Zum Inhalt der Seite

Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Himmelsberge

Vierter Teil: Kadoh
 


 

Es war eiskalt. Leyya spürte ihre Finger nicht mehr, aber sie hatte ihre Handschuhe ausziehen müssen. Mit den Handschuhen war sie an den glatten, zum Teil mit Eis überzogenen Felsen abgerutscht und konnte sich schlecht festhalten, daher hatte sie sie lieber eingesteckt und beeilte sich jetzt, den anderen durch das Gebirge zu folgen, während ihre Finger dabei abstarben, so hatte sie das Gefühl. Die waren gut, die waren alle größer als sie und konnten daher besser klettern, abgesehen von Keisha, aber die wurde getragen. Das Mädchen seufzte, blieb stehen und machte Pause. Es war so anstrengend… einerseits wollte sie auch gerne getragen werden, andererseits wollte sie auf keinen Fall irgendwen belasten; sie war schon groß! Sie musste das alleine schaffen! Ihre Hände schmerzten fürchterlich ob der beißenden, eisigen Kälte des Winters. Hier in den Bergen war alles noch schlimmer…

„Ich m-möchte, dass der Frühling bald kommt…“ seufzte sie leise und rieb die erfrorenen Finger aneinander, was nicht wirklich half. Dann wurde sie sanft von hinten angestoßen.

„Was ist? Geh weiter, rasch. Wir müssen vor Einbruch der Dunkelheit weg sein vom Pass, hier zieht der Wind durch und macht alles verdammt kalt… bist du müde?“ Sie drehte sich um und sah in Purans Gesicht, der sich zu ihr herab beugte und sie stirnrunzelnd ansah.

„Ich bin nicht müde.“, sagte sie, „Aber es ist so eiskalt! Meine Finger sind gefroren, sieh…“ Unglücklich hielt sie ihm ihre kleinen Hände hin, und er keuchte.

„Bist du denn verrückt geworden, deine Handschuhe auszuziehen?!“ tadelte er sie entrüstet. Weiter vorne blieben die anderen stehen und sahen nach den beiden Jüngeren, die zurück geblieben waren. „Wo sind die Handschuhe, Leyya?“

„Hier… wenn ich sie anhabe, rutsche ich immer weg und kann mich nicht festhalten…“

„Oh, Kindchen…“ Puran verdrehte die Augen, hockte sich vor sie und begann, ihre Hände zwischen seinen zu reiben. Er klang wie ein schimpfender Vater, und Leyya schluchzte, weil sie ihn verärgert hatte. „Du bist dumm, Leyya, warum sagst du das nicht, bevor deine Finger erfrieren?! Großartig. Und jetzt weine nicht, das wird gleich besser.“

„Was ist mit euch da hinten?“ fragte Tabari von vorne, „Alles in Ordnung?“

„Ja, ja! Geht ruhig, wir holen euch gleich wieder ein!“ meinte sein Sohn nur, rieb weiter die Hände, bis sie ganz langsam wieder ein bisschen Farbe bekamen und wärmer wurden.

„Es tut mir leid.“, nuschelte die Kleine, „Ich wollte… euch nicht aufhalten. Ich bin doch nur ein Klotz am Bein… vergib mir, Puran, bitte…“

„Ist schon gut.“ Er seufzte und zog ihr die Handschuhe an, „Behalte sie jetzt an, du dummes Mädchen, ja? Nimm meine Hand, dann musst du dich nicht festhalten, ich ziehe dich.“ Sie errötete.

„Immer und immer falle ich dir nur zur Last!“ meckerte sie über sich selbst, „Bist du meiner nicht langsam überdrüssig? Vielleicht solltet ihr mich einfach hier lassen.“

Puran schlug sie. Aber es war nur ein sehr leichter Schlag, der ihr nur wenig wehtat. Empört starrte er sie an und stellte sich hin.

„Sag das niemals wieder! Wie kannst du es wagen, uns sowas zuzutrauen, ein kleines Mädchen in den Bergen von Kadoh im Eis sitzen zu lassen?! Sehen wir aus wie Barbaren, oder was?! Du bist noch ein Kind, natürlich ist es für dich schwerer, was mich viel mehr nervt als das ist, dass du sowas dauernd behauptest! Himmel, als würden wir dich loswerden wollen… du gehörst doch schon zur Familie, oder?“ Als sie ihn anstarrte, grinste er sie aufmunternd an und streichelte ihr dann über die Kapuze. „So, jetzt müssen wir uns beeilen, halt still.“ Sie quiekte entsetzt, als er sie schnappte und sie sich einfach über die Schulter warf wie einen Kartoffelsack, ihre Beine festhaltend, und dann loszog.

„Oh nein, nicht! Oh Himmel, nein, Puran, lass mich sofort runter!“ schrie sie erschrocken und strampelte. Er gluckste.

„So geht es aber schneller, ich lasse dich runter, wenn wir die anderen eingeholt haben – hör auf zu zappeln!“
 

Einerseits war es ihr peinlich, dass sie alleine so langsam voran kam und Puran sie jetzt an der Hand halten und ziehen musste, als sie den Weg mit den anderen gemeinsam fortsetzten; andererseits liebte sie es, seine Hand zu halten. Er war für sie der Held der ganzen Welt, dass irgendein Mensch auf der Welt liebenswerter, hübscher oder toller als er war, war für Leyya völlig ausgeschlossen. Sie hing sehr an ihm, es machte sie glücklich, wenn er sie ansah, mit ihr redete oder wie jetzt ihre Hand hielt, das waren die schönsten Momente ihres Lebens. So schön, dass sie mitunter vergaß, auf den Weg zu achten, und stolperte, dabei riss sie ihn ein paar Mal beinahe von den Beinen. Tabari machte dem erstaunlich kaltherzig ein Ende.

„Höre endlich auf, so herum zu albern, Leyya, gehe geradeaus und achte auf deine Füße!“ herrschte der blonde Mann sie ungewöhnlich streng an und fixierte ihr niedliches Gesicht mit seinen schmalen, grünen Augen. „Das ist kein Witz mehr, wir sind hoch oben jetzt! Wenn ihr hier hinfallt, könnt ihr euch übel verletzen, und Knochenbrüche sind noch das Harmloseste! Der Fels und das Eis sind hart, ihr könntet euch das Genick brechen oder den Schädel spalten! Puran, nimm sie bitte einfach auf deinen Rücken und gib mir dein Gepäck, dann hört dieses Gestolpere auf.“ Leyya keuchte und Puran verdrehte die Augen.

