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Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde

von

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Lorana

Sechster Teil: Thalurien
 

Der Mond der Stürme brachte Regen über das Land. Aus den Bergen zog eine Kaltfront gen Süden und kühlte die Provinzen im Westen ab. An solchen Tagen sehnte Puran sich mehr denn je nach dem gemütlichen Gemach im Palast von Vialla… viel lieber würde er jetzt mit ihr in dem großen, weichen Bett liegen, aus dem Fenster in den Regen sehen und innerlich alle armen Schweine auslachen, die gerade draußen sein mussten. Jetzt war er selbst so ein armes Schwein, so kam er sich vor, als er missgelaunt und nass bis auf die Knochen auf sein ebenfalls nasses Pferd sprang. Zuvor hatte er seiner Frau auf das andere Tier geholfen, und Leyya summte vergnügt, während sie die Kapuze ihres gefütterten Wintermantels aufsetzte. Offenbar machte ihr der Regen nichts aus.

„Das ist verwunderlich!“, schnaufte ihr Mann und linste sie an, „Das Wetter ist abgrundtief scheiße, und das seit Tagen, die wir nun hier umher irren, und wir sind immer noch nicht in Senjo! Und du – summst!“

„Ich habe es dir doch einmal gesagt.“, erklärte sie und streichelte dabei mit einer Hand ihren inzwischen noch praller gewordenen Bauch, „Ich singe, denn dann wird es ein fröhliches Kind. Du solltest auch singen, Liebster!“ Sie grinste ihn an und er verdrehte die Augen.

„Wenn ich singe, fängt das Kind eher an zu heulen als dass es fröhlich wird…“ Darauf musste sie herzhaft lachen und ihre gute Laune ließ ihn jetzt auch liebevoll lächeln und das schlechte Wetter vergessen. Es war gut, wenn sie fröhlich war… dann ging es ihr gut, das beruhigte ihn.
 

Seit sie Vialla verlassen hatten, waren gut zwei Wochen vergangen. Der Mond der Stürme war angebrochen und bald würde schon der Vollmond die Mitte des Mondzyklus markieren. Es ging auf Winter zu. In zwei Wochen konnte man in friedlichen Zeiten problemlos nach Yuron kommen… nicht aber, wenn überall Trupps der Zuyyaner umher schwirrten, denen die beiden Schamanen auszuweichen versuchten. Puran wollte das Risiko nicht eingehen, dass Leyya oder dem ungeborenen Baby etwas geschah. Sie hatten sich südwestlich gehalten und nach vielen Umwegen den großen Strom Yarmol überquert; den Fluss, auf dem sie vor einigen Jahren viele Tage lang in Kanus nach Süden gefahren waren. Dann hatten sie wegen der Zuyyaner den Weg wieder gen Norden eingeschlagen und waren jetzt immer noch in Kisaras westlichster Provinz, Thalurien. Was ihn viel mehr beunruhigte als das langsame Vorankommen waren der eintretende Winter, die zunehmende Kälte und allem voran Leyyas extrem fortgeschrittene Schwangerschaft. Er rechnete jeden Tag, beinahe jeden Moment damit, dass seine Frau die Wehen bekam, und dabei umher zu reisen ohne eine feste Bleibe war wirklich unpraktisch. In der vergangenen Nacht hatten sie in einem kleinen, selbst gebauten Unterschlupf in einem hohlen Baum geschlafen. Trotz gefütterter Reisedecken, die sie noch aus Vialla hatten, der brennenden Talglampe und kuscheln waren ihre Glieder am Morgen steif gefroren gewesen, es wurde höchste Zeit, dass sie endlich eine Behausung für den Winter fanden. Aber in einer größeren Stadt in einer Pension ein Zimmer zu mieten war viel zu teuer, das Geld konnten sie gar nicht aufbringen… jedenfalls nicht sofort. Leyya konnte sich als Heilerin überall nützlich machen, er selbst musste an seiner nützlichen Arbeit noch etwas arbeiten. Auch aus diesem Grund hoffte er, sie würden bald die Grenzen zu Senjo erreichen… in der Provinz Kamien, die an Thalurien angrenzte, lebte simpelstes und einfachstes Bauernvolk, so weit er wusste. Die wollten kein Geld, die wollten Arbeiter. Schamanen gab es da ziemlich selten, aber Leyyas Heilerfähigkeiten würden es ihnen, so hoffte er, leicht machen, für den Winter irgendwo unterzukommen. Er konnte immer noch mit Jagen dienen oder was immer die Leute von ihm verlangen würden, solange nur seine Frau und das Baby gut versorgt wurden.

Aber bis nach Senjo schien der Weg noch so weit…
 

Die Wolken am Himmel brauten sich zu bösartigen Bergen zusammen und grollten düster über dem Land, als die beiden Magier am späten Nachmittag den Fluss Nilfa erreichten. Sie fanden eine seichtere Stelle, an der sie das Gewässer mit etwas Mühe überqueren könnten.

