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Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde

von

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Blindheit

Das Mondblut kam nicht, aber ihr Unterleib schmerzte trotzdem. Nalani war verwirrt und verärgert darüber, während Salihah fort war und sie nur Kiuk hatte, mit dem sie reden konnte. Als er am Abend zurückkehrte und erfuhr, dass seine Mutter mit Zoras Chimalis nach Vialla fuhr, war er erschrocken.

„Du liebe Güte,“ machte er dabei und fuhr sich genauso wie Zoras am Morgen nervös durch die Haare, „Und wenn Vater das erfährt? Der wird uns lynchen…“

„Solange er und Tabari noch in Yiara sind, haben wir hier wenigstens Ruhe,“ meinte seine Schwägerin, „Wieso wühlst du dir die ganze Zeit in den Haaren herum, bist du nervös?“ Er seufzte.

„Natürlich bin ich nervös, wenn meine Mutter hier ist, fürchte ich Vaters Zorn nicht so, aber wenn sie fort ist…“

„Jetzt sei mal ein Mann,“ Nalani schlug ihm motivierend auf die Schulter, „Du bist fast sechzehn, du kannst dich doch nicht ewig hinter Salihah verkriechen. Was soll deine Freundin Sukutai denn denken?“ Kiuk errötete.

„I-ich verkrieche mich doch gar nicht… also… und… ach, was soll‘s…“ Die Schwarzhaarige verdrehte innerlich lächelnd die Augen. Sobald man Sukutais Namen aussprach, wurde er ganz hibbelig und verlegen, es war ein wirklich amüsierender Anblick. Und Nalanis einziger Lichtblick, wenn sie an die düstere Zeit dachte, die ihnen bevorstand. Salihah war die Einzige, die es je geschafft hatte, Kelar festzuhalten, und Zoras war von allen Geisterjägern der Mächtigste… und jetzt, wo beide fort waren, wer sollte das Monster bändigen, wenn es aufwachte…?
 

Die Nächte waren unruhig, obwohl weder Kelar noch Tabari daheim war. Nalani träumte von brennenden Himmeln, deren Flammen das Land zu zerstören drohten. Das Feuer wechselte seine Farbe von rot über blau zu grün, während die Erde unter ihren Füßen aufbrach und Mutter Erde mit einem tiefen, bösartigen Brüllen ihre Zorn kundtat. Im Inferno des Weltuntergangs hörte Nalani Kelars dreckiges Gelächter.

„Wenn Tabari zu dumm dafür ist, dich mit Leben zu füllen, werde ich es selbst tun…“

In dem Moment wachte sie auf und weinte vor Furcht und ob der grausamen Schmerzen, die sie plötzlich in ihrem Bauch spürte. Sie lag allein im Bett, weil Tabari in Yiara war, und sie rollte sich keuchend auf die Seite und fasste zitternd nach ihrem Unterleib. Was war denn los mit ihr? Sie fühlte sich plötzlich einsam in dem großen Bett ohne ihren idiotischen Mann. Wie gern hätte sie sich jetzt an ihn geschmust wie in jener Nacht, in der sie zum allerersten Mal etwas empfunden hatte, als er es mit ihr getan hatte… sie fühlte sich schutzlos und ihren grausamen Träumen ausgeliefert, genau wie sie Kelar ausgeliefert gewesen war im Keller…

Die Tür öffnete sich leise und Nalani fuhr erschrocken hoch. Zuerst glaubte sie, Tabari wäre zurück, und sie hatte plötzlich das Bedürfnis, sich in seine Arme zu werfen; aber es war nicht Tabari, sondern Kiuk, der völlig konfus ins Zimmer sah.

„Ist alles in Ordnung?“ keuchte er, und als er seine Schwägerin schluchzen hörte, eilte er an ihr Bett und fasste sanft nach ihrem Kopf. „Shh, Nalanichen… w-was ist passiert?“

„Es war nur ein Traum…“ wisperte sie und drehte beschämt über ihren Ausfall den Kopf von ihm weg, „Ich… ich träume böse Dinge, Kiuk… es sieht schlecht aus und… ich… ach, ist schon gut. Mach dir bitte keine Sorgen um mich…“

„Ich habe dich weinen gehört…“ murmelte er bedrückt, „Ist wirklich alles gut? Ich würde dir nur gern helfen, wenn ich es könnte…“ Sie schniefte.

„Es wird schon wieder, ich…“ Sie brach ab und schluckte jetzt ihre Tränen hinunter. Dann senkte sie weit den Kopf, als er sich auf die Bettkante setzte und ihr tröstend über die Haare strich. „Kannst du bei mir bleiben…?“ verlangte sie dann kleinlaut, „Dein Bruder ist nicht da und das macht mich wütend, i-ich würde mich jetzt so gerne von ihm in den Arm nehmen lassen… dieser verfluchte Idiot, was sitzt der in Yiara, während ich weine?! Ich hasse ihn, ich bin stinksauer!“ Kiuk war verwirrt über ihre Stimmungsschwankungen, und er legte sich seufzend zu ihr ins Bett und umarmte sie.

„Ist doch schon gut,“ meinte er, „Reg dich nicht auf, Tabari kann doch auch nichts dafür. Soll ich heute hier schlafen, damit es dir besser geht?“

„Das wäre sehr lieb…“ nuschelte sie und plötzlich schämte sie sich, dass sie so schwächelte und Schutz in den Armen eines Mannes suchte. Aber die Schmerzen klangen ab, als sie friedlich nebeneinander lagen. Als Nalani wieder einschlief, kam kein Traum mehr, um sie zu verfolgen.
 

Kelar hatte keine Ahnung. Er bekam tatsächlich erst als er zum Schloss zurückkehrte mit, dass seine Frau verschwunden war, und zu dieser Zeit war Salihah mit Zoras längst in Vialla. Der Mann tobte und wütete wie ein zorniger Stier und der Rest seiner Familie suchte panisch das Weite, als er plötzlich anfing, mit Möbeln zu werfen und mit seinem Geisterspeer Dinge zu zerstören. Kiuk rettete den Küchenjungen und ein paar andere Bedienstete in den Garten aus Angst, der Vater könnte vor Wut wieder unschuldige Arbeiter umbringen. Tabari, der mit Kelar zurückgekommen war, tat nichts Besseres als schweigend am Rand zu stehen und seinen Vater beim Toben zu beobachten, so war es an der extrem missgelaunten Nalani, sich dazwischen zu stellen.

„Verdammt noch mal, du bist wohl von allen guten Geistern verlassen!“ herrschte sie ihren Schwiegervater an, „Lass die Möbel heil!“ Kelar fluchte und fuhr wutentbrannt zu ihr herum, um mit dem Speer nach ihr zu schlagen, aber die junge Frau wich geschickt aus.

„Wie kannst du es wagen, Wachtel?!“ brüllte er, „Du stellst dich mir in den Weg, das ist etwas, was sich nicht mal Salihah noch traut, und du hast keine Angst?! Ich reiße dich in Stücke, du bist doch Salihahs kleines Mädchen, huh?! Du würdest ihr dienen, du würdest eher dieser gestörten Sadistin dienen, die Männer in Öl badet, nachdem sie sie durchgenommen hat, als vor mir zu knien, habe ich recht?!“

„Ich würde eher zum Himmelsdonner gehen als jemals zu knien!“ brüllte sie, und Kelar war von dieser Antwort so perplex, dass er kurz sprachlos war. Tabari weitete jetzt ebenfalls die Augen.

„Du willst also nicht knien…?“ raunte Kelar dann bedrohlich, „Oh, welche Beleidigung der Himmelsgeister, eine Frau, die nicht knien will… und eine Ehefrau, die nicht gehorcht…!“ Seine letzten Worte galten mehr Tabari, denn er schenkte seinem Sohn einen bösen Blick. „Du erziehst dein Weibsbild nicht richtig, Tabari!“ tadelte er ihn dann, und Tabari erbleichte. Nalani schnappte wütend nach Luft. Der Zorn war so mächtig in ihr, dass ihr schlecht wurde, als sie Kelar länger ansah. „Wieso lehnt sich deine Frau gegen mich auf und du tust nichts dagegen?!“ fauchte der Mann dann weiter, „Komm her, Tabari, jetzt sofort! Komm zu mir!“

„Vater, i-ich tue doch, was ich kann…“ jammerte der Blonde und kam mit unterwürfig geneigtem Kopf brav neben ihn, und er kassierte von seinem Vater eine Kopfnuss.

„Tatsache?!“ herrschte er ihn an und zerrte Tabari am Kragen, dann deutete er mit dem Speer auf Nalani. „Dann schlag sie! Schlag sie für ihren Ungehorsam, wie es deine Pflicht ist als ihr Mann, du Narr!“ Er schubste seinen Sohn zu Nalani und Tabari starrte ihn an.

„Was?! Wieso, sie wollte doch nur die Möbel be-…“

„Die Möbel, verdammt, schlag deine verfluchte Hure, Tabari!“ brüllte Kelar wutentbrannt, „Oder ich werde es selbst tun, wenn du zu dumm dafür bist!“ Nalani keuchte.

„Wenn Tabari zu dumm dafür ist, dich mit Leben zu füllen, werde ich es selbst tun…“

N-nein…! Sie strauchelte und starrte auf ihren Mann, der sich jetzt heftig atmend zu ihr umdrehte und sie mit entsetzten grünen Augen anstarrte. Er konnte sie doch nicht schlagen! Jetzt, wo es gerade halbwegs gut war zwischen ihnen… was verlangte sein Vater von ihm?

„Tu es!“ zischte der ihm da ins Ohr, und Tabari japste, als Kelar ihn mit seinem Speer in den Rücken piekte. „Los, schlag sie, oder ich tu es für dich und zeige dir, wie man mit einer ungehorsamen Frau umgeht…“ Tabari rührte sich nicht. „Ah, gut… das sehe ich dann mal als Nein an…“ Damit schritt er an Tabari vorbei und holte bereits aus, als der Sohn plötzlich schrie und ihn am Ärmel riss.

„Nein, halt! Ich mache es, Vater! Geh zur Seite!“ Kelar grinste gehässig mit erhobenem Arm und trat zur Seite, bevor Tabari sich bösartig wie eine Sturmwolke vor seiner erbleichten Frau aufbäumte. Sie war unfähig, sich zu bewegen.

„Tabari…!“ japste sie leise, und es tat ihm in der Seele weh, wie sie ihn ansah. Er hatte noch nie so viel Entsetzen in ihren Augen gesehen…

Er war ein grauenhafter Mann. Er würde sich später selbst schlagen für das, was er tat.

„Du solltest wissen, wo deine Grenzen sind, Nalani,“ sagte er kaltblütig zu ihr, dann schlug er ihr so hart ins Gesicht, dass sie zu Boden sank.
 

Der Vater verschwand wutentbrannt aus dem Schloss, nahm sich ein Pferd und galoppierte davon; wohin er wollte, wusste niemand, und es war auch allen egal. Kiuk verstand seinen Bruder nicht. Während Nalani auf der Treppe hockte und ihre blutende Nase mit dem Eiszauber Yira kühlte, nahm der Junge Tabari in die Mangel.

„Du mutierst wirklich zu demselben Mistkerl, der Vater auch ist!“ fuhr er seinen älteren Bruder an, und Tabari schnaubte.

„Du hältst dein Maul, du bist jünger als ich und solltest mir Respekt zollen, Bruder!“

„Das hat nichts damit zu tun, dass du deine Frau schlägst und denkst, es wäre in Ordnung! Nur, weil Vater Frauen schlägt, ist das noch lange nicht recht!“

„Früher haben alle Männer ihre Frauen geschlagen, so viel wie unsere Mutter sich Männern gegenüber herausnimmt konnte sich vor hundert Jahren nicht mal eine Königin wagen! Außerdem habe ich Nalani nur beschützen wollen, was denkst du denn, was Vater mit ihr gemacht hätte?! Ich hatte die Wahl, sie selber zu schlagen oder sie von ihm schlagen zu lassen, und jetzt rate mal, was mehr weh tut!“ Kiuk schnaubte und Nalani, deren Nasenbluten aufgehört hatte, erhob sich jetzt.

„Schluss jetzt, ihr Streithähne!“ fauchte sie, zog Kiuk am Arm und warf ihrem Mann einen grantigen Blick zu. „Deine Gedanken sind zumindest ehrenhafter als ich gedacht habe, Tabari, aber denkst du nicht, dass es noch andere Lösungen gegeben hätte?“

„Es tut mir leid, Nalani,“ machte Tabari unglücklich, „Glaub mir, mein Vater hätte dich grün und blau gehauen, du solltest mir danken…“

„Danken werde ich den Geistern des Himmels und der Erde, wenn sie dir endlich die Augen öffnen!“ zischte sie grantig, nahm Kiuk an der Hand und verschwand mit ihm die Treppe hinauf. „Und ich hoffe, du versuchst wenigstens, mit uns zu kooperieren – war doch dein Lieblingswort? – während deine Mutter nicht hier ist, um deinen Vater zu bändigen!“
 

„Was verschafft uns denn diese außergewöhnliche Ehre?“ Nomboh Chimalis‘ Gesicht drückte nicht die geringste Freude oder Höflichkeit aus, als er an der Tür seines Anwesens stand und ihm gegenüber ein vor Zorn schnaubender Kelar. Hinter Nomboh tauchte Keisha im Flur auf und erstarrte beim Anblick des wirklich sehr seltenen Gastes.

„Wo ist dein verdammter Bruder, dieser Schweinehund, der nicht den Anstand hat, seine eigene Frau zu poppen und stattdessen meine nimmt?!“ fauchte der Herr der Geister, „Und du sagst es mir besser sofort, Nomboh, oder ich zerreiße dich und deine Schlampe da hinten in kleine Fetzen!“

„Keinen Schritt in mein Haus,“ warnte Nomboh ihn kalt und stellte sich ihm in den Weg, als er sich Zutritt verschaffen wollte, „Und nenn meine Frau noch einmal eine Schlampe und ich zerreiße dich in Fetzen, Kelar! Ich warne dich, übertreib es nicht! Was willst du von Zoras?“

„Ihm den Hals umdrehen für die Ferkeleien, die er mit meiner verdammten Frau anstellt!“ Er reckte herrisch den Kopf. „So, ich nehme an, er ist nicht hier, wenn du schon zur Türe kommst?! Wo ist er also? Nicht zufällig mit meiner Frau in Vialla, um hinter meinem Rücken mein Land zu verunstalten?!“

„Ich weiß nicht, wo er ist,“ log Nomboh, „Er ist viel unterwegs, und Salihah war lange nicht hier!“

„Verdammt, dann bring mir seine Frau!“ verlangte der Geisterjäger vor ihm garstig, und Nomboh zog eine Braue hoch.

„Tehya? Was willst du denn von Tehya? Wollet ihr, mein Bruder und du, jetzt Frauen tauschen?“

„Ich werde sie vierteilen, bring sie her! Wenn du mir nicht antwortest, wird sie es tun…“

„Das bezweifle ich,“ kam eine Stimme von drinnen, und als alle sich umdrehten, stand Tehya plötzlich auch im Flur. An ihrer Hand klammerte die etwas bleiche Enola.

„Tehya…“ machte Nomboh perplex, und die Frau seines Bruders ging zur Tür, ließ Enola bei Keisha und schob ihren Schwager zur Seite, um sich in voller Größe und mit einer unglaublichen Würde vor dem Herrn der Geister aufzubauen.

„Ihr wollt von mir hören, wo mein Mann ist, nehme ich an?“ fragte sie gefasst, und Kelar schnaubte sie grantig an.

„Du reckst deine Nase ganz schön in die Luft, Tehya,“ feixte er, „Willst du mit Stolz hinnehmen, dass dein mann dich nachts alleine im Bett lässt, um mit meiner Frau zu schlafen?“

„Ich liebe meinen Mann und was er tut, ist recht,“ sagte die Frau erstaunlicherweise, „Ihr könnt sagen, was Ihr wollt, ich werde nicht verraten, wo mein Mann ist!“

„Du wagst es, mir Antworten zu verweigern, du Hure?!“ zischte der Mann und stierte wütend auf sie herunter. Tehya blieb standfest.