„Ist doch nichts geschehen, Vater, ich passe schon auf sie auf. Das geht, keine Angst.“ Zu Leyya sagte er: „Gehe ein bisschen vorsichtiger, in Ordnung?“ Sie nickte beschämt und Meoran, der Keisha trug, verdrehte auch die Augen.

„Solange du da hinten nicht auch Unsinn anfängst, Mutter, ist alles gut.“ Er sah zu Tabari. „Gehen wir, rasch, die Dämmerung bricht schon herein. Ich hasse diesen Winter…“

So kletterten sie weiter hinauf in die Berge. Es war ein beschwerlicher Weg. Der Pass von Lon, den sie genommen hatten aus dem Osten von Kadoh hinauf ins Gebirge, war nicht wirklich ein viel begangener Pass. Es war viel mehr ein Schleichweg durch Geröll, vereiste Farne und krüppelige Bäumchen hinauf bis zur Quelle des Flusses Yarmol. Und jetzt fegte der eisige Wind des Winters hindurch durch den Pass und ließ die kleine Menschengruppe erzittern bei ihrem Weg.

„Knochenbrüche und das Harmloseste, Himmel bewahre!“ keuchte Keisha auf dem Rücken ihres Sohnes und sah verwirrt zurück, „Diese Berge von Iketh sind ein Graus, sie sind der pure Tod! Diese Kälte, dieses Eis, und jetzt auch noch Knochenbrüche!“

„Dafür brauchen wir nicht mal grausige Berge, dafür haben wir ja Leyya…“ scherzte Meoran unter ihr und verlagerte ihr Gewicht ein wenig, während er weiter ging. Das Mädchen sah ihn blöd an und Nalani vor ihnen drehte verwundert den Kopf.

„Was? Leyya?“ fragte sie scharf. Puran zischte.

„Hallo? Warum hackt ihr heute alle auf ihr herum?!“

„Das war nicht böse gemeint!“ rief Meoran erschrocken, „Du hast nicht gesehen, was dieses Unschuldslamm in der Schlacht von Aughot mit einem Faustschlag angerichtet hat… ihr habt das doch auch gesehen, Mutter, Ruja?!“ Die Frauen sahen erst ihn, dann Leyya an, und Tabari blieb jetzt stehen.

„Was denn, Leyya?“ wunderte er sich auch. Das kleine Mädchen erinnerte sich an den Zuyyaner, der ihr im Weg gewesen war, den sie geschlagen hatte.

„Ich… ich habe ihm den Knochen gebrochen?“ wisperte sie tonlos, „Ich habe – ich habe ihn doch nur zur Seite geschoben!“

„Du hättest den Arm danach sehen sollen…“ brummte der Lehrmeister verwirrt. Seine Mutter räusperte sich.

„Sie ist Heilerin, Meoran! Es gibt bei Heilern eine Zaubertechnik, die es möglich macht, durch bloße Schläge Nerven, Muskeln oder gar Knochen zu brechen, ohne äußere Verletzungen zu verursachen. Diese Technik ist nicht unüblich unter Heilern.“

„Schon.“, machte Nalani verdutzt, „Aber unter neun Jahre alten Heilern auch?!“ Jetzt schwieg die alte Frau und Leyya sah entsetzt auf ihre behandschuhte Hand.

„Oh mein Himmel! Ich habe das gar nicht gemerkt!“

Es war Puran, der die Sache aufklärte. Er verdrehte die Augen und zog sie einfach weiter hinauf durch das Geröll.

„Selbsterhaltungstrieb, automatischer Selbstschützungsinstinkt. Kenne ich irgendwo her… ich wusste nicht, dass Heiler sowas auch machen… jetzt haben wir etwas gemeinsam, kleine Leyya.“
 

Als sie immer höher und höher in das Iketh-Gebirge kletterten, begann es auch noch, zu schneien. Das machte die Reise noch beschwerlicher und sie kamen nur langsam vorwärts. Sie waren einige Tage nach Südwesten gegangen, nachdem sie sich von den anderen Geisterjägern getrennt hatten, die nach Südosten gegangen waren. In der Nähe des Dorfes Lon in Kadoh hatten sie dann den Pass bestiegen, der sie auf die höchsten Berge des Landes führte. Die Provinz Kadoh bestand fast nur aus Bergen. Die beiden großen Gebirgszüge, die Iketh-Berge und die Kadoh-Berge, gingen nahtlos ineinander über und waren Geburtsort vieler, großer Flüsse. Der Undim, der nach Dokahsan floss, entsprang auch in den Iketh-Bergen.

Die Dämmerung war längst vorüber und es war finster, als sie den Pass endlich verlassen und die Quelle des Yarmol erreicht hatten. Dort gab es eine kleine, verkrüppelte Baumgruppe zwischen den Felsen, die ihnen einen guten Windschutz bot.

„Was genau ist denn ein… Selbstbeschützungsinstinkt?“ fragte Leyya leise, während sie sich dicht an Puran kuschelte. Trotz des Lagerfeuers war es fürchterlich kalt und sie kuschelten sich alle in kleinen Fraktionen dicht aneinander, um nicht so zu frieren, während sie versuchten, Nachtruhe zu finden. Puran hatte sich und Leyya in ihre beiden Reisedecken gewickelt und drückte das kleine Mädchen jetzt auch behutsam an sich heran. Er antwortete ihr ganz leise, um damit nicht die anderen beim Einschlafen zu stören.

„Na ja, ein Instinkt in dir, der dein Leben beschützt, wenn du in Gefahr bist. Durch diesen Instinkt zauberst du automatisch irgendwas, meistens etwas, von dem du nicht vorher wusstest, dass du es kannst… die Geister machen das, um dein Leben zu schützen.“

„Verstehe. Ich wusste gar nicht, dass es sowas gibt…“ Er lachte leise, als sie sich immer energischer an ihn kuschelte.

„Hey, krabbel mir nicht gleich ins Hemd, ist dir so kalt?!“ gluckste er, und sie drückte ihr kleines Gesicht schutzsuchend an seine Brust.

