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Abweisung!

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Eine neue Chance?

Autor: littleblaze

E-Mail: little_blaze_2000@yahoo.de
 

Warnung: Shonen Ai

Disclaimer: Alle Rechte an den Charakteren und der Storyline gehören mir und die Geschichte darf nicht ohne meine vorherige Zusage auf anderen Seiten, Portalen oder Foren gepostet werden.
 

Abweisung – Part 06
 

Wir kamen nur Minuten später beim Krankenhaus an. Die Notaufnahme war gerappelt voll, aber weit und breit war keine Hektik oder Aufregung, verursacht durch einen Verkehrunfall, wahrzunehmen.

„Gerade ist ein Verkehrsunfall reingekommen“, stürzte ich zur Anmeldung vor.

„Wir haben zwei Verletzte. Fahrer ode-“

„Nein, der andere.“

„Wie lautet der Name des Mannes?“, wollte die Frau wissen.

„Ryan. Sein Name lautet Ryan Byncks.“

„Sind Sie mit dem Patienten verwandt oder waren beim Unfall beteiligt?“, sprach man ruhig von der anderen Seite der Theke und vielleicht war es gerade diese Ruhe, welche mich zum Ausflippen brachte.

„Sagen Sie mal, sind Sie blind, Sie blöde Kuh. Dies ist sein Zwillingsbruder, haben Sie keinen Augen im Kopf?“, deutete ich auf Lienn, der knapp einen Schritt hinter mir stand.

„Sir, Sie müssen wahrlich unter Schock stehen, aber dies ist noch lange kein Grund, beleidigend zu werden“, kam es wieder in diesem unbesorgten, ruhigen Ton. Am liebsten wäre ich ihr an die Gurgel gesprungen, aber mein bisschen funktionierender Verstand verriet mir, dass ich damit nur noch weniger erreicht hätte.

„Bitte füllen Sie dieses Formular aus.“

Sie legte ein Klemmbrett mit Stift vor mir auf den Tresen, drehte sich weg und flüsterte etwas einer anderen Schwester zu.

„Wo ist er?“, schrie ich ihr hinterher. „Geht es ihm gut?“

Sie kam wieder zurück.

„Bitte schreien Sie hier nicht so herum. Er wird gerade untersucht. Bitte füllen Sie jetzt das Formular aus“, schob sie dieses noch einige Zentimeter näher an mich heran.

Ich nahm mich des Klemmbrettes an. Doch schon alleine das erste Kästchen, das Hineinschreiben seines Namens, brachte meine Hand nicht fertig. Sie zitterte so heftig, dass ich es nicht einmal schaffte, einen einzigen Buchstaben auf das Papier zu bringen. Konzentrier dich… komm schon… doch vor Wut auf mich selbst landete das Klemmbrett laut schmetternd an der gegenüber liegenden Wand.

„Ich darf doch sehr bitten. Zwingen Sie mich nicht, den Sicherheitsdienst zu rufen!“, wurde die ruhige Stimme endlich aus ihrer Reserve gelockt.

„Entschuldigung“, ging ich hinüber und nahm das Klemmbrett wieder an mich. Zu meiner Entlastung war das Zittern verschwunden, und so machte ich mich daran, die Informationen einzutragen. Jedoch stoppte ich schon wieder nach einigen Worten unwissend …

„Wie ist seine Blutgruppe?“, fragte ich immer noch aufs Blatt schauend. Als ich keine Antwort bekam, schaute ich auf, neben mich.

„Lienn? Wie ist seine Blutgruppe?“

Das Entsetzen in seinen Augen nahm ich erst jetzt war. Zuvor hatte ich es wahrscheinlich wegen meines eigenen Zustands nicht mal bemerkt. Auch wurde mir erst jetzt klar, dass er seit dem Unfall kein einziges Wort gesprochen hatte, sich auf keinste Weise ausgedrückt.