„Im Gegensatz zu Salihah habe ich einen ehrbaren Gemahl, der sich um das Wohl der Menschen sorgt, ich bemitleide sie für ihre Last mit Euch. Und Euch sage ich gar nichts, solange mein Mann es nicht von mir verlangt, und der ist nicht hier. Ich werde mit Stolz hier stehen und schweigen, bis er zurückkehrt, wenn es sein muss!“

„Deinen Mann nennst du ehrbar, der meine Frau dir vorzieht? Was bist du denn für eine gestörte Ratte?“

„Kelar, reiß dich zusammen!“ fuhr Nomboh wieder dazwischen, aber Tehya hielt ihn zurück und schnaubte.

„Schert Euch fort aus Tuhuli!“ zischte sie, „Schert Euch fort und wehe Euch, wenn ihr wiederkehrt! Ich vertrete meinen geliebten Mann hier und er hätte dasselbe zu Euch gesagt! Und ich werde sicher nichts tun, das Euch hilft, meinen Mann zu finden und ihm Ärger zu machen, und genauso wenig was Eure Frau angeht! Also seht zu, dass Ihr Land gewinnt!“ Kelar starrte sie fassungslos über diese Frechheit an und auch Nomboh und Keisha schienen erschrocken, während die jüngere Frau sich nicht einschüchtern ließ.

„Das… das ist eine Beleidigung der Geister, was du da von dir gibst, Tehya…“ knurrte Kelar lauernd und er erzitterte vor Zorn, er musste sich wirklich beherrschen, um dieser Frau nicht auf der Stelle den Kopf abzureißen. „Ich überlege mir gerade, ob ich dafür zuerst dir, deiner Tochter oder deinem Mann die Eingeweide herausreiße und sie den Schweinen zum Fressen vorwerfe! Du wirst deine Worte bitter bezahlen, Tehya, und dein Mann wird schlimmeres als nur das tun für seine bloße Existenz, bah!“ Er trat zurück und spuckte zornig vor Tehyas Füße. „Ich verfluche euch, alle samt, ihr dämlichen Chimalis‘, möget ihr zum Himmelsdonner fahren und elendig verrecken! Der Himmel wird euch zürnen und die Erde euch verschlingen, verdammt sollt ihr sein!“ Er schenkte den dreien noch einen angewiderten Blick, ehe er sich mit wehendem Umhang abwandte und auf sein Pferd sprang, um davon zu galoppieren.

„Na, ob das klug war?!“ keuchte Nomboh zweifelnd und sah auf Tehya. Mit demselben Stolz, den auch ihr Mann trug, drehte sich die kleine Frau um und verschränkte die Arme.

„Die Geister werden sich genau überlegen, wen sie strafen werden, wenn er seine Todesurteile so laut durch die Gegend krakeelt!“
 

Nalani ärgerte sich über Tabari. Wenn er nicht da war, vermisste sie ihn, und wenn er dann da war, wollte sie, dass er wieder ging, es war doch zum Verrückt werden. Jetzt, wo er aus Yiara zurück war, wollte sie ihm wieder aus dem Weg gehen und beschäftigte sich lieber mit Kiuk und Sukutai, wenn sie auch mal ins Schloss kam. Die beiden waren ihr sehr ans Herz gewachsen und Sukutai schien sich auch zu freuen, wenn sie zu dritt saßen und Tee tranken. Sie konnten zusammen lachen und sich trotz der schlechten Umstände im Land ihres Lebens erfreuen. Kelar war nur sporadisch anwesend, er kam und ging, wie er Lust hatte, aber etwas Schlimmes anzustellen schien er nicht, was Nalani beruhigte. Es schien ihn wirklich sehr wütend zu machen, dass Salihah und Zoras ohne dass er es gemerkt hatte hatten verschwinden können… die zwei müssten auch bald zurückkommen, fiel Nalani auf.

Tabari seinerseits gefiel es nicht, dass seine Frau sich mehr mit seinem Bruder beschäftigte als mit ihm. Er beherrschte sich und ließ über sich ergehen, dass Kiuk ihm vorgezogen wurde und dass Nalani entweder mit ihm in der Stube hockte und Tee trank oder draußen herumtollte oder sie zusammen nach Tasdyna zu Sukutai gingen. Aber je mehr Tage vergingen, in denen seine Frau nicht mit ihm sprach und stattdessen den ganzen Tag mit seinem Bruder herumlief, desto mehr Wut staute sich in ihm auf, bis ihm eines Nachts, als er mit ihr im Bett lag, einmal der Kragen platzte.

„Du bist meine Frau, du solltest mich ansehen und nicht meinen Bruder!“ meckerte er, während er sich über sie beugte und versuchte, sie zu erregen, um ein weiteres Mal zu versuchen, endlich einen Lebenskeim in sie zu pflanzen. Was war mit dieser Frau kaputt, dass sie immer noch nicht schwanger war?

„Was ist mit dir denn los?“ brummte Nalani unter ihm missgelaunt, und sie zischte und schlug seine Hände weg, die nach ihren Brüsten fassten. „Du tust mir weh, nicht so doll!“

„Ich mache das wie immer, was bist du so empfindlich neuerdings?!“

„Ich bin eine Frau und kein Tonklumpen, den du kneten kannst!“ schnaubte sie und schloss die Augen, um zu versuchen, sich auf die Vereinigung einzustellen. Sie hatte keine Lust. Und sein Gemecker ärgerte sie. Tabari war noch nicht fertig mit seiner Standpauke.

„Du kannst nicht dein Leben lang so tun, als wäre es egal, dass ich dein Mann bin, du gehorchst mir nicht und das seit Jahren. Und was gibt es mit Kiuk so viel zu bereden?! Und was wollt ihr dauernd in Tasdyna?“

„Das kann dir doch egal sein,“ erwiderte seine Frau unter ihm, als er sich ungeduldig und mürrisch zwischen ihre Beine legte, „Du bist doch mit deinem Training verheiratet, du bist doch sowieso beschäftigt, soll ich den lieben langen Tag hier herumsitzen und stricken, bis du kommst?! Vergiss es, Tabari.“

„Tss!“ schmollte er und küsste etwas lieblos ihre Schulter und ihr Schlüsselbein, „Du solltest auch trainieren, wenn du jemals Geisterjägerin werden willst; ich dachte, du willst deinen Vater stolz machen? Wenn mein Vater mich zur Prüfung zulassen soll, muss ich eben viel üben. Du machst zu wenig, sieh dich an, du wirst schon dick!“ Er zwickte sie sanft in den Bauch und sie keuchte.

„Lass das! Und du hast mich geschlagen, schon vergessen? Tu nicht so, als wärst du lieb wie ein Lämmlein, ich mag deinen Bruder eben mehr als dich, der ist nämlich nicht so ein Depp wie du!“

Das tat weh. Tabari ließ augenblicklich von ihr ab und rollte sich von ihr herunter, ehe er ihr einen verletzten Blick zuwarf und ihr dann den Rücken kehrte. Na, die Lust war ihm jetzt auch vergangen.

„Vielen Dank, ich habe verstanden,“ sagte er kalt, und Nalani war völlig perplex über ihren Triumph; was denn, so leicht wurde man ihn los? Das war aber nicht normal, war er krank?

„Jetzt heul nicht,“ murmelte sie verwirrt, und Tabari brummte.

„Gute Nacht, Frau,“ war alles, was er noch von sich gab, und Nalani drehte ihm seufzend auch den Rücken zu, um zu schlafen.

Tabari lag wach und starrte verbiestert an die dunkle Wand. Kiuk, Kiuk, immer ging es um seinen Bruder! Er spürte einen mächtigen Groll auf seinen Bruder in sich entstehen. Dabei hatte Kiuk doch gar nichts getan… er verstand sich selbst nicht mehr und auch nicht, wieso es ihn so unglaublich wütend machte, wenn Nalani sich mit anderen Menschen beschäftigte; oder ging es nur um andere Männer?

Verdammt, reiß dich zusammen… sie hasst mich doch sowieso, werd jetzt nicht sentimental…

Er spürte, dass er errötete, als er an seine hübsche Frau dachte. Als sie vor einigen Monden so zerbrechlich und lieb in seinen Armen gelegen hatte, hatte er sie richtig gemocht, plötzlich hatte er das Gefühl gehabt, nützlich zu sein und etwas richtig zu machen. Er wollte sie beschützen, wie ein Mann seine Frau beschützen sollte, aber Nalani war zu stark für ihn…

Sie brauchte seinen Schutz gar nicht und das verletzte seinen männlichen Stolz.

Und wenn sein Vater recht hatte und es an seinem Geburtstag lag, dem Erdtag, dem Tag der Weiblichkeit? Er biss sich verkrampft auf die Unterlippe. Oh nein, er war nicht weibisch, verdammt, und er würde endlich einen Sohn in Nalanis Bauch pflanzen… aber das war das Problem. Sie wollte ihn nicht und er konnte und wollte sie nicht mehr verletzen. Ihr Anblick voller Panik und Entsetzen vor einigen Monden war zu viel für ihn gewesen, die Erinnerung an diesen Moment saß ihm noch fest im Nacken. Er wollte sie nie wieder so erleben… aber es war schwer, es ihr recht zu machen, wenn sie es nicht zuließ. Tabari seufzte kaum hörbar und grub sich etwas tiefer in seine Decke, um versuchen, zu schlafen.
 

Am Ende des Kälbermondes war der Frühling da. Nalani freute sich, weil sie jetzt, wo es endlich schneefrei und wärmer war, wieder besser trainieren könnte draußen; Tabari hatte recht gehabt, auch wenn sie es ungern zugab, sie machte wirklich wenig. Aber der lange Winter hatte ihr schlechte Laune gemacht und ihr immer noch unregelmäßiges Mondblut machte ihr Sorgen. Tabari war offenbar beleidigt, er kümmerte sich wenig um sie, so verbrachte sie ihre Zeit jetzt draußen mit Kiuk und Sukutai, die ihr auch beim Trainieren helfen konnten. Der Kälbermond war so gut wie vorbei, als Salihah zurück nach Dokahsan kehrte.

Erstaunlicherweise war Tabari der einzige, den die Frau im Schloss von ihrer Familie antraf, und das auf eine sehr eigenartige Art und Weise. Ihr Sohn hing kopfüber von einem Sessel in der Stube und hatte die Füße auf die Lehne gelegt, und er sah aus, als würde er schlafen. Aber er öffnete die Augen, sobald er Schritte auf die Stube zukommen hörte, und sah seine Mutter verkehrt herum in der Tür stehen.

„Du bist zurück,“ sagte er, „Willkommen, Mutter.“

„Darf ich mich erkundigen, was im Namen von allem, das heilig ist, du da machst, Sohn?“ war Salihahs Begrüßung. Tabari zog sich auf den Sessel und setzte sich richtig hin, dabei versuchte er als erstes hüstelnd, seine zerzausten Haare zu richten.

„Ich konzentriere mich auf mein Innerstes,“ erklärte er.

„Kopfüber? Wie bist du denn auf so einen Schwachsinn gekommen?“

„Das ist vollkommen logisch, du wirst sehen,“ er war völlig von sich überzeugt und fuhr sich immer noch durch die Haare, bis seine Mutter seufzend zu ihm herüber trat und an seiner Stelle begann, durch seine Haare zu streicheln, als wäre er ein kleines Kind, das sie kämmen musste. „Ich muss als Geisterjäger fähig sein, in jeder noch so blöden Situation Konzentration zu erlangen, auch kopfüber, das ist also eine ziemlich nützliche Übung… die leider etwas Kopfweh bereitet…“

„Oh, gut, ich hoffe, der Küchenjunge hat neues Laudanum besorgt,“ fiel ihr dazu ein, und Tabari schnaubte konfus.

„Ich habe Kopfschmerzen und du redest von deinen Drogen?“

„Etwas mehr Respekt bitte, Sohn. Wo sind die anderen?“ Seine Reaktion war heftiger, als sie erwartet hatte, als er sich schnaubend aufrichtete und empört die Arme verschränkte.

„Vater sitzt in seinem Arbeitszimmer und will seine Ruhe und Nalani ist irgendwo mit Kiuk unterwegs, weiß der Geier, was die wieder machen, ich will es auch gar nicht wissen, was diese undankbare Wachtel mit meinem Bruder zu schaffen hat!“ Salihah zog eine Braue hoch. Was waren das denn für Töne?

„Was soll ich schon mit ihm zu schaffen haben? Wir trainieren, ist das verboten?“ hörten sie plötzlich Nalanis kalte Stimme hinter sich, und beide drehten sich um, Tabari hastiger, weil Salihah bereits innerlich gesehen hatte, dass die Schwiegertochter mit Kiuk herein gekommen war.

„Ah, du redest mit mir, wie gütig,“ zischte Tabari und drehte sich sofort wieder ab, „Welche Ehre.“ Nalani sah ihn nur verständnislos an. Was war mit dem denn wieder los? Sein Verhalten war in den letzten Wochen komischer denn je gewesen. Er war beleidigt, aber wenn sie ihn fragte, was das Problem wäre, gab er keine Antwort und schnaubte nur. Sie würde ihm sicher nicht aus der Nase ziehen, was er hatte, es war ihr gleich, was er hatte; es ärgerte sie nur, dass er seinen Zorn an ihr und Kiuk ausließ. Jetzt ignorierte sie ihn jedenfalls und neigte vor Salihah den Kopf.

„Wir haben gar nicht gemerkt, dass du wieder da bist,“ gestand sie leicht außer Atem, „Wir waren draußen und… war die Reise erfolgreich?“

„Es gab wenig Erfolg zu erwarten, wir haben gerettet, was zu retten war, ich denke, für‘s erste sind wir sicher, Zoras hat seine Sache sehr überzeugend gemacht mit nur wenig Beihilfe.“ Nalani blinzelte und stützte sich immer noch keuchend und müde vom Training an den eigenen Knien ab.

Beihilfe heißt gekaufte Politiker, oder was?“

„Du fängst ja schon an zu denken wie ich, wie grausam, Nalani…“ Salihah lächelte; aber ihr Lächeln erstarb, als Nalani mit einem Mal erbleichte und strauchelte. „Was ist los?“ fragte die Schwiegermutter und Kiuk und Tabari sahen jetzt ebenfalls erschrocken auf. Nalani keuchte.

„Ich bin nur etwas müde vom Training… entschuldigt die Um-… huch…?“ Sie wollte zurücktreten, verlor dabei aber urplötzlich das Gleichgewicht und stolperte zu Boden, wo Kiuk sie gerade noch auffangen konnte.

„Du liebe Zeit, Nalani!“ rief er, „Was hast du denn, ist dir nicht gut?!“

„M-mir ist nur etwas schlecht, es… es ist vielleicht z-zu viel auf einmal ge…wesen…?“ Die junge Frau japste nach Luft, als die Übelkeit in ihr stärker wurde, und sie klammerte sich an Kiuk, der verzweifelt zu den zwei anderen sah. Salihah hockte sich sofort zu ihnen herunter und fasste nach Nalanis Puls und auf ihre Stirn.

„Vielleicht der Kreislauf,“ riet sie, „Rasch, Kiuk, bring sie in ihr Bett. Nalani, leg dich hin und zieh das Korsett aus, das schnürt dir ja die Luft aus den Lungen. Ich hole ein Glas Wasser… rasch, auf, Kiuk!“ Kiuk nahm seine Schwägerin tapfer auf die arme und eilte mit ihr hinauf, Tabari schnaubte.

„Hey, und ich?!“ empörte er sich, als alle davon liefen, und er setzte Kiuk und Nalani nach.
 

Salihah scheuchte ihre Söhne unhöflich aus dem Schlafzimmer, bevor sie Nalani beim Ausziehen half und die Jüngere sich provisorisch ein Nachthemd überzog, als sie sich ins Bett legte und Salihah ihr Wasser gab und abermals Stirn und Hals befühlte.