„Was… hast du damit gemeint, wir haben was gemeinsam? Hast du auch jemandem den Arm gebrochen?“

„Nein… als ich klein war, habe ich aber auch mal aus Versehen gezaubert, ohne zu wissen, dass ich sowas kann. Sei froh… dass es bei dir im richtigen Moment passiert ist.“ Er tätschelte ihr den Kopf und sie schmiegte sich glücklich an ihn heran.

„Ist das denn etwas Gutes, Puran…?“

„Ich… denke schon. Du bist sicher eine sehr talentierte Heilerin. Wenn man als Kind ungewöhnlicherweise schon zaubert, ist das meistens Grund zur Annahme, dass man… gut ist, ja.“ Sie kicherte.

„Na, also bei dir stimmt es ja jedenfalls. Du bist Geisterjäger… du bist ein sehr mächtiger Magier, glaube ich. Du hast eine großartige Begabung, dass die Geister dir gehorchen.“ Jetzt errötete er etwas und seufzte, ehe er ihre Komplimente abwehrte.

„Ich bin auch nur ein Mensch, Leyya…“ Als er auf ihre Antwort wartete und nichts kam, sah er hinab; das Mädchen kuschelte sich liebevoll an ihn und umarmte seinen Oberkörper jetzt mit ihren Armen, das Gesicht an seine Brust schmiegend.

„Du bist schön warm…“ Puran gluckste leise, ehe er die Decke fester um sie beide zog und die Augen schloss.

„Ja, ja… du auch.“
 

Der nächste Morgen war ein Graus. Es war noch kälter geworden, sobald das Feuer erloschen war, und die Menschen waren froh, sich noch bewegen zu können vor Kälte, als sie ihr Lager abbrachen, um weiter zu ziehen. Rujas Baby quengelte und hatte Hunger. Während sie ihre Tochter stillte, entwendete Tabari Keisha die Karte und betrachtete sie sehr lange schweigend.

„Wie immer wir es drehen, wir sind hier nicht gut aufgehoben, mitten im Geröll und viel zu dicht am Pass.“, erklärte er dann, als die anderen schon dabei waren, ihre Rückentragen aufzusetzen und Ruja ihr Kind fertig gestillt hatte.

„Das hast du aber fein gesagt.“, lobte Nalani ihn sarkastisch und er drehte sich um und zeigte nach Südwesten.

„Wir sollten tiefer ins Gebirge hinein gehen, den Grat überqueren und dann – aahh?!“ Seine Gesichtszüge entgleisten, als er hinaus sah auf einen gewaltigen Schneeberg, der auf dem Grat lag und damit auf dem Weg, den sie beschreiten wollten. Die anderen folgten seinem Blick mit gemischten Gefühlen.

„Was ist denn das?“ machte Leyya, „W-wir sind ja komplett eingeschneit!“

„Großartig, ihr Blitzmerker.“, meinte Nalani verdutzt. „Und jetzt?“

„Jetzt hätte ich gerne einen der Kohdars hier.“, versetzte der Blonde neben ihr und kratzte sich dämlich am Kopf, „Oder alle drei.“ Puran stöhnte.

„Ja, die haben Tabak, die Schweine.“

„Mir ging es mehr um das Feuer.“
 

Der Schnee war nicht nur hoch, er war riesig hoch. Er reichte Tabari bis zur Brust an den höchsten Stellen, Leyya versank komplett darin; sie schlugen sich sehr mühevoll mit Wind- und Schneidezaubern durch, ihr Talent mit dem Feuer war natürlich nicht vergleichbar mit dem der Kohdars; so viel Schnee vermochte keiner von ihnen zu schmelzen. Der Weg über den Grat wurde schwerer und gefährlicher als jeder Weg, den sie jemals in irgendwelchen Bergen hinter sich gebracht hatten; es dauerte beinahe bis zur Dämmerung, dann hatten sie den Kamm endlich überquert und gelangten in eine kleine Senke weiter unten. Der Schnee war hier nicht annähernd so hoch wie zuvor und es gab sogar eine minimale Vegetation, was alle sehr freute.

„Vielleicht finden wir hier ein Plätzchen für die Nacht.“, murmelte Keisha auf Meorans Rücken und blickte sich in der Dämmerung um. Die hohen Gipfel warfen bizarre Schatten auf die Senke, in der sie standen. Erschöpft waren sie nach dem Marsch, und so wollten sie in einem mickrigen Wäldchen ihr Gepäck ablegen und ein Feuer entzünden.

„Das nennst du Feuerholz?“ fragte Meoran seinen Kollegen Tabari empört, als jener mit einer Handvoll Reisig ankam, „Ist ja großartig, das soll uns heute Nacht wärmen?“

„Dieser popelige Wald gibt nicht mehr her…“ Der Jüngere seufzte, indem er den winzigen Haufen Reisig zusammen schob und ihn mit Vaira anzündete, ehe sich die versammelte Gruppe um das sehr dürftige Lagerfeuer herum niederließ. Ein Knacken in unmittelbarer Nähe ließ sie aufhorchen.

„Was war das?“ keuchte Leyya alarmiert und setzte sich rasch auf ihre Knie, um im Notfall schneller aufspringen zu können. Keisha lachte.

„Sicher einer der, wie war das, Tabari, popeligen Bäume, Himmel, was hatten wir für einen kultivierten Statthalter.“

„Jetzt reicht es aber, Alte, geh ins Bett!“ brummte ihr Sohn entrüstet, „Den ganzen Tag lang erzählst du mir irgendwelche belanglosen Dinge, während ich dich durch die Gegend-… horcht!“ Er erhob sich plötzlich, als das Geräusch erneut ertönte, dieses Mal aus einer anderen Richtung. Jetzt horchten auch die übrigen und standen nach und nach auf, Leyya erbleichte und sah sich hektisch um.

„Das war kein Baum.“, war Nalanis kaltblütiger Kommentar, und sie zog schneller Kadhúrem als Tabari die Hände erheben konnte. Als letzterer zwei Schritte nach vorn tat, hatte er plötzlich eine messerscharfe Pfeilspitze aus Stein an seiner Kehle.

