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Wolfserinnerungen - Der Erste Schnee

von

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»Wir hatten immer uns.«

Lugh Akhtar sprach am nächsten Tag nicht mit Vivamus. Und auch am darauf folgendem nicht. Er genoss die Zeit zu Hause in vollen Zügen, er wollte sie nicht durch Streit trüben. Doch er musste es wohl, früher oder später. Am Tag bevor sie abreisen wollten, fasste er sich also ein Herz.

Es war Nachmittag und die Sonne hatte den Zenit schon überschritten, da beschloss er, dass es endlich an der Zeit war. So konnten sie nicht gemeinsam weiterreisen. Er suchte seinen Bruder im ganzen Haus, doch er fand ihn nicht. Er lief über den Hof und durch den Pferdestall, aber auch hier war er nicht zu finden. Letztlich stellte er sich unter den Torbogen und lauschte auf die Stille.

Da sah er in der Ferne weißes Fell aufblitzen. Er zögerte kurz, war sich nicht ganz sicher, was es war. Es konnte auch ein Schneehase sein, der schon viel zu früh sein weißes Winterfell bekommen hatte, oder ein Eiswolf, der auf seiner Suche nach einem neuen Revier, in die Zentralen Gebiete Wynters gekommen war.

Er erkannte aber, dass es Schatten war, die in ihrer Fuchsgestalt übermütig durch das hohe Gras sprang. Er zögerte kurz, dann jedoch verwandelte er sich in den weißen Wolf und lief zu ihr. Vielleicht wusste sie, wo Vivamus steckte.

Als er näher kam, erkannte er, das Schatten nicht alleine war. Vivamus saß bei ihr im Gras und lachte, während die Füchsin um ihn herum sprang. Sie schienen ihn nicht zu bemerken. Schließlich warf sich Schatten ins kühle Gras, rollte sie auf den Rücken und hechelte nur noch.

»Das dicke Fell ist bei diesen Temperaturen nicht gerade von Vorteil, nicht wahr? Warum trägst du ihn überhaupt? Für gewöhnlich legen Eisfüchse ihr weißes Fell ab, wenn es zu warm ist, dann werden sie ganz dunkel.«

»Ich weiß, aber ich mag den weißen Pelz lieber. Und ich bin zu Unsportlich«, lachte sie, während ihr Atem sich langsam beruhigte. Vivamus lächelte, doch dann schaute Schatten aus ihren roten Augen auf Lugh Akhtar. Sie schien ihn durchaus bemerkt zu haben.

»Ich denke, dein Bruder möchte jetzt mit dir sprechen, Vivax«, erklärte sie und stand auf. Leichtfüßig trottete sie durch das hohe Gras davon, während Lugh Akhtar langsam zu Vivamus ging und sich neben ihn ins Gras legte. Er verwandelte sich in einen Menschen zurück, denn sonst hätte sein Bruder ihn nicht verstanden. Auf den Rücken liegend beobachtete er die Wolken, die über den Himmel zogen. Vivamus schwieg ihn derweil an.

Schließlich seufzte er.

»Bist du wütender wegen Nea oder wegen Channa?«, fragte er leise.

»Ich bin nicht wütend.«

Der junge Zauberer seufzte abermals. Er wusste, dass das Gespräch nicht leicht werden würde und er wusste, dass er es genauso gut mit einer Wand führen könnte.

»Ich finde es auch nicht gut, das Channa mich mit so offenen Armen empfangen hat und dich eben nicht, aber ich kann da doch nichts für.«

»Nein, aber du hättest es mir sagen können«, knurrte Vivamus.

»Ich wollte dir nicht weh tun.«

Er erhielt keine Antwort. Er erwartete auch keine. Wie bei einer Wand.

»Und was Nea anbelangt… Als ich sie kennenlernte, wusste ich nicht, wer ich bin und auch nicht, wer sie ist. Als ich es wieder wusste, war sie schon längst eine Vertraute, eine so gute Freundin, dass sie sie nicht mehr missen mochte. Und als ich schließlich selbst endlich verstand, wie wichtig sie mir wirklich war, da war schon alles zu spät. Kannst du das verstehen?«

»Nein und darum geht es auch nicht. Nimm es dir ruhig, nimm dir alles, was du willst, nimm mir, was mir wichtig war, das ist alles so okay.«