„Es geht schon besser…“ meinte Nalani verdutzt, „Vielleicht war das Korsett einfach zu eng für das Training…“

„Fühlst du dich seltsam?“ fragte Salihah sie dumpf, „Warst du krank, während ich weg war?“

„Nein… es geht mir gut, ich hatte nur manchmal Bauchschmerzen, als würde ich das Mondblut bekommen, aber es ist nicht gekommen…“ Sie sah bedrückt zur Seite, als sie es zum ersten Mal aussprach. Plötzlich hatte sie Angst; was, wenn doch etwas mit ihr nicht stimmte? Salihah fasste nach Nalanis Unterleib, das Nachthemd hochziehend.

„Wie war das, du vergießt kein Mondblut mehr?“ fragte sie verblüfft, „Wie lange schon nicht mehr?“

„Na ja, es war sehr unregelmäßig seit dem Winter, aber… jetzt war es irgendwie schon lange gar nicht mehr da-… w-was meinst du, bin ich ernsthaft krank?!“

„Du dumme Frau,“ tadelte Salihah sie perplex, „Ich bin zwar keine Heilerin, aber wenn eine Frau aufhört, Mondblut zu vergießen, ist das das deutlichste Zeichen für einen Kindeskeim in ihrem Bauch!“
 

Nalani keuchte. Für einen Moment war sie sprachlos, während die ältere Frau weiter ihren Bauch betastete.

„Du meine Güte, ja, sieh dich an,“ murmelte sie dabei, „Dein Bauch wird schon rund, ich kann es beinahe fühlen! Du trägst neues Leben und merkst es nicht mal?“

„Ich bin… ich bin schwanger?!“ kam es dann von Nalani, und sie erbleichte. Salihah ließ von ihrem Bauch ab. Moment, ja, Tabari hatte auch gesagt, sie würde dick werden… das konnte doch nicht sein, wieso hatte sie das die ganze Zeit ignoriert? Das erklärte auch, wieso sie ständig gereizt war, wieso ihre Brüste sich seltsam anfühlten und ihr Rücken schmerzte…

„So, wie ich das sehe, schon eine ganze Weile,“ meinte Salihah jetzt, „Lass uns die tage mal zu Keisha nach Tuhuli fahren, sie als Heilerin wird dir genau sagen können, wie lange es noch dauern wird, und sie sollte auch gleich mal sehen, ob mit dem neuen Leben alles in Ordnung ist… wenn du hart trainiert und deinen Körper strapaziert hast, ist das eventuell nicht gut für das Baby. Kein Wunder, dass du zusammenbrichst.“ Sie erhob sich und Nalani keuchte abermals und setzte sich plötzlich zitternd auf.

„W-warte… geh bitte nicht fort, was… was… ich… das verwirrt mich…“ Die Schwarzhaarige beugte sich zu ihr herunter und strich ihr über den Kopf. Sie lächelte sanft.

„Hab keine Angst. Wenn du endlich neues Leben trägst, ist es gut! Kelar wird endlich Ruhe geben und niemand wird mehr sagen, du wärst ein Unglücksbringer, wenn du ein gesundes, männliches Baby zur Welt bringst. Ob das so sein wird, wissen wir leider jetzt noch nicht… ruh dich aus, Nalani, bleib heute hier liegen, du bist erschöpft. Ich lasse ein Mädchen dir etwas zu essen bringen. Soll ich Tabari davon erzählen oder tust du es lieber selbst?“ Nalani schnappte nach Luft.

Tabari, oh weh. Ja, es war sein Kind, das in ihr wuchs… was würde er sagen? Wäre er glücklich, endlich ein Kind gezeugt zu haben? Sie hatte Angst vor seiner Reaktion, ohne zu wissen, wieso, und sie erschauderte und ihre Stimme versagte ihr vor Nervosität.

„I-ich… nein… ich tue es selbst-… irgendwie. Bitte sag es niemandem…“ Salihah lächelte immer noch, richtete sich auf und ging dann zur Tür.

„Ist gut, wie du möchtest. Entspann dich, alles ist gut. Schlaf jetzt… ruh dich aus. Danach geht es dir sicher besser.“ Nalani bezweifelte das.
 

Vor der Schlafzimmertür fand Salihah ihre nervösen und besorgten Söhne vor.

„Und?!“ machten beide im Chor und sahen sich perplex an, Tabari schnaubte grantig.

„Misch dich nicht ein, Nalani ist meine Frau! – Mutter, sag, wie geht es ihr? Ist sie krank?“ Kiuk war verwirrt, dass Tabari ihn so anfuhr, wehrte sich aber nicht, und Salihah ging seufzend an den beiden vorbei.

„Sie wird es überleben, glaubt mir. Es geht ihr besser, aber am besten lasst ihr sie heute in Ruhe, alle beide. Ja, du auch, Tabari, deine Frau braucht jetzt vor allem Ruhe und sicher niemanden, der sie löchert, was los sei! Wenn ihr ihr helfen wollt, lasst sie heute in Frieden. Kiuk, du kommst bitte mit mir, ich muss mich ohnehin mit dir unterhalten“ Die beiden gingen und ließen den entsetzten Tabari im Flur stehen. Der Blonde pustete sich wütend einige Haarsträhnen aus der Stirn.

„Und ich?!“ empörte er sich abermals, „Diese-…! Was bilden die sich ein, mich die ganze Zeit zu ignorieren?! Gibt es hier überhaupt jemanden, der mich nicht ignoriert…?“
 

Alles ist gut, hatte Salihah gesagt. Aber nichts war gut und Nalani lag eine Zeit lang schweigend in ihrem Bett auf der Seite und blickte auf Tabaris Betthälfte, die jetzt leer war.

Sie fasste zitternd nach ihrem wenig gerundeten Bauch. Sie trug einen Lebenskeim in sich… Tabaris Kind, auf das er und sein Vater so lange hofften und vor dem sie sich wie vor nichts anderem fürchtete. Die Frau erschauderte und vergrub zitternd das Gesicht in ihrer Bettdecke. Sie wollte kein Kind, sie wollte nicht Tabaris Frau sein, sie wollte weg, sie wollte zu ihren Eltern! Mehr denn je wünschte sie sich, die Zeit umdrehen zu können, etwas rückgängig machen zu können… nein, nicht nur etwas, sondern alles. Aber sie konnte es nicht… sie musste hier liegen und ein Kind bekommen, das sie nicht wollte…

Und es war nicht die Schuld des Kindes, dass sie es nicht wollte, sondern die seines Vaters und dessen Vaters. Wie konnte sie so grausam sein, ein Kind in diese furchtbare Familie zu gebären? Das, was ein Kind brauchte, konnte sie ihm hier niemals geben… eine heile, liebende Familie. Schon bei den Eltern fing es an; Tabari und sie waren kein Liebespaar, sie waren eine Zweckbeziehung, aus der auch nur Tabari einen Nutzen zog, und der wuchs gerade in Nalanis Bauch heran.

Sie schauderte. Nein, wie konnte sie nur denken, dieses arme, unschuldige Leben in sich als Nutzen zu bezeichnen? Das war grausam… aber es war Tabaris und vor allem Kelars Denkweise. Wenn es ein Junge würde, war die nächste Frage. Würde es ein Mädchen… Nalani wollte gar nicht denken, was dann geschehen würde. Sie fühlte sich erschöpft und miserabel und umklammerte mit der Hand schluchzend die Decke, als ihr plötzlich die Tränen kamen.

Ein Kind… ich kann keinem Kind so eine Familie antun wie diese hier! dachte sie aufgelöst, Mit einem Vater, der in ihm nicht mehr als einen Erben sieht, und einem Großvater, der ein Monster ist! Das unschuldige Kind verdient diese Strafe nicht… wenn ich das zulasse, werde ich mich mein Leben lang grämen…

Sie setzte sich keuchend auf und sah zum Fenster. Die Sonne ging bereits unter. Solange Salihah es noch niemandem gesagt hatte, hatte sie eine Chance… es wäre zwar schmerzhaft für sie und das nicht nur körperlich… aber sie wollte lieber kurz Schmerzen haben als ewig mit dem Schuldgefühl zu leben, einem Kind diesen grauenhaften Clan voller Bestien und Mörder anzutun. In Tuhuli hatte sie in einem von Keishas Heilkundebüchern von einem Tee aus bestimmten Kräutern gelesen, der die Arbeit für sie erledigen würde. Und der Vorrat an getrockneten Kräutern war im Stubenschrank in der kleinen Stube oben… Salihah würde es natürlich bemerken, aber sie würde sie sicher nicht verraten… Salihah würde sie verstehen.
 

Es war auch nicht Salihah, sondern Kiuk, der sie davon abhielt, den Tee zu trinken, als sie ihn schon fertig gekocht hatte und gerade dabei war, das Getränk zitternd in eine Tasse zu gießen. Der Küchenjunge stand hinter ihr und war verwirrt, weil er eigentlich den Tee für sie hatte machen wollen, er war immerhin Diener, aber Nalani hatte energisch darauf bestanden, ihren Tee alleine zu machen. Nicht, dass er bei aller Nettigkeit aus lauter Unwissen etwas falsch machte. Als Kiuk in die Küche kam und verwundert zwischen beiden hin und her sah, kratzte der Eselzüchter sich am Kopf.

„D-die Herrin hat darauf bestanden, ihren Tee selbst zuzubereiten, ich wollte es ja tun, aber sie hat mich nicht gelassen…“ Offenbar glaubte er, er bekäme jetzt Ärger, weil er nicht arbeitete, aber Kiuk interessierte das gar nicht.

„Du bist wieder auf?“ fragte er Nalani, „Wie geht’s dir? Meine Mutter hat mir von Vialla berichtet und-… was ist das für ein seltsamer Tee?“ Er sah auf die Tasse in ihren Händen, und Nalani drehte sich zu ihm um, so gefasst wie sie sein konnte. Er erstarrte beim Anblick ihres bleichen Gesichts. Sie hatte geweint, ihre Augen waren noch gerötet… und sie zitterte so sehr, dass der Tee über den Rand der Tasse schwappte und ihr Kleid, das sie wieder angezogen hatte, ruinierte. Der Küchenjunge war auch besorgt.

„Herrin… g-geht es Euch gut?!“

„Lass uns allein,“ sagte Kiuk plötzlich und schnappte nach Luft, „Rasch. Und Nalani, stell die Tasse weg, du wirst noch den ganzen Tee verschütten, setz dich hin.“ Der Eselzüchter verließ eilig die Küche und Kiuk sah seine Schwägerin besorgt an, als sie sich nicht rührte und nur zitternd auf ihren Tee starrte.

Sie musste trinken. Sie musste trinken und das Kind in ihrem Leib abtöten, wenn es dafür nicht zu spät war; das Leben war schon relativ weit fortgeschritten… wenn es so nicht ging, müsste sie… sie zuckte. Nein! Sie konnte das nicht, sie konnte es nicht umbringen… verdammt, es war ihr Kind, es war ihr eigen Fleisch und Blut…

Aber vielleicht würde es ein Monster werden und die Familie, die es bekommen würde, wäre ihm nie eine Familie… sondern nur ein Rudel Bestien, die sich gegenseitig die Kehlen aufschlitzen wollten…

Nalani hatte vergessen, dass Kiuk Gedanken lesen konnte. Plötzlich war er genau vor ihr und starrte sie an, vorsichtig ihr Kinn hochziehend, damit sie ihn ansah.

„Du bist schwanger… und der Tee ist…? I-ist das dein Ernst?!“
 

Klirrend ließ Nalani die Teetasse fallen, als der Wille und die Kraft sie verließen. Sie konnte das nicht trinken… was tat sie nur? Sie senkte hastig keuchend den Kopf und begann, zu weinen, ehe Kiuk etwas Weiteres hätte sagen können.

„Ich will das nicht!“ schrie sie ihn an, „Ich kann und will das nicht ertragen! Was bin ich für eine Frau, wenn ich das zulasse, Kiuk?! Das Kind hätte keine Familie und keine Eltern, die zusammenhalten! Ich will meinem Kind nicht das antun müssen, was eure Eltern dir und Tabari antun, sie hassen sich und sie sind keine liebevollen Eltern für euch beide! Und Tabari und ich werden genauso enden, genauso scheußlich, ich weiß es! I-ich kann… ich möchte das keinem Kind antun, auch nicht diesem in meinem Bauch… v-versteh das doch, es… e-es ist… aber… ich bin so grauenhaft, ich… ich bringe es nicht über‘s Herz! Ich kann den Tee nicht… trinken…!“ Sie brach abermals in Tränen aus und Kiuk fing sie behutsam auf, als sie in seinen Armen zusammenbrach. Der Braunhaarige seufzte bestürzt.

„Nein, Nalanichen, du-… du bist nicht grauenhaft, du wärst es, wenn du trinken würdest! In deinem Bauch ist ein Leben, die Lebensgeister sind wertvoll, wir müssen sie in höchsten Maßen ehren… sie abzutöten ist schandhaft und… denkst du nicht, dass du dich viel mehr grämen würdest, wenn du es tötest…? Du würdest es dein Leben lang bereuen, es… es ist dein Kind…“

„Aber was kann ich ihm bieten in dieser grässlichen, dunklen Welt?!“ keuchte sie und drückte sich zitternd an seine Brust, „Was, außer einer zerrütteten Familie? Sag es mir… hat dein Vater euch beide jemals geliebt? Er sieht in Tabari nur einen Erben und in dir nicht einmal das…“

„Aber Tabari ist nicht wie mein Vater,“ versuchte Kiuk es ratlos, „Er ist vielleicht verpeilt, aber er… ihr beide könntet doch einfach versuchen, euch zusammenzureißen, Nalani… ihr macht es euch gegenseitig schwer, Sukutai ist auch der Meinung, und das… ist nicht nur Tabaris, sondern auch deine Schuld! So gern ich dich habe, Nalani… ich verstehe dich doch, ich weiß doch, wieso du so gehässig bist, aber… Tabari ist mein Bruder und ich kann ihn nicht einfach hassen. Meinst du nicht, dass du ihm eine Chance geben solltest?“
 

Tabari war genervt, weil ihn alle ignorierten. Er hatte versucht, seine Mutter auszuquetschen, was Nalani hatte und was sie mit Kiuk zu besprechen gehabt hatte – mit Kiuk und nicht mit ihm, hieß das – aber sie hatte ihm überhaupt nicht weitergeholfen und er fragte sich jetzt, ob sie wegen irgendetwas wütend auf ihn war. Hatte er etwas falsch gemacht? Wäre ja nichts Neues… oh, Himmel, er hatte diese Familie so satt. Keinem konnte man es recht machen, egal, was er tat, irgendetwas war sicherlich falsch daran und irgendjemand verärgert.

Auf dem Flur traf er auf den Küchenjungen.

„Wo willst du denn hin?!“ murrte er ihn an, „Wieso bist du nicht in der Küche?“

„Herr, verzeiht, ich wurde hinaus geschickt, aber wenn ich Euch dienen kann…“ Tabari seufzte. Was schnauzte er den armen Kerl an? Der konnte doch auch nichts dafür…

„Verzeih,“ murmelte er, „Schon gut. Geh, wo immer du hin willst, ich… mach mir ´nen Tee.“ Er fuhr sich brummend durch die Haare und ging weiter in Richtung Küche. Er sorgte sich um seine Frau. Seine Mutter hatte ihm um keinen Preis sagen wollen, was sie hatte, was ihn beunruhigte, War es so schlimm, dass sie nicht wagte, es ihm zu sagen…?

Kurz bevor er die Küche erreichte, hielt er inne, als er plötzlich Nalanis Stimme von dort hörte. Moment – war sie nicht im Bett?

„Eine Chance geben ist nicht das, was hier nötig ist!“ keuchte sie, „Wenn ich Mutter werde, will ich eine Familie für das Kind, ich möchte, dass mein Kind Eltern hat, die sich lieben! Und ich liebe Tabari nicht, es funktioniert nicht!“

Tabari erstarrte. In dem Moment war es, als würde sich alles andere abschalten; in seinem Kopf blieb nur ihr einer Satz hängen, dieser Satz, der ihn eigentlich nicht überraschte und der trotzdem grausam schmerzte, sodass er erbleichte.