„Jetzt muss ich an das Märchen von der Nilfa denken, von dem ich erzählt bekommen habe!“, fiel Puran ein, als er sein Pferd bereits durch den Fluss gebracht hatte und jetzt dabei war, das von Leyya an den Zügeln vorsichtig auch durch das Wasser zu ziehen, das ihm fast bis zur Brust reichte. Seine Frau saß auf dem Pferd und das Tier ließ sich gehorsam durch das Wasser ziehen.

„Was für ein Märchen?“, wollte sie kichernd wissen und sah auf ihre Beine, über die auch das Wasser schwappte, während sie an den Seiten des Pferdes herab hingen. Die Nilfa war an dieser Stelle normalerweise ein friedlicherer Fluss, aber das viele Regenwasser hatte ihn anschwellen lassen. Puran feixte und hatte etwas Mühe, durch das Rauschen des Stroms mit ihr sprechen zu können.

„Vater hat damals gesagt, du wärst auch so eine Nilfa! So eine Frau, die man nie wieder los wird, wenn man sich einmal auf sie eingelassen hat…“ Er hörte sie hinter sich schnauben und erreichte jetzt das andere Ufer, wo er sich zunächst selbst aus dem Wasser zog, klitschnass wie er war, und dann anfing, das Pferd ans Ufer zu führen. Leyya beugte sich auf dem Rücken des Tieres vor.

„Wie bitte, soll das heißen, du willst mich loswerden, Puran Lyra…?!“, fragte sie lachend, ehe sie plötzlich zusammenfuhr und unwillkürlich heftig keuchte. Puran registrierte erst, dass irgendetwas nicht stimmte, als sie plötzlich leichenblass wurde und die Hände auf ihren Bauch legte.

„W-was hast du?!“, fragte er sofort – im nächsten Moment schalt er sich einen Trottel.

„Oh nein…!“, japste sie und sah auf den prallen Babybauch, „D-das Baby, Puran… ich glaube, es ist soweit!“

„Das ist gerade sehr ungünstig, du sitzt mitten in einem Fluss!“, empörte ihr Mann sich nervös und sie schnappte verzweifelt nach Luft, die Hand gegen den Bauch pressend.

„E-es schmerzt…“, wimmerte sie, „P-Puran! Bitte, hol mich hier raus! Es tut weh…!“ Ohne zu zögern sprang er wieder ins Wasser und schob mit aller Kraft an dem Gaul, damit er endlich aus dem Wasser stieg, dabei holte er mit etwas Mühe seine keuchende Frau vom Rücken des Tieres und trug sie selbst.

„Kannst du gehen?“, fragte er sie, „Wir müssen ein Dorf finden, und zwar schnell… verdammt, musste das mitten in der Einöde passieren-…?! W-was machen wir denn jetzt…?!“ Ein Krachen aus dem Himmel ließ beide zusammenfahren und Leyya erbleichte, als er sie auf der Erde abstellte und sie gen Himmel sahen. Die düsteren Wolken hatten sich noch höher aufgetürmt und blickten zornig auf sie herunter, bereit, all ihre Wut auf sie zu ergießen.

„Vater Himmel…!“, wimmerte die Frau und Puran fuhr sich auch durch die Haare. Auch noch Gewitter, großartig… seine Frau war tapfer. Sie zerrte an seinem Ärmel, als der Schmerz in ihrem Unterleib sich zu verflüchtigen schien.

„Rasch!“, machte sie, „Ich kann noch gehen, am Anfang kommen die Wehen in größeren Abständen, solange es noch geht, laufe ich! Das Sitzen auf dem Pferd macht es nur schlimmer, habe ich das Gefühl… v-vielleicht finden wir ja ein Dorf oder so…“

Sie gingen zu Fuß. Puran führte die Pferde hastig hinter sich her, nach einer Weile merkte er aber, dass die treuen Tiere ihm auch freiwillig folgten, so ließ er sie los – das musste er auch, denn kurz darauf brach seine Frau beinahe am Boden zusammen und schrie vor Schmerzen auf. Er schnappte sie kurzer Hand und trug sie auf seinen Armen, ehe er weiter nach Westen rannte. Zu allem Überfluss donnerte der Himmel über ihnen und es begann, in Strömen zu regnen, was nichts leichter machte.

„Verflucht!“, bellte Puran irgendwann den Himmel an, „Beherrsche dich, du garstiger Bock da oben! Ich gebe dir die Schuld, wenn meiner Frau oder meinem Baby etwas zustößt!“ Zur Antwort donnerte es erneut und der Schamane zischte wütend, bis seine Frau auf seinen Armen erneut zusammenfuhr und gellend aufschrie.

