, damit du mich in Ruhe lässt.“ Sie stand auf und baute sich in voller Größe vor ihm auf. Weil sie beide die gleiche Größe hatten und Sila ihre flachen Lieblingsschuhe trug, konnte sie ihm direkt auf Augenhöhe in die Augen sehen. „Sky hat mir sein Geheimnis verraten, weil ich ihn zur Rede gestellt habe. Weder er, noch ich sind daran interessiert deinem Verkuppelungsversuch nachzukommen! Lass mich damit endlich in Ruhe, hörst du?!“

Doch Kiso war nicht der Typ, der so schnell aufgab. Er verschränkte seine Arme vor Sila und fragte verschmitzt: „Und woher weißt du das? Woher willst du wissen dass er kein Interesse hat? Warst du da auch so mutig und hast ihn gefragt?“

Sila wollte ernsthaft ruhig bleiben und sich nicht aufregen, aber dieser Spruch ließ ihr Gesicht glühen. „Du hast kein Recht mich als Zielscheibe für irgendwelche Spielchen zu benutzen! Auch wenn es sich jetzt wie eine Ausrede anhört; Sky und ich waren die letzten Tage viel zusammen, ja! Wir haben uns besser kennengelernt, ja! Und wir waren sogar im Park spazieren! Aber nur weil wir Freunde geworden sind! Nicht mehr und nicht weniger! Mir hat der arme Kerl leid getan und ich habe mir vorgenommen ihm zu helfen.“ Sie wurde ruhiger, zuckte erneut mit der Schulter und sagte schon viel beherrschter: „Ich freue mich mit ihm, denn anscheinend habe ich ihn aufmuntern können. Ich mag seine Lieder sehr gerne und ich finde es toll wie er singt! Auch seine Stimme mag ich richtig gerne. Ich hoffe, dass er ein tolles Comebacklied schreiben kann und die Fans ihn noch lieber haben werden, auch wenn es heißt“, dabei blickte sie lächelnd zu Sango, „dass er nie wieder zurückkommen sollte!“

„Awww!“, Philphlader schien sich in dem Augenblick nichts aus der Verkuppelungsgeschichte zu machen, sie seufzte nur wehmütig, „Ich wünschte ich hätte sein Lied auch gehört...“

Etwas stolz schritt Sila auf den Pult des Spieleführers zu. Zum ersten Mal merkte sie, wie hoch Skyre bei ihren Freunden angesehen war. Dass er gerade sie ausgesucht hatte, um sein Geheimnis mit ihr zu teilen, erfüllte sie aus irgendeinem Grund mit Stolz.
 


 

*** ** * ** ***
 

„Gute Nacht!“ Philphlader und Kiso nickten noch einmal in die Gruppe, bevor sie den Raum verließen. Auch Sango und Shadow machten sich händchenhaltend auf den Heimweg. Phie und Sila blieben alleine und tanzten noch mehrere Lieder gemeinsam, jedoch recht schweigsam. Erst nach einer guten Stunde bemerkte Sila Phies Zögern beim Angeben des Startsignals für das nächste Lied. Auf die Frage ob sie müde sei, erwiderte Phie mit einem ernsten Blick und einem ganz anderen Thema: „Falls du mal reden möchtest, ich stehe dir zur Verfügung.“

„Eh?“

Phie lächelte, „Es ist nur ein Vorschlag, du musst dich nicht gezwungen fühlen.“

Sila zog ihre Augenbrauen zusammen. Die ganzen Tänze hindurch fühlte sie Phies Blick auf sich ruhen, als würde sie sie studieren. Bei der Diskussion mit Kiso über Skyre hatte sie immer geschwiegen, wie auch an diesem Tag. Doch wenn Phie mit Sila alleine war, merkte sie, wie Phie mehr zu denken schien als sie durch ihre Zurückhaltung anzudeuten vermochte. Ihre Augen wichen dem Blick von Phie aus, doch nur für einen Moment um nachdenken zu können. Dann hob sie den Kopf an und erwiderte Phies Blick:

„Weißt du... Eigentlich weiß ich gar nicht worüber ich reden könnte... Es“, Sila suchte nach Worten, „scheint sich irgendetwas zu verändern. Aber ich muss zugeben, dass ich es mit aller Macht verhindern möchte! Ich möchte keine Veränderung, ich bin zufrieden so wie es ist!“

Phie nickte, sagte jedoch nichts. Als Sila sich schon fragte, ob das Thema damit abgehakt sei, hörte sie Phie direkt sagten: „Die weiße Blume ist von ihm, oder?“

„Ja...“

„Das, was du zu Kiso gesagt hast, habe ich dir geglaubt... Allerdings nur bis zu dem Moment, als du die Blume berührtest.“

Sila riss die Augen auf. „Es ist nur eine Blume!“

„Und Sky müsste schon blind sein, wenn er dich nicht als die attraktive, junge und hübsche Frau sehen würde, die du bist!“

„Was willst du damit sagen?“, fragte Sila und spürte, dass ihr Herz das doppelte Tempo an den Tag legte als normal war.

Phie lächelte ruhig, ließ ihren Blick jedoch nicht von Silas blauen Augen. „Es gibt nur sehr sehr selten Freundschaften zwischen einem Mann und einer Frau, die gänzlich platonisch sind, ohne eine tiefere Bindung. Die Beziehung zwischen Kiso und dir und zwischen Sango und Sky würde ich in diese Kategorie stecken, aber … wenn ich so offen sein darf … bei Sky und dir ist es nicht der Fall.“

„Das bildest du dir nur ein! Wirklich, ich will nichts von ihm! Ich bin so glücklich damit, dass ich die Sache mit dem Liebeskummer ein für alle mal hinter mir habe!“

„Bist du dir da sicher? Was ist wenn Sky dich doch mit anderen Augen sieht?“

„Nein!“ Sila wollte davon nichts hören. Sie war endlich so weit, dass sie sich selbst einreden konnte, dass die Blicke, die Zärtlichkeit in seinen Augen, nichts zu bedeuten hatten. „Und selbst wenn, dann muss er sich eben in jemand anderen verlieben! Ich stehe nicht zur Verfügung!“

Phie seufzte. Sie war sich bewusst, dass das Thema alte Wunden von Sila aufreißen könnte, doch aus ehrlicher Zuneigung zu der jungen Frau, die vor ihr stand, wollte sie dieses Mal keine Gelegenheit verpassen ihr zu helfen. Sie hatte mit Chuckie und Soujirou einiges erlebt und durchfochten, dass es kein Wunder für Phie war, dass Sila in dem Augenblick so reagierte.

Ein Schauer durchfuhr Silas Körper, als sie sich an seine Umarmung zurückerinnerte. Er hatte sie so stark an sich gedrückt, als hätte er Angst sie nie wieder zu sehen. Sila fühlte noch immer seinen schnellen Herzschlag auf ihren Händen, als sie sich von ihm abgestoßen hatte. Und da war auch noch der Satz „Warte auf mich!“ Dieser elende Satz, hallte immer noch in ihren Ohren.

„Vergiss es!“

„Wie bitte?“, in Phies Gesicht stand Verwunderung geschrieben.

„Oh... entschuldige... Ich habe eigentlich nur laut gedacht. Sky sagte, bevor er ging, ich solle auf ihn warten! Aber er kann sich das abschminken!“ Nun nahmen Silas Wangen Farbe an. Sie wusste selbst nicht warum sie es Phie erzählte. Doch Phie legte ihre Hand auf Silas Schulter, als sie sagte: „Dann wärst du endlich nicht mehr allein!“

„Nein! Ich werde nicht nachgeben. Nicht noch eine entsetzliche Liebestragödie.“ Phie merkte schnell, dass Sila durchaus in der Lage war, die Realität nicht zu verlieren. „Selbst wenn ich seine Gefühle teilen sollte – falls du Recht hast – so hat es aus meiner Sicht eh keine Chance. Schau: Er lebt in Korea, ist dort ein gefeierter Star und du sagst ich soll mich ihm in die Arme werfen?!“

Phie schmunzelte: „So habe ich es nun auch nicht ausgedrückt.“

„Aber du meintest das so. Ich würde wieder so unglücklich werden wie bei Chuckies Reisen! Nee du! Das mache ich nicht noch ein mal mit! Falls ich mich je wieder verlieben sollte, dann möchte ich einen Mann, der meine Sprache spricht und der Zeit für eine Beziehung hat!“

„Er spricht deine Sprache...“

„Awww! Du machst mich wahnsinnig! Sind meine Gründe so falsch 'Nein!' zu sagen?“

„Nein“, gab Phie ruhig weiter und begab sich zu ihrer Sporttasche um eine Wasserflasche herauszuholen. Nachdem sie den Rest der Flasche geleert hatte, drehte sie sich wieder Sila zu. „Jede Situation ist anders. Schau dir meinen Schwager an: Er lebt tausende Kilometer von seinen Eltern entfernt, weil er seine große Liebe geheiratet hat. Chuckie war nicht bodenständig genug für solch eine Entscheidung...“

„Und Sky ist es?“

„Das bleibt abzuwarten... Wie du schon sagtest: Etwas verändert sich. Auch du bist heute nicht die, die du vor einem Jahr warst. Manchmal müssen wir Veränderungen zulassen. Denn nur so erfahren wir ob wir den Weg gehen können oder nicht...“

Mit diesen Worten legte sie ihre leere Flasche in die Sporttasche, griff nach einem hellgrünen Handtuch, welches neben einem Stuhl auf der Lehne hing und legte es ebenfalls in die Tasche. Danach zog sie den Reisverschluss zusammen, stand auf und warf sich den langen Tragegriff um die Schulter.

„Lass dir Zeit deine Gefühle zu ordnen... Ich bin überzeugt er kommt wieder und bin gespannt was dann passiert.“ Mit einem Zwinkern verabschiedete sie sich von Sila und ließ sie alleine im Raum stehen.
 

Erst spät nach Mitternacht hörte man dumpfe Schritte auf dem Flur der Apartments der weiblichen Tänzer.

'Es wäre ein Wunder, wenn ich heute Nacht noch ein Auge zubekommen könnte', war Silas einziger Gedanke, während sie die Türkarte durch den Schlitz zog. Ein leises „Piep!“ gab die Türverriegelung frei und sie betrat ihr stilles Apartment. Auch wenn sie sehr müde war, ließ sie es sich doch nicht nehmen ihrer Gewohnheit nachzugehen und ihre Trainingstasche auszuräumen, um die Sachen auf dem kleinen Balkon zum Lüften aufzuhängen.

Als sie ihre Schuhe aus der Tasche herausnahm, fiel ein kleiner Zettel auf den Boden.

„Huch! Wo kommst du denn her?“, fragte sie als wäre der Zettel ein überraschender Gast.

Der Zettel war zwei Mal gefaltet und es stand kein Name daran. Sie kniete sich auf den Boden und hob interessiert das Papier auf um es auseinander zu falten. Als sie die Zeilen, die eindeutig einer Männerhandschrift zugeordnet werden konnten, las, wurden ihre Augen ganz groß und ohne die Unterschrift anzusehen, wusste Sila wer der Verfasser war:
 

„Die weiße Blume, mit der ich dich verglichen habe, ist für mich ein Sinnbild für Reinheit und Unschuld. Ich glaube deine anfängliche Zurückhaltung war nur eine Schutzmauer zu deinem Herzen. Kein Wunder, bei dem was du erlebt hast...
 

Doch was ist eine Blume ohne ihren süßen Duft?

Ist es nicht der Duft, der die Schmetterlinge anzieht?
 

Ich hoffe du vergibst mir, dass ich dich so respektlos behandelt habe, als ich dich in den Arm nahm. In dem Moment konnte ich nicht anders...

Warte auf mich!

Ich kann dir gar nicht beschreiben wie sehr ich mir wünsche so schnell wie möglich wieder hier zu sein.

… aber vielleicht kann es mein Lied für mich tun.
 

Sky“
 

„Dummkopf!“, schimpfte Sila laut, zerknüllte den Zettel und warf ihn in die hinterste Ecke des Wohnzimmers. „Du sollst dich doch nicht immer entschuldigen!“ Dabei fiel die Blume, die sie hinter ihrem Ohr trug auf den Boden. Als sie die Blume auf dem Boden liegen sah, wurde ihr Blick ungewollt wieder sanft. Vorsichtig hob sie die Blume an, trug sie in die Küche, nahm ein Glas aus dem Schrank und lies Wasser hineinlaufen. Als sie die Blume ins Wasser gestellt hatte, stellte sie das Glas mitten auf ihren Küchentisch und setzte sich davor.

„Reinheit und Unschuld... So siehst du mich?“, murmelte sie. Sie legte ihre Arme auf den Tisch und stützte ihren Kopf mit den Händen, während sie zu der Blume sprach, als würde sie mit Skyre persönlich reden. „Was meinst du mit deinem letzten Satz? Was für ein Lied willst du schreiben? … Warum bist du einfach so ohne ein Wort weggegangen?“

Mit ihren rechten Fingern berührte sie ihre Lippen. „Ich bin nicht unschuldig... Ich habe mein Herz und meinen ersten Kuss verschwendet, Sky. Warum ist es dir so wichtig, dass ich auf dich warte?“
 

Sila legte ihre Arme auf den Tisch und den Kopf zur Seite. Sie war so erschöpft, dass es keine fünf Minuten dauerte, bis sie tief und fest eingeschlafen war. In ihrem Traum sah sie Skyre, der auf der Bühne stand und der Sprecher voll Freude ansagte: „Hiermit darf ich herzlich die Gruppe 'RedMotion' auf der Bühne begrüßen. Eine Zeit lang wussten wir nicht ob die Gerüchte einer Trennung vom Leader Yong-Kyun tatsächlich wahr werden, doch heute dürfen wir uns um so mehr an dem Comeback der fünf Jungs erfreuen! Begrüßt mit mir: 'RedMotion'!“
 


 

*** ** * ** ***
 

Der Comebacksong der Gruppe „RedMotion“ schlug ein wie eine Bombe. Kaum einer der Bandmitglieder hätte mit solch einem Erfolg gerechnet. „RedMotion“ war bereits die dritte Woche ohne Pause mit Auftritten und Interviews beschäftigt. Etwas erschöpft, doch zufrieden verließen die Bandmitglieder die Bühne nach ihrer letzten Vorstellung und machten sich auf den Weg in ihre Umkleidekabinen, als einer der Wachmänner Skyre aufhielt: „Besuch für dich!“

„Sag Bescheid, wenn du soweit bist, Kyun.“ Sagte der Schlagzeuger, zwinkerte seinem Kollegen zu und begab sich mit den anderen in die Umkleideräume. Skyre begab sich zu einem Raum, der für Gäste eingerichtet war, doch bevor er den Raum betreten konnte, hörte er hinter sich eine bekannte weibliche Stimme:

„Da ist ja unser verloren geglaubter!“

Verwunderung stand Skyre im Gesicht geschrieben, als er sich umdrehte und eine junge Sängerin und Musikerin vor sich stehen sah. „Ich fasse es nicht: Younha! Wie kommst du denn hier her? Ich dachte du bist auf Tournee!?“

Kichernd trat sie zu Skyre heran, bis sie ihren Kopf in den Nacken legen musste, um zu ihm aufschauen zu können. Trotz ihrer hohen Absätze, war Younha knapp einen Kopf kleiner als ihr Gegenüber.

„Als ich gehört habe, dass du wieder im Lade bist und zudem noch einen Comebacksong mitgebracht hast, konnte ich meine Neugierde nicht zügeln, hab mich in den nächsten Flieger gesetzt um deinen Song zu hören!“

Ihre braunen Augen funkelten ihn an. Den Augenaufschlag beherrschte sie immer noch perfekt, wie Skyre feststellen musste. Ihre pechschwarzen, langen, glatten Haare hingen ihr ausnahmsweise locker über die Schultern und umrahmten das hübsche Gesicht. Ihr knapper Rock sorgte dafür, dass die Beine länger aussahen, als sie in Wirklichkeit waren, doch Skyre lächelte gut gelaunt. „Und? Wie war er?“

„Anders...“ ohne ihren Blick von seinen Augen zu nehmen, hob sie ihre Hand an und strich zärtlich mit dem Handrücken seine Wange. „...Genau so wie du anders geworden bist. Die Frage ist: Was hat dich so verändert, Kyun?“

Doch bevor sie sich auf ihre Zehenspitzen stellen konnte um ihm einen Kuss auf die Wange geben zu können, ergriff er ihr Handgelenk und gebot ihr damit Abstand. Ernst sah er ihr voll ins Gesicht, als er sie korrigierte: „Deine Frage war nicht korrekt. Es geht nicht darum WAS mich verändert hat, sondern WER es war...“

Younha machte kein Geheimnis daraus, dass sie sich verletzt fühlte von Skyre abgewiesen zu werden. „So ist das also. Kaum bist du unterwegs, sind dir deine Freunde hier egal! Früher hat dich so ein kleiner Willkommenskuss nicht gestört!“

Skyre seufzte lautstark, denn er kam noch nie gegen diese Frau an. „Ich freue mich wirklich sehr dich zu sehen, Younha! Damit hast du mich tatsächlich überrascht... Aber es wäre besser, wenn du wieder in den nächsten Flieger steigen würdest und deine Tournee mit Erfolg beendest.“ Er blickte an ihr vorbei und nickte in die Richtung seines Umkleidezimmers. „Ich hatte noch keine Zeit meine Sachen zu packen. Morgen reise ich ab!“

„Wie? Das ist doch nicht dein Ernst!“

„Und ob!“

Younha war empört und verärgert zu gleich. „Du bist keine zwei Monate wieder in Korea und willst gleich wieder abreisen? Das kannst du nicht ernst meinen! Du bist den Fans schuldig, dass du deine Auftritte wieder in regelmäßigen Abständen machst!“

„Ich werde mich nicht noch einmal zu einer Marionette machen lassen!“, konterte Skyre ärgerlich. „Die Fans wissen Bescheid, ich habe von Anfang an klar gestellt, dass ich nicht lange bleiben werde!“

„Du spielst mit dem Feuer!“

„Und wenn schon! Morgen reise ich ab!“

„Ach Kyun! Ich bin doch nicht hier hin gekommen um mich mit dir zu streiten...“, Younha kam erneut näher und griff nach seinem Oberarm. Sanfter versuchte sie die Situation wieder umzuschwenken. „Komm schon. Morgen früh muss ich erst wieder im Flieger sein... Können wir uns nicht einen schönen Abend machen? Um der Freundschaft willen?“

Skyres direkter Blick machte ihr mehr als deutlich, dass er anderer Meinung war als sie. „Freundschaft? Eine Freundschaft ist nicht egoistisch!“

„Ach!“, Younha gab es auf ruhig zu bleiben. „Und deine Freunde sind NICHT egoistisch, indem sie dich zurückrufen und damit zulassen, dass du hier Freunde und Pflichten vernachlässigst? Was ist nur mit dir passiert, Kyun?“

„Niemand ruft mich, ich sehne mich danach zurück zu kehren!“

„Wohin?“ Younha hatte schon mehrere Male erfolglos versucht herauszufinden wo Skyre sich versteckte, doch jedes Mal ohne Erfolg. Irgendwie schaffte er es immer wieder unbemerkt das Land zu verlassen, wobei sie voll überzeugt war, dass sein Vater, ein sehr einflussreicher Mann, etwas damit zu tun hatte.

„Tut mir leid. Meine Lippen sind verschlossen. Ich kann nicht zulassen, das die Paparazzi meine Freunde umstellt! Danke, dass du den Weg auf dich genommen hast, nur um meinen neuen Song zu hören. Viel Erfolg bei deiner Tournee.“

Mit diesen Worten ging er an ihr vorbei in Richtung der Privaträume, doch als er ihre Stimme hörte, blieb er kurz stehen, ohne sich jedoch umzudrehen.

„Du wirst das Spielchen nicht lange mitmachen können, Kyun!“

„Es ist kein Spielchen...“

„Und ob es das ist! Lange wirst du das Hin und Her nicht mitmachen können. Bald musst du dich entscheiden ob du dieses Leben leben möchtest oder dich für immer verkriechen willst. Deine sogenannten Freunde werden dir dabei auch nicht helfen können... Du wirst noch an meine Worte zurückdenken!“

Nun drehte sich Skyre zu ihr um. Sein Lächeln erhellte sein Gesicht vollständig. „Du unterschätzt echte Freundschaft!“

Ein letztes Winken, dann ging er um die Ecke und war aus ihrem Sichtfeld verschwunden. Mit dem Absatz drehte sich Younha um und marschierte verärgert in die entgegengesetzte Richtung, dem Ausgang entgegen.

„Und du unterschätzt MICH, mein Lieber! Ich werde schon noch herausfinden wer für deinen 'Sinneswandel' verantwortlich ist!“
 

Ende Kapitel 23:

~ Veränderungen ~

~ Die Einladung ~

Als er seine Augen öffnete, konnte er sich für einen kurzen Moment gar nicht mehr entsinnen in welchem Raum er war. Erst nach und nach kamen seine Erinnerungen zurück und Skyre erkannte sein Schlafzimmer im Männerapartment des Tanzinternates „AuditionEU“. Jetzt erst merkte er, dass er die dicken Vorhänge vor seinem Fenster gar nicht zugezogen hatte, weil ein einzelner, glitzernder Sonnenstrahl mitten auf sein Bett schien. Während er an sich herunterschaute, bemerkte er dass er sich noch nicht einmal umgezogen hatte. Seine Schuhe lagen in einigem Abstand zueinander auf dem Boden verteilt und auch die Tür zum Wohnzimmer stand, untypisch für ihn, offen.

„Oh man. Ich muss tatsächlich eingeschlafen sein“, redete er mit sich selbst, während Skyre sich langsam auf sein Bett aufsetzte. In seinem Kopf drehte sich der ganze Raum.

Müde goss er sich ein halbes Glas Wasser ein, was er immer gerne auf seinem Nachttisch aufbewahrte. Das kühle Wasser tat gut und er fühlte sich wieder ein wenig belebter. Doch erst als Skyre einen Blick auf seine Uhr warf wurde er hellwach.

„Nicht doch! Es ist schon Morgen?!“

Frustriert und mit einem lauten Seufzen ließ er sich wieder rückwärts auf das Bett fallen. „Toll! Da kann ich wieder einen ganzen Tag warten, bis ich alleine mit ihr reden kann.“
 


 

*** ** * ** ***
 

Am späten Nachmittag landete ein Privatjet auf einer abgegrenzten Fläche des Flughafens. Zwei Männer stiegen heraus und gingen zügig in das angrenzende Gebäude. Es war ein stürmischer Tag, aber Skyre war dankbar dafür, denn so würde die Aufmerksamkeit der Schaulustigen vielleicht auf andere Dinge gelenkt werden. Im großen Saal wurden noch letzte Einzelheiten mit seinem Begleiter besprochen, worauf hin dieser sich verbeugte und in schnellem Schritt den Raum wieder verließ, nur um kurz darauf wieder im Jet zu sitzen.

Als Skyre den Jet wieder emporsteigen sehen konnte, fühlte er sich erleichtert, auch wenn er – dank dem holprigen Flug – kaum eine Stunde durchschlafen konnte und zudem das ununterbrochene Gerede seines Managers ertragen musste. Eigentlich kreisten seine Gedanken, seit er den Familienjet bestieg, nur noch um das kleine Internat, das für ihn fast wie ein Zuhause geworden war. Die Pläne, Termine und andere organisatorischen Dinge seines Managers hatte er nur bruchstückhaft verfolgt. Immer wieder versuchte er sich das Wiedersehen mit einer gewissen Tänzerin vorzustellen , doch je mehr er darüber nachdachte, um so ängstlicher wurde er.

Was wäre, wenn er ihr seinen Comebacksong singen würde, den Song, auf den er so stolz war, Sila seine Freude darüber jedoch nicht teilen würde oder die Gefühle, die er damit herüberbringen wollte nicht erwidern würde? Diese Fragen setzten ihm zusätzlich zum Jetlag zu.

Wieder im Apartment angekommen, ließ Skyre seinen Koffer mitten im Wohnzimmer stehen und steuerte direkt ins Schlafzimmer um seine Augen wenigstens zwei Stündchen schließen zu kommen. Am Abend wollte er dann Sila im Internat aufsuchen, denn es war eines ihrer Hauptzeiten, in denen sie zu tanzen pflegte. Zu der Uhrzeit waren die meisten ihrer Freunde schon auf dem Weg zu den Apartments und so könnte er in Ruhe mit ihr reden.

Zumindest hatte Skyre sich das vorgestellt, bevor er sich auf sein Bett legte, denn als er seine Augen wieder öffnete, war es bereits Morgen des nächsten Tages.
 


 

*** ** * ** ***
 

Sein erster Tag wieder außerhalb von Korea verlief gar nicht so wie Skyre es sich vorgestellt hatte. Zu erst schlief er bis zum nächsten Morgen durch, rappelte sich daraufhin am Vormittag doch zum Internat auf und merkte, dass Sila bereits anwesend war. Auch wenn es untypisch für sie geworden war, seit sie ihre Pausen einhalten musste, am Vormittag schon im Internat zu tanzen, so freute sich Skyre doch sehr als ihre Daten anzeigten, dass sie nicht mit ihren anderen Freunden in einem Saal war. Doch gleich darauf folgte die Enttäuschung, weil er keine Möglichkeit hatte ihr über das Kommunikationsgerät auch nur eine Nachricht zu senden. Dies war ebenfalls untypisch für sie, weil er es nie vorher miterlebt hatte, dass sie irgendeine Benachrichtigungsart auf „Blocken“ gestellt hätte.

„Okay“, sagte er zu sich selbst, „Wenn sie nicht erreichbar ist, werde ich eben ihren Saal aufsuchen.“

Gesagt getan. Aber er kam noch nicht einmal in die Nähe ihres Raumes, der sich zu allem Überfluss in einem ganz ungewohnten Flügel befand.

Eine Angestellte fragte nach dem Grund seines Einlassens in diesen Teil des Internates.