„Lienn?“, legte ich das Klammbrett ab. „Komm schon“, zog ich ihn an mich. „Es wird bestimmt alles wieder gut“, verschluckte ich mich beinahe an meinen eigenen Worten und unterdrückte die aufkommende Verzweiflung. Wenigstens einer von uns musste das hier jetzt durchziehen. „Aber wir müssen das jetzt ausfüllen… danach erfahren wir bestimmt mehr…“

„Was mache ich nur, wen-“

„Dazu wird es nicht kommen, hörst du… Und jetzt, sag mir seine Blutgruppe.“

Ich ließ von ihm ab. Eigentlich hatte ich mit Tränen gerechnet oder wenigstens mit einem traurigem Ausdruck in seinem Gesicht, aber da war nichts… rein gar nichts. Er sah mich nur an als würde er zwischen hier und einer ganz anderen Welt gefangen sein.

„A… A positiv“, sprach er dennoch. „Genau wie ich“, fügte er noch hinzu.

Ich übertrug das neue Wissen aufs Blatt. Fragen zu Vorkrankheiten, Drogen, Aids und der idiotischen Frage, ob er homosexuell war, ignorierte ich einfach.

„Hat er Allergien?“

„Nein.“

Als Adresse gab ich einfach meine eigene an, wer im Notfall zu unterrichten war, ebenfalls mich und bei der Art der Versicherung notierte ich meine Kreditkartendaten. Fertig, zog ich Lienn mit mir zum Tresen.

„Vielen Dank“, nahm man die Daten entgegen.

„Können Sie uns schon Näheres sagen?“

„Das ist eigentlich Aufgabe des Doktors. Aber… es besteht keine Lebensgefahr zu diesem Zeitpunkt und-“

„Was meinen Sie damit, zu diesem Zeitpunkt?“, erhöhte die Furcht meine Stimmlage.

„Tut mir leid, aber ich kann nun einmal nur Informationen mitteilen, die mir bewusst sind… Er wurde in der Notaufnahme erstversorgt und stabilisiert und geht gleich in die erste Etage zum Röntgen und zur Computertomographie ho-“

„Können wir zu ihm?“, schnitt ich ihr ins Wort.

„Erst wenn die Untersuchungen abgeschlossen sind. Aber Sie können gerne im Warteraum in der ersten Etage warten, in die Notaufnahme kommt er eh nicht mehr runter. Ich werde oben bescheid sagen, dass Sie kommen.“
 

Im Warteraum in der ersten Etage wurden die Lücken, welche durch die Ruhe des Raumes entstanden waren, wieder mit anderen Gedanken gespeist.

Der Unfall, immer wieder sah ich ihn vor mir. Wie das Motorrad auf ihn zuraste, er es im letzten Moment sah und versuchte ihm auszuweichen, indem er sich bückte… Warum war er nicht zur Seite gesprungen? Es wäre so einfach gewesen.

Der Fahrer hatte keine Zeit oder Möglichkeit gehabt dem auszuweichen, knallte genau auf den gebückten Körper. Durch den Aufprall wurde die Maschine führerlos, fiel zu Boden, doch das angetriebene Hinterrad drehte sich seitwärts und streifte an der sich bietenden Haut entlang. Bilder… nie wieder werden sie verschwinden… die Knochen… sie ragten aus seinem Bein hinaus. Blut, verschmiert mit den Resten der zuvor vorhandenen Kleidung. Doch das Allerschlimmste war, dass er sich nicht mehr bewegte, einfach nur dalag… still!

Warum war er nur weggerannt? War das alles meine Schuld? Er hatte Lienn gesehen und sich nicht bewegt, ihn nur entgeistert angesehen. Erst als ich dazu kam, rannte er weg. Hätte ich nur Sekunden länger gezögert, wäre das Motorrad an dem Gebäude vorbeigefahren, ohne das irgendetwas passiert wäre…

Fragen über Fragen, Vorwürfe, Schuldzuweisungen… endlose Grübelei, welche erst endete, als zweieinhalb quälende Stunden später ein Arzt auftauchte.

„Sind Sie die Angehörigen von Mr. Byncks?“

„Ja.“

„Das Beste natürlich zuerst: Mr. Byncks schwebt nicht in Lebensgefahr, ist schon wieder zu sich gekommen und auch ansprechbar.“

Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, ich hätte anfangen können zu weinen.

