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Please Recall...

Shinji ♥ Natsuki
von

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So nah wie noch nie

Der grünhaarige Engel blickte Natsuki sorgenvoll an. Es schien, als seien ihre Augen zu keiner anderen Emotion fähig, diese hübsche Frau schien immer traurig zu sein.

Natsuki wollte gerne wissen, warum, sie wollte fragen, doch sie war außer Stande, ihren Mund zu öffnen und ihre Frage zu formulieren – es schien, als ob sie nicht mehr die Kontrolle über sich selbst hatte.

Doch der Engel schien auch so zu wissen, was in Natsuki vorging.

"Bitte, du musst ihn finden", flehte die schöne Frau und faltete ihre Hände vor der Brust, sah Natsuki erwartungsvoll an. "Du musst Acces finden, bitte finde ihn..."

Aber wo kann ich ihn finden, wollte Natsuki fragen, blieb aber wieder nur stumm.

Doch die fremde Schönheit schüttelte nur lächelnd den Kopf - und wieder war ihr Lächeln nicht von Freude erfüllt, sondern brachte einen Hauch Melancholie mit sich, die den ganzen Raum zu erfüllen schien, sich gewaltsam in Natsuki's Herz fraß und die Einsamkeit dieses Wesens brachte sie fast um den Verstand... war denn dieser Mann so wichtig?

"Er hat dich schon längst gefunden...", hauchte sie - "Fynn" - und löste sich im nächsten Moment in Luft auf.
 

Nervös fuhr sich Shinji mit der linken Hand durch die ungekämmten Haare. Er war ja nicht eitel, aber nach einem Blick in den Spiegel musste er ganz eindeutig feststellen, dass er heute miserabel aussah. Zum Glück war Wochenende...

Der Junge hatte schon seit Nächten schlecht geschlafen - um genauer zu sein, seit dem Tag, an dem Natsuki ihn nach Access gefragt hatte - und wurde von schlimmen Alpträumen geplagt.

Alpträume, in denen er sich immer und immer wieder Fynn's Tod mit ansehen musste und all den Schmerz empfand, den er damals empfunden hatte... es war zum Verrücktwerden. Wer tat ihm das alles nur an? Das Schicksal hatte manchmal wirklich einen Hand zum Sadistischen...

Erschöpft ließ er sich auf einen Stuhl sinken und schmierte eine dünne Schicht Butter auf seinen noch warmen Toast. Mit Erdbeermarmelade wurde sein Stück Brot noch verfeinert und Shinji biss ein großes Stück ab. Heute würde es keine Pfannkuchen geben... die gab es schon seit mehren Tagen nicht mehr für ihn.

Die Tür zur Küche ging auf und eine verschlafene Miyako im dunkelblauen, kuscheligen Morgenmantel betrat den Raum, in dem es bereits nach Kaffee und warmem Brot duftete. Verwirrt schaute sie ihren Sohn an und kniff die Augen zusammen, irritiert von der Helligkeit.

"Shinji... was machst du so früh auf?", krächzte sie und räusperte sich daraufhin. "Was machst du überhaupt hier?"

In den letzten Jahren hatte Shinji selten zu Hause zum Frühstück gespeist, sondern war in aller Herrgottsfrühe zu den Nagoyas geeilt, um dort seine geliebten Pfannkuchen serviert zu bekommen und seine Angebetete Natsuki ärgern zu können. Doch in letzter Zeit begab er sich immer seltener dorthin und Miyako war sich fast sicher, dass genau dieses Mädchen etwas damit zu tun hatte. Trotzdem konnte sie nicht verstehen, was plötzlich mit Shinji los war. Er redete nicht über sein Problem, doch dass er eins hatte, das stand ihm auf der Stirn geschrieben.

Zudem sah er von Tag zu Tag angeschlagener aus und des Nachts hatte sie ihn schon oft durch das Haus tigern gehört, kurz nachdem er leise wimmernd aus dem Schlaf gefahren war.

Shinji zwang sich, seiner Mutter ein aufmunterndes Lächeln zuzuwerfen. Dass sie sich Sorgen machte, war auch ihm nicht entgangen...