„Ach du Schreck!“ japste er und riss die Hände jetzt doch hoch, um sich zu ergeben, „Was wird das denn, wenn es fertig ist?!“

Er wollte sich nach seinen Gefährten direkt hinter ihm umsehen, aber ihnen drohte in dem Moment ein ähnliches Problem. Zwischen den Felsen und Schneewehen waren Menschen hervor gekommen, die sie jetzt von allen Seiten umzingelten und mit einfachen, aus Holz und Stein gefertigten Spießen bedrohten. Tabari traute seinen Augen kaum; direkt vor ihm stand ein in weißes Fell gehüllter und graziös beschmückter Krieger eines Ureinwohnerstammes, der zweifellos in dieser Gegend leben musste, ihm noch immer seinen Speer gegen die Kehle pressend.

Richtige indigene Bergbewohner! Der Herr der Geister hatte zwar von den Menschen gehört, die fernab jeder Zivilisation in Stämmen oder Clans in den hohen Bergen von Kadoh lebten, aber dass er jemals einen so aus der Nähe würde betrachten können, hatte er nicht angenommen.

„Du liebe Güte!“ keuchte er, „Ein Ureinwohner!“

Einer?!“ machte Meoran entsetzt, als der weiß befellte Mann den Blonden rückwärts schupste und die Reisegruppe sich enger zusammen stellte, umzingelt von in Fell gehüllten Barbaren mit Speeren. Obwohl diese Gegner wesentlich leichter zu erledigen wären als auch nur ein einziger Zuyyaner, verspürte keiner der Schamanen den Drang, sie zu verletzen; noch hatten sie ihnen schließlich nichts angetan, es wäre unrecht, ihnen etwas anzutun.

Nalani beobachtete die Männer, die sie bedrohten, mit scharfem Blick und sehr genau. Leyya wimmerte und krallte sich an Purans Hose, während Ruja besorgt das keckernde Baby an sich drückte.

„Wir kommen in Frieden!“ versuchte der Herr der Geister es diplomatisch und sah dabei den besonders beschmückten Kerl vor sich an, vermutlich ihr Anführer oder Häuptling. „Wir… wir wollen nur ruhen!“

Zur Antwort zischte das klimpernde und klappernde Gegenüber und presste die Spitze fester gegen Tabaris Hals.

Ausruhen, meine ich! N-nicht für immer ruhen, oder so…“

„Tabari…“ brummte seine Frau hinter ihm, und jetzt sprach der komische Vogel von Anführer auf einer ihnen unbekannten, seltsamen Sprache zu einem seiner Kollegen. Leyya schrie panisch auf und presste sich an Purans Beine, als alle Speere näher an die Gruppe heran gestoßen wurden.

„Jetzt übertreibt ihr aber…“ brummte der Blonde an den Häuptling gewandt und stemmte störrisch die Hände in die Hüften, ehe seine Frau ihn unterbrach.

„Du Idiot, sie verstehen unsere Sprache nicht!“

Alle Blicke richteten ich auf die schwarzhaarige Frau und der Häuptling der Ureinwohner zurrte sein weißes Fell zurecht und verengte die ohnehin schmalen, pechschwarzen Augen zu Schlitzen. Nalani bückte sich und legte Kadhúrem vor sich auf den Boden, sich ohne ihre Waffe wieder erhebend.

„Legt eure Waffen weg, alle.“, befahl sie leise, und eher widerwillig folgten Tabari, Meoran und Puran ihrem Befehl, ihre Schwerter ebenfalls ziehend und zu Boden fallen lassend. „Dann wissen sie, dass wir sie nicht angreifen wollen. Vielleicht gewährleisten sie uns einen sicheren Unterschlupf in der Gegend, verärgert sie bloß nicht. In dieser Gegend war keiner von uns je zuvor, wir sind auf Einheimische wirklich angewiesen. Allein schon des Babys wegen.“ Sie sah auf die kleine Saidah, die unruhig an Rujas Mantel zu knabbern begonnen hatte. Sie hatte Hunger…

Der Häuptling vor Tabari ließ seinen Speer sinken. Nach einer Handbewegung seinerseits taten alle anderen Bergmenschen es ihm gleich, ehe er in seiner seltsamen Sprache laut an die Gruppe gewandt sprach. Natürlich bekam er keine Antwort, so wiederholte er seine Worte langsamer und deutlicher und gestikulierte dabei, so gut er konnte. Dabei verrutschte sein alberner Kopfschmuck.

„Und wenn er das noch tausendmal wiederholt, werde ich es dennoch nicht verstehen.“, seufzte Puran gedämpft. Er nahm Leyya an die Hand, die nervös von einem Fuß auf den anderen tappte.

„Ich glaube, er möchte, dass wir ihnen in diese Richtung folgen.“, erklärte Nalani, die den Bergmann eingehend beobachtete. Sie sah nach Westen, wohin der Fremde immer wieder zeigte und dabei seine Worte, die keiner verstand, zum hundertsten Male wiederholte.

„Einen Versuch ist es wert.“, stellte ihr Gatte fest, der sich wieder gefangen zu haben schien. Er nickte und verbeugte sich blödsinnig vor dem unzivilisierten Wilden; als er aber sein Schwert aufheben wollte, versperrte ihm ein in die Quere gehaltener Speer den Weg. „Soll ich meine Waffe hier liegen lassen, während du deine trägst, du Vogel?!“ entrüstete der Blonde sich, und Nalani hielt ihn gerade noch auf, als er den Speer wegschieben wollte.

„Tabari, verflucht! Reiß dich zusammen… sieh, sie nehmen die Waffen schon für uns mit.“ Sie nickte zu den anderen Bergmännern in Fellen, die jetzt alle Schwerter und Kadhúrem einsammelten. Puran seufzte und raufte sich die Haare.

„Na, ob wir die jemals wieder bekommen? Dahin schwindet dein Schattenschwert, Mutter, ach!“

„Sukutai würde dich dafür jetzt umarmen.“, lachte sein Vater, und sie nahmen ihr Gepäck und folgten den Wilden, die ihre Waffen nach Westen entführten.
 

Die Bergmenschen hatten ihr Lager auf einem breiten Felsvorsprung am Rande der Senke. Jetzt war der große Platz aus Fels verschneit, sie erkannten aber Gerüste aus Holz, die an der Felswand des Bergmassivs dahinter lehnten, die vermutlich zum Trocknen von Fleisch und Fellen dienten. In der hohen, fast komplett senkrechten Wand hinter dem Vorsprung war ein Spalt, der in das Massiv führte. Dort lotste der befellte Häuptling zunächst zwei seiner Männer hinein, blieb aber mit den anderen und den Fremden davor stehen.

