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Wintermond

von

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Die Geschichte der Schimmersplitter

»Und das hier ist dann euer Gemeinschaftsraum.« Ikaika deutete einmal durch den gemütlichen Raum. Er war nicht groß, aber mit zwei großen Sofas, einem offenen Kamin und anderen gemütlichen Sitzgelegenheiten, konnte man sich hier sofort Wohlfühlen.

»Wozu der Kamin? Ich dachte, hier wär’ immer Sommer«, erkundigte sich Kanoa.

»Ja, das habe ich mich auch schon gefragt. Zumal es auch keine Schornsteine gibt. Ich denke, es soll einfach nur gemütlich aussehen, ist aber eigentlich auch egal. Ein Ort fehlt hier im Turm noch. Wollen wir hingehen oder willst du den Turm erst einmal selbst erkunden?«, fragte der junge Mann.

»Lass uns ruhig alles ansehen, ich habe die nächsten Tage noch Zeit und Gelegenheit genug. Dann weiß ich zumindest, das ich dort nichts verloren habe und Nikolai und du bekommt nicht wieder meinetwegen ärger, wenn es ein Tabu-Ort ist.«

»Oh, da weißt du schon, dass du dort nicht hindarfst, du warst schließlich schon einmal dort. Es fehlt jetzt nur noch das Dach.«

Kanoa zögerte kurz, doch Ikaika hatte bisher in den verschiedenen Räumen einiges Interessantes zu berichten gehabt und er wollte wissen, was er hier zu berichten hatte. So nickte er schließlich.

»Lass uns gehen.«

Ikaika grinste kurz, dann liefen sie los. Der junge Mann führte den Jungen zielgerichtet zu dem großen Raum, der dem Dach vorausging.

»Was weißt du über die Eidsprechung?«, fragte er und blieb an der Treppe stehen.

»Nur, das sie am Tag vor der Sonnenwende stattfindet und das wir dieses Jahr dreizehn sind«, antwortete ihm Kanoa.

»Das ist nicht viel, aber das macht nichts. Ich erzähle dir einfach mal ein bisschen was. Es stimmt, die Eidsprechung findet immer am Tag vor der Sonnenwende statt. Das liegt daran, dass die Völker des Kontinentes an vier gottähnliche Wesen glauben. Sie bestimmen die Geschicke der Welt und ihre Herrschaftsdauer ist immer von einer Sonnenwende zur nächsten. Am Tag vor der Sonnenwende sind sie als so Schwach, wie zu keiner anderen Zeit im Jahr. Sie geben ihre Pflichten weiter und ruhen dann für neun Monate. Bei der Eidsprechung wird unter anderem auch von den Göttern wohlwollen erbeten, allerdings will man vermeiden, das die Schüler sofort unter ihrem strengen Blick stehen. So nimmt man also ein Datum, das am ende ihrer Herrschaft steht.« Während Ikaika sprach, traten sie die Treppe hinauf.

»Ja, von den Göttern hörte ich schon, aber meine Eltern glauben, dass es Unsinn ist«, antwortete Kanoa.

»In Forea und Irians ist der Glaube auch nicht weit verbreitet, dafür gibt es andere Dinge. Hier und im Süden ist es aber sehr weit verbreitet, deswegen lebt man ihn hier auch so.«

»Und was passiert bei der Eidsprechung?«, wollte Kanoa wissen.

»Eigentlich gar nicht viel. Der Gildenmeister eröffnet sie, immer zum Sonnenuntergang. Er richtet Worte an die Meister, das die nächste Generation zu Formen nun in ihren Händen läge und so. Dann kommen die Meister und Schüler vor. Nacheinander kommt ein Meister und ein Schüler in der Mitte zusammen, so.« Ikaika stellte Kanoa in die Mitte und stellte sich ihm gegenüber. »Dann spricht der Meister einen Eid, den der Schüler leisten muss. Wenn der Meister zufrieden ist, darf der Schüler einen Umhang ablegen, um seinen Schülernamen zu erhalten. Anschließend darf er sich die Glückwünsche von Freunden von Familie abholen. Danach wird die ganze Nacht gefeiert.«

Kanoa schwieg einen Moment lang.

»Was ist ein Schülername?«, fragte er schließlich.

Ikaika antwortete nicht gleich. Er wirkte nachdenklich. Schließlich jedoch begann er zu erklären.