»Nein Vivamus, das ist es nicht. Das weiß ich, aber ich kann es jetzt nicht mehr ändern. Was soll ich den deiner Meinung nach tun? Sie sitzen lassen, nachdem ich so lange um sie gekämpft habe?«

»Darum geht es hier doch gar nicht, Fjodor. Ich habe sowieso keine Chance, wenn sie dich will, dann ist gleich, was ich sage oder tue, dann wird sie mich sowieso immer zurückweisen. Ich bin nicht so verblendet, um das nicht zu sehen. Außerdem habe ich Rena. Und meine Tochter. Und auch um Channa geht es hier nicht. Sie und Kanoa hatten dich immer schon viel, viel lieber als mich, auch wenn du es nie sehen wolltest.«

»Geht es dann… darum das ich besser bin? Das sie mich eher respektieren? Das du immer für mich da sein musstest und deswegen selbst so vieles nicht tun konntest? Ja, das alles habe ich durchaus bemerkt. Sag es mir, worum geht es?«

»Um nichts dieser Dinge. Das ist alles… egal. Es ist mir gleich, es gibt etwas viel, viel wichtigeres, aber das dagegen siehst du nicht.«

Lugh Akhtar setzte sich auf, schüttelte entschieden den Kopf und starrte eine Weile vor sich hin ins Gras. Er meinte, jede Möglichkeit in Betracht gezogen zu haben, doch scheinbar war dem nicht so. Warum blieb Vivamus überhaupt so ruhig und distanziert? Wieso konnte er nicht einfach einmal all seinen Unmut in die Welt hinaus rufen?

»Ich weiß es nicht. Ich dachte, das es eines dieser Dinge wäre, die die Distanz zwischen uns schafft.«

»Nein. Die schaffst nur du allein.«

»Aber wie, womit?« Er schaute seinen Bruder hilfesuchend und flehend an.

Vivamus antwortete nicht, stattdessen stand er schließlich auf und deutete seinem Bruder, dass er mitkommen sollte. Lugh Akhtar beeilte sich, fragte sich, was Vivamus ihm zeigen würde, doch er zeigte ihm gar nichts.

»Warum bist du hierher gezogen? Du hast doch in Forea gearbeitet, warum bist du nicht dort geblieben? Oder ins Schloss von Irian gezogen?«

»Weil es dazu keinen Grund gibt. Die Städte sterben, die Dörfer nicht. Außerdem hatte ich lange genug Mauer um mich herum. Ich habe nie verstanden, wie du so aufwachsen konntest, wie ich und dann Altena nicht als Gefängnis angesehen hast.«

»Manchmal muss man die Flügel eben gegen etwas anderes tauschen. Hier kannst du fliegen, aber manchmal ist es besser, wenn einem die Flügel gestutzt werden, bevor man sich selbst verletzt. In Altena kann man nicht fliegen, deswegen tut es nicht so weh, dass man den Himmel nie wieder erobern wird. Dein Platz war schon immer hier, meiner ist es nie gewesen. Aber davon spreche ich nicht. Du hättest auch außerhalb der Mauern leben können, aber du bist hierher gekommen. Und ich kenne dich, du tust nichts ohne Grund. Wieso?«

Lugh Akhtar lächelte und seine Augen leuchteten sanft. Natürlich hatte sein Bruder recht, doch er hatte es nicht einmal Nea verraten. Und er wusste auch, dass er nichts sagen musste.

»Können wir wieder über das eigentliche Thema sprechen? Wir wissen beide, dass du den Grund kennst. Manche Dinge vergisst man einfach nicht.«

»Aber das hat mit dem Thema zu tun. Fjodor, egal was auch immer passiert ist, wir hatten immer uns. Du und ich gegen den Rest der Welt. Egal was auch geschehen würde, wir würden immer zueinander halten und nichts würde uns jemals auseinander bringen. Oder, um es mit Papas Worten zu sagen: Gemeinsam bis ans Ende der Welt. Das haben wir uns als Kinder geschworen. Egal, wohin uns unsere Wege führen würden, uns sollte nie etwas auseinander bringen. Was ist daraus geworden?«

Jetzt verstand Lugh Akhtar, was Vivamus so wütend machte. Er schwieg, schlenderte nur nachdenklich neben seinem Bruder her.

»Nimm dir Nea, nimm dir unsere Mutter, nimm dir, was immer du willst. Aber nimm mir nicht deine Ehrlichkeit, dein Vertrauen, dich. Wenn du mir das nimmst, dann bleibt mir nichts mehr.«

»Ich will dir nichts nehmen, Vivamus. Ich will nicht, das du das Gefühl hättest, ich hätte dir etwas weggenommen« , flüsterte der junge Zauberer.