Ich liebe Tabari nicht. Es funktioniert nicht.

Der Stich, den ihm dieser Satz verpasste, war so heftig, dass er keuchend die letzten Schritte zur Küchentür stampfte und dann im Rahmen abermals erstarrte, als er seine Frau am Hals seines Bruders hängen sah.

Der Schmerz schlug in einen unglaublichen Zorn auf die beiden um und er spuckte angewidert auf den Boden, worauf beide erschrocken zu ihm herumfuhren.

„T-Tabari?!“ machte Kiuk, und sein Bruder warf ihm einen tötenden Blick zu.

„Wie… könnt ihr es wagen, so… dermaßen schamlos zu sein, ihr… widerwärtigen, abscheulichen Ekelpakete?!“ brüllte er dann unverhofft los, als die ganze angestaute Wut und alles Frust aus ihm heraus platzten, und Nalani keuchte entsetzt über seinen ungebändigten Zorn.

„W-wovon redest du?!“ machte sie, „Was ist denn in dich gefahren?!“

„Du Heuchlerin, bah, von wegen!“ schrie er sie an, „Und du, Kiuk, von dir hätte ich auch mehr Rückgrat erwartet, reicht dir deine kleine Ziege aus Tasdyna nicht, nein, musst du auch noch meine Frau nehmen?! Ihr… ihr… fahrt doch zum Himmelsdonner, alle beide!“ Er spuckte abermals aus und stürmte dann wutentbrannt aus dem Raum, ließ die beiden völlig verdutzt zurück. Kiuk japste.

„E-er… Moment mal, denkt er, wir beide hätten was miteinander?!“

„Oh nein…!“ Nalani ließ ihn sofort los und stürzte ihrem Mann hinterher, plötzlich hatte sie das Baby vergessen. Das hier lief schiefer als es jemals hätte laufen dürfen. „Er hat das gehört… d-das hätte nie passieren dürfen!“
 

Sie suchte ihren Mann verzweifelt in der Hoffnung, ihm erklären zu können, was er gerade extrem missverstanden hatte; ihre Hoffnungen wurden mit einem Schlag heftig wie ein Donner zunichte gemacht, denn noch vor Tabari fand sie seinen Vater, der sich plötzlich in der Halle wie ein gewaltiger Schrank voller Bosheit vor ihr aufbäumte und sie zwang, innezuhalten.

„Kelar…?!“ keuchte sie entsetzt, und Kelar Lyra sah mit so viel Abscheu auf sie herunter, dass ihr beinahe übel wurde vor Entsetzen. Was war in dieses Monster gefahren? Seine blauen Augen durchbohrten ihren Körper und ihre Seele und sie trat unwillkürlich rückwärts. Es war ein Instinkt in ihr, ihr Leben zu schützen, den sie normalerweise ignorierte – aber nicht, wenn sie ein Kind in ihrem Bauch trug. Das Kind, das sie vor kurzem noch hatte töten wollen, wollte sie jetzt vor dieser Bestie schützen.

„Tu nicht… so unschuldig, du verfluchte, dreckige Schlampe!“ platzte er mit einem Mal heraus, und sie starrte ihn noch verblüfft an, da schlug er ihr so heftig ins Gesicht, dass sie zu Boden stürzte. „Du widerliche Ratte, du und Kiuk, ihr habt euch wohl lieber als ihr solltet, hm?! Wie kannst du es wagen, mich, Tabari und selbst deine Vorfahren so zu entehren, du verfluchte, dreckige-…?!“ Er schimpfte und tobte und wurde immer wütender, während er rasend vor Zorn nach der Frau schlug und trat, als wäre sie ein Strohsack, an dem er seine Wut auslassen konnte. Nalani schrie erschrocken und schützte mit aller Macht ihren Bauch und das Kind, krümmte sich zusammen und spürte einen regen aus grauenhaften Schmerzen über sich kommen, der sie beinahe ohnmächtig werden ließ.

„I-ich habe… überhaupt nichts Derartiges mit Kiuk zu schaffen!“ keuchte sie benommen, als er kurz von ihr abließ und sie Zeit hatte, sich mühsam aufzurappeln, „Ich bin Tabaris Frau, wenn ich ihn nicht liebe, heißt… das nicht, ich wäre untreu! Ich habe mit keinem einzigen Moment irgendjemanden entehrt!“ Kelar fluchte ungehalten die übelsten Schimpfworte in ihre Richtung, die ihm einfielen, und schlug sie abermals wutentbrannt zu Boden.

„LÜG MICH NICHT AN!“ brüllte er, „Tabari hat mir von deinen Machenschaften in der Küche berichtet, du dreckige Hure gehörst gevierteilt für deine Unverschämtheit!“ Nalani starrte ihn an und spuckte keuchend Blut aus ihrem Mund. Der Schmerz war so grauenhaft… Tabari hatte sich also bei seinem Vater ausgeheult und jetzt wurde sie wegen seiner dämlichen Blindheit getötet?

Sie hörte Schritte hinter sich und wie Kiuk schrie. Tabari war auch angekommen.

„Um Himmels Willen, Vater!“ schrie er entsetzt, „W-was machst du mit meiner Frau?!“

„Bist du verrückt geworden?!“ schrie Kiuk auch, und hinter ihnen kam noch der Küchenjunge tapfer mit einer Bratpfanne bewaffnet dazu.

„Haltet euch raus, du besonders, Kiuk, du schändlicher Bastard!“ fauchte Kelar und er funkelte seinen jüngeren Sohn wutentbrannt an, während er nach Nalani schlug, die sich aufzurappeln versuchte. „Ich will verdammt noch mal keine Kinder von dir in ihrem Bauch haben, und wenn du es gewagt hast, die Frau deines Bruders anzurühren, du wertloser, dreckiger kleiner Scheißkerl…!“

„Ich habe Nalani nie angerührt!“ empörte Kiuk sich auch wütend, „Lass sie in Ruhe, oder du wirst es bereuen!“ Ehe er sich richtig konzentrieren konnte, war sein Vater plötzlich direkt vor ihm und er kassierte ebenfalls einen mächtigen Schlag ins Gesicht. Tabari japste, als Kiuk mit blutender Nase zu Boden ging.

„V-Vater, d-du übertreibst es! I-ich habe nicht gewollt, dass du sie halb tot schlägst!“

„Sieh gut hin!“ brüllte sein Vater ihn an und sein Gesicht war verzerrt vor Hass und Wahnsinn, sodass der Sohn erbleichend zurücktrat. Wer war das vor ihm?

Das war doch nicht sein Vater…
 

Das war ein Monster.
 

„Sieh gut hin, deine hurige Frau hat es nicht besser verdient! Du hattest recht, sie bringt Unglück und nichts als Schande über diesen Clan… dieses ganze Land, genau wie ihre verfluchten Eltern! Clan der Schatten, heh, ja, Schatten ist Dunkelheit und mit Dunkelheit verbindet man Unglück und Tod! Ich bringe… dich um, du vermaledeite Göre, Nalani!“ Nalani stöhnte kraftlos vor Schmerzen und versuchte mit aller Macht, sich hochzurappeln, aber es gelang ihr nicht. Sie zitterte und spuckte abermals Blut, ehe sie es schaffte, in Kelars Gesicht zu blicken, ihre Augen waren mit demselben Hass gefüllt wie seine.

„Töte mich doch… tu es, Kelar, ich wäre froh darüber, euch los zu sein! Dich vor allem, du grauenhafter Mann! Töte mich, wie du es mit meinen Eltern getan hast! Ich werde dich auch als geist verfluchen, Kelar Lyra, dich und alle deine verdammten Nachkommen, wie den, der in meinem Bauch wächst, den du gerade zu töten versuchst!“

Tabari erstarrte.

In ihrem Bauch ist ein Kind?!

Kelar hatte es entweder nicht gehört oder es war ihm verblüffenderweise egal, denn er schlug nur erneut nach ihr und fluchte, das Gesicht rot vor Zorn.

„Ja, ich bringe dich verfluchte Schlampe um, genau wie deine Eltern! Deine Mutter war eine nutzlose Hure, die gewimmert hat, als ich sie in jener Nacht erdrosselt habe… und dein Vater hat ebenfalls geschrien wie eine Frau! Wie ehrlos… tss… du wirst genauso jämmerlich sterben wie sie, zu meinen Füßen röchelnd!“ Nalani keuchte und riss den Kopf herunter, als der Mann vor ihr ausholte und jetzt mit einem lauten Krachen eine blitzende Kugel Magie in seiner Hand entstehen ließ, die grell leuchtete.

Dieser Kerl war komplett wahnsinnig! Sie erschauderte und erwartete bereits den Moment, in dem sie ihre Eltern in der Geisterwelt treffen würde…

Mit einem Mal hörte sie dann ein weiteres Krachen und spürte, wie irgendetwas sie nach hinten stieß. Als sie die Augen wieder aufriss und benommen vor Schmerzen den Kopf hob, stand ihr Mann zwischen ihr und seinem wütenden Vater, die Arme ausgebreitet. Kelars Blitz war verschwunden und obwohl sie im Schloss waren zog es mit einem Mal, dann war die Brise wieder weg.

„Hier muss ein Fenster aufgeflogen sein,“ meinte der Küchenjunge, der Kiuk die Bratpfanne gegeben hatte und sich um dessen Nase kümmerte. Kiuk seufzte.

„Du Idiot, mein Bruder ist Windmagier.“

Nalani war unfähig, sich zu rühren, immer noch am Boden liegend, und Tabari keuchte.

„Rühr meine Frau… noch ein einziges Mal an… oder wage es, ihr auch nur ein Haar zu krümmen… dann bist du des Todes!“ zischte Tabari vor ihr ungewohnt grantig, „Du hast völlig den Verstand verloren, Vater! Ich werde weder zulassen, dass du sie umbringst, noch mein Kind in ihrem Bauch! Oder überhaupt jemanden aus… meiner Familie, du Bestie!“
 

Schweigen. Am oberen Ende der Treppe tauchte – reichlich spät – eine leicht torkelnde Salihah auf, die von einem Dienstmädchen gestützt wurde.

„Um Himmels Willen,“ keuchte sie nur benommen. Nalani setzte sich mühsam und zitternd auf. In ihrem Mund und ihrer Nase blutete es und jede Bewegung schmerzte, als sie zu Tabari hinauf sah voller Entsetzen und Verblüffung… und Zuneigung. Zum allerersten Mal, seit sie diesen Mann kannte, empfand sie plötzlich Bewunderung und Zuneigung für ihn…

Er hatte sich gegen seinen Vater gestellt, und das, um sie zu beschützen. Und er hatte ihn ein Monster genannt… dann hatte ihm irgendetwas endlich die Augen geöffnet?

Nicht irgendetwas, dachte sie sich und fasste zitternd nach ihrem Bauch. Es war das Kind… sein Kind, das ihm die Augen geöffnet hat. Es ist ein mächtiges Kind, schon vor seiner Geburt…

„Was sagst du da zu mir, Tabari?“ raunte Kelar bedrohlich und reckte herrisch den Kopf in die Höhe, sah auf seinen ältesten Sohn herunter mit derselben Abscheu, mit der er zuvor Nalani angestarrt hatte. „Wie kannst du es wagen?!“

„Wie kannst du es wagen?!“ zischte der Sohn zurück, „Ich habe Fehler gemacht, grauenhafte Fehler, die vermutlich schwer zu verzeihen sind! Aber du… du hast unschuldige Menschen getötet, Massen von ihnen, du hast Nalanis Eltern ermordet, das waren ehrenwerte Leute! Und ich wollte es nicht glauben… Jahrelang hast du mir vorgemacht, es wäre alles recht, was wir tun, was du tust! Aber die Fehler, die du begangen hast, sind unverzeihlich!“ Die Worte prallten hart in Kelar Lyras Gesicht, und die Grimasse verschwand, als er mit einem Mal wusste, dass er seinen treuesten Anhänger jetzt auch endgültig verloren hatte.

Und Schuld war diese Frau, diese Wachtel, die seine Familie aus seiner Kontrolle gerissen hatte, einen nach dem anderen. Erst seine Frau, dann Kiuk, dann seinen Sohn… und dafür würde er sie töten, das schwor er innerlich, als er langsam zurücktrat. Ein grausames Lächeln schlich auf sein Gesicht.

„Nein, Tabari… das waren keine Fehler, was ich getan habe. Und ich bereue nichts von all dem! Und von dir, mein Sohn, bin ich sehr enttäuscht. Du schlägst dich also auf ihre Seite?“

„Ich schlage mich auf gar keine Seite,“ sagte Tabari kalt, „Ich gehe den richtigen Weg. Und tut mir leid für deinen Sohn, wenn er dich enttäuscht hat… aber einen Mann, der wahllos und aus purer Machtgier Menschen ermordet, kann ich… nicht meinen Vater nennen!“

Mehr sagte er nicht. Er drehte sich um, Kelar tat es ihm gleich und verließ wortlos und mit krachender Tür das Schloss.
 

Tabari hockte sie zu seiner Frau und Kiuk, der Küchenjunge und Salihah mit ihrer Dienerin eilten ebenfalls herbei.

„S-sie ist sicher verwundet!“ stammelte Kiuk, „Dieses Untier hat sie richtig zusammengeschlagen-…“

„Und das Kind?“ keuchte Nalani und hielt sich den schmerzenden Bauch, „W-was ist mit dem Leben in meinem Bauch? Ist es verletzt worden?!“

„Rasch, lauf hinaus und lass eine Kutsche fertig machen,“ befahl Salihah der Dienerin, „Wir fahren sofort nach Tuhuli zu Keisha, sie wird sich kümmern. Tabari, Kiuk, ihr beide kommt mit uns.“ Die Söhne nickten besorgt und Tabari nahm seine zitternde Frau auf die Arme, als Salihah sich erhob. Sie taumelte kurz und Kiuk hielt sie am Arm fest.

„Was ist mit dir? Du gehst so eigenartig.“

„Die Medizin macht mich wirr im Kopf…“ murmelte sie gedämpft, „Ich sehe durch einen dicken Nebel und kann mich kaum auf den Beinen halten, aber es wird schon gehen, Nalani ist jetzt wichtiger. Rasch, eilt euch!“ Nalani wurde von Tabari getragen. Als sie auf seinen Armen lag, lehnte sie erschöpft den Kopf gegen seine Schulter.

„Wieso hast du das für mich getan?“ flüsterte sie, „Du hast gehört, was ich in der Küche gesagt habe… ich wollte es dir erklären… aber du warst schneller und hast es deinem Vater gesagt-…“

„Shhh, nicht,“ flüsterte er zurück, „Wir reden, wenn es dir besser geht.“

„Antworte…“ verlangte sie keuchend, „Wieso, Tabari…?“ Er seufzte und rückte ihr Gewicht auf seinen Armen zurecht.

„Weil du meine Frau und die Mutter meines zukünftigen Kindes bist… und weil du mir sehr am Herzen liegst, dumme Frau. Und jetzt sprich nicht mehr…“
 

Mit dem Kind war alles in Ordnung und Nalani hatte verblüffenderweise keine schweren inneren Verletzungen. Keisha begründete es damit, dass sie ihre empfindlichen Punkte offenbar instinktiv sehr gut geschützt hatte. Sie bereitete Nalani ein Schmerzmittel, das auch das Baby vertragen würde, nachdem sie die inneren Blutergüsse mit etwas leichter Weißmagie behoben hatte. Die anderen im Chimalis-Anwesen waren völlig außer sich, als sie hörten, was Kelar getan hatte. Zoras war kurz davor, hinaus zu stürmen und den Mann zu suchen und ihm dafür den Hals umzudrehen.

