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Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde

von

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Opfer

Ein frühmorgendliches entsetztes Schreien riss sämtliche Bewohner des Lyra-Schlosses aus ihren Gedanken, und vor lauter Schreck verknotete Sukutai die Zöpfe ihrer Tochter, sie sie zu flechten dabei war.

„Ach du liebe Güte!“ machte sie dabei, „Na, jetzt kann ich von vorn anfangen! Tut mir leid, Alonachen…“ Das siebenjährige Mädchen rollte nur mit den Augen und pulte etwas Dreck von der steinernen Wand, vor der sie stand.

„Schon gut, Mutti,“ sagte sie, „Es ist doch jeden Morgen dasselbe Theater. Gleich wird Tante Nalani wieder herum zetern, pass auf.“ Sie zählte innerlich von drei an rückwärts und kam gerade bei eins an, da wurde ihre Vermutung bereits bestätigt.

„Was heißt hier, Wenn mich keiner weckt, bin ich dein persönlicher Aufweck-Dienst, Sohn?!“ fauchte die Tante da schon durch das obere Geschoss des Schlosses, „Lerne, das selbst zu regeln, du wirst bald elf Jahre alt und bist kein Baby mehr!“

„Wie kann man freiwillig früh aufstehen?!“ fauchte Puran zurück, halb angezogen durch den Flur rennend, „Oh, verflucht, das schaffe ich doch nie! Du hättest mich doch früher wecken können, Mutti!“ Fluchend und schimpfend rannte er an Alona und Sukutai vorbei und warf letztere damit beinahe um, sie verknotete Alonas Zöpfe zum zweiten Mal und grummelte.

„Ja, dir auch einen guten Morgen, Puran!“

„Wer hat Aufstehen erfunden?!“ heulte der Junge im Badezimmer, versuchte vergeblich, seine Haare zu richten und jammerte weiter: „Und wieso muss Schule am Vormittag sein, kann das nicht nachmittags sein, dann könnte ich in Ruhe schlafen!“

„Das letzte Schuljahr schaffst du auch noch!“ rief Nalani ihm genervt nach. „Du bist echt ein genauso fauler, verpennter Sack wie dein Vater! Geh eben früher zu Bett!“

Der Junge rannte aus dem Bad, zurück in sein Zimmer und zog sich endlich fertig an, ehe er zurück ins Bad rannte, dieses Mal machte er einen Bogen m Sukutai und sie verknotete sich nicht noch mal.

„Ich gehe doch schon früher ins Bett als jeder andere Depp in meiner Klasse!“ beschwerte er sich, „Der Witz ist, Mutti, es bringt genau null komma nichts, weil die Geister mich dann so lange mit irgendwelchen Dingen nerven, die sie mir zeigen oder sagen, dass die Nacht halb um ist, bis ich endlich die Augen zu bekomme!“

„Nerven,“ wiederholte seine Mutter pikiert, die auch in den Flur kam und bei ihrer Schwägerin und Alona stehen blieb. Alonas Zöpfe waren jetzt fertig. „Andere nennen das privilegiert, die Stimmen der Geister zu hören! Dein nicht zaubern könnender Freund Ram Derran würde sicherlich gerne mit dir tauschen!“

„Ich würde auch gerne mit ihm tauschen!“ fauchte Puran grantig, „Oh, verdammte Dreckscheiße, wie soll ich denn so meine Haare machen?!“

„Also, ich bin fertig,“ behauptete Alona und setzte ihren Schulranzen auf, ehe sie zur Treppe ging, „Kommst du, Puran, wir müssen jetzt langsam los!“

„Wie bitte, veräppelst du mich?!“ schrie er sie verzweifelt an, „Ich bin noch lange nicht fertig!“

„Mir ist das egal, ich bin schon letzte Woche dreimal zu spät gekommen, weil du so lange an deinen doofen Haare herum fummeln musst, du eitler Pfau!“ meckerte die Cousine, „Du bist ja schlimmer als ein Mädchen!“

„Du hast ja keine Ahnung auf deinem Kopf wächst ja keine wilde Pampa!“

„Ich zähle bis drei, dann bist du hier!“ rief Alona genervt, „Eins…!“

Er fluchte und schimpfte, war aber tatsächlich bei drei neben ihr vor der Haustür. Er bedachte sie mit einem strafenden Blick, dann wurde er auch schon von seiner energischen Cousine aus der Tür geschoben.

„Los jetzt!“

„Jetzt hat er gar nicht gefrühstückt,“ stellte Sukutai besorgt fest, die auch hinunter kam, und Nalani neben ihr brummte.

„Selbst Schuld, er und seine Haare! Tabari war früher auch so bescheuert, aber es hat sich gelegt, ich hoffe ja, dass das bei meinem Sohn auch mal so sein wird und er einsieht, dass seine Haare sehr hübsch sind!“
 

Die Sonne knallte schon in den frühen Morgenstunden auf das Land, in das der Sommer gekommen und schon fast wieder gegangen war. Das neue Schuljahr hatte begonnen, und während Alona jetzt in der zweiten Klasse war, hatte für ihren Cousin die sechste und letzte angefangen. Und seit das Schuljahr begonnen hatte, war das ewige zu spät kommen nur noch schlimmer geworden. Puran war immerzu müde, egal wie früh er ins Bett ging; nachts kamen die Geisterstimmen und sagten ihm Dinge, die er gar nicht wissen wollte, oder zeigten ihm Bilder, die er nicht sehen wollte. Egal, wie sehr er versuchte, sie zu ignorieren, sie kamen immer wieder. Nachdem sie ihn im vergangenen Jahr eine Weile in Frieden gelassen hatten, schienen sie jetzt alles nachholen zu wollen…
 

Nach der ersten Hälfte des Unterrichts begann die Pause. Und nachdem der Junge ohnehin wieder im Unterricht eingeschlafen und von Frau Kalih Kreide an den Kopf bekommen hatte, machte sein Banknachbar und Freund Travi ihn darauf aufmerksam, dass er sein Frühstück vergessen hatte.

„Ich hab Hunger!“ jammerte der rundliche Blonde nämlich jetzt, während die anderen Kinder aus dem Raum strömten. Puran seufzte.

„Ich auch, ich hatte keine Zeit zu frühstücken…“

„Was?!“ heulte Travi, „W-wie kannst du so leben? Ohne Frühstück, i-ich würde ja sterben!“ Ja, das war klar. Dem Blonden fiel etwas ein. „Sag mal… steht nicht hinter dem Hof an der Mauer ein Apfelbaum?“ Puran drehte verpennt den Kopf zu seinem Freund, inzwischen rief Frau Kalih nach ihnen, weil sie die letzten waren, die noch im Raum waren.

„Das meinst du nicht ernst…“

„Doch!“ Puran brummte und richtete sich jetzt auf.

„Nur, wenn du kletterst!“
 

Der Apfelbaum stand nicht auf dem Schulgelände, sondern auf dem Nachbargrundstück. Die Jungen konnten aber bequem auf die Mauer klettern und von dort aus kleine Äpfel pflücken. Kannar war an dem Tag nicht zur Schule gekommen, vermutlich war er krank. Das kam mal vor.

„Die sind sauer,“ murrte Puran und sah den angebissenen Apfel pikiert an, während sein Freund munter weiter pflückte und schon diverse der kleinen Früchte in sich hinein gestopft hatte. Wie konnte man so schnell so viel fressen? Als er wieder zu seinem Freund sah, war der dabei, in den Baum zu klettern und noch mehr Äpfel zu pflücken. Puran hustete und sah sich um.

„H-hey, komm da lieber raus!“ zischte er, „Wenn der Aufseher auf dem Hof das sieht…!“

„Warte, gleich, aber der da oben sieht toll aus…“ machte Travi versonnen und kroch noch höher in den wackelnden Baum, während sein Freund sich immer hektischer umsah und sich nervös fragte, wie lange es wohl dauern würde, bis der Aufsicht habende Lehrer das mitbekam… solange sie auf der Mauer saßen, konnten sie schnell die Äpfel verstecken und scheinheilig tun, aber mit Travi im Baum war das schwer…

Er erschrak sich beinah zu Tode, als er plötzlich eine Stimme von unten hörte:

„Hey, ist da jemand im Baum drin?“

Puran verschluckte sich vor Schreck und sprang instinktiv sofort von der Mauer, dabei vergaß er seinen dicken Freund, der jetzt im Baum hockte und zu Salzsäulen erstarrte. Und wofür?

Vor der Mauer und dem Baum stand ein kleines blondes Mädchen mit Zöpfen, das verwundert hinauf sah. Puran hustete und hustete und brauchte eine ganze Weile, bis er endlich das Stück Apfel aus seiner Luftröhre bekam und mit hochrotem Gesicht zu dem komischen Mädchen sah.