„Ich wollte gerne Sila Diamon sprechen.“

„Und sie sind?“

„Äh... Skyre Yong“

„Skyre Yong, hmm.“ Sie tippte seinen Namen in den Computer ein. Skyre beobachtete sie, konnte sich aber nicht erklären warum ihm der Zutritt zu diesem Teil des Internates verwehrt wurde. Außerdem sah die Dame am Schalter nicht sehr zufrieden mit den Ergebnissen, die ihr Computer ihr anscheinend herausgab, aus.

„Ich verstehe gar nicht aus welchem Grund sie unbedingt zu Miss Diamon möchten“, begann die Dame mit einem prüfenden Blick auf Skyre. „Hier steht sie haben den Rang des Amateurs.“

„Richtig, aber was hat das denn damit zu tun? Warum komme ich nicht in den Flügel herein?“

„Ganz einfach“, sagte sie mit einem endgültigen Nachdruck in ihrer Stimme, „Weil sie eben Amateur sind! Selbst Novizen dürfen hier nur begrenzt herein. Außerdem müssen sie sich anmelden, bevor sie zu Miss Diamon kommen wollen. Sie kann jetzt auf keinen Fall zu ihnen herauskommen. Guten Tag, der Herr!“
 

Irritiert schritt Skyre wieder in die Lobby, um erst einmal über die Situation nachdenken zu können. Doch kaum hatte er sich in eine hintere Ecke gesetzt, zeigte sein Kommunikationsgerät eine neue Nachricht an. Die Nachricht stammte von Sango:

„DU BIST WIEDER DAAAA!!! Komm und tanz mit uns! Wir sind alle in einem Raum!!! Freu mich schon!“

Skyre ließ den Kopf hängen und seufzte auffällig. Nicht, dass er sich nicht über die stürmisch klingende Nachricht von Sango gefreut hätte. Sein Problem war, dass er eigentlich vor hatte zu erst mit Sila reden zu können, bevor er Kiso und den anderen unter die Augen trat. Schon alleine bei dem Gedanken, dass Kiso, Philphlader, Phie, Sango und Shadow über seinen Hauptberuf bescheid wussten, bekam Skyre Bauchschmerzen. Kurz nach seiner Landung in Korea, erhielt er eine E-Mail von Sila, in der sie ihn um Verzeihung bat, weil sie den anderen sein Geheimnis weitergesagt hatte. Böse war er ihr deswegen nicht, doch er wusste nicht wie die anderen so eine Nachricht verarbeiten würden.
 

Als er vor dem Tanzsaal stand, indem sich tatsächlich Silas engsten Freunde aufhielten, holte er noch einmal tief Luft bevor er die Türklinke ergriff und die Tür aufzog. Voller Freude wurde er von den anderen begrüßt, allen voran Sango, die so schnell redete, dass Skyre ihr nicht ganz folgen konnte. Phie und Shadow grüßten ihn freundlich mit einem Handschlag, Kiso rammte ihn an der Schulter und Philphlader nickte freundlich mit dem Kopf, sah aber sehr schüchtern aus, was auch sonst nicht unbedingt typisch für ihr Verhalten ihm gegenüber war.

'Ich war doch nur ein paar Monate weg', dachte er verwirrt, 'aber anscheinend hat sich hier ne Menge verändert.'

„Du hast uns alle ganz schön an der Nase herumgeführt, wenn das stimmt, was Sila erzählt hat“, plapperte Sango weiter, „Wie lange wirst du dieses Mal bei uns bleiben?“

Ein helles Lachen erfüllte den Tanzraum, indem keiner der Anwesenden in diesem Moment mehr an das Tanzen dachte. Phie zog sofort alle Aufmerksamkeit auf sich, als sie Sango freundlich anlachte.

„Nun überschütte ihn noch nicht gleich mit Fragen, Sango-chan. Er hat doch gerade erst den Saal betreten.“

„Ja und ich wollte nur wissen wann er wieder Hals über Kopf abhaut! Das war nicht nett von dir, Sky!“

„Entschuldigung...“

„Ach was! Kein Ding, Kumpel“, mischte sich Kiso ein und legte neckend seinen Ellenbogen auf seine Schulter, „Willkommen zurück.“

„Oh, äh … danke.“

„Ich glaub die Frauen haben dich am meisten vermisst. Gut dass du endlich wieder da bist! Hab mir ihr Gejammer nicht mehr anhören können.“

„Anata“, war der empörte Ausruf von Philphlader.

Skyre grinste ebenfalls Kiso an: „Schon gut, ich weiß wie er das meint. Damit wollte er wahrscheinlich nur sagen, dass er mich am meisten vermisst hat, oder?“

„Das hättest du wohl gerne, was?“, Kiso boxte Skyre kumpelmäßig in die Seite, bevor er sich wieder zu seiner Frau gesellte.

„Aber ich würde schon gerne wissen, ob es wahr ist, dass du ein berühmter Sänger oder was auch immer in Korea bist.“

„Nicht Sänger, Anata.“ Korrigierte ihn Philphlader, „Er ist ein Bandsänger und Texter.“

„Siehste?“, Kiso drückte seine Frau an sich heran, deren Gesicht immer noch glühend rot wurde, wenn er das tat. „Meine Frau war schon ein Fan von dir, bevor wir uns begegneten! Mich würde es nicht wundern,“ wandte er sich Philphlader zu, „wenn du sogar seinen Comebacksong gehört oder sogar im Netz gesehen hast.“

Skyres Farbe wich aus seinem Gesicht als er vorsichtig fragte: „Stimmt das?“

„Nun äh...“ Philphlader senkte ihren Kopf. Es war ihr schrecklich peinlich nun im Mittelpunkt des Gesprächs zu stehen. „Also … Ich habe reingehört … weil ich neugierig war...“

Skyres Herzschlag erhob das Tempo. Wenn Philphlader sein Lied schon gehört hatte, dann wusste Sila mit Sicherheit auch schon Bescheid. Im Internet wurden solche Dinge, sogar mit Untertiteln in der internationalen Sprache so schnell online gestellt, dass man gar nicht wirklich hinterherkommen konnte.

'Vielleicht ist das auch der Grund warum sie alle Einstellungen auf „Blockieren“ gestellt hat', stellte er sich erschrocken vor.

Kiso stupste Philphladers Nase an: „Du bist viel zu bescheiden, dar. Sky! Sie hat tagelang nur noch eine Melodie vor sich hingesummt. Kannst du dir das vorstellen?“

Sein Spruch riss Skyre aus den Gedanken. Kam daher Philphladers ungewohnte Schüchternheit ihm gegenüber? Vor seiner Ausreise hatte sie ihn oft kritisch, ja schon fast ernst beobachtet, doch davon war an diesem Tag nichts mehr zu entdecken.

„Du hast ja Recht, Anata“, sagte Philphlader nun und sah dabei zu Skyre, „Ich finde dein Comebacksong ist einmalig und er ist ganz anders als die anderen Lieder. Herzlichen Glückwunsch zu dem Erfolg.“

„Erfolg? War dein neuer Song erfolgreich? Singst du uns das auch mal vor?“

„Ey Sis!“, rief Kiso Sango zu, „Seit wann stehst du denn bitteschön auf koreanische Songs?“

„Menno! Ich will halt auch wissen warum Phil und Sila immer so aufgeregt sind, wenn sie über Sky sprechen...“

Kiso fand immer wieder einen neuen Satz, womit er Sango necken konnte, doch Phie bemerkte, dass Skyre immer ruhiger und in sich gekehrter wurde. Es schien, als fühlte er sich nicht besonders wohl in dem Tanzsaal. Sie konnte sich noch gut daran erinnern wie sein Gesicht geleuchtet hatte, als er Silas Trainingstasche zurück brachte und sich schnell von den Freunden verabschiedete, weil er es nicht mehr erwarten konnte, zurück nach Korea zu fliegen. Doch an dem ersten Tag, an dem er wieder bei ihnen war, sah er nicht mehr so glücklich aus, eher frustriert. Laut der Schilderung von Philphlader hatte Skyre einen mehr als erfolgreichen Comebacksong unter die Fans gebracht und wurde so sehr mit Anerkennung überschüttet, dass Phie sich nicht vorstellen konnte, warum er nicht stolz darauf wäre. Sie selbst hatte sein Lied nicht gehört, Philphlader hatte es keinem gezeigt. Auch hatte sie keinem die Übersetzung gegeben, als sie eine im Internet gefunden hatte. Das alles war etwas merkwürdig und unlogisch zugleich, wobei Phie bereits eine Vermutung hatte, warum ihre kleine Schwester das tat.

„Kann ich dich kurz sprechen?“ Philphlader nutzte die Chance, in der Kiso und Sango sich gegenseitig ärgerten und ging auf Skyre zu.

„Klar!“

Philphlader sah sich im Saal um, aber es gab keine Ecke in der sie mit Skyre ungestört reden konnte. Sie zeigte mit dem Kopf auf den Zuschauerbereich, wohin Skyre ihr hinauf folgte.
 

„Hey! Das ist nicht fair! Skyre ist gerade gekommen und Schätzchen reserviert ihn“, klang es empört von der Tanzfläche, als Sango Skyre und Philphlader im Zuschauerbereich sah.

„Bestimmt nicht für lange, du kennst doch meine Mimi. Wollen wir solange etwas tanzen?“, schlug Phie Kiso, Sango und Shadow vor. Etwas wiederwillig aber doch gehorsam schloss sich Sango den Männern und Phie an, die schon eines ihrer Lieblingslieder ausgewählt hatte.
 

Während Kiso, Shadow, Phie und Sango im Rhythmus des Liedes tanzten, standen Philphlader und Skyre schweigend am Geländer und sahen ihnen zu. Da für Skyre die Stille immer unangenehmer wurde, fragte er Philphlader worüber sie mit ihm reden wollte. Philphlader sah nicht mehr so sehr schüchtern aus, vielmehr war ihr Blick ernst.

„Kiso hatte Recht. Ich habe wirklich den Song im Internet gefunden“. Dabei erkannte Skyre, dass ihre Augen zu funkeln begannen. Dieses Funkeln ließ ihn etwas entspannen, doch er wartete lieber darauf, dass Philphlader weitersprach.

„Es ist ein toller Song... Nur der Titel hat mich stutzig gemacht und ich muss gestehen, ich habe eine Übersetzung gesucht.“ Sie wirkte sehr verlegen, als sie das sagte.

„Ich weiß, es geht mich nichts an … aber … Hast du das Lied für jemand bestimmtes geschrieben?“

Skyre sah noch nie so schockiert aus, wie in dem Augenblick, als er Philphlader anstarrte. Seine Wangen fühlten sich heiß an und in seinem Hals steckte ein dicker Kloß, den er nicht einmal hinunterzuschlucken wagte. So hatte er sich seinen ersten Tag garantiert nicht vorgestellt. Philphladers Lächeln irritierte ihn vollständig.

„Also stimmt es … Es ist ein wirklich schöner Song. Sehr gefühlvoll gesungen. Irgendwie habe ich an sowas gedacht, als ich den Song zum ersten mal gehört habe.“

„Nun … ich … also … man ermutigte mich ein Lied zu schreiben, das meine Empfindung, meine Erfahrung widerspiegelt. Das Lied hat sich schon fast von selbst geschrieben...“

Zufrieden stellte Philphlader einen verschwärmten Blick bei Skyre fest.

'Wer hätte das gedacht?'

Skyre fühlte sich völlig hilflos und erschöpft. Solche Gedanken war er nicht gewöhnt, und mit solchen Dingen musste er sich bisher noch nicht befassen.

„Ich habe weder den Song, noch die Übersetzung irgendjemanden gezeigt...“

Verwundert blickte Skyre Philphlader an. Sie hatte sich vom Geländer entfernt und lehnte nun an der Wand ihm gegenüber.

„Niemand außer dir weiß es?“

Philphlader nickte: „Niemand!“

Wieder entstand eine Stille. Skyre spürte wie sich sein Herzschlag allmählich wieder normalisierte.

„Vielen Dank...“

Ein Lächeln huschte über Philphladers Gesicht: „Das ist Ehrensache … Mach was draus, Sky!“
 

Gerade als Skyre etwas erwidern wollte, hielt er inne und drehte sich in die Richtung, aus der er eben eine Tür zuschlagen gehört hatte. Da stand sie mitten im Raum, mit einem riesigen Lächeln auf den Lippen und ihrer Sporttasche um die rechte Schulter gehängt. An diesem Vormittag trug Sila einen Pferdeschwanz und wirkte damit etwas jünger als sonst. Auch wenn sie ihre Haare zum größten Teil geöffnet trug, so mochte er es gerne, wenn sie hin und wieder etwas anderes ausdachte.

Phie und Sango hatten Sila als erste erreicht, dicht gefolgt von Shadow und Kiso, der ihre Sporttasche von der Schulter nahm und wortlos zu den anderen Taschen hinstellte.

Sila schien bei bester Laune zu sein, denn kaum hatte sie den Raum betreten fing sie schon damit an, etwas von irgendwelchen Schülern zu erzählen.

„Heute waren es über zehn Leute und irgendwie komischerweise acht Männer... Ich muss schon sagen! Noch nie habe ich Typen gesehen die sich schlimmer angestellt haben wie die, die heute bei mir waren!“

„Acht Männer? Letzte Woche waren es doch nur drei?“, wollte Sango wissen, doch wurde sie von Kiso unterbrochen, „Das hat sich natürlich rumgesprochen! Ey Sis! Wenn die Ärger machen, dann sag mir Bescheid. Von denen bleibt dann nicht mehr viel über, wenn ich mit ihnen fertig bin!“

Lachend gab sie ihrem Adoptivbruder einen Kuss auf die Wange: „Das ist mal wieder typisch für dich. Keine Sorge, die haben zum Glück in der Sache Manieren. Manchmal sind sie sogar viel zu schüchtern. Nur tänzerisch sind sie eine große Herausforderung.“

„Wann ist dein nächster Kurs?“, wollte Phie wissen.

Sila sah auf ihre Armbanduhr, „In dreißig Minuten muss ich wieder im Tanzsaal sein. Dann sind die ganz Kleinen dran. Bestimmt kommen heute wieder einige Mütter und wollen irgendetwas von mir wissen … Aber … Wo ist denn eigentlich Imôto?“

Kaum hatte Sila das ausgesprochen, drehte sie ihren Kopf nach rechts und links, bis sie schließlich nach oben, zu dem Zuschauerbereich hinaufsah. Aber kaum hatte sie Philphlader registriert, erstarrte sie für einen kurzen Augenblick und Skyre konnte in ihre klaren blauen Augen sehen.
 

„Sky...“, war das Einzige was Sila herausbringen konnte, doch ehe sie noch etwas sagen konnte, sah sie wie Skyre im schnellen Schritt die Treppen vom Zuschauerbereich hinablief, nur um kurze Zeit später in voller Größe vor Sila zu stehen. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Sila er würde sie in den Arm nehmen, aber im letzten Augenblick schien ihm etwas einzufallen und er blieb abrupt vor ihr stehen. Auch sie musste zugeben, dass sie nicht so genau wusste wie sie ihn begrüßen konnte. Tatsächlich freute sich Sila sehr Skyre wieder zu sehen, aber sie stand auch nur verlegen vor ihm und lächelte in einfach an. Es dauerte nicht lange, bis sich Sila ziemlich blöd vorkam, weil sie ihn nicht richtig begrüßte. So ergriff sie mit ihren beiden Händen seine rechte Hand und begann diese lächelnd zu schütteln.

„Sowas! Mit dir habe ich gar nicht gerechnet. Willkommen zurück, Sky!“

„Lieb von dir, danke.“

Plötzlich ließ sie seine Hand los, hüpfte einmal auf ihrem Platz und klatschte in die Hände. „Jetzt kann ich dir endlich zu deinem Riesenerfolg gratulieren. Imôto erzählte, dass dein Lied die Charts gestürmt hat und die Fans total begeistert sind. Das ist so toll, Sky!“

Zu seiner Überraschung, musste Skyre feststellen, dass er vor Sila und ihren Freunden tatsächlich viel zu schüchtern war. In Korea bekam er ständig solche Lobeshymnen zu hören, aber noch nie zuvor erfüllte ihn ein Lob mit so viel Selbstvertrauen und Ehrgefühl, wie das ausgesprochene Lob aus dem Mund der Tänzerin, die mit roten Wangen vor ihm stand und sich so sehr für ihn zu freuen schien.

Verlegen strich Skyre sich durch die Haare. „Vielen Dank, Sila. Das habe ich dir zu verdanken!“

„Ach quatsch! Du hast es verdient. Und endlich bist du wieder da und ich kann den Song hören.“

Skyre fühlte sich wie von einem harten Gegenstand getroffen. „Wie meinst du das?“

„Hmm? Du wolltest doch das Lied singen, wenn du es in Korea mit deiner Band aufgenommen hast.“

„Ja … schon ...“

„Waiii! Du glaubst gar nicht wie neugierig ich darauf bin. Ich habe Imôto extra gesagt, ich möchte es nicht sehen und auch nicht wissen wie dein Song heißt.“

Skyre fühle sich immer elender, schon alleine aus dem Grund weil er sich von Kiso, Shadow, Sango, Phie und Philphlader beobachtet fühlte, auch wenn sie sich eher im Hintergrund hielten. Doch Sila schien es gar nicht wahrzunehmen und plapperte weiter:

„Aww... Ich gebe gleich einen Kurs … Aber danach habe ich frei! Wollen wir dann zur Konzerthalle?“

Es fiel ihm eindeutig schwer in ihre funkelnden Augen zu schauen, aber er wollte sie nicht noch mehr enttäuschen. „Es tut mir leid, Sila“, sagte er langsam, „daraus wird leider nichts.“

„Eh? Warum nicht? Fliegst du wieder weg?“

„Nein … Noch nicht so bald. Aber ich kann dir meinen Song nicht vorsingen!“

„Waaas? Warum nicht?“ Ihre bodenlose Enttäuschung stand Sila im Gesicht geschrieben.

„Weil … Also ...“, Skyre ärgerte sich selbst, dass er Sila unter die Augen treten wollte, jedoch noch gar keine Ahnung hatte wie oder wann er ihr das Lied singen konnte. In seiner Not hatte er eine Idee, die ihm noch etwas Zeit verschaffen könnte. „Weil sich der Song nicht so anhört wie ich es gerne hätte, wenn ich es alleine singe. Dafür brauche ich meine Bandkollegen und alle Instrumente.“

„Ach, dass interessiert mich doch nicht, ich finde es einfach nur gesungen auch toll...“

„Ich hab da an etwas anderes gedacht, Sila. Wie wäre es wenn du“, da ihm wieder einfiel dass auch noch die engsten Freunde mit im Raum standen, korrigierte Skyre sich schnell, „Wenn ihr alle mit mir nach Korea fliegen würdet und den Song live anhören könntet?!“

Sila riss ihre Augen auf, „Live?“

Auch ihre Freunde sahen sich fragend an. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, beeilte sich Skyre mit seiner Erklärung:

„Wenn ihr wollt, lade ich euch alle ein für eine Woche mit mir nach Korea zu fliegen. Kiso, du, Sila und deine Frau könntet das sogar verbinden um deine Eltern mal wieder zu sehen. Mit dem Flugzeug ist es nicht mehr weit weg von Korea.“

„Eine Woche?“, überlegte Sango, „Du willst uns alle einladen? Weißt du denn nicht, dass es ganz schön teuer ist uns alle für eine Woche einzuladen?“

Skyre lachte auf. „Keine Sorge, das tut mir nicht weh... Ich verdiene genug.“

Während sich die anderen Freunde fragend ansahen, bemerkte Skyre dass Sila nicht wirklich überzeugt zu sein schien.

„Übertreibst du es denn nicht, nur wegen einem Lied?“ Sila blickte ernst zu Skyre herauf, doch er sah eine ehrliche Sorge in ihrem Blick. Vielleicht machte sich auch Sila Gedanken darüber was es ihn kosten würde, sechs Gäste einzuladen.

„Für mich ist es nicht mehr irgendeiner meiner Songs... Du hast mich doch selbst ermutigt ein Lied zu schreiben, das aus meinen Erfahrungen und Gefühlen hervorgeht... Gerade darum ist es für mich etwas ganz besonderes und es würde mir wirklich viel bedeuten, wenn ich dir, und meinen engsten Freunden hier, den Song live vorsingen könnte. Ist das so schwer nachzuvollziehen?“

Sila verschränkte ihre Arme vor der Brust und seufzte laut auf. „Dann muss ich ja noch länger warten...“

„Neechan...“, hörte sie nun hinter sich sagen. Philphlader war ebenfalls die Treppe heruntergekommen und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Davon geht doch die Welt auch nicht unter. Sonst bist du immer total geduldig. Glaub mir! Der Song ist alles Warten wert und ich muss gestehen, dass ich es sehr gerne in Korea live anhören würde... Was meinst du, Anata? Nehmen wir das Angebot an?“

Kiso zuckte mit den Schultern: „Mir gefällt die Idee meine Eltern ebenfalls nen Besuch abstatten zu können. Bin dabei, dar!“

„Ich würde mich auch gerne anschließen“, sagte Phie und verbeugte sich höflich vor Skyre. „Vielen lieben Dank für die Einladung.“

„Äh...“, Sango schien sich nicht so sicher zu sein, „Also ich habe ja nichts gegen Reisen … Aber nach Korea? Da versteht man doch gar nichts von dem was gesagt oder geschrieben wird... Willst du hin, Shadow?“

Shadow lächelte nur und sagte: „Nur wenn du auch möchtest...“

„Hmm … Wir überlegen es uns noch, ja?“
 

Ein dankbarer Blick traf Philphlader, die mittlerweile neben ihrem Mann stand und liebevoll einen Arm unter seinen geschoben hatte.

„Aww!!! So spät schon? Hilfe! Ich komme zu spät! Kiso, meine Tasche bitte!“ Hecktisch riss Sila Kiso die Sporttasche aus der Hand und wollte gerade aus dem Raum stürmen, als Skyre ihr zurief: „Wo musst du denn hin?“

„Ich gebe einen Kurs!“

„Warte! Darf ich mit?“

„Wenn du dich beeilst!“

Mehr konnten die Freunde nicht hören, weil die Saaltür lautstark zugeschlagen wurde. Sila und Skyre waren schneller aus dem Saal verschwunden als sie sich hätten verabschieden können. Nach einer kurzen Stille hörte man Sangos Beschwerde:

„Na toll! Erst verschwindet Sky mit Schätzchen im Zuschauerbereich und kaum ist Sila da, haut er mit ihr ganz ab! Denkt er auch mal an uns?“

Phie stand lächelnd neben Sango, ihre Sporttasche bereits um die Schulter gehängt. „So ist das eben … Sky sucht sich halt selbst aus mit wem er seine Zeit gerne verbringen möchte.“

„Willst du schon gehen, Neenee?“, fragte Philphlader verwundert, weil sich ihre große Schwester anschickte zur Tür zu gehen.

„Ja. Ich wollte heute gerne die Zeit nutzen um mir ein paar neue Trainingsoutfits zu kaufen.“

„Uiii! Darf ich mit?“

„Klar!“

„Heeey! Ich will auch mit“, rief Sango Philphlader und Phie hinterher.

Es dauerte keine zwei Minuten bis alle drei Frauen samt Sporttaschen den Saal verlassen hatten und Kiso und Shadow alleine ließen.

Kiso steckte seine Hände in die Hosentaschen: „Tja! So schnell kann's gehen, Kumpel...“

„Hmm … Und jetzt?“

„Was wohl! Wir üben weiter! Ohne die schnatternden Frauen kommen wir bestimmt besser voran!“

Voller Elan stürzte sich Kiso auf den Spieleführerpult und hob das Tanztempo enorm an. „Höhö... Jetzt geht’s ab!“

Shadow stellte sich seufzend auf seinen Platz. Wenn Kiso so gute Laune hatte, hieß es nur, dass er bis zum Umfallen tanzen würde und Shadow, der bis zum Schluss mittanzen würde, würde am folgenden Tag keinen Muskel mehr bewegen können.
 


 

*** ** * ** ***
 

Während Skyre im Zuschauerbereich saß und nachdenklich die Besucherkarte, die um seinen Hals baumelte, ansah, konnte er nicht anders als zu grinsen. Der Gedanke an das verwunderte Gesicht der Dame am Empfangsschalter war einfach eine Marke für sich, während ihr Sila mit knapper Direktheit klarmachte, dass Skyre eine Besucherkarte zu bekommen habe. Die gute Frau war so sprachlos und verlegen, dass sie die besagte Karte ohne weitere Worte anfertigte. Wenn Skyre alleine wäre, würde er mit Sicherheit auflachen, doch er beherrschte sich im letzten Moment. Als er vor dem Schalter stand und mitbekam wie Sila leicht verärgert schilderte, dass Skyre ein guter Freund sei und es nicht nett war, ihn so schroff abzuweisen, fühlte er sich als sei Sila der Star und er nur ein einfacher Fan. Schon lange hatte man ihm seinen gewünschten Eingang nicht mehr verwehrt, dass er erst jetzt darüber nachdachte, wie unterschiedlich sein Leben und das von Sila waren.

In Korea kam er auf jede Gästeliste, meist schon ohne Anmeldung. TV-Sender stritten sich darum „RedMotion“ einladen zu dürfen und die Fans himmelten die fünf Bandglieder an. Sila war eine gute Tänzerin eines eher mittelmäßigen Internates. Sie war bei weitem besser als manch andere auf der Schule, aber sie war auch kein Profi, der es auf die Top-ten-Liste schaffen könnte. Und doch war sie hier wertgeschätzt und geliebt, ja sogar beschützt von ihren Freunden. Seit sie, wie er in Erfahrung bringen konnte, die Stelle einer Trainerin für Anfänger und Grundschulkinder angenommen hatte, wurde sie sogar vom Internat selbst beschützt und es war nicht möglich ohne eine sogenannte Besucherkarte zu ihr zu gelangen. Skyre lies die Karte wieder auf seine Brust fallen und beugte sich nach vorne, weil er gerade ein kleines Mädchen sah, das anscheinend jünger war als alle anderen der kleinen Schüler von Sila. Dieses Mädchen hatte er gleich zu Beginn bemerkt. Sie fiel auf durch ihre große Schüchternheit. Ängstlich bemühte sie sich die Schritte mitzuhalten, aber die anderen Kinder waren ihr immer einen Schritt voraus und einige waren auch viel größer als sie, so dass ihr die Sicht auf Sila manchmal genommen wurde.