„Schlägt eine schwangere Frau zusammen, der hat wohl den Schuss nicht gehört!“ empörte er sich fuchsteufelswild, als Salihah ihn gerade noch davon abhalten konnte, Kelar zu jagen. „Ich bringe ihn um, eines Tages bringe ich ihn um, dieses grauenhaften, wahnsinnigen, verfluchten…! Argh! Ich könnte jetzt die grausigsten Schimpfworte erfinden für diesen Mann, wenn die Geister sich die Ohren zuhalten würden!“

„Du musst dich nicht meinetwegen so aufregen,“ meinte Nalani dumpf, „Dass er wahnsinnig ist, wissen wir doch alle. Neuerdings wirklich alle,“ Sie sah zu Tabari, der etwas abseits von allen mit Kiuk sprach, aber so leise, dass sie es nicht hören konnte. „Ich danke dir, Keisha, es geht schon besser. Ich bin sehr froh, dass es meinem Kind gut geht. Ich hatte Angst…“

„Das freut mich sehr für euch,“ gab Keisha zu hören und lächelte, „Wir alle haben uns schon gefragt, wann denn das erste Kind in deinem Bauch wachsen würde. Es ist schon ziemlich weit fortgeschritten, im Herbst wird es soweit sein. In fünf oder sechs Monden, nehme ich an.“

„Und ich habe es bis heute nicht bemerkt,“ seufzte die Schwarzhaarige beschämt, und Keisha musste kichern.

„Ach, beim ersten Mal hat man doch auch noch keine Ahnung. Als ich Meoran im Bauch hatte, habe ich es erst gemerkt, da war ich fast doppelt so weit wie du jetzt, und das, obwohl ich Heilerin bin. Und Zoras hat sich tagelang über mich lustig gemacht, dabei hatte der doch noch weniger Ahnung von runden Bäuchen, er hat so getan, als wäre er der totale Kenner, der alte Angeber…“

„Das habe ich genau gehört!“ empörte Zoras sich und zog seine Schwägerin neckisch am Ohr, „Sei artig, oder ich rufe dich ab heute wieder Besenstiel!“

„Na warte, du Flegel! – Nomboh! Dein Bruder ärgert mich!“

Während die anderen lauthals diskutierten, sprach Tabari mit Kiuk. Er entschuldigte sich sehr verhalten für sein dummes Verhalten in der Küche.

„Ich… war einfach wütend und habe plötzlich überall Bosheit gesehen, in mir hat sich so viel Zorn angestaut und der Anblick meiner Frau an deinem hals hat einfach das Fass zum Überlaufen gebracht… verzeih, Kiuk, das war nicht recht. Und dass ich zu Vater gerannt bin, ich… hätte erst denken sollen… ich wollte nicht, dass er Nalani etwas antut, ich wusste nicht, dass er so weit gehen würde!“

„Denken solltest du wirklich öfter,“ tadelte Kiuk ihn, lächelte aber verzerrt. „Aber Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Ich schwöre dir, dass Nalani und ich nur wie Geschwister zueinander sind, nicht mehr, niemals. Ich habe doch Sukutai, ich würde nie eine zweite Frau wollen.“ Tabari seufzte.

„Ja, Sukutai. Du bist echt verknallt in sie, oder?“

„So wie du in Nalani…“ Tabari errötete und schnaubte.

„H-hey, es ist nicht so… ich meine… natürlich liebe ich meine Frau-…“

„Ach, mach mir nichts vor. Ich kenne dich, Bruder, und du verhältst dich komisch seit einigen Monden, vor allem ihr gegenüber. Ich als Telepath weiß sowas… ich sehe sowas. Du empfindest was für sie… sonst hätte es dich doch nicht so wütend gemacht, dass sie mich umarmt hat.“ Das war wohl wahr und Tabari brummelte nur etwas vor sich hin, was Kiuk als Geständnis anerkannte. Der jüngere Bruder schlug ihm kameradschaftlich auf die Schulter. „Sei lieb zu ihr. Zeig ihr, dass du sie magst, sie braucht das, glaub mir. Sei ihr… ein guter Mann und vor allem deinem Kind ein guter Vater. Nalani wünscht sich, dass das Kind Eltern hat, die zusammenhalten… das hat sie mir gesagt. Wenn ihr beide euch bemüht, könnt ihr vielleicht… endlich mal aufeinander zugehen.“
 

Aber es war leichter gesagt als getan, für beide Beteiligten, stellten sie wiederum fest, als sie wieder daheim im Schloss waren. Es war längst dunkel und Nalani und Tabari lagen nebeneinander im Bett. Beide sahen schweigend an die Decke.

„Hast du noch Schmerzen?“ fragte Tabari dann irgendwann kleinlaut. Seine Frau schnaubte leise.

„Wird schon. Ich bin nicht aus Zucker.“

„Nicht aus Zucker, mein Vater hat dich halb tot geprügelt!“ keuchte er und setzte sich besorgt auf, „Ich bin froh, dass du nicht ernsthaft verletzt warst und dass es Keisha gibt!“

„Wenn du so froh darüber bist, wieso… zum Geier hast du dann deinem Vater gesagt, ich hätte was mit Kiuk?“ Sie drehte benommen den Kopf zu ihm hin und er senkte verlegen und tiefrot anlaufend den Blick.

„Das ist… etwas, für das ich mich den Rest meines Lebens schämen werde,“ murmelte er leise. „Ich war kopflos, ich war so wütend und habe nicht richtig gesehen… und meine Beine trugen mich schneller als ich wollte, mein Mund sprach Worte, ehe ich begreifen konnte, was ich da tat… ich habe nicht gewollt, dass er dir das antut, niemals hätte ich das gewollt, Nalani! Ich weiß, du… glaubst mir kein Wort… aber ich kann es dir nicht beweisen. Ich kann nur beteuern, dass ich die Wahrheit spreche. Ich war… wütend auf dich, weil du mich ignoriert hast, weil du immer alles mit Kiuk gemacht hast, es… es erschien mir logisch in dem Moment in der Küche, dass ihr beide… na ja…“ Nalani sah ihn kurz an.

„Aber dir ist schon klar, dass das absoluter Mist ist?“ machte sie, „Kiuk und ich sind nie, hörst du, nie auf diese Art zusammen gewesen. Ich habe dich ignoriert, weil du komisch warst, ich habe dich nicht verstanden und du hast es mir auch nicht leicht gemacht, Tabari. Mit Kiuk kann ich reden, er hört mir zu und versucht, mich zu verstehen…“ Sie machte eine kurze Pause. „Du hast dich heute zwischen deinen Vater und mich gestellt und du hast tatsächlich etwas… für mich getan. Ich muss sagen… heute habe ich dich zum ersten Mal bewundert… zum ersten Mal seit du beim Feuer von Tasdyna damals den Wind gerufen hast war ich beeindruckt von deinem Anblick. Was ist los mit uns, Tabari…? Wieso müssen wir… uns rechtfertigen dafür… dass wir einander auf gewisse, seltsame Weise mögen? Wir suchen Entschuldigungen dafür… aber ich frage mich, brauchen wir Gründe, um jemanden zu mögen?“

„Ich brauche die nicht,“ machte er dumpf und legte sich wieder hin, sich zu ihr drehend. Nalani rutschte ein Stück dichter an ihn heran.

„Wir beide haben Fehler gemacht und uns wie Idioten benommen,“ gestand sie überraschenderweise, worauf er sie groß ansah. „Ich habe dich verabscheut, weil du so ein unglaublicher Dummvogel warst und nicht einsehen wolltest, was dein Vater tut, und… ich war nicht sehr gerecht zu dir, weil ich wütend auf deine Blindheit war…“ Und sie tat etwas noch erstaunlicheres, als sie vor ihm den Kopf neigte, so weit, bis ihre Stirn seine Brust berührte und sie mit den Händen vorsichtig nach seinem Oberkörper angelte. „Vergib mir, Tabari.“ Tabari seufzte und zog sie zärtlich in seine Arme. Sie war so angenehm warm…

„Ich vergebe dir, wenn du mir auch vergibst,“ erwiderte er leise und küsste zärtlich ihr linkes Ohr, worauf sie leicht errötete. „Er ist mein Vater… es ist nicht so einfach für mich, ihn zu hassen, wie es für dich sein mag. Könntest du deinen Vater von heute auf morgen hassen, wenn dir jemand erzählte, er wäre ein Monster?“ Sie schüttelte schweigend den Kopf. „Du warst doch nicht die einzige, die das gesagt hat, Nalani. Viele sagen es, mein Vater verbreitet Angst und Schrecken im ganzen Land und ich wusste es… schon lange, glaub mir.“

„Wieso hast du dann trotzdem zu ihm gehalten?“

„Weil ich genau wie die tausend Bauern Angst hatte…“ meinte er, und sie hob den Kopf und sah ihn verdutzt an. „Und mich zu entscheiden hat mich einige Kopfschmerzen gekostet, glaub mir… aber jetzt, wo ich es… einmal getan habe, fühlt es sich gut an… jedenfalls besser als vorher.“

Nalani lächelte kurz.

„Das hätte ich dir sagen können, du Trottel.“ Dann streckte sie sich, um ihn auf die Lippen zu küssen. Tabari legte seufzend die Arme um sie und erwiderte ihren sanften Kuss, während sie sich an seinen Körper schmiegte.

Ja… er war wohl wirklich ein Trottel. Und ein Glückspilz, denn er hatte die klügste und schönste Frau der Welt.
 

Salihah befürchtete, Kelar würde in seinem Zorn über Tabaris Entscheidung das ganze Land in Brand stecken, so machte sie es zu ihrer Aufgabe, ihn zu beruhigen. Und obwohl ihre Macht nachgelassen hatte und die dauernde Einnahme des Laudanums auch keine besonders guten Auswirkungen auf ihren körperlichen Zustand hatte, war sie ziemlich zuversichtlich, dass sie ihn dieses Mal beruhigen könnte. Sie ließ sich Zeit damit und Kelar ließ sich Wochenlang nicht blicken im Schloss, bis Salihah zum Ende des Regenmondes, als der Sommer schon da war, nach Yiara fuhr, um nach ihm zu sehen.

Kelar stellte das gesamte Senatsgebäude auf den Kopf, als sie es betrat. Irgendwelche fleißigen Untertanen sammelten hinter ihm die Spur der Verwüstung wieder ein und versuchten, Ordnung zu schaffen. Salihah wunderte sich, dass sie nie Denmor Emo bei ihrem Mann sah, der doch eigentlich wohl sein treuster Gehilfe war; aber die Emos konnten sich gut unbemerkbar machen, vermutlich versteckte er sich irgendwo und beobachtete sie aus der Ferne, was sie sowohl Kelar aus auch Denmor durchaus zutrauen würde. Na, solange er sie nicht beim Baden beobachtete konnte es ihr egal sein… und wenn sie diesen Stinkefinger dabei erwischen würde, würde der sich aber wundern, was sie mit ihm anstellen konnte.

„Was machst du da, Kelar?“ war ihre Begrüßung, als sie ihrem Mann und den Fetzensammlern ins Hauptbüro gefolgt war, und Kelar schnaubte und warf mit Pergamenten um sich.

„Wo ist dieser verfluchte Vertrag?! Er muss hier irgendwo sein, er kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben! Ich werde ihn finden und zerfetzen! – Ach, eigentlich könnte ich diesen Hirnis in Vialla auch ohne den Vertrag den Kopf abreißen, oder? Wenn ich es einfach tue, wird der Pakt hinfällig, haha.“

„Sicherlich, aber wenn du erst einen Krieg anfängst und dann den Vertrag zerstörst, werden sie wütender und gefährlicher,“ spielte sie die Strategin und er sah sie schnaubend an.

„Willst du mir etwa auf einmal helfen dabei, mich von Kisara zu lösen?!“

„Sicherlich nicht, aber wenn du schon Dummheiten machst, dann mach sie ordentlich. Und musst du alles zerfetzen, weil du den dämlichen Vertrag suchst?“

„Ich bin wütend, deshalb zerfetze ich Dinge!“ erklärte er laut.

„Wie destruktiv. Du bist zornig, weil Tabari dir nicht mehr die Füße küsst? Er ist erwachsen geworden und denkt alleine, du solltest stolz auf ihn sein. Hast du wirklich gedacht, er würde dir ewig die Stange halten?“

„Du falsche Hure!“ blaffte er sie an und warf Pergamente nach ihr, sie duckte sich rechtzeitig. „Du hast ihn mir entfremdet, diese verfluchte Frau hat es auch getan, Nalani! Verdammt, hätte ich nur eine andere für ihn ausgesucht! Sie hat deine Seele vergrault, sodass du mir den Rücken gekehrt hast, und jetzt hat sie auch Tabari verschandelt!“ Seine Frau lachte unwillkürlich lauthals los und Kelar starrte sie verblüfft an. Als sie sich wieder einkriegte und den Kopf zu ihm drehte, sah sie ihn mit einem üblen Mörderblick an und voller Spott.

„Du elender Narr, Kelar… ich habe dir schon lange vor Nalanis Ankunft den Rücken gekehrt.“

Kelar Lyra verengte die Augen zu schmalen Schlitzen beim Anblick seiner grausam grinsenden Frau. Sie war eine verdammte Sadistin, sie war grausam und hatte Spaß daran, ihn zu erniedrigen… und nicht nur ihn, da war er sicher. Er verabscheute und begehrte sie gleichzeitig in diesem Moment, dass es ihn selbst anwiderte. Er spuckte aus und schnaubte dann verächtlich.

„Ja, natürlich hast du das. Während ich im Krieg war und du mit Chimalis deine widerlichen Bettspielchen getrieben hast! Wenn ich nicht mit Gewissheit wüsste, dass du erst nach Tabaris Geburt sein Ritual gemacht hast, würde ich daran zweifeln, dass ich überhaupt auch nur einen Sohn mit dir habe!“ Salihah lachte kalt.

„Kiuk ist auch dein Sohn, das habe ich dir schon oft gesagt. Er hat deine Haare, du Idiot, wie könnte er Zoras‘ Sohn sein? Ich habe zwei Söhne geboren, die beide von deinem Blut sind, das schwöre ich vor den Augen aller Geister, Kelar.“

„Tss, du könntest heute tausend Söhne von tausend verschiedenen Männern haben!“ spuckte er, „Weißt du was? Ich habe neulich ein interessantes Gespräch verfolgt, es ging um eine Spinnenart, bei der die Weibchen sich nur mit Männchen paaren, um Eier legen zu können, und sie danach auffressen. Ich glaube, du bist auch so eine Spinne!“ Sie kicherte.

„Ja, von dieser Spinnenart habe ich auch gehört. Du wirst lachen, und das ausgerechnet von deinem besten Freund Zoras Chimalis. Er hat welche gesehen, in Fann.“

„Fann ist ein Land der Dämonen, diese verfluchten Widerlinge essen ihre Toten!“

„Reg dich ab, Kelar, wir sprechen jetzt über Tabari und nicht über Fann. Ob er dir die Stange hält oder nicht ist er dein erstgeborener Sohn und rechtmäßiger Erbe. Und er wird Vater, das sollte für dich ein Grund zum Jubeln sein.“ Kelar brummte, schien sich aber tatsächlich zu beruhigen. Sie hatte ja gewusst, was zog.

„Wenn ein männliches Kind aus Nalanis Bauch kommt, will ich es gutheißen,“ verkündete er grimmig, „Wir werden meine Vorfahren ehren, indem wir dem Kind einen ihrer Namen geben. Aber wenn es ein Mädchen wird, werde ich es ersäufen und die Mutter gleich mit, denn dann ist bewiesen, dass sie nichts als Schande und Unheil bringt! Ich brauche keine Mädchen, ich brauche Erben, Söhne, Enkelsöhne! Und die Wachtel tut gut daran, einen Sohn zu gebären, und wehe er ist schwach oder verkrüppelt, dann ersäufe ich ihn auch!“

„Was habe ich dir vor Jahren gesagt, Kelar…?“ murmelte sie lächelnd, und er sah sie verdutzt an. Ihr Lächeln gefiel ihm nicht, es war nicht von dieser Welt. „Du wirst Macht und Ruhm haben, aber sie werden Hand in Hand gehen mit dem Untergang des Clans.“ Er erstarrte.