„Ich kann das nicht mehr!“, jammerte sie und fing vor Panik zu weinen an, während sie sich an seinen Nacken klammerte, „E-es tut so grauenhaft weh… ich habe solche Angst, dass d-das Baby einfach so kommt und herunterfällt und-…!“

„Das wird es nicht! Sieh mich an!“ Er sah zu ihr herab und sie schluchzte hysterisch. „Du schaffst das, Leyya. Ich bin bei dir! Wir finden einen Unterschlupf, und zur Not gebärst du es alleine, ich helfe dir… du musst mir nur sagen, was ich tun muss…!“ Sie japste und presste sich erneut schreiend gegen ihn, worauf er die Luft einzog und sich beeilte, weiter zu rennen.
 

Wenn Vater Himmel ihnen aus irgendeinem Grund zürnte, nahm Mutter Erde sie in Schutz; gerade, als Puran sich fragte, wie lange er noch rennen könnte und wie lange seine schreiende Frau auf seinen Armen wohl durchhielte, sah er in der Ferne ein Dorf. In dem Moment war ihm vollkommen gleich, was für Barbaren dort wohnen mochten, er dankte allen Geistern für die Barmherzigkeit, während er mit langsam schwindender Kraft und der immer verzweifelter schreienden Leyya auf den Armen zum Zaun rannte, der das Dorf begrenzte. Die Straßen waren menschenleer und alles war düster vom heftigen Gewitter, das sich über das Land ergoss. Als die beiden Schamanen gefolgt von den treuen Pferden durch das kleine Tor kamen, krachte der Himmel über ihnen, als wollte er ihre Ankunft mit empörtem Grollen ankündigen. Puran hatte keine Zeit für die Aufregung der Himmelsgeister.

„Hilfe!“, schrie er panisch mit aller Stimme, die er nach dem langen Rennen noch hatte, „Hilfe, bitte! Ist hier denn niemand, verflucht?!“ Er rannte keuchend den sandigen, vom Regen aufgeweichten Weg durch das halbe Dorf und rief, so laut er konnte, sich dabei umsehend, ob er irgendwen entdecken konnte – als Leyya auf seinen Armen wieder gellend aufschrie und ob des grausamen Schmerzes zusammenfuhr, schnappte er hastig nach Luft und hörte dann eine Stimme schräg vor sich.

„Was ist geschehen?!“ Er fuhr herum und hätte vor Erleichterung, Menschen zu sehen, beinahe seine Frau fallen gelassen. Aus einer Haustür lugte eine ältere Frau heraus und machte ein entsetztes Gesicht. Jetzt öffneten sich auch noch mehr Türen im Umkreis, aus denen Menschen guckten.

„Meine Frau, s-sie kriegt ein Kind!“, japste Puran atemlos, „B-bitte, helft ihr, schnell!“ Während er hinter sich verwundertes und aufgeregtes Gemurmel hörte, verlor die Frau vor ihm keine Zeit und öffnete ihre Haustür ganz nach einem Blick auf die verzweifelt keuchende Leyya. „Rasch, hinein, Fremde!“, forderte sie erschrocken, „Ich werde sehen, was ich tun kann!“ Puran fuhr vor Schreck zusammen, als Leyya sich fest an seinen Hals klammerte und abermals laut aufschrie.

„I-ich halte nicht länger aus!“, heulte sie panisch, „I-ich habe solche Angst, dass e-etwas geschieht…!“ Ihr Mann folgte der Dorffrau in das fremde Haus. Drinnen war es warm und die Stube war erleuchtet. Auf dem Weg dorthin kamen der Frau ein ebenfalls etwas älterer Mann und eine junge Frau entgegen gerannt.

„Mutter, was ist geschehen?“, fragte letztere erschrocken, „Oh weh!“

„Rasch, hole Tücher und eine Schüssel mit Wasser!“ ordnete die Mutter daraufhin an, während sie an der Tochter und dem vermutlichen Gatten vorbei in die Stube eilte. Sie riss von dem einfachen Sofa an der Seite ein Fell und legte es auf den Boden. „Leg deine Frau hier rauf, Fremder. Hier ist noch ein Kissen.“ Leyya wimmerte, als Puran sie gehorsam auf das Fell am Boden legte, und sie packte schreiend seinen Arm.

„Geh nicht weg!“, heulte sie, „I-ich habe solche Angst, es tut grauenhaft weh! D-der Himmel ist zornig, w-was, wenn irgendetwas nicht stimmt mit unserem Baby…?!“

„Sprich das nicht aus, denk nicht mal daran!“, zischte er und zitterte panisch, als sie abermals schrie. Die Dorffrau hockte sich zu ihnen und strich Leyya beruhigend über die verschwitzte Stirn.

„Beruhige dich, Frau.“, sagte sie sanft, „Alles wird gut sein. Hab keine Angst, wir kümmern uns um dich!“