"Ich hab dir Kaffee gekocht", wich er ihren Fragen aus und deutete auf die dampfende Kaffeekanne. Schweigen nahm Miyako sich eine Tasse und schenkte sich ein, setzte sich dann an den Tisch, gegenüber von Shinji und musterte ihren Sohn über die dampfenden Kaffeetasse, die sie in den Händen hielt und diese daran wärmte, hinweg. Doch bevor sie etwas sagen konnte, ihrer Sorge um ihn Ausdruck verleihen, hatte Shinji schon angefangen, zu sprechen.

"Mama, da gibt es etwas, was ich dir sagen sollte." Er klang sehr ernst und Miyako ließ ihre Tasse sinken, blickte ihn erwartungsvoll, fast schon neugierig, an.

Wäre die Situation nicht so ernst, hätte Shinji über ihren Anblick geschmunzelt. Ihr violettes Haar war bereits von dünnen, grauen Strähnchen durchzogen und sie war nicht mehr die Jüngste, aber so, wie sie ihn anschaute, erinnerte sie ihn an das junge, neugierige Mädchen, dass er noch aus der Zeit als Schwarzengel kannte...

"In der Uni...", begann er zögernd, fasste sich jedoch schnell ein Herz. "In der Uni hab' ich mich für ein verkürztes Auslandssemester eingeschrieben."

Im ersten Augenblick war seine Mutter wie erstarrte, doch als sie tief Luft holte, beeilte Shinji sich, weiterzusprechen. "Hör zu, es ist nur ein viermonatiger Aufenthalt in England, weil die vorlesungfeie Zeit nicht dazugezählt wird, die qualifiziertesten Studenten werden ausgewählt und mein Professor meinte, ich hätte ganz gute Chancen..." Er warf einen hoffnungsvollen Blick zu seiner Mutter, der jegliche Farbe aus dem Gesicht gewichen war.

Miyako schluckte. Ihr Sohn, tausende von Meilen von ihr entfernt, im kalten England? Ihr kleiner Junge, der früher den Unterricht geschwänzt hatte, so wie heute immer noch das Basketballtraining, so weit von ihr entfernt, in einem unbekannten Land allein, allein unter Fremden?

Natürlich wusste Miyako, dass ihr Sohn mittlerweile schon erwachsen war - na ja, fast - aber so richtig bewusst wurde es ihr erst jetzt in diesem Moment, nachdem er ihr eröffnet hatte, dass er bereit war, das heimische Nest zu verlassen und in die Welt hinauszuflattern. Die Vorstellung behagte ihr gar nicht... Auch, wenn Shinji schon 20 war, für sie war er immer noch ihr kleiner Junge, der, als wäre es erst gestern gewesen, der kleinen Natsuki in seiner kindlichen Dummheit einen Heiratsantrag gemacht hatte - und, wenn man ihn davon nicht abhielt, es wahrscheinlich immer noch tun würde.

Shinji rang sich zu einem Lächeln durch und tätschelte die Hand seiner Mutter, die auf dem Tisch lag. Sie schien so geschockt, dass sie ihre Sprache verloren hatte und ihn nur fassungslos anstarrte.

"Chiaki...", fuhr Shinji fort, "hat mir dazu geraten. Er sagte, die University of Nottingham ist eine sehr angesehene Medizinuni..." Wieder warf er einen Blick zu seiner Mutter, die nun mit sich zu kämpfen schien.

"Aber... Schatz, wie willst du das schaffen...?", fragte sie ihren Sohn verzweifelt, ihre Frage schwammig ausformuliert.

"Ach Mama, ich hab doch mein Erspartes und außerdem werden die Gebühren für das Semester und das Studentenwohnheim übernommen, weil dieses Programm von beiden Universitäten gefördert wird", beruhigte er Miyako, die langsam nickte. Sie würde ihn sowieso nicht aufhalten können, sollte sein Entschluss wirklich feststehe, das wusste sie.

"Und du hast dich also da angemeldet...", wiederholte sie, nachdem beide kurz in Schweigen verweilt hatten. "Wann stehen die Ergebnisse der Auswahl fest...?" Die ältere Frau schaute ihren Sohn fragend an, er jedoch vermied es, sie anzugucken.

Eine plötzliche Stille erfüllte den Raum, eine schreiende Stille, die einem die Nackenhärchen aufstellte.

Das unangenehme Schweigen verursachte Miyako Gänsehaut und die Tatsache, dass Shinji ihren Blick mied, verhieß nichts Gutes.

