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Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde

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Land der Schatten

Es dauerte drei Jahre und drei Monde, bis das Ende des Krieges kam. Und Kelar sagte, seine Frau hätte sich geirrt; denn mit dem Ende des Krieges kamen zwar die Macht und die Ehre für die Familie, aber nicht der Untergang, der Fall, von dem sie gesprochen hatte.

Die Menschen aus der an Dokahsan angrenzenden Provinz Anthurien zogen sich aus dem Norden zurück und gaben es auf, zu versuchen, die Magier des Nordens zu bezwingen. Der Statthalter von Anthurien hatte die Macht der Schamanen gefürchtet und hatte dafür sorgen wollen, dass sie zumindest reduziert wurden, aber jetzt fürchtete er, dass seine eigenen Armeen reduziert werden würden, würde er weiter kämpfen. Und ein großer Teil des Sieges in Dokahsan war der Verdienst des Lyra-Clans gewesen.

„Ehren wir den Clan der Lyras, der Könige der Geisterjäger!“ riefen die Menschen, und sie zollten Kelar Lyra und seiner Familie den Respekt, der ihnen Kelars Meinung nach gebührte.

„Wir haben euch zusammengebracht! Wir haben euch den Sieg und den Frieden gebracht! Ehrt uns!“ sagte er dazu in befehlendem Ton, Und dann senkte er den Kopf und ein dämonisches Lächeln schlich auf seine Lippen, als seine Augen einen seltsamen Glanz annahmen. „Unterwerft euch und seht hinauf zu uns wie zu Königen, und ich werde dafür sorgen, dass ihr es gut habt! Vater Himmel ist in meinen Händen und ich werde ihn so lenken, wie ihr es wollt! Mutter Erde bebt unter meinen Füßen, wenn ich es ihr befehle! Unterwerft euch der Macht der Himmelsgeister, und sie werden jeden einzelnen von euch schützen. Ich werde als Herrscher aus diesem verbrannten Land des Krieges ein gutes, reiches Land machen, vor dessen Größe die Menschen des Südens sich fürchten und verneigen werden, wenn wir sie zwingen! Wir zeigen ihnen, dass wir uns nicht ihrem nichtsnutzigen König unterwerfen!“

„Ja!“ riefen die Menschen, und ein bloßer, herrischer Blick des Geisterjägers zwang die Armee vor ihm in die Knie. Sie warfen sich vor der Familie auf den Boden an dem Tag, an dem Kelar das Ende des Krieges verkündete in der Hauptstadt der Provinz, Yiara. Hinter ihm standen seine Frau und die beiden Söhne, Tabari begeistert, der kleine Kiuk hinter seiner Mutter versteckt. Salihah rührte sich nicht und sah beunruhigt dem Verneigen der Menschenmassen in Yiara zu. Das war das erste Mal, dass Kelar das Wort unterwerfen auf diese Art benutzte.

„Ab heute soll dieses Land, unser Land, einen neuen Namen tragen!“ verkündete Kelar Lyra laut und stierte die sich vor seine Füße werfenden Leute herrisch an, als wollte er sie daran hindern, jemals wieder aufzustehen. Sie hatten den Respekt, den sie ihm schuldeten. Es war gut… er würde sie nicht vergessen lassen, wer die wahren Herren der Geister wahren, egal, was immer geschehen würde. „Durch meinen Mund und meinen geist sprechen die Mächte der Schöpfung,“ sagte der Mann kalt, „Lyrien werden wir es nennen, das Reich des Lyra-Clans! Sollen die Barbaren im Süden uns fürchten, hah! Wir im Norden überstehen harte Winter und die längsten Hungermonde, die längsten Dunkelheiten! Das soll uns mal einer nachmachen, heh! Ehrt das Land, das euch geboren hat und das euch schützt! Unterwerft euch, und die Mächte der Schöpfung werden auch euch beistehen! Der Krieg… ist ab heute vorüber!“ Die Menschen erhoben sich wieder und begannen laut zu reden, während der Mann sich triumphierend abdrehte. Nicht weit von ihm entfernt beobachtete ihn eine kleine Gruppe Männer, die Hälfte von ihnen trug schwarze, lange Umhänge. Sie sprachen nicht und sie verneigten sich auch nicht, aber sie sahen hinauf zu dem Herrn der Geister auf dem Podest.

„Was ist?!“ zischte er an sie gewandt, „Wollt ihr eure Gesichter nicht neigen, Geisterjäger – Kollegen? Ihr seid mir zu Dank verpflichtet, weil ich für Frieden gesorgt und die Häute eurer Frauen und Kinder gerettet habe! Und ihr Senatoren solltet es besser auch tun!“

„Du brauchst nicht zornig zu werden, Kelar,“ sagte einer der Männer mit den schwarzen Umhängen mit einer höflichen Kopfneigung. „Wir werden dir gebührenden Dank und Respekt zollen, aber du solltest nicht nur dir selbst diese Ehre erweisen… denn nicht du allein hast die Schlachten gegen Anthurien geführt und gewonnen.“

„Halt den Rand, Nomboh…“ zischte Kelar Lyra grantig, „Die Schweine aus Anthurien sind wir los! Und ich schwöre dir, ich sorge dafür, dass jedes Schwein mit dem Tode bezahlt, das sich hier unter uns aufhalten sollte… wenn du verstehst, was ich meine!“ Die Männer mit den Umhängen sahen sich kurz an. Der, der gesprochen hatte, blinzelte, und der neben ihm war völlig gefühlstot, als er sprach:

„Willst du… uns drohen, Kelar? Wir sind Geisterjäger wie du, nur, weil du als Herr der Geister unser Anführer bist, hast du nicht das Recht, über uns zu richten. Tu es und die Mächte der Schöpfung werden dich hart bestrafen… du kennst… die Gesetze.“

Kelar Lyra verengte die Augen zu Schlitzen.

„Ab heute bin ich das Gesetz, Chimalis.“
 

Er kehrte den Männern den Rücken und sah zu seiner Frau und seinen Kindern, die immer noch da standen und sich nicht rührten. Salihah sah ihn einfach nur an und sprach nicht. Ihr Mann grinste.

