Die Geschichte des Zauberers: Ankunft in Altena
Mit großen, dunklen Augen schaute sich der kleine Junge um. Die Stadt um ihn herum war riesig groß und er kam aus einem sehr kleinen Ort, wo jeder jeden kannte und sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten. Für ihn wirkte Altena, als würde es bis hinter den Horizont reichen und als würden die Türme den Himmel erstürmen und die Wolken stützen.
»Ich möchte wieder nach Hause«, flüsterte er leise und schaute zu dem Mann hinauf, der an seiner Seite auf der Kutsche saß und ruhig das Pferd durch die breiten Straßen lenkte.
»Warte nur ein paar Tage, und du wirst Altena schnell in dein Herz schließen. Es ist eine wunderschöne Stadt«, antwortete er und lächelte dem Jungen freundlich zu. Doch der zweifelte an seinen Worten, denn jetzt schon spürte er, wie die Enge um ihn herum schier auf ihn einstürzte und ihn einsperrte.
Er machte sich unwillkürlich kleiner, wie, um den riesigen Gebäuden mehr Platz zu geben. Wenn einer jener Menschen an seiner Seite gesessen hätte, die er mochte und denen er vertraute, hätte er sich fest an ihn gedrückt, doch Nikolai mochte er nicht. Er hatte ihn immerhin aus seinem Dorf geholt und er hatte ihn mit in diese schreckliche Enge gebracht.
Es dauerte nur noch Augenblicke, dann hatten sie einen riesigen Platz erreicht und einen Turm, über dessen riesige Flügeltüren eine Glasscheibe eingesetzt war, die in allen möglichen Farben glitzerte. Bewacht wurde der Eingang von zwei Männern. Sie verneigten sich tief vor Nikolai, als der direkt vor dem Tor hielt und aus der Kutsche stieg. Der kleine Junge folgte schnell, denn so wenig der den Zauberer mochte, so war er doch der Einzige in dieser riesigen Stadt, den er überhaupt kannte.
Sie traten in den Turm hinein und sogleich lachte er glücklich auf, denn die Glasscheibe, die ihm sofort ins Auge gefallen war und ihn vom ersten Augenblick an so gut gefiel, ließ den Eingang in einem Meer von Farben explodieren. Ohne noch weiter auf den Mann zu achten, der ihn besorgt angeblickt hatte, rannte er los, hinein ins Farbenmeer und lachte so glücklich und ausgelassen, wie seit Tagen nicht mehr. Er beobachtete das Farbenspiel voller Faszination, beobachtete, wie die Farbe sich wie in Wellen veränderte, als wäre es gar keine Glasscheibe, durch die das Licht diesen wundervollen Glanz erhielt, sondern ein tausendfarbenes Wasser, das sich sacht im Licht bewegte.
»Gefallen dir die Farben?«, fragte Nikolai plötzlich und riss ihn so jäh in die Wirklichkeit zurück, dass er wie erstarrt stehen blieb und einige Sekunden benötigte, um wieder in die Wirklichkeit zurück zu finden.
»Kann man so etwas mit Magie bewirken?«, fragte er langsam und schaute sich mit leuchtenden Augen um.
»Ja, aber nur, wenn man mächtig ist. Dieses Glas wurde einst von einem mächtigen Zauberer gemacht. Menschen können dieses Licht nicht sehen, ohne sich selbst zu vergessen. Es gibt nirgendwo einen besseren Schutz gegen jene, die hier nichts zu suchen haben, als dieses Licht«, erklärte Nikolai und trat an dem Jungen vorbei zur Treppe hin.
»Du sagtest zu meinen Eltern, ich könnte auch mächtig werden. Kann ich dann auch so etwas tun?«, fragte er und folgte, obwohl er gern noch länger geblieben wäre.
»Ja. Du, mein lieber Junge, könntest der Mächtigste von allen werden. Deine Zauberkunst könnte die eines jeden anderen bei weitem überragen, du könntest die Welt selbst verändern. Dazu allerdings musst du fleißig sein, und Jahre lang lernen, denn auch ein Zauberer bekommt nichts umsonst.«
Der Junge blieb stehen, überlegte einen Moment, schüttelte dann aber den Kopf.
»Dann will ich es nicht«, erklärte er entschieden.
»Wieso das?«
Nun blieb auch der alte Zauberer stehen.
»Weil ich nicht hier bleiben will. Ich will wieder nach Hause«, erklärte er sachlich und schaute mit den braunen Augen den Zauberer ernst an. Dem lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Diese Augen, als er sie das erste Mal sah wusste er bereits, dass dieses Kind etwas ganz besonderes sein würde. Braune Augen waren nichts Ungewöhnliches in seiner Heimat, aber diese hier glitzerten wie Sterne und schienen so alt zu sein, wie die Welt selbst. Sie waren gütig und voller Weisheit. Es waren nicht die Augen eines kleinen Jungen, es waren Augen, wie man sie bei einem Einhorn erwartet hätte.
»Du kannst nicht mehr nach Hause«, antwortete er und versuchte den Blick dieser Augen stand zu halten, doch es misslang ihm. Es gab wohl niemanden, der diesen Augen stand halten konnte, außer er war reinen Gewissens.
»Ich weiß. Aber ich möchte es gerne.«
Er schaute traurig zu Boden.
»Warts nur ab, es wird dir hier gefallen, wenn du ein wenig länger hier bist. Magst du mir nicht vielleicht deinen Namen verraten? Du hast ihn mir nicht gesagt, als ich dich mitnahm und deine Eltern wollten ihn mir auch nicht sagen«, bemerkte der Zauberer, doch er erhielt ein Kopfschütteln zur Antwort.
»Ich werde ihn Ihnen nicht sagen, egal wie oft Sie mich noch fragen mögen. Nennen Sie mich Makani, wenn Sie einen Namen für mich brauchen.«
»Makani?«
Der Zauberer schaute den Jungen verwundert an.
»Ja. Es bedeutet Wind. Ich möchte so frei sein, wie der Wind, also möchte ich gerne diesen Namen haben. Meinen richtigen Namen sage ich Ihnen auch schon irgendwann, aber nicht jetzt«, erklärte er. Nikolai nickte nachdenklich.
»Ich werde dir dein Zimmer zeigen«, erklärte er und deutete dem Jungen, ihm zu folgen.