Nun stand die Kleine ganz hinten und schluchzte. Er konnte sehen, dass Sila den anderen Kindern Anweisungen gab und dann auf die Kleine zuging, sich vor sie hinhockte und lächelnd auf sie einredete. Scheu hob das kleine Mädchen ihren Kopf und sah in Silas lächelnde Augen. Nach ein paar weiteren Worten nickte die Kleine und es huschte sogar ein Lächeln über ihr Gesicht. Nun führte Sila sie an der Hand ganz nach vorne und zeigte allen noch einmal die gewünschten Schritte. Zu Skyres Überraschung war das kleine Mädchen kaum noch wieder zu erkennen. Die Schritte waren noch nicht ganz richtig, aber sie brach beim Tanzen nicht mehr ab. Was ihm jedoch am meisten gefiel, war der bewundernde Blick, den das kleine Mädchen nun Sila immer wieder zuwarf.

'Schon hat sie einen Fan mehr gewonnen', dachte er interessiert, 'Einfach nur durch ihren freundlichen Charakter...'
 

Am Ende der Stunde kamen einige Frauen um die kleinen Kinder abzuholen. Es waren jüngere und ältere Frauen dabei, sogar zwei Damen die wohl eher die Großmütter der Kinder waren. Sila verabschiedete einige Kinder und unterhielt sich gleichzeitig mit der einen oder anderen Mutter. Gerade, als eine Mutter ihren Sohn bei der Hand nahm und sich von Sila verabschiedete hörte sie hinter sich drei Frauen tuscheln.

„Schau mal da ist ein Zuschauer.“

„Ist mir auch schon aufgefallen … Vielleicht will er wie wir nur seinen Sohn oder Tochter abholen?“

„Ich weiß nicht … Hier ist kein Kind, was asiatisch aussieht ...“

„Also wenn ich einige Jahre jünger wäre, dann wäre der gutaussehende Mann da oben glatt mein Typ.“

„Für einen Asiaten scheint er ziemlich groß zu sein und habt ihr auch die blauen Augen gesehen? Das ist doch total untypisch, oder?“

„Pssst! Er kommt hier her!“

Sila drehte sich daraufhin in Skyres Richtung und merkte, dass er tatsächlich dabei war die Treppen hinunter zu steigen. Obwohl die drei Tuschelfrauen älter als er waren, versuchten sie ihm doch tatsächlich schöne Augen zu machen. Zu ihrem Unmut ging er auch tatsächlich auf die Damen zu, verbeugte sich vor ihnen und fragte ob sie ihre Kinder abholen würden. Als Sila die bewundernden Blicke der Mütter sah, fühlte sie sich ungewohnt verärgert. Wie konnten sie es wagen einen Mann so anzusehen obwohl sie eindeutig Eheringe trugen und ihre Kinder nicht weit von ihnen standen? Sila wollte sich gerade von der Gruppe abwenden und zu den wartenden Kindern gehen, als sie sich angesprochen fühlte.

„Nein, ich bin nicht hier um ein Kind abzuholen“, sagte Skyre freundlich. „Ich bin hier um die hübsche Dame zu entführen.“ Mit glühenden Wangen starrte Sila Skyre an, der sich neben sie gestellt hatte und spürte die Blicke der Frauen auf sich.

„Siehst du?“, sagte eine Frau grinsend zu der anderen, „Solche tollen Männer sind doch immer schon vergeben. Mical! Komm, wir gehen nach hause!“ Dabei nickte sie die Frauen, Skyre und Sila freundlich an, nahm ihren Sohn beim Arm und verabschiedete sich. Ihr folgten auch die letzten beiden Frauen, bis niemand mehr außer Sila und Skyre im Unterrichtssaal blieben.
 

Ohne ein Wort zu sagen begab sich Sila zu ihrer Sporttasche und nahm eine Wasserflasche heraus. Etwas erschöpft legte sie die noch kühle Flasche an ihre Wange. Skyre beobachtete sie eine Weile, bis er vorsichtig fragte:

„Bist du immer noch verärgert, dass ich dir den neuen Song nicht hier singen möchte?“

Darauf folgte ein langer durchdringender Blick, nachdem Sila den restlichen Inhalt der Falsche ausgetrunken hatte.

„Ich weiß nicht ob ich nach Korea mitkommen sollte“, sagte sie plötzlich.

„Wieso?“

„Sango hat irgendwo Recht. Ich verstehe die Sprache nicht und lesen kann ich auch nichts von dem was auf den Schildern oder Etiketten steht... Außerdem singst du ja auch auf koreanisch...“

„Ihr bekommt doch eine Übersetzung!“

„Korea ist deine Welt, Sky, nicht meine... Du bist ihr Star und wir würden dich nur behindern...“

Skyre forschte in Silas Blick. Es schien ihr irgendetwas Angst zu machen, doch wusste er nicht was es war. Eigentlich war er selbst nicht ganz zufrieden mit seinem Vorschlag. Schon alleine weil er vor Younha gesagt hatte, er fürchtete sich dass die Paparazzi seinen Freunden das Leben schwer machen könnten. Sollte er es wirklich wagen und Sila und ihre Freunde in die Höhle des Löwen einladen?

Skyre war gerade mit seinen Gedanken beschäftigt, dass er den verstohlenen Seitenblick von Sila gar nicht bemerkte.

'Wenn diese drei verheirateten Frauen dich schon so angesehen haben, obwohl sie gar nicht wissen wer du wirklich bist, dann will ich gar nicht wissen was abgeht wenn dich eines deiner Fans zu Gesicht bekommt...'

Plötzlich hatte Sila das Gefühl Skyre mit keinem anderen teilen zu wollen. Schon gar nicht mit jemanden der ihn so ansah wie die Frauen es getan hatten. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie sich versuchte vorzustellen wie es wäre, wenn sie in Korea den kreischenden Mädels in die Augen sehen müsste. Aber erst in diesem Augenblick bemerkte Sila ihre Reaktion. 'Dummes Mädchen! Was geht es dich an, wie andere Frauen Sky ansehen? Er ist nur ein guter Freund!'
 

Skyre riss sie aus ihren Gedanken, als er ihr freundlich anbot: „Ich habe vor hier mindestens ein, wenn nicht sogar zwei Monate zu bleiben. Du kannst dir ja so lange überlegen ob du mit möchtest oder nicht ...“

Liebevoll sah er ihr in die Augen.

„Aber wenn du hier bleiben würdest, würdest du die Chance verpassen dein Lied live zu hören.“

Mit diesen Worten nahm er ihre Tasche und hielt ihr die Ausgangstür auf.

„Mein Lied?“, wollte Sila überrascht wissen. Aber das Einzige was ihr auf die Frage zurückkam, war Skyres geheimnisvolles Lächeln, während er mit ihr den Gang zu den Umkleidekabinen herunterschritt.
 

Ende Kapitel 24:

~ Die Einladung ~

~ Kleider machen Leute ~

Der frische Morgenwind und der rötlich, blaue Himmel kündigten den frühen Morgen an. Sinnend stand Sila auf ihrem Balkon und dachte über ihre Situation als Trainerin und über die vergangenen Tage nach. An diesem Morgen musste sie ausnahmsweise nicht so früh im Internat sein. Ein großer Teil ihrer Anfängergruppe war bereit an der ersten Prüfung für das sechste Level teilzunehmen. Ein Lächeln huschte über die Lippen, als Sila über ihre Schützlinge nachdachte. Für viele war der Anfang sehr schwer. Einige waren in den ersten Wochen so frustriert, dass sie ans Aufgeben dachten. Doch mit viel Geduld und Freundlichkeit gelang es Sila alle Schüler weiter zu motivieren, so dass nun die Ersten ihre Prüfung ablegen konnten. Es war ein schönes Gefühl zu wissen, dass diese Schüler nun selbstständig weiterlernen konnten. Sie hatte gar keine Zweifel daran, dass auch nur einer die Prüfung nicht bestehen konnte. Selbst wenn ein paar Kandidaten fürchterliche Prüfungsangst hatten, würde sicherlich alles gut laufen. Nun hieß es für sie auf die Liste mit ihren neuen Schülern zu warten und ein Programm zu entwickeln, mit dem sie sowohl die Neulinge, als auch die „Fortgeschrittenen“ fördern konnte. Gerade auf diese Herausforderung freute sich Sila schon sehr, eben weil sie immer stärker fühlte, dass dieser Platz der Richtige für sie war.
 

Ein Blick auf die Armbanduhr zeigte, dass es langsam Zeit war sich auf den Weg zum Internat zu machen. Die Trainigstasche hatte sie bereits vor der Eingangstür positioniert. So brauchte sie nur noch danach zu greifen und die Tür hinter sich ins Schloss fallen zu lassen.

In der Apartmentlobby angekommen, grüßte Sila freundlich das Personal. Auch der Wachposten am Eingang wurde mit einem fröhlichen Lächeln und einem klaren: „Guten Morgen!“, bedacht. Aber erst als sie ihren Blick auf den Weg, der in Richtung Park führte, richtete, erhellten sich ihre Gesichtszüge vollständig.
 

Es war nun schon der siebte Tag in Folge, an dem Skyre draußen an einer Laterne gelehnt auf sie wartete. Auch wenn Sila es sich selbst nicht eingestehen wollte, freute sie sich sehr von dem gutaussehenden und überaus begabten Tänzer abgeholt zu werden. Er hatte es zu seiner Gewohnheit gemacht Sila zum Internat zu begleiten. Während sie ihre Unterrichtsstunden hielt, wartete er solange im Zuschauerbereich. Auch zum Mittagessen in der Kantine begleitete er sie. Dort trafen die beiden auf die Tänzer des inneren Freundeskreises und nutzten gerne die gemeinsame Zeit. Hin und wieder erlaubte Sila Skyre sogar sie bei ihrer Pause im Park zu begleiten. In den warmen Sommermonaten genoss sie es im Freien einen Roman zu lesen oder eine neue Choreographie auszudenken. Ansonsten tanzte Skyre bis zum Vorabend, an dem Sila wieder zu ihren Freunden stieß. Nach einem anstrengenden Tag bestand er dann auch noch darauf sie zu ihrem Apartment zu begleiten.
 

An diesem Morgen erwartete sie ein bekanntes Lächeln und das Freundliche: „Guten Morgen, Sila. Hast du gut geschlafen?“

„Wie jede Nacht. Danke! Und du?“

„Wie ein Stein!“

Ein Lachen erhellte die lautlose Morgenluft. „Manchmal frage ich mich ob du Nachts überhaupt geweckt werden könntest.“

Freundlich sah Skyre Sila in die Augen. „Wenn du mich rufen würdest, wäre ich sofort wach.“

„Schmeichler!“

„Nein, das ist mein Ernst!“

Einen Augenblick lang hielt Sila seinem Blick stand. Er war aufrichtig. Viel zu aufrichtig, bemerkte sie verlegen. Es wurde immer auffälliger, dass Skyre ihre Gesellschaft suchte. Auch ihre Freunde bemerkten es, aber niemand sprach sie oder ihn darauf an. Sogar Kiso hörte mit seinen Verkuppelungsversuchen auf. Sicherer wäre es, sich von dem asiatischen Star fern zu halten. Doch aus unbekannten Gründen, genoss Sila seine Anwesenheit. Auch wenn sie sich ständig darüber den Kopf zerbrach wie lange es noch so weitergehen konnte.

„Habe ich etwas falsches gesagt?“, riss Skyre sie aus den Gedanken. Schnell schüttelte Sila den Kopf. „Ich habe nur nachgedacht.“

Eine kurze Pause entstand, bis Skyre frage: „Was denkst du wieviele neue Schüler du bekommen wirst?“

Sila zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Man war sich noch nicht sicher welche der Neulingen die Aufnahmeprüfung bestehen würden.“

„Ich hoffe du bekommst dieses Mal mehr Mädels!“, seufzte Skyre hörbar.

„Aha! Damit du beim Zuschauen mehr zu sehen hast?“

„Was denkst du von mir? Damit dich weniger des anderen Geschlechts lüstern anschauen können!“

Das Gespräch amüsierte Sila. Sie sah in großer Gebärde an sich herab. „Da hast du was falsch verstanden, Mr. Beschützer. Da gibt es nichts, was lüstern angeschaut werden kann!“

Skyre hielt im Gehen inne und nahm sich einen Moment die Zeit um Sila zu betrachten. Flüchtig warf er seinen Blick auf ihre flachen Sportschuhe, ihre kurze Lieblingshose beim Sport und das schwarze Oberteil mit dreiviertel Ärmeln. Ein silberner Reisverschluss gab einen starken Kontrast zum dunklen Outfit, aber es fiel um so mehr auf, weil Sila ihn ganz bis zu ihrem Halsausschnitt hochgezogen hatte. Es war ihm nicht neu, dass Frauen, die im Internat tanzten ihre Outfits sehr aufreizend auswählten. Miniröcke, gepaart mit tiefen Ausschnitten und hohen Absätzen waren fast schon Standard bei den Frauen. Sila war anders. Ihre Kleidung war entweder praktisch oder bequem. Seit es die klassischen Tänze im Internat gab, trug sie sogar Absätze. Auch wusste Skyre, dass sie einige Röcke verschiedener Länge besaß. Aber zu seiner Verwunderung wurden sie nur zu bestimmten Anlässen ausgewählt und nie konnte man Sila vorwerfen mit ihren Reizen zu spielen.

Doch diese Dinge hatten für ihn kaum einen Wert. Sein Blick blieb an ihrem Gesicht ruhen.

„Dann haben sie deinen wahren Wert noch nicht erkannt!“

So einen Satz konnte Sila nicht richtig einordnen, hatte aber auch nicht den Mut weiterzufragen. Vielleicht war es einfach die große Angst vor der Veränderung, über die sie mit Phie gesprochen hatte. In ihr tobte ohnehin schon ein Kampf, den sie unter keinen Umständen verlieren wollte. Tief im Herzen fühle sie sich immer mehr zu ihm hingezogen. Gleichzeitig wurde sie von der Angst gepackt was passieren würde, wenn sie ihm die Hand reichen würde. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, gingen die beiden ihren Weg durch den Park. Es dauerte nicht lange, bis Sila es wagte ihm einen verstohlenen Seitenblick zuzuwerfen. Das Herz schlug auf einmal merklich schneller. Als es ihr bewusst wurde, senkte sie ihren Blick und bemühte sich wieder auf die Pflastersteine des Weges zu achten. Ihre Gesichtszüge nahmen plötzlich einen traurigen Ausdruck an.

'Es hat einfach keinen Sinn! Er und ich leben in zwei völlig verschiedenen Welten. Falls er überhaupt jemals auch nur an eine Beziehung denken könnte, würde es doch nur so enden wie bei Chuckie!'

Ein lautes Seufzen deutete die wirren Gefühle an, mit denen Sila nun immer mehr zu kämpfen hatte. Skyre hatte ihren Seitenblick bemerkt. Auch war ihm aufgefallen, dass sie sich hin und wieder bemühte von ihm Abstand zu halten. Es schien jedoch etwas zu geben, was sie nicht lange genug auf Distanz ihm gegenüber halten konnte. Diese Beobachtungen weckten in ihm den Wunsch die Gründe dafür herauszufinden. Aber er nahm sich Zeit dabei.

„Los geht’s! Ich wünsche dir eine gute Trainingseinheit!“

Skyres motivierender und unbekümmerter Tonfall brachte Sila endgültig in die Realität zurück. Überrascht bemerkte sie jetzt erst, dass sie schon in der Lobby angekommen waren.
 

*** ** * ** ***

Eigentlich hatte sich Skyre fest vorgenommen die Zeit von Silas Trainingseinheiten zu nutzen, um die vielen ausstehenden E-Mails zu beantworten. Aus diesem Grund nahm er dieses Mal seinen Laptop mit. Seinen Blick konnte er aber nicht einfach vom Geschehen, etwas weiter unter sich, losreißen. Von seinem Platz im Zuschauerbereich aus, bot Sila einen wunderschönen Anblick, während sie mit ihren kleinsten Schülern zusammenarbeitete. Besonders das jüngste Mädchen, welches am Anfang so große Probleme hatte die Schritte einzustudieren, blühte auf. Das Tanzen machte ihr anscheinend Freude und er mochte ihr voller Stolz strahlendes Gesicht, wenn sie von ihrer Lehrerin gelobt wurde. Sila hatte die versteckte Gabe, gut mit ihren Schützlingen umgehen zu können, stellte Skyre fest. Ihr Lachen und ihre Motivation steckte alle an.
 

Kaum hatte er endlich begonnen einige Mails zu beantworten, hörte er wie jemand seinen Namen rief. Als er den Kopf über seinem Laptop hob, bemerkte er zu seiner Überraschung, dass die Trainingszeit bereits geendet hatte. Im Übungsraum standen nur noch vier Frauen mit ihren Kindern um Sila herum versammelt.

„Kommen sie heute gar nicht mehr herunter?“, rief eine der Frauen zu ihm hinauf. Sila beobachtete wie Skyre sich beeilte den Laptop zu verstauen und in schnellem Schritt die Treppen vom Zuschauerbereich hinunter ging. Fröhlich sagte er zu den Frauen gewandt:

„Sie haben mich gerade beim Träumen erwischt, verehrte Damen...“.

Während die besagten Damen kicherten und von Skyre alles Mögliche wissen wollten, wanderte Silas Aufmerksamkeit auf die Kleidung der Mütter ihrer Schüler. Obwohl manche Frauen bereits mehrfache Mütter waren, hatte ihr Erscheinungsbild trotz allem eine gewisse Eleganz. Es war so gar nicht Silas Art sich über die Kleidung von anderen oder gar sich selbst große Gedanken zu machen. Doch sie musste sich gestehen, dass sie weniger weiblich aussah als die Gesprächspartnerinnen von Skyre. Ein Anflug von Neid drang in ihr Herz, während sie in Gedanken ihre Outfits mit denen vor ihren Augen verglich. Die Folge war, dass sie sich plötzlich für ihre sportlichen Sachen schämte. Vielleicht war das ja auch der Grund, warum Sila von den Frauen oft nicht wirklich wahrgenommen wurde. Die knappen Gespräche gingen nie über das Benehmen ihrer Kinder in den Tanzstunden hinaus. Manch ein Mal fühlte sich Sila eher wie eine niedrige Angestellte als eine Lehrerin. Skyre ging so höflich mit den Frauen um, dass sie eher wie Damen aus vornehmen Kreisen wirken könnten. Sila fühlte sich ihm gegenüber mehr wie eine kleine Schwester, die beschützt werden musste. Sie versuchte sich zu erinnern wann Skyre das letzte Mal so höflich mit ihr gesprochen hatte. Eine ungewohnte Wut stieg in ihr auf. Um es zu verstecken, drehte sie sich um und schritt zu ihrer Trainingstasche. Sie hätte keine Skrupel gehabt sich diese Tasche um die Schulter zu werfen und wortlos den Saal zu verlassen. Immerhin war sie ja keine Lady, nur eine einfache Tanzlehrerin. Daher würde man ihr deswegen bestimmt keine Vorhaltungen machen können.

Doch soweit kam sie nicht. Gerade als sie dabei war den Reisverschluss ihrer Tasche zuzuziehen, hörte sie ihren Namen. Überrascht drehte sich Sila um und sah, dass alle Blicke auf sie gerichtet waren. Scheinbar hatte man sie etwas gefragt, als sie mit sich selbst beschäftigt war.

„Entschuldigung. Ich war in Gedanken.“

„Nicht schlimm. Mrs Braun hat uns gefragt ob wir ihr, den anderen Damen und den Kindern nicht ein paar Schritte vom Partnertanz zeigen könnten.“

Silas Augen weiteten sich vor Schrecken. Wie konnte Skyre auch nur auf die Idee kommen, dass sie in diesem Aufzug auch noch Lust hätte einen klassischen Tanz zu vollführen? Scheinbar bemerkte Skyre ihr Zögern nicht, weil der Gedanke ihm durchaus zu gefallen schien.

„Wir haben doch eh noch eine gute halbe Stunde bis wir die Anderen treffen. Was spricht denn dagegen, Sila?“

Ohne ein Wort zu sagen wollte sie ihre Tasche auf die Schulter werfen. Den Leuten im Übungsraum hatte sie den Rücken zugewandt um ihren Ärger über die Situation nicht zu zeigen.

„Was ist los?“, hörte sie plötzlich Skyres leise Stimme neben sich. Als Sila aufblickte stand Verwunderung in seinem Gesicht geschrieben.

„Ich hab einfach keine Lust denen was vorzutanzen!“

„Aber du magst doch sonst die klassischen Tänze. Ich tanze mit dir.“

„Du bist doch gar nicht zum tanzen angezogen!“ Sila wollte nicht nachgeben.

„Das ist egal. Ich kann auch mit den normalen Sachen tanzen. Gib dir nen Ruck! Es ist nur ein kurzer Tanz.“

Zu seinem Erstaunen funkelte sie ihn verärgert an. Ihre Laune hatte sie merklich geändert. Weil er sich keinen Grund dafür vorstellen konnte, redete er trotzdem unbeirrt weiter:

„Vielleicht finden sie ja Gefallen am Tanzen und werden auch zu deinen Schülern. Wäre das nicht ein großes Lob deiner Leistung?“

Bevor Sila Skyre etwas erwidern konnte, kam eines der Schüler auf sie zu und zupfte an ihrer Hose.

„Miss Diamon. Bitte tanzen sie einen schönen Tanz für uns. Sie tanzen sonst nur wenn sie uns etwas vorzeigen.“

„Ja bitte, Miss Diamon!“, klang es jetzt auch von den übrigen Kindern. Die Mütter nickten ihr freundlich zu. Sila versuchte noch einmal etwas dagegen zu sagen:

„Schau mich an! Tanzt man mit diesen Klamotten etwa einen klassischen Tanz? Willst du, dass ich mich lächerlich mache?“

„Das weiß doch jeder, dass man da anders angezogen ist. Das stört hier keinen!“, dabei ergriff er sie am Handgelenk. Seine linke Hand ruhte sanft auf ihrem Rücken, als er sie in die Mitte des Raumes führte. Auch wenn Skyre nicht so muskulös wie Dray oder Kiso war, so hatte er eine ausgebildete Haltung und konnte jede Frau dazu bringen einen Tanz mit ihm zu tanzen. Egal wie gut oder schlecht sie selbst war, durch Skyres Führung schien auch sie seinen Fähigkeiten ebenbürtig zu sein. Als Skyre sie in der Mitte des Raumes stehen ließ um ein Lied für den Tanz auszusuchen, sank Sila der Mut noch etwas dagegen zu erwidern. Sie sah, dass die Damen mit ihren Kindern auf den Zuschauerstühlen Platz genommen hatten und voller Spannung jeden von Skyres Bewegungen beobachteten.

Noch bevor Skyre seine Position eingenommen hatte, erkannte Sila eines ihrer Lieblingsstücke: „Get out“. Dieses Lied wurde von Sila sonst liebevoll „das Gutelaunelied“ genannt. Wären sie in einem der Ballsäle und hätte Sila ein schönes Sambakostüm an, würde Skyre ihr schönstes Lächeln zu Gesicht bekommen. Doch sie konnte den Gedanken an ihre Erscheinung einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Auch so ein Sambakostüm gehörte nicht zu ihrem Besitz.

Skyre führte Sila fast fehlerfrei. Wäre eine Jury dabei gewesen, so hätten die beiden mehrere Partnerpunkte absahnen können. Aber Sila tanzte den Tanz mechanisch. Weder genoss sie es mit Skyre zu tanzen, noch konnte sie sich über den Song freuen. Sie wollte einfach nur noch zurück zu den anderen. Ihr fehlte an diesem Vormittag eine Freundin. Eine Frau, die ihre Gefühle verstehen konnte.
 

Der Beifall war stürmisch, nachdem das Lied ausgeklungen war. Die kleinen Schüler sprangen vergnügt in die Luft und riefen: „Sowas wollen wir auch lernen, Mutti!“ Auch die Frauen überschütteten die Tanzlehrerin ihrer Kinder mit Lob. Sila dankte höflich, sprach aber nicht mehr als nötig. Kaum waren alle bis auf die beiden Tänzer aus dem Raum verschwunden, griff Sila nach ihrer Tasche und stürmte wortlos aus dem Übungsraum.
 


 

*** ** * ** ***
 

Beim Mittagessen war die Stimmung der Freunde ausgelassen wie immer. Nur Sila schien kaum Appetit zu haben. Jedem in der Runde fiel auf, dass sie ziemlich wortkarg war. Auch Skyre gegenüber nahm sie eine kühle Haltung an. Philphlader fragte Sila besorgt ob sie sich überanstrengt hätte oder ob es ihr nicht gut ginge.

„Nein. Bei den Tanzstunden verausgabe ich mich nicht, Imôto.“

Silas schlechte Laune brachte Skyre in eine missliche Lage. Kiso sagte zwar kein Wort, aber er ließ seinen Blick nicht von seinem Gegenüber. Sobald sich die Blicke der Männer trafen fühlte sich Skyre als hätte er irgendetwas schlimmes angestellt. Dabei wusste er selbst nicht aus welchem Grund sich Silas Stimmung so verändert hatte. Am Morgen war sie noch guter Dinge. Etwas nachdenklich aber gut gelaunt. Durch Schulternzucken versuchte Skyre klarzumachen, dass er nichts mit ihrer Laune zu tun hatte, doch so schnell ließ sich Kiso nicht abwimmeln.