„Du hast gesagt, der Clan würde fallen!“ lachte er schnippisch, „Dummes Weib. Wir haben Respekt, wir haben Ehre, wir haben Frieden. Was wollen wir mehr?“

„Wir haben keinen Frieden…“ murrte sie kalt, „Wir haben eine Diktatur, wenn es läuft, wie du es wünschst.“ Sein Blick wurde kälter, aber er erwiderte nichts. Dann ging er an ihr vorbei und verließ das Podest. Tabari war der erste, der ihm eilig folgte.

Der Clan fiel nicht, er stieg hinauf. Das war das erste Mal, dass Salihahs Visionen sich getäuscht hatten.

Dachte Kelar in dem Moment.
 

Jetzt, wo der Krieg vorbei war, hatte der Herr der Geister und Herrscher über Dokahsan, das jetzt Lyrien hieß, Zeit, sich um seine Familie zu kümmern. Und das erste, was getan werden musste, war eine Braut für seinen ältesten Sohn zu wählen. Tabari war zwölfeinhalb Jahre alt, als sich die Familie im Sommer auf den Weg machte zur Familie des Mädchens, das für ihn gewählt worden war. Es war ein Mädchen von hohem Rang unter den Schamanen, die Tochter eines Geisterjägers und Kollegen von Tabaris Vater. In Dokahsan war es üblich, besonders in den höheren Rängen, die Kinder früh miteinander zu verloben – richtig heiraten würden sie erst, sobald beide Beteiligten erwachsen genug dafür wären. Meistens hatten sich die Kinder vor ihrer Verlobung kein einziges Mal gesehen und kannten sich nicht einmal. Das war egal, es ging nicht um Gefühle, es ging um Erben für die Familien. Und da Tabari einmal Kelar Lyras Nachfolger werden sollte, waren diese Erben besonders wichtig und die Wahl der Frau, die sie austragen dürfte, bekam eine besondere Aufmerksamkeit.
 

Die Sonne war bereits aufgegangen. Die ganze Familie saß in einer Kutsche auf dem Weg zum Anwesen der Kandayas; der Familie, zu der das Mädchen gehörte. Die ganze Familie beschränkte sich auf Kelar, Salihah, Tabari und Kiuk; wie er versprochen hatte, hatte der Mann seine Schwester und deren Familie nach dem Winter vor einigen Jahren aus seinem Haus verbannt, obwohl seine Frau versucht hatte, ihn davon abzubringen.

Tabari war etwas lustlos auf der Reise durch halb Dokahsan zum Anwesen seiner zukünftigen Frau. Er hatte gar keine Lust darauf, jemanden zu heiraten, obwohl er natürlich wusste, dass es wichtig für die Familie war und er dem Clan und vor allem ihrer Familie Schande machen würde, würde er es wagen, sie abzulehnen. Dabei war er viel mehr damit beschäftigt, ein guter Magier zu werden und fleißig zu üben, um seinen Vater stolz zu machen. Wenn er eines Tages Geisterjäger oder gar Herr der Geister werden wollte, hatte der blonde Junge noch viel vor sich.

„Du solltest stolz ein,“ rief sein Vater dem Jungen da gerade ins Gedächtnis, und Tabari sah zu ihm hin. „Der Kandaya-Clan ist einer der besten Schamanenclans überhaupt, sie haben eine beinahe genauso lange Tradition wie wir und gelten unter den Geisterjägern als die Herrscher der Schatten. Das Mädchen, das du kriegst, ist die Tochter von Thono Kandaya, dem Oberhaupt des Clans. Sie ist so ziemlich die beste, die du kriegen kannst, Tabari, und die Söhne, die sie dir schenken wird, werden stark sein. Das ist eine sehr vorteilhafte Partie, verstanden?“

„Ja, Vater,“ sagte Tabari artig und neigte lächelnd den Kopf.

Sein kleiner Bruder, der jetzt neun war, war etwas unbeholfener.

„Muss Tabari ein Mädchen aus einem Geisterjägerclan heiraten?“ fragte er. Es war selten, dass er mit seinem Vater sprach, und deswegen sahen ihn alle verwundert an, vor allem Kelar. Kiuk war, anders als Tabari, Telepath und kein Schwarzmagier. Deswegen hatte der Vater kein Interesse an ihm oder seiner Zukunft – er würde keine mächtigen Schwarzmagiersöhne zeugen, die den Clan erweitern würden, das war die Aufgabe von Tabari. Kiuk war nutzlos in Vaters Augen, und Kiuk wusste genau, dass sein Vater sich nicht für ihn interessierte. Aber er interessierte sich auch nicht für seinen Vater… er hatte ja seine Mutter.

„Es ist das Klügste und Sinnvollste,“ antwortete Kelar Lyra trocken auf die dumme Frage des Kleinen. „Er ist der Sohn einer mächtigen Familie, da sollte er eine Braut haben, die auch aus einer guten Familie stammt. Ihre Kinder werden dann besonders gutes, magisches Blut haben.“

„Das ist ja fast wie bei der Pferdezucht,“ kommentierte Kiuk das, und sein Vater starrte ihn an, während Salihah sich einmischte.

„Ja, so in etwa. Die Schamanen, besonders die Geisterjäger, glauben manchmal, ihre Clans genauso züchten zu müssen. Lerne, damit zu leben, Kiuk. So ist es hier schon seit Ewigkeiten gewesen.“

„Wie kannst du es wagen, so respektlos zu sprechen?!“ zischte der Vater missgelaunt und stierte das Kind wütend an. „Du vergleichst die Fortsetzung der Familie mit der Pferdezucht, ich glaube, ich spinne! Halt in Zukunft den Mund, Kiuk, wenn du keine Ahnung hast, wovon du sprichst!“

„Streitet nicht,“ machte Salihah wie immer schlichtend und sah ihren Mann flüchtig an. „Wie soll er Ahnung haben, er ist erst neun. Erzähl lieber etwas über die anderen, großen Clans der Schamanen, damit er eine Vorstellung hat, was eine gute Familie ist und was nicht.“ Kiuk war zwar noch etwas verschüchtert durch den Tadel des Vaters, hob aber jetzt interessiert den Kopf. Kelar Lyra brummte.