Der Untergang des Clans…?

„Nein!“ brüllte er dann heftig und stierte sie wutentbrannt an, bevor er mit dem Finger auf sie zeigte, „Ich werde es nicht zulassen, du wirst sehen, Salihah! Weder Nalani, noch du, noch sonst jemand wird mir… meinen Clan ruinieren! Und mir ist egal, über wie viele Leichen ich dafür gehen muss!“
 

Der Sommer war verblüffend warm und lang in dem Jahr. Aber dieses Mal gab es zwischendurch Regen und die Ernte fiel sehr viel besser aus. Kelar begründete das bei öffentlichen Reden in Yiara damit, dass jetzt endlich alle brav knieten und die Geister deshalb ihren Zorn besänftigt hätten. Obwohl er den Vertrag aus Vialla nicht fand, den er auch nicht finden konnte, weil er in Yatoret war, war der Herrscher von Lyrien erstaunlich friedlich in jenem Sommer.

„Keine Sorge, der ist nur brav, weil Nalani bald ihr Kind bekommt, danach tobt er weiter,“ vertröstete Salihah die Geisterjäger schon völlig sarkastisch, wenn sie sich mit ihnen zur Besprechung traf. „Wir sollten beten, dass es ein Junge wird, denn dann wird das Toben vielleicht weniger heftig weitergehen.“

„Oder noch schlimmer, weil er seinem neuen Erben beweisen muss, dass alle anderen Würmer sind,“ murmelte Zoras Chimalis darauf, „Mir erzählen die Windgeister vom Ende der Welt, es wird ein grausames Ende geben.“

„Du träumst schon seit du denken kannst vom Ende der Welt, Bruder…“

„Nein, nicht wirklich,“ widersprach Zoras Nomboh dumpf, „Erst, seit Kelar zum Herrn der Geister wurde.“
 

Der Mond der Irrlichter, der normalerweise schon das Laub an den Bäumen färbte und es abkühlen ließ, brachte nur ein sehr verhaltenes Ende des Sommers. Es war immer noch warm und die Blätter noch grün, als Salihah einmal wieder nach Tuhuli fuhr, um sich mit den Geisterjägern zu besprechen. Nalani hatte darum gebeten, sie begleiten zu dürfen, aber sie hatte es ihr verboten.

„Dein Bauch ist schon sehr groß. Es ist vielleicht nicht so angenehm, wenn du jetzt unnötig viel mit der Kutsche fährst, nachher bekommst du auf dem Weg die Wehen. Bleib lieber hier, ich verspreche dir, dass ich euch alles berichten werde.“

„Und, hat Kelar etwas ausgefressen?“ war wie üblich die erste Frage, die die Runde eröffnete, heute kam sie von Nomboh, der auf seinem Sessel hing und an einem Keks lutschte.

„Müssen wir die Liste der ausgerotteten Dörfer erweitern?“ war die obligatorische Erweiterung dieser Frage von Hakopa Kohdar, und Salihah verdrehte die Augen.

„Ihr werdet albern, es ist sehr ernst, was hier läuft. Aber nein, keine neuen Dörfer.“

„Was wir unbedingt machen sollten, immer noch die drei Räte der Schamanen vereinen, wenigstens zweimal im Jahr oder so,“ sprach Minar Emo ein ernsteres Thema an, „Ich meine, wir vier und du, Salihah, sind ja schon quasi eine Untergrund-Organisation… du solltest deinen Tele-Orden oder wir er heißt auch mal nach Tuhuli zitieren, damit wir mal alle vor Ort haben. Die Heiler weigern sich sicher immer noch, aber wenn wir etwas Überzeugungsarbeit leisten…“

„Wir lassen Salihah mit ihnen verhandeln,“ scherzte Nomboh, worauf sein Bruder ihn empört ansah, „Salihah kann das.“ Salihah hüstelte.

„Momentan ist mein Bedarf an Verhandlungen gedeckt nach der Reise nach Vialla im Frühjahr.“

„Oh, oh, hört, hört.“

„Weißt du das eigentlich, Seherin?“ fragte Hakopa Kohdar plötzlich verdutzt, „Dass Kelar sich neulich tatsächlich mit uns zusammengesetzt hat?“ Salihahs ah auf. Nein, das hatte sie nicht gewusst. Die Geister verschwiegen ihr also schon Dinge, das war beunruhigend. Sie schob die Schuld auf das verfluchte Laudanum und zog bei dem Gedanken gleich mal ihre Flasche aus der Tasche, um sich einen Schuss Medizin in ihr Glas auf dem Tisch einzuschenken.

„Hat er das?“ fragte sie nach, während sie das Glas kurz schwenkte, um das Laudanum mit dem Wasser zu mischen, „Was gab es denn?“

„Es ging um Tabari,“ meinte Zoras auch, „Genauer gesagt um seine Geisterjägerprüfung. Ich war ganz baff, dass Kelar ihn die Prüfung doch machen lässt. Ich dachte nach dem Drama mit Nalani damals, dass Kelar Tabari die Ehre verweigern würde. Offenbar hat er seinem Sohn aber verziehen… ich wusste gar nicht, dass er das kann, verzeihen.“

„Tabari soll die Prüfung machen?“ staunte Salihah, „Wann? Mir sagt niemand etwas!“

„In einer Woche, darauf haben wir uns geeinigt. Das heißt, in einer Woche wird er für drei Tage isoliert und danach werden wir sehen, ob er das Zeug hat, einen von uns zu besiegen und Geisterjäger zu werden.“

„Kelar hat wohl eingesehen, dass Tabari, Nalani hin oder her, sein Erbe ist und da ist ihm wohl eingefallen, dass es ehrbarer wäre, wenn der Geisterjäger würde,“ orakelte Nomboh, „Wetten?“

„Hör mit deinen Wetten auf!“

„Und was passiert, wenn Tabari verliert?“ machte Minar Emo, „Geht Kelar dann an die Decke?“ Zoras lachte laut.

„Hast du Schiss?“ höhnte er grinsend, „Wenn es auf mich fällt, werde ich sicherlich keine Gnade zeigen und ihn gewonnen lassen, nur weil er der Sohn des Herrn der Geister ist! Tabari ist zu jung und nicht reif genug für die Prüfung, ich glaube, er verliert.“

„Woher willst du das wissen?“ machte Nomboh, „Tabari ist immerhin aus dem Lyra-Clan.“

„Und nicht jeder Lyra ist automatisch begabter als wir es sind,“ meinte der Schwarzhaarige verblüfft, „Also ich verliere nicht gegen Tabari, darauf nimm mal bitte Gift. Ich habe auch meinen Stolz, entschuldige, aber der Junge ist nicht mal zwanzig!“

„Wir werden ja sehen,“ machte Hakopa Kohdar, „Wir haben uns nie sonderlich mit Tabari beschäftigt… Salihah, hat er irgendwelche sonderbaren Eigenarten an sich, was das Zaubern angeht?“ Salihah runzelte die Stirn.

„Er ist Windmagier wie fast alle seine Vorfahren väterlicherseits,“ meinte sie und grübelte, „Aber… das ist auch schon alles, ehrlich gesagt. Ich weiß… gar nicht, was ich erwarten würde… aber Tabari ist ein guter Beobachter, stille Wasser sind tief. Unterschätzen… solltet ihr ihn jedenfalls nicht, und das sage ich nicht als seine Mutter.“ Sie sah dabei vor allem Zoras stirnrunzelnd an, und der seufzte nur.

„Dann bin ich gespannt,“ murmelte er dann, „Bisher haben wir von jedem, der kam und der je eine Chance hatte in der Prüfung, eine Ahnung, was uns erwartet. Was Nalani angeht zum Beispiel, sie hat Kadhúrem. Das ist ihre Spezialität und nur ihre, wenn sie mit dem Ding in die Prüfung geht eines Tages – was ich doch wohl sehr hoffen will, bei ihrem Talent – wissen wir, was uns blüht, und es wird nicht einfach werden. Du hast recht, ich kann Tabari nicht beurteilen… ich habe ihn nur als verzogenen Bengel in Erinnerung, der mit seiner Katura angegeben hat, als er acht war…“ Um das zu untermalen zauberte Zoras selbst flüchtig den Windzauber Katura aus dem kleinen Finger und ließ den kleinen Wirbel kurz darauf verschwinden.

„Aber er ist nicht mehr acht,“ grinste Nomboh, „Ich bin gespannt, was uns erwartet.“
 

Als der Tag der Prüfung kam, war Tabari etwas hin und her gerissen.

„Ich werde dich drei Tage verlassen müssen,“ sagte er zu seiner Frau am Morgen, „Und, äh, danach gibt es dann den zweiten Teil der Prüfung, der noch viel anstrengender werden wird. Es tut mir leid, dich ausgerechnet jetzt alleine zu lassen, weil… ich meine…“ Er sah verlegen auf Nalanis sehr runden Bauch und streichelte kurz darüber. Die schwarzhaarige Frau hatte sich zur Feier des Tages sehr hübsch gemacht, obwohl ihr Mann bald fortgehen würde. Jetzt stemmte sie die Hände in den Rücken.

„Ich werde es überleben, Tabari,“ seufzte sie, „Es ist wichtig, dass du gehst! Ich werde die Geister rufen und ihnen sagen, das Kind soll erst kommen, wenn sein Vater zurück ist. Keisha hat gesagt, es würde nicht vor dem Holzmond kommen und wir haben noch nicht Holzmond. Also mach dir nicht ins Hemd. Mach lieber deine Sache gut, Tabari.“ Er seufzte.

„Du bist mir nicht böse, dass ich weggehe?“ Sie schnaubte.

„So wichtig bist du mir nun echt nicht.“ Er starrte sie an und als sie sein gekränktes Gesicht sah, musste sie leise lachen. Dann beugte sie sich zu ihm herüber, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund. „Nein, du Idiot… ich vermisse dich erst heute Nacht, wenn ich alleine im Bett liege.“ Tabari hustete und kratzte sich blöd lachend am Kopf.

„Du liebe Zeit!“ Sie schüttelte lächelnd den Kopf über ihn, während sie auch mit den Händen über ihren Bauch fuhr. Das Kind strampelte drinnen. Bald wäre es soweit… sie war schon aufgeregt und fürchtete und erwartete den Tag gleichzeitig, an dem das Kind endlich ihren Bauch verlassen würde.

Unten im Hof standen alle Geisterjäger und auch Kelar in ihren typischen schwarzen Umhängen. Jeder von ihnen trug den Anstecker mit dem Pentagramm, dem Symbol der Geisterjäger. Wenn Tabari seine Prüfungen bestand, würde er ebenfalls einen Umhang und einen Anstecker tragen. Nalani hatte feierlich und ohne Tabaris Wissen beschlossen, während seiner dreitägigen Abwesenheit seinen Umhang zu nähen.

„Und wenn er es gar nicht schafft?“ hatte Kiuk blöd gefragt, und sie hatte ihn ausgelacht.

„Wird er. Wenn nicht, habe ich ihm gedroht, ihn zu verprügeln, deswegen wird er sich hüten!“

Jetzt waren auch Nalani, Kiuk, Salihah und Sukutai im Hof bei den Geisterjägern und Tabari, als sie die Prüfung eröffneten. Im Hintergrund tummelten sich alle Angestellten.

„Eigentlich erfüllst du die Voraussetzungen zur Prüfung nicht,“ begann Zoras Chimalis kalt, und Tabari starrte ihn an, ebenso alle anderen.

„Was?“ machte Kiuk. Kelar schnaubte.

„Chimalis, reiß dich zusammen, du bist hier in mein Grundstück eingedrungen…!“ Der Jüngere sparte sich einen niveaulosen Kommentar, der ihm so auf die Zunge kam beim Wort eingedrungen, und er hütete sich, in Kelars Anwesenheit nach Salihah zu linsen, obwohl er wusste, dass sie spüren würde, dass er innerlich zu ihr blickte.

„Tabari hat keine offizielle Lehre gemacht,“ erläuterte er dann seine Worte, „Du bist kein Lehrmeister, Kelar!“

„Ich bin der Herr der Geister, ich darf das, hüte deine Zunge, du notgeiler Bock.“

„Moment, soll das heißen, ich darf nicht?!“ japste Tabari entsetzt. Zoras brummte.

„Wenn wir das wollten, hätten wir uns das überlegt, bevor wir alle hier angetanzt sind. Nein, wir lassen es ausnahmsweise mal mehrheitlich entschlossen durchgehen… weil dein Vater als Herr der Geister…“ Er musste sich sehr überwinden um weiter zu sprechen, „Ja Ahnung davon haben muss. Also, Tabari, du wirst dieses Grundstück verlassen und drei Tage alleine und entfernt von Menschen durch die Wildnis laufen, wohin ist egal. Heute in drei Tagen wirst du dann in Tuhuli die zweite Prüfung ablegen, wir treffen uns dort wieder.“ Tabari nickte.

„Ich soll… einfach nur vor mich hin vegetieren drei Tage lang?“

„Du sollst isoliert sein, fern von Menschen oder Zivilisation,“ meinte Nomboh, „Wieso, wirst du auf deiner Reise selbst herausfinden. Aber es ist seit Jahrhunderten Tradition unter den Schamanen und sehr wichtig, wenn du die Prüfung bestehen willst. Verstanden?“ Wieder nickte der Blonde sehr ernsthaft. Sein Vater hob herrisch den Kopf.

„Dann geh!“ verlangte er und zeigte zum Tor, „Und ich erwarte, dass du deine Sache gut machst, Tabari! Ich hoffe, du enttäuschst mich nicht in drei Tagen.“ Tabari ging zum Tor und linste seinen Vater einen Moment an.

„Werde ich nicht. Dieses eine Mal nicht, verdammt.“
 

Nalani vertrieb sich die drei Tage damit, Tabaris Umhang zu nähen. Sie war keine geschickte Schneiderin und musste sich zwischendurch von Sukutai helfen lassen, die sehr geübt war im Nähen, aber sie gab sich die größte Mühe. Dabei summte sie sanfte Melodien für ihr strampelndes Kind, als würde sie es in ihrem Bauch in den Schlaf wiegen, während sie nähte.

Sie hatte sich überlegt, was wohl passieren würde, wenn sie eine Tochter bekäme. Kelar würde nicht einverstanden sein und vielleicht sogar versuchen, sie ihr wegzunehmen; sie würde das verhindern, egal, was sie tun müsste, sie würde verhindern, dass man ihr das Kind wegnahm, egal, welches Geschlecht es haben mochte.

Die Geister verschwiegen ihr, was es werden sollte. Sie versuchte, auf ihr Inneres zu hören und den Geist des Babys zu erreichen.

„Bist du ein Junge oder ein Mädchen, ungeborenes Kind von Tabari und Nalani?“

Aber das Kind antwortete ihr nicht. Niemand antwortete und es machte sie nervös.

Nachts träumte sie von einem Kind ohne Gesicht, das durch die Dunkelheit tanzte. Sie konnte nicht erkennen, ob es ein Junge oder ein Mädchen war, denn sie sah es nur verschwommen hin und her laufen. Und plötzlich sprach es, aber mit verzerrter Stimme:

„Die Welt wird sterben.“
 

Sie fuhr keuchend aus dem Schlaf hoch. Der Morgen graute. Sie ließ sich seufzend wieder ins Kissen zurück fallen und fuhr sich zitternd mit den Händen über das Gesicht.

Nur ein Traum… wieso fürchte ich mich noch immer vor Träumen…? Ich sollte es langsam gewohnt sein…

Sie war Schwarzmagierin. Alle Schwarzmagier hatten mehr oder weniger ausführliche Träume und Visionen, je größer ihre Begabung zur Magie war, desto ausführlicher und weitreichender waren die Träume.