"Du... hast das Ergebnis schon?" Es war mehr eine Feststellung als eine Frage und mit einem bekümmerten Lächeln nickte sie verstehend, was gleichbedeutend mit ihrem Segen war.

Shinji nickte ebenfalls mit dem Kopf und ließ sich fast von der Traurigkeit seiner Mutter anstecken. Er wusste, dass sie sich unvorstellbare Sorgen machen musste - doch das Auslandssemester war nicht nur eine großartige Chance für ihn.

Nein, es war vielmehr als das... es war eine Flucht. Shinji war nicht stolz auf sich, diese Art Lösung für sein Problem gefunden zu haben, aber er musste dringend weg von hier... auch, wenn ihn seine Erinnerungen niemals alleine lassen würden, so konnte er wenigstens der ständigen Anwesenheit Natsuki's entgehen, ihrer Ahnungslosigkeit und ihrem bohrenden Blick. Das alles machte ihm sehr zu schaffen und er wusste nicht, wie lange er diese Farce noch aushalten würde, denn es brachte ihn innerlich fast um, quälte langsam seinen Verstand aus ihm raus...

Mit den paar Monaten im Ausland, weg von Natsuki, würde er es vielleicht schaffen, ein bisschen Abstand zu ihr zu gewinnen. Würde vielleicht auf den Geschmack kommen, was es hieß, zu leben und nicht nur für die eine Person zu leben...

Besonders in den letzten Tagen fühlte er sich in seinem Vorhaben bestärkt. So konnte das Ganze nicht weitergehen und vielleicht war es auch für Natsuki ganz gut, mal eine Pause von ihm zu bekommen. Seine Mutter hatte vielleicht recht - solange er ständig in ihrer Nähe war, konnte sie nicht erkennen, was sie an ihm hatte. Vielleicht hatte sie aber ja auch gar nichts an ihm und es war einfach nicht vorherbestimmt...

Shinji seufzte schwer, als Miyako, die ebenfalls eine Weile ihren eigenen Gedanken nachgehangen hat, etwas einfiel.

"Wo du mich hier schon vor vollendete Tatsachen gestellt hast... wann soll es denn losgehen?", hakte sie nach. Je länger sie darüber nachdachte, desto besser begriff sie, dass das Auslandssemester Shinji unglaublich gut tun könnte. Er musste langsam lernen, auf eigenen Füßen zu stehen und nichts war dafür besser geeignet, als ein Weilchen von zu Hause entfernt zu leben und selbstständig sein zu MÜSSEN. Gleichzeitig aber bewunderte sie ihren Sohn dafür, dass er eine solch ernste und schwerwiegende Entscheidung fällen konnte, allen möglichen Verlusten zum Trotz.

"Der Abreisetermin steht noch nicht fest... aber ich schätze, pünktlich zum Semesteranfang."

Shinji nippte an seinem bereits fast erkalteten Kaffee. Das bedeutete, ihm blieben nur noch wenige Wochen hier in Momokuri. Natsuki wird sich bestimmt freuen, ihn los zu sein, dachte er entmutigt und stellte die Tasse ab. Der Kaffee schmeckte plötzlich nicht mehr...
 

Gebannt starrte Natsuki in die Leere, während Marron geschäftig um sie herumtänzelte und ihr aufzählte, was sie heute nicht alles zu erledigen hatte. Doch Natsuki konnte sich nicht auf ihre Mutter konzentrieren, vielmehr war sie mit den Gedanken immer noch bei ihrem Traum, den sie letzte Nacht gehabt hatte.

Was bedeutete das, Access hatte sie schon längst gefunden?

Langsam zweifelte selbst Natsuki an ihrem Verstand. Vielleicht waren das alles wirklich nur dumme Träume und ihre Fantasie spielte ihr einen Streich? Sie schnaubte leise. Das konnte doch nicht sein... oder? Konnte sie sich das alles bloß einbilden und immer wieder Forstsetzungen träumen?

Doch dann fiel ihr der schwarze Ohrring ein, der Access gehörte und den sie besaß. Der Ohrring war kein Traum, er war Realität, sie hatte ihn und der Mann im Traum... er hatte ihn auch... das machte alles keinen Sinn. Warum erschien diese Fynn-Frau ausgerechnet ihr? Es war doch klar, dass Natsuki nicht helfen konnte?