„So sei es dann. Es gibt viele Clans, Sohn. Es gibt Heilerclans, Telepathenclans und auch Schwarzmagierclans, jede Gruppe hat ihre besten Familien. Wir sind die älteste und mächtigste Familie der Schwarzmagier. Die anderen Geisterjäger stammen auch alle aus alten, großen Clans mit viel Einfluss. Der Kandaya-Clan, zu dem wir fahren, ist der Clan der Schattenherrscher. Der Kohdar-Clan ist sehr entfernt mit uns verwandt, wir haben denselben Urvater; sie sind Meistermagier des Feuers und es heißt, sie hätten den Menschen das Feuer gebracht vor langer Zeit, als es noch keine Städte gab. Der Chimalis-Clan ist der Clan der Kondorgeister. Vor langer Zeit haben die Schamanen dieser Familie einen Pakt mit den Geistern der Kondore geschlossen und bekommen seitdem Unterstützung von den Geistern der Todesvögel. Es gibt noch ein paar wichtige Namen, aber diese, die ich genannt habe, sind die Wichtigsten unter den Schwarzmagiern. Merke sie dir gut, Sohn! Du wirst sie sicher öfter hören.“ Kiuk blinzelte.

„Was ist mit den besten Telepathenclans?“

„Der Ekala-Clan, aus dem deine Mutter stammt, gehört auf jeden Fall zur obersten Reihe,“ meinte der Vater und sah dabei seine Frau an, die stumm nickte. „Der einzige andere, der mir einfällt, ist der Thala-Clan, aber die Telepathen sind auch nicht so interessant, Kiuk.“

„Aber für mich schon, weil ich auch einer bin,“ schmollte das Kind. Seine Mutter tätschelte ihm lächelnd den Kopf.

„Du wirst ein guter Seelenmagier, mein Kleiner. Keine Sorge.“

Tabari langweilte sich und hörte dem Gerede über Clans nicht weiter zu. Er würde die restliche Zeit der Fahrt lieber nutzen, um sich zu überlegen, was er den Rest seines Lebens mit irgendeinem blöden Mädchen machen sollte, das bei ihm sein würde und das er heiraten müsste, obwohl er keine Lust hatte. Aber Gesetz war Gesetz…
 

Das Anwesen von Thono Kandaya lag nördlicher als das Lyra-Anwesen in der Nähe der Kleinstadt Shay. Das Gebäude war auch um einiges kleiner als Kelar Lyras Anwesen. Vom Kandaya-Clan waren kaum noch Mitglieder übrig. Offenbar waren die Kandaya-Frauen nicht sehr gebärfreudig gewesen und so war Thono Kandaya der letzte männliche Nachkomme des Clans, der noch am Leben war, und er hatte keinen Sohn, sondern nur seine Tochter Nalani, die jetzt Tabaris Verlobte werden sollte.

„Wenn seine Frau zu dumm ist, um ihm Söhne zu schenken, wieso sucht er sich nicht einfach eine Neue?“ hatte Kelar Lyra sich einmal gefragt, und seine Frau Salihah hatte lachend den Kopf geschüttelt.

„Weil er Haki sehr liebt und keine andere Frau möchte, falls dir diese Vorstellung zu seltsam erscheint… es gibt tatsächlich Menschen, die heiraten, weil sie lieben, und nicht wegen der Erben. Und die beiden haben ja oft versucht, noch ein Kind zu bekommen, aber die Früchte sind nie lebend aus Hakis Bauch herausgekommen…“
 

Als die Kutsche der Lyra-Familie Thono Kandayas Anwesen erreichte, wartete bereits die ganze kleine Familie auf den hohen Besuch. Nacheinander stiegen die vier aus der Kutsche, Kelar zuerst, danach die Kinder und zuletzt Salihah, die darauf achtete, dass Kiuk nicht von der Stufe fiel, die aus der Kutsche führte.

„Es ist mir die größte Ehre, Euch und Eure ehrenwerte Familie in meinem bescheidenen Häuschen willkommen heißen zu dürfen, Herr,“ begrüßte der Geisterjäger Thono Kandaya Kelar Lyra mit einer tiefen Verneigung. Seine Frau und das Mädchen, die hinter ihm standen, taten es ihm artig gleich. „Wir sind geehrt durch Eure Mühe, den langen Weg von Vikhara hierher auf Euch genommen zu haben… und noch mehr dadurch, dass meine Tochter die Gemahlin Eures Sohnes werden darf.“

„Nein, nicht doch,“ machte Kelar Lyra abwinkend, aber jeder der Beteiligten wusste, dass er es definitiv nicht geduldet hätte, wäre der Mann nicht so unterwürfig aufgetreten. „Es ist mir eine Ehre, meinem Erben eine Braut aus einer großen, guten Familie geben zu können. – Ich möchte ihn euch vorstellen, Thono. Das ist Tabari, mein ältester und klügster Sohn, den deine Tochter zum Mann nehmen wird.“ In seinen Worten lag absolut kein Zweifel, dass es so sein würde – er duldete keinerlei Widerrede. Ob Tabari oder das Mädchen wollten oder nicht, sie würden eines Tages verheiratet werden.

Tabari machte eine höfliche Verneigung, aber nicht zu tief – der Mann war Geisterjäger und eine Respektsperson, aber er selbst war der Sohn des Herrschers von Lyrien… er kniete vor niemandem.

„Ich bin sehr erfreut über Eure Bekanntschaft,“ sagte der Blonde brav zu Thono Kandaya, der verzerrt lächelte.

„Meine Frau, Salihah, kennst du ja,“ fuhr Kelar Lyra etwas gelangweilt fort und machte eine Handbewegung zu der Frau, die den Kopf neigte, aber aufrecht stehen blieb. „Und das ist unser zweiter Sohn, Kiuk.“ Zu Kiuk wurde nichts weiter gesagt und der Kleine sagte auch nichts, verneigte sich nur stumm.

