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Wolfskinder - Sternenwege

von

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Verdandi

Als sie die Räume ihrer Kindheit verlassen hatte, war sie nicht wieder in die dunkle Höhle zurückgekehrt. Stattdessen war sie auf eine weite Schneelandschaft hinausgetreten, doch es war ihr nicht kalt. Der Schnee glitzerte sanft und über ihr leuchtete das Nordlicht, denn es war tiefe Nacht. Sie war wieder zur Wölfin geworden und humpelte so über die Milliarden Eiskristalle, immer auf der Suche nach der zweiten Norne.

Sie fragte sich, welche Gestalt diese haben würde, doch wenn Urd das Gewordene, die Vergangenheit und eine alte Frau war, so musste die Zweite wohl die Gegenwart sein und somit deutlich jünger.

Doch alle Logik war gleich, denn in dieser Eiswüste war nicht kein Leben zu finden. Es war, als wäre sie das Einzige Wesen auf dieser Welt.

Trotzdem fühlte sie sich nicht einsam, sie spürte einfach, dass sie nicht völlig alleine war. Sie wusste, völlig unumstößlich und ohne, dass es ihr jemand sagen oder zeigen musste, dass sie nicht alleine war. Ihr konnte nichts geschehen.

Und so lief sie verträumt einfach weiter, von einer inneren Ruhe erfüllt, die sie nie zuvor gespürt hatte. Bis sie in der Ferne einen Turm aus Eis gewahr. Sie wusste, dass das ihr Ziel sein würde. Sie lief darauf zu und je näher sie kam, desto mehr erkannte sie von dem Turm.

Er war nicht besonders hoch, doch er schien aus einem inneren Feuer zu glühen. Unten gab es einen schützen Halbkreis aus Eissplittern, so groß wie Felsen und eine Höhle. Und in dieser Höhle, direkt am Eingang saß eine Frau im Schnee und verwob die kalte Winterluft mit einem der leuchtenden Fäden, die Urd gesponnen hatte.

Wie Mana erwartet hatte, war es eine junge Frau. Sie hatte langes, schwarzes Haar, das sich weit über den Schnee ausbreitete und trug ein gelbes, mit Blumen gemustertes Kleidungsstück, das Mana aus dem Norden nicht kannte. Aber sie wusste, dass man es im Osten oft und gerne trug.

»Ich habe dich bereits erwartet, Sternengefährtin«, wurde Mana mit einem Lächeln begrüßt. Auch diese Norne war blind, wie das Mädchen schnell merkte, doch ihre Finger bewegten sich so gezielt und geschickt, das sie es wohl nicht bemerkt hätte, hätte sie nicht darauf geachtet.

»Du bist die zweite Norne, nicht wahr? Bist du die Gegenwart?«, fragte Mana und legte sich in den Schnee. Sie konnte nur der schlecht sitzen, mit ihrer Pfote, deswegen lag sie lieber.

»Ich bin Verdandi, das Werdende, da hast du recht. Aber wegen mir bist du nicht gekommen, nicht wahr?«, lächelte die Frau.

»Nein, da hast du recht«, antwortete Mana, doch eigentlich wusste sie gar nicht so genau, warum sie hier war. Weil Skadi sagte, das sie gehen müsste und weil Fylgien sie dazu gedrängt hatte. Schon wieder hatte sie sich manipulieren lassen. Doch der Gedanke an Fylgien erinnerte sie an etwas.

»Ich habe eine Bitte. Kannst du mir Grundsätze der Ordnung dieser Welt erklären? Fylgien hat davon gesprochen, aber er hat nicht es nicht erklärt«, bat sie.

»Das ist eine sehr ungewöhnliche Bitte«, begann Verdandi nachdenklich.

»Ich weiß, aber ich möchte es gerne wissen. Und es ist ja auch ein Teil meiner Gegenwart, also ist das zumindest kein Grund, es mir nicht zu erzählen«, erklärte sie und schaute abwartend auf die lächelnde Frau.