Plötzlich zuckte Natsuki zusammen, als ihr jemand die Hand auf die Stirn legte. Das Mädchen schaute direkt in das stirnrunzelnde Gesicht ihrer Mutter, die sich zu ihr hinuntergebeugt hatte. "Hm, Schatz, du hast doch hoffentlich keinen Fieber?", fragte sie und betrachtete Natsuki eingehend, als diese irritiert den Kopf schüttelte und verneinte.

Ihre Tochter verhielt sich in letzter Zeit sehr merkwürdig... von Miyako hatte sie erfahren, dass sie Shinji einen Besuch abgestattet hatte, doch konnte Marron ihrer Freundin leider auch nicht sagen, worum es sich gehandelt hatte, wusste sie es doch selber nicht. Und dann die Tatsache, dass sie Shinji fast gar nicht mehr zu Gesicht bekamen? Marron war sich sicher, dass da irgendetwas im Busch war.

"Hast du dich mit Shinji gestritten?", fragte die Braunhaarige geradeheraus und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als sie bemerkte, wie sich das Gesicht ihrer Tochter kaum merklich verfinsterte. Die Frage erschien ihr etwas merkwürdig. Natsuki stritt sich andauernd mit Shinji, doch diesmal musste es wirklich etwas handfestes gewesen sein, denn Shinji ließ sich normalerweise nicht so schnell ins Boxhorn jagen. Stur bleibt eben stur, egal in welchem Leben, sagte Marron sich und bedachte auch Natsuki mit einem vielsagenden Blick.

Auch Fynn hatte sich bis zum bitteren Ende geweigert, sich einzugestehen, dass sie in Access verliebt gewesen ist...

"Er legt es eben immer wieder darauf an", murrte Natsuki schlechtgelaunt und verschleierte die Tatsache, dass sie sich diesmal WIRKLICH mit Shinji gestritten hatte. Aber das brauchte ihre Mutter ja nicht zu wissen, und schon gar nicht den Grund dafür.

"Was ist es dann?", wollte Marron wissen, glaubte ihrer Tochter aber nicht so recht, denn die Tatsachen sprachen eine viel eindeutigere Sprache. "Komm mir ja nicht auf die Idee, noch einmal ins Krankenhaus eingeliefert zu werden", warnte sie Natsuki spaßeshalber, obwohl sie wirklich Angst davor hatte.

Natsuki schüttelte müde den Kopf und winkte ab. "Ich träume nur schlecht, sonst nichts...", gab sie zu und konnte nicht umhin, herzhaft zu Gähnen. Die Nacht hatte sie sehr wenig geschlafen und nachdem sie um 5 Uhr morgens aus ihrem Traum aufgeschreckt war, hatte sie keinen Schlaf mehr finden können. Dabei hatte sie gehofft, in den Ferien endlich mal ausschlafen zu können, doch irgendjemand gönnte es ihr anscheinend nicht.

Ihre Mutter überlegte kurz. Was konnte man dagegen machen? Natsuki erschien ihr in letzter auch immer öfter nervös und gereizt - vielleicht lag das aber auch an ihrem Nachbar?

"Wenn das nicht besser wird, dann müssen wir dir Großmutter's geheimen Schlaftee besorgen!", schlug sie gutgelaunt vor und Natsuki nickte schwach lächelnd, vermutete aber im Geheimen, dass es erst aufhören würde, wenn sie endlich diesen Access ausfindig gemacht hatte... was wohl niemals eintreten würde. Oh Gott, sie würde ewig mit diesen Träumen gestraft sein! Natsuki seufzte tief. Womit hatte sie das verdient? Falls es so was wie ein früheres Leben gab, musste sie in ihrem wirklich etwas Schlimmes angestellt haben...

"Worüber hast du dich mit ihm gestritten?", fragte Marron sanft, nachdem beide einen Moment lang geschwiegen haben. Natsuki ließ den Kopf hängen. Sie konnte ihrer Mutter eben doch nichts vormachen...

"Ich muss dringend etwas von ihm wissen, doch er will es mir einfach nicht verraten!", beschwerte sie sich bei ihrer Mutter, wählte dabei ihre Worte so, dass Marron auf keinen Fall an der Gesundheit ihres Geisteszustandes zweifeln sollte.