„Verdammt!“ schnappte er atemlos, „D-du hast mich zu Tode erschreckt!“

„Oh, das tut mir leid…“ machte die Kleine verlegen. Sie musste ein wenig älter als Alona sein, vielleicht in der dritten oder vierten Klasse, dachte Puran sich verwirrt und räusperte sich.

„Schon gut, aber – sag das nie mehr!“ Er räusperte sich abermals und sah dann zum Baum. „Travi, komm endlich da raus, bevor es echt noch ein Lehrer merkt, es war nur ein kleines Mädchen!“

„Ich-… heiße Cholena Dabovi!“ stellte die kleine sich artig vor und Puran drehte den Kopf wieder zu ihr. Sie verneigte sich sehr höflich.

„Ähm… Puran,“ stellte er sich kleinlaut vor, „Sehr erfreut.“ Das Mädchen strahlte ihn an.

„Ich weiß,“ sagte sie vergnügt, „Ich kenne dich, du bist Puran vom Lyra-Clan.“ Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Irgendwie war es peinlich, dass jeder Depp seinen Namen kannte. Er musste sich fast nie vorstellen, seinen Namen kannten immer alle, und meistens schwang dann ein missbilligender Ton mit, wenn man seinen Namen aussprach. Bei der Gelegenheit fiel ihm auf, dass das bei dem Mädchen Cholena nicht so war. Das Mädchen scharrte mit dem Fuß auf dem Boden herum und wiegte sich verlegen hin und her. Während dessen versuchte Travi oben aus dem Baum zu klettern, was gar nicht so leicht war. „Ich meine,“ erläuterte die Kleine sich dann leise, „Alle kennen deinen Namen, aber… ich meine… es is mir eine Ehre, dass du mit mir redest.“

Er sah sie fassungslos an.

„Jetzt übertreib mal nicht,“ seufzte er jetzt noch verlegener – was war das denn für eine, ein heimlicher Bewunderer? Das war ihm extrem unheimlich. Er beschloss, seinen Vater zu zitieren: „Wir sind alle nur Menschen!“ Das Mädchen sah ihn lächelnd an und errötete etwas, ehe es an seinen blonden Zöpfen zu tüdeln begann.

„Hey, ähm, ich komme nicht mehr runter…“ jammerte Travi kleinlaut im Baum, wurde aber ignoriert. „H-hallo? Puran…?“ Puran war damit beschäftigt, sich über das Mädchen zu wundern.

„Ich komme aus dem Dorf Rathuk,“ erzählte jenes gerade fröhlich, „Es ist nicht weit von Gahti!“ Puran nickte nachdenklich. Ja, er war nie dort gewesen, aber er wusste, wo es lag.

„Und? Schön da?“

„Ja, sehr. Wobei es wenig Schatten gibt, im Sommer ist das lästig.“ Er nickte abermals und hatte keine Ahnung, was er sagen sollte.

„Hmm,“ machte er dabei. Travi wimmerte auf dem Baum.

„H-helft ihr mir mal runter, ihr Tratschtanten?!“

„Das… ähm, ist schön,“ macht Puran und kratzte sich blöd am Kopf – was sollte er sagen? Er kannte die Kleine nicht mal; dafür redete sie aber ziemlich fröhlich drauf los. Er dachte an Narya, Madanans Cousine, die jetzt in der fünften Klasse war. Die konnte auch sehr viel reden und ließ sich gar nicht unterkriegen. Narya war ein bildhübsches Mädchen, fiel ihm auf, und er räusperte sich abermals.

„Es ist schön, dass ich im Baum hänge?“ nölte Travi abermals versuchend, Aufmerksamkeit zu bekommen. Jetzt bekam er sie, jedenfalls von Cholena Dabovi.

„Ach du Schreck!“ machte sie, „Du bist ja da oben drin!“

„Blitzmerker…“

„Heul nicht, geh mit dem Fuß noch ein Stück runter, da ist ein Ast!“ versuchte Puran es empört, der auch aufsah und dem es irgendwie peinlich war, seinen armen Freund so vernachlässigt zu haben. Cholena krabbelte mutig als erstes auf die Mauer und er starrte sie an, als sie von unten an Travis Bein zog, bis der endlich auf besagtem Ast stand.

„Und noch ein Stück!“ lotste sie ihn tapfer, „Gleich bist du unten!“ Das war er wirklich, und sobald alle drei wieder vor der Mauer standen, schenkte Travi seinem Freund einen beleidigten Blick.

„Du bist mir ja einer,“ jammerte er, „Ich sterbe da oben und du hast deinen Spaß mit den Frauen!“ Puran schnappte entrüstet nach Luft.

„Was?! I-ich hab doch gar nicht, hallo, wie kannst du…?!“ Er sah zu Cholena, Danke für deine Hilfe und… entschuldige dieses Gerede, Cholena!“ Se errötete plötzlich ebenfalls, schüttelte dann heftig den Kopf und begann hyperaktiv auf und ab zu hüpfen.

„Ich, ich meine, ist schon in Ordnung!“ rief sie dabei lachend, „Gern geschehen!“ Die Jungen wollten gerade noch etwas sagen, da schrillte die Schulglocke über den Hof; die Pause war vorbei.

„Na toll, zurück zu Frau Kalih, die uns mit Kreide bewirft…“
 

Frau Kalih musste nicht mit Kreide werfen, weil ausnahmsweise mal alle Schüler wach waren, als sie die zweite Unterrichtshälfte begann.

„Ihr habt jetzt das letzte Schuljahr begonnen,“ sagte sie zu der Klasse, „Nächsten Frühling werdet ihr die Abschlussprüfungen schreiben, bis dahin haben wir genug zu tun. Aber wie einige von euch vielleicht wissen, sieht das letzte Jahr auch einen umfangreicheren Ausflug über ein paar Tage vor, eine kleine Klassenreise sozusagen.“ Das machte tatsächlich alle wach.

„Eine Klassenreise?“

„Wie aufregend, wohin?“ begannen die Kinder schon durcheinander zu murmeln. Einige, die große Geschwister hatten, wussten natürlich schon, dass es eine Reise geben würde. Frau Kalih ergriff das Wort wieder.

„Die Reise wird acht Tage dauern, wir wollen in zwei Wochen losgehen.“

„Gehen?“ japste Travi, „Wohin denn?“

„Echt mal, geht es weit weg?“

„Nach Fann, das wäre doch was!“ Bevor wieder alle durcheinander brüllen konnten hob die Lehrerin die Hände.

„Nichts da Fann, das ist viel zu weit, da kämen wir ja in einem Monat kaum hin! Wir gehen zu Fuß, liebe Leute, und wir gehen nach Yiara.“

„Zu Fuß nach Yiara?“ keuchte Travi entsetzt, „Da sterbe ich ja vorher vor Erschöpfung!“ Einige lachten ihn aus und Puran schenkte denjenigen grimmige Blicke.

„Macht es erst mal selbst besser, ihr Gackertanten!“ sagte er empört. Frau Kalih seufzt.

„Das ist wirklich kein Grund zu lachen, das ist wahr. Natürlich ist es anstrengend, aber wir werden viele Pause machen. Deswegen brauchen wir auch drei Tage, bis wir überhaupt dort sind.“ Sie hängte eine große Landkarte von Dokahsan an die Tafel und begann, darauf herum zu zeigen. „Wir werden dem Fluss Undim nach Nordenfolgen bis zur Stadt Shav. Da übernachten wir, am nächsten Tag folgen wir dem Fluss Charinh, der in den Undim mündet, und laufen weiter bis zur Stadt Charine an der Quelle des Charinh. Zweite Übernachtung; danach geht es quer Feld ein nach Yiara. Dort werden wir zwei Tage bleiben und danach wieder denselben Weg zurück nach Gahti gehen.“

„So anstrengend…“ jammerte Travi, und Puran tätschelte ihm behutsam den Kopf.

„Wird schon… zur Not müssen Kannar und ich dich ziehen!“
 

Kannar war ein gutes Stichwort. Kannar war nicht da, und als guter Freund sah Puran es als seine Pflicht, ihm den Zettel wegen der Reise nach Hause zu bringen, den die Eltern unterzeichnen müssten. Da die Apotheke in Gahti war, war das nicht mal ein Umweg. Die inzwischen dreizehn Jahre alte Akila öffnete ihm, als er klopfte.