»Ich habe nie behauptet, dass ich es dir nicht sagen würde, es ist nur eine ungewöhnliche Bitte. Für gewöhnlich möchte man, dass ich irgendwelche Weissagungen von mir gebe, auch wenn ich es nicht kann. Die Zukunft ist nicht meine Sache. Aber natürlich, ich werde dir gerne erzählen, wie das Gefüge dieser Welt funktioniert«, lächelte die Frau.

Mana wartete gespannt darauf, dass sie begann, doch stattdessen verschob sie ihren Webrahmen so, dass das Leuchten, das von den Fäden ausging, in den Turm hinein leuchtete. Darauf erhellte ein so wunderschönes, leuchtendes Licht den Himmel, wie es nicht einmal das Nordlicht zu sein vermochte.

Mana schaute mit großen Augen hinauf, ein kalter Schauer lief ihr durchs Fell. Sie wusste, dass das, was sie hier erblickte, nie ein einfacher Mensch zuvor zu erblicken gewährt worden war.

»Ohne die Vergangenheit, gäbe es keine Zukunft, deswegen muss ich woanders beginnen. Einst gab es nur eine Macht auf dieser Welt«, begann Verdandi und das Licht veränderte sich, es wurde zur einer Erdkugel, dann zu einer Insel im Meer, die von einer mächtigen Esche beherrscht wurde. Midgard.

»Alles leben hatte hier seinen Ursprung, und wir waren immer da um das Schicksaal der Menschen zu führen. Doch da gab es jene, die ihre eigenen Wege gingen. Ihre Namen sind schon lange verklungen, und kaum jemand kennt ihn, doch wir werden sie nicht vergessen, denn sie veränderten das Schicksaal der Welt.«

Aus der Insel wurden zwei Wesen, wie Mana sie nie gesehen hatte. Sie waren von so zauberhafter Anmut, wie man es wohl bei einem Einhorn erwartet hätte, doch ihre Blicke waren so warm wie die einer Wolfsmutter. Sie hatten Ähnlichkeit mit Wölfen, doch zugleich waren sie so anders, wie es nur irgend möglich war. Es schien, als würden sich ihre Gestalten immerzu verändern, und doch waren sie immer gleich.

Eines dieser Wesen war schwarz wie die Nacht, das andere strahlend hell, wie die Sonne. Mana hätte zu gerne gewusst, was sie waren. Wer sie waren.

»Sol und Mani. Sie waren der beginn der zweiten, der neuen Weltordnung. Sie liebten einander, obwohl sie einander immerzu fern waren.«

»Mani?«, fragte Mana erstaunt, während die beiden Lichterwesen einander umkreisten, sich fangen zu wollen schienen, und doch kamen sie sich niemals wirklich nahe.

»Ja. Sol, die Sonne und Mani, der Mond. Sie konnten es nicht akzeptieren und kämpfen füreinander, bis man ihnen endlich erlaubte, einander nahe zu sein.«

Sie flogen aufeinander zu, schienen miteinander zu verschmelzen, bis sie dann, Seite an Seite, am Himmel standen.

»Und das war der Beginn der neuen Welt. Die beiden bekamen vier Kinder, den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter. Sie waren so mächtig, das sie sich in unserer alten Welt nicht wohl fühlten, sie zogen nach Norden, in unbesiedeltes Land. Und manche Menschen folgten ihnen.«

Die beiden Lichtergestalten verschwanden, teilten sich zu vier neuen Gestalten in anderen Farben. Sie zogen über den Himmel blieben dann stehen. Ein paar kleine Leuchtpunkte folgten ihnen.

»Wir leben nebeneinander, wir hatten nie ein Interesse daran, einander zu Schaden. Die Jahreszeiten haben ihr eigenes Gebiet und wir haben unseres. Jeder hat seine Aufgabe, alles ist so, wie es sein soll. Und deswegen kann unsere Welt auch funktionieren. Es kommt sich niemand in die Quere, es gibt keine Konflikte. Zumindest keine, die diese Welt ins Unglück stürzen könnten.«

Eine runde Kugel aus Licht entstand und sie war von Inseln und Kontinenten bedeckt. Es war die Welt, in der Mana lebte. Und sie war wunderschön. Die Augen der Wölfin leuchteten voll tiefer Freude, als sie dies sah.