„Meine Frau Haki,“ stellte jetzt wiederum Thono Kandaya seine Verwandtschaft vor, und die Frau hinter ihm lächelte etwas unsicher und verbeugte sich auch. Kelar Lyra sah sie eine Weile an und sie wich dem Blick aus, als sie das Gefühl hatte, er würde ihr mit einem bloßen Blick den Geist aus dem Körper saugen wollen. Dabei griff sie unwillkürlich nach der Hand ihrer kleinen Tochter, die neben ihr stand in ihrem hübschesten Kleid, die schulterlangen, pechschwarzen Haare aufwendig zusammengesteckt. „Und das ist unsere Tochter, Nalani.“
 

Nalani Kandaya war neun, genauso alt wie Kiuk. Sie war ideal gebaut, weder zu klein noch zu groß, weder fett noch zu dürr, sie hatte ein wohlgeformtes, blasses Gesicht und himmelblaue Augen, die jetzt auf dem Besuch ruhten. Ihr erster Blick galt dem Vater, Kelar, der sie jetzt eindringlich musterte wie ein Stück Fleisch, das er kaufen wollte. Als ihre Blicke sich begegneten, wandte sich das Kind nicht ab, sondern starrte nur in die hellen Schlitze im Gesicht des großen Mannes. Die Augen hatten etwas bösartiges, das Nalani sich nicht erklären und nicht benennen konnte, aber es war da und sie spürte seine Bosheit mit jeder Faser ihres Körpers, je länger sie ihn anstarrte und er zurücksah wie ein giftiges Insekt, das bereit war, zuzustechen und jeden zu töten, der es wagen würde, ihm seine Herrschaft streitig zu machen. Ein gefährliches Insekt, das schnell zerquetscht werden sollte, bevor es eine große Seuche auslösen könnte…

„Nalani!“ zischte ihr Vater plötzlich erbost, „Verneig dich, du stehst vor dem Herrn der Geister und dem Mann, der den Krieg beendet hat! Du solltest Respekt und Ehrfurcht haben, vor ihm, seiner Familie und auch deinem zukünftigen Mann!“

„Entschuldige, Vater,“ sagte die Kleine gehorsam und verneigte sich. „Ich… ich war in Gedanken, es war mein Fehler.“ Der Vater seufzte nachsichtig. Er könnte seiner kleinen Prinzessin nie lange böse sein. Sie war sein einziges Kind… ihn schmerzte der Gedanke genug, sie bald nicht mehr im Haus zu haben.
 

Nalanis nächster Blick galt Tabari, ihrem zukünftigen Verlobten. Als sich die Blicke der beiden zum ersten Mal trafen, lag in beider Augen pure Gleichgültigkeit. Tabari konnte nichts anfangen mit dem kleinen Mädchen, das seinen Vater so unverschämt angestarrt hatte. Und Nalani fragte sich, ob der Junge mit dem eingebildeten Blick wohl einen Besen verschluckt hatte, dass er so gerade und steif neben seinem Vater stand mit Augen so kalt wie ein frischer Frühlingsmorgen. Das Kind klammerte sich etwas fester an die Hand seiner Mutter und ließ den blonden Jungen nicht aus den Augen, als die Familie näher auf sie zukam.

„Trete ein,“ lud ihr Vater die Gäste ein, „Mein Haus ist Euer haus, Herr. Die Reise war sicher anstrengend… ruht Euch aus.“

„Sehr großzügig, Thono,“ entgegnete Kelar Lyra kurz angebunden und ging zusammen mit dem Mann voraus, ihm folgte der ganze Rest der Versammlung. Haki Kandaya und ihre Tochter gingen zuletzt hinein.

„Der Mann hat garstige Augen, Mutter,“ flüsterte Nalani gedämpft aus Angst, er würde sie hören können. „Und der Junge hat tote Augen und gar keinen eigenen Geist, spürst du es auch?“

„Shhh, Nalanichen…“ wisperte die Frau noch leiser und strich der Kleinen hastig über den Kopf, „Sprich nicht. Sprich bitte nicht so garstige Worte… du irrst dich sicher. Sie sind… gute Menschen.“ Nalani zweifelte genauso sehr an den Worten ihrer Mutter wie diese selbst.
 

Während die Eltern in der Stube der Kandayas saßen, Tee tranken und sich unterhielten, wurden die Kinder hinausgeschickt, um sich alleine zu beschäftigen. Tabari hatte protestiert, er wäre zu groß, um mit den Kleinen zu spielen, aber seine Eltern hatten darauf bestanden, dass er sich mit Nalani beschäftigte – sie würden einmal heiraten, da war es gut, wenn sie sich kennenlernten.

„Ich zeige euch das Haus,“ schlug Nalani den beiden Jungen vor. Kiuk nickte und Tabari zuckte nur teilnahmslos mit den Schultern. So ging das Mädchen voraus und zeigte den beiden die meisten Räume, abgesehen von den Schlafzimmern, weil es sich nicht gehörte, Besucher einfach so ins Schlafzimmer zu führen. Schlafzimmer waren private Räume und ihre Eltern würden nicht wollen, dass sie mit den Jungen dort hinging. Sie sprachen nicht, außer dass Nalani ihnen die Namen der Räume sagte. Als sie alles angesehen hatten und wieder auf der Veranda standen, wusste niemand, was sie tun könnten. Kiuk überwand sich als erstes, zu sprechen.

„Und du bist… auch Schwarzmagierin, Nalani? So wie mein Bruder und mein Vater?“ Nalani sah ihn an und nickte.

„Ja.“ Sie überlegte kurz. „Du bist Telepath, hmm?“

„ja,“ machte er und wirkte irgendwie bedrückt, „So ist es wohl.“

„Warum schaust du so, ist das schlimm?“ wunderte sich das Mädchen, „Telepathen sind sehr mächtige Magier, sie können teleportieren und Dinge bewegen, ohne sie anzufassen, das können Schwarzmagie nicht. Und sie können Barrieren erstellen, die sie schützen können. Sie sind sowas wie eine Mischung aus Heilern und Schwarzmagiern, weil sie sowohl offensiv als auch defensiv zaubern können.“ Kiuk sah sie perplex an und Tabari zog eine Braue hoch.

„Echt?!“ staunte der Kleine da, „S-sowas Tolles hat noch niemand über Telepathen gesagt! Bei uns zu Hause bin ich immer nur ein Klotz am Bein und mein Vater sieht mich nicht mal mit dem Rücken an…“

„Das ist aber nicht sehr höflich,“ bemerkte Nalani. Tabari schnaubte.

„Was bildest du dir ein, du undankbarer Knilch?!“ tadelte er seinen Bruder und schlug ihm auf den Hinterkopf, „Du solltest froh sein, dass Vater dich überhaupt leben lässt und dich nicht als Säugling erstickt hat! Dass du nutzlos bist, hat nichts damit zu tun, dass du Telepath bist, Mutter ist auch eine Telepathin und nicht nutzlos. Aber du bist einfach nur kindisch, pff!“ Er wurde von den beiden Jüngeren angestarrt. Kiuk sah aus, als wollte er zu heulen anfangen, und Nalani war plötzlich wütend.