„Im Unterschenkel des linken Beines haben wir eine komplizierte offene Fraktur mit geringer Weichteilbeschädigung. Außerdem im Oberschenkel desselben Beines eine weitere geschlossene Fraktur. Eine gebrochene Rippe auf der linken Seite, sowie mehrere großflächige, tiefer liegende Hautabschürfungen auf der gesamten linken Körperhälfte und eine Gehirnerschütterung. Im Großen und Ganzen hatte er eine menge Glück.

„Und… was bedeutete das jetzt alles?“

Mit dem linken Bein gehen wir heute noch in den OP. Wir werden im oberen Bereich mit Schrauben und einer kleineren Platte arbeiten, da wir wegen dem Unterschenkel auf einen Gipsverband verzichten müssen. Am Unterschenkel werden wir mit einer Interfragmentären Kompression mit Zugschrauben und einen äußeren Spanner vorgehen, um das Bein auf lange Sicht wieder voll funktionstüchtig zu kriegen.“

Wieder funktionstüchtig zu kriegen? Was sollte das bedeutet? Konnte er nicht laufen, könnte es sein, dass er an den Rollstuhl gefesselt sein würde?

„Was uns allerdings noch ein wenig Sorgen bereitet“, fuhr er fort. „…ist ein kleines Blutgerinsel. Wir konnten die Quelle noch nicht ausfindig machen aber zum Glück scheint es sich nicht zu vergrößern. Wir werden es genau beobachten, haben aber gute Hoffnung, dass es sich von alleine wieder auflöst. Sollte es sich allerdings verschlimmern, werden wir auch hier operativ vorgehen müssen. Wenn Sie noch irgendwelche Fragen haben, wird sich Schwester Horris gerne um Sie kümmern. Ich muss jetzt zum Patienten in den OP.“

Und damit verließ uns der mächtige Mann in weiß.

„Kann ich Ihnen noch irgendwie helfen?“

Die Schwester trat an uns heran.

„Wann können wir zu ihm?“, versuchte ich alle anderen Gedanken zu verdrängen.

„Die Operation wird bestimmt einige Stunden dauern und darüber hinaus sind die Besuchzeiten für heute schon vorüber. Es ist das Beste, wenn Sie nach Hause gehen würden und sich etwas ausruhen. Morgen zwischen acht und sechs können sie jederzeit wiederkommen.“

„Aber-“

„Glauben Sie mir“, legte sich ihre Hand auf meinen Arm. „Es ist wirklich besser, wenn Sie nach Hause gehen und sich ausruhen würden.“

Sie lächelte, und als sie sich wegdrehte, hielt ich sie auf.

„Bitte…“, zog ich eine Visitenkarte von mir hervor. „Wenn irgendetwas ist, irgendetwas… rufen Sie mich bitte an.“

„Versprochen“, nahm sie die Karte entgegen.

„Vielen Dank.“
 

Mit dem Taxi am Apartment angekommen, schlugen schon wieder die vorwerfenden Gedanken um sich. Am liebsten würde ich irgendetwas zerstören oder schreien, jedoch hielt mich die Anwesenheit von Lienn zurück.

Ich fragte mich, während wir wie angewurzelt im Wohnzimmer standen, weshalb ich nicht schneller gewesen war. Warum hatte ich ihn nicht noch wegstoßen können, wieso musste er es sein? Warum war es mir nicht erlaubt, jetzt dort zu liegen?

Apathisch folgte ich den Flur entlang, ich schaffte es nicht mehr, mich aufrecht zu halten. Ich wollte nur noch fallen, tief fallen. Mit letzter Kraft erreichte ich mein Bett und stürzte hinauf. Neben mir gab es ebenfalls eine Bewegung, während ich die Augen schloss und wenigstens kurz der Hoffnung erliegen konnte, nun einfach einzuschlafen und wenigstens bis zum nächsten Morgen alles zu vergessen. Doch nur Sekunden später brachten mich aufschluchzende Laute dazu, mich umzudrehen und die trauernde Person in meinem Bett an mich zu drücken.