»Und das ist die Ordnung dieser Welt? Das es zwei Mächte gibt, die nebeneinander existieren?«, erkundigte sie sich.

»Ja. Und nein. Bedenke immer, das wir nicht viel anders sind, als ihr. Wir sind nicht mächtig oder besonders, wir tun einfach nur das, was unsere Aufgabe ist. Wie ihr auch. Stell es dir vor, wie zwei Königreiche, die friedlich nebeneinander existieren. Dann verstehst du auch, wie diese Welt hinter ihren Kulissen gestaltet ist«, Verdandi lächelte.

»Wie kommt es, das wir davon nichts wissen?«, erkundigte sich Mana.

»Weil ihr es vergessen habt. Vor Jahrtausenden noch kannten die Menschen die alte und die neue Welt, doch irgendwann bedeutete sie ihnen nichts mehr. Sie vergaßen es einfach. Aber das ist nicht schlimm, denn trotzdem führen wir unsere Aufgabe weiter, genauso wie ihr. Doch während die Zeit der Jahreszeiten gerade erst begonnen hat, neigt sich unsere Zeit dem Ende zu«, Verdandi schob den Webrahmen wieder so hin, das sie gut daran weiterarbeiten konnte, dabei verschwand jedoch das Licht.

»Verschwindet ihr? Sterbt ihr?«, Mana starrte aus großen Augen auf die junge Frau.

»Ja. Aber das ist nicht schlecht. Das Alte muss dem Neuen weichen, sonst gibt es keine Verändern, nur Stillstand, statt Fortschritt. Wir wussten schon lange, dass wir bald gehen müssen, wir werden immer schwächer. Dafür strebt gerade der Winter einen neuen Hochmacht entgegen, denn dort tut sich im Moment am Meisten. Doch das ist alles für dich weit entfernt.«

»In der Tat, den mit den Jahreszeiten habe ich nichts zu tun«, lächelte da Mana und legte sich in den Schnee. Warum war hier überhaupt Schnee? Das die Räume ihrer Kindheit ihre Vergangenheit prägten, war ihr noch klar, aber was hatte ihre Gegenwart mit dem Schnee zu tun?

»Du hast mehr mit ihnen zu tun, als du meinen magst, mein liebes Kind. Du liegst nicht grundlos im Schnee, aber das dir zu erzählen ist nicht meine Aufgabe«, fand Verdandi.

»Der Mond in deiner Geschichte, er heißt Mani. Hat mein Name etwas damit zu tun?«, fragte sie leise weiter. Sie wusste, dass ihr Name aus dem Nachtbuch kam, doch den Text hatte ihr nie jemand nacherzählt und bisher hatte es sie auch nicht wirklich interessiert. Sie hatte nie gefragt. Jetzt jedoch mochte sie es wissen.

»Wenn man nur dem Pfad weiter folgt, so hat dein Name natürlich etwas damit zu tun. Weißt du, als dein Vater zum ersten Mal diese Geschichte hörte, da warst du gerade erst geboren, und dennoch wusste er, dass du etwas besonderes sein würdest. Und er kannte die neuere Geschichte von Mani, der sich heute Drafnar nennt. Er wusste, dass der Mond heute zur Nacht geworden war, und er wusste auch, dass die Nacht noch über den Jahreszeiten steht, den er gehört noch zur alten Welt und er war ihr Vater. Und er kannte die Geschichte aus dem Albenbuch. Deswegen beschloss er, dass dein Name Mana sein musste. Kannst du dir denken, wieso?«

»Als Anspielung auf Mani? Aber um es nicht zu offensichtlich zu machen, und seine Hoffnungen, dass ich wirklich etwas Besonderes wäre nicht allzu deutlich zu zeigen, sollte es nur ein ähnlicher Name sein. Hab ich recht?«

»Auch hier wieder nur zum Teil. Ja, Mana spielt auf Mani an, es soll auch zeigen, wie sehr er daran glaubt, dass du mit deinem Willen allein die Welt verändern kannst. Aber Mana bedeutet auch Macht. Das ist die Übersetzung des Wortes in deine Sprache. Mana heißt Macht. Er wusste, das du besonders bist, und das du mächtiger sein würdest, als es je ein Wesen vermutet hätte. Es ist keine Hoffnung gewesen, die ihn trieb, sondern Wissen.«