„Was bildest du dir ein, redet bei euch jeder so mit seinem Bruder?!“ machte sie entsetzt, „Und so einen soll ich heiraten?! Du garstiger Kerl!“ Sie nahm den schniefenden Kiuk an der Hand und ging mit ihm ins Haus hinein. Tabari blieb stehen, sah ihr nach und spuckte wütend auf den Boden.

„Respektloses Drecksgesindel!“ schimpfte er beleidigt. Das würde er seinem Vater erzählen, der würde dieser Zicke schon Beine machen.
 

Sie blieben über Nacht im Anwesen der Kandayas, man hatte ihnen großzügig die besten Zimmer als Gästezimmer hergerichtet, eines für die Eltern und eines für die beiden Kinder.

„Meine Frau und ich werden alles vorbereiten für Nalanis Abreise,“ versprach Thono Kandaya abends, als er vor dem Gästezimmer und Salihah Lyra stand, die ihre Söhne zu Bett gebracht hatte und jetzt darauf wartete, dass ihr Mann wieder auftauchte, der im allgemeinen Gewusel des Schlafengehens verschwunden war. Sie hatte kein gutes Gefühl dabei, denn wen ihr Mann spurlos verschwand, passierte etwas Schlimmes. Sie wusste nicht, was es war… aber sie wusste, dass dies der Anfang des Falls sein würde, den sie prophezeit hatte.

Die Herrschaft über Dokahsan geht auf und wird schneller wieder untergehen, als Kelar das lieb sein wird… und er selbst ist es, der den Clan ins Verderben reitet…

„Macht euch nicht so viel Mühe unseretwegen, Thono,“ sprach sie dann lächelnd und neigte den Kopf. „Ich bin dir und Haki sehr, sehr dankbar und teile den Schmerz eures Opfers, eure einzige Tochter in unsere Familie zu schicken. Ich werde dafür sorgen, dass ihr sie regelmäßig besuchen dürft. Nur am Anfang ist es besser, wenn ihr fern bleibt, damit sie sich loslösen kann und sich einlebt bei uns.“

„Besuchen? Das wäre das Schönste der Welt,“ seufzte der Mann traurig, „Haki weint jede Nacht, seit wir zugestimmt haben, sie Tabari zur Frau zu geben. Es ist der Lauf der Dinge, eines Tages wäre sie ja ohnehin eine Braut geworden… aber irgendwie ist es doch schwer für uns.“

„Ich weiß,“ sagte die schwarzhaarige Frau sanft, „Ich verspreche dir, dass ich sie hüten und erziehen werde, wie ihr es getan hättet, und sie wie meine Tochter behandeln werde. Sprich vor Kelar nicht von den Besuchen, ich bin mir nicht sicher, ob er dafür wäre.“

„Du kannst es doch nicht gegen seinen Willen durchsetzen…“ stammelte der Mann unsicher, „Ich meine… selbst ich, und ich bin Geisterjäger und kein feiger Mann, fürchte mich vor deinem Mann, Salihah… seine Augen haben etwas Lauerndes, etwas, das mich beunruhigt…“

„Sei unbesorgt. Bei mir ist das anders. Mich beunruhigt gerade viel mehr seine Abwesenheit…“

„Was?“ machte der Mann verblüfft, und sie erhob sich langsam und sah in Richtung des Fensters.

Ein bösartiger Schatten zog über das Tal, den nur sie sah. Ein Schatten, dessen Namen sie nicht nennen könnte und dessen Heraufziehen selbst sie erzittern ließ.

Hütet euch vor dem Zorn des Himmels, Geisterjäger…
 

„Es gibt keinen Weg, dass ich einen anderen Mann heiraten kann, Mutter?“

Die Frage der kleinen Nalani ließ Haki Kandaya aufsehen und sie wirkte erschrocken. Die Frau war mit ihrer Tochter in ihrem Ankleidezimmer, um ihr Nachthemd anzuziehen, bevor sie zu Bett gehen würde.

„Nalani!“ keuchte sie, „Sprich nicht so… die Geister könnten deine Worte hören und sie gegen dich wenden… Tabari Lyra und du, ihr werdet euch sicher eines Tages vertragen. Du solltest längst im Bett sein…“ Sie verstummte, als das kleine Mädchen plötzlich an ihren Beinen klebte, und sie sah hinunter zu ihr. „Nalani…“

„Ich möchte nicht fort,“ flüsterte Nalani traurig, „Ich möchte nicht mit ihnen gehen, Mutter. Sie sind garstig, zumindest einige von ihnen. Die Geister warnen mich, von ihnen fern zu bleiben, sie wollen, dass ich weggehe von den Lyras! Letzte Nacht hatte ich einen fürchterlichen Traum… ich… habe gesehen, dass…“ Ihre Mutter hockte sich vor sie und hielt ihr sanft einen Finger auf die Lippen.

„Nicht aussprechen,“ sagte sie sanft lächelnd. „Sprich schlimme Dinge nicht aus, Nalani, sonst hören dich die bösen Geister und lassen es Wirklichkeit werden. – Es war nur ein Traum, meine Kleine. Natürlich hast du Angst, wegzugehen… Vater und ich haben auch Angst. Aber es gibt nur diesen einen Weg. Morgen packen wir deine Sachen und du wirst mit ihnen fahren.“ Nalani sah sie groß an, als die Mutter ihr über sie Wangen streichelte. Dann senkte das Kind den Kopf.

„Sag ehrlich, Mutter… glaubst du, Kelar Lyra ist ein guter Mensch?“

Haki Kandaya hielt inne und starrte sie eine Weile an. Dann senkte auch sie weit den Kopf, so weit, dass Nalani ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte. Sie sprach.

„Nein… das glaube ich nicht, mein Kind. Du wirst dich vor ihm hüten müssen.“
 

Sie hörten Schritte auf dem Flur, die auf das Zimmer zukamen. In einer plötzlich aufkommenden Ahnung und Panik erhob Haki Kandaya sich rasch und schob das Kind zurück und in den riesigen Kleiderschrank.