Natürlich ging es mir nicht gerade gut dabei, schon allein weil ich das Gefühl hatte, nicht selber diesen Weg gehen zu können, stark zu sein, damit sich ein anderer besser fühlte. Aus anderer Sicht war es aber auch ein Zeichen, dass er endlich wieder zurück gefunden hatte, nicht mehr nur mit starrendem Blick aufwartete.

„Ich… ka… nn ihn… doch nicht auch…. noch ver… lieren“, brach seine Stimme immer wieder. „Dad, Claire und jetzt…“

„Psst“, streichelte ich ihm durchs Haar. „Du hast doch gehört… es geht ihm soweit gut“, versuchte ich auch mich selber zu beruhigen.

„Und was wenn nicht?“, löste er sich von mir und schrie urplötzlich auf. „Was wenn sich dieses Blutgerinsel vergrößert, sie nicht… was dann?“, flossen ihm die Tränen die Wangen hinunter.

„Nichts dann“, zog ich ihn wieder zurück. „Das wird niemals passieren“, presste ich ihn so feste an mich, dass mir schon selber die Knochen schmerzten. Das durfte einfach nicht passieren, ich hatte ihm noch so viel zu sagen.
 

~ * ~
 

Dass die Nacht den wahren Horror abzeichnete, brauchte ich beim Frühstück nicht zu erwähnen. Zu genau wussten wir beide, dass keiner von uns genügend Schlaf erhalten hatte. Mager fiel unser Frühstück aus, nur ein paar Cornflakes schaffte ich mir hineinzuwürgen. Zu groß war die Nervosität, ihn nach der mir endlos erschienenden Zeit wiederzusehen. Ihm gegenüberzustehen mit so vielen Fragen in mir drin und nicht zu wissen, womit ich sofort aufwarten sollte und welche besser wären, erst einmal nicht gefragt zu werden.

„Hast du deine Mom angerufen?“, versuchte ich mich abzulenken.

Ein leichtes Kopfschütteln als Antwort, den Blick gesenkt. Wenn es mir schon so schlecht ging, wie musste es ihm dann erst gehen?

„Soll ich es tun?“

„Nein…“ Er blickte auf und es fiel mir schwer, ihn anzusehen. Seine Augen waren gerötet, er sah müde, angespannt aus. Vermutlich genau wie ich selber. „Sie soll es noch nicht erfahren… es ist besser so. Sie würde es nicht schaffen, ein Krankenhaus zu betreten.“ Er stand auf. „Ich schaffen es ja kaum.“ Er stellte seine Schüssel in die Spüle und rieb sich leicht über den Bauch. „Dad… er lag mit Krebs im Krankenhaus. Endstadium als es entdeckt wurde. Zwei elfjährige Jungen und ein kleines Mädchen dazu verdammt, wochenlang im Krankenhaus bei ihrem sterbenden Vater zu verweilen, dafür zu beten, dass alles vielleicht doch noch eine gute Wendung nimmt. Mit anzusehen zu müssen, wie er Blut spuckte, wie er versuchte, um Luft zu ringen… mit jedem Tag ein wenig mehr dahinraffte. Mein Gott, wie waren kleine Kinder…“ Er spielte nervös mit seinen Fingern. Schaute sich beinahe so um, als würde er nach einem Fluchtweg Ausschau halten.

„Und dann Claire… Mutter weigerte sich das Krankenhaus ohne den Autopsiebericht zu verlassen, verlangte jegliche Art von Test. Sie konnte es nicht verstehen, wie Gott, an welchen sie so sehr glaubte, ihr noch einen geliebten Menschen nehmen konnte. Zwei Tage verbrachten wie im Krankenhaus bis sie erschöpft zusammenbrach.“

Mittlerweile war ich näher an ihn heran getreten und hatte meine Schüssel ebenfalls weggestellt.

Ich hätte Mitleid für ihn empfinden müssen, ihm etwas sagen, damit es ihm besser ging, doch ich war zu müde, zu erschöpft, erdrückt und immer noch geschockt. Dutzende von Synonymen könnte ich für meine Situation finden…

„Machen wir uns auf den Weg“, forderte ich ihn auf und er nickte.
 

Im Krankenhaus landeten wie nach einigem Hin und Her im Nordflügel, 3. Etage, Zimmer 241, doch weiter als vom Flur aus auf besagte Tür zu schauen, drangen wir nicht vor.

„Mr. Byncks wünscht niemanden zu sehen. Weder Familie, Freunde oder sonst wem“, erläuterte uns eine Schwester auf der Station. „Doch wurde mir erlaubt kurz auf seinen momentanen Gesundheitszustand einzugehen. Soll ich fortfahren?“

Innerlich kochte ich vor Wut. Was bitteschön dachte er sich bei dem Scheiß? Gut, dass er mich nicht sehen wollte… irgendwie hatte ich sogar damit gerechnet, dass dies der Fall sein würde. Aber seinen Bruder?

Lienn hatte sich weggedreht, lief einen kleinen Kreis ab und murmelte leise etwas vor sich hin.

„Ja“, wandte ich mich wieder der Schwester zu.

Sie blätterte in ihren Unterlagen und gab bereitwillig Auskunft über die Operation, welche gut verlaufen war. Sie erzählte von dem Blutgerinsel, welches sich bereits fast aufgelöst hatte, und erklärte, dass es keinerlei Sorge um den Patienten gäbe.

„Sagen Sie ihm“, sprach ich, als sie ihre Ausführungen beendet hatte. „Dass ich nicht weggehen werde.“ Ihr Blick wurde intensiver. „Ich werde hier sein, jeden Tag… Sagen Sie ihm das?“

Sie nickte.
 

Der Freitag verlief zunächst mit weiteren Selbstvorwürfen und Schuldgefühlen in jeglichen Richtungen meines Denkens und mein Blick starr auf die Tür von Zimmer 241 gerichtet.

Jedes Mal, wenn sie sich öffnete und eine Schwester oder ein Pfleger hinein oder hinaus ging, hoffte ich auf einen kleinen Blick, wollte ihn sehen und bat innerlich darum, dass jemand auf mich zukommen und mir eine Nachricht überbringen würde. Doch nichts geschah bis zum Ende der Besuchszeit.
 

Das Wochenende verlief nicht groß anders. Die mitleidenden Blicke der Schwestern ließen allerdings langsam nach und niemand fragte mehr, ob man uns behilflich sein konnte. Wir waren fester Bestandteil des Warteraums auf der Station geworden.

Die Zeit, in der wir bei mir zu Hause waren, wurde nur noch zum Schlafen, Umziehen und etwas warmes Essen genutzt, und mit den vergangenen Tagen schaltete Lienn wieder auf normal, und auch ich fühlte mich von Tag zu Tag wieder besser. Es war ein nervenaufreibendes Vorhaben. Nicht nur ein Mal hatte ich den Wunsch, vor Ungeduld alles hinzuschmeißen und zu gehen, doch etwas in mir drin sagte mir, dass ich damit alles zerstören würde. Ich würde die letzte Verbindung zu ihm abbrechen, könnte ihn endgültig verlieren. Also blieb ich.
 

Den Montag gestaltete ich mir ein wenig abwechslungsreicher, indem ich mir etwas Arbeit mit ins Krankenhaus nahm, und auch Lienn deutete an, dass er irgendwann mal wieder zurück nach Hause müsse. Ewig konnte er sich auch nicht frei nehmen.

Wir ließen Ryan Nachrichten überbringen, hofften, dass er nur ein wenig Zeit benötigte und irgendwann schon mit uns reden würde. Er sollte wissen, dass wir immer noch da waren, bei ihm sein wollten.

Eine etwas andere Abwechslung bot sich, als eine Schwester an mich heran trat und mich in die Rechnungsabteilung bat: „Es fehlen wohl noch einige Unterschriften.“

Doch Lienn hielt mich auf und wollte die Angelegenheit selber regeln.

„Unsere Mom hat es nicht fertiggebracht, Ryans Krankenversicherung zu kündigen. Die wird sich schon um die Angelegenheit kümmern“, versicherte er mir und machte sich auf den Weg in die Rechnungsabteilung.
 

Am Mittwochabend, gerade zurück aus dem Krankenhaus, eröffnete mir Lienn, dass er morgen wieder nach Hause fahren würde. Seine Mutter müsse endlich erfahren was los sei, und auch der Arbeit könne er nicht länger fernbleiben.

„Außerdem…“, fuhr er fort, „scheint dies hier ja eh nicht viel Sinn zu machen.“

Natürlich wollte ich ihm widersprechen, damit in mir drin die Hoffnung nicht erstarb. Ich wollte ihm begreiflich machen, dass er wahrscheinlich nur ein wenig Zeit brauchte, jedoch brachte ich kein Wort heraus.

Ich versprach mich zu melden, sobald sich irgendetwas ergab, dass eine Nachricht wert sei, und betrat am Donnerstagmorgen alleine das Krankenhaus. Zuvor war ich noch kurz im Büro vorbeigefahren.

Angekommen ließ ich Ryan die Mitteilung zukommen, dass Lienn wieder zurück nach Hause geflogen sei. Keine Ahnung, warum mir dies wichtig erschien… vielleicht hoffte ich auch nur, dass es nun einfacher für ihn sein würde, mir gegenüberzutreten und mich zu ihm vorzulassen.

Jedoch hoffte ich den ganzen Tag vergebens, starrte ohne erwartete Erleichterung auf Tür 241, und am Abend fühlte ich mich leer wie schon lange nicht mehr.

Es war nicht nur die Abweisung an sich oder überhaupt zu wissen, allein zu sein… dazu kam noch dieses ohnmächtige Gefühl, nichts tun zu können, was die Situation verbessern würde. Und dieses lange, vergebene Warten, das einen innerlich fertig machte… irre werden ließ. Ich weinte mich in den Schlaf.
 

~ * ~
 

Den Freitag hielt ich unglaublicher Weise ziemlich gut durch. Vielleicht hatte mir das Weinen der vergangenen Nacht dabei geholfen, wieder neue Kraft zu finden. Ich fühlte mich wenigstens wie von schweren Lastern befreit.

Meiner Mutter hatte ich ein für allemal zu Verstehen gegeben, dass ich kein Interesse an der bevorstehenden Hochzeit hatte und auch David versicherte ich, dass soweit alles in Ordnung mit mir sei. Mehr gab ich nicht preis und hielt mich ziemlich kurz.
 

Am Samstag brachte ich frische Donuts für die Schwestern der Station mit. Mittlerweile kannte man sich, erzählte voneinander und scherzte miteinander. Gegen Mittag brütete ich gerade über dem neuen Flügel eines Museums, als Nancy an mich herantrat.

„Chris?“

„Ja?“, ließ ich den Bleistift sinken.

„Er will Sie jetzt sehen“, lächelte sie mich an.

Zuerst wollte ich nachfragen, ob sie sich gerade einen schlechten Scherz mit mir erlaubte, doch in ihrem Blick konnte ich deutliche Freude erkennen.

„Wirklich?“, fragte ich dennoch nach.

Sie nickte.

„Ich…“

Ich schaute aufs Blatt, hantierte ungeschickt mit Papier und Stiften herum.

„Geben Sie her“, entnahm sie mir die Utensilien. „Ich passe schon drauf auf. Gehen Sie nur“, lächelte sie erneut und ich stand auf.

Meine Beine fühlten sich schwer an, so als würden sie Unmengen dieser Beingewichten an sich hängen haben… als wollten sie diesen Gang nicht gehen wollen. Trotzdem setzte ich Schritt für Schritt fort, eine weitere Schwester schenkte mir ebenfalls ein freundliches Lächeln, welches ich nicht schaffte zu erwidern. Angst war kein Ausdruck, eine regelrechte Panik erfasste mich.

Warum wollte er mich jetzt sehen? Was wollte er mir sagen… was sollte ich ihm sagen? Was würde ich zu sehen bekommen, wenn ich durch Tür 241 trat, was zu hören? Würde auch er mir Vorwürfe machen? Würde er mich verfluchen, weil ich es gewagt hatte, Kontakt zu seiner Familie aufzunehmen?

Ich kam vor der Tür zum Stehen, spürte einige Blicke auf meinem Rücken. Ich schluckte so hart, dass ich das Gefühl hatte, würgen zu müssen, und obwohl ich anfing zu zittern, schaffte ich es, die Türklinke zu ergreifen und sie hinunterzudrücken. Vorsichtig stieß ich die Tür auf, beließ meinen Blick gesenkt, durchschritt die Tür und ließ sie leise wieder ins Schloss fallen. Ich atmete tief ein und hob den Blick.

Zuerst nahm ich das leicht nach oben angewinkelte Bein wahr, das am unteren Teil von einem stählernen Eisengerüst umzingelt schien. Des Weiteren nur eine aufgebäumte Bettdecke und ein Kopf, welcher in Richtung Fenster schaute. Dass er mich nicht ansah, machte mich plötzlich wütend, wenigstens dies war er mir doch schuldig, oder? Immerhin war ich hier, wollte für ihn da sein.

Ich ging näher heran, mit jedem Schritt darauf gefasst, vielleicht neue Verwundungen zu erkennen. Mich davor mahnend, nicht darauf erschrocken reagieren zu wollen, kühl zu wirken und wenigstens zu erfahren, warum er mich die ganze Zeit über angelogen hatte.

Als ich das Bett erreichte, wandte er sich blitzartig um. Aus dem Schrecken heraus wollte ich zurücktreten, doch seine Hand griff nach meinem Arm. Seine Augen funkelten mich ernst und entschlossen an und seine ausgetrockneten Lippen formten auffordernde Worte:

„Du musst mich hier raus holen!“
 

Part 06 – Ende



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Kommentare zu diesem Kapitel (21)
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Von:  SemeMary
2009-02-13T12:48:30+00:00 13.02.2009 13:48
ja, hol ihn da raus, los mach schon cris!
*anfeuert*
nein im erst, sehr mitreißend deine story, gefällt mir wirklich immer besser
hab sie auch schon an meine kleine schwester [[Ruby_Alchemist]]-chan weiterempfolen (<- shonen-ai-fanatikerin)
*sfz*
leider musst du auf die nächsten komentare bis morgen warten, ich muss leider leider off
na ob ich das bis morgen aushalte
o.o
ich hoffe

*knuddels* Mary
Von:  SemeMary
2009-02-13T12:48:13+00:00 13.02.2009 13:48
ja, hol ihn da raus, los mach schon cris!
*anfeuert*
nein im erst, sehr mitreißend deine story, gefällt mir wirklich immer besser
hab sie auch schon an meine kleine schwester [[Ruby_Alchemist]]-chan weiterempfolen (<- shonen-ai-fanatikerin)
*sfz*
leider musst du auf die nächsten komentare bis morgen warten, ich muss leider leider off
na ob ich das bis morgen aushalte
o.o
ich hoffe

*knuddels* Mary
Von: abgemeldet
2009-01-02T17:50:16+00:00 02.01.2009 18:50
ups vergessen. das ganze krankenhauszeug hast du echt prima hinbekommen.
Von: abgemeldet
2009-01-02T17:48:53+00:00 02.01.2009 18:48
das war ja mal ein kapitel und das ende lässt darauf hoffen dass sie jetzt endlich wieder zueinander finden. wird ja auch langsam zeit.
ich hoffe du bist gut im neuen jahr angekommen.
Von:  Yu_B_Su
2008-12-28T15:47:22+00:00 28.12.2008 16:47
s war wieder dramatisch, dramatisch - was zu erwarten war - von einer Dramatik in die nächste ....

Alles war wieder ganz nett ... und eben sehr dramatisch ... das Timeing stimmte, kleine RGs und Ausdrücklichkeiten waren drinne, du hast alles gut geschildert ...

Was mich beeindruckt hat, war dein Fachwissen: anstatt ihm nur einen Gipsverband anzulegen, hast du eine Metallplatte und sogar einen Fixateur exterien oder so ... eingebaut und das hat der Arzt auch ärztetypisch ein wenig kompliziert erklärt. Auch die Krankenschwestern waren so wie erwartet, nur hat mich der - mit Würde umso no-go-mäßiger formulierte - Konjunktiv gestört. Die Krankenschwester sagt immer "würde..." Mit Würde werden die Sachen auch nicht besser, mal abgesehen davon, dass es die Autorität, die Krankenschwestern ggü. Angehörigen usw. haben, eher untergräbt; es passt einfach nicht. Außerdem stört mich an manchen Stellen die Umgangsprache, weil ist übertrieben ist. Besonders aufgefallen ist mir hier der Horror, mit dem Chris' die Nacht nach dem Unfall beschreibt. Das ist, dafür, dass er sonst relativ normal spricht, zu krass.

Gut fand ich, wie du die Stimmungen beschrieben hast, die routinierten Besuche, die du aber mit etwas mehr Parallelismus noch stärker hervorheben könntest, die Verzweiflung ... und im Gegensatz dazu die Ohnmacht Lienns ... echt schön geworden!

Und ein komischer, wenngleich interessanter Cliffy - umbringen scheidet wegen den restlichen Chappys aus, rausholen wäre zwar möglich, aber aufwendig und durch den Fixateur sowieso schwer möglich.

Alles in allem: ziemlich lesenswert! (bis jetzt)
Von:  _Haruka_
2008-10-24T13:42:26+00:00 24.10.2008 15:42
chris tut mir leid
Ryan du bist fieß auch wenn ich dich verstehen kann.
wirklich wieder ein ganz tolles kapi ich geh schnell weiterlesen ^^
Von: abgemeldet
2008-10-14T19:49:43+00:00 14.10.2008 21:49
OMG. Ich kann die Schwestern förmlich vor mir sehen, mit einem warmen Lächeln im Gesicht. und Ryan...'Du musst mich hier rausholen.'
Von:  risuma
2008-08-19T10:18:11+00:00 19.08.2008 12:18
Hi!

Ich hab, neugierig wie ich bin, mal reingeschaut und bis zum Ende nicht aufhören können...

Eine sehr schöne Geschichte, und ziemlich melancholisch, aber dies lies der Titel ja schon erahnen...

Sehr schön geschrieben, und ja, es wäre sehr schade, wenn diese Geschichte kein Ende bekäme, darum freu ich mich, dass du dich dazu entschieden hast, sie weiter zu schreiben.

Ryan und Chris haben auf ihre Art und Weise eine ganze Menge gemeinsam, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen...
und ich denke Mal, dass Ryan seinem Schwulsein die Schuld am Tod seiner Schwester gibt, und aus diesem Grund es nicht mehr sein will, sich selbst ständig von seiner normalen Sexualität überzeugen muss.

Dass Ryan nach 7 Jahren auf der Straße es nicht länger im Krankenhaus aushält, ist nicht weiter verwunderlich, doch mit seiner Art der Verletzung, und auch der Versorgung, wird es wohl sehr schwierig sein, eine vorzeitige Entlassung aus dem Krankenhaus zu erwirken.

Ich bin nun wahnsinnig gespannt, wie es weiter gehen wird...

lg deine risuma
Von: abgemeldet
2008-08-12T15:50:23+00:00 12.08.2008 17:50
ok.
das muss ich erst mal verdauen...
mich freut es, dass Ryan nicht an den Rollstuhl gefesselt wird.

ähm...du hast die Emotionen gut beschrieben, ich konnte richtig mit fühlen, mit den beiden.

einzig und allein der letzte Satz lässt mich stutzen.
ich hoffe meine Gedanken werden sich noch klären, aber davon bin ich überzeugt.

Von:  MuckSpuck
2008-08-11T22:50:59+00:00 12.08.2008 00:50
na das sind aber keine netten begrüßenden worte.... aber nun gut, vl kommt das ja im nächsten satz ;)

bin froh, das es weiter ging und werd weiterhin mich aufs nächste kapi freuen :)

mach schnell weiter - ich finds echt unheimlich toll!


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