»Das ist tiefe Magie, die mächtigste Waffe, die du besitzen kannst. Du weißt, das wir beim Zaubern nicht sprechen?«

Kanoa nickte: »Ja, aber ich weiß nicht, wieso.«

»Zum einen bräuchtest du erst einmal die richtigen Worte, die haben wir aber nicht, aus gutem Grund. Weißt du, Worte sind mächtig. Wenn wir dem, vor dem wir uns fürchten, einen Namen geben, erscheint es uns nicht mehr so Furcht einflößend, wusstest du das? Worte, besonders Namen, können sehr, sehr mächtig sein. Und wenn wir unseren Schülernamen bekommen, dann ist das kein einfaches Wort. Dieses eine Wort, dieser eine Name fängt unser tiefstes, innerstes Wesen. Wenn jemand deinen Schülernamen ausspricht, wenn er ihn nutzt und seine Magie erweckt, dann hast du keinen freien Willen mehr. Es… ist schwierig zu beschreiben. Es macht etwas mit dir, gegen das du dich nicht wehren kannst. Das ist gut, denn wenn du Magie nutzt, die du nicht beherrschen kannst, kann dein Meister sie unschädlich machen. Es kann dir aber auch sehr schnell zum Verhängnis werden, wenn ihn jemand kennt, der dir böses will, deswegen darfst du ihn auch niemanden verraten, außer du vertraust ihm mehr als dir selbst.«

»Wenn man jemanden seinen Namen verrät, ist das also so etwas wie ein Bruderkuss?«

Ikaika zögerte, lächelte.

»Nein. Es ist anders. Demjenigen, den du den Bruderkuss gibst, dem gibst du dein Sein vollkommen freiwillig, derjenige, der aber deinen Schülernamen kennt, der kann dich kontrollieren, ohne dass du es willst. Aber doch, es ist ähnlich.«

»Kann man den Schülernamen einer anderen Person erraten?«, Kanoa wanderte nachdenklich über das Dach. Als Ikaika nicht antwortete, wandte er sich zu seinem Paten um.

Scheinbar hatte er einen empfindlichen Nerv getroffen. Ikaika starrte still vor sich hin, scheinbar mit seinen Gedanken weit, weit fort. Kanoa fragte sich, woran er wohl dachte, als der junge Mann schließlich traurig blinzelnd den Kopf schüttelte.

»Ja. Man kann den Schülernamen einer anderen Person erraten, aber versuche es nie, nie, niemals. Es kommt immer schlechtes dabei heraus«, antwortete er schließlich und lächelte traurig.

Kanoa ging nicht weiter darauf ein. Er wollte nicht das Messer in der Wunde umdrehen, indem er Ikaika weiter damit quälte, stattdessen trat er ganz nah an den Rand heran und blickte hinab.

»Wie kommt es, dass es hier oben so kalt ist, obwohl es sonst überall in Altena so warm ist? Wirkt hier oben die Magie nicht?«

»Hier oben ist Niemandsland. Hier endet das Herrschaftsgebiet des Gildenmeisters. Hier oben regiert nur der Wind und der entscheidet selber, ob er warm oder kalt sein will«, antwortete Ikaika. Als Kanoa zu ihm blickte erschien es ihm, als sähe Ikaika im Wind viel mehr als er.

Für eine ganze Weile standen sie einfach nur still da. Es war, als hätte die Welt aufgehört, sich zu drehen. Still und starr lauschten sie dem Flüstern des Windes.

Und dann war der Moment vorbei.

»Gut, jetzt kennst du auch das Dach und weißt in etwa, was dich bei deiner Eidsprechung erwarten wird. Möchtest du noch etwas sehen oder wissen?«, wollte Ikaika wissen.

»Ja«, nickte Kanoa ohne zu zögern. »Das Licht in der Eingangshalle. Was ist das?«

Da lächelte der junge Mann wieder schelmisch und seine eisblauen Augen blitzten.

»Du kennst doch garantiert die Geschichte, wie die Wölfe das Nordlicht erschaffen haben, oder?«, fragte er und deutete mit einem Kopfnicken, das sie wieder runtergehen sollten.

Kanoa antwortete nicht. Ein dicker Kloß schnürte ihm die Kehle zu. Das war immer Fjodors Lieblingsgeschichte gewesen, sein Bruder hatte es so sehr geliebt, wenn Kanoa mit ein wenig Magie die Lichter in ihr Zimmer geholt hatte. Daran musste er jetzt denken.

»Na gut, macht nichts, dann erzähle ich sie dir eben. So, wie man sie sich in Forea erzählt«, sprach Ikaika munter weiter als er begriff, das er keine Antwort bekommen würde. »Die Geschichte handelt von den Eiswölfen und dem Winter. Lange, bevor die Menschen den Norden mit ihren Dörfern und Feldern bevölkerten, da lebten dort nur die Eiswölfe, die Wilden Nordmenschen und die anderen Geschöpfe des Nordens. Sie lebten in Ruhe und Frieden, das Einzige was ihnen gefährlich wurde, das waren Kälte und Hunger.

Doch einer der Eiswölfe war anders. Er war genauso weiß wie Schnee, wie seine Gefährten, doch seine Ohren waren schwarz wie die Nacht und seine Augen leuchteten wie der Mond. Deswegen nannten ihn die Einheimischen Lugh. Licht. Dieser Wolf war anders als seine Artgenossen.

Er war zahm und er jagte bei Tag genauso gut, wie in der Nacht und Mensch und Tier fürchtete ihn gleichermaßen, denn er war schnell wie ein Fuchs und stark wie ein Pferd. Die Menschen verehrten ihn wie einen Gott und eines Tages bat ihn eine junge Frau darum, den Menschen zu helfen. In den langen Polarwintern konnten sie kaum jagen, denn sie sahen die Hand vor Augen nicht und vielleicht konnte er ihnen helfen.

Lugh hatte auch eine Idee, doch er besaß nicht die Macht, sie umzusetzen. Er überlegte, dass man einen Lichternebel in den Himmel malen könnte, das ihnen den Weg wies.

Das hörte der der Winter und sie war so fasziniert von der Idee, dass sie zu ihnen kam. Sie forderte Lugh auf, seine Idee der Lichternebel umzusetzen, sie würde ihm helfen. Da begann der Eiswolf zu heulen. Es war das erste Mal, das ein Wolf heulte und da es eine kalte Nacht war, gefror sein Atem in der Luft.

Doch es wurde nicht der leuchtende Nebel, sondern es gefror ganz und gar und fiel in splittern auf die Erde zurück. Doch Winter und das Menschenmädchen ließen nicht locker, sie feuerten ihn an und als der Boden um sie herum schon von Milliarden Schimmersplittern bedeckt war, sodass kaum noch Schnee zu sehen war, da gelang es Lugh. Sein leuchtender Atem stieg in den Himmel auf und blieb dort, leuchtete in allen Farben und erhellte die ewig währende Nacht. Winter versprach ihnen, dass das so bleiben würde und ging. Das Menschenmädchen bedankte sich bei Lugh und ging ebenfalls.

Sie und der Wolf wurden bald darauf gute Freunde und als das Mädchen älter wurde und nach Süden ziehen sollte, da bat sie Lugh darum, einen der Schimmersplitter mit sich nehmen zu dürfen. Der Wolf gestattete es ihr und mehr noch. Er wollte, dass jeder Nordmann, den es in den Süden verschlug, einen der Splitter mit sich nahm, auf das er niemals seine Heimat vergessen möge.

Dieses Ritual wurde beibehalten, auch nachdem der Wolf Lugh schon lange nicht mehr lebte und seine Geschichte nur noch eine Legende war. Wer in den Süden ging, nahm einen Splitter mit sich, bis er wieder nach Hause zurückkehrte.

Doch so mancher verstarb im Süden, fernab der Heimat und auch hier verweilten ihre Splitter. Ein kluger Zauberer, sein Name ist schon lange vergangen, fand, man müsste den heimatlosen Splittern ein Heim bauen und fing an, sie zu einem Glas zusammen zu fügen. Als auch der letzte Splitter dann endgültig im Süden blieb, da war auch seine Scheibe vollendet und sie wurde in den Turm von Altena eingelassen um den Nordmannen zu zeigen, das sie hier ebenso willkommen waren. Seitdem leben hier Nordmannen ebenso, wie Zauberer aus allen anderen Ländern.«

Kanoa schwieg. In Irian wurde die Geschichte etwas anders erzählt, aber es war verkennbar dieselbe Geschichte. Sie hätte Fjodor gewisse gut gefallen.

Mittlerweile waren sie unten im Turm angekommen. Die Sonne stand tief, das Licht funkelte magisch um sie herum. Kanoa betrachtete es verträumt, bis sich die Tür öffnete und Kunal und ein fremder Mann eintraten. Kunal sagte leise etwas zu dem Mann, dann kamen sie die Treppe hoch.

»Wir sehen uns nachher, Duster«, verabschiedete sie sich, lächelte Kanoa noch zu, ging dann weiter ins Innere des Turms.

»Ikaika, wir erwarten zur Sonnenwende besuch. Der Imperator von Lanta und sein Sohn werden sich mit den Hochmagiern treffen, ich erwarte, dass du dich anständig benehmen wirst. Hast du mich verstanden?«, fragte der Fremde, Duster, mit tiefer Stimme.

Sofort schaute Kanoa seinen Paten an und der wirkte, als hätte man ihm gesagt, das man das komplette nächste Jahr nur Brot und Wasser zu essen bekommen würde. Begeisterung sah eindeutig anders aus.

»Muss ich dabei sein?«, erkundigte er betteln, fast flehend.

»Ja. Wir sind ausdrücklich eingeladen worden, vom König persönlich. Aber nimm es leicht, dein kleiner Freund hier wird auch dabei sein, denn auch Kunal und Nikolai sind eingeladen«, antwortete Duster leichthin, nickte noch einmal und folgte dann Kunal.

Sogleich war Ikaika nicht mehr wiederzuerkennen. Es schien in ihm zu Brodeln vor Wut und Hass, von seiner guten Laune, die er sonst immer an den Tag legte, war nichts mehr zu spüren.

»Das war’s, Ende der Führung, ich habe zu tun«, fauchte er Kanoa wütend an und stapfte die Treppe hinab, als sich die Tür ein weiteres Mal öffnete. Ein junger Mann mit schwarzem Haar und goldgelben Augen trat ein. Als er hochschaute und Ikaika erblickte, da wollte er sofort umgehen. Er schloss die Tür nicht, sondern öffnete sie erneut, doch Ikaika war mit zwei Schritten bei ihm und drückte die Tür ins Schloss, bevor er hinaus konnte.

»Wen haben wir denn da? Du kommst mir gerade recht«, knurrte er schlecht gelaunt.

Sein Gegenüber wich von der Tür in die Mitte des Raumes zurück.

»Lass mich in Ruhe, Ikaika«, fauchte er, dabei zitterte jedoch seine Stimme ein kleines bisschen, kaum hörbar.

»Och, hat der arme kleine Noak angst vor dem großen, bösen Wolf?«, säuselte Ikaika, dem das keineswegs entgangen war. Er ging auf den Jungen zu und grinste dabei böse. Der wiederum spannte sich an, um sich zu wehren, doch soweit wollte Kanoa es nicht kommen lassen.

»Ikaika, hattest du nicht etwas Dringendes zu tun? Dann solltest du das vielleicht auch machen«, fand er laut.

Sein Pate blickte zu ihm hoch, er schien vergessen zu haben, das Kanoa da war. Aus blauen Augen blickte er ihn kalt an, hinter seiner Stirn arbeitete es sichtlich. Schließlich wandte er sich mit einem Zähnefletschen an Noak.

»Glück gehabt. Er hat nämlich recht, ich habe besseres zu tun, als mich mit dir gewürm zu beschäftigen.«

Dann ging er und Kanoa musste seine Einschätzung von Ikaika gewaltig korrigieren. Er beobachtete, wie Noak die Treppe hinaufkam und ihn geringschätzig Musterte.

»Glaube nicht, dass ich dir dankbar bin. Ich wäre auch allein mit ihm fertig geworden«, knurrte er und ging.

Kanoa blieb allein und fragte sich, ob ihm jemals irgendwer erzählen würde, was es mit der ganzen Sache auf sich hatte. Was die ganzen Geheimnisse waren, die Ikaika zu hüten schien. Es wurden immer mehr.

 

Manche Menschen sind, wie sie eben sind. Man kann sie mögen, man kann sie hassen oder sie sind einem egal. Es gibt nur schwarz und weiß, niemals grau. Davon gibt es nur sehr, sehr wenige, aber Ikaika gehört dazu. Er ist einer der verständlichsten Menschen, die ich kennengelernt habe, er tut nie etwas Grundlos und nur selten sind seine Emotionen der Grund. Er ist sehr berechnend und schlau, etwas, was ich damals nicht von ihm erwartet hätte.

Aber damit bildet er auch das Gegenteil von mir, der sich einzig von seinem Gefühl leiten lässt. Dennoch kann ich ihn verstehen. Jede noch so kleine Entscheidung, denn ich habe sein Sein verstanden.

Man kann den Schülernamen anderer Leute erraten, aber nur, wenn man sie besser kennt, als sich selbst. Und wenn man ihnen mehr vertraut als sich selbst, dann kann man auch bestätigen, dass es wahr ist, ohne dass der andere es ausprobiert.

Ich weiß, dass immer der Meister den Schülernamen festlegt. Aber ich glaube, dass mein Schülername nicht von Nikolai kommt. Ich bezweifle, dass Nikolai mich jemals so gut kannte, das er in der Lage gewesen wäre, mein tiefstes Sein zu benennen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2012-05-08T16:37:38+00:00 08.05.2012 18:37
So, ersteinmal eine Frage vorraus:
Bei der Vergabe der Schülernamen sind ja auch noch andere dabei, die doch mitbekommen welchen Namen man bekommt (zumindestens der Meister XD).
Wäre es für ih/für sie nicht eine verlockende Leichtigkeit damit die anderen zu kontrollieren? ^^ Oder hab ich da was falsch verstanden XD

Ansonsten wie immer wahnsinnig toll *______*


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