„geh da rein!“ keuchte sie, „Und mach keinen Mucks, Nalani!“

„Aber-…?!“ machte das Kind perplex, da wurde es schon in den Schrank geschoben und die Mutter schloss die Tür, sodass Nalani im Dunkeln saß. Durch das Schlüsselloch des Schranks fiel ein spärlicher Lichtstrahl aus dem Raum herein und Nalani kniete sich hin, um zu beobachten, was geschehen würde.

Im Nachhinein wünschte sie sich, es nicht getan zu haben.
 

Die Tür ging auf und Kelar Lyra betrat unaufgefordert den Raum, worauf Haki Kandaya einen Schritt nach hinten machte.

„Na, hört mal,“ sagte sie vorwurfsvoll, „Dies ist mein Ankleidezimmer, hier einfach hereinzuplatzen ist nicht gerade die feine Art, Herr der Geister hüh oder hott!“

„Ihr habt eine lockere Zunge, werte Dame,“ erwiderte er gelassen, „Mir gegenüber den Mund ungefragt aufzutun ist schon allerhand. Hat dein Mann dir nicht beigebracht, in Gegenwart anderer Männer den Mund zu halten, Weib?“ Haki Kandaya seufzte, obwohl sie vor Wut zitterte bei den beschämenden Worten.

„Was wollt Ihr von mir?“ fragte sie ernst. „Was immer es sein mag, Ihr bekommt schon meine Tochter. Das muss reichen.“

„reichen?“ Der Mann kicherte plötzlich, was sie verwirrte. Dann war er plötzlich mit einem Satz direkt vor ihr, die Tür hinter sich schließend, und packte sie an den Schultern, um sie gegen die Wand des Zimmers zu stoßen. Haki stieß ein schmerzerfülltes Keuchen aus und riss entsetzt die Augen auf beim Anblick des Mannes vor sich. Groß und dunkel wie eine Sturmwolke baute er sich vor ihr auf und sie spürte einen kalten Schauer der Angst über sich laufen. „Du hast keine Ahnung, Weib. Ich hoffe, deine Tochter ist gebärfähiger als du und schenkt meinem Sohn viele, gute Söhne! Etwas, das dir nicht gegönnt wurde…“

„Es kann noch kommen,“ widersprach die Frau etwas unsicher und versuchte zaghaft, ihn von sich wegzudrücken, „L-lasst mich los!“

„Oh nein, es wird nicht mehr kommen. Dafür werde ich sorgen, dann wird mir der Clan deines Mannes in Zukunft nicht mehr im Weg stehen. Denn ich… bin der Herrscher von Lyrien und ich dulde nicht, dass ihr anderen Geisterjäger mir bei meinen Plänen in die Quere kommt!“

„Pläne?“ keuchte sie, und er drückte sie fester gegen die Wand, als sie sich zu wehren versuchte – und sie erstarrte, als er sie plötzlich aus seinen giftigen Augen voller Bosheit anstarrte und ihr die Farbe aus dem Gesicht saugte mit dem bloßen Blick. „Nein… w-was habt Ihr vor?! Ihr könnt nicht die ganze Welt beherrschen, sie ist zu groß für einen Mann.“

„Still, du Nutte!“ Er schlug ihr ins Gesicht und sie schrie auf, dann wurde ihr der Mund zugehalten, was ihren Schrei dämpfte. „Der Respekt und die Ehre gebühren meiner Familie, mir, Haki, und mir haben sie es zu verdanken, die anderen Dreckschweine hier in Dokahsan, dass sie Frieden haben, dass sie Land haben und unser Land nicht jetzt Anthurien heißt! Denkst du, ich merke nicht, dass du meinen Blicken ausweichst? Dass das alle der Geisterjäger tun, dein Mann ebenso wie die übrigen Arschkriecher? Und sie tuscheln hinter meinem Rücken und behaupten, mein Tun wäre unrecht… ist es unrecht, sag es mir, Haki…“

„Nein… b-bitte!“ japste sie, als er die Hand an ihren Hals hob und ihre Kehle zupresste. Sie hustete erstickt. „I-ich weiß von nichts, ich schwöre es! Ich bin schließlich keine Geisterjägerin, ich weiß nicht, was mein Mann mit den anderen beredet! Sicher hat er nie ein schlechtes Wort verloren über Euch oder Euren Clan… lasst mich gehen…“

Kelar Lyra sah sie herablassend an, die wimmernde, zappelnde Frau, die er gegen die Wand drückte, deren Kehle er zuschnürte, sodass sie heftig nach Luft schnappte und langsam blau anlief. Auf sein Gesicht schlich ein diabolisches Grinsen voll von abgrundtiefer Bosheit und Finsternis. Haki Kandaya erstarrte, als sie seinen Blick erneut fing… zum letzten Mal.

„Nein…“ raunte er ihr ins Ohr und drückte fester zu, „Niemals. Du wirst als erste sterben, Schlampe… dann dein Mann… dann nach und nach die anderen großen Clans, bis nur noch der Lyra-Clan übrig ist, als einziger fähig, das Chaos… zu beherrschen! Ihr werdet mir eines Tages dankbar sein… ihr Narren!“

Und er presste die Hand mit aller Kraft gegen ihre Kehle, ohne Gnade und ohne die Absicht, sie am Leben zu lassen.
 

Der Schatten der Nacht verhüllte die Gesichter der beiden Monde Ghia und Zuyya, als Salihah am Fenster stand und hinaus starrte. Sie konnte die Lichtquellen, die Positionen der Monde, nur erahnen in der Dunkelheit. Als ihr Mann, der lange verschwunden gewesen war, das Zimmer betrat, blieb sie, wo sie war. Aber sie spürte den Schatten über dem Haus dunkler werden, genau wie den in ihrem Herzen.

„Du bist zurück,“ bemerkte sie nach einer Weile des Schweigens, und er trat direkt hinter sie ans Fenster, durch das sie hinaus sah.

„Du bist wach, wie ich sehe,“ entgegnete er mit einem kalten Lächeln, hob seine Hände und berührte ihre Schultern. Sie schwieg. „Das ist gut, Salihah… die Verbindung unserer Familie mit den Kandayas wird gut sein, glaub mir. Tabari und das Mädchen mit den scharfen Augen mögen sich nicht, aber sie werden schon zurecht kommen. Es ist egal, ob sie sich mögen. Wir sind auch auf den Wunsch meiner Eltern hin verheiratet worden.“

„Aber wir mochten uns,“ meinte sie dumpf. Ihre Stimme war hohl und klang, als wäre sie müde, worauf er im Berühren ihrer Schultern innehielt. Lange sah er sie einfach nur von hinten an, dann ließ er die Arme sinken.