Am äußeren Rand des Tisches saßen sich Sila und Sango gegenüber. Sogar Sango flüsterte: „Hast du dich mit Nii-chan gestritten?“

„Nein!“

„Warum ignorierst du ihn denn heute? Hat er dich geärgert?“

„Nein!“

„Ach O-nee! Du kannst mir ruhig sagen, wenn dich etwas beschäftigt...“. Sango machte sich Sorgen um Sila und wollte noch etwas sagen, als Phie, die daneben saß, ihr sanft die Hand auf den Arm legte. „Lass gut sein. Sie wird schon reden, wenn ihr danach ist“, flüsterte sie ihr zu.

Das Essen ging schweigsamer zu ende als es begann. Nachdem alle fertig waren und keiner mehr sitzen wollte, machten sich die Freunde in kleinen Gruppen an den Geschirrständern zu schaffen. Kiso nutzte die Gelegenheit um sich von Skyre bestätigen zu lassen, dass er wirklich im Dunkeln tappte. Sila hatte als erste das Geschirr weggelegt und beobachtete ihre Freundinnen wie sie den Müll in die Mülleimer warfen und das Geschirr an den richtigen Stellen platzierten. Als Phie lächelnd an ihr vorbei gehen wollte, fragte Sila leise: „Was machst du gleich?“

„Ich wollte tanzen gehen. Hast du etwas bestimmtes vor?“

„Nein.“, war die Antwort, „Darf ich mit dir zusammen tanzen?“

„Natürlich! Aber ich brauche ein paar Minuten. Gestern habe ich ein neues Outfit gekauft, das ich gerne anziehen wollte...“

„Das geht in Ordnung. Ich reserviere uns dann schon mal einen Raum.“
 

Am Nachmittag trennten sich die Wege der Freunde; Philphlader musste zur Universität zurück und Kiso wollte gerne mit Dray ein hartes Training durchlaufen. Sango und Shadow wollten an diesem Nachmittag in die Stadt gehen. Während Sila auf Phie wartete, verbrachte sie ihre Zeit mit dem Durchstöbern der Liederliste. Sie sah auf, als die Tür aufging, doch ihr Blick wurde kälter, als Skyre durch die Tür kam.

„Störe ich?“, fragte er vorsichtig.

Ein Schulternzucken war seine Antwort: „Du kennst ja das Passwort.“

„Ja, aber wenn ich im Weg bin, kann ich auch gehen.“

„Du bist nicht im Weg!“

Skyre stellte sich neben Sila. Er sah eine Zeit lang stumm zu, wie sie in der Liederliste blätterte. So hatte er sie schon lange nicht mehr erlebt. Er wusste nicht wieso, aber trotz allem fühlte er sich schuldig.

„Bitte verzeih mir, Sila.“, sagte er nach langem Schweigen. Das Tippen auf dem Bedienerpult hörte auf, als Sila Skyre voll ins Gesicht blickte.

„Du hast nichts getan wofür du dich entschuldigen müsstest!“

„Warum bist du denn dann auf einmal so abweisend?“

Sila ließ ein Schnaufen hören und verschränkte ihre Arme vor der Brust.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht in dem Aufzug Samba vor Leuten tanzen wollte!“

„Das hast du.“, gab Skyre ihr Recht,“War es denn so schlimm in deinen Sportsachen mit mir zu tanzen?“

„Ach Mensch! Darum geht es doch gar nicht!“

„Worum denn dann?“

„Na weil … weil!“ Sila geriet ins Stocken. Jetzt erst bemerkte sie, dass sie selbst nicht so genau wusste, warum sie so verärgert war. Weil Skyre seinen Blick nicht von ihr weichen ließ, gab sie schließlich verärgert nach: „Gut, wenn du darauf bestehst! Bestimmt kannst du das nicht nachvollziehen!“

„Das weiß ich erst, wenn du es mir sagst.“

„Mich hat es einfach genervt, dass die Frauen immer so schick angezogen sind, während ich mich kleide wie der letzte Straßentänzer!“

Sila bemerkte wie Skyres Unterkiefer mit einem Satz nach unten klappte. Ungläubig sah er sie an. Ärgerlich wirbelte sie herum und zeigte ihm die kalte Schulter.

„Ich hab doch gesagt, dass du das nicht verstehen wirst!“ Sie wollte gerade etwas ergänzen, da spürte sie, wie Skyre beide Hände auf ihre Arme legte und sie sanft wieder zu sich drehte. Sie wollte sich wehren, wollte sich losreißen, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht. Mit großen Augen und roten Wangen sah sie ihm wie ein reumütiges Mädchen ins Gesicht. Skyre sagte eine Weile kein Wort. Er musterte sie nur. Nicht lüstern, wie er es am Morgen beschrieben hatte, sondern interessiert.

„Ich habe deine Gefühle verletzt. Das war nicht richtig!“

„Eh?“

„Als du mir das mit deinem Outfit gesagt hast, habe ich es einfach ignoriert. Verzeih mir bitte!“ Seine Entschuldigung entmachtete Sila.

„Schon okay.“

„Aber eines muss ich sagen; Du siehst auf keinen Fall aus wie ein Straßentänzer! Du hast deinen eigenen Stil und ...“, leicht verlegen strich er sich durch das schwarze Haar, „ich mag es sehr, dass du dich nicht so aufreizend kleidest.“

Seine ehrliche Art erstaunte Sila: „Wirklich?“

„Ja!“

Erneut zeigte sie an sich hinunter. „Aber schau dir doch an wie ich mich immer kleide. Damit bin ich weder weiblich noch anziehend! Es muss ja nicht übertrieben aufreizend sein, aber ich fühle mich manchmal ziemlich unweiblich wenn ich mit dir zusammen die klassischen Tänze tanze!“

Ein Lächeln erhellte sein Gesicht als er ihren Kopf am Kinn hochhob, damit sie ihm in die Augen sehen konnte. Sila ließ ihren schönsten Schmollmund herausstehen.

„Vielleicht solltest du dir dann einfach mal etwas anderes kaufen? Aber wegen mir brauchst du das nicht zu machen. Ich tanze gerne mit dir, selbst wenn du in Sportkleidung Samba tanzt!“ Er sah ihr voll ins Gesicht, als er hinzufügte: „Deiner wahren Schönheit kann es nichts anhaben!“

Silas Herz legte an Tempo zu während Skyre ihr dies Kompliment gab. Wäre in diesem Augenblick nicht die Tür zum Vorbereitungsraum aufgegangen, wüsste Sila nicht, was sie getan hätte. Als sie Phies verblüfften Gesichtsaudruck sah, lief ihr Gesicht rot an und Sila sprang fast einen Satz nach hinten um wieder einen gebührenden Abstand zwischen sich und Skyre herzustellen. Sie war nahezu in Versuchung sich rechtfertigen zu wollen. Aber als sie Phies neues Outfit sah, lief sie zu ihrer Freundin und bestaunte sie.

„Du meine Güte ist das hübsch! Wo hast du das her?“

„Gefällt es dir? Die Stiefel habe ich im Schuhladen gefunden, das Oberteil stammt vom kleinen Lädchen in der Marktpassage und der Rock ist aus dem großen Outfitladen.“ Phie war sichtlich zufrieden mit ihrem Kauf. Sila ging einen Schritt nach hinten und bestaunte Phies ausgezeichneten Geschmack. Sie trug ein kurzes Topp in knalligem Blau-Türkis. Darüber eine Art modernen Bolero mit dreiviertel Ärmeln in schwarz. Dazu hatte sie sich einen passenden kurzen, dunkelblauen Rock mit einer schmalen, unauffälligen Spitze am unteren Ende ausgesucht, der verziert wurde mit einem Gürtel in der Farbe des blau-türkisen Oberteils. Als Hingucker trug sie eine lange Kette mit einem großen, goldenen Ornamentschmetterling und eine kurze Kette, die mit einer türkisfarbigen Feder behängt war. Den Abschluss bildeten schwarze Stiefel mit Absätzen.

Auch wenn Phies Rock recht kurz war und sie Stiefel mit Absätzen trug, sah ihr Outfit dennoch sehr elegant aus. Während Sila die Feinheiten ihres Outfits bestaunte, beobachtete Phie ihre Reaktion genau. Sie hatte sich schon häufiger gefragt, aus welchem Grund Sila sich nicht so richtig traute Kleider oder Röcke beim Tanzen zu tragen. Selbst bei klassischen Tänzen schien sich Sila zu genieren, wobei Phie wusste wie gerne sie Röcke trug. Eine Vermutung war, dass Sila nicht in die Schublade mit anderen Tänzerinnen gesteckt werden wollte, die sich absichtlich aufreizend anzogen. Phie entschied, dass es Sila sicherlich gut tun würde, wenn sie sich etwas weiblicher anziehen würde. Daher bot sie ihr freundlich an:

„Sag mal Sila. Wenn dir das Outfit so gefällt, warum kaufst du es nicht auch?“ Schnell fügte sie noch hinzu: „Ich hätte kein Problem mit dir ein Partneroutfit zu haben!“

Als Sila immer noch nicht in der Lage war etwas zu entgegnen, legte Phie ihr den Arm um die Schulter. „Es wäre mir eine Ehre mit dir ein Partneroutfit zu haben. Es sei denn du magst es nicht anziehen...“

„Doch!“, rief Sila schnell, „Bist du dir ganz sicher? Ich möchte dich nicht nachäffen!“

„Natürlich bin ich sicher! Denkst du ich hätte es dir sonst angeboten?“
 

Erneut staunte Skyre über Phies Fähigkeiten anderen Menschen ins Herz zu sehen. Sie schien sofort erkannt zu haben was Silas Problem war. In solchen Dingen wurde ihm immer mehr bewusst wie wenig er von Frauen verstand. Nie zuvor hatte er sich mit solchen Dingen auseinander gesetzt. Er hörte wie Sila sich von Phie überreden ließ und diese ihr sogar anbot gemeinsam mit ihr die einzelnen Läden aufzusuchen. Er genoss Silas neugewonnene Fröhlichkeit.

„Anscheinend muss Sky heute ohne uns tanzen“, rief Phie in seine Richtung, „Entschuldige bitte, aber Sila und ich haben beschlossen einkaufen zu gehen.“

Ein Lachen war die Antwort. Skyre wünschte den beiden Frauen viel Glück beim Bummeln und ermutigte Phie gleichtzeitig Sila dazu zu überreden mehr als nur das eine Outfit zu kaufen.
 


 

*** ** * ** ***
 

Als Phie am Abend den privaten Tanzraum betrat, richteten sich sofort alle Augen auf sie. Philphlader und Sango waren zwar anwesend, während Phie sich ihr neues Outfit ausgesucht hatte, aber es war das erste Mal, dass sie es in voller Ausstattung trug. Kiso, Shadow und Skyre sahen aus sicherer Entfernung zu, wie die Frauen Phie mit Lobeshymnen überschütteten. Erst als Silas Name fiel, wurden plötzlich alle hellhörig. Phie erklärte feierlich, sie wäre nicht die Einzige, die ein neues Outfit tragen würde. Mit einem sanften Lächeln öffnete sie die Tür um Sila hereinzulassen.
 

Sila betrat schon fast schüchtern und mit gesenktem Blick den Raum. Ein Raunen ging durch den Raum. Sie sah erst auf, als Phie die Außentür wieder geschlossen hatte. Die Überraschung schien eindeutig geglückt worden zu sein, denn sie hatte die Aufmerksamkeit von allen.

„Ein Partneroutfit? Neechan! Du hast mir ja gar nicht erzählt, dass ihr ein Partneroutfit haben wolltet.“

Verlegen zupfte Sila an ihrem Rock herum. Ihre Wangen gewannen Farbe, als sie sich plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit fand. „Es war auch gar nicht geplant.“ Dabei sah sie freundlich zu Phie. „Mir hat Phies Outfit so gut gefallen, dass sie mir vorgeschlagen hat ein Partneroutfit zu kaufen.“

„Ihr seht aus wie Schwestern“, rief Sango fröhlich. „Bei dem Outfit wird man fast neidisch.“

Philphlader zwinkerte Sango zu: „Jetzt braucht Neechan nur noch ein Partneroutfit mit dir und sie hat eins mit jeder von uns dreien.“

Das Lachen lockerte auf. Sila fürchtete schon fast, dass Philphlader ihr das Partneroutfit mit ihrer leiblichen großen Schwester übel nehmen könnte. Doch Philphlader freute sich nur und lobte den guten Geschmack. Erst jetzt merkte Sila, dass auch die Männer sich zu ihnen gesellten. Skyre ergriff das Wort:

„Es steht dir sehr gut. Du siehst wunderschön aus.“

Verlegen strich sich Sila eine Strähne hinter das Ohr.

„Yeah! Sky hat Recht. Bist du überhaupt meine Sis?“, warf Kiso grinsend ein.

„Eh? Was soll das denn heißen? Natürlich bin ich deine Schwester. Wer sollte ich sonst sein?“

„Anata zieht dich doch nur auf, Neechan. Hör nicht auf ihn!“
 

An diesem Abend hörte man viel Lachen und Musik bis spät in die Nacht aus dem Raum, den sich der „innere Freundeskreis“ reserviert hatte. Kiso und Philphlader waren die ersten, die sich verabschieden mussten. Philphlader musste am nächsten Tag zwar nicht so früh zur Universität, wollte vorher aber noch einige Vokabeln durchgehen. Sango, Shadow und auch Phie schlossen sich dem Ehepaar an. Zum Abschluss umarmte Sila Phie herzlich. „Ich danke dir“, flüsterte sie ihr ins Ohr. Phie lächelte ihr fröhlich zu und verließ ebenfalls den Saal. Skyre mochte es nicht Sila alleine im Dunkeln durch den Park gehen zu lassen. So half er ihr den Führerpult herunterzufahren. Als die beiden mitten in der Nacht durch den stillen Park gingen, fühlte Sila zum ersten mal nach langer Zeit eine gewisse Zufriedenheit in sich. Sie hatte endlich ein Outfit in dem sie sich wohlfühlte, wenn sie mit Skyre zusammen war. Ihr Herz füllte sich mit Wärme, als sie zu Skyre hinaufsah. Sie spürte wie ihre Mauer von Tag zu Tag zu bröckeln begann. Egal wie oft sie sich bemühte die anbahnenden Gefühle im Keim zu ersticken, es schien, als würden sie nur mit stärkerer Macht herausbrechen wollen.

Vor dem Frauenapartment angekommen verbeugte sich Skyre höflich, nahm Silas Hand und gab ihr einen unerwarteten Handkuss.

„Ich wünsche dir angenehme Träume.“ Als er sich wieder in voller Größe aufrichtete, bemerkte er ein funkeln in ihren Augen.

„Du hast mir noch nie einen Handkuss gegeben!“, stellte sie nüchtern fest.

„Soll ich es öfter tun?“

Sie ahnte nicht welch einen Anblick ihre Verlegenheit Skyre bot. Er widerstand aber dem Drang sie an sich zu ziehen, aus Angst wieder auf ihren Wiederstand zu stoßen. Doch hob er seine Hand und strich Sila durch das offene Haar.

„Du siehst heute wirklich bezaubernd aus. Aber es liegt nicht nur an deinem neuen Outfit. Es ist die Zufriedenheit, die du ausstrahlst. Erhalte es dir, Sila.“

Dieses Lob nahm Sila gerne an. Sie lächelte, winkte und begab sich zum Eingang. Sie wusste, dass Skyre ihr nachsah. Dennoch ging sie hinein, ohne noch einmal zurückzusehen.
 

Ende Kapitel 25:

~ Kleider machen Leute ~

~ Silas Vergangenheit - Teil 1 ~

Sila stand in einem dunklen Raum. Es war so dunkel, dass sie nichts erkennen konnte. Erst nach einer Weile des Herumirrens erkannte sie weiter vor ihr etwas rotes, etwas helles. Es dauerte nicht lange bis ein beißender Geruch des Feuers in ihre Nase drang. Sofort wusste sie was es war. Die Hitze, das grelle Licht und der Rauch waren furchterregend. Sie wollte schreien, wollte weglaufen, zurück in die sichere Dunkelheit, aber es schien als hätte der Rauch sie gelähmt. Ihre Beine zitterten und die Lungen brannten wie Feuer. Sie wollte weinen, aber die Tränen waren wie verdampft. Keine einzige Träne füllte ihre brennenden Augen. Plötzlich kamen zwei Gestalten auf sie zu. Ein Mann und eine Frau. Beide waren kaum mehr als Haut und Knochen, die Frau kreidebleich mit langen, blonden, aber struppigen Haaren. Die Augen brannten sich in Silas Seele ein, wie Feuer. Sie bemühte sich die Augen zu schließen, aber eine harte Hand riss sie zur Seite. Sie blickte direkt in das hasserfüllte Gesicht des Mannes.

„Sieh was du uns angetan hast!“, schrie er sie an. „Schau dir genau an was du getan hast!“ Dabei zeigte er auf die bleiche Frau. Jetzt erst erkannte Sila, dass sie keinen dicken Bauch hatte, wie sie es noch in Erinnerung hatte, sondern ein langes, weißes Nachtgewand trug, das mit Blut durchtränkt war. Übelkeit stieg in ihr auf. Sie wollte den Kopf zur Seite drehen, aber der Mann zwang sie die jammervolle Gestalt vor ihr anzusehen.

„Bist du jetzt zufrieden? Hast du endlich deinen Willen bekommen?“

Mit diesen Worten verstärkte er seinen Griff um ihren Arm und schleuderte sie in das Feuer.
 

*** ** * ** ***
 

Schweißgebadet und mit einem lauten Schrei, schreckte Sila aus einem Alptraum auf. Der Platz auf dem sie im Bett lag war schweißdurchtränkt. Ihr selbst klebte der Schlafanzug am Körper und die Haare an ihrem Gesicht und Hals. Zitternd sprang Sila aus dem Bett, riss die oberste Schublade ihrer Kommode auf, um sich einen neuen Pyjama herauszunehmen. Die Finger zitterten.

'Es wird immer schlimmer', gab sie zu. All die Jahre seit dem Tod ihrer Eltern wurde sie nun schon von Alpträumen geplagt. Dies war auch der Grund, warum sie meist bis zur Erschöpfung und tief in die Nacht hinein getanzt hatte. Wenn sie sich gerade noch bis zum Bett schleppen konnte, fiel sie in einen komaähnlichen Schlaf. Einen wohltuenden und traumlosen Schlaf.
 

Ihre besorgten Zieheltern hatten oft den Arzt mitten in der Nacht angerufen, weil sie Sila, die schreiend und sich windend im Bett lag, nicht wach bekamen. Kiso hatte es nie mitbekommen, denn er schlief schon als kleiner Junge wie ein Stein. Sila bat und bettelte, dass niemand jemals davon erfahren durfte. Mit dem Tanzen wurden die Alpträume durch die Erschöpfung nach dem Training seltener. Aber seit Sila nach der überstandenen Krankheit nicht mehr die Kraft zu so einem extremen Training hatte, wurden die Träume zusehends häufiger und schlimmer. Die Ärzte taten es als psychischen Stress ab oder gaben den Schock an, den der Tod der Eltern bei Sila ausgelöst hatte. Auch die verloren gegangenen Erinnerungen schoben sie auf diesen Zustand. Sila hatte damit leben gelernt, weil sie wusste, dass nur sie selbst die Erinnerung an die Eltern hatte. Es gab keine näheren Freunde, die sie hätte befragen können. Sie wusste von keinen anderen Menschen, die ihre Eltern kannten, außer den Diamons.
 

Sila stand frisch umgekleidet vor dem Spiegel im Badezimmer und suchte ein Anzeichen von einer Träne. Es war nichts zu sehen. Wie oft hatte sie schon in ihrem Leben geweint? Chuckie, Aron, Soujiro, sie alle lösten Tränen in ihr aus. Aber als sie von dem Tod ihrer Eltern erfuhr, gab es keine Tränen. Oft fragte sie sich warum es so war. Warum betrauerte sie den Tod ihrer Eltern nicht? Warum konnte sie mehrere Monate lang keinen Ton in ihrer Kehle formen? Durch die Liebe der Zieheltern, kam sie langsam aus ihrem Schneckenhaus heraus. Dank Kiso lernte sie nicht nur das Tanzen, sondern auch wieder das Lachen, die Freude an den schönen Dingen. Und sogar ihre Krankheit hatte dazu beigetragen, dass sie die Ruhe, einen einfachen Sonnenstrahl oder das Zwitschern eines Vogels genießen lernen konnte. Aber immer wenn sie an die Eltern dachte, schien es, als würde sie von Dunkelheit umhüllt. Waren sie schlechte Eltern gewesen? Nein! Silas Erinnerungen waren zwar verschwommen, aber es kehrten über die Jahre hinweg immer mehr Kleinigkeiten, völlig aus dem Zusammenhang gerissene Erinnerungsfetzen, zurück. Sie war überzeugt, dass sie eine glückliche Kindheit hatte. Im obersten Fach des Nachtschränkchens lag ein gerahmtes Foto der Eltern. Die Zieheltern hatten noch ein paar Fotos von den Eltern, als sie noch jung waren und gerade einige Monate verheiratet waren. Fotos, die entstanden, bevor die Diamons sich entschlossen hatten ins Ausland zu ziehen. Der Mann und die Frau hatten auf dem Bild das gleiche Größenverhältnis wie die Gestalten in ihren Träumen. Aber sie sahen frisch und lebendig aus. Ein fröhliches Lächeln umspielte beide Gesichter. Die Haare der Mutter hatten die gleiche Farbe wie ihre eigenen, waren aber lang und wellig. Sie trug die Haare offen auf dem Bild und sah Sila sehr ähnlich. Der Mann war nicht sehr muskulös, hatte aber ein warmes Lächeln und hielt seine Hand ganz zärtlich auf einem kleinen Bauch, der sich bei der Frau wölbte. Sila wusste, dass sie dort entstand. Der Mann war so ganz anders als in ihrem Traum. Im Traum sah er sie hart an oder hielt ihren Arm fest. Manchmal schleuderte er sie auch in das Feuer hinter ihnen hinein. Oft hatte die weibliche Gestalt in ihrem Traum einen Bauch. Sila schloss es darauf, dass sie nur dieses eine Foto von den Eltern in ihrem Besitz hatte und die Mutter eben so im Kopf eingespeichert wurde. Das Feuer war natürlich jenes Feuer, welches die Eltern umbrachte. Aber warum war der Mann immer so voller Wut gegen sie und warum hatte die weibliche Gestalt keinen Bauch mehr in ihren Träumen?
 

Sie seufzte auf. Wie nach jedem schrecklichen Traum, würde sie nicht wieder einschlafen können und sich auf ihren Balkon setzen. Sie würde den Traum verdrängen und auf den Sonnenaufgang warten. Und einige Zeit später würde ein fröhlicher Skyre auf sie warten und sie zum Internat begleiten.

'Heute habe ich nicht von ihm geträumt', dachte sie. Seit mehreren Wochen kamen in ihren Träumen nicht mehr nur die beiden Gestalten, das Feuer und sie selbst drin vor. Eine weitere Person hatte sich in die Träume geschlichen. Es waren Alpträume, schlimm wie eh und je. Manchmal jedoch tauchte da diese Person auf, tief im Hintergrund verborgen und beobachtete sie. Mit seinem Blick schien er ihr bis ins Herz sehen zu können. Sila wusste natürlich nicht genau wer es war, aber trotz allem spürte sie eine ungeahnte Wärme. Auch wenn die Träume schlimm waren, war diese Person dabei, war es erträglicher. Sie wusste nicht wer es war. Eine Vermutung ließ sie an Skyre denken, der es tatsächlich geschafft hatte sie ins Grübeln zu bekommen. Er wurde immer präsenter in ihren Gedanken und erschreckender weise ebenso in ihren Gefühlen.
 

*** ** * ** ***
 

Sila saß auf einem Stuhl im leeren Trainingsraum. Um sie herum herrschte Stille. Das Training der kleinsten Schüler war bereits eine Zeit lang vorüber. Nun hatte sie auch ihre letzte Unterrichtseinheit in ihrem ersten Quartal gemeistert. Sie konnte nicht leugnen, dass sie zufrieden mit ihren Schülern war. Sowohl die Anfängergruppe, als auch ihre kleinsten Schüler haben viel in diesen paar Monaten gelernt. Nach sechswöchigen Ferien würden neue Schüler auf sie warten und somit würde ein neues Semester voller Musik, Tanz und Training starten. Ein Schmunzeln lag auf ihren Lippen als sie an die enttäuschten Mütter denken musste, die vergeblich nach Skyre Ausschau hielten. Er hatte Sila an diesem Morgen ausnahmsweise nicht abgeholt und begleitet. Da er schon in vierzehn Tagen zurück nach Korea musste, standen viele Absprachen und andere Dinge für ihn an. Sie verstand nichts von dem, was er zu tun hatte. Auch sprach er kaum darüber. Wenn sie daran dachte, dass Skyre immer noch auf eine Antwort wartete, ob sie mit nach Korea kommen wollte oder nicht, wurde ihr nicht ganz wohl. Irgendetwas in ihr wollte sich vehement dagegen wehren mit Skyre in sein Land zu reisen. Was es genau war, wusste sie nicht. Vielleicht war es ihre letzte und einzige Möglichkeit die Mauer, die sie nun schon so lange um ihre Gefühle aufgebaut hatte, erhalten zu können. Vielleicht war es die Angst, dass sie danach nicht mehr die Kraft haben würde sich gegen alles, was ihn mit ihr verband, zu wehren. Vielleicht weigerte sie sich deswegen sein Land, seine Familie, seine Freunde und seine andere Identität zu erleben.
 