„Oh!“ sagte sie erfreut, „Du bist das!“

„Jawohl,“ sagte der Junge und hielt ihr den Zettel hin, als sie ihn kichernd betrachtete und er sich über ihr Verhalten wunderte. „Ich bringe einen Elternbrief aus der Schule, wir machen eine Klassenreise. Wie geht es denn Kannar, besser?“

„Was? Ähm, ja, schon besser,“ meinte sie und nahm mit einem höflichen Nicken den Zettel, „Ach ja, wir haben damals auch so eine Reise gemacht, als ich in der sechsten war. Es war echt lustig mit der ganzen Klasse durch halb Dokahsan zu laufen.“ Sie strahlte und linste ihn kurz an, worauf er skeptisch eine Braue hochzog.

„Na, ich werde es ja sehen,“ sagte er und verneigte sich plötzlich verlegen vor ihr, weil sie wieder kicherte. „Ich muss jetzt los, sonst…“ Weiter kam er nicht, denn hinter Akila im haus ertönte ein Poltern und plötzlich kam Kannar zu ihnen an die Tür.

„Hallo!“ begrüßte er seinen Freund und lachte blöd, „Bringst du etwa Hausaufgaben?“

„Einen Elternbrief,“ meinte Puran, „Alles in Ordnung?“

„Ja, war nur so ein Magending, morgen bin ich wieder in der Schule,“ sagte er guter Laune und stieß seine Schwester an, „Mutti sucht dich übrigens, Tratschtante!“ Das Mädchen verschwand und Kannar besah sich den Elternbrief. „Hey, wir gehen nach Yiara? Das wird ja spannend, Travi freut sich sicher aufs Laufen.“

„Total,“ meinte sein Freund, „Sag mal, was hat deine Schwester denn genommen, die kichert so doof…“ Kannar verdrehte die Augen.

„Man nennt es Pubertät,“ sagte er altklug, „Sie kichert immer! Mein Vater ist auch schon ganz angenervt! Du solltest in der nächsten Zeit besser nicht zu Besuch kommen, du musst Angst vor Akila haben.“

„Angst?“ fragte der Braunhaarige doof, „Wieso Angst, ist das das Kichern des Grauens?“

„Nein, weil sie dich süß findet und bei dir besonders kichert.“ Puran verdrehte auch die Augen.

„Wie bitte?! Ich bin doch kein kleines Baby, die sind süß… Gemeinheit…“

Das lag sicher alles an seinen Haaren, garantiert! Er beschimpfte die Gene seines Vaters einmal mehr im Inneren aufs Übelste.
 

Der Spätsommer war trocken. Für die Jahreszeit war es ungewöhnlich warm und staubig, als die sechste Klasse der Gahtischen Schule ihre Reise nach Yiara anbrach. Jedes Kind hatte einen Rucksack mit Sachen auf, aber nur so viel, wie sie tragen konnten, ohne Rückenschmerzen zu bekommen; immerhin mussten sie viel, viel laufen können.

„Ob das mal gut geht,“ seufzte Nalani nervös an dem Tag, an dem die Klasse aufgebrochen war. „Ich meine, ganze acht Tage, und nur ein Erwachsener, der auf eine ganze Klasse aufpasst?“ Tabari verdrehte die Augen.

„Ja, ich verstehe dich,“ spottete er, „Puranchen wird bestimmt überfallen und aufgefressen, oder fällt in den Fluss, oder wird von einer Schlange gebissen und vergiftet, natürlich.“ Sie sah ihn empört an und er schnaufte. „Hör mal, er ist fast elf, in ein paar Jahren wird er ein Mann sein! Du kannst ihn nicht immer bemuttern, Nalani, wie soll er denn so je selbstständig werden?“ Nalani senkte beschämt den Blick und begann, sinnlos an ihrem Pentagramm-Anstecker zu pulen. Sie trug ihren schwarzen Umhang, weil sie im Begriff war, mit ihrem Mann zur alljährlichen Ratssitzung des Geisterjägerrates aufzubrechen, der wie gewohnt in Tuhuli stattfand.

„Das hat deine Mutter auch einst zu mir gesagt…“ murmelte sie und Tabari sah sie schweigend an. Dann streichelte er ihr über den Kopf und ging an ihr vorbei zur Tür.

„Komm schon, die Kutsche wartet nicht ewig.“
 

Die Ratssitzungen waren meistens sinnlos und nicht besonders ergiebig; das war eigentlich etwas Gutes, denn solange es nichts zu bereden gab, passierte nichts im Land. Kein Krieg, kein neuer Kelar oder was sonst Schlimmes hätte daher kommen können.

Obwohl die Kutsche etwas zu spät kam, waren Tabari und Nalani nicht die Letzten, die im Rathaus von Tuhuli eintrafen; Meoran und Nomboh kamen noch später. Da die langweiligen Ratssitzungen meistens nur eine Runde Zigaretten für alle bedeutete, öffnete Nalani im Voraus genervt das Fenster und blieb dort stehen, als einzige völlige Nichtraucherin war man durchaus im Nachteil in so einer Runde.

„Wo habt ihr denn gesteckt?“ wollte Barak Kohdar wissen, als Meoran und sein Vater endlich da waren, „Ihr habt die Mohnschnecken verpasst und der Tee aus Yiara ist auch schon alle.“

„Keine Mohnschnecken, so ein Jammer,“ seufzte Nomboh theatralisch, während er sich setzte und sein Sohn sich schnaufend am Kopf kratzte, ehe er zu einer Erklärung anhob.

„Der Lehrling,“ sagte er und wollte fortfahren, aber da winkten schon alle ab und steckten sich der Reihe nach neue Kippen an, abgesehen von Nalani.

„Ja, ja, mal wieder.“

„Immer den anderen alles in die Schuhe schieben!“

„Du willst dich nur drücken, Zigaretten auszugeben, Meoran, du bist dran!“ meckerten die Männer durcheinander und Meoran brummte.

„Ich stopfe euch gleich Tabak in die Ohren, lasst mich ausreden!“

„Mit Tabak in den Ohren hören wir aber noch schlechter zu,“ sagte Tabari grinsend und der Jüngere schlug ihm gegen den Hinterkopf. „Aua, Respekt, Junge, ich bin dein Vorgesetzter in zweierlei Punkten!“

„Dieser Vollidiot von Lehrling, den wir jetzt neu haben!“ empörte Meoran sich, „Das ist einfach so… so viel Dummheit kann ein Mann doch gar nicht haben! Er hat null Orientierungssinn und verläuft sich im ganzen verdammten Anwesen und kommt immer gerade dahin wo er nicht erwünscht ist, wenn das so weitergeht-…!“ Er unterbrach sich und räusperte sich, während ihn alle neugierig ansahen. Nalani feixte:

„Dann kann euer Clan noch lange auf den nächsten Erben hoffen, weil jede Zeugung gestört wird?“ Meoran hustete gekünstelt und wurde rot, während alle schallend zu lachen begannen.

„Der Typ ist sicher ein Voyeur!“ orakelte Tare Kohdar gehässig grinsend, „Den lässt du mit Ruja alleine?“

„Keisha ist ja auch da,“ meinte Nomboh, und Tabari lachte blöd:

„Und wenn ihr heim kommt, sitzt der Dummkopf mit den beiden Frauen nackt am Kamin, haha…“

„Sehr komisch,“ nölte Meoran. Minar Emo seufzte. Er war wirklich alt geworden.

„Wer weiß, vielleicht wird er ja noch klüger, schlimmer als dein letzter Lehrling kann er ja nicht werden, das Talent der Jugend geht wirklich vor die Hunde.“ Alle kicherten blöd. Der letzte Lehrling, den Meoran gehabt hatte, hatte direkt nach der bestandenen Lehre großkotzig versucht, die Geisterjägerprüfung zu machen. Das war sehr nach hinten losgegangen, weil der Kerl nach den drei Tagen Isolation nicht erschienen war. Besorgt hatten alle nach ihm gesucht und hatten ihn schließlich völlig benebelt in einem Teehaus gefunden. Als sie die Prüfung deshalb schon hatten abblasen wollen, hatte der bekiffte Idiot aber auf dem Kampf bestanden; Tare Kohdar, immer noch der jüngste der Geisterjäger, hatte sich gnädig gezeigt und ihn erst mit dem zweiten Schlag außer Gefecht gesetzt.

„Der war doch beste Unterhaltung,“ meinte Nalani und zog eine Braue hoch, „Er hat nicht gekämpft, sondern getanzt, er sah aus wie ein Flamingo und ich hatte damals große Lust, ihn in ein rosa Federkleid zu stecken und ihm ein Krönchen aufzusetzen.“ Wieder mussten alle lachen und Tabari räusperte sich wichtigtuerisch.