Unten hörte sie Schritte und großen Radau. Sie erhob sich, zog sich rasch an und verließ das Schlafzimmer. In der Halle fand sie Salihah, Kiuk und Sukutai, die über Nacht hier geblieben war, die sich zum Aufbruch bereit machten. Und es fiel ihr wieder ein; ach ja, die drei Tage waren um. Sie würden nach Tuhuli fahren und der zweiten Prüfung beiwohnen.

„Und niemand weckt mich?“ empörte sich die junge Frau und hielt sich den Rücken, „Wartet doch, ich mache mich fertig und komme auch mit.“ Salihah seufzte.

„Genau deswegen haben wir dich schlafen lassen, du bleibst hier,“ entschied sie, „Es tut mir leid, aber ich habe dir doch neulich schon gesagt, wieso du nicht mit der Kutsche fahren solltest. Die Straße nach Tuhuli ist uneben und völlig durchlöchert, es ist nicht angenehm für dich und für dein Kind schon gar nicht.“ Nalani starrte sie an.

„Ihr wollt mich einfach hier lassen?!“ rief sie entsetzt, „Tabari ist mein Mann, ich will mir das ansehen! Dann gehe ich zu Fuß nach Tuhuli!“

„Bis du zu Fuß da bist, ist es vorbei,“ seufzte die Schwiegermutter und machte eins schuldbewusstes Gesicht, „Vergib mir, ich hätte nicht einfach abhauen wollen dürfen… Kiuk wird bei dir bleiben, er will nur schnell Sukutai nach Tasdyna bringen, weil sie ihrem Vater versprochen hat, vor Mittag dort zu sein. Tu mir bitte den Gefallen und bleib im Schloss, Nalanichen. Ich würde mir sonst Sorgen um dich machen.“ Nalani schnaubte.

„Ist ja nicht so, dass ich platzen könnte!“ zischte sie dennoch verärgert, gab aber nach und sah zu Kiuk. „Dann begleite ich euch beide nach Tasdyna. Es sei denn, deine Mutter hält selbst das für zu gefährlich.“ Kiuk blinzelte und Salihah sah Nalani eine Weile schweigend an.

„Es war nicht recht von mir, dich einfach abzuservieren, das gebe ich zu,“ sagte sie und verneigte sich, „Aber es war nie meine Absicht, dich zu verärgern, glaub mir.“ Nalani seufzte.

„Das will ich auch hoffe,“ murrte sie beleidigt, hatte ihrer Schwiegermutter aber innerlich schon verziehen, als diese das Schloss verließ und Nalani sich fertig machte, um Sukutai mit Kiuk nach Tasdyna zu bringen.

„Meine Mutter meint es nicht böse, sie sorgt sich nur um dich,“ erklärte Kiuk auf dem Weg zu Sukutais Elternhaus. „Der Mond der Irrlichter ist beinahe vorbei, es kann nicht mehr lange dauern, bis dein Baby kommt. Und auf dem Weg oder während der Prüfung wäre es echt ungünstig. Nicht nur für dich, für Tabari ja auch, weil sie dann abbrechen müssten, um dein Baby zur Welt zu bringen, und Tabari müsste den ganzen Kram noch mal machen.“

„Die behandeln mich als wäre ich krank,“ seufzte Nalani, „Ich bin bloß schwanger.“

„Aber es ist dein erstes Kind und weil es für die Familie ein wichtiges Kind ist, sind alle vorsichtig,“ versuchte Sukutai es, „Mein Herr Vater war mit meiner Frau Mutter viel strenger, als sie mich erwartete, sie durfte kaum das Haus verlassen, es könnte ja etwas passieren.“

„Ist das nicht etwas übertrieben?“

„Natürlich ist es das, aber er wollte sie ja nur beschützen. Männer werden, wenn ihre Frauen Kinder erwarten, manchmal völlig idiotisch und müssen plötzlich betonen, was für tolle Beschützer sie sind, wir Frauen müssen ihnen das nachsehen.“ Kiuk schnaubte und Nalani erinnerte sich daran, wie Tabari so besorgt gewesen war, als er für drei Tage hatte weggehen müssen. Ja, an Sukutais Worten war etwas dran.

Sie dachte an Tabari. Ob die Prüfung schon angefangen hatte? Wohl kaum, Salihah konnte inzwischen kaum in Tuhuli angekommen sein. Sie ärgerte sich wieder darüber, es nicht sehen zu können; so hätte sie wenigstens erfahren, wie so eine Prüfung ablief, und wäre für ihre eigene vorbereitet. Wobei sie auch nicht wusste, wann sie dazu käme, diese Prüfung zu machen; erst mal hatte sie bald ein Kind, um das sie sich kümmern müsste. Da konnte sie nicht einfach drei Tage weg bleiben…
 

Sie verbrachte den Tag damit, den Umhang fertig zu nähen; eigentlich war er schon fertig gewesen, aber sie vertrieb sich die Zeit damit, kleine Verbesserungen vorzunehmen, die eigentlich so gut wie überflüssig waren. Am Nachmittag machte sie mit Kiuk und den gesamten Bediensteten ein Teekränzchen, bei dem der Küchenjunge heiter die Vor- und Nachteile der Eselzucht erörterte und das dumme Stallmädchen von Kiuk beigebracht bekam, ihren Namen zu schreiben. Eine etwas ältere Dienerin erzählte Nalani über das Kinderkriegen.

„Es ist schmerzhaft, dass man glaubt, man würde zerreißen… aber wenn das Kind auf der Welt ist, ist das der schönste Augenblick im ganzen Leben. So ein kleines, schreiendes, zappelndes Ding auf dem Arm zu halten und zu wissen, das ist mein Kind, das habe ich auf die Welt gebracht, das ist unbeschreiblich schön, Herrin. Ich hoffe sehr, dass Ihr es auch bald so empfindet werdet.“

„Ich danke dir,“ meinte Nalani darauf lächelnd, „ich hoffe es auch.“

Als Tabari mit seinen Eltern zurück ins Schloss kehrte, dämmerte es schon. Sobald sie Schritte und Stimmen hörten, eilten Nalani und Kiuk gefolgt von dem Küchenjungen und dem jetzt seinen Namen schreiben könnenden Mädchen in die Halle, um die Restfamilie zu begrüßen.

„Und?“ machte Kiuk verdutzt, als er erst seinen wie immer herrischen Vater und dann seine ebenso kalte Mutter erblickte und dann seinen Bruder, der völlig gerädert durch die Tür stolperte. „Du liebe Zeit.“

„Was ist denn hier für ein Zirkus?!“ pflaumte Kelar Lyra die Bediensteten an, „Macht, dass ihr verschwindet, und wieso steht das Abendessen noch nicht auf dem Tisch?! Wir haben ein ausgiebiges Festmahl zu halten zu Ehren von Tabaris Prüfung, ihr Lumpen!“

Nalani blinzelte, während Tabari hinter sich die Tür schloss und sich durch die zerzausten Haare fuhr.

„Dann hast du es geschafft?“

Ihr Mann seufzte, lehnte sich gegen die Tür und zog mit einer Hand etwas kleines aus seiner Manteltasche, das er ihr vor die Füße warf, weil er unfähig war, die Hand lange ausgestreckt zu halten. Nalani erkannte den goldenen Pentagramm-Anstecker.

„Was dachtest du denn…? Dass ich mich von dir verhauen lasse, Nalanichen…?“ Er grinste jetzt breit. „Ich komme mir vor wie ein gegrillter Fleischspieß, aber… ich hab's geschafft!“
 

Während die Diener hurtig das große Essen vorbereiteten und die Familie schließlich am Tisch saß, um Tabaris Erfolg gebührend zu feiern, musste der arme Kerl in aller Ausführlichkeit berichten, was er erlebt hatte. Er erzählte von den drei Tagen in der Wildnis und von der viel schwereren zweiten Prüfung in Tuhuli. Vor allem Nalani war völlig fasziniert von dem, was er erzählte.

„Wenn du Geisterjäger werden willst, musst du ja mit den anderen auf einer Stufe sein, deswegen musst du einen von ihnen besiegen oder wenigstens ein Unentschieden schaffen. Und die nehmen keine Rücksicht, die sind knallhart. Und Hakopa Kohdar war ein ziemlich harter Brocken, glaube ich, jedenfalls hat er es mir echt schwer gemacht.“

„Du hast gegen Hakopa Kohdar gekämpft?“ machte Kiuk perplex. „Und gewonnen?“

„Ziemlich knapp, aber ja,“ gluckste Tabari, „Aber es war nicht einfach, ich bin Windmagier und die Kohdars sind von Natur aus Feuermagier, und mit Wind fache ich das Feuer eher an…“

„Wer bestimmt, wer dein Gegner ist?“ kam es von Nalani.

„Die losen das aus. Abgesehen vom Herrn der Geister hätte ich jeden erwischen können; der Herr der Geister steht ja noch eine Stufe über den anderen, dass ich meinen Vater also heute hätte schlagen können ist völlig ausgeschlossen.“

„Du liebe Zeit, und jetzt erzähl, wie hast du es geschafft, ihn fertig zu machen?“ staunte Kiuk, und während Tabari erzählte, holte Nalani ihren Umhang, den sie ihrem Mann dann feierlich um den Hals hängte, während er noch bei Tisch saß. Er sah verblüff zu ihr hoch und dann auf den schwarzen Stoff, während sie ein seltenes, liebevolles Lächeln zeigte.

„Nanu?“ machte er, „Du hast das für mich gemacht?“

„Nein, der lag zufällig auf dem Komposthaufen herum und da dachte ich, nimm ihn mal mit…“ war ihre schnippische Antwort, und er musste lachen, erhob sich und drückte ihr vor versammelter Mannschaft einen Kuss auf den Mund.

„Du kriegst wirklich jedes Wort in den falschen Hals,“ seufzte er dann, „Das ehrt mich sehr, Nalani, ich danke dir.“ Er zupfte vergnügt an seinem neuen Umhang und lächelte. Sie seufzte auch und rückte das schwarze Stück auf seinen Schultern zurecht, weil er es schief gezupft hatte.

„Von wegen falscher Hals, das ist Ironie, du Depp.“

„Und Respekt hat sie immer noch nicht,“ schnaubte Kelar am anderen Tischende und schwenkte empört sein halb volles Weinglas, „Spricht man so mit einem Mann, noch dazu mit einem Geisterjäger?“

„Du solltest sie nicht zu viel tadeln, sonst bringt sie dir keinen gesunden Enkelsohn zur Welt,“ machte Salihah prompt, und Kelar verschluckte sich an seinem Wein und hustete. Oh, nein, das war nicht gut. Er linste Nalani an, die mit Tabari über den Umhang diskutierte, und sah auf ihren sehr runden, großen Babybauch.

Ich warne dich, Wachtel… wenn dein Kind verkrüppelt ist oder hässlich, oder schwach oder ein Weibchen, dann werde ich es mit eigenen Händen töten… egal, was du dagegen haben magst!
 

Jetzt, wo Tabari Geisterjäger war, schien wenigstens Kelars Zorn sich etwas gelegt zu haben. Oder er war nervös, weil die Geburt des ersten Enkelkindes kurz bevor stand.

Nalani träumte wieder von dem Kind ohne Gesicht. Es lief durch die Dunkelheit und sie erkannte nur seine Umrisse, während es sprach:

„Die Welt wird sterben.“

Die junge Frau wachte auf und ihr Bauch schmerzte unangenehm. Stöhnend drehte sie sich auf die Seite, weg von ihrem mann, der neben ihr schlief und dabei leise vor sich hin schnarchte. Der Schmerz war vorüber, als sie auf der Seite lag, und benommen versuchte sie, wieder einzuschlafen. Aber sie konnte nicht… was wollte dieser Traum ihr sagen? Wieso hatte das Kind kein Gesicht?

War ihr Kind etwa doch ein Krüppel?

Sie keuchte – in dem Moment kehrte der Schmerz mit ungeahnter Heftigkeit zurück. Jetzt setzte sie sich vorsichtig auf und fasste keuchend nach ihrem runden Bauch. Nichts rührte sich, aber es schmerzte. Sie erhob sich murrend und beschloss, sich unten aus der Küche ein Glas Wasser zu holen. Doch auf dem Weg in die Küche halfen ihr plötzlich die Erdgeister, die Situation zu begreifen.

Die Schmerzen sind Wehen. Dein Kind wird jetzt auf die Welt kommen!

Nalani blieb auf halber Treppe stehen. Das Kind kam? Keuchend fuhr sie herum und starrte zum Fenster des Flurs. Draußen sah sie den bereits wieder abnehmenden Mond des Holzmondes. Der Vollmond war fast zwei Tage vorbei.

Es ist Zeit, Nalani, sagten die Geister. Das neue Leben wird jetzt kommen.

Sie ging ohne Wasser zurück ins Schlafzimmer und weckte Tabari.

„Wach auf, du Penner, das Kind kommt jetzt!“ Tabari setzte sich erschrocken blinzelnd auf.

„W-was?“ gähnte er, „W-wovon redest du… weißt du, dass es mitten in der Nacht ist?!“

„Das ist dem Kind in meinem Bauch egal, du Honk,“ machte sie verblüfft und zischte, als wieder ein Schmerz durch ihren Unterleib schoss. Tabari merkte, dass sie es ernst meinte, und er erhob sich entsetzt.

„W-was zum… leg dich hin, i-ich wecke meine Mutter!“ Nalani seufzte, während er aus dem Zimmer stürzte, als gäbe es kein Morgen. Sie ihrerseits verfrachtete sämtliche Decken und Kissen als Rückenstütze ans Kopfende des Bettes. Mist, sie bräuchte eine Unterlage, so eine Geburt machte sicher Dreck; wie sollten sie in einem versifften Bett noch schlafen? Sie zog in aller Ruhe den Bettvorleger vom Boden und klopfte ihn kurz aus; es war das Fell eines Panthers, den Tabari irgendwann vor Jahren mal erlegt hatte, worauf er sehr stolz gewesen war. Dann legte sie das Fell auf das Bett und sich selbst darauf, in dem Moment kam Salihah mit ein paar Dienstmädchen herein. Tabari folgte ihnen und schrie.

„Moment, w-was macht denn das Pantherfell auf dem Bett?!“

„Das ist meine Unterlage, das wird das Blut aufsaugen,“ verkündete seine Frau kalt, die es sich gemütlich machte, und Tabari keuchte.

„Was?! Bist du verrückt, dieses Fell ist eine Jagdtrophäe, ich bin sehr stolz darauf!“

„Du kannst auch stolz darauf sein, denn dieses Fell wird das erste sein, was dein Kind auf dieser Welt spüren wird. Ist das keine Ehre?“

„Frauenblut auf meinem Pantherfell!“ jammerte er – da wurde er plötzlich von seiner Mutter am Kragen gepackt und zur Tür geschoben.

„Ihr Männer sie Nichtsnutze, wenn wir Frauen Schmerzen haben, also bleib draußen, hier drinnen machst du uns nur wahnsinnig! Schließ die Tür, Tabari!“

„W-was, aber, Moment…“ Unter Protest wurde er hinaus geschoben und Salihah schloss selbst die Tür, öffnete dafür aber das Fenster, wobei ein kalter Wind ins Zimmer pustete.

„Keine Sorge, Nalani, noch geht es dir wohl gut… die Schmerzen werden noch kommen.“
 

Tabari fuhr auf dem Flur zusammen, als er seine Frau schreien hörte. Sein Vater und Kiuk waren inzwischen auch herbei geeilt.

„Wieso lassen die mich nicht rein?!“ jammerte der Blonde, „Ich bin schließlich der Vater!“

„Was willst du da drinnen?“ brummte Kelar Lyra reichlich gelassen, „Das ist Frauensache, es wird nur Schmerzen, Blut und Geschrei geben, du verpasst nichts, glaub mir. Außerdem gehört es sich für Männer nicht, einer Geburt beizuwohnen.“

„Aber ich sorge mich…“

„Jammere nicht,“ knurrte sein Vater scharf, „Wenn dein Sohn seinen Vater gleich als Waschlappen kennenlernt, ist es keine große Ehre für unsere Vorfahren, tse!“ Sie hörten Nalani erneut schreien und Tabari raufte sich nervös ein und aus atmend die blonden Haare.