Sila gab sich einen Ruck. Schon wieder kreisten die Gedanken um solche Dinge. Dabei wollte sie an diesem Vormittag die Ruhe und das Alleinsein nutzen um sich auf die Wahl ihrer neuen Fächer zu konzentrieren. Es gab einige tolle Angebote und am liebsten würde sie fast alle Kurse auswählen. Natürlich musste sie sich entscheiden. Zwei Leistungsfächer mussten ausgewählt werden. Auch wenn Sila nun zum Kollegium gehörte, war ihr Studium am Internat für Tanz noch nicht zu ende. Gerade als Trainerin standen einige zusätzliche Pflichtkurse für sie an. Auf die Zeit der Ferien freue sie sich sehr. Denn dann hatte sie etwas mehr Zeit an einigen Dingen zu arbeiten, zu denen sie sonst nicht kam. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie den Antrag mit den gewählten Kursen und Leistungsfächern, zusammen mit ein paar Lizenzanträgen in ihrer Sporttasche verstaute. Gut gelaunt riss sie die Tür aus dem Trainingsraum auf und wäre beinahe mit jemandem zusammen gestoßen. Erschrocken wich Skyre ihr gerade noch rechtzeitig aus. Nach einem kurzen Schreckensmoment erklang ein fröhliches Lachen.

„Ein paar Sekunden früher und ich müsste mir meine Nase im Krankenzimmer richten lassen“, grinste Skyre.

„Das kommt nur davon, wenn man immer mit dem Kopf zu erst in einen Raum reingehen möchte“, konterte Sila gekonnt. Sie erkannte gleich, dass Skyre weder Trainingstasche, noch Laptop mit hatte. Er sah ihren verwunderten Blick und beeilte sich mit der Erklärung:

„Ich bin mit allem fertig geworden, was für heute anstand. Weil du eh erst nach dem Mittag eine Pause machst, hab ich meinen Trainingskram erst gar nicht aus dem Spind genommen“. Sila zuckte mit der Schulter, während beide sich in die Richtung der Schränke machten, damit Silas Sporttasche auch verstaut werden konnte.

„Wie war das Training?“, wollte Skyre wissen.

„Es war eigentlich wie immer. Nur etwas unruhiger. Die Kinder wussten einfach, dass es ihre letzte Stunde vor den Ferien war. Nur“, dabei sah sie Skyre verschmitzt an, „die Mütter haben dich sehr vermisst.“

Skyre ging nicht auf ihre Neckerei ein. Er wartete geduldig bis Sila ihre Tasche im Spind verstaute und noch einige Unterlagen herausnahm, bevor das Schloss zugemacht wurde.

„Sind das deine Kurse für das neue Semester?“, wollte er wissen.

Sila fuchtelte mit ihren Formularen herum. „Ja, unter anderem. Die Kurse für das nächste Semester muss ich gleich noch abgeben. Bei dieser Gelegenheit wollte ich noch ein paar Anträge für meine nächsten Lizenzen da lassen.“

„Welche Lizenzen?“

„Na, meine Lizenzen für den Schein der Choreographietrainerin!“

„Ich wusste gar nicht dass du dich auch dafür interessierst.“

„Du weißt vieles nicht von mir, Sky!“, zwinkerte Sila ihm zu. Sie hatte es eher als Scherz gesagt. Dabei bemerkte sie nicht dass Skyre sie nachdenklich ansah. Sie erzählte nur munter weiter: „Mir fehlen noch sechs Lizenzen, dann bekomme ich mein Zertifikat!“

Skyre atmete tief durch, verdrängte die Gedanken, die ihn beschäftigten und fragte verwundert: „Nur sechs? Bei uns in Korea benötigt man mindestens das Doppelte um das Zertifikat dafür zu erhalten.“

„Hier auch. Dreizehn insgesamt. Sieben Lizenzen habe ich schon.“ Ihre Augen funkelten. Skyre war so überrascht, dass er mitten im Stehen inne hielt.

„Sieben? Wann hast du denn das geschafft?“

„Als du in Korea warst.“

„In den zwei Monaten hast du sieben Lizenzen in Choreographie bekommen?“

Sila drehte sich nun zu Skyre, um seine Mimik zu studieren. Er war wirklich sehr erstaunt, stellte sie verwundert fest. „Ist das zu lange?“, wollte sie vorsichtig wissen.

„Zu lange? Ganz im Gegenteil! Wie hast du das in der kurzen Zeit geschafft? Und dann noch mit den Folgen deiner Krankheit!“

„Ich bin nicht mehr krank!“, stellte Sila klar, „Mein Körper kann einfach nicht mehr die Leistung von früher bringen. Dass ist alles. Außerdem sagen meine Dozenten, dass ich Talent habe. Und es macht mir wirklich Spaß. Zur Zeit fordert es mich mehr heraus als einfach nur zu tanzen und zu spüren wie meine Kraft nicht wieder kommt!“

Skyre sah einen Anflug von Röte in ihrem Gesicht, als würde sie mit ihren Tränen kämpfen. Sofort entschuldigte er sich: „Ich wollte dich nicht kränken! Du bist eine tolle Tänzerin, wirklich! Ich habe nur nicht gedacht, dass dich Choreographie interessiert.“

„Ist schon gut. Manchmal nagt Selbstmitleid in mir. Gerade wenn ich versuche mit meinen Freunden Schritt zu halten, aber merken muss, dass ich es einfach nicht mehr packe.“

Skyre hatte das Bedürfnis ihr irgendwie zu helfen, aber er fühlte sich machtlos. Oft fragte er sich im Stillen wie sie getanzt hatte, bevor er sie kennen lernte.

„Früher konnte ich sogar Kiso trotzen. Wenn ich ihn geschlagen habe, obwohl er mehrere Extratrainingseinheiten an seine Kurse gehängt hat, dann hat er getobt wie sonst wer.“

Skyre beobachtete wie Silas Augen vor Stolz funkelten. Er hatte schon von Anfang an gemerkt, dass die beiden Ziehgeschwister viel verband. Leider kannte er Silas Vergangenheit nur durch Andeutungen von anderen. Noch nie hatte er sich getraut sie selbst danach zu fragen.
 

*** ** * ** ***
 

Wie an jedem letzten Schultag, spürte man auch in dem Tanzinternat, dass alles etwas ruhiger wurde. Manche Schüler befanden sich bereits auf der Heimfahrt. Andere Schüler belegten in den Ferien Spezialkurse und blieben in ihren Apartments. Auch das Mittagessen in der Kantine verlief wesentlich ruhiger, weil weniger Mittänzer da waren. Sango und Shadow planten in den kommenden Wochen zu den jeweiligen Eltern zu fahren um den Partner den Familien vorzustellen. Shizumi hatte ihre Zeichenkurse erfolgreich gemeistert und war bereits bei den Eltern. Dort wollte sie dem Gelernten etwas mehr Zeit widmen. Phie überlegte sich, ob sie nicht die Eltern besuchen fahren wollte. Philphlader musste noch zwei Examen schreiben und war dementsprechend mit lernen beschäftigt. An den Vorabenden kam sie trotzdem häufig mit Kiso in die Tanzhallen um ihren Kopf frei zu machen. Massayos FAM bekam stetigen Zuwachs, womit sie voll auf beschäftigt war. Hier und da traf sie sich noch mit ihren Freunden, aber es nahm stärker ab. Der Sommer sorgte wieder dazu, dass das Tempo zurückgeschraubt wurde, stellte Sila fest. Am Nachmittag war sie ausnahmsweise mit Skyre in der Stadt. Sie wollte eigentlich nichts bestimmtes kaufen. Da Skyre unbedingt bei ihr bleiben wollte, entschied Sila sich anstelle des Parks für die Stadt. Im Park liefen zu der Jahreszeit einfach zu viele Paare herum. Es war ihr sehr unangenehm dort mit Skyre ihre Zeit zu verbringen. Auf dem Rückweg gingen sie dann doch durch den Park, weil der Weg eindeutig schöner war als an der Straße zu laufen. Kaum hatten sie den Park betreten, fiel Sila ein Paar auf, das ihr mehr als bekannt vorkam.

„Kiso! Imôto!“, rief sie so plötzlich, dass Skyre zusammenzuckte. Er hing seinen Gedanken nach und wunderte sich sehr, als Sila die beiden sah. Kiso und Philphlader kamen gut gelaunt herbei. Philphlader erzählte, dass sie früher mit dem Lernen fertig wurde und die Zeit gerne zum Tanzen nutzen wollte. Weil im Internat nicht viel los war, verloren sie schnell die Lust zum Tanzen und gingen stattdessen in den Park.

„Das trifft sich ja super, Sis!“, freute sich Kiso, „Ihr seid auch bestimmt unterwegs ins Internat, oder?“ Als Skyre und Sila nickten, fuhr Kiso ehrgeizig fort. Seine Augen bekamen ein gewisses Funkeln. Ein Funkeln, das er immer bekam, wenn er etwas vor hatte. „Wie wär's wenn wir nen Paartanzwettbewerb ausfechten?“

„Unter welchen Bedingungen?“, wollte Skyre zuerst wissen.

„Ihr und wir gegeneinander. Jedes Paar hat einen Song, darf aber den Stil wählen. Mehr Songs würden Sila nur unnütz überlasten.“

Sila und Skyre sahen sich fragend an.

„Gegen einen kleinen Wettbewerb hätte ich nichts einzuwenden. Was ist mit dir, Sky? Imôto?“

Die Angesprochenen waren einverstanden. In dem Sinne machten sich die Vier auf den Weg zurück in das Internat. Sila und Philphlader gingen zusammen hinter den Männern her. Sie hatten es irgendwann aufgegeben ihrem schnellen Schritt mithalten zu wollen. So ließen sie sich zurück fallen, um etwas mehr Zeit zum Plaudern zu haben. Kiso und Skyre merkten nicht wie die Frauen zurückfielen. Sie waren ebenso in einer Unterhaltung verwickelt. Irgendwann bemerkte Kiso, dass Skyre über etwas nachgrübelte.

„Drückt dich irgendwo der Schuh?“

„Ich hab mich nur grad was gefragt.“

„Was hast du dich gefragt? Spuck's aus!“, ermutigte Kiso ihn.

„Naja“, Skyre strich sich verlegen durch das Haar. Er wusste nicht warum es ihm so schwer fiel Kiso etwas über Sila oder über die Vergangenheit der beiden zu fragen. Oft hatte er das Gefühl von Kiso beobachtet zu werden. Als würde er jeden seiner Schritte und Worte mit seinen Blicken aufsaugen. Warum er sich so fühlte, war ihm nicht klar.

„Drucks nicht rum! So schlimm kann's doch nicht sein, was du mich fragen willst.“

Skyre nahm allen Mut zusammen: „Ich habe mich schon oft gefragt … also … Ich meine … Sila und du, ihr seit doch gemeinsam groß geworden, oder?“

„Yeah, right!“

„Gab es nie einen Moment wo du, oder sie … also ...“, Skyre senkte den Blick. Was in aller Welt war nur in ihn gefahren, dass er im Begriff stand Kiso das zu fragen, was ihm schon lange auf dem Herzen lag? Da er bereits angefangen hatte und sah, dass Kiso mit angehobener Augenbraue darauf wartete, dass er endlich einen vernünftigen Satz zustande brachte, fuhr er leise fort: „Wenn man mit jemandem aufwächst, verbringt man sicher viel Zeit zusammen. Ich habe mich schon oft gefragt ob nicht bei euch Gefühle für den anderen in dieser Zeit entstanden sind...“

„Sila hat mich immer als ihren großen Bruder gesehen!“, kam Kisos direkte Antwort. Als daraufhin eine Stille zwischen den beiden Männern entstand, vermutete Skyre dass es nichts weiter dazu zu sagen gab. Umso mehr verwunderte es ihn, als Kiso ihm direkt in die Augen sah und ernst ergänzte: „Ich war es, der sie geliebt hat.“

Skyre verschlug es fast die Sprache. Er starrte Kiso nur an. Als Kiso ein Grinsen zeigte, vermutete Skyre schon, dass er ihn nur auf den Arm nehmen wollte.

„Ziemlicher Schock, was? Seit sie wieder lachen konnte, war ich ihr hoffnungslos verfallen.“ Dies war der Moment, an dem sich Skyre wünschte, Kiso nie gefragt zu haben. Seine direkte Antwort wühlte Skyre mehr auf, als er geahnt hatte.

„Meine Eltern haben mich sofort durchschaut“, sprach Kiso eiskalt weiter, „aber Sila. Sie lebte in dem Wissen, dass sie nun einen Bruder hatte. Wie sollte sie denn auch je etwas anderes denken?“ Kisos Blick ruhte auf Skyre. Seine Gesichtszüge waren verhärtet, als würde er die Zeit noch einmal durchleben. „Ich habe es ihr nie gesagt. Hab sogar nicht einmal Versucht ihr den Hof zu machen oder irgendetwas dergleichen!“

Nach einer langen Stille fragte Skyre: „Weiß sie es denn mittlerweile?“

„Nein! Anata habe ich es erzählt, weil ich nicht wollte, dass sie es von jemand anderem erfährt. Und weil sie meine Traumfrau ist! Aber wenn du es meiner Sis verrätst, breche ich dir alle Knochen, hörst du?!“

Kiso sah ihn so ernst an, dass Skyre tatsächlich glaubte, er wäre dazu in der Lage. Noch tiefer aufgewühlt wagte er es nicht mehr weitere Fragen zu stellen. Kiso hatte Sila also mehr als eine Schwester geliebt? Skyre musste schlucken. Dank einem Seitenhieb schreckte er aus seinen Gedanken hoch. Kiso sah aus, als wäre er nun an der Reihe die Fragen zu stellen:

„Genug von mir, Kumpel. Was vergangen ist, ist vergangen! Was mich vielmehr interessiert ist was DU für sie empfindest!“

Diese Frage verfehlte nicht sein Ziel. Kisos direkter Blick machte ihm klar, dass er nicht ausweichen konnte. Wozu auch? Es hatte keinen Zweck Kiso anzulügen. Skyre musste ehrlich feststellen, dass er Kiso trotz seiner rauen Schale sehr schätzte. Ebenso seine direkte Art. Scheinbar hatte er aus seinen Fehlern gelernt.

„Was ich für sie empfinde?“, Skyre machte eine lange Pause um seine Worte zu wählen. „Es gab noch nie eine Frau, die mich so fasziniert hat wie Sila. Niemand außer ihr hat es jemals geschafft, dass mein Herz einen Sprung macht, wenn ich nur an sie denke. Nie hat mir die Frage, was sie von mir denkt, schlaflose Nächte beschert.“ Es tat gut seine Gedanken einmal auszusprechen. „Ich will nicht angeben. Es gibt jede Menge Frauen, die ich kennengelernt habe, seit unsere Band so viel Erfolg im Musikgeschäft hat. Frauen haben mich aber nie auf diese Weise interessiert. Ich hatte niemals das Verlangen jemals eine Beziehung mit einer von denen einzugehen, egal wie hübsch sie waren oder was sie alles konnten. Bei Sila ist es etwas anderes. Ich fühle mich zu ihr hingezogen, kann kaum klar denken, wenn sie bei mir ist...“

Skyre ertrug es nicht Kiso bei dem Geständnis in die Augen zu sehen. Seinen Blick richtete er auf den Weg im Park. Erst als er einen starken Arm auf seiner Schulter spürte, suchte er den Blickkontakt.

„Dann möchte ich dir einen guten Rat mit auf den Weg geben, Kumpel. Wenn du sie nicht verlieren willst, solltest du mit offenen Karten spielen. Sila wird dich als guten Freund sehen, wenn du nichts veränderst. Ich habe den Fehler ein Mal gemacht. Ich bin jetzt glücklich verheiratet und somit bereue ich es auch nicht mehr. Aber es hat ziemlich viel Schaden angerichtet als ich erkannte, dass sie nie etwas anderes in mir sehen wird als einen Bruder.“ Skyre biss die Zähne zusammen. „Wenn du ihr nicht anfängst den Hof zu machen, wird vielleicht irgendwann ein anderer Kerl ihre Zuneigung bekommen. Und du wirst nur daneben stehen und zuschauen können.“

Kiso blieb stehen. Sie hatten die Lobby erreicht. Weiter hinter den Männern gingen Sila und Philphlader noch plaudernd den Weg entlang. Kiso sah den Blick, mit dem Skyre zu ihnen hinübersah. Skyre spürte einen Hieb mit der Schulter. Kiso grinste ihn an.

„Du packst das schon!“
 

*** ** * ** ***
 

Kiso hatte die Zeit für den kleinen Wettbewerb auf den frühen Abend gesetzt. Sila blickte auf die Uhr.

„Wir haben noch jede Menge Zeit um dafür zu üben“, sagte sie lächelnd zu Skyre.

Dieser nickte. „Wie wäre es wenn wir uns umziehen und du suchst schon mal einen Raum für uns, Sila?“, schlug er vor.

Sila runzelte die Stirn. Normalerweise kümmerte er sich immer um den Raum, wenn sie klassischen Paartanz übten. Skyre bemerkte ihr Zögern.

„Ich habe mir extra für diese Gelegenheit einen passenden Anzug besorgt. Den muss ich aber erst noch aus dem Apartment holen. Macht es dir was aus auf mich zu warten?“

Sila machte es nichts aus. Sie war verwundert, aber auch neugierig was er sich gekauft hatte. Sie entschied sich für das Partneroutfit von Phie. Es stand ihr gut und war elegant genug um damit vor eine Jury zu treten. Bei solchen internen Wettbewerben wurde eh nicht so ganz extrem auf die Kleidung geachtet wie bei normalen Wettbewerben. Nur mit Jeanshose oder der berühmten HipHopper-Kleidung brauchte man erst gar nicht anzutreten. Sie blätterte noch in der Liederliste und hörte in einige Songs rein, als die Tür aufging. Sofort hatte Skyre Silas Aufmerksamkeit als er den Raum in einem eleganten schwarz-weißen Paartanzanzug betrat. Auffällig war jedoch, dass in seinem kurzen schwarzen Oberteil türkisfarbige Elemente eingearbeitet waren. Normalerweise trug ein Mann schwarz-weiß, es sei denn die Dame hatte eine bestimmte Farbe. Diese Farbe musste dann auch beim Mann vertreten sein. Als sie auf ihr Oberteil und den Gürtel sah, musste Sila auflachen.

„Sag jetzt nicht, dass du dein Outfit meiner Farbe angepasst hast!“

Lächelnd stellte Skyre seine Trainingstasche auf einen Stuhl und machte sie auf. Dann erst sah er Sila einige Momente lang in die Augen.

„Da muss ich dich enttäuschen, Prinzessin. Das Outfit habe ich nicht dem Outfit angepasst, dass du an hast. Wie hätte ich denn wissen können für welches deiner Outfits du dich heute entscheiden würdest?“

Diese Frage war berechtigt. Sila zuckte mit den Schultern, lobte ihn für seinen guten Geschmack und begutachtete den perfekten Sitz des Anzugs.

„Hast du ihn dir etwa anfertigen lassen?“, fragte sie verwundert.

„Ja. Wenn ich schon eine so gute Mittänzerin habe und wir sogar schon zu Wettbewerben eingeladen werden, dann muss ich doch vorbereitet sein.“

Sila lächelte und begab sich zum Führerpult. Skyre überhäufte sie mal wieder mit Komplimenten. Ihr wurde warm ums Herz. Dennoch entschied sie sich es, wie sonst auch, einfach zu ignorieren. „Welchen Stil möchtest du gerne tanzen? Wie ich Kiso kenne, wird er wahrscheinlich den Samba wählen. Seit er verheiratet ist, liebt er den Stil und ich muss gestehen, dass wir nicht den Hauch einer Chance haben, wenn sie es wirklich aussuchen.“

„Wer wird denn gleich so schwarz sehen? Denkst du nicht, dass wir beide ebenso gut harmonieren wie die Beiden?“, wollte Skyre wissen. Sila kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern war wieder ganz mit der Liederliste beschäftigt.

„Willst du deinen Bruder um jeden Preis schlagen?“

„Nein! Nicht um jeden Preis. Eigentlich tanze ich weil es Spaß macht und nicht um unbedingt an der Spitze zu sein... Es sei denn mein Bruder fordert mich heraus... Ich fürchte ich habe schon längst seinen Ehrgeiz bei sowas übernommen!“

Natürlich konnten Sila und Skyre ebenfalls Samba wählen, aber Skyre hatte die wunderbare Eigenschaft mit den Tänzerinnen nicht zu nahe zu tanzen. Er hielt stets den gewünschten Abstand ein. Wenn man jedoch beim Samba den Sicherheitsabstand einhält, dann wirkten die Bewegungen etwas plump. Kiso nutzte natürlich jede Gelegenheit um seine Frau eng an sich zu drücken, was bei den beiden einfach unglaublich toll aussah. Man merkte, dass sie ein Liebespaar waren, auch wenn sie tanzten. Ihre Augen leuchteten einander an, dass es Sila ganz warm ums Herz wurde. Sie zuckte etwas zusammen, als Skyre plötzlich hinter ihr stand und seine Hand direkt neben ihre auf dem Pult positionierte. Ganz in Gedanken hatte sie ihn noch nicht einmal bemerkt.

„Dann lass uns doch den ChaChaCha tanzen. Den magst du doch so sehr und wir haben doch die neue Choreographie mit Professor Kent ausgearbeitet.“

„Bist du sicher, dass wir die Choreographie nicht noch besser einstudieren sollten?“

Skyre sah ihr in die Augen. Irgendwie kam er ihr heute viel selbstbewusster vor.

„Ich bin bei dir. Lass dich einfach führen.“ Er hielt kurz inne, dann räusperte er sich etwas feierlich und fragte vornehm: „Vielleicht möchtest du dich erst einmal fertig anziehen, bevor wir den ersten Tanz wagen?“

Verwundert drehte sie zu ihm hin. „Ich bin fertig angezogen...?!“ Doch als sie zur Sicherheit an sich herabschauen wollte, sah sie, dass Skyre ein Kleid vor ihr hielt. Als sie den edlen Stoff und die Farben sah, verschlug es Sila glatt die Sprache. Skyre stand nur vor ihr und lächelte bis über beide Ohren.

„Willst du es dir nicht anschauen?“

Staunend nahm sie ein Paartanzkleid in genau den gleichen Farben wie sie Skyre trug in die Hände. Der Stoff war weich. Es war ein schwarzes, kurzes Kleid, mit einer Fülle an bauschigen Rüschen, die in wunderschönem Türkis schimmerten. Türkis, in der blauen und grünen Richtung, waren Silas Lieblingsfarben. Und insgeheim hatte sie sich schon immer so ein Kleid gewünscht, das beim Tanzen hin und her hüpfte. Bisher hatte sie nie etwas gefunden, das ihr gefallen hatte. Nichts, was so aussah wie dieses Stück in ihrer Hand. Mit leuchtenden Augen fragte sie: „Ist das für mich?“ Als Skyre nickte, erklang ein ausgelassener Jubel im Saal.

„Darf ich es anprobieren?“

„Aber ich bestehe darauf!“

Es dauerte nicht lange, bis Sila wieder im Raum erschien. Das Kleid passte ihr perfekt. Mit roten Wangen drehte sie sich einmal um die eigene Achse, als Skyre sie betrachtete. Das Kleid wirbelte so hoch, dass man ihre kurze, schwarze Hose, die sie immer unter ihren Röcken trug, sehen konnte.

„Wie findest du es? Trifft es deinen Geschmack?“, wollte er wissen.

„Und ob! Einhundert Prozent, Sky! Das ist das schönste Kleid, das ich je an hatte. Woher hast du denn überhaupt meine Größe gewusst?“

„Phie hat mir geholfen. Ihr wart doch erst vor kurzem gemeinsam einkaufen.“

Daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. Sie strich sanft die Rüschen entlang und schenkte Skyre das schönste Lächeln. Etwas schüchtern stand sie vor ihm und wusste nicht so recht ob sie ihn umarmen sollte oder nicht. Skyre ging es ähnlich, aber er umging die peinliche Stille indem er Sila bat auf den angebotenen Stuhl platz zu nehmen. Sie gehorchte aber wieder zeigte sich Verwunderung in ihrer Mimik.

„Du hast zwar schicke Stiefel an, aber ich denke nicht, dass sie zu dem Kleid passen würden.“ Skyre kniete sich hin, schob eine Schachtel hinter seiner Trainingstasche hervor und öffnete den Deckel. Zu ihrem Erstaunen sah Sila ein paar helle Absatzschuhe, die durch und durch glitzerten und zum Schnüren gedacht waren.

„Sind die auch für mich?“

„Natürlich. Darf ich sie dir anziehen?“

Mit hochrotem Kopf nickte sie und zog ihre Stiefel aus. Dann sah sie stumm zu, wie er ihr ganz vorsichtig die Schuhe anzog und die Schnüre zurechtwickelte.

„Die Verkäuferin hat mir genau gezeigt wie ich es mache muss“, sagte er lächelnd. Doch kaum hatte er die letzten Schnüre befestigt, sah er wie Sila zusammenzuckte.

„Hab ich dir weh getan?“, fragte Skyre überrascht. Als er aufblickte und sah wie blass Sila plötzlich geworden war, erschrak er. „Sila! Was ist mit dir?“

Sila starrte einen Moment lang einfach nur auf einen Punkt. Ihre Schuhe nahm sie gar nicht mehr wahr. Dann atmete sie einmal tief ein, als wäre sie eben aus dem Wasser getaucht.

„Geht es dir nicht gut?“ Skyre machte sich Sorgen, weil sie sich von jetzt auf gleich völlig verändert hatte. Sila zog die Stirn kraus, als wäre ihr in dem Moment etwas eingefallen. Ihre Augen waren auf ihn gerichtet als sie ruhig fragte: „Weißt du eigentlich, dass es damals in Israel die erniedrigendste Aufgabe der Sklaven war, die Füße von anderen zu waschen?“

Skyre war verblüfft. Was redete sie denn da? Aber Sila ließ sich nicht verunsichern. Langsam stand sie auf und ging einige Schritte zu dem großen Fenster des Saales. Skyre wusste nicht wie lange es im Raum still gewesen war, bis Sila die Stille durchbrach:

„Es ist merkwürdig, dass mir das jetzt erst wieder einfällt.“ Sie legte ihre Handrücken auf die Wangen. „Meine Mutter hatte mir als Kind immer Geschichten aus der Bibel vorgelesen.“ Sie drehte sich zu Skyre um und sah ihn mit einem ihm unbekannten Blick an. Er hatte sich mittlerweile wieder aufgerichtet und neben sie gestellt.