„Hattest du eine Vision, Frau?“ fragte er sie knapp. „Was hast du… gesehen? Etwas Gutes für die Zukunft?“

Salihah antwortete ihm nicht. Sie drehte sich jetzt zu ihm um und sah ihm ins Gesicht, das unverändert war Als wäre nichts passiert.

Als würde niemals etwas passieren.

Beim Blick in ihr Gesicht stutzte er kurz. Sie sah anders aus als sonst, wenn sie Visionen gesehen hatte – genauso distanziert, aber anders als sonst. Etwas in ihrem hübschen Gesicht war beunruhigend, er konnte nur nicht sagen, was es war. Ihre blauen Augen fixierten seine, ihr Blick ging aber durch ihn hindurch ins Nichts. Sie fragte:

„Wo… bist du so lange gewesen…?“, obwohl sie die Antwort längst gesehen hatte.
 

Haki Kandaya war tot. Ihr Mann war entsetzt über den plötzlichen Schlag, ebenso wie die Kinder, obwohl Nalani apathisch wirkte, während sie gemeinsam mit ihrem Vater vor dem toten Körper ihrer Mutter stand, hinter ihr die Lyras, abgesehen von Kiuk, den hatte Salihah auf dem Flur gelassen, um ihm den Anblick zu ersparen. Es gab kein Blut; aber der Anblick einer Toten war dennoch keiner, den ein Kind verdiente.

„Ich verstehe das nicht!“ keuchte Thono Kandaya, „Gestern hat sie noch gelebt! Als sie nachts wegblieb, glaubte ich, sie wäre bei Nalani… war sie bei dir, Liebling…?“ Nalani zitterte und brachte kein Wort heraus.

Nein… sie wusste genau, was geschehen war. Sie hatte alles gesehen. Sie wusste, wer ihre Mutter getötet hatte, und sie hasste den Mann, der hinter ihr stand, bis auf den Tod für das, was er getan hatte. Ihn und seinen dämlichen Sohn, den sie heiraten müsste. Sie würden ihnen niemals vergeben.

„Das ist ein Jammer…“ meinte Kelar Lyra mit gespieltem Mitleid, und seine Frau sah ihn ungläubig an. „Ich meine – was wird jetzt aus deiner Familie? Du hast keine Söhne… und ohne deine Frau wirst auch nie welche haben…“

„Die Söhne sind mir jetzt egal!“ schnappte der Mann verbittert und schluchzte, „I-ich will meine Frau zurück… ich… will nicht, dass sie tot ist!“

„Aber das kannst du nicht ändern, so leid es mir tut…“ Hinter dem Rücken des Mannes zeigte er ein schelmisches Grinsen, und Salihah stieß ihn unauffällig an. Ihr Blick warnte ihn, nicht zu weit zu gehen. Thono Kandaya kniete sich zitternd auf den Boden vor seine tote Frau und senkte den Kopf herab auf ihren Bauch.

„M-meine Haki… meine geliebte Haki…“ wimmerte er, und die Lyras im Hintergrund sahen sich an. Nalani hockte sich stumm neben ihren Vater, und er nahm sie weinend in den Arm. Das Mädchen umarmte seinen Vater auch, zitterte aber nur stumm weiter, ohne etwas zu sagen oder zu weinen.

„Was für ein garstiges Kind,“ brummte Tabari schnippisch, „Sie weint nicht mal um ihre Mutter. Wie pietätlos.“ Kelar Lyra kommentierte das nicht weiter. Da hob der Geisterjäger vor ihnen den Kopf wieder, die Kleine an sich drückend.

„Ich bitte Euch… ich weiß, es ist… ehrlos von mir, das zu verlangen… aber… kann ich meine Tochter nicht noch so lange hier behalten, bis sie eine Frau geworden ist? Ich möchte für sie sorgen und außer ihr habe ich doch jetzt niemanden mehr… seid großzügig, Herr…“ Er sah zu Kelar Lyra, und der Mann sah ihn empört über diese Forderung an, während sich in Nalani ein Hoffnungsschimmer regte – sie müsste nicht zu den Lyras!

Erstaunlicherweise war es Salihah, die diesen Plan vereitelte.

„Nein, Thono. Sie muss heute mit uns kommen, je eher, desto leichter wird es ihr fallen. Ich habe dir mein Wort gegeben, das werde ich halten.“

„Was für ein Wort, Frau, hinter meinem Rücken?“ zischte Kelar verärgert, war aber vor allem perplex, dass Salihah dafür sorgte, das Mädchen aus den Armen des trauernden Vaters zu reißen. Das war definitiv nicht ihre Art und viel zu herzlos für sie… was hatte die denn vor?

„Mein Wort darauf, dass ich Nalani beschützen werde,“ erklärte seine Frau ihm ruhig und sachlich. „Sind ihre Sachen gepackt? Wir brechen so schnell wie möglich auf.“

„Wartet – darf sie nicht einmal die Beisetzung ihrer eigenen Mutter begleiten?“ keuchte Thono Kandaya, „Wir wollen meiner Frau die letzte Ehre erweisen, ich möchte, dass Nalani dabei ist.“ Salihah sah ihn an und schien zu überlegen, was sie sagen sollte. Sie entschied sich für ein Kopfnicken.