»Man nimmt immer von anderen irgendetwas. Wichtig ist nur, wie viel man dafür zurückgibt. Weißt du, es tut weh, wenn man vom eigenen Bruder gesagt bekommt, das die Mutter ihn will und einen selbst nicht, aber es tut noch viel mehr weh, wenn man es von einem Fremden erfahren muss. Es tut auch weh, zu erfahren, das die Frau, die man liebte, die einzige Frau, die jemals solche Gefühle in einem wecken konnte, lieber den Bruder möchte, aber auch so etwas hätte ich gerne früher erfahren. Fjodor, ich fühl mich von dir verraten.«

»Kein theatralisches Gehabe, als wir uns trafen, sondern bitterer Ernst verpackt in ein Lachen. Bitte entschuldige, ich weiß, ich hätte früher zu dir kommen sollen.«

»Wieso bist du es denn nicht?«

»Weil du wegen mir schon so oft zurückstecken musstest. Ich finde, dass es an der Zeit ist, dass ich auf eigenen Beinen stehe, meine Probleme alleine löse. Ich kann nicht immer dich vorschicken.«

»Aber ich kann trotzdem an deiner Seite sein, wenn es nötig ist. Wie gesagt, Familie sind nicht nur Frau und Kind. Und du bist mehr meine Familie, als unsere Eltern und Rena zusammen.«

Darauf schwieg Lugh Akhtar. Er verstand Vivamus. Wann immer es nötig war, war er an seiner Seite gewesen. Wenn sie niemand anderen gehabt hatten, sie hatten immer einander.

Er dachte an ihre gemeinsame Kindheit. Wie sie im Sommer draußen über die Felder gelaufen waren und wie sie im Winter gemeinsam am Feuer gesessen und den Geschichten von Kanoa zugehört hatten.

Und auch, wie sie in Altena die Nachmittage damit verbracht hatten, durch die Straßen zu laufen, wie sie sich um ihre Lernstunden gedrückt hatten, schließlich doch gemeinsam lernten und abends über ihren Büchern eingeschlafen waren.

»Seit wann nennst du mich eigentlich nicht mehr Fin?«, fragte er irgendwann.

»Seitdem du nicht mehr mein kleiner Fin bist. Seitdem du erwachsen geworden bist. Seitdem du mich nicht mehr brauchst«, antwortete Vivamus.

»Ich brauche dich. Vielleicht nicht immer, aber oft genug. Du gibst mir Mut, wenn du an meiner Seite bist.«

»Und du wirst mir gerade zu sentimental.« Vivamus wirkte peinlich berührt. Ein roter Schimmer zierte seine Wangen und er schaute zu Boden.

»Du hast damit angefangen«, protestierte Lugh Akhtar lachend.

»Ja, schon gut. Was tun wir jetzt?«

»Das musst du mir sagen. Ich weiß nicht, ob du noch immer wütend auf mich bist, wenn du es mir nicht sagst.«

»Ich bin nicht wütend, Fin. War ich nie. Ich bin enttäuscht, das ist etwas anderes. Aber manchmal hilft es, wenn man Dinge einfach einmal ausspricht. Und das hat es«, antwortete er.

»Also ist wieder alles gut zwischen uns?«

»Ja. Natürlich. Du bist mein Bruder, der einzige Verwandte von mir, der nicht die Nase rümpft, wenn er mich sieht. Wie könnte ich dir da böse sein?«

»Deine Tochter rümpft die Nase wenn sie dich sieht?«, fragte der junge Zauberer und lächelte.

»Ja. Ich weiß auch nicht, wieso sie das macht«, grinste Vivamus, schüttelte dann sacht den Kopf. »Morgen geht es ins Reich des Winters. Ist es dort sehr kalt? Dann brauch ich nämlich dickere Kleidung.«

»Nein, keine sorge. Du brauchst bloß deinen Tierpelz«, lächelte der junge Zauberer.

»Tierpelz…?«, erstaunt blinzelte der junge Mann.