„Als du mir die Schuhe zusammengebunden hast, musste ich daran denken wie Mutter mir erzählte, dass Jesus seinen Jüngern die Füße gewaschen hatte...“ Mutter. Dieses Wort war ihr auf einmal so vertraut. Skyre betrachtete Sila eine Zeit lang. Dann wagte er die Frage:

„Erinnerst du dich noch an deine Eltern?“

Sila schüttelte den Kopf. „Nein. Seit ich meine Eltern identifizieren musste, habe ich einen Schock erlitten, der meine Erinnerungen ausgelöscht hatte. Immer wieder fallen mir kleine Erinnerungen ein, wie jetzt. Aber sie sind irgendwie völlig durcheinander...“

Skyre hörte ihr stumm zu. Er war zwar äußerst überrascht, dass sich die Situation so plötzlich geändert hatte. Eben sah er Sila noch in ihrem neuen Kleid, wie sie sich so sehr darüber freute. Dann schien sie weit weg in Gedanken zu sein. Sila erzählte Skyre, dass man sie mit neun Jahren auf ein Internat geschickt hatte. Sie redete ruhig und erzählte, dass sie dort Freunde fand und die Liebe zum Zeichnen und dann auch für die Musik entdecke. Als Skyre sie ganz unschuldig fragte warum Sila denn schon mit neun Jahren in ein Internat kam, sah er wie ihr wieder etwas einzufallen schien. Es dauerte keine drei Sekunden als Sila kreidebleich wurde und zu zittern begann. Skyre konnte gar nicht so schnell reagieren wie sie zitternd zusammenbrach und auf dem Boden zusammenkauerte. Sie begrub ihr Gesicht in den Händen, stöhnte auf und fing bitterlich an zu weinen.

„Sila!“

Skyre wollte sich gerade neben sie setzten, als die Tür aufging. Kiso und Philphlader standen wie erstarrt in der Tür.

„Neechan!“, schrie Philphlader auf und eilte auf ihre Freundin zu. „Was ist denn passiert?“

Kiso verlor keine Zeit. Auch er eilte zu Sila, jedoch an die Seite von Skyre.

„Was ist los?“, fuhr er den verwirrten Skyre an.

„Ich weiß es nicht! Eben hat sie mir erzählt, dass sie als Kind in ein Internat gekommen ist und dann fing sie an zu zittern und setzte sich auf den Boden.“ Kiso hörte kaum das Ende von Skyres schnellem Bericht, als er sich neben sie kniete. Philphlader hatte versucht etwas aus Sila herauszubekommen. Diese schluchzte aber nur noch stärker und drehte sich von ihrer Freundin weg. Hilfesuchend sah Philphlader ihren Mann an, der nun ruhig auf Sila einredete. Erst wollte sie sich wehren, aber er zog sie an sich und umarmte sie fest. Sofort schwand ihr Widerstand und sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter.

„Sie hat von ihrer Kindheit gesprochen?“, fragte Kiso, sah aber nicht von Sila auf.

„Ja“, nickte Skyre, „Sie sagte, dass ihr immer wieder ein paar Erinnerungen an die Eltern zurück kommen.“

Kiso streichelte Sila sanft das Haar. Als er sie auf dem Boden gesehen hatte, war sein erster Verdacht, dass Sila wieder Erinnerungen an die Eltern bekommen hatte. Zu hause hatte er es hin und wieder erlebt, wie Sila aufschrie und fürchterlich zu weinen anfing. Dann wurde er immer auf sein Zimmer geschickt und die Eltern schlossen die Tür hinter ihm zu. Manchmal konnte sie stundenlang nur noch weinen und ließ sich von niemandem trösten. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus, floh durch das Fenster und stürmte in das Zimmer, wo Sila mit den Eltern war. Dann zwang er sie in seinen Arm und ließ sie ausweinen. Sie erzählte nie was sie so verstörte. Wenn sie sich wieder beruhigte, schlief sie ein und konnte dann tagelang schlafen. Wurde sie dann wieder wach, konnte sie sich kein einziges Mal an den Zusammenbruch erinnern. Die Erinnerung war komplett ausgelöscht. Irgendwann erzählten ihr die Eltern gar nichts mehr von den Anfällen. Sie sagten nur, dass sie Fieber hatte und schlafen musste. Aber diese Anfälle lagen schon weit in der Vergangenheit. Sila schien vollständig kuriert worden zu sein, seit sie mit dem Tanzen begonnen hatte.
 

Bestürzt und hilflos sahen Philphlader und Skyre zu, wie Kiso immer wieder über Silas Haare strich und sanft auf sie einredete. Sie gingen einige Schritte auf Abstand, nachdem Kiso die Beiden eindringlich bat ihr nicht zu nahe zu kommen.

„Vertraut mir“, bat er.

Niemand wusste wie viel Zeit vergangen war, seit Sila zusammenbrach. Irgendwann wurde das Zucken unregelmäßiger und das Zittern ließ nach. Kiso bereitete sich darauf vor, dass sie bewusstlos zusammensinken würde. Aber sie tat es nicht. Mit tränenüberströmtem Gesicht sah sie ihn an. Skyre und Philphlader hatte sie gar nicht mehr wahrgenommen.

„Ich weiß … warum ...“

Kiso beugte sich tiefer zu ihr hinunter. Es war das erste Mal, dass sie bei so einem Anfall sprach. „Was weißt du?“, fragte er sie ruhig.

„Ich weiß … warum ...“, die Tränen liefen ihr die Wangen runter und die Lippen zitterten. „Warum ich nicht trauern konnte...“

Das Schluchzen wurde wieder stärker und erstickte ihre Stimme. Skyre sah blass aus. Auch Philphlader war völlig überfordert in dieser Situation. Insgeheim war sie dankbar, dass Kiso scheinbar genau wusste was er tun musste. Stumm stellte Skyre ihr einen Stuhl hin.

„Oder möchtest du lieber raus gehen“, fragte er sie leise. Philphlader schüttelte energisch den Kopf.

„Ich kann doch Neechan nicht alleine lassen... Was hat sie nur?“

Nie hatte Sila ihrer Freundin etwas von den Alpträumen erzählt. Nur ihre Familie wusste davon.
 

Sila beruhigte sich wieder etwas. Kiso war schon seit der Kindheit immer ihr Halt gewesen. Nur er konnte sie wirklich trösten. Keinem anderen hatte sie je so sehr vertraut wie ihm, niemandem so viele Geheimnisse anvertraut. Bis auf die Alpträume, hatte Kiso immer ihre innigsten Gefühle gekannt. Nachdem was ihr plötzlich, wie aus der tiefsten Dunkelheit heraus, wieder in Erinnerung gekommen war, musste sie es jemandem anvertrauen. Sie fühlte, dass sie sonst völlig zerbrechen würde. Von einem Moment auf den anderen waren die Erinnerungen wieder da. Als wären sie nie weg gewesen. Es war schrecklicher als alles, was sie jemals erlebt hatte. Viel schrecklicher als sie sich entschied mit Chuckie zu brechen. Viel schlimmer als die toten Eltern identifizieren zu müssen. Ein Hauch des Verstehens füllte ihr Herz und drohte es ihr in der Brust zu zerreißen. Deswegen diese Alpträume! Deswegen keine Tränen! Deswegen der Bauch der Mutter und das Blut!
 

„Ich … Ich habe meine Eltern auf dem Gewissen! Ich bin an allem Schuld!“

Silas herzzerreißendes Schluchzen erfüllte den ganzen Raum.
 

Ende Kapitel 26:

~ Silas Vergangenheit - Teil 1 ~

~ Silas Vergangenheit – Teil 2 ~

Als Sila als kleines Baby das Licht der Welt erblickte, nannten die Ärzte sie „Das kleine Wunder“. Silas Mutter war eine warmherzige und anmutige Frau. Jedoch hatte sie so ein schwaches Immunsystem, dass ihr die Ärzte immer wieder prophezeiten, sie wäre nicht in der Lage Kinder zu bekommen. Riah und Jace gaben jedoch nicht auf. Auch nach zwei Fehlgeburten wollten sie die Hoffnung nicht aufgeben. Und dann gebar Riah Kendall ihrem amerikanischen Ehemann eine gesunde Tochter. Die Freude war unerschöpflich. Sila wuchs in einem wohlbehüteten Umfeld auf. Dadurch, dass Riah nicht wieder schwanger wurde, blieb sie ein Einzelkind. Die Eltern erfüllten ihr jeden Wunsch fast augenblicklich. Besonders der Vater war ihr hoffnungslos verfallen. Sila genoss die Aufmerksamkeiten ihrer Eltern und nutze es auch hin und wieder für ihre Wünsche aus. Sie wusste genau wie sie ihren Willen bekommen konnte.
 

Eines Tages begann die Mutter ihr Geschichten vorzulesen. Sie sagte ihr, dass sie daraus sehr viel Gutes für ihr Leben mitnehmen könnte. Sila hörte ihr zwar gerne zu, sie mochte ihre Stimme, aber die Geschichten berührten nie ihr Herz. Dafür war sie zu hochmütig geworden. Gerade als sie neun Jahre alt wurde, bekam sie vor allen geladenen Gästen ein letztes Geburtstagsgeschenk von ihren Eltern. Es war ein kleiner Babystrampler. Verwirrt starrte Sila das kleine Stoffstückchen an und wollte gerne wissen wo sich die Puppe dafür befinden würde. Doch was die Eltern daraufhin mit voller Freude verkündigten, sollte ihr Leben für immer verändern.

„Nein Liebes“, sagte Riah, „Es ist kein neues Kleidungsstück für eine Puppe, sondern für das kleine Geschwisterchen, das du bekommen wirst.“ Die Eltern wurden von allen Freunden und Bekannten hoch umjubelt. Niemand achtete mehr auf das eigentliche Geburtstagskind. Als Sila die Eltern so strahlen sah, brannte sich nur ein Gedanke in ihr Herz: „Sie wollen mich ersetzen!“
 

Bekannte und Freunde, deren sich die verzweifelten Eltern anvertrauten, beteuerten immer wieder, es sei normal, wenn Einzelkinder mit Eifersucht reagieren würden.

„Spätestens wenn das Baby da sein wird, ändert sich alles“, hieß es dann immer. Das Problem war jedoch, dass es bei Sila keine reine Eifersucht mehr war. Es war Hass. Hass auf das ungeborene Wesen im Bauch der Mutter. Sila konnte es nicht ertragen ihre Eltern mit irgendjemanden teilen zu müssen. Niemals hatte sie sich Gedanken darüber gemacht wie sehr sie ihre Eltern damit verletzte. Nachdem alle Versuche missglückten die Eltern zu überzeugen „das Ding“ zu entfernen, griff Sila auf andere Mittel. Es verging kein Tag, an dem Sila den Eltern in reiner Böswilligkeit zu verstehen gab, dass sie das Baby niemals lieben würde und es jetzt schon verabscheue. Die Mutter, die ohnehin schon sehr viel schwächer geworden war als bei Silas Schwangerschaft musste schließlich im Haus, am besten im Bett, bleiben. Der Arzt schüttelte immer nur dem Kopf und warnte Jace, dass er im Fall einer Entscheidung zwischen Kind und Mutter, sich für die Mutter entscheiden würde. Alle hatten Angst. Nicht nur um das ungeborene Leben, sondern auch um die Mutter. Nur Sila trampelte auf den Gefühlen ihrer Eltern herum. Für sie war es ein Eindringling, der ihre Eltern stehen wollte. Doch egal was sie tat, Riah blieb nach außen hin sanftmütig und geduldig mit ihrer Tochter. Sie hatte längst erkannt, dass die Erziehung einen großen Teil zu dem beigetragen hatte, was aus ihrer Tochter geworden war. Hin und wieder machte Jace das Angebot Sila auf ein Internat für talentierte Kinder zu schicken.

„Sila ist sehr kreativ und sie interessiert sich sehr für Musik. Die Privatlehrer haben ihr alles an Wissen beigebracht, was sie braucht, aber sie konnten keine Spielgefährten für sie sein. Sila muss unter Menschen kommen, damit sie lernt auf andere zu achten und nicht so stolz zu sein.“

Aber Riah wollte anfangs nichts davon wissen. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen sich von ihrem Kind trennen zu müssen.

„Und wenn es nur für die kurze Zeit ist, in der du schwanger bist“, bat Jace, aber Riah blieb bei ihrer Meinung. Jace machte sich große Sorgen und lebte jeden Tag in Angst seine geliebte Frau zu verlieren. Das Leben hatte es gut mit ihm gemeint. Er leitete eine gute Firma, die auch ins Ausland hin einen guten Ruf genoss. Er war fair zu seinen Angestellten und durfte die wundervollste Frau „sein“ nennen. Als Sila auf die Welt kam, schien alles perfekt zu laufen, bis auf ihre Erziehung. Nun mussten sie bitter die Früchte ernten, die sie von klein auf gesät hatten.
 

Als er eines Tages nach der Arbeit nach hause kam, fand er das Haus still wieder. Er rief nach Riah und nach Sila aber es kam keine Antwort. Erst als er sich im Badezimmer frisch machen wollte, entdeckte er seine Frau ohnmächtig auf dem Boden liegend. Von einer Platzwunde auf der Stirn rann das Blut auf den Boden. Wie war so blass, dass er dachte, jede Hilfe würde bereits zu spät kommen. Aber er konnte noch einen schwachen Puls spüren. Panik überkam ihn, als er sie nicht aufwecken konnte. Schnell trug er sie ins Ehebett und rief dabei die ganze Zeit nach Sila. Es kam keine Antwort. Nachdem er den Notdienst alarmiert hatte, lief er zu Silas Zimmern. Als er die Tür aufriss und Sila so zufrieden mich sich und der Welt vor dem Schreibtisch sitzen sah, stieg eine Wut in ihm hoch, der er nicht gewachsen war. Es war, als wäre all der angestaute Frust von Silas unmöglichem Benehmen auf einmal über ihn gekommen.

„Was ist, Papa? Du hast so laut gebrüllt, dass ich die Musik lauter stellen musste um was zu hören. Wieso kommst du nicht einfach ins Zimmer und sagst mir was du willst?“
 

Sila hatte nicht mitbekommen wie ihre Mutter bewusstlos im Badezimmer wurde. Selbst wenn sie ein Geräusch gehört hätte, wäre es ihr egal gewesen. An diesem Nachmittag hatte die Mutter ihr liebevoll, aber bestimmt gedroht sie in ein Internat zu schicken, wenn sie nicht damit aufhören würde sich so aufzuführen. Beleidigt rannte Sila in ihr Zimmer und machte Musik an.
 

Kaum hatte Sila dem Vater geantwortet, da spürte sie einen harten Griff um ihren Oberarm. Er gab ihr einen starken Ruck, so dass sie vom Stuhl auf dem Teppich landete.

„Hast du nun völlig den Verstand verloren? Denkst du ich schreie hier zum Spaß?“, fuhr er seine eingeschüchterte Tochter an. „Deine Mutter liegt ohnmächtig im Badezimmer und du sitzt hier schmollend im Zimmer und drehst die Musik laut, wenn ich dich um Hilfe rufe?“ Sila verschränkte ihre Arme vor dem Gesicht, als sie sah wie Jace ihr eine Backpfeife verpassen wollte. Aber er besann sich und tat es nicht. Stattdessen riss er die Türen von ihrem Kleiderschrank auf und warf einige Kleidungsstücke auf den Boden und ihr Bett. Wütend befahl er ihr die Kleidungsstücke in ihren kleinen Koffer zu packen, weil sie am gleichen Tag noch ins Internat gebracht werden würde. Dann knallte er die Tür zu und schloss mit dem Schlüssel ab. Sila saß lange Zeit nur stumm auf dem Boden und rieb sich den schmerzenden Arm, den der Vater so hart angefasst hatte. Als sie einen Krankenwagen am Eingang vorfahren sah, stürmte sie ans Fenster. Es dauerte nicht lange, da wurde die Mutter, kreidebleich in einer Trage in das Fahrzeug geschoben. Sila wusste damals noch nicht, dass ihre kleine Schwester zu dem Zeitpunkt bereits tot war. Sie konnte nur ein weißes Lacken sehen, das einige blutige Stellen hatte.
 

Irgendwann am Abend kam eine Bekannte, schloss die Tür auf und lächelte Sila stumm an. Als sie die Kleidungsstücke in wilder Unordnung im Zimmer verstreut fand, nahm sie den kleinen Koffer, der bereits vor dem Bett stand und begann diese in den Koffer zu räumen. Stumm sah Sila ihr zu. Sie wusste genau, dass sie nun in ein Internat gebracht werden würde. Den Vater sah sie noch einmal kurz, aber er blickte sie nicht an. Zu tief saß der Schmerz des Verlustes ihres ungeborenen Kindes.

Sie war keine zwei Tage im Internat, da erhielt sie einen Brief, der nur wenige Zeilen enthielt:
 

„Als deine Mutter im Krankenhaus ankam gab es keine Hilfe mehr für deine kleine Schwester. Hätten die Ärzte nicht die Blutungen stillen können, hättest du nun auch keine Mutter mehr. Bist du jetzt zufrieden? Hast du endlich deinen Willen bekommen?“
 

Ohne es zu wissen, brannten sich die letzten Worte, die sie von ihrem Vater lesen würde in ihr Unterbewusstsein ein. Während bei ihr zuhause eine Trauer herrschte, ließ Sila einen Jubelruf ertönen. Niemand wusste warum die verärgerte und tobende neue Schülerin plötzlich so fröhlich geworden war. Nun gehörten die Eltern wieder ihr.

Doch sie sollte sie niemals wieder sehen.

Einige Monate später erreichte ein Mann das Internat und berichtete:

„Es gab in der Nacht einen schrecklichen Brand. Die Eltern von Sila Kendall sind im Feuer ums Leben gekommen!“
 

*** ** * ** ***
 

Als Skyre ihr die Frage stellte, weshalb Sila mit neun Jahren in ein Internat musste, lichtete sich der Nebel um ihre Erinnerungen wie auf einen Schlag. In wenigen Sekunden erlebte Sila ihr Leben noch einmal vor ihrem inneren Auge. Alles war so klar wie das Wasser des Baches in den Bergen. Sie konnte schon fast die Blumen auf der Wiese hinter ihrem Haus riechen, auf der sie mit der Mutter zusammen Blumengirlanden geflochten hatte. Sie sah die schönen Jahre mit den Eltern und dann kam der Geburtstag. Sie fühlte den abstoßenden Hass, den sie ihrer kleinen ungeborenen Schwester entgegensetzte. Als ihre Erinnerung an den letzten Tag in ihrem Elternhaus wieder kam, sie erneut aus dem Fenster blickte und die Mutter so leblos auf der Trage sah, füllte sich ihr Herz mit tiefer Trauer. Ihre Mutter trug eine kleine Schwester unter ihrem Herzen, aber zu dem Zeitpunkt war diese schon tot und die Mutter nicht weit davon entfernt. Als sie den Jubel fühlte, den die Schreckensnachricht ihres Vaters auslöste, empfand Sila eine bodenlose Leere. Wie konnte sie so blind, so kalt sein? Wie konnte sie sich über die Nachricht freuen, dass ihre Schwester gestorben war? Nun spürte sie nur noch die Schuld! Sie war für den Tod der Schwester verantwortlich und auch für das Leiden der Mutter. In diesem Moment fühle sie tiefe Reue für alles, was sie in ihrem Stolz, ihrem Hochmut zerstört hatte. Aber es war zu spät. Die Schwester war tot und die Eltern waren tot. Sie konnte ihnen noch nicht einmal mehr „Lebe wohl“ sagen.

Der Ballsaal war auf einmal nichts weiter als ein dunkler Raum, erfüllt mit Kälte. Das Kleid, das ihr noch vor wenigen Minuten so eine Freude gemacht hatte, war vergessen. Auch Skyre hörte sie nicht mehr. Sie wollte nur noch aufwachen aus diesem schrecklichen Alptraum.
 

Gestalten kamen auf sie zu, riefen nach ihr. Sie drehte sich um und wollte fliehen, aber ihre Beine fühlten sich taub an. Erst eine leise Stimme ließ sie aufhorchen. Jemand griff nach ihr und schlang die Arme um sie. Dann wurde der dunkle Raum nach und nach heller, wärmer. Sie hörte nun die bekannte Stimme ihres Bruders. Wie oft hörte sie ihn in ihren Alpträumen? Wie oft konnte er sie beruhigen und in einen langen, traumlosen Schlaf hüllen? Sie fühlte seinen gleichmäßigen Herzschlag, spürte den warmen Körper, fühlte seine Hand auf ihrem Haar und hörte seine ruhige Stimme. Sila hob die Augen auf und sah Kiso. Er klagte sie nicht an, er schrie sie nicht an, er gab ihr nur Sicherheit. Sie wollte sich dem Drang hingeben in die Dunkelheit zurück zu fliehen, aber irgendetwas hielt sie davon ab.

'Lass es raus', hörte sie in ihrem Herzen, 'Lass es raus und du wirst Frieden finden.' Sila bemühte sich etwas zu sagen, aber ihre Worte hörten sich so taub an. Doch dann beugte sich Kiso vor und sie fing erneut an. Es dauerte ziemlich lange, aber sie konnte in knappen Sätzen alles erzählen, was Kiso wissen musste. 'Lass es raus', hallte es in ihren Gedanken wieder. Kiso hielt sie fest, bis sie nicht mehr zitterte und ihre Schultern nicht mehr bebten. Auch die Tränen wurden weniger.

„Du hast getrauert, Liebes. All die Jahre hast du es bereut und bedauert.“ Kisos Stimme klang sanft. Sila blickte ihm in die Augen. Eine Träne rann die Wange hinunter.

„Erinnerst du dich an deine Fieberanfälle? Als du so lange im Bett gelegen hast?“

Ja, sie erinnerte sich gut daran. Tagelang hatte sie dann geschlafen.

„Da hattest du die gleichen Attacken wie jetzt. Manchmal hast du stundenlang geweint. Mutter und Vater hatten irgendwann keine Kraft mehr dir das zu erzählen. Du hast dich nachher nie daran erinnert.“

Silas Augen wurden groß. „Ich habe mich nicht daran erinnert? Wie kann es sein?“

„Die Ärzte vermuteten, dass die Erinnerungen so schmerzhaft waren, dass dein Körper entschieden hatte dich davon lieber fern zu halten.“

Sila runzelte die Stirn. Sie sah wie Kiso aufstand. Er reichte ihr die Hand und hob sie vorsichtig auf die Beine. Silas Augen brannten, ihre Kehle fühlte sich wie Staub an und das Gesicht glühte. Aber sie weinte nun nicht mehr und sie fühlte sich, als wäre sie der Dunkelheit, die so lange für sie so viel besser erschien als das Licht, entkommen. Ihr Herz schmerzte und Schuldgefühle nagten an ihr, aber trotz allem fühlte sie sich freier. Unbeschreiblich frei. Jetzt erst sah sie die großen Fenster des Ballsaals. Sie trug ein wunderschönes Kleid in ihren Lieblingsfarben und Schuhe, die sie niemals zuvor gesehen hatte. Eine Schwäche überkam sie und sie wäre wieder auf den Boden gefallen, wenn Kiso sie nicht aufgefangen hätte und sie zu einem Stuhl geführt hätte. Für kurze Zeit verschwamm der ganze Raum vor ihren Augen und alles schien wieder dunkel zu werden. Aber dann sah sie etwas vor ihren Augen funkeln. Sie blinzelte und sah wie Philphlader ihr ein Glas mit Wasser reichte. Sie hatte rote Augen und sah auch etwas blass aus. Doch das Lächeln ihrer Freundin baute Sila etwas auf.

„Danke Imôto“, flüsterte sie und leerte durstig das Glas. Jemand anders kam näher und sie sah Skyre neben Kiso stehen. Sila seufzte:

„Entschuldigt bitte … Ich … weiß nicht was in mich gefahren war.“ Jetzt sah sie zu Skyre ins Gesicht. „Du hast mir so eine schöne Überraschung gemacht und ich habe mich aufgeführt wie jemand, der in die Anstalt gehört.“

Sie stellte das Glas auf den Boden und vergrub ihr Gesicht in ihren Hände. „Ich hätte damals auch im Feuer sterben sollen. Ich verdiene es nicht zu leben!“

„Vielleicht solltest du weniger Selbstmitleid haben und stattdessen mehr Dankbarkeit für deine zweite Chance zeigen?“ Kiso und Philphlader drehten sich verwundert zu Skyre um. Er beachtete sie aber nicht weiter und ging geradewegs auf Sila zu. Erinnerst du dich noch was du zu mir gesagt hast, als ich mit meiner Identität zu kämpfen hatte?“

Sila schluchzte noch ein paar mal, dann hob sie ihren Kopf und wischte sich die Tränen von der Wange. Skyre ging ganz ruhig zu seiner Sporttasche und nahm eine Packung Taschentücher heraus. Dann kam er wieder zu ihr, hockte sich vor sie hin und reichte ihr ein Taschentuch. „Hier, nimm. Es wird dir gut tun.“

Sila nahm das Taschentuch und schnäuzte sich ausgiebig die Nase. Dann atmete sie tief durch und wollte wissen: „Was habe ich dir denn gesagt?“

„Du sagtest mir, dass du wüsstest wer der echte Sky wäre. Woran hast du das aus gemacht, Sila?“

Sila brauchte nicht zu überlegen: „An dem Leuchten in deinen Augen.“ Ihre Mundwinkel zogen sich leicht nach oben. „Deine Augen leuchten immer so wenn du tanzt oder wenn du ein Lied summst.“ Ein Anflug von einem Lächeln erhellte ihr gerötetes Gesicht. „Und als du mir das traurige Lied gesungen hast, da haben deine Augen auch geleuchtet...“

„Siehst du? Was glaubst du warum du so treue und liebe Freunde hast? Warum deine Zieheltern sich so um dich kümmern, oder dein Bruder jedem die Knochen brechen würde, der dir auch nur unerlaubterweise zu nahe kommen würde?“ Kiso schmunzelte bei der Anspielung mit den Knochen. Auch Sila ließ ein Lächeln sehen. „Ich weiß es nicht...“ Skyre nahm ihre Hand und führte sie an ihr Herz. „Du bist liebens- und lebenswert. Leider hast du zu deiner Vergangenheit auch selbst beigetragen, aber heute bist du nicht mehr das Mädchen, das nur an sich gedacht hat. Heute bist du Sila Diamon und solltest dankbar sein, dass du aus deinen Fehlern lernen konntest.“

In dem Raum herrschte Stille. Sila fing nicht wieder an zu weinen, sie sah nur eine lange Zeit auf ihre Hände. Dann nickte sie leicht, blickte Skyre an und flüsterte: „Ich habe dich nicht umsonst den tanzenden Poeten genannt... Danke.“
 

Seit ihrem Zusammenbruch waren mehrere Stunden vergangen. Draußen war es bereits dunkel. Sila bat ins Apartment zurück begleitet zu werden, aber Kiso ließ sie erst gar nicht ausreden.