„Einverstanden. Wenn die Zeremonie jetzt sofort stattfindet. Je eher wir fort kommen, desto besser, denn für meine Kinder halte ich es nicht für sehr angebracht, länger in einem Haus zu wohnen, in dem jemand ermordet worden ist.“

Dann ging sie aus dem Raum und ließ eine perplexe Gemeinschaft zurück. Tabari kratzte sich planlos am Kopf und murmelte kleinlaut:

„E-ermordet?“
 

Es war ein sehr kleiner Kreis, der Haki Kandayas Trauerfeier beiwohnte. Die Kinder sammelten Holz, das auf einen Haufen gelegt wurde. Die Frau wurde in ihre besten Kleider gehüllt und bekam ihre wichtigsten Gegenstände zu sich, ehe sie auf den Holzstapel gelegt wurde, ihr Mann sie mit Öl übergoss und sie anzündete. Verbrennung war eine ehrenvolle Bestattungsart, bei der das Feuer den Geist der Toten rasch in die Luft und ins Reich der Geister bringen würde. Trotz allem würde Thono Kandaya fünf Tage und fünf Nächte nicht von dem Scheiterhaufen weichen, um aufzupassen, dass der Geist seiner Frau wirklich gut ankam. Während das Feuer brannte, standen er und Nalani davor und starrte hinauf, bei ihnen die paar Bediensteten des Haushaltes, die Lyras im Hintergrund.

„Wer hat sie umgebracht?“ wollte der kleine Kiuk bekümmert wissen, der an der Hand seiner Mutter stand, und sie sagte nichts.

„Wenn wir das wüssten, hätten wir ihn ja erledigt, du Depp,“ meinte Tabari zuversichtlich.

„Sei lieber vorsichtig mit dem, was du sagst,“ mahnte sein Vater ihn argwöhnisch, was Tabari verwunderte, „Der Kerl könnte ja noch hier lauern und als nächstes ich auf dem Kieker haben, wer weiß…“ Tabari verstummte. Der Gedanke war durchaus beunruhigend.
 

Das Feuer war so gut wie heruntergebrannt, als Salihah sich überwand, die kleine Nalani an der Hand zu nehmen, worauf sie hochschreckte.

„Es ist besser, wenn wir jetzt gehen, Nalani,“ sagte sie ernst. „Lass deine Mutter in Frieden ruhen. Es tut… mir so leid, was passiert ist. Deine Sachen sind alle in die Kutsche gebracht worden, es ist zeit.“ Nalani sah sie ungläubig an.

„Wie soll meine Mutter in Frieden ruhen, wenn der Mörder noch frei und lebend herumläuft?“ fragte sie.

„Geh mit ihnen, Nalani…“ murmelte ihr Vater neben ihr, und sie fuhr zu ihm herum. Er stand da, geistesabwesend, und starrte auf den glühenden Holzhaufen. „Ich bin nicht fähig, alleine für dich zu sorgen. Du wirst es gut haben bei ihnen… ich komme dich… mal besuchen.“ Salihah sah den Mann schweigend an und senkte ehrfürchtig den Kopf. Nalani zauderte, als die Frau sie am Arm nahm und sanft hinter sich herzog, wem vom Feuer.

„Nein, halt!“ schrie sie panisch, „I-ich möchte nicht! Bitte, Vater! Bitte schick mich nicht fort! S-sag ihnen, sie sollen sich eine andere Braut suchen… bitte!“ Aber er sagte nichts und senkte nur reuig den Kopf, und Salihah, die sie zog, hielt nicht inne und zeigte keinerlei Barmherzigkeit. Wieso sprach ihr Vater nicht? War ihm egal, was aus ihr wurde? Dass sie mit ganzem Herzen diese grauenhafte Familie hasste, zu der sie fortan gehören sollte?

Sie würde es niemals erfahren.
 

Sie wollte sich umdrehen und erzitterte am ganzen Körper vor Schmerz, Wut auf die Lyras, Sehnsucht nach ihren Eltern und Verständnislosigkeit über das Verhalten ihres Vaters, aber Salihah hielt sie sanft fest und zwang sie, wieder geradeaus zu sehen.

„Dreh dich nicht um, Nalani,“ flüsterte sie erstaunlich sanft, von der vorherigen Kälte war nichts mehr zu hören. 2Hier gibt es nichts mehr für dich, kleines Mädchen.“
 


 

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booyah o_o mami tot, und der Vati folgt sogleich! XD harr harr harr... arme Nalani uû tabari ey, ich würde ihm gerne eine knallen XDD aber verzeiht ihm, er ist auch nur ein Opfer^^'



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Enyxis
2011-10-07T15:12:50+00:00 07.10.2011 17:12
Q.Q Die arme Nalani...
Aber...tragischer Ereignisse versprechen gute Handlungen *Q*
Ich steh auf Drama und Tragik XDDD

Tabari würd ich auch gerne eine knallen ô.ô Ich hoffe mal der verändert sich im Laufe der Zeit...

Hamma Kapi *Q*
Von:  Yachiru
2009-05-10T12:18:19+00:00 10.05.2009 14:18
Pakuna stammt von den Chimalis' ab? oô

Gut zu wissen XD Tabari is ein Arschkeks XD

Und Kelar ist auch einer XDD Wenn auch ein Sadist^^

Yachi
Von:  Decken-Diebin
2009-04-13T19:17:38+00:00 13.04.2009 21:17
Ui, der Großvater von Pakuna xD Ein Geisterjäger ^.^
Die arme, arme Nalani. Mir tut sie echt leid, unglaublich, dass sie sich nicht verraten hat, als Kelar Haki umgebracht hat. Woah... Kelar ist scheiße und grausam, das muss man mal so sagen X__x'
Und Tabari ist auch blööööd. Wie er sich benimmt, oh mein Gott^^... da mag ich Kiuk ja momentan viel lieber XD
LG, Hina
Von:  Kimiko93
2009-04-13T11:47:06+00:00 13.04.2009 13:47
War dieser ominöse Chimalis zufälligerweise Zoras? Also... Ähm... Der Pakunas-Opa-Zoras, natürlich XD

Nalani ist toll ._. Und Salihah auch ûu und Tabari ist irgendwie süß ö_ö ich kann gar nicht böse auf ihn sein, weil ich ja weiß, wie er werden wird XD

Und Kelar hat echt kaum Stil ôo' ich meine, er hat sie ERWÜRGT. Das ist uncool ûu
Von:  -Izumi-
2009-04-13T09:57:09+00:00 13.04.2009 11:57
Opfer? Klingt nach Missgeburt XD
Boah ey.... kelar ist ja soooo cool XDDDD
Schon ziemlich arschig.... aber cool ^o^
Arme Mami... na ja, kann man wohl nichts machen. Nalani ist süß, voll bemitleidenswert uû
Und ich will noch mehr von den Geisterjägern sehn ^o^
Ich war immer schon eine Freundin von denen XDD
Geisterjäger rulen einself+9 ^________________^


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