Diese nickte langsam, verstehend. "Vielleicht...", überlegt sie laut, "wenn du ihn noch einmal ganz freundlich darum bittest und ihm erklärst, warum es dir so wichtig ist? Du warst in letzter Zeit nicht sehr nett zu Shinji, oder?" Sie warf Natsuki einen Blick zu und deren Schweigen hing bedeutungsschwer in der Luft.

Marron hatte Recht. Natsuki war manchmal wirklich gemein zu ihm, aber sie konnte nicht anders... ihr kam es so vor, als würde Shinji das alles provozieren. Und anstatt ihn höflich zu bitten, hatte sie ihren Wunsch als eine Forderung formuliert. Vielleicht hatte ihre Mutter recht und sie sollte noch einen Versuch starten und dabei berücksichtigen, nicht allzu herrisch vorzugehen. Wenn sie Shinji erklärte, wie wichtig das war, dann würde er es vielleicht verstehen? Nur musste sie darauf aufpassen, die gefährlichen Detail auszusparen...

Marron tätschelte ihrer Tochter noch aufmunternd die Schulter, während diese fieberhaft überlegend in Gedanken versunken war, und erhob sich vom Sofa, um wieder ihren Pflichten nachzugehen.

Als sie nach kurzer Zeit den Kopf ins Wohnzimmer steckte, um Natsuki etwas zu fragen, war diese auf der Couch eingenickt. Sie lag auf dem Bauch, einen Arm unter ihrem Kopf, der andere hing herunter und sie atmete gleichmäßig, friedlich.

Marron lächelte und schloss vorsichtig die Tür.
 

Nachdem Natsuki am frühen Abend wieder aufgewacht war, entschloss sie sich sofort, an die Universität zu laufen und dort nach Shinji zu suchen. Sie wusste, dass er Montag abends bis 20 Uhr Vorlesungen hatte und sich danach noch reichlich Zeit ließ, bis er sich entschloss, nach Hause zu gehen. Je mehr Zeit verstrich, desto mehr hatte Natsuki das Gefühl, dass diese knapp würde, um die Angelegenheit noch rechtzeitig erfüllen zu können. Irgendetwas in ihr drängte und setzte sich schrecklich unter Druck, etwas, das sie nicht verstehen konnte, doch sie konnte gegen dieses Gefühl nichts ausrichten.

Noch verschlafen schlüpfte sie in ihre Jacke und besah sich im Spiegel, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und bürstete sich eilig ihr Haar durch, das während ihres Nickerchens eine Party ohne sie gefeiert zu haben schien.

Schnell schaute sie noch nach Marron, doch diese schien außer Haus zu sein. Und so verließ auch Natsuki das Orleans, auf der Suche nach Shinji.
 

Am anderen Ende des Momokuri Parks befand sich das Universitätsgelände, das Natsuki nach 20 Minuten Fußmarsch endlich erreicht hatte.

Sie trat aus dem Park und sah sich ehrfürchtig die Universität, die in einiger Entfernung stand, an. Es war eine große, alte Uni, allerdings war das hier erst das Hauptgebäude. Dahinter befanden sich noch andere Fakultäten, aber Shinji hielt sich meistens hier auf. Irgendwann hatte er das mal erwähnt, bestimmt irgendwann beim Frühstück, als er ihnen wieder ihre Lebensmittel wegegessen hatte...

Sie konnte die weiß-gelblichen Säulen links und rechts vom Haupteingang erkennen und die Schnörkeleien im Halbkreis über der schweren Tür. Die anderen Gebäude, es waren drei, waren viel moderner und neuer als das Hauptgebäude, aber das war an vielen Universitäten so. Natsuki persönlich schätzte den Charme von alten Gebäuden, wohingegen sie nicht verstehen konnte, wozu man ein Bauwerk mit einem 3-Kilometer-langem, verwinkelten, weißen Flur errichtete, in dem man sich fast verloren vorkam und in dem alle Räume gleich aussahen, errichtete - es hatte den Flair von einem Krankenhaus, fand sie. Aber wahrscheinlich war es die billigste Variante, etwas zu bauen.

Sie wollte gar nicht erst an die Studentenwohnheim denken. Shinji hatte da auch schon öfter Geschichten erzählt....