„Unter keinen Umständen lassen wir dich heute Nacht alleine, Sis. Du kommst zu uns!“

„Ja bitte Neechan. Du kannst in unserem Gästezimmer schlafen. Was ist, wenn es dir wieder schlechter geht?“, sorgte sich Philphlader.

Sila wollte widersprechen, aber sie hatte keine Wahl. Mit Kiso konnte man sich schlecht anlegen. Er war einfach stärker. Beim Gehen stützte Kiso seine Schwester, aber schon in der Lobby schüttelte Skyre den Kopf.

„Lasst mich wenigstens ein Taxi für euch bestellen. Es ist zwar nicht weit weg, aber Sila ist momentan nicht in der Verfassung zu laufen. Du bist zwar stark, Kiso, aber sie den Weg zu tragen ist auch nicht drin.“ Der Vorschlag wurde gerne angenommen. Obwohl die Tage warm waren, kühlte es in der Nacht doch spürbar ab. Skyre zog sein Sportoberteil aus der Trainingstasche und bedeckte Sila, die in ihrem neuen Kleid leicht zitterte. Ein dankbarer Blick war alles, was sie ihm dafür geben konnte. Sila war müde. Sie fühlte sich ausgebrannt und wollte nur noch ins Bett und schlafen. Sie merkte kaum noch wie sie in das Taxi kam oder in ihr Bett. Sie fühlte nur eine warme Decke, die um ihren Körper geschlungen wurde. Ihm Halbschlaf sah sie Philphlader leise das Zimmer verlassen. Dann schlummerte sie ein.
 

*** ** * ** ***
 

Als sie wach wurde, befand sie sich wieder im Dunkeln. Sofort roch sie den beißenden Rauch. Insgeheim wusste sie wo sie war. Schon sah sie das Gebäude, von dem das Feuer ausging. Als sie an die Gestalten dachte, die sie Traum für Traum quälten, fiel sie zu Boden. Es brach ihr erneut das Herz als sie sich erinnerte wie sie ihre kleine Schwester gehasst hatte. Sie wusste, dass der Mann sie bald schon anschreien würde und sie zwingen würde die Frau anzusehen. Als sie an der Schulter berührt wurde, zuckte sie zusammen. Doch nichts geschah. Verwundert sah Sila auf. Wo waren die beiden Schreckensgestalten, die in den Nächten immer wieder ihr Unwesen trieben? Sila sah nur das Feuer vor ihr. Dann spürte sie die Anwesenheit jener Gestalt, die sie bereits beobachtet hatte. Als sie sich darauf konzentriere sah sie weder einen Mann noch eine Frau. Aber die Silhouette deutete ihr an sich hinzustellen und mit zu gehen. Sila wollte nicht ins Feuer, sie wollte sich wehren. Aber als die Gestalt von ihr weggehen wollte, in das Feuer hinein, da lief sie hinterher. Kaum war sie einige Meter weiter gelaufen, da erlosch das Feuer und sie stand vor ihrem alten Internatsgebäude. Völlig verblüfft starrte sie das Gebäude an. Es sah genau so aus wie in ihren Erinnerungen. Die Gestalt vor ihr ging durch die Eingangstür. Sie folgte und sah jede Menge Kinder in den Klassenräumen sitzen. Plötzlich war die Gestalt verschwunden. Sie suchte es, konnte es aber nicht mehr finden. Da stand sie nun in diesem Flur und blickte durch die Glastür in die Klasse. Plötzlich erschrak sie. Was war denn das? War sie tot oder warum sah sie sich selbst mitten in der Klasse, zwischen den Schülern sitzen? Dann bemerkte sie wie eine Dame eilig den Flur entlang ging. Sila hatte keine Angst gesehen zu werden. Sie wusste, dass sie gar nicht dort sein durfte. Die Dame öffnete hastig die Tür und rief Sila Kendall ihr zu folgen. Die kleine Sila erhob sich stumm von ihrem Platz und ging der Dame hinterher. Sila folgte den beiden durch den Flur zu einem Platz, an dem ein Telefon auf einem Tischchen stand.

„Deine Mutter ist am Telefon“, sagte die Dame zu der Kleinen. „Es scheint wichtig zu sein. Wenn du fertig bist, gehst du wieder in deine Klasse, hast du verstanden?“

Die Kleine nickte kurz und führte den Hörer ans Ohr.
 

„Es tut so gut deine Stimme zu hören, Liebes“, hörte sie die vertraute und sanfte Stimme ihrer Mutter sagen. „Ich weiß, dass du böse bist, weil wir dich ins Internat geschickt haben. Vielleicht denkst du jetzt endgültig, dass wir dich nicht mehr lieben. Aber so ist es nicht. Dein Vater war sehr wütend auf dich. Aber er tat es aus Angst um mich und um deine kleine Schwester. Ich weiß, dass er sich bei dir Entschuldigen wird und dass es ihm von Herzen leid tut, wie er dich behandelt hat. Weißt du? Er brauchte nur etwas Zeit das ganze zu verarbeiten. Ich auch...“ Die Stimme brach ab. Riah sammelte sich aber schnell wieder und sprach ruhig weiter: „Aber jetzt ist alles wieder gut. Bitte komm nach Hause, Sila. Ich vermisse dich schmerzlich.“

Als Sila schon dachte, dass die Mutter fertig war und sich gerade verabschieden wollte, hielt Riah sie auf. „Es gibt noch etwas, dass ich dir sagen muss. Vielleicht machst du dir Vorwürfe, aber du bist nicht schuld am Tod deiner Schwester. Mir ging es nicht gut, deswegen bin ich aufgestanden und ins Badezimmer gegangen. Dann habe ich das Gleichgewicht verloren und bin im Krankenhaus aufgewacht, als alles schon zu spät war. Was ich dir jetzt sage, ist sehr wichtig! Es lief nicht alles so wie wir uns das vorgestellt hatten, aber egal was war, du warst nicht schuld an dem Tod! Du wirst einen Brief erhalten. Darin habe ich dir alle Einzelheiten aufgeschrieben. Vielleicht bist du noch zu klein um jetzt schon alles zu begreifen, aber falls du jemals an der Wahrheit zweifeln solltest, dann musst du diesen Brief lesen. Versprich es mir!“
 

Dann schien die Welt stehen zu bleiben. Silas Augen füllten sich mit Tränen als sie sich selbst so klein und schuldbeladen mit dem Telefonhörer in dem Flur stehen sah. Sie hatte so viel kaputt gemacht, so viel Hass verteilt, aber ihre Mutter hatte ihr vergeben. Diese Erinnerung hatte sie auch völlig vergessen.
 

*** ** * ** ***
 

Als Sila erwachte, wusste sie zuerst nicht wo sie sich befand. Dann erkannte sie das Gästezimmer von Kiso und Philphlader. Sie richtete sich auf.

'Das war ein komischer Traum'. Sie atmete ruhig ein und überlegte, wann sie das letzte mal nicht schreiend und schweißnass aus einem Traum erwacht war. Sie konnte sich nicht erinnern. Es war das erste mal seit langer, langer Zeit, dass sie wieder normal geträumt hatte. Oder auch nicht. Der Traum fühlte sich viel realer an als andere Träume.

'Der Brief!', fiel Sila wieder ein. 'Was ist mit dem Brief von Mutter geschehen?' Sie erinnerte sich nun, dass der Anruf ihrer Mutter nur wenige Tage vor der Todesnachricht war. Plötzlich erinnerte sie sich wieder. Als sie wie im Traum ihre Sachen gepackt hatte, weil sie die Eltern identifizieren musste, lag ein Brief auf ihrem Bett. Sie hatte ihn in den kleinen Koffer gelegt, den sie seit dem zwar überall hin mitgenommen hatte, aber niemals wieder geöffnet hatte. Sie musste zu dem Brief!
 

Doch wie konnte sie unbemerkt das Apartment verlassen? Wenn Kiso merken würde, dass sie nicht da wäre, gäbe es ziemlich viel Ärger. Als sie in die Richtung der Tür ging, schien der Mond durch die Fenster und sie sah nun, dass die Tür offen stand. Leise schlich sie in das Wohnzimmer. Gerade als sie an dem Schlafzimmer ihres Bruder vorbei wollte, sah sie, dass auch deren Tür offen stand. Das war die Gelegenheit, stellte sie fest. Sie schlich auf Zehnspitzen an Kisos Seite und hoffte sie könnte ihn aufwecken, bevor Philphlader auch aufwachen würde. Sie flüsterte seinen Namen. Nichts. Sie zuppelte an seinem Pyjama. Kein Ton. Sie schüttelte ihn leicht. Keine Regung. Aus Frust hielt sie ihm die Nase zu. Das half. Er wetzte sich plötzlich auf ihre Seite und starrte sie ungläubig an.

„Sila?“ Dann war er auf einen Schlag wach: „Was ist passiert? Geht es dir nicht gut?“

„Sei bitte leise! Lass Imôto bitte schlafen. Komm raus!“

Sie schlich wieder leise aus dem Zimmer raus, dicht gefolgt von ihrem Bruder. Als die Tür zum Schlafzimmer zu war, verlor Sila keine Zeit.

„Ich muss den Brief haben!“

„Was? Welchen Brief?“

„Meine Mutter hat mir kurz vor ihrem Tod einen Brief geschrieben. Diesen Brief muss ich haben! Jetzt auf der Stelle! Es hängt alles daran!“

Kiso fragte sich zum ersten Mal in seinem Leben ob seine Schwester schlafwandeln würde. Als Sila sah, dass er sie nicht für voll nahm, kniff sie ihn in den Arm. „Hör auf mich anzusehen als wäre ich verrückt. Ein bisschen überfordert mit jahrelangen verdrängten Erinnerungen, aber ich bin klar im Kopf! Ich brauche den Brief, Kiso! Er ist in meinem Apartment.“

„Mitten in der Nacht?“

„Ja! Kommst du jetzt mit oder muss ich alleine gehen?“

Nun war Kiso wirklich wach: „Du willst tatsächlich ins Apartment um einen Brief zu holen?“

Silas Entschlossenheit zeigte, dass er keine Wahl hatte, wenn er sie nicht alleine auf die Straße lassen wollte. „Also gut. Zieh dich an, wir gehen.“
 

Als er fertig angezogen aus dem Badezimmer kam, stand Sila schon ausgehbereit vor der Eingangstür.

„Beeil dich doch!“

„Wenn dein Brief in deinem Apartment ist, wird er schon nicht weglaufen oder gestohlen werden!“

Kiso war ein echter Morgenmuffel und auch wenn er sich Mühe gab nicht zu mürrisch zu wirken, so mochte er es gar nicht aus seinem Tiefschlaf aufgeweckt zu werden. Sila schmunzelte etwas, als er sich müde die Augen rieb. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es erst drei Uhr morgens war. Fast hatte sie Mitleid mit ihm, aber weil er sie ja geradezu gezwungen hatte bei ihnen zu übernachten, fand sie es als fairen Ausgleich. Draußen wollte Kiso gerade ein Taxi rufen, als Sila ihn bat, das Handy wegzulegen. Sie fühlte sich fit genug den kurzen Weg zum Apartment zu Fuß zurückzulegen. Kiso gab sich geschlagen. Die Energie seiner Schwester wunderte ihn sehr. Die Augen waren zwar noch vom vielen Weinen geschwollen, aber der Ehrgeiz funkelte in den Augen wider. Sila nutze die Zeit um Kiso zu erzählen warum ihr der Brief der Mutter so wichtig war. Sofort verstand er warum sie so gedrängt hatte. In das Frauenapartment durfte Kiso nicht hinein gehen. Er brauchte aber auch nicht lange draußen zu warten, denn Sila war schneller zurück als er gedacht hatte.

„Hast du ihn gefunden?“, fragte er vorsichtig, weil sie so schnell wieder bei ihm war.

Als Antwort hob sie den Brief vor sein Gesicht. Im schwachen Schein der Laterne konnte er die Anschriften auf dem Umschlag und die Briefmarke erkennen. Auch sah er, dass der Brief noch völlig ungeöffnet war.

„Du hast ihn nicht aufgemacht?“

Sila schüttelte den Kopf. Er gehörte zu dem Teil ihrer Vergangenheit, den sie unterbewusst vergessen hatte. Sie wollte den Brief erst in ihrem Zimmer bei den Diamon's öffnen um ihn in Ruhe lesen zu können.
 

*** ** * ** ***
 

Gerade als sich Kiso und Philphlader an den Küchentisch zum Frühstücken setzen wollten, klingelte es an der Tür. Verwundert stand Kiso auf um nachzusehen wer um diese Zeit zu ihnen wollte. Mit einem Lächeln sah Philphlader wie ein leicht verlegener Skyre den Flur betrat. Sofort stand sie auf, um ein weiteres Gedeck auf den Tisch zu stellen.

„Komm nur herein, aber sei nicht so laut. Sila schläft noch“, hörte sie ihren Mann sagen. Die Tür in der Küche wurde geschlossen und das Frühstück eröffnet. Skyre wollte zwar nichts annehmen, weil er unangemeldet vorbei gekommen war, aber Philphlader nötigte ihn herzlich reinzuhauen.

„Isst du in deinem Junggesellenapartment überhaupt ordentlich?“ Ein prüfender Blick zeigte ihr, dass Skyre anscheinend genau so hausen würde wie es Kiso tat, bevor sie geheiratet hatten. Kiso grinste Skyre in vollem Verständnis an:

„Eine Frau, die den Haushalt zu schmeißen versteht ist ein Segen. Merk es dir Kumpel.“

Nun griff Skyre auch zu. Nach dem Essen stand Kiso auf, um den Tisch abzuräumen. Philphlader verließ die Küche, um sich die Sachen für ihr Examen zusammen zu suchen.

„Wird sie das Examen schreiben können?“, fragte Skyre besorgt, nachdem er mitgeholfen hatte den Tisch abzuräumen und Kiso wieder am Tisch gegenüber saß.

„Ja, ich denke schon. In solchen Dingen ist sie sehr gewissenhaft. Sila hatte mich heute Nacht geweckt. Anata hat gesagt, dass sie nichts davon mitbekommen hat. So konnte sie sich wenigstens ausschlafen.“ Wie aufs Stichwort gähnte Kiso erst einmal ausgiebig. Skyre erkundigte sich wie es Sila ginge und warum sie ihn Nachts geweckt hätte. Kiso erzählte ihm knapp von dem Brief:

„Sie hat sich sofort zurückgezogen um den Brief zu lesen. Danach habe ich sie noch weinen gehört. Ich blieb so lange wach, bis ich nichts mehr im Zimmer hören konnte. Okay,“ fügte er grinsend hinzu, „Ich gestehe ich bin auf dem Sofa eingeschlafen. Als ich aufwachte, hörte ich keinen Mucks mehr in ihrem Zimmer. Als ich die Tür aufgemacht habe, lag sie im Bett und hielt den Brief umarmt.“

Es entstand eine Stille, bis Kiso sich zurücklehnte und zufrieden sagte: „Ich glaube der Heilungsprozess hat eingesetzt. Ich bin froh, dass sie sich wieder an den Brief erinnern konnte.“
 

Ende Kapitel 27:

~ Silas Vergangenheit - Teil 2 ~

~ Wenn das Herz sich entscheidet ~

„Kann ich dich was fragen, Sila?“

„Hmm?“

„Du musst mir ja auch nicht antworten ... Wenn es dir unangenehm ist.“

„Schon okay. Was möchtest du wissen?“

„Wie kommt es eigentlich, dass du mit so vielen – männlichen – Tänzern befreundet bist, aber keinen davon als Tanzpartner nimmst?“

„Meine Freunde fragen mich doch nicht nach Tanzpartnerschaft. Die meisten, die mich als Tanzpartner haben wollen, kennen mich nicht wirklich. Auf so was gehe ich nicht ein! Außerdem habe ich derzeit einfach keine Lust einen Tanzpartner zu haben.“

„Das ist aber selten. Ich frage weil du so gerne Partnertänze magst. Tut mir leid, ich wollte dich nicht ausfragen...“

„Ein Tanzpartner sollte ein sehr guter Freund sein. Ich hatte schon mal eine Tanzpartnerschaft mit jemandem, der mir kein guter Freund war. Es war keine gute Tanzpartnerschaft. Für mich ist es wichtig. Außerdem … Ist es praktischer für mich jemanden als Partner zu haben, der die gleiche Sprache spricht. Wenn man sich in einer anderen Sprache verständigen muss, kann es zu einigen Missverständnissen kommen. Aber eigentlich rede ich nicht gerne über Tanzpartnerschaft... Es gibt derzeit auch niemanden, der dafür in Frage kommen könnte. Deswegen tanze ich Partnertänze eher mit meinen Freunden oder Bekannten.
 

Was ist mit dir? Gibt es in deinem Internat in Korea eine hübsche Tänzerin, die auf ihren Tanzpartner wartet?“

„Auf mich? Oh Nein! Ich hatte noch keine Tanzpartnerin.“

„Nicht?“

„Nein. Ich äh … Ich kann nicht einfach nur mit einer guten Freundin eine Tanzpartnerschaft eingehen. Ich denke ich könnte nie so viele Partnertänze nur mit einer Frau tanzen, für die ich nichts empfinde. Vielleicht ist das altmodisch. Wenn ich eine Frau bitten sollte meine Tanzpartnerin zu werden, dann nur die, der mein Herz gehört ... denke ich...“
 

(Reiner Dialog aus Kapitel 18)
 

*** ** * ** ***
 

Mittlerweile war eine Woche seit Silas Zusammenbruch vergangen. Alle, die es mitbekommen haben, wunderten sich ein über's andere Mal wie umgewandelt Sila danach war. Sie hatte ihre Erinnerungen zurück und konnte sogar offen über die Zeiten ihrer Kindheit sprechen. Über den Brief ihrer Mutter jedoch redete sie nicht. Wenn sie darauf angesprochen wurde, hieß es nur:

„Es ist ein sehr persönlicher Brief und nur für mich bestimmt.“ Silas Mutter hatte ihr ganzes Herz, ihre ganze Persönlichkeit in diesen Brief geschrieben. Auch hatte sie ihr genau erklärt aus welchem Grund es für sie so schwer wurde ein Kind zur Welt zu bringen. Ein Gendefekt war die Ursache und sie vermutete, dass Sila ihn von ihr vererbt bekommen hatte. Daher wollte sie ihrer Tochter alles, was sie darüber wissen musste, oder später bei Ärzten nachuntersuchen lassen sollte, mitteilen. Dieser Brief wurde zu Silas kostbarstem Schatz. Danach blühte sie vollständig auf. Es sah fast so aus, als hätte sie nun einen neuen Lebensabschnitt begonnen.

'Lass es raus und du wirst Frieden finden', hallte es immer noch in ihrem Herzen. Es stimmte. Sie hatte Frieden über ihre Vergangenheit gefunden. Auch wenn es scheinbar ein schlimmes Ende genommen hatte. Für Sila wurde es zu einem neuen Anfang.
 

Sie bestand darauf den kleinen Wettbewerb im Paartanz auszufechten. Wie Skyre vorgeschlagen hatte, wollten sie mit einem ChaChaCha dem Ehepaar entgegentreten. Während Kiso und Philphlader eine unglaubliche Küre der Jury im Samba vortanzten, betrachtete Sila ihr Kleid und sah auf Skyres Outfit. Die beiden sahen wirklich aus wie ein Tanzpaar. Skyre hatte recht, auch er und sie harmonierten gut zusammen. Sila genoss es mit ihm gemeinsam zu tanzen, sie liebte das Outfit und musste sich eingestehen, dass sie auch immer mehr seine Anwesenheit zu schätzen lernte. Die letzten Akkorde erklangen und sie beobachtete wie das Ehepaar ihre Schlusspose meisterhaft in Szene setzte. Sila klatschte ihnen fröhlich zu. Sie waren einfach großartig. Nicht nur als Tanzpaar, sondern auch als Ehepaar. Die Jury benötigte einige Minuten um die Wertungen festzulegen. Kiso gab seiner Philphlader einen Kuss auf die Wange und flüsterte ihr etwas zu. Dann zwinkerte er in Skyres und Silas Richtung. Sila legte ihre Hand in die angebotene Hand von Skyre, der ihr zulächelte. Geraden Schrittes ging er mit ihr gemeinsam auf die Bühne vor die Jury. In der vergangenen Woche musste Sila feststellen, dass auch Skyre sich veränderte. Er verwunderte alle wegen seiner ungewohnten Selbstsicherheit. Aber Sila bemerkte auch, wie nachdenklich er die letzten Tage war. Sie wusste nicht woran es lag, vermutete, es hatte etwas mit seiner Rückreise nach Korea zu tun. Daran wollte sie aber an diesem Tag noch nicht denken. Als die Musik begann und sie sich ganz seiner Führung anvertraute, strahlte Sila über beide Ohren. Das Kleid betonte ihre Bewegungen und man spürte wie sehr sie es liebte darin zu tanzen. Kiso wollte gerade seiner Frau zuflüstern, dass sie, wenn sie so weiter tanzen würden, ihnen große Konkurrenz bieten könnten. Philphlader bewunderte die schwungvolle und ausgearbeitete Choreographie der Beiden. Ihre große Stärke bestand eindeutig in der Synchronisation ihrer Schritte. Es tat gut zu sehen wie die beiden Tänzer auf der Bühne zusammen passten. Der Song lief noch keine Minute, als Silas Gesichtsausdruck sich schlagartig veränderte. Aus dem Strahlen, war ein Ausdruck von Verwirrung zu sehen. Im erst Augenblick rutschte Philphladers Herz in die Hose aus Angst, Silas Erinnerungen hätten wieder dazu beigetragen. Aber der Ausdruck war so ungewöhnlich, so neu bei ihr, dass sie und Kiso sich nur verwundert anstarrten. Der Tanz endete und die Jury nutzte einige Minuten um sich auszutauschen.

„Was war los?“, wollte Kiso sofort von Sila wissen. Diese bekam nur hochrote Wangen, senkte den Blick und schüttelte den Kopf. „Ich kann es dir nicht sagen, Kiso!“

„Hab ich was falsch gemacht?“, wollte Skyre verwundert wissen, dem ihr Blick natürlich nicht entgangen war. Sila legte nur ihre kühlen Hände auf die roten Wangen und schüttelte ihren Kopf. „Hört auf mich zu fragen. Ich werde es euch nicht erzählen!“ Sie wollte gerade etwas zu Philphlader sagen, da wurden die beiden Paare wieder vor die Jury geladen.
 

Die Jury lobte die tänzerische Fähigkeiten der beiden Paare. Auch die Choreographie wurde eingehend gelobt. Dann kam das Urteil:

„Skyre Yong und Sila Diamon. Sie haben ihren Gegnern eine hervorragende Parole bieten können. Leider müssen wir ihnen sagen, dass es nicht gereicht hat.“ Dabei wanderte der Blick aller drei Jurymitglieder auf Sila. Der Älteste ergriff das Wort:

„Ich weiß wirklich nicht was in sie gefahren ist, junges Fräulein. Als Tänzerin und Trainerin haben sie bisher immer geglänzt. Mit ihrer Ausstrahlung übertreffen sie so einige unserer Professoren und können damit mehrere Punkte für die Wertung rausholen. Was ist heute in sie gefahren, als sie ihre ganze Ausstrahlung wegwarfen?“

Philphlader schaffte es gerade noch rechtzeitig Kiso am Arm fest zu halten. Sila hörte sich die harte Rüge mit gesenktem Blick an, aber Kiso kochte vor Wut. Er stand kurz davor sich bei der Jury unbeliebt zu machen. Philphladers durchdringender Kennerblick hielt ihn dann doch davon ab. Sie wunderte sich sehr über Silas Reaktion. Normalerweise würde sie so eine Rüge ähnlich wie Kiso aufnehmen oder es gar nicht dazu kommen zu lassen. Philphlader hatte schnell gemerkt, dass Sila, seit sie eine Trainerin geworden war, von der Jury härter ins Gericht genommen wurde, als normale Tänzer.

„Solch einen Anfängerfehler könnten wir ihren Schülern noch zurechnen, aber doch nicht ihnen in ihrer Position. Hoffentlich war es nur ein Ausrutscher und kommt nicht wieder vor!“, bekräftigte der ältere Professor. Sila verbeugte sich stumm und sagte, dass sie auf jeden Fall darauf achten würde.
 

Nachdem sie wieder ihre normalen Tanzoutfits trugen, standen Kiso und Skyre vor dem Tanzinternat. Skyre hörte zu wie sich Kiso über die viel zu überhobene Rüge der Jury aufregte. Unter diesem Aspekt konnte er auch seinen Sieg gar nicht wirklich genießen. Skyre blieb still. Er selbst verspürte auch den starken Drang Sila zu verteidigen, aber die Art wie sie mit dieser Situation umging, erstaunte ihn. Er seufzte laut. Dadurch horchte Kiso auf.