„Was machen wir hier?“ wollte Leyya wissen, die an Purans Hand hing, und dieser seufzte.

„Keine Ahnung.“ Während sie offenbar auf irgendetwas warteten, fing der Häuptling an, zu sprechen. Alle starrten ihn entsetzt an und nur Nalani schien überhaupt einen Sinn in seinem Gerede zu sehen, denn sie neigte höflich ihren Kopf, während der komische Kauz ein schier unaussprechliches Wort sagte und sich dabei eine Hand auf die Brust legte.

„S-sollen wir ihn nachmachen?“ wunderte Meoran sich und hob eine Hand, Puran brummte:

„Was hat er gesagt?!“

„Ihr seid töricht, beobachtet ihn doch!“ seufzte seine Mutter, „Das ist eine sehr alte Sprache, glaube ich. Der Mann heißt Ashatighteche, er hat sich vorgestellt.“

Wie heißt er?!“ rief Tabari erschrocken. Puran verdrehte die Augen.

„Von mir aus kann er Wurstbrot oder Lebertran heißen, ich verstehe ihn trotzdem nicht.“ Leyya fing neben ihm an zu kichern bei der Vorstellung eines Mannes, der Wurstbrot hieß. Sie befolgten Nalanis Rat und stellten sich ebenfalls vor.

„Ich bin Tabari.“, seufzte der Herr der Geister verwirrt von all dem Trubel, und der Häuptling mit dem komischen Namen musterte ihn eine Weile und hob dann eine Hand, als würde er ihm zuwinken wollen.

„Damehya, Ischbntabali.“

„Was, Moment, nein, Tabari! Du Idiot, Tabari, nicht Ich bin Tabari…“

„Du sprichst wirklich sehr undeutlich.“, gackerte Meoran hinter ihm, „Versuch es noch mal, und sag nur noch Tabari!“

„Nenn dich einfach Wurstbrot.“, addierte Leyya und brach in einen neuen Kicheranfall aus. Ehe sie weiter Tabari veräppeln konnten, geschah das, worauf sie offenbar gewartet hatten, denn die zwei Männer kamen aus dem Spalt zurück ans Tageslicht, ihnen folgten eine alte Frau, eine junge Frau und ein junger Mann. Die Alte war fast noch seltsamer gekleidet und beschmückt als der Häuptling; zuerst hielten sie sie für seine Frau, aber dafür war sie entschieden zu alt, vielleicht war sie seine Mutter. Die alte Frau war mit seltsamen Farben bemalt im Gesicht und ihre Haare waren auf eine Art geflochten, die keiner von ihnen weder in Dokahsan noch in Anthurien jemals gesehen hatte. Der Schmuck aus Federn und Knochen, den sie trug, rasselte, als sie barfuß durch den Schnee zu den Fremden herüber schritt und sie alle lange schweigend betrachtete. Der junge Mann folgte ihr dabei wie ein Schleppenträger und verfolgte jede Bewegung, die die Alte machte, mit aufmerksamem Blick.

„Oh mein Himmel, ich weiß, was hier passiert!“ japste Meoran, als die seltsame Frau ihn energisch musterte, „Die werden uns kochen und essen!“

„Was?!“ schrie Leyya, Puran hielt ihr erschrocken den Mund zu.

„Bist du wahnsinnig, reize sie nicht…“ Und sie fielen vor Schreck beinahe aus allen Wolken, als die alte Frau plötzlich sprach – und zwar in ihrer Sprache.

„Von wo… kommen?“

Tabari war zu geplättet davon, die tharranische Einheitssprache zu hören – wenn auch sehr gebrochen und mit noch fürchterlicherem Akzent als bei ihm selbst – um antworten zu können, so tat es Nalani.

„Aus Dokahsan. Wir kommen aus dem Norden.“ Dabei zeigte sie in die Richtung, die Alte drehte ihren Kopf und folgte dem Fingerzeig. Sie murmelte etwas zu dem jungen Mann hinter ihr, der ihre Worte darauf etwas lauter an seine Stammesbrüder richtete, offenbar dolmetschend.

„Geistermenschen… ihr.“, murmelte die alte Frau dann wieder an Nalani gewendet. Diese schwieg einen Moment, ehe sie nickte.

„Schamanen, ja. Wir sind Schamanen.“

„Große Geistermenschen ihr.“, fuhr die Alte ruhig fort, „Ich… Geisterfrau von Stamm.“

„Aha.“, machte Meoran verblüfft, „Sie ist eine Magierin inmitten von Nichtmagiern?“

„Die spirituelle Kraft des Stammes.“, sagte Ruja zu ihm und wippte das Baby auf ihren Armen, „Ich kann ihre Gene sehen, sie ist Schwarzmagierin. Der Junge hinter ihr muss zu ihr gehören, er ist auch Magier.“ Sie sah auf den Dolmetscher, der die Worte abermals für die anderen Männer wiederholte auf der komischen Bergsprache. Er konnte nicht älter als Puran sein.

„Ich träumte von Geistermenschen aus Norden.“, sprach die alte Magierin in ihrer gebrochenen Hochsprache weiter. „Geister sprechen, ihr kommt.“

„Wir sind auf Reisen.“, erklärte Nalani der Frau. „Krieg ist im Land. Wir verstecken uns hier.“

„Ja, Krieg, Geister sprechen.“, bestätigte die Alte vor ihr. Dann wendete sie sich an den Häuptling und sprach in seiner Sprache zu ihm. Er antwortete ihr, worauf die Frau wieder Nalani und die anderen anblickte. „Himmelsberge gut verstecken. Geistermenschen beim Stamm verstecken, Ehre für Menschen von Stamm.“ Die Schamanen aus dem Norden sahen sich einen Moment blinzelnd an. Trotz der gebrochenen Sprache verstanden das alle. Die Geisterjägerin verneigte sich höflich vor der Alten.