Sie besann sich wieder und schüttelte diesen Gedanken wieder ab. Shinji redete einfach zu viel, sodass ihr so einiges im Gedächtnis hängen blieb, rechtfertigte sie sich vor sich selbst. Warum hörte sie ihm überhaupt zu?! Bevor sie noch weiter über ihr seltsames Verhalten nachdenken konnte, trat jemand an ihre Seite, den sie nur zu gut kannte...
 

"Na, Süße, was gibt's?"

Argwöhnisch betrachtete Natsuki den jungen Mann, der sich vor sie gestellt hatte und ihr nun zuzwinkerte. Süße? Wie konnte er es wagen?

In dem Moment merkte sie, dass es noch eine Person gab, die sie tausendmal schlimmer fand, als Shinji: Taiki, seinen besten Freund. Was für ein aufgeblasener, widerlicher Kerl!

Noch bevor sie ihm antworten konnte, fragte Taiki weiter. "Was führt dich her? Suchst du jemanden?" Noch immer hatte er sich sein hinterlistiges Grinsen nicht aus dem Geicht gewischt und mit vor Misstrauen triefenden Tonfall antwortete das Mädchen ihm, dass sie auf der Suche nach Shinji war. Vielleicht konnte er ihr ja verraten, wo er sich gerade aufhielt, denn auch wenn sie ihn nicht mochte, so wusste er sicherlich bescheid.

Für einen Augenblick zeichnete sich in Taiki's Gesicht der Ausdruck von Überraschung ab, doch dann trat er zur Seite und gab die Sicht frei auf das, was hinter ihm war.

Natsuki erblickte Shinji. Er stand mit dem Rücken zu Taiki und ihr gedreht und unterhielt sich mit einem Mädchen.

Es hatte braune, lange Haare, die sie offen trug und einen beigen Rock an, der ihr bis zu den Knien ging. Mehr konnte Natsuki nicht erkennen. Das Mädchen lachte, es schien sich zu amüsieren, und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Es war etwas kleiner als Shinji, der eine Hand in die Jackentasche gesteckt hatte und mit der anderen gestikulierte... bestimmt erzählte er ihr gerade eine von seinen Studentenwohnheim-Geschichten, dachte Natsuki grimmig. Die muss er wirklich jedem unterjubeln, der sie nicht hören will.

Taiki grinste schief. "Shinji ist sehr beliebt bei den Mädchen, weißt du..." Er ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen und folgte nun auch Natsuki's Blick.

"Ja und?", beeilte diese sich zu sagen und zuckte mit den Schultern, um so ihre Gleichgültigkeit zu demonstrieren, konnte ihren Blick aber immer noch nicht von den beiden Lachenden abwenden.

"Nichts, ich dachte nur..."

Natsuki ärgerte sich. Konnte dieser Typ seine Sätze nicht wenigstens einmal beenden?

"Nur was?", fragte sie gereizt und sah Taiki herausfordernd an.

"Weißt du...", begann Taiki und legte wieder eine Kunstpause ein. "Ich denke, du hältst ihn davon ab, eins von diesen Mädchen zu beachten... na ja."

Was sollte das heißen, sie hielt ihn davon ab? Sie hielt hier überhaupt niemanden von gar nichts ab! Was redete dieser Kerl für einen Unsinn?!

"So ein Schwachsinn!", schnaubte sie nun Taiki an. Was dachte er sich eigentlich, wer er war?

"Was willst überhaupt damit sagen?", fuhr sie ihn weiter an, doch Taiki hatte nur wieder sein hinterhältiges Grinsen aufgesetzt, kaschiert durch den oberflächlichen Mitleidstonfall, mit dem er seine nächsten Worte sprach.

"Sei doch ehrlich... du verstehst doch ebenso wenig wie ich, warum sich ein 20jähriger für so ein Kind wie dich interessieren sollte, nicht wahr?" Er seufzte schwer, als würde ihn die ganze Sache innerlich belasten und auffressen. Natsuki erstarrte. Was hatte das denn schon wieder zu bedeuten?!

"Ja...", fuhr Taiki fort, gefiel sich ganz offensichtlich in der Rolle des Erzählers dieser tragischen Geschichte. "Willst du ihn nicht endlich freigeben?"

Jetzt sah er sie direkt an und seine Augen funkelten; ein Anblick, der Natsuki ganz und gar nicht behagte.