»Ja. Hinter der Mauer reist man am besten in Tiergestalt. Meine hast du eben schon gesehen. Nanook und Kenai werden auch zu Wölfen und Schatten ist ein Fuchs.«

»Und ich?«

»Das weiß ich nicht. Man kann sich niemals sicher sein, was bei der ersten Verwandlung herauskommt. Man kann sich auch nie sicher sein, ob sie funktioniert, aber wem erzähl ich das. Das weißt du selbst zu genüge«, meinte der junge Zauberer und griff in Vivamus Haar.

Es war schon lange nicht mehr dunkelbraun, wie in der Kindheit der beiden Brüder, sondern es war so bunt sie das Licht im Turm der Zauberer in Altena. Das was Lugh Akhtars verdienst. Er hatte zeigen wollen, wie gut er war, doch er hatte es nicht mehr rückgängig machen können. Und einen Zauber, der so mächtig war, das er ihn nicht mehr bannen konnte, hatte er bloß ein einziges weiteres Mal vorgefunden.

»Hast du die Haare von Navarres Kaiser eigentlich auch auf dem Gewissen?«, erkundigte sich Vivamus.

»Nein, das war Neas Bruder, Hope. Und bei ihm war es ein Versehen. Stört es dich nicht, das man dich anstarrt deswegen?«

»Stört es dich, das sie dich wegen deiner Augen anstarren?«

»Augen sind unauffälliger. Ich kann den Blick senken, dann erkennt man es kaum noch. Wenn du dagegen eine Kapuze trägst, dann wirkst du nur noch auffälliger.«

»Stimmt auffallend. Rena kennt sich gut mit Pflanzen aus, ich färbe sie mir. Wenn es nötig ist, sonst ist es mir zu aufwendig.«

»Sollte ich vielleicht auch einmal Ice vorschlagen. Was hast du eigentlich vorhin mit Schatten gemacht? Ihr beide wirkt so vertraut in letzter Zeit…«

»Weil ich das Gefühl habe, sie auch zu kennen… irgendwie. Ich mag sie, sie ist… irgendwie anders.«

»Bin ich etwa der Einzige, der nicht versteht, warum man sie doch mögen sollte? Ich tue es nach wie vor nicht.«

»Man muss nicht jeden mögen, Fjodor. Und vielleicht änderst du deine Meinung auch noch. Manchmal dauert es eben, bis man jemanden mag. Oder man tut es nie, aber auch das ist nicht schlimm. Es reicht, wenn du sie akzeptierst.«

Lugh Akhtar nickte nachdenklich, blieb dann stehen und schaute zurück.

»Wir sollten umdrehen, bald ist Zeit für das Abendessen«, meinte er.

»Stimmt«, nickte Vivamus. Dann grinste er. »Willst du nicht schon jetzt herausfinden, was für ein Tier ich werde?«

Lugh Akhtar lächelte. Er nickte und konzentrierte sich. Hier, wo die Magie war, mit der er schon seit Jahren tagtäglich zu tun hatte, fiel es ihm seltsam leicht, sodass sich Vivamus Gestalt bald schon veränderte.

Der junge Zauberer war nicht einmal wirklich erstaunt, als sein Bruder schließlich in Wolfsgestalt vor ihm stand. Vivamus hatte ein dunkelgraues Fell mit weißen Abzeichen, dazu eine Mähne, die so bunt war, wie sein Haar in der Menschengestalt. Dazu war auch der Schwanz bunt gefärbt.

Er verwandelte sich selbst in einen Wolf und trabte langsam los. Vivamus folgte unsicher.

»Wolf also«, lachte der.

»Ja. Es gibt viele Wölfe in meiner Umgebung«, erklärte der junge Zauberer über die Schulter. Da fegte Vivamus an ihm vorbei und sprang gut gelaunt durchs hohe Gras.

»Wettrennen!«, rief er dem weißen Wolf noch zu.

Der lachte laut auf und rannte los. Befreit von einer schweren Last, bereit, den nächsten Abschnitt seiner Reise anzutreten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2011-06-29T20:03:14+00:00 29.06.2011 22:03
Ja, jetzt kann ich Vivamus Verhalten oder wie auch immer man es nennen mag verstehen :/ Hauptsache sie haben sich wieder zusammen gerauft :D
Von:  Seelentraeumerin
2011-06-13T10:31:45+00:00 13.06.2011 12:31
frag mich ncihtwieso irgendwiehab cih jetzt Ice mit kunterbunten Haaren im KOpf>-<

naja egal irgendwie kann cih vivamus verstehen warum er so enttäuscht war oo
aber jetzts cheint ja wieder alles ok zu sien :3


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