„Wie auch immer, Schluss mit dem Unfug, Männer – und Nalani, ja, ja. Wir werden uns bald Zirkus nennen müssen statt Rat. Gibt es also etwas zu berichten…?“
 

Es gab nichts zu berichten. Das hatte auch niemand erwartet, obwohl es Nalani verwunderte, dass nichts etwas mit Zuyya zu tun hatte; seit Tabari ihr erzählt hatte, er hätte einmal von Zuyyanern geträumt, fragte sie wen sie auch traf, der davon etwas wissen könnte, nach dem Zustand der Dinge. Aber niemand konnte ihr irgendetwas Beunruhigendes sagen. Das war ja an sich gut, aber wieso träumte Tabari von Zuyyanern? Und sie nicht?

Die Frau erhielt auch bei dieser Sitzung keine Antwort darauf, und nachdem sie eine Weile herum gesessen hatten und niemand etwas zu sagen gehabt hatte, hatten sie sich wieder verabschiedet. Während Kohdars nach Yiara und Minar Emo nach Emdyn reisten, verabschiedeten Nalani und Tabari sich noch von Chimalis’.

„Was für ein Rat wir doch sind,“ schüttelte Nomboh den Kopf, „Mein Bruder hatte wohl recht seiner Zeit, wir sind nur ein Verein der Narren.“ Tabari kicherte.

„Ach was… das wird schon! Was ist überhaupt mit Ruja, frage ich mich? Sie ist doch Telepathin? Kommt sie gar nicht mit in den TO?“ Meoran zog eine Braue hoch.

„Ruja in einem Rat?“ Er musste laut lachen. „Bei aller Liebe, statt sich zu beraten würde sie den Leuten lieber Blumen ins Haar flechten!“

„Sag bloß, das hat sie bei dir gemacht…“

„Ach, sei doch still, du alberner Kauz!“ jammerte Meoran, während Tabari sich vor lachen den Bauch halten musste. „Diplomatie hin oder her, Mitglied des Rates sollten nur Leute sein, die es auch können. Ruja kann wunderbar sehen, kennt meine Gedanken bevor ich sie selbst kenne und kann Barrieren bauen, die einer Armee standhalten würden; aber was sie definitiv absolut nicht kann, ist Teleport!“

„Sie… kann sich nicht teleportieren?“ fragte Nalani ungläubig. „Ich meine – ich erinnere mich an Kiuks Lehre, er war damals noch jünger als Ruja und er konnte sehr schnell Teleport!“

„Ruja kann es definitiv nicht,“ Meoran lachte. „Aber niemand von uns stört sich daran… jeder hat seine Schwäche. Rujachen hat andere Vorzüge.“ Tabari hatte seinen albernen Tag und musste zweideutig grinsen.

„Glaube ich dir gern…“ Meoran hustete wieder und Nalani schlug ihrem Mann frech gegen den Kopf. „Aua!“

„Du bist aber albern heute!“ fauchte sie, „Ich sollte dich wohl mal wieder ans Bett fesseln und dich blutig kratzen, du hast es offenbar nötig!“ Meoran hustete jetzt noch lauter und Nomboh kratzte sich am Kopf.

„Wie auch immer, ihr, ähm… müsst euer Eheleben jetzt nicht auf offener Straße ausleben… es wäre das Beste, wenn wir jetzt alle heim gingen.“
 

Als sie Tuhuli mit der Kutsche verlassen hatten, hatte Nalani plötzlich das ungute Gefühl, einen Fehler zu begehen. Noch beunruhigender war, dass Tabari das bestätigte – sie beide hatten selten dieselben schlechten Ahnungen.

„Du merkst das auch, oder?“ sagte er murmelnd, „Ich weiß nicht, wieso, aber plötzlich hab ich ein ganz mieses Gefühl…“ Nalani starrte ihn für einen Moment an, dann wisperte sie apathisch:

„Wir müssen umkehren.“

„Umkehren?“ machte Tabari und seine Frau drehte sich plötzlich zum Fenster der Kutsche und sah hinaus, zurück nach Tuhuli, das sie gerade hinter sich ließen.

„Kehrt um!“ schrie sie zum Kutscher nach vorne und hämmerte gegen die Scheibe, „Siehst du den Rauch am Horizont, Tabari?“ Der Mann sah ebenfalls aus dem Fenster und weitete entsetzt die Augen.

„Das ist in Tuhuli?!“

„Das ist in der Richtung von Chimalis’ Anwesen!“
 

Das Anwesen stand in Flammen; oder zumindest der vordere Teil. Als Meoran und Nomboh entsetzt ankamen, lief Keisha hysterisch schreiend auf dem Hof herum.

„Himmel!“ kreischte sie und hängte sich heulend an ihren Mann und ihren Sohn, als sie sie sah, „D-die Küche brennt! Und das Feuer ist überall und der Stall und die Pferde, die Pferde sind ausgebrochen und das Mädchen, s-sie war da und s-sie ist nicht wieder aufgetaucht, i-ich weiß nicht, was passiert ist, plötzlich war überall Feuer und-…!“

„Wo ist Ruja?!“ schrie Meoran sie entsetzt an, „Und wo ist mein Lehrling?!“

„Sie waren in der Küche, Ruja hat mich aus der Tür geschubst u-und es ging alles so schnell, ich weiß nicht w-was ich machen soll!“

„Sie sind noch da drin?!“ machte Nomboh, „Meoran, bleib hier und versuche, so viel du kannst zu löschen mit Alara, ich suche die zwei!“

„Geh da nicht rein!“ kreischte Keisha, aber er riss sich schon los und versuchte ein paar Mal mit dem Wasserzauber die Tür zu löschen, die bedrohlich knarrte, als er es schaffte, sich an den zurückweichenden Flammen vorbei zu zwängen.

Drinnen war es erstickend heiß. Das dröhnende Knarren der Holzbalken übertönte Meorans Versuche draußen, mit Alara die Flammen zu löschen.

„Ruja?!“ rief Nomboh und riss sich keuchend den Umhang vom Leib, als dessen Enden auch Feuer fingen. „Ruja, wo bist du?! Antworte!“ Er hastete durch den brennenden Flur und versuchte in aller Eile die Wände zu löschen, was sich als schwer erwies; die Flammen waren einfach zu groß. Dann hörte er die Stimme seiner Schwiegertochter in dem Inferno.

„Wir sind in der Küche!“ japste sie, „Wir sind in einer Barriere, aber das Feuer kreist uns ein, wir kommen hier nicht raus!“ Der Mann hustete ob des giftigen Rauches und hielt sich schützend den Ärmel vor das Gesicht, als er zur lichterloh in Flammen stehenden Küchentür hastete. Tatsächlich sah er einen violetten Schimmer hinter den garstigen Flammen.

„Ich mache euch den Weg frei zur Tür!“ rief er und hustete wieder, „Halt noch solange durch mit deiner Barriere, Ruja!“ Sie wimmerte.

„Nimm nicht Alara, nimm was mit Erde!“ schrie sie, „Hier brennt Öl beim Herd, wenn du da Wasser rauf wirfst, fliegt uns das alles um die Ohren!“ Das war eine wichtige Information. Nomboh hustete und streckte dann die Hände aus, um sich mit einem Erdzauber zu versuchen; Erdzauber gehörten nicht zum Repertoire der Grundzauber, sie waren nicht einfach, aber das bisschen, das er mal aufgeschnappt hatte in all den Jahren, würde zumindest dafür reichen, die Flammen bei der Tür für ein paar Momente zu ersticken.

„Wir müssen uns beeilen!“ schrie Ruja drinnen und sah panisch hinauf, als die Balken erneut knarrten und bedrohlich herabzusinken begannen. „Schneller!“

„Ich mach ja schon!“ Mit diesen Worten und einem neuen Husten ließ er aus seinen Händen einen Haufen Sand auf die Flammen schießen, der das Feuer unter sich begrub und jetzt den Weg zu der Lichtblase freigab, in der Ruja mit dem völlig erstarrten Lehrling stand. Die Barriere schützte sie vor den Flammen, die sie umringten. Als Ruja jetzt die Blase auflöste, krachte es direkt über ihnen und Staub und Funken rieselten ihnen von der Decke entgegen. Nomboh fuhr hoch, als die Blase verschwand und Ruja an dem Lehrling zerrte.

„Komm doch!“ kreischte sie, „Das stürzt gleich alles zusammen, schneller! Beweg dich, du Arsch!“ Doch der Junge war wie versteinert und erzitterte nur verkrampft, ohne sich von der Stelle zu bewegen, egal, wie sehr sie an ihm zerrte. Die junge Frau fing verzweifelt an zu weinen, während die Flammen sich bereits dichter an sie und auch die Tür heran fraßen und die Decke knarrte. „Nomboh, hilf mir!“ flehte sie panisch, und er kam und riss an dem versteinerten Jungen. Es krachte erneut und als vor ihnen ein brennender Balken von dr decke fiel, schrien sie alle drei. Nomboh schnappte nach Luft, sah hinauf und stieß dann Ruja und den jungen mit aller Kraft aus der Küche.