„Was ist?“

„Ich musste nur daran denken, dass wir in ein paar Tagen nach Korea fliegen werden.“

Kiso freute sich schon auf die Reise. Er hatte mit Philphlader besprochen, nach einer Woche Koreaaufenthalt weiter zu seinen Eltern zu fliegen.

„Sila hat mir noch nicht gesagt ob sie mit kommen wird oder nicht.“

Kiso sah, was in Skyre vor sich ging. Er hatte früher auch so ähnlich resigniert, wenn Philphlader ihn wieder einmal abgelehnt hatte. Es war nicht leicht in Unklarheit zu leben.

„Hast du schon mit ihr gesprochen?“

Skyre schüttelte den Kopf: „Ihr Zusammenbruch kam mir leider dazwischen. Ich überlege noch wie ich es sagen soll!“

Kiso verpasste ihm eine Klaps auf den Hinterkopf. „Hör auf dir Gedanken zu machen, lass es einfach raus!“ Skyre grinste. „Du hast leicht reden. Du hast doch schon längst deine Traumfrau!“ In Kurzfassung erzählte Kiso Skyre seinen harten Kampf um das Herz seiner Angebeteten. „Wir fliegen nicht mit dir, wenn du meiner Sis nicht endlich ein Geständnis machst!“

„Das ist Erpressung!“

„Und wenn schon!“ Kiso grinste in die Sonne hinein. Es gefiel ihm sehr, dass Skyre sich tatsächlich für Sila interessierte. Nun musste sie nur noch über ihren Schatten springen.
 

*** ** * ** ***
 

Philphlader teilte sich mit Sila eine Umkleidekabine. Sie merkte schnell, dass Sila mit ihren Gedanken beschäftigt war, denn sie sagte kein einziges Wort. Erst als alle Sachen ordentlich in der Trainingstasche verstaut waren, setzte sich Sila seufzend auf eine Bank und lehnte den Kopf mit geschlossenen Augen an die Wand. Philphlader hielt inne und beobachtete ihre Schwägerin. Machte die Rüge Sila doch mehr zu schaffen, als es den Anschein hatte?

„Sag mal Imôto“, hörte sie nach einer Weile, „wann hast du gemerkt, dass du Kiso liebst?“

Mit so einer Frage hatte Philphlader nicht gerechnet. Sie setzte sich neben Sila und überlegte eine Weile.

„Oje … Sowas habe ich noch nie überlegt, Neechan... Ich glaube ich weiß es gar nicht. Es hat sich irgendwie eingeschlichen, fürchte ich.“ Sila saß immer noch mit geschlossenen Augen da. Philphlader beobachtete sie, dann weiteten sich ihre Augen vor Überraschung.

„Neechan! Willst du etwa damit sagen, dass du...“ Mehr traute sie sich nicht zu fragen. Sila öffnete die Augen und ihre Wangen wurden wieder warm. Sie sah ihrer Freundin eine Zeit lang nur in die Augen, dann legte sie ihre Handflächen auf die warmen Wangen.

„Der Grund warum ich plötzlich so verwirrt war ist, dass ...“, sie seufzte. Wie sollte man so etwas beschreiben? „Imôto! Es ist passiert. Einfach so. In einem Augenblick...“

„Was ist passiert?“

„Mein Herz hat sich entschieden... Es hat sich einfach entschieden. Als wir getanzt haben, hat es gefunkt...“

Philphlader sprang auf. „Neechan ist verliebt?“

Es hörte sich wirklich komisch an. Sila lächelte. So lange hatte sie nun schon dagegen angekämpft und es war plötzlich keine Spur der Mauer mehr vorhanden, die sie eigenhändig gegen Skyre aufgebaut hatte. Diese Erkenntnis beunruhigte sie komischerweise nicht. Vielleicht lag es daran, dass Skyre sie in letzter Zeit mit seiner Gegenwart förmlich überschüttete. Ähnlich wie Kiso es bei Philphlader tat.

'Warte auf mich!' Dieser Satz hatte sie lange verfolgt und er verfolgte sie immer noch. Sie wusste nicht weshalb, aber Skyre schien sie zu mögen. Bei dem Tanz hatte Skyre nichts ungewöhnliches getan. Er achtete auf den erforderlichen Abstand und sah sie an wie sonst auch. Aber auf einmal fühlte sie, dass sie ihn liebte.

„Ja“, seufzte Sila, „Deine Neechan hat sich tatsächlich verliebt. Heute ist dein Mann zweifacher Sieger.“

Philphlader wusste wovon Sila redete. Kiso hatte schon lange versucht die beiden zu verkuppeln. Erst als er es aufgab, fühlten sich die Zwei scheinbar endlich mehr zu einander hingezogen.

„Willst du es ihm sagen? Soll ich Kiso zur Seite nehmen, damit du mit Sky reden kannst? Ich glaube es nicht! Neechan hat sich in Sky verliebt!“ Damit umarmte Philphlader Sila voller Freude.

„Ich weiß es noch nicht, Imôto. Vielleicht muss ich das Ganze erst einmal sacken lassen. Verstehst du?“

Philphlader verstand. Sie schloss die Umkleidekabine auf. „Lass uns zu den Männern gehen... Sila und Yong-Kyun“, trällerte sie vergnügt.
 

Draußen wurden sie bereits von den Männern erwartet. Noch bevor jemand etwas sagen konnte, lief Philphlader auf ihren Mann zu und rief fröhlich: „Anata! Ich muss dir was sagen...“ Dabei umklammerte sie seinen Arm und beide gingen in Richtung Park. Skyre und Sila folgten den Beiden mit einem großzügigen Abstand.

„Die Zwei sind ein tolles Paar. Sie haben heute großartig getanzt!“

„Da gebe ich dir Recht.“ Sila sah zu Skyre hoch. „Bitte entschuldige. Ich habe alles vermasselt.“

Als er sie ansah, hätte sie sich am liebsten auch an seinen Arm geklammert, aber sie lächelte nur mit roten Wangen zurück.

„Es stört mich nicht zu verlieren. Du warst auf einmal nicht ganz bei der Sache. Aber die Rüge war viel zu streng, finde ich.“

Sila kicherte. Sie fühlte sich sehr geborgen an der Seite dieses Mannes. „Sie hatten ja Recht. Aber ich gebe zu, dass mich das noch nicht einmal stört.“

'Sonderbar', dachte Skyre, 'sie wirkt so zufrieden.' Er sah wie Sila sich streckte, stehen blieb und sich die Zeit nahm den Wasserbrunnen zu beobachten. Dass Kiso und Philphlader weitergingen ohne auf sie zu achten, störte sie nicht weiter. Immer wenn Skyre Sila so sah, fühlte er den Drang sie in den Arm zu nehmen. Doch seine Erfahrung mit ihr lehrte ihn sich zu beherrschen. Er fühlte, dass er sich sammeln musste, seine Gefühle ordnen musste.

„Sag mal Sila?“, ihre blauen Augen leuchteten ihn an. „Was hast du gleich vor?“

„Ich?“ Sie streckte sich ausgiebig. „Ich weiß es nicht. Ich könnte im Moment Bäume versetzten.“ Sie lachte. Es war ein helles, warmes, freies Lachen. Dann blinzelte sie ihn an: „Was würdest du gerne machen, Sky?“

Diese Frage hatte sie ihm vorher noch nicht gestellt. Plötzlich hatte Skyre den Drang zu fliehen. Er wusste, dass er an diesem Tag nicht lange alleine mit ihr sein könnte. Sie war so bezaubernd, dass er Angst hatte sich zu vergessen.

„Ich glaube ich muss gehen!“

„Eh?“ Sila war irritiert.

„Entschuldige mich bitte bei Kiso und Philphlader. Ich muss noch dringend einige Sachen ordnen.“ Er drückte kurz ihre Schultern und machte sich schnellen Schrittes auf den Weg zurück ins Internat. Sila stand wie erstarrt vor dem Brunnen und fragte sich was in ihn gefahren wäre. Normalerweise nutzte er jede Gelegenheit um Zeit mit ihr zu verbringen und nun lief er davon. Sila verschränkte ihre Arme und sah ihm verwundert nach.

'Außerdem geht es zu den Apartments in die entgegengesetzte Richtung...'
 

*** ** * ** ***
 

Phie und Sango saßen in der Lobby und tranken einen alkoholfreien Cocktail. Sila setzte sich zu ihnen. Sango erzählte gerade wie sie ihre Taschen gepackt hatte und sich schon sehr auf die Familie von Shadow freuen würde. Sila hörte geduldig zu, aber Phie merkte wie ihre Augen ständig im Kommunikationsgerät eine Liste nachgingen.

„Sila? Suchst du jemanden?“, fragte sie freundlich, nachdem Sango eine Pause in ihrer Erzählung machte, um einen Schluck zu trinken. Auch sie merkte nun, dass Silas Aufmerksamkeit nicht ungeteilt war. Sila sah auf, lächelte verlegen und fragte:

„Ich suche Sky. Hab ihr ihn vielleicht gesehen? Ich dachte er wäre hier, aber die Anzeige sagt, er hätte sich schon vor Stunden ausgeloggt...“

Phie schmunzelte. Sie drehte sich zu einem Fenster, weiter im hinteren Bereich der Lobby und nickte:

„Er war hier. Aber er wollte alleine sein. Ich glaube er hat sich dort hinten auf eine Wiese gelegt.“

„Er ist heute sehr schweigsam beim Tanzen gewesen. Gar nicht so lustig wie sonst“, fügte Sango besorgt hinzu. „Aber er wollte alleine sein. Deswegen haben wir ihn da liegen gelassen.“

„Vielleicht ist er aber auch schon wieder weg“, überlegte Phie. Sila stand auf und ging zum Fenster. Tatsächlich. Aus dem Fenster konnte sie sehen wie er auf dem Rücken ausgestreckt auf dem Gras lag. 'Was ist denn heute mit ihm los?', wunderte sie sich. Nach einem Dankeschön verließ Sila die Lobby und steuerte augenblicklich auf die Wiese zu. Er hatte sich einen guten Platz ausgesucht, merkte sie. Dieser Teil war ziemlich abgeschnitten von den anderen Anlagen und man konnte ihn wirklich nur aus dem einen Lobbyfenster sehen. Plötzlich blieb sie stehen. Warum erlaubte sie sich ihn in seinen Gedanken zu stören? Selbst Phie und Sango ließen ihn alleine. Er lag mit geschlossenen Augen da. Sila konnte es nicht lassen ihn einen Moment lang nur zu beobachten. Dann nahm sie einen großen Bogen um ihn herum, so dass sie von hinten an ihn heranschlich. Erst als sie fröhlich:

„Hab ich dich!“, rief, öffnete er verwundert seine Augen. Er war sichtlich überrascht Sila zu sehen. Ihre Haare kitzelten sein Gesicht.

„Was machst du hier so alleine?“ Wollte sie wissen. Er richtete sich etwas auf und blickte ihr in die Augen.

„Nachdenken...“ Der Klang seiner Stimme war Sila unbekannt. Er klang etwas traurig. Plötzlich bereute sie ihre Handlungsweise.

„Oh... Wenn du lieber alleine sein möchtest, dann sollte ich besser gehen.“

„Nein, ist nicht nötig.“ Er zeigte ihr mit der Hand sich zu ihm zu setzen, was sie gerne annahm. Sila merkte wie sie von Skyre beobachtet wurde, zeigte es aber nicht. Stattdessen tat sie so, als würde sie mit einem Gänseblümchen spielen. Sie wollte ihn nicht ausfragen. Wenn er etwas auf dem Herzen hatte, würde er es schon von sich aus sagen. Und er tat es:

„Ich habe über meine Situation nachgedacht...“

„Welche Situation?“ Sila hob nicht den Kopf.

„Die Sache mit Korea und hier.“ Ein kalter Schauer erfüllte ihre Brust. Wollte er damit sagen, dass er nicht wieder kommen würde? Doch sie zwang sich ihn nicht zu unterbrechen.

„Weißt du? Wir haben es so gemacht, dass meine Band in der Zeit, in der ich hier bin mit Younha auf Tournee geht... Aber ich frage mich wie lange es gut für uns ist hin und her zu springen.“

Etwas am Klang des unbekannten Namen, ließ Sila den Kopf anheben.

„Wer ist Younha?“, wollte sie wissen und beobachtete dabei genau seine Reaktion.

„Younha?“, wiederholte er grinsend, neigte sich leicht nach hinten und stützte sich dabei mit den Händen ab, „Younha und ich kennen uns seit wir in der Anfängergruppe des Tanzinternats waren. Sie und ich haben viel gemeinsam getanzt...“

'Sie?', Sila fühlte einen Kloß in ihrem Hals.

„Irgendwann nahm sie Klavierunterricht und fing an zu singen“, fuhr Skyre fort, „Heute ist sie eine sehr erfolgreiche Allrounderin. Sie singt, spielt Klavier auf der Bühne und tanzen kann sie auch. Sie hat ganz schön was drauf.“

Skyre schwelgte so sehr in seinen Erinnerungen, dass er gar nicht merkte wie blass Sila geworden war. Vorher hatte er niemals diesen Namen oder überhaupt eine andere Frau vor ihr erwähnt. War er deswegen so schweigsam geworden in den letzten Tagen?

„Meine Jungs stehen zu hundert Prozent hinter mir, aber eine Band ohne ihren Sänger kann keine zwei Monate alleine etwas machen. Also habe ich Younha gefragt ob sie nicht Lust hätte ihre Tournee mit den Jungs, anstelle ihrer Playbacks zu starten. Sie war sehr angetan von dem Vorschlag. Aber in drei Tagen ist die Tournee beendet und ich muss wieder erscheinen“, seufzte er.

Sila schluckte. Sie hatte sein Seufzen missverstanden. Aber sie wollte es wissen. Leise fragte sie, ohne ihn dabei anzusehen:

„Ver- Vermisst du Younha?“

Skyre drehte sich erschrocken um. Sila sah ihn dabei nicht an. Ihre Augen suchten wieder das Gänseblümchen. Sie hatte einen traurigen Ausdruck im Gesicht.

„Younha?“, fragte er ungläubig, aber als er sah, wie ihre Wangen rot wurden, beeilte er sich mit der Antwort: „Younha ist ein Wirbelwind. Sie ist für mich mehr Bruder als Schwester!“ Okay, es stimmte nicht mehr. Früher war sie immer wie ein Junge. Sie kleidete sich so wie ein Junge und prügelte sich mit anderen Jungs. Seit einiger Zeit hatte sie sich verändert, war viel weiblicher geworden. Aber es hatte Skyre nie angesprochen, wenn sie sich so aufreizend kleidete. Ein Hauch des Verstehens erfüllte ihn.

„Sila!“, rief er aus und griff nach ihrem Gesicht. Sila wollte sich wegdrehen, aber er ließ sie nicht gewähren. Sanft drehte er ihr Gesicht so, dass sie ihn ansehen musste. Ein leichter Schmollmund war zu sehen.

„Denkst du etwa, dass ich was für Younha empfinden würde?“ Als sie den Blick senken wollte rief er, „Sieh mich bitte an! Es gibt in Korea keine Frau, die mich interessiert. Niemand derentwillen ich dahin zurück möchte. Keine Frau berührt mein Herz so wie...“

Silas Augen hatten sich geweitet als er sie so ansah. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals als er ihr Kinn zu sich heranziehen wollte, doch in dem Moment hörte sie jemanden nach ihnen rufen. Sofort sprang sie mit hochrotem Kopf in die Luft. Sie hörte noch wie Skyre sich frustriert wieder auf den Rücken plumpsen ließ. Es waren Sango und Phie.

„Na ihr? Haben wir euch gestört?“

Sila zuckte leicht verärgert mit der Schulter. „Was gibt’s?“, fragte sie etwas verstimmt. Sango ließ sich nicht um ihre gute Laune bringen.

„Uns ist langweilig. Kiso und Philphlader wollen alleine sein, Shadow ist am Packen und der Rest ist auch nicht da. Tanzt ihr mit uns?“

Am liebsten hätte sie gesagt: „Nein, wir sind noch nicht fertig!“ aber da hörte sie schon wie Skyre sich erhob und sagte:

„Na dann. Wollen wir mal!“

Erstaunt beobachtete Sila seine Züge, aber er verriet ihr nichts. Er lächelte sie nur an und fragte: „Willst du mit uns tanzen?“
 

Es vergingen einige Tänze bis Skyre auf einmal anzeigte, dass er nicht mehr weiter tanzen wollte.

„Könnten wir einen anderen Tanzmodus wählen?“, bat er. Die Frauen sahen sich verwundert an. Sango, die die Spieleführung hatte fragte vergnügt: „Was soll ich für dich anmachen, Sky?“

„Nichts, was es in diesem Raum gibt.“ Dabei drehte er sich Sila zu und fragte: „Magst du mit mir 'Couple Dance' tanzen?“

Ihre Augen wurden groß: „Äh! Sicher … Aber Sango und Phie...“

„Sie werden schon einen Partner finden. Es gibt noch genug Männer, die tanzen sind“, sagte er lächelnd. „Ich suche uns einen Raum! Kommt ihr mit oder wollt ihr hier bleiben?“, fragte er Phie und Sango. Beide waren so verwundert, weil er so etwas noch nie in dieser Art bestimmend gefordert hatte, dass sie nur nickten. Als Skyre aus dem Raum war, richteten sich die Blicke auf Sila. Diese zuckte mit der Schulter:

„Ich weiß nicht warum er unbedingt 'Couple' tanzen möchte. Eigentlich haben wir das schon sehr lange nicht mehr zusammen getanzt.“
 

Skyre hatte Recht. Kaum hatte er den Raum frei gegeben und sich einen Song ausgesucht, da betraten zwei Männer den Raum und positionierten sich neben Phie und Sango. Sila verfolgte Skyres Handlung mit Verwunderung. Wieder einmal zeigte sich sein neu gefundenes Selbstbewusstsein. Skyre entschied sich für „Dash“, ein eher langsamer Song, aber mit einem guten Beat. Diesen Song hätte Sila im Schlaf tanzen können. Es war ein typischer Song für Paare, die Punkte für die Tanzpartnerschaft sammeln wollten. Aber Sila war mehr mit Skyre als mit dem Song beschäftigt. Bevor der Tanz los ging, räusperte er sich leicht nervös und begann zu tanzen. Er tanzte hervorragend, sagte aber kein Wort. Wie erwartet hatten die Beiden nach wenigen Moves ihre fünf Partnerpunkte zusammen und führten auch dementsprechend mit der Punktezahl. Plötzlich sah Skyre Sila direkt in die Augen und bat sie: „Sila! Willst du meine Tanzpartnerin werden?“

Sila war so überrumpelt, dass sie ihre Schrittfolge vermasselte und aussetzen musste.

„Eh?“

„Möchtest du meine Tanzpartnerin werden? Nach diesem Tanz?“, bekräftigte er noch einmal. Sila bemühte sich wieder in den Song rein zu finden, aber sie konnte sich nicht auf die vorgegebene Schrittfolge an dem Bildschirm konzentrieren. Also blieb sie einfach mitten auf der Tanzfläche stehen und starrte Skyre unverwandt an.

„Aber du hast mir doch mal erzählt, dass du...“

Skyre lächelte, ließ sie aber nicht ausreden. „Ich habe sehr gehofft, dass du dich daran noch erinnerst!“

„Und?“

„Und gerade wegen dem, was ich dir sagte bitte ich dich meine Tanzpartnerin zu werden.“

Er blieb nun auch zur Verwunderung der Jury auf der Tanzfläche stehen. Sie hatten die Partnerpunkte, mehr brauchten sie nicht um die Voraussetzungen zu erfüllen. Sango und Phie hatten sofort gemerkt, dass etwas zwischen den Beiden vor sich ging. Auch sie hatten ihre Schrittfolgen verpasst. Silas Wangen glühten.

„Bist du dir ganz sicher?“, fragte sie mit großen Augen.

„Ja! Wenn du es bist...“

Sie nahm sich einige Momente Zeit zum Nachdenken. Es ging alles so schnell. Sie kannte den Song so gut, dass sie wusste, er wäre in wenigen Sekunden vorüber. Sila hob ihren Kopf, sah Skyre direkt in die Augen und sagte so laut, dass es jeder hören konnte:

„Ja, ich will!“
 

Ende Kapitel 28:

~ Wenn das Herz sich entscheidet ~



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Kommentare zu dieser Fanfic (31)
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Von:  lunaris-von-aquanta
2014-01-29T08:26:38+00:00 29.01.2014 09:26
Daaawww dieses ja ich will is total kitschig aber total schön Q////Q

Ich will wissen wie es weiter geht bitte bitte schreib schnell weiter ♥♥♥♥♥♥

Hab alles gelesen *-*

chiriomiep
Von:  Haruka_
2011-02-26T17:13:00+00:00 26.02.2011 18:13
So :I
Hab jetzt bis hierher gelesen >.<
Meine Augen tun weh.
Wahrscheinlich zu viel gelesen mal sehn :3
Von:  Haruka_
2011-02-10T17:53:48+00:00 10.02.2011 18:53
Uiii :3
Die FF ist j Süß :D
Leß grad den Anfang =.=
Hätte früher damit beginnen sollen :(
Wann gehts den weiter?:3
Auch wenn ich noch am anfang bin xD

Achjah!!Ich würde Dich gerne mal in Audi sehn *u*
Wäre Supercool :D

Von: abgemeldet
2010-09-02T10:44:38+00:00 02.09.2010 12:44
aloha~
man merkt, dass du dieses kapitel ueberarbeitet hast *thumbs up* ^_^
ich finde Silas charakter sehr angenehm, auch dass sie immer auch nett zu denen ist, die es nicht zu ihr sind ^_~
die verabschiedung am ende finde ich ein wenig zu intensiv dafuer, dass Chuckie nur eine Woche weg muss (waere schon zu erfahren, warum genau... bin gespannt (; ), was mich vermuten laesst, dass da noch irgendwas passiert oder so... abwarten (;
auf jeden Fall ein sehr unterhaltsames Kapitel

lg cute ^_^
Von: abgemeldet
2010-09-01T10:54:32+00:00 01.09.2010 12:54
Huhu,
Da bin ich wieder ^__^
hab ich mir ja schon fast gedacht, dass er das ist ;)
Dieses Kapitel find ich vom Schreibstil her schon viel besser wie die vorherigen ^__^ du hast dir hier mehr Zeit genommen zu erzählen
Ich vermisse im Moment noch ein bisschen eine Erklärung, wie Chucky nun zu Sila an die Schule kommen konnte, aber vielleicht kommt das ja noch :)

Lg cute
Von: abgemeldet
2010-08-26T22:08:30+00:00 27.08.2010 00:08
okay...
also ich kenn ja leider das fandom nicht so gut, daher irritiert mich das mit dieser freundesliste und den freundeseinladungen etwas (das klingt so nach studivz oder so XD )
deinen schreibstil finde ich aber sehr gut, auch wenn ich zwischendurch das gefuehl habe, dass alles sehr schnell geht. das weckt bei mir beim lesen das gefuehl wie wenn ich jemandem beim reden zuhoere, der sehr schnell redet... ich weiss nicht genau warum, denn die saetze sind nicht zu lang oder so, es geschieht nur irgendwie alles sehr schnell, wobei ich aber nicht das gefuehl habe, als das wichtige sachen weggelassen werden oder so. du beschreibst ihre gefuehle und was passiert, aber manchmal fuehl ich mich beim lesen halt ein wenig gehetzt...
ich hoffe, ich konnte dir schon mal bis hierhin ein wenig helfen ^_~
ich bin sehr gespannt, wie es weiter geht
lg cute
Von:  Sango_Kuroi
2010-01-06T13:50:38+00:00 06.01.2010 14:50
*sigh* jaja, wir machen es uns schon schwer...
Sango und shadow haben nun ja auch das Gröbste hinter sich. Es ist echt seltsam Szenen mit sango zu lesen ;P Ich schaffe es einfach nicht dass grinsen dann zu unterdrücken ...
Von: abgemeldet
2009-10-26T19:53:25+00:00 26.10.2009 20:53
Schön langes Kapi ;P hab mich echt im Kurs zusammenreissen müssen um nicht laut loszulachen xD...war sicher ganz rot xD
Schöner Anfang wie immer , musste mich erst mal, wie Sango Schätzchen, etwas zurecht finden ;p
Aber echt Respekt wie deine Geschichte gefädelt ist oO...*bow* oO Hut ab xD --> Adoption. Haii *Sango willkommen heiss* *o* *anblah*
Sehr schön auch mit dem kleinen Rückblick. Ich kann mir alles so schön bildlich vorstellen *-*
Zu Kisos unterhaltung mit Phie --> *shoku* x'D hab mir so was zwar schon gedacht xD...und dan BAM >o<! xD
Hihi Sila's Einstellung gegen Ende gegenüber dem Ankömmling st ja nit gerade freundlich hoho o.õ
Von:  Sango_Kuroi
2009-10-26T18:47:22+00:00 26.10.2009 19:47
Uff, nun hab ich das Kapitel durch. ^^
Anfangs war es etwas schleppend zu lesen, weil ich immer wieder die zuvorigen Kapitel rausgekramt hab um kleinigkeit nach zu lesen. Aber es sind auch wieder einige Stellen dabei die mich sehr überrascht haben, wie die als Kiso seine Beziehung zu Sila erklärt.
Bei meinem *hüpf* und nii-chans Auftritten musste ich dann erstmal lachen ;D Chi-chan und ich haben dem Moment schon lange entgegen gefiebert und es ist echt niedlich geworden. ^^
Von:  Sango_Kuroi
2009-10-26T17:33:33+00:00 26.10.2009 18:33
hach, schon das nächste Kapitel da und ich habs noch nicht geschafft zu diesem etwas zu schreiben. >o<

Es ist alles wunderschön beschrieben und es war toll zu lesen. An manchen Stellen war ich echt den Tränen nahe, wobei ich zu Beginn erstmal anfangen musste zu lachen ;P Aber endlich ist das Thema Sou durch und auch Chi-chan und Anh-chan sind zusammen. Somit hätten wir zwei Probleme in der Auditionwelt weniger *gig*


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