"Du bist so ein Lügner!", zischte sie ihn zornig an und genau in diesem Moment hörte sie eine ihr allzu vertraute Stimme nach ihr rufen.

"Natsuki-chan!"

Sie fuhr erschrocken herum und bemerkte Shinji, wie er auf die beiden zugeeilt kam.

Ohne noch ein Wort an Taiki zu verlieren, machte sie auf dem Absatz kehrt und lief schnell in den Momokuri Park hinein.

Es hatte langsam angefangen zu dämmern und als Natsuki sicher war, dass sie weit genug von Shinji und Taiki entfernt war, ließ sie sich erschöpft auf eine Parkbank nieder.

Nach Hause konnte sie jetzt erst mal nicht... ihre Eltern würden sie dort erwarten und das Einzige, was sie brauchte, war Ruhe - und Klarheit im Kopf.
 

Lange saß sie so dar. Den Blick auf den Boden gerichtet.

Taiki hatte sie "ein Kind" genannt. Und was meinte er damit, dass sie Shinji davon abhielt, sich mit anderen zu verabreden? So etwas hatte sie doch niemals erwähnt und sie hatte ihn schon gar nicht darum gebeten!

Ihn freigeben! Natsuki schnaubte leise. Wer glaubte er eigentlich, zu sein? Natsuki hatte keinerlei Interesse an Shinji und so würde es auch immer bleiben, es gab nichts freizugeben. Woher kam Taiki überhaupt auf so einen Unsinn? An der Situation gab es doch nichts missverständliches - sie hasste Shinji, weil er immer so nervte und Shinji, na ja, er nervte halt nur und erlaubte sich dämliche Spielchen mit ihr. Das hatte doch gar nichts zu bedeuten.

"...für ein Kind...", wiederholte Natsuki leise murmelnd und versuchte sich so, der Bedeutung dieser Worte bewusst zu werden.

War es wirklich so? War sie in den Augen von Shinji nur ein dummes, kleines Kind, dass ihn immer wieder anfuhr und beschimpfte? Das sich nicht zusammenreißen und mal ernst sein konnte und seine Scherze nicht verstand?

War sie nichts weiter als ein Kind?

Und Shinji...

Zum ersten Mal ging ihr auf, dass Shinji erwachsen war. Er war 20, er studierte, sein Zimmer zeugte nicht mehr von dem Kleinjungenzimmer von früher, er machte seine Aufgaben gewissenhaft, nur das Training schwänzte er immer... er studierte ernsthaft Medizin, er passte im Straßenverkehr auf, wie ein Luchs, anstatt dämliche Wetter abzuschließen, Rennen zu fahren und sonstige Faxen auf der Straße zu machen, er lächelte nachsichtig, wenn sie ihn anmeckerte und er entschuldigte sich ernst, wenn er merkte, dass er jemanden verletzt hatte... und er gab nicht auf. Er war die ganze Nacht im Krankenhaus bei ihr gewesen und hatte gewartet, bis sie aufwachte! Und obwohl er ein schrecklich dummer Idiot war... war er... erwachsen geworden. Und sie hatte es nicht bemerkt, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt gewesen war, ihn als kleinen Lausebengel hinzustellen, der nur Schwachsinn im Sinn hatte.

Und sie?? Sie war noch ein Kind... Taiki hatte recht. Dass sie das alles nicht bemerkt hatte und von ihren Vorurteilen nicht weggekommen war, bewies das alles.

Dass sie sich vor ihm versteckte und einem Gespräch mit ihm aus dem Weg ging, weil es ihr zu peinlich war, anstatt das Thema direkt anzusprechen, dass sie ihn bei jeder sich ihr bietenden Gelegenheit beschimpfte, anstatt ruhig zu bleiben und seine blöden Scherze zu ignorieren... das war alles so kindisch...

Betrübt haftete ihr Blick an der Erde unter ihren Füßen.

Vielleicht sollte sie sich eine Weile von Shinji fernhalten. Aus irgendeinem ihr unbekannten Grund sträubte sich alles in ihr gegen die Vorstellung, dass Shinji dieses Bild von ihr hatte.

...ein Kind wie dich...

Natsuki schloss die Augen, als ein abgrundtiefes Gefühl der Enttäuschung sie durchströmte, als wieder dieser Satz in ihren Ohren widerhallte. In ihrem Herz zwickte etwas...