„Wir nehmen das Angebot gerne an. Wir bleiben ein wenig bei eurem Stamm, wenn wir dürfen.“
 

Die Spalte im Felsen führte in einen schmalen, dunklen Gang und jener wiederum zu einer riesigen Höhle im Inneren der Felswand. Die Gäste waren erstaunt über das Ausmaß der Behausung, in der der Stamm der Bergmenschen lebte. Und der Stamm hatte viele Mitglieder, wie ihnen klar wurde, als sie nach dem Betreten der Höhle von allen Seiten aus neugierigen, entsetzten, verwirrten oder amüsierten Gesichtern angestarrt wurden. Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen beobachteten die Schamanen, die dem Häuptling, der alten Magierin, ihrem Dolmetscher und der jungen Frau folgten, die bisher noch nichts gesagt oder getan hatte.

„Diese Höhle ist gigantisch groß…“ murmelte Tabari verblüfft und sah sich um, während sie auf einen größeren, flachen Platz inmitten der Behausung gingen. Dort blieb der Häuptling flankiert von den drei anderen stehen und sprach dann laut zum ganzen Stamm auf der eigenartigen Sprache.

„Vermutlich erklärt er denen jetzt, was wir hier wollen.“, riet Ruja erstaunt. Saidah strampelte in ihren Armen und war äußerst unzufrieden. Am Ende seiner Rede, die keiner verstand, schob der Häuptling die junge Frau zu den Fremden herüber und sprach weiter, jetzt fungierte die Alte als Dolmetscherin.

„Sie… Häuptlingstochter. Sie zeigt Geistermenschen den Stamm.“ Alle Blicke richteten sich auf die junge Frau, die ihren Vater etwas verwirrt oder wehleidig anblickte.

„Sie kann doch unsere Sprache gar nicht, wäre es nicht klüger, wenn die Alte dies übernähme?“ wunderte Puran sich gedämpft in Richtung seiner Mutter, hütete sich aber, es auszusprechen, bevor er noch aus Versehen irgendwen beleidigte. Das junge Mädchen wurde inzwischen von jener Alten angesprochen, darauf verbeugte sie sich eifrig vor den Gästen, was sie völlig übertrieben und ungeübt anstellte. Offenbar hatte sie sich noch nie vor jemandem verbeugt, die Alte musste ihr geraten haben, es zu tun, überlegte Nalani sich verdutzt.
 

Eigentlich war die Höhle überschaubar trotz ihrer Größe. Es gab vereinzelte höhere Felsvorsprünge und kleine Gräben und Löcher im Boden, die mehr oder minder voneinander abgeschottete Schlafplätze für jede einzelne Familie des Stammes bildeten. Natürlich konnte die Häuptlingstochter die Einheitssprache nicht, aber sie wusste sich dafür, dass sie vorher so wehleidig geschaut hatte, gut zu helfen, als sie den Gästen alles zeigte wie den Lagerungsort für Vorräte, die Arbeitsstellen, an denen Frauen Felle, Fleisch und Häute bearbeiteten, oder verschiedene Schlafplätze. Sie drückte sich geschickt mit Gesten aus und sprach nur wenig; dabei hatte sie eine sehr schöne, liebliche Stimme, wie die Magier bald feststellten.

„Wenn sie redet, klingt es, als würde sie singen.“, meinte Leyya entzückt, „Wie ein hübscher Vogel, oder, Puran?“ Puran räusperte sich.

„Sie ist auf alle Fälle ein sehr kluges Mädchen, denn sie schnallt ganz genau, dass es Zeitverschwendung ist, mit uns auf dieser seltsamen Sprache zu sprechen… also für mich zumindest klingt alles gleich.“ Am Ende der Führung wies das Mädchen mit der Vogelstimme den Gästen zwei größere Felsvorsprünge als Schlaf- und Wohnplätze zu. Dank einiger Geduld, viel Mühe seitens der jungen Frau und Nalanis natürlicher Sprachbegabung und Auffassungsgabe verstanden sie auch, als das Vogelmädchen ihnen erklärte, dass diese Vorsprünge Plätze für heilige Rituale und Zeremonien waren und damit sehr ehrenwerte Plätze zum Wohnen.

„Die haben ja einen Narren an uns gefressen, mein lieber Schwan.“, war Meorans Kommentar. Sie teilten die nebeneinander liegenden Felsvorsprünge unter ihren Familien auf, so richteten er, Keisha, Ruja und das Baby sich auf dem einen ein und die Lyras und die kleine Leyya, die Purans Hand einfach nicht mehr loslassen wollte, auf dem anderen.

„Die Geisterfrau hat von uns geträumt.“, meinte Nalani nachdenklich, „Sie wusste, wir würden kommen, für die ist das sicher ein heiliges Zeichen oder so, deswegen vielleicht.“

„Woher kann sie eigentlich unsere Sprache?“ wunderte Puran sich neben ihr, während er sich an die Wand lehnte und die Aussicht genoss, die sie von ihrem neuen Quartier aus hatten. Sie konnten die ganze Höhle beobachten, was die Menschen unter ihnen taten, wie Könige saßen sie da auf ihrem großen, felsigen Thron.

„Das weiß ich auch nicht. Wir sollten sie bei Gelegenheit fragen.“
 

Die Höhle war sehr warm ob diverser, fast rauchloser Feuer, die entzündet waren. Von der Kälte von draußen merkte man überhaupt nichts mehr, und die Reisenden waren sehr dankbar für den geschützten Unterschlupf. Sie würden hier problemlos überwintern können. Die Gedanken an die kalten, lebensbedrohlichen Nächte unter freiem Himmel zuvor waren jetzt weit weg, als sie des Nachts auf ihren Felsvorsprüngen in ihre Decken gekuschelt schliefen.

„Wie lange gedenkst du dieses Mal zu bleiben?“ murmelte Nalani gedämpft, während sie sich unter der Decke an ihren Mann kuschelte, bei dem sie lag. Tabari seufzte und zog sie in seine Arme, dabei küsste er ihre Wange.

„Du warst es doch, die hier so harmonisch mit den Wilden kommuniziert hat. Wir werden einen guten Winter erleben. Wenn der Frühling gekommen ist, werden wir sehen… vielleicht ist es sicher hier. Unauffällig, fernab von jedem Krieg und jeder Zivilisation. Wir wollten abtauchen, oder nicht?“ Sie seufzte nur leise und strich mit einer Hand über seine Seite, weiter hinab und unter sein Hemd.