„Flieht!“ brüllte er noch, und Ruja drehte sich in dem Moment um, in dem die gesamte Decke über der Küche in sich zusammenstürzte und das Zimmer und den Mann unter sich und dem Feuer begrub.
 

Geistesgegenwärtig ignorierte Ruja die Angst in ihrem Inneren und die Tränen auf ihren Wangen, als sie den trotteligen Jungen mit sich aus dem brennenden Anwesen zerrte. Draußen wurden sie beide von der heulenden Keisha empfangen, in ihrer Panik fiel es Ruja gar nicht als sonderbar auf, dass Tabari und Nalani plötzlich auch da waren. Letztere löschte jetzt zusammen mit Meoran das Haus.

„Wo ist Nomboh?“ fragte Tabari entsetzt, der den apathischen Lehrling schüttelte, „Hey, lebst du?! – Ruja, wo ist Nomboh?!“ Ruja antwortete nicht und fing an, hysterisch zu schreien, während sie sich in Keishas Armen vergrub.

„D-die Küche!“ wimmerte sie, „Es ist alles eingestürzt u-und, e-er hat uns rausgeschubst und, aber, i-ich weiß nichts, ich weiß nichts!“ Tabari sah Keisha erbleichen und sein Blick schweifte zu Nalani, die ihren Wasserzauber gerade auflöste. Das Feuer war gelöscht.

„W-wo ist Vater?“ japste Meoran erschöpft und sah sich panisch um, währen Keisha plötzlich auf dem Boden zusammenbrach und die immer noch wimmernde Ruja mit sich zog. „Wo ist er?!“ schrie der Mann lauter und Tabari hastete dazu, um ihn davon abzuhalten, die verängstigten Frauen weiter anzubrüllen.

„Wir suchen in den Trümmern der Küche, rasch! Nalani, kümmere dich um die drei da!“ Seine Frau drehte benommen den Kopf, während Tabari mit Meoran zum Haus hastete. Der hintere Teil war noch unversehrt, zerstört waren nur der Eingangsbereich, die Küche und der nördliche Teil des Anwesens, und natürlich der Stall, auf den das Feuer übergegangen war.

„Vater!“ schrie Meoran, als sie die Trümmer durchquert hatten und Tabari mit Hilfe seiner Windzauber Holz zerschnitt oder wegfegt, allerdings nur behutsam für den Fall, dass Nomboh darunter war und er den nicht aus Versehen mit wegfegte.

„Nomboh, antworte!“ schrie der Blonde auch, während sie sich voran kämpften. Als sie an der Küche ankamen, stutzten beide; von der Küche war nicht mehr viel übrig. Ein Haufen Schutt und Ruß tat sich vor ihnen auf. Nach dem ersten Schock begann Meoran rufend zu wühlen und buddelte sich durch den Schrott.

„Vater! Vater! W-wir sind gleich bei dir, Va-…“ Er stockte abrupt und Tabari eilte alarmiert zu ihm. Aus dem Schutt der Küche ragte der blutige Rest eines Arms. In dem Moment, in dem Tabari Meoran an den Armen packte und zurück zerrte, wurde beiden Männern klar, dass von Meorans Vaters nicht mehr viel übrig sein konnte. Und die Frauen draußen und die eintreffenden Feuerwehrmänner fuhren gehörig zusammen, als aus dem zertrümmerten Anwesen ein markerschütternder Schrei ertönte.
 

Als die sechste Klasse der Schule aus Gahti vor den Toren der Stadt Yiara stand, war die Lehrerin vollkommen gerädert und die Schüler bester Laune. Drei Tage waren sie unterwegs gewesen und jeden Tag war irgendetwas gewesen; am ersten Tag hatten Mabi und seine dummen Kumpels zwei Mädchen in den Fluss geschubst. Die Strömung verlief zum Glück nach Norden und die Mädchen waren eine Weile schreiend und zappelnd an der ganzen Klasse vorbei voran getrieben, bis Frau Kalih es mit Hilfe von ein paar Telepathen aus der Klasse geschafft hatte, die Mädchen an Land zu befördern. Das nächste Drama war gewesen, dass sie nicht mit nassen Kleidern hatten weitergehen wollen – aber umziehen hatten sie sich vor den ganzen Jungen auch nicht wollen, und bis endlich ein Gestrüpp gefunden worden war, waren die beiden schon fast von selbst getrocknet.

Als sie die Stadt Shav erreicht hatten, hatten sie dort übernachten wollen – in der Pension angekommen war ihnen aufgefallen, dass eine ganze Gruppe von Schülern plötzlich spurlos verschwunden war. Ein paar Rabauken hatten es lustig gefunden, sich davon zu stehlen und die Kleinstadt unsicher zu machen. Als Frau Kalih die Idioten gefunden hatte, waren sie dabei gewesen, einen Springbrunnen mit Kohlestiften zu beschmieren. Besonders auffällig war ein großer Schriftzug gewesen, der quer über den Stein geschmiert worden war und der da gelautet hatte:

Wer will unsere hässliche Lehrerin heiraten? Sie ist sicher noch Jungfrau!

Frau Kalih hatte keinen Kommentar darüber verloren und den Jungen als Strafe einen Beschwerdebrief an ihre Eltern versprochen.

Am zweiten Reisetag war zwar niemand in den Fluss gefallen, dafür war plötzlich Gepäck verschwunden gewesen und ein trotteliges Mädchen war über eine Wurzel gestolpert und hatte sich den Fuß verstaucht. Kannar hatte versucht, sie zu heilen, und hatte es wie es alle gewohnt waren noch schlimmer gemacht, so hatten sie das Mädchen abwechselnd alle tragen müssen bis zur Stadt Charine, wo ein Heiler ihren Fuß hatte heilen können.

Den dritten Tag auf der Reise bis nach Yiara hatte die Lehrerin damit zugebracht, ihnen über die Landschaft und die Vegetation von Dokahsan zu erzählen, was niemanden sonderlich interessiert hatte. Aber wenigstens war nichts passiert und jetzt standen sie endlich auf der Straße vor dem Tor.
 

„Diese Stadt ist verdammt groß,“ sagte Kannar und starrte hinauf an dem gigantischen Stadttor vor ihnen. Puran war mäßig beeindruckt. Er war nicht zum ersten Mal in Yiara, schließlich hatte seine Mutter ihn früher zu Geisterjägertreffen mit her genommen. Travi jammerte:

„Und meine Füße tun verdammt weh!“

„Na, wir sind jetzt ja da…“ versuchte Kannar ihn zu trösten, „Nur noch zur Pension, es dämmert ja schon fast.“

Die Pension war klein und mit der Klasse voll besetzt. Frau Kalih hatte natürlich vor Wochen angemeldet, dass sie kämen, so hatte der Wirt alle Zimmer reservieren lassen. Es gab Dreier- und Viererzimmer, nur Frau Kalih bekam ein Einzelzimmer.

„Tja, Derran, nichts mit Einzelzimmer, hehe!“ gackerte Mabi, der Idiot, und Puran drehte den Kopf zur Treppe, wo Mabi sich mit seinen Schlägertypen hinauf drängelte und dabei Ram umschubste, der da herum gestanden hatte. Ram spuckte ihm ins Gesicht.

„Solange ich nicht mit dir Fettarsch in einem Zimmer bin, ist mir das egal,“ gab er von sich, und Puran und Kannar sahen sich an.

„Ach, hör auf, mir die Luft wegzuatmen, du Bauerntrampel aus Nehawa!“ spottete Mabi nur verärgert und stampfte weiter. „Mit vielen Leuten ein Zimmer zu teilen musst du doch gewohnt sein, wo deine Eltern sich wie die Karnickel vermehren!“

„Dieser Depp bildet sich echt immer noch was darauf ein, Sohn von Gahtis Dorfchef zu sein,“ murmelte Kannar, „Das ist so furchtbar, auf jedem Dorffest spielt der sich auf wie der König vom Affenland.“

„Manche lernen nie dazu,“ entgegnete Puran und sah zur Treppe, bis er plötzlich Rams Blick fing. Der Schwarzhaarige sah ihn voller Abscheu an, drehte sich dann um und stampfte Mabi nach hinauf.
 