„Du kannst gar nicht wissen, ob es ein Sohn wird, Vater,“ machte Kiuk schnippisch, und Kelar spuckte aus.

„Wenn es keiner wird, wird es ersäuft, also ist es egal! Entweder es wird ein Sohn oder es wird sterben!“
 

„Streng dich an!“

Salihahs Stimme war kalt und schneidend wie ein frischer Frühlingswind, und Nalani keuchte. Die Schmerzen waren grauenhaft und hatten sich extrem gehäuft, während auf dem Bett lag und presste, um das Kind zwischen ihren Schenkeln hervor zu zwängen. In ihr saß die Angst vor dem Traum, den sie oft geträumt hatte, dem Traum mit dem Kind ohne Gesicht. Wenn das ein Zeichen der Geister gewesen war…?

Salihahs Hand war kalt, als sie über Nalanis verschwitzte Stirn strich.

„Denk nicht an Geister,“ riet die ältere Frau ihr leise. „Konzentriere dich auf diese Geburt deines Kindes, alles andere, Träume, sind jetzt egal. Pressen, Nalani!“

„Aber ich fürchte mich…“ stöhnte Nalani und lehnte keuchend vor Schmerzen den Kopf zurück. „I-ich hatte einen seltsamen Traum…!“

„Sprich nicht von Visionen, während du ein Leben gebärst!“ zischte Salihah, „Nachher bewahrheiten sich schlimme Ahnungen, Nalani! – Mädchen, haltet sie fest,“ Sie sah zu den Dienerinnen, die Nalanis Arme festhielten, dann wieder zu Nalani, ehe sie sich zwischen ihre Schenkel hockte und nach dem Kind sah. „Es wird sich noch ziehen, du musst durchhalten.“

„I-ich möchte etwas trinken…“ stöhnte die Jüngere erschöpft, und Salihah zitierte eine weitere Dienerin aus dem Raum, um ein Glas Wasser zu bringen.

Der Morgen graute.
 

Es war beinahe Mittag, als die Dienerin zum dritten Mal hinaus eilte, um Wasser zu holen. Wenn sie die Tür öffnete, versuchte Tabari erschrocken, einen Blick hinein zu werfen, aber die Tür war immer so schnell wieder zu, dass er nichts zu sehen bekam.

„Ist das Kind da?!“ fragte er die Dienerin aufgeregt, und sie rannte an ihm und den zwei anderen vorbei.

„Nein!“ machte sie nur.

„Das dauert aber lange,“ bemerkte Kiuk ebenfalls kleinlaut, der am Boden saß. Kelar ging jetzt auch etwas nervöser als in der Nacht auf und ab.

„Das gehört so, deine Mutter hat fast einen ganzen Tag gebraucht, um Tabari zu gebären!“ schnaubte er dabei empört. „Wenn es lange dauert, heißt es, das Kind hat einen starken Geist und wehrt sich! Das ist ein besseres Zeichen als wenn es einfach da ist!“

„Wenn du das sagst,“ schnaubte der Sohn nur mäßig beeindruckt. Wenn es lange dauerte, bedeutete das mehr Schmerzen für die arme Nalani, das war alles, was ihm dazu einfiel; was Kelar natürlich egal war. Die Dienerin kam mit dem Wasser zurück und schlüpfte ins Zimmer. Nalani schrie laut auf, als die Tür aufging, und Tabari fuhr vor Schreck zusammen, als er sie schreien hörte.

„Was ist denn da drinnen?!“ jammerte er, „G-geht es Nalani gut?!“ Aber ihm wurde abermals die Tür vor der Nase zugeknallt. Tabari fluchte. „Ich gehe da rein!“ schwor er entsetzt, „Ich habe Angst, verdammt, ich will da rein!“

„Du entehrst die Geburtsgeister, du bleibst hier!“ pflaumte sein Vater ihn an funkelnd an, „Untersteh dich!“ Tabari fiel es schwer, aber er gehorchte gezwungenermaßen.
 

Nalani presste mit aller Kraft, dass sie das Gefühl hatte, ihr Unterleib würde zerreißen. Eine Dienerin flößte ihr vorsichtig frisches Wasser ein, eine von denen neben ihr strich ihr über die Stirn.

„Strengt Euch an, Herrin, Ihr schafft es!“

„Es ist gleich soweit,“ motivierte Salihah sie auch und fuhr mit den Händen über Nalanis gespannten Bauch, „Pressen!“ Und sie presste und schrie dabei, als der Schmerz plötzlich in einem grausamen Höhepunkt gipfelte in dem Moment, als sie den Kopf ihres Babys zwischen ihren Schenkeln hervor presste… dann spürte sie plötzlich, dass der Schmerz nachließ und wie es warm zwischen ihren Schenkeln heraus floss, als die Fruchtblase erst jetzt sprang und das Fruchtwasser sich über das Pantherfell unter ihr ergoss. Nalani ließ sich stöhnend zurück ins Bett sinken vor Erschöpfung, und Salihah machte ein überraschend erfreutes Geräusch.

„Seht, schnell!“ rief sie, und die Dienerinnen lugten auf das Fell, auch Nalani hob trotz ihrer Erschöpfung neugierig den Kopf. Im selben Moment sprang die Tür auf und Tabari kam gefolgt von Kiuk und Kelar auch herein geplatzt.

„Ist es da, ist es da?!“ rief der Blonde aufgeregt, und Nalani starrte auf das Neugeborene zwischen ihren Beinen, das auf dem Fell zappelte, und sie keuchte.

Die Fruchtblase war noch auf dem Kopf des Kindes und verhüllte sein kleines Gesicht, sodass sie es nicht erkennen konnte. Plötzlich verstand sie ihren Traum – in dem Moment griff Salihah lachend nach dem Kind und streifte zärtlich und behände die weißliche Haut von dem kleinen Körper.

„Es hat eine Glückshaube!“ erklärte sie, „Alte Legenden sagen, Kinder, die mit der Fruchtblase auf dem Kopf zur Welt kommen, haben besondere Sehensgaben und werden sehr talentiert… na, so ein Glück! Jetzt schrei schon, Kleiner…“ Sie gab dem Baby einen Klaps und es fing aus vollen Lungen an zu schreien. Tabari schrie vor Schreck ebenfalls und Nalani ließ sich wieder in die Kissen fallen vor Erschöpfung, aber sie strahlte, als sie zum ersten Mal ihren gesunden kleinen Sohn betrachten konnte, wie er auf den Armen seiner Großmutter lag und strampelte und schrie.

„Ein Junge!“ freute Kiuk sich erleichtert, „Siehst du, Vater, alles gut!“

„D-das ist mein Sohn…“ japste Tabari, während Kelar nichts sagte, und der Blonde taumelte zum Bett und seiner Frau, „Unser Sohn, Nalanichen!“ Er strahlte sie glücklich an und sah zu, wie seine Mutter das Baby auf Nalanis Bauch legte, damit sie es auch zum ersten Mal selbst halten konnte. Nalani weinte vor Freude, als sie das kleine Wesen berühren und halten konnte, und sie spürte, wie Tabari ihren Kopf zu streicheln begann und ihre Wange küsste. „Ich bin stolz auf dich, Frau… das hast du gut gemacht!“

„Sieh ihn dir an…“ wimmerte Nalani glücklich, „Ist es nicht das wunderschönste Baby auf der Welt, Tabari?“

„Das ist es wirklich!“ strahlte er sie an. Salihah seufzte.

„Tut mir leid, euch so auseinander reißen zu müssen, aber wir sind noch nicht fertig. Ich muss die Nabelschnur trennen und das Kind muss gewaschen und eingewickelt werden, das Bett und Nalani müssen gesäubert werden – Tabari, hilf deiner Frau beim Waschen, Kiuk, hol neues Bettzeug und Laken.“ Die Söhne folgten den Befehlen artig und Kelar hielt sich hier für überflüssig und verließ den Raum, während alles vorbereitet wurde.
 

Als endlich alle sauber und frisch angezogen waren und das Bett frisch bezogen, versammelte sich die Familie wieder um das Bett, in dem Nalani an mehrere dicke Polster gelehnt halb aufrecht saß und den kleinen Jungen an ihre Brust gelegt hatte. Das Kind saugte zufrieden und die Mutter hielt es glückseelig in ihren Armen, während Tabari am Fußende des Bettes saß und gerührt zusah, wie sie den Kleinen stillte.

„Es wird Zeit, dem neuen Kind einen Lebensgeist zu geben,“ sagte Kelar Lyra dann feierlich, worauf alle zu ihm sahen, abgesehen von dem Baby, das weiter trank. „Ihr solltet eurem Sohn einen Namen geben, der ihm gebührt, er ist immerhin der zukünftige Erbe des Lyra-Clans!“ Nalani sah ihn an und ihre Augen verengten sich. Ihr gefiel der Ton nicht, in dem der Großvater über den Enkel sprach. Da war es wieder, das Objektive; ihr Baby war für ihn nicht mehr als ein Erbe, kein Mensch! Unwillkürlich drückte sie das Kind etwas dichter an sich und es stieß ein abgehacktes Wimmern aus, als müsste es protestieren, weil es gedrückt wurde. Sie strich mit der Hand über den Flaum dunkler Haare auf dem kleinen Köpfchen.

Tabari sah erst zu seinem Vater, dann zu seiner Frau, und als er ihren verengten Blick sah, wurde ihm kalt ums Herz. Ja, er wusste es auch… sein Vater erwartete von ihm, das Kind jetzt nach irgendwelchen seiner Vorfahren zu benennen, am besten vermutlich nach Kelars Vater Beksem, um dessen Geist zurück in die Welt der Lebenden zu holen. Er war der Vater des Jungen, es war seine Aufgabe, den Namen zu wählen und damit das Leben des Kindes zu gewähren. Erst der Name gab einem Kind einen Lebensgeist und machte es zu einem Menschen, so sagte man schon seit Jahrhunderten.

Verdammt.. dieses Kind ist ein Kind und nicht bloß ein Erbe, nicht bloß eine Züchtung des Lyra-Clans…

Der Blonde sah auf seine Frau und schnappte nach Luft.

„Ich… lasse meine Frau Nalani dem Kind einen Namen geben und damit einen Lebensgeist!“
 

Alle starrten ihn an, besonders sein Vater. Tabari wusste, dass er ihn jetzt vergrault hatte; es war ihm egal. Es war sein Sohn und nicht Kelars, er entschied, wie das Kind heißen sollte! Und er hatte entschieden, Nalani entscheiden zu lassen.

Kelar schnaubte.

„Du entehrst also unsere Vorfahren, indem du ihnen verweigerst, zurück in diese Welt zu kehren?!“ zischte er, und Tabari senkte den Kopf.

„Es ist meine Entscheidung als Vater, nicht deine. Du hast bei Kiuk und mir deine Vorfahren geehrt, Nalani soll auch eine Chance haben, ihre Vorfahren zu ehren, denn nach ihr wird es vielleicht niemand mehr tun, wenn der Kandaya-Clan einst vergessen ist! Und ich werde mit Stolz jeden Namen annehmen, den meine Frau auswählen mag!“ Er sah zu Nalani und Kelar schnaubte abermals. Salihah seufzte.

„In Ordnung. Nun, Nalani, welchen deiner Vorfahren wirst du ehren und seinen Namen deinem Sohn geben?“ Die junge Mutter sah auf das Kind und schwieg lange. Als sie sprach, sah sie vor allem Tabari an.

„Ich werde gar keinen Namen irgendeines toten Mannes nehmen,“ verkündete sie, und jetzt starrte der Herr der Geister sie komplett entsetzt an. Wie bitte, gar keinen? Was für eine Beleidigung aller Geister! „Ich möchte dem Kind einen eigenen Namen geben, den keiner unserer Vorfahren hatte, denn ich möchte, dass mein Sohn einen eigenen geist hat! Einen eigenen, starken Geist, der nicht von den Einflüssen irgendwelcher toter Vorfahren abhängig ist!“ Tabari sah sie ungläubig an, auch Salihah und Kiuk waren erstaunt. Dann lächelte Salihah.

„Das klingt gut und vernünftig!“ gestand sie, „Sag uns deinen Namen, den du ihm geben möchtest!“

„Tss, so eine Ketzerei!“ zischte Kelar und wandte sich kopfschüttelnd und erbost ab. Nalani ließ sich nicht beirren und streichelte ihr Baby.

„Ich möchte ihn Puran nennen,“ verkündete sie lächelnd, „Ich habe ihn angesehen und gedacht, so muss er heißen. Es ist, als hätten die Geister selbst es mir zugeflüstert.“ Jetzt sahen alle außer Kelar erwartungsvoll zu Tabari. Der Blonde erhob sich feierlich.

„Dann sei es so,“ bestimmte er ernst. „Dann nehme ich, Tabari Lyra, das Leben meines Sohnes Puran jetzt an… so, wie meine Frau es sich wünscht!“
 

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so, ging fix, ich weiß úû' extra für Kimi die nicht länger warten wollte XD Und äh, yay, Tabari war lieb, und doppelyay, Puranchen ist da XD



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Niua-chan
2012-02-16T17:15:59+00:00 16.02.2012 18:15
puhh bin echt weit gekommen^^
bis hierhin find ich die Geschichte sehr mitreizend
ich kann kaum aufhören
es ist wirklich erleichternd das sich Tabari und Nalani endlich zusammengerauft habe sie waren beide Dummköpfe
aber um die Großmutter des Kindes mache ich mir schon Sorgen

niua
Von:  Enyxis
2012-01-14T16:11:30+00:00 14.01.2012 17:11
YAY! Das Baby ist da! XD
Hoffentlich wird der Kleine nicht unter seinem Großvater leiden (den am besten vom Fenster weg *hüstel hüstel* XD)

Das war ein langes Kapi O__O Aber ein verdammt gutes *Q*
Von:  Decken-Diebin
2009-06-14T18:30:23+00:00 14.06.2009 20:30
What the fuck? Sag mal, bin ich blöd, oder was. Wieso seh ich das Kapitel erst jetzt? Und ich hab mich vorhin gewundert, als ich das neue Kapitel aufgemacht hab: "Mit der Geburt des Sohnes Puran..." - Was?!
Da hatt ich wohl was verpasst. XD

Aber irgendwie ist das ganze Kapitel schön. <3 Und hey, wir sind eine Generation weiter, wir sind bei Puranchen. Er als kleines Kind... schwer ihn sich so vorzustellen. Und in vier Jahren kommt Alona auf die Welt!^^ Mal sehen, wie die zusammen aufwachsen, das kommt doch hoffentlichg alles. Sag mal, wie lang wird die Story eigentlich? xD Obwohl, wir sind grad beim elften Kapitel... du quetscht alles so schön in megalange Kapitel O_o XD
Na ja, okay, jetzt schnell Hausaufgaben machen, und dann das nächste Kapitel lesen. ^_____^
LG, Hina
Von:  Kimiko93
2009-06-09T16:25:43+00:00 09.06.2009 18:25
Hey, ich bin immer noch vor Izzy, cool ôô

Yay, der Kinderficker ist endlich da XD wurd aber auch mal Zeit XDDDD und ole, du hast mehr schwangerschaftsanzeichen beschrieben als kotzen XDDDD wohoo ôô

hm... Oh, ja, die haben sich liiiiieb. Alle. Ausgiebigst. Oder auch nicht. Hm. Und die Szenen mit Tabari waren aus Prinzip schon alle toll ôô aber auch wirklich alle XDDD alle, alle XDDDDDD
Von:  Yachiru
2009-06-09T14:43:22+00:00 09.06.2009 16:43
ERSTE!!! XDDDDDDD

Dreifachyay, Kelar untersteht sich *lach*
Tabari und Nalani rulen. Echt jetzt.

Das Kappi insgesamt fand ich sehr toll, es war schön unheimlich XDD
Kiuk und Sukutai sollen auch mal mehr Auftritte bekommen^^

Yachi


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