„Ich kann nicht erklären, was mich an diesen Ort bindet, Tabari… ich spüre es schon, seit wir diese Männer getroffen haben. Es… ist, als hätten die Geister mir geraten, dass wir hier bleiben sollten.“

„Dann fragst du mich, wie lange ich zu bleiben gedenke?“ brummte er sie an, rollte sich über sie und begann ihren Hals zu küssen. „Wir haben ein kleines Mädchen und ein Baby bei uns… es wird gut sein, eine Weile an einem Ort zu bleiben.“ Sie erwiderte nichts und schloss die Augen, als sie spürte, wie seine Finger begannen, unter der Decke an ihrer Kleidung zu nesteln. „Sag mal… wenn das so ein heiliges Dingsbums ist, auf dem wir schlafen, glaubst du, es ist verboten, wenn wir uns hier lieben…?“ wunderte er sich dann gedämpft, worauf sie dumpf lachen musste.

„Idiot…“
 

Puran war genervt von seinen Eltern. Der Felsvorsprung, den sie sich zu viert teilten, war zwar sehr breit, sodass er mit genug Abstand von ihnen und ihnen den Rücken kehrend liegen konnte, aber an seinen Ohren ging dennoch nicht vorbei, was hinter ihm so passierte. Wobei derartige Geräusche nicht nur von hinten kamen; auch unten in anderen Teilen der Höhle schienen irgendwelche Leute sehr beschäftigt zu sein… der junge Mann brummte und zog sich die Decke über den Kopf.

Er kam wunderbar damit klar, keine Frau bei sich zu haben, mit der er sich amüsieren konnte, seit sie Iter verlassen hatten; solange nicht irgendjemand in seiner Gegenwart anfing, Dinge zu tun, die er jetzt nicht tun konnte. Er vermisste kurz seine hübsche Liebhaberin aus dem Dorf, die Witwe des Töpfers, die für eine Witwe entschieden zu jung gewesen war. Aber sie war nicht hier, sie würde ihm auch nicht weiterhelfen. Über seiner Unzufriedenheit ob der Gesamtsituation legte sich der Nebel der Geisterträume vor seine Augen, als er versuchte, zu schlafen. Er war weder richtig wach noch schlief er tatsächlich, er beobachtete nur schweigend die Bilder, die vor seinen Augen vorbei liefen, als beobachtete er ziehendes Wild. Feuer kam und verblasste wieder, ihm folgte ein schwerfälliger, düsterer Regen, der die Welt unter Wasser setzte und dann in Dunkelheit tauchte. Und aus der Schwärze tauchte die Silhouette eines Mannes auf, der eine Kapuze trug. Puran beobachtete die Geistergestalt verblüfft und erstarrte dann, als der Fremde den von der Kapuze fast ganz verhüllten Kopf hob – nur sein Mund war zu sehen und aus ihm blitzten ihm die zugespitzten Eckzähne seines Großvaters entgegen.

„Euch binden an Düsternis, das werde ich.“ , schnarrte der Fremde mit hohler, kehliger Stimme. „Und dann werdet ihr kriechen vor meinen Füßen, Lyra… und bluten und sterben werdet ihr, wenn ich es befehle…“ Dann wandte der Kerl sich kichernd von ihm ab und verschwand in der Schwärze des Traumes. Und an seiner Stelle tauchte die weiße Spirale auf, die Puran so oft schon gesehen und so oft schon gefürchtet hatte. Und sie tanzte ihren Tanz, der Menschen töten würde, bis der junge Mann keuchend vor Schreck seinen Geist von der Vision fort riss und sich kerzengerade auf seinem Schlaflager aufsetzte.

Es war dunkel geworden, die meisten der kleinen Lagerfeuer in der Höhle waren erloschen. Puran erschauderte und fuhr sich nervös durch die Haare. Da war es wieder, das beklemmende Angstgefühl, diese kalte Panik, die ihn im Nacken ergriff und fest zudrücke, um ihm die Luft abzuschnüren. Diese Paranoia, die ihn nach jedem einzelnen dieser Träume wieder einzuholen schien, egal, was er tat.

Sein Großvater… fürchtete er ihn denn so lange nach seinem Tod noch immer so sehr? Nein, es war irgendetwas anderes, das ihn tief im Inneren auf grausame Weise erschütterte und beunruhigte, eine finstere Ahnung, die er sich weder erklären noch benennen konnte.

So in seine Gedanken versunken fuhr er beinahe schreiend hoch, als er plötzlich eine kalte, kleine Hand auf seinem Oberarm spürte.

„Puran…?“

„Verdammt – erschrecke mich nie wieder so! Nie wieder!“ blaffte er die kleine Leyya ungewollt heftig an und sah bestürzt, wie sie vor Angst zurückwich und beschämt den Kopf senkte.

„Tut mir leid, bitte verzeih mir…!“ wimmerte sie verwirrt über seinen Zorn. „I-ich… ich bin aufgewacht, als du dich hingesetzt hast, und… ich habe mich gefragt, was wohl los ist…“ Sein Zorn über den Schrecken verrauchte so rasch, wie er gekommen war, und abermals seufzend und sich die Haare raufend linste er die Heilerin an, die sich samt ihrer Decke neben ihn gehockt hatte. Sie konnte nichts für seine Unsicherheit, für diesen Ärger, den er mit den Visionen hatte, für dieses unwohle Gefühl, das er danach verspürte… es war unrecht, sie anzuschreien. Sie sorgte sich nur…

„Entschuldige.“, murmelte er leise, um seine Eltern nicht aufzuwecken, die in der Nähe schliefen, „Du bist ein sehr liebevolles Mädchen, Leyya… sorge dich nicht um mich. Mir geht es gut… ehrlich.“ Ungläubig blickte die Kleine ihn an. Ihre fast schwarzen Haare waren nach dem kurzen Schlafen wuschelig und hingen ihr unordentlich ins Gesicht. „Ich… ich habe Träume, das weißt du doch. Und die wühlen mich auf.“ Die Kleine senkte den Kopf und traute sich, jetzt wieder näher zu kommen.

„Sie machen dir Angst, oder?“ las sie aus seinem Gesicht und er drehte zunächst schweigend den Kopf weg.

„Ja, tun sie.“, war dann die ehrliche Antwort. Leyya schwieg. „Ich kann mich nicht erinnern, wann das angefangen hat… aber schon während meiner Lehre in Tuhuli hatte ich… diesen Traum, immer wieder den gleichen, immer wieder etwas anders; aber jedes Mal wieder die weiße Spirale, die in der Finsternis tanzt. Und seit ich sie sehe, spüre ich diese bedrückende Furcht in mir…“ Er stockte für einen Moment und blinzelte überrascht. „Nein, warte… diese Angst stammt noch aus einer anderen Zeit. Ich kann nicht sagen, was es ist und seit wann… aber je länger ich darüber nachdenke, desto tiefer fühlt es sich an, desto grausamer, aber auch ferner, wie eine verstaubte, kleine Scherbe, die einem als Kind im Bein gesteckt hat und die dann weggeworfen wurde. Und nach Jahren findet man sie wieder und weiß nichts damit anzufangen, so lange, bis man sie entstaubt und darauf sein eigenes Blut wiederfindet.“

Die Kleine wusste instinktiv, was er meinte, obwohl seine Worte für ein neun Jahre altes Mädchen etwas zu hoch waren. Aber Leyya wusste, wovon er sprach. Sie überwand den kurzen Abstand zwischen ihnen und schmiegte sich gleichzeitig Schutz suchend und tröstend an seine Seite.

„Ich bin Heilerin.“, murmelte sie leise, „Ich kann die Scherben aus deinem Bein ziehen, wenn du magst.“

Das konnte sie. Er wusste nicht, woran genau es lag, aber sobald sie sich gegen ihn lehnte und mit ihm sprach, sobald ihre kleine Hand unter der Decke hervor kroch und nach seiner angelte, verflog die Furcht in seinem Geist. Leyya war eine wirklich große Heilerin, wenn allein ihre bloße Anwesenheit heilende Wirkungen hatte, dachte er sich verblüfft, und er verspürte tiefste Bewunderung für das tapfere Mädchen, das er vor Ewigkeiten, so schien es, aus dem brennenden Makar mitgenommen hatte. Er schätzte sie, vielleicht mehr als sie annehmen würde. Leicht lächelnd hob er einen Arm und legte ihn um ihre schmalen, kindlichen Schultern.

„Du bist lieb.“, gestand er ihr, „Ich danke dir, Leyya.“ Die Kleine erstrahlte verhalten und kuschelte sich an ihn, während sie sich wieder hinlegten und er seine Decke um sie beide legte. Sie brauchte ihn nicht mehr fragen, ob sie bei ihm schlafen dürfte, er hatte diese Frage wortlos beantwortet, ehe sie daran gedacht hatte, sie zu stellen.

Und einmal mehr in ihrem Leben stellte Leyya Bao fest, dass er der wundervollste, beste Mensch auf der Welt sein musste. Und glücklich schloss sie ihre hübschen Augen, sich in seine Arme kuschelnd, um weiter zu schlafen.
 


 

_____________________________________________

Jaah uû Ich hasse dieses Kapitel uû Ich weiß, es hat keinen Inhalt, will ich nicht hören, danke úu Aber Ianas Vater war da. Er hat zwar nichts wirklich gesagt, aber er war da! Surprise -___- Freut euch in nächster zeit auf noch ein paar solcher absolut langweiligen, inhaltslosen kapitel xD Hust xD

Aber da snächste wird dauern, ich fahre erstmal weg bis zum 19ten^^'



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kimiko93
2010-07-29T20:35:32+00:00 29.07.2010 22:35
Wohooo, zwei Kapitel an einem Tag!

Ähem, ja. Ich maag diese Bergmenschen. Und ihre Sprache <3 Und pffh, so schwer solche Menschen zu verstehe ist das auch nicht ôô


Und hnnn, foreshadowing. Leyya. Puran. Ugh. Das müsste ja bald mal kommen... Ja, in 6 Kapiteln, ich weiß XD
Von:  -Izumi-
2010-02-19T18:23:51+00:00 19.02.2010 19:23
*Kommi nachreich*

Ich mochte das Kappi, aww!
Ich sage nicht, dass es mir zu kurz war, DAS wäre echt fies und asozial, also ich habe geherzt XD
Leyya ist echt super niedlich, sie ist ja so dermaßen verliebt... aww.
Und Tabari war ja einmal richtig konsequent oô
Wow, auch wenn es irgendwie seltsam ist, wenn er so ist XD
Die Bergmeschen herze ich an... irgendwie rulen die alle ^^
Und dieser Häuptling hat ja wohl den schönsten Namen ever, das ist so... Klangvoll! XD
Ich bin mal gespannt, wie das so läuft da, bald werde ich mir wieder die entsprechenden Püppis anschauen, fürchte ich oô
Woher diese Oma die Einheitssprache kann, finde ich auch spannend, das musst du unbedingt noch klären!
Ich meine, irgendwie hat das gepost...
So wie so, jetzt hat Puran ja bald wieder was zum... lieb haben XD
Und Leyyachen muss eifersüchtig sein, die Arme úù
Ach ja, und Scharan *__*
Ich muss nochmal erwähnen, dass ich ihn sehr interessant finde und dabei bin, Fan zu werden... XD
Also wie gesagt, das Kappi war völlig in Ordnung, es war sehr schön!
Von:  Decken-Diebin
2010-02-11T19:40:07+00:00 11.02.2010 20:40
Ianas Vater war da? Höh? Einer vom Stamm? Wer hätte das gedacht xD (Oder kam es irgendwann schon mal vor und ich hab's vergessen?)
Was heißt schon, es hat keinen Inhalt, natürlich hat es Inhalt, wenn auch einen Übergangsinhalt. Und man hat mal wieder gesehen, wie sehr Leyya für Puran schwärmt. Und sie verstehen sich besser, ich fand das so süß. <3
Der Name von dem Häuptling ist lustig xD
Aber wieso zum Geier versteht Nalani die so gut? Aber hey, Tabali wär auch ein schöner Name... xD
Wir sind im Winter 977/978, richtig? Das heißt, Leyyas Blutritual ist ein, zwei Jahren? ...ich kann doch hier niemanden spoilern, oder? xD
Apropos, wo ist eigentlich die Zeitliste auf der Homepage hin? xD
LG, Hina
Von:  -Izumi-
2010-02-11T11:49:58+00:00 11.02.2010 12:49
*Platz reservier* Kommi ist auf dem anderen PC XDD <3


Zurück