Den ersten Tag nach der Übernachtung in Yiara verbrachte die Klasse mit einer Besichtigung der Stadt. Frau Kalih hatte über die Geschichte der Stadt, die Politik und den Aufbau der Ringe sehr viel zu sagen, wurde aber von der Hälfte der Klasse ignoriert. Mabi und seine Kumpels machten sich gerade einen Spaß darauf auf einen vorbei fahrenden Eselkarren zu springen und sich ein Stück fahren zu lassen, vom Fahrer unbemerkt. Ein paar Mädchen waren vor dem Geschäft eines Juweliers stehen geblieben und schmachteten die schönen Ketten und Ringe an, die sie nicht in zehn Leben würden bezahlen können. Letztlich war Gahti eine Dorfschule und die Klasse bestand aus armen Dorfkindern.

„Weiter zur Mitte der Stadt hin sind die Ringe der vornehmeren Gesellschaft,“ erklärte Frau Kalih gerade, als sie an einem Tor stehen blieben. „Hier wohnen die reichen Leute, wir werden nicht weiter zum Kern gehen. Widmen wir uns jetzt besser dem Westen der Stadt und…“ Weiter erzählend ging sie voraus und die Klasse folgte ihr. Aber Travi hatte plötzlich etwas ganz anderes vor Augen.

„Seht ihr diese riesige Torte da hinten?!“ japste er und zeigte auf den Hof hinter dem Tor, vor dem sie stehen geblieben waren. Augenscheinlich gehörte er zum Anwesen irgendeiner Familie hier. „Mann, ich würde meine Seele geben für diese Torte!“

„Verfressener Sack,“ tadelte Puran ihn und sah auch in den Hof, in dem viele Menschen geschäftig einher rannten und offenbar ein großes Buffet aufbauten.

„Vielleicht gibt’s da ein Festmahl oder so,“ orakelte Travi neugierig, „Ach, wieso gibt’s solche Torten nicht bei unserem Bäcker?!“

„Du und deine Torte!“ machte Kannar, „Gehen wir, die anderen sind schon fast weg!“

„Meinst du, ich kann da rein und die schenken mir ein Stück Torte?“ seufzte Travi völlig verliebt in seine schöne Torte, und Kannar schlug ihm auf den Hinterkopf.

„Hackt es?! Da darfst du nicht rein, das ist das Haus von Adeligen und wir sind nur Dorfkinder, die spießen uns auf, wenn wir da reingehen! Und das wegen einer Torte!“

„Moment,“ mischte Puran sich trotzig ein, „Ich bin kein Dorfkind, mein Vater ist Statthalter von Vikhara. Ich… kann da rein!“
 

Dummerweise war das den Bediensteten des Anwesens egal oder sie kauften den drei Jungen nicht ab, was sie sagten. Jedenfalls wurden sie hochkant wieder rausgeworfen und verbrachten den Rest des Nachmittags damit, ihre Klasse zu suchen, die sie verloren hatten. Zum Glück schafften sie es kurz vor der Pension, wieder aufzuholen, und als Frau Kalih die Schüler zählte, wunderte sie sich:

„Nanu, Lyra, Chipo und Ando? Wart ihr den Nachmittag über unsichtbar oder wieso erinnere ich mich nirgends an eure Anwesenheit…?“ Travi hustete und Puran meinte:

„Keine Ahnung, wir waren jedenfalls da.“ Frau Kalih beäugte sie misstrauisch, sagte aber nichts weiter.
 

„Hey… wach auf, Mann!“

Puran brummte und zog sich die Decke über den Kopf.

„Vergiss es, Kannar!“ nölte er, „Ich stehe nicht auf, wozu so früh am Morgen?!“

„Na, weil Frau Kalih mit uns irgendwas machen will und wir uns vor der Pension treffen sollen…“

„Mir doch egal, geht ihr zwei vor, ich, ähm… komme nach!“

„Ich hab Hunger!“ jammerte Travi, der sich im Hintergrund des Dreierzimmers fertig anzog, „Wieso müssen wir so ein doofes Treffen vor dem Frühstück machen?!“

„Du und dein Frühstück, der andere und sein Bett, ich bin von Idioten umgeben!“ meckerte Kannar gespielt beleidigt. Er versuchte seinem Freund die Decke wegzuziehen, aber vergeblich.

„Ich bin ja gleich auf!“ maulte Puran unter der Decke, „Geht doch einfach vor! Mann, die Sonne ist doch noch nicht mal aufgegangen…“

Der zweite Morgen in Yiara brach ungemütlich an. Als Puran aufstand und seine Freunde längst unten waren, hatte er das eigenartige Gefühl, mit dem falschen Fuß aufgestanden zu sein; irgendwie war heute ein übler Tag. Ein Blick aus dem Fenster in strömendes Regenwetter bestätigte seine Vermutung nur.

Er hasste es und verfluchte die Regengeister, obwohl das Land dringend Regen gebraucht hatte. Aber er war keine Pflanze, er brauchte den gerade nicht… sich murrend das Hemd zuknöpfend beeilte er sich dann, hinunter zu kommen, bevor die anderen ohne ihn gingen – wobei, das wäre nicht schlecht, dann könnte er weiter schlafen…

Seine Träume zerplatzten, als er unten vor der Pension ankam und von einer sehr schlecht gelaunten Frau Kalih ein trockenes Brötchen in de Hände geworfen bekam.

„Frühstück!“ sagte sie streng, „Na endlich, noch einen Moment länger und ich hätte dich zur Not in Unterwäsche hier rausgezerrt!“ Puran sah sie verblüfft an, dann das nackte Brötchen. Als letztes fiel sein Blick auf den ebenfalls skeptisch guckenden Ram Derran, der da auch stand; als einziger.

„W-wo sind denn die anderen?“ wollte Puran wissen. Die Lehrerin schnaubte.

„Wir machen Gruppenarbeit, sie sind in Zweiergruppen in ganz Yiara verteilt und jede Gruppe bekommt eine Aufgabe. Da Ram mit niemandem zusammen gehen wollte und du über bist… seid ihr die letzte Gruppe.“

Puran sah sein Gegenüber namens Ram fassungslos an. Der murrte.

„War nicht meine Idee, wenn du verpennst, bist du Schuld!“

„Hey, aber, aber, Frau Kalih! Das könnt Ihr nicht, ich meine, ausgerechnet-…“

„Schweig!“ schrie sie und beide Jungen fuhren zurück. Sie drückte Ram ein Blatt Papier und ein leeres Marmeladenglas in die Hand. „Verschwindet endlich und seid vor Mittag zurück! Ich akzeptiere keine Ausreden!“
 

„Toll gemacht, Lyra,“ spottete Ram Derran im Gehen, das Glas in der Hosentasche und den Zettel betrachtend. „Mir ist egal, mit wem ich zusammen rumhängen muss, ich kann niemanden von euch leiden. Aber auf einer Beliebtheitsskala von eins bis zehn bist du bei mir die Minus zehn!“

„Gleichfalls,“ schnaubte Puran und aß sein Brötchen, „Gab es für alle so ein mickriges Frühstück? Travi wird sterben…“

„Frau Kalih ist übelst gelaunt,“ sagte Ram, „Irgendwelche Idioten haben angeblich aus der Theke unten gegorenen Beerensaft geklaut und sich besoffen oder so.“ Puran blinzelte. Was? „So, also was sollen wir machen?“ murmelte Ram weiter und ignorierte seinen zwangsläufigen Mitarbeiter, auf den Zettel sehend. Puran lugte ihm über die Schulter.

„Irgendwelche… Pflanzen sammeln? In der Stadt?“ wunderte er sich.

„Außerhalb der Mauer, du Idiot, steht doch drüber!“ machte Ram und gab Puran den Zettel, „Mann, was für eine Zeitverschwendung!“

Sie verließen Yiara und marschierten eine Weile schweigend durch die karge Tundra außerhalb der Stadt. In der Ferne im Westen floss der Fluss Endh, der den Kreis Endhir begrenzte. Das Land war flach und erstreckte sich bis zum Horizont, so weit sie sehen konnten nichts als Ödland mit hie rund da mal einem Strauch. Der Boden war weich und matschig vom Regen.

„Wo sollen hier Pflanzen sein?“ fragte Puran irgendwann, „Ich sehe nur diese hässlichen Sträucher!“

„Dann nehmen wir eben davon was mit und sagen das wäre alles, was es gab,“ stöhnte Ram, „Mir doch egal…“

„Dir ist alles egal, Frau Kalih ist sauer genug, wir sollten uns mehr Mühe geben!“

„Heul doch, Frau Kalih ist mir genauso egal! Wenn ich mit der Schule durch bin, sehe ich diese Schrulle nie wieder!“

„Deswegen solltest du trotzdem Respekt vor ihr haben…“

„Sie ist eine Frau, pff…“ Puran verdrehte die Augen. Ram konnte wirklich garstig sein.

„Wie auch immer,“ fuhr er fort und sah auf den Zettel, „Dann müssen wir eben wo anders suchen und diese doofen Pflanzen sammeln, Ram!“

„Nimm meinen Namen nicht in den Mund, Lyra!“ zischte der Ältere und blieb stehen, Puran tat es ihm gleich und spuckte ihm wütend vor die Füße.

„Jetzt blaff mich nicht so an, du bist auch nicht mehr oder weniger wert als ich!“

„Ach, jetzt tust du edel, dabei ist deine Familie ein Pack von Aufschneidern und miesen Lügnern!“ spottete Ram und stieß den Kleineren wütend zurück. Ebenfalls wütend stellte er fest, dass Puran gar nicht mehr so viel kleiner war als er.

„Noch ein Wort über meine Familie und ich reiße dich in Fetzen!“

„Ich sagte, deine Familie ist ein Pack von-…“ Ram unterbrach sich und beide Jungen fuhren herum, als plötzlich ein Rascheln hinter ihnen ertönte. Ein Fuchs huschte aus dem Getrüpp hinter ihnen und über die Tundra. Sein Fell war ganz weiß, obwohl der Holzmond noch nicht mal angebrochen war.

„Was ist denn das?“ machte Ram, „En Fuchs mit weißem Fell, obwohl kein Winter ist?“

„Vielleicht ist es ein Albino?“ riet Puran verwirrt und beide Jungen starrten dem Tier nach, bis Ram sich plötzlich auf den Boden hockte und einen kleinen Ast des Strauches abbrach, den er rasch mit seinem Messer zu bearbeiten begann. Puran kannte das Verhalten inzwischen und ihm wurde klar, worauf das hinauslaufen würde.

„Denkst du das was ich denke?“ grübelte er noch, und Ram schnaubte.

„Wer ihn zuerst erwischt, Lyra,“ machte er, „Und keine Zauber dieses Mal, um das von vorne rein klarzustellen!“

„Wie du willst. Seit damals sind Jahre vergangen, ich krieg ihn auch ohne Katura. Du bist nicht der einzige Jäger in Dokahsan.“ Damit brach er sich grimmig ebenfalls einen Stock ab und warf Frau Kalihs dummen Pflanzenzettel davon, um sich ebenfalls einen provisorischen Speer zu basteln.

„Vielleicht,“ grinste Ram Derran gehässig, „Aber ein besserer als du, Lyra.“

Sie verfolgten die Spur des weißen Fuchses zum Fluss Endh. Am Ufer entlang war das Tier nach Norden gelaufen, so wechselten die Jäger die Richtung. Den Auftrag der Lehrerin hatten sie beide vergessen, es ging hier um Respekt und Ehre, das war für jeden Jungen viel wichtiger als dämliche Pflanzen. Der Regen wurde stärker, als sie schneller liefen. Der Boden war glitschig, Puran wäre einmal beinahe ausgerutscht, konnte sich aber gerade noch halten. Ram schnaubte.

„Pass doch auf, wo du hin latschst!“

„Stell dich nicht so an!“ schnaubte der Jüngere zurück und beeilte sich, Ram einzuholen. Dann sahen sie den Fuchs in der Ferne wieder auftauchen. Er rannte direkt auf das Wäldchen zu, das sich weit entfernt aufgetan hatte.

„Schneller, wenn er erst da drinnen ist, kriegen wir den nie!“ machte Ram und rannte schneller, Puran japste und holte ihn sofort wieder ein, als sie tatsächlich zu dem Tier aufzuschließen schienen. In dem Moment, in dem Ram sich wunderte, warum das Tier offenbar langsamer wurde, wurde er überholt, und er sah Puran keuchend nach und beeilte sich, wieder aufzuholen.

„Hey, du Sack, warte!“ schnappte er empört, als sie dem Fuchs immer näher kamen und beide Jungen die Speere hoch rissen. Dann war das Tier mit einem Mal verschwunden.

„Was?!“ rief Puran, „W-wo ist er hin?!“ Ram blinzelte ebenfalls verwirrt – beide Jungen bemerkten zu spät die Schlucht, die sich plötzlich zwischen ihnen und dem Wäldchen auftat, erst, als Puran abrupt davor stehen blieb und schreiend mit den Armen ruderte; Ram konnte nicht rechtzeitig bremsen und schubste den Jungen vor sich aus Versehen vorne über in die Schult, ehe er selbst den hals verlor und ebenfalls stürzte.

Sie schrien beide und während Puran es schaffte, sich an einem Vorsprung festzuhalten, rutschte Ram noch ein bisschen tiefer hinein, ehe er an einem morschen Ast Halt fand. Unten sprang der Fuchs von dannen.

„Na großartig, Lyra!“ schrie Ram entsetzt und sah hinab, „Verdammt noch mal, d-das ist tief!“

„Du hast mich doch geschubst!“ schrie Puran zurück und sah zu Ram, „Alles in Ordnung?“

„Was für eine Frage, mir fehlen nur noch eine Hängmatte und ein Steak!“ Puran brummte. Na, dem ging es gut, wenn er noch meckern konnte. Er versuchte keuchend, sich auf den Felsvorsprung zu ziehen. Als er sich fast hinauf gezogen hatte, trat er aus Versehen beinahe gegen Rams Kopf. „Pass doch auf!“ schimpfte der.

„Mann, halt dich an mir fest, du Idiot!“ meckerte Puran zurück, „Wir müssen hier irgendwie raus!“ Er sah keuchend zum Himmel und versuchte abzuschätzen, ob es schon Mittag war. Frau Kalih würde sie suchen… verdammt, sie hätten nie so leichtsinnig sein dürfen!

„Den Idioten kriegst du zurück,“ schnaubte Ram, packte aber gehorsam Purans rechtes Bein und wollte sich festhalten, in dem Moment rutschte der Jüngere oben mit den Händen von dem glitschigen Fels ab und stürzte schreiend hinunter, über Ram hinweg und landete unsanft auf einem größeren Vorsprung etwas unter ihm. Ram konnte seinen Ast gerade noch packen und der knackte bedenklich. „Da hätten wir es!“ brüllte der Schwarzhaarige, „Idiot!“

„Der Felsen ist rutschig!“ maulte Puran und erhob sich vorsichtig, als er sicher war, dass der Vorsprung hielt.

„Bleib da unten, ich ziehe mich selbst hoch!“ machte Ram genervt und versuchte mit großer Mühe, zu dem Vorsprung zu kommen, an dem Puran zuvor gehangen hatte. Nach etlichen Versuchen schaffte er es endlich, sich hinauf zu ziehen, wobei er sich an den Felsen die Hände aufriss und sie zu bluten begannen. Der Regen wusch das Blut von seinen Fingern, als er seinen Schnürstiefel auszog und die Schnur davon als Seil benutzte. „Kannst du dich daran festhalten, Idiot?!“ fragte er hinunter, und Puran brummte.

„Nenn mich nicht so! Ja, ich hab das Seil.“

„Klettere erst, wenn ich rufe!“ befahl Ram, nahm die Schnur fest in beide Hände und klemmte sie zwischen seine Füße, ehe er sich zurücklehnte, um dem Gewicht standhalten zu können. „Jetzt, und mach dich ja nicht zu schwer, du Sack!“

„Selber Sack!“ schimpfte der Kleinere und kletterte mit dem Seil hinauf zu Ram. Als sie beide auf dem oberen Vorsprung standen, war es noch ein Stück bis zur Kante der Schlucht. Ram rieb sich stöhnend die blutigen Hände und trat seinen auseinander gerissenen Stiefel in die Schlucht.

„Der ist hin, du schuldest mir Schuhe, Lyra!“

„Danke,“ machte Puran kleinlaut und Ram schnaufte. „Ich meine, danke, dass du mich gerettet hast.“

„Noch sind wir nicht draußen, und fang ja nicht an zu heulen!“ entgegnete Ram. „Kannst du bei mir Räuberleiter machen? Ich zieh dich dann hoch, aber du gehst mit nicht mit Schuhen auf meine zerfetzten Hände.“ Puran sah auf seine Hände.

„Tut sicher weh,“ stellte er doof fest, und zur Antwort wischte Ram empört das Blut an Purans Hemd ab.

„Da hast du es, jetzt gib mir deine blöden Hände!“ Puran war so gütig und faltete die Hände, sodass der andere Junge mit dem Fuß darauf steigen konnte und er ihn hinauf zum Rand hob. Sobald er oben war, zog Ram Puran erneut mit der Schnur hoch, und als sie endlich beide wieder oben waren, lagen sie erst mal eine Weile erschöpft keuchend im Matsch, klitschnass vom Regen.

„Na toll,“ murmelte Puran dumpf, „Der Fuchs ist weg, der ganze Mist war umsonst!“

„Wärst du nicht gewesen, hätte ich ihn bekommen,“ sagte Ram grimmig wie eh und je, und der Kleinere sah ihn kurz verletzt an. Ram erhob sich langsam und wischte sich die verwundeten Hände an der Hose ab. „Wärst du nicht gewesen… wäre heute manches anders.“ Das war das letzte, das er sagte, ehe er einfach so seiner Wege ging und Puran ließ, wo er war.
 

Den Rest der Reise sprachen Ram und Puran nicht miteinander. Das war auch nicht mehr nötig. Frau Kalih war ohnehin wütend, weil sie keine Pflanzen gefunden hatten, aber irgendwie interessierte das niemanden mehr. Puran fragte sich zum wiederholten Mal, was dieser Kerl für ein Problem hatte. Es lag nicht an den Zaubern, da war er sicher. Aber vermutlich würde er nie erfahren, was das tote Reh ihm vor Jahren hatte zeigen wollen; er wollte es jetzt nicht mehr wissen. Er wollte gar nichts wissen von den lästigen Geistern, die ihn nachts quälten und um den Schlaf brachten. Mitunter wachte er nachts auf und dann schwindelte ihm ganz furchtbar oder ihm wurde übel, und er hasste die Geister dafür. Hatten die kein anderes Opfer?
 

Als die Klasse wieder in Gahti ankam nach den acht Tagen, wurde Puran von seiner Tante Sukutai und Alona abgeholt.

„Nanu!“ machte er erstaunt darüber, „Guten Tag, Tante. Wo ist meine Mutter?“

„Der Rest der Familie ist in Tuhuli,“ sagte Sukutai verhalten und wirkte bedrückt. Mit einem mal kehrte das üble Gefühl zurück, das Puran schon öfter gespürt hatte; immer dann, wenn etwas geschehen war. Er erbleichte und Alona nahm ihn an die Hand, um ihn in Richtung Heimweg zu zerren.

„Was ist geschehen, Tante?“ fragte er, und sie seufzte leise.

„Nomboh Chimalis ist bei einem Brand im Anwesen ums leben gekommen, an dem Tag, als ihr aufgebrochen seid,“ erzählte sie, und er erstarrte. „Deine Eltern sind mit den anderen Geisterjägern da, um mit beim Reparieren zu helfen und den Lauf der Dinge zu besprechen. Sie werden sicher nicht vor dem Abend heim kehren… solange hörst du hoffentlich auch auf mich.“ Sie lächelte jetzt wohlwollend und er nickte apathisch.

Ja, das würde er…
 

Chimalis’ Anwesen war ein halbes Wrack. Man hatte viele Arbeiter aus Tuhuli organisiert, die halfen, aber trotzdem würde es Monde dauern, bis es wieder intakt wäre. Meoran, Keisha und Ruja waren für die Zeit bei einer von Keishas Teefreundinnen untergekommen.

„Langsam reduziert sich unser Rat,“ bemerkte Hakopa Kohdar bedauernd, während er mit Nalani und Meoran vor dem Schrotthaufen stand. Die anderen waren gerade beschäftigt mit Helfen. „Von der alten Generation sind jetzt ja nur noch Minar und ich über, und wer weiß, wie lange noch.“

„Na, nun mal nicht das Unheil an die Wand,“ sagte Nalani entrüstet. „Was macht dein Lehrling, Meoran?“

„Er… ist dumm?“ seufzte der junge Mann gerädert und fuhr sich durch die braunen Haare. „Ich hoffe, ich… kann ihm das beibringen, was wichtig ist, während ich innerlich um meinen Vater trauere… vielleicht… sollte er sich besser einen neuen Meister suchen.“ Nalani senkte den Kopf.

„Ich kann dich verstehen.“

„Ich meine, ich hab daran gedacht, das mit dem Lehrer ganz aufzugeben,“ gestand er dann, „Mein Vater hat mich immer noch verbessert und so, er… war viel weiser.“

„Er war erfahrener,“ entgegnete Hakopa Kohdar, „Du wirst diese Erfahrung noch sammeln, Meoran. Gib nicht gleich auf.“

„Echt mal, ich brauche dich noch,“ warf Nalani ein, „Wer außer dir soll bitte meinen Sohn unterrichten in vier Jahren? Ich hoffe sehr für dich, dass du das tun wirst…“ Sie sah ihn kurz an. „Puran ist kein Idiot, Puran ist ein talentierter Junge, du weißt das. Er braucht einen Lehrmeister, der auf demselben Niveau aufgewachsen ist wie er selbst.“

„Ich denke, er hasst Magie?“ machte Meoran verdutzt, und Nalani seufzte.

„Vier Jahre, mein Freund, sind eine lange Zeit…“
 

___________________________

Das ging schnell, aber dafür dauerts etwas bis zum nächsten jetzt^^ und nächstes Kapi kommt Timeskip, um mal diese langweilige Kindheit hinter mich zu bringen XD

Das Kapi war abgesehen von Nombohs Tod sehr Filler, ich weiß xDDD Und Nombohs Tod war... sehr kurz, aber das war keine Bocklosigkeit, ich dacht mir nur wir müssen jezt nicht die tausendste Bestattungszeremonie beschreiben XDDD



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Kimiko93
2009-10-08T16:52:43+00:00 08.10.2009 18:52
4 down, 7 more to go ö.ö

Nombohs Tod fand ich irgendwie eher witzig. Dass so gerade ZUFÄLLIG Öl in der Küche brennt, er ZUFÄLLIG Probleme mit Erdzaubern hat, ZUFÄLLIG genau er rein rennt und Ruja ZUFÄLLIG gerade Teleport nicht kann, was Meoran ZUFÄLLIG drei Sätze vorher erwähnt. Na ja. Subtilität war noch nie so deine Stärke, gell? XD

Oh, und Teamwork FTW! It's so shiny! Und so ö.ö ich meine... Uuuuh, Puran und Ram arbeiten zusammen, yaaaay. Und weswegen? Wegen einem weißen Fuchs, der genauso random ist wie das ganze Kapitel irgendwie ôo'. Diese Klassenreise ist ja wohl auch random. Und überhaupt. Auf solche Reisen gehört immer noch eine männliche Begleitperson, jaah. Das weiß ich gerade ganz sicher, weil bei uns auch wieder Klassenfahrttime ist. Wohoo, die 10. ist toll.

Uuuh, Klein-Puranchen ist fast mit der Schule fertig. Und hat Cholena getroffen. Die auch bald sterben wird. Immer vorausgesetzt, wir haken Puranchens Lehre genauso schnell ab wie Nalanis. Was ohne die ganzen coolen Leute wohl leichter sein wird...

Kein Quotengeliebhabe mehr ôo' na ja, okay, immer nur TabarixNalani wird auch langweilig... Jaah, Zorchen und Salihah haben schon so ihre Lücke hinterlassen, hm? ûu'
Von:  Decken-Diebin
2009-10-08T13:52:46+00:00 08.10.2009 15:52
Das meintest du also damit, als du sagtest, Keisha wird sowieso nichts machen können, geht alles zu schnell .___. Kann ich verstehen, aber wenigstens ist er ehrenhaft gestorben: Er hat seine Schwiegertochter und den blöden Lehrling gerettet... o.o
Ja, Rest des Kapitel, hm, Puran lernt seine erste Freundin kennen, wuh xD Mal sehen, wie diese Beziehung wird und so XD Oh, irgendwann kommt ja auch noch sein Blutritual, hatte er doch von Ruja, nicht?
Merkwürdig, wie klein der Chimalis-Clan mittlerweile ist... Keisha, Meoran, Ruja, na ja und mehr oder weniger Kotori und Pakuna ._. *trauer*
LG, Hina
Von:  -Izumi-
2009-10-08T12:10:22+00:00 08.10.2009 14:10
Aww! *____*
Das Kappi war toll ^o^
Okay, Nomboh ist gestorben, das ist... etwas doof .__.
Ich mochte ihn, aber weil es so random war, hab ich wenigstens nicht weinen müssen .__.'
Na ja, aber dann, aber dann...... RAMIIIIIIIIII! *________*
<33333333333333!!!!!!!!!!!
Er ist so süß und toll und süß und toll und awww >////<
*Liebe*
Ich meine... *______________________________________________*
Awwww XDDDD
Und was auch gut war, diese Ratssitzung.... so super sinnvoll! XDD
Eine gemütliche Kifferrunde, einself XDDD


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