...und dann hörte sie leise Schritte auf knirschendem Kies.



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Kommentare zu diesem Kapitel (9)

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Von:  Monny
2008-07-05T19:37:34+00:00 05.07.2008 21:37
O man dieser Idiot ich hätte ihm am liebsten an den nächst besten Baum geschlagen^^. Freu mich schon auf das nächste Kap^^. Hast du klasse geschrieben.

gez.Kurosaki-kun^^.
Von: abgemeldet
2008-02-02T14:48:05+00:00 02.02.2008 15:48
Ich finde das Kapitel toll,nur eine kleine Sache hat mich gestört,und zwar dass du in der 1. Seite ,,zu den Kusakabe´s" geschrieben hast sonst find ich dein Kapi eigentlich ganz gut
Von: abgemeldet
2007-08-23T14:42:18+00:00 23.08.2007 16:42
ich kenn das,
wenn ich meine ff weiterschreibe, hab ich meist ein plan, was so passieren soll und so, wenn ich dann aber gerade am schreiben bin, kommt was ganz anderes raus... was meist beser ist

war toll

liebe grüße
apollon-klio
Von: abgemeldet
2007-08-21T12:25:17+00:00 21.08.2007 14:25
Wow die Kapis werden immer mehr!!(und die Kommis auch ^0^)
Echt guter Schreibstil!!!
Bin schon ganz gespannt was jetzt passiert

Von:  Lume
2007-08-20T21:59:45+00:00 20.08.2007 23:59
toooll!
des is eines meiner lieblingskapis!! ♥
ich liebe deinen schreibstil =)
Von:  the5kyliner
2007-08-20T19:51:24+00:00 20.08.2007 21:51
wuah das war mal wieda klasse x3
tjaja kleiner angsthase shinji xD aber vielleicht ist es besser so <.<
und natsuki tut mir leid :( und dieser blöde GRRR dieses A....XDDD
und sowas schimpft sich shinji's bester freund???? omg xDDD

wie in jedem kapitel hast du die wunderbare gabe selbst die kleinsten gesten super zu beschreiben X3
freue mich besonders aufs nächste kapitel und bin gespannt wer denn da im kies spazieren geht xDDD

bin auch beim nächsten kapi mit nem kommi dabei ;)

lG
Bloody

PS
Das Script für die erste Hörspiel Episode ist nun auch fertig
und geht in Produktion XDD
Von: abgemeldet
2007-08-20T18:40:25+00:00 20.08.2007 20:40
hei^^
ich fasse mich kurz xD

Wow...heute hat echt alles gepasst, ich bin nach Hause gekommen und hab so für mich gedacht, woowii es wäre toll wenn jetzt irgendein neues KApitel einer FF da wäre. Dann kommt das und bringt die perfekte Stimmung rüber, Melancholie, Aufbruchsstimmung und Unsicherheit.
Vorallem hab ich dichgefragt, was wegen dieser einen Liebe ist, die erste und einzige im Leben etc. etc. und in diesem Kapitel war das ein Thema....find ich einfach toll.
Was mir auch gefallen hat ist die Tatsache, das sich Natsuki nun auch ernsthaft mit Shinji auseinandersetzt...ich komm gleich ins Schwärmen...und ich freu mich auf das neue Kapitel^^
Ich frage mich erntshaft, ob es nicht interessanter wäre, die beiden auseinander driften zu lassen-wobei das wahrscheinlich nur schlecht möglich ist, weil es sich ja um Liebe handelt...hmm...ich bin gespannt^^

Liebe Grüsse
saki



Von:  psychopat
2007-08-20T12:06:27+00:00 20.08.2007 14:06
gerade an der spannendesten stelle aufhören xDDDD geilo kapitel^^


lg kamschi
Von:  W-B-A_Ero_Reno
2007-08-20T11:01:44+00:00 20.08.2007 13:01
hey ^-^
das kapitel fand ich richtig gut!!!
mal davon ab, dass dein schreibstil super ist, ist dir der inhalt auch wieder gut gelungen.
ich hätte von shinji nie erwartet, dass er ein auslandssemester machen würde, aber mir gefällt die Idee!
bin gespannt wie es weiter geht!
lg yuki


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