»Aber ich bin nicht besonders. Ich bin ein einfaches Mädchen, ich bin nicht besonders hübsch, ich bin nicht klug, ich bin nicht außergewöhnlich begabt. Ich verstehe es nicht, wieso sehen alle so viel in mir? Ich sehe in mir… nichts. Eine leere, seelenlose Hülle, jemand, der nichts kann und nichts hat«, flüsterte Mana und während sie sich wieder aufsetzte, rollten glitzernde Tränen über ihre Schnauze und tropfte in den Schnee.

»Ein einfaches Mädchen? Gewiss nicht. Du bist etwas besonderes, einfach nur deswegen, weil du versuchst zu verstehen, was man dir nicht beigebracht hat. Du folgst nicht blindlings, du folgst, weil du diesen Personen sofort dein Leben anvertrauen würdest. Ansonsten würdest du es nicht tun. Du bist anders. Man muss nicht begabt sein, oder hübsch oder klug, um etwas Besonderes zu sein. Man muss nur sich selbst treu bleiben, und das tust du. Deswegen bist du besonders.«

»Aber wenn das so ist, dann ist doch jeder etwas besonderes.«

»Nein. Wer stur einem einzigen Weg folgt, der kann niemals etwas besonderes sein. Mana, denke darüber nach, wieso heißt du so? Du weißt alles, was du wissen musst. Warum trägst du einen Namen, der von Macht erzählt?«

Darauf antwortete die Wölfin nichts. Stattdessen begann sie zu verstehen. Wer sie war. Sie begann, sich selbst zu finden. Sie hätte sich freuen sollen, stattdessen aber spürte sie eine seltsame leere in sich und sie wusste einfach nicht, womit sie die füllen sollte.

»Ich bin Mana…«, flüsterte sie und dachte an all die Male, wo ihre Eltern ihr das immer wieder gesagt hatten. Als ob es wichtig war. Es war wichtig. Und es verriet so viel mehr, als sie es je gewagt hätte zu glauben.

»Danke Verdandi, du hast mir gezeigt, dass ich einfach nie richtig nachgedacht habe. Meine Eltern haben so viel besser verstanden, was ich hören wollte, ich habe es nur nie begriffen«, sie neigte den Kopf.

»Manchmal erkennt man Dinge nicht gleich, weil man viel zu nahe davor steht. Wenn man einen Schritt zurück tut und alles aus der Ferne betrachtet, merkt man manchmal, dass all die vielen kleinen Bilder gemeinsam auch ein großes Bild ergeben. Wenn du deinem Herzen einfach nur weiter folgst, dann wirst du dich am Ende des Weges auch selbst finden können.«

»Ich werde mich daran erinnern, wann immer ich wieder zu Zweifeln beginne«, sie wusste, dass es Zeit war zu gehen. Sie stand auf, neigte noch einmal tief den Kopf und schaute sich dann einmal suchend um. Sie wusste nicht genau, in welche Richtung es weiterging. Doch als sie Verdandi danach fragen wollte, da war die zweite Norne ebenso spurlos verschwunden, wie die Erste. Der Turm war dunkel und leer.

Trotzdem lächelte Mana erfreut. Sie sah ihren weiteren Weg genau vor sich. Sie schaute noch einmal in den Himmel hinauf, dann humpelte sie in die Höhle hinein.

Was würde sie in ihrer Zukunft erwarten?



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2010-11-29T18:37:19+00:00 29.11.2010 19:37
Die Ordnung der Welt. Die zwei Welten, von Drafnar und Paivi geteilt *.* Ich bin jetzt umso gespannter auf den allerersten Teil *.*
Und Verdandi macht Mana mit so schönen Worten mut, das mag ich^^
So, jetzt kommt ihre Zukunft :D
Von:  Seelentraeumerin
2010-11-20T12:42:52+00:00 20.11.2010 13:42
GUte Frage was erwartet sie in der ZukunftoO
Und auch mal schön das man mehr von der Ordung der welt erfährt^^
Ich mag das kap, also schreib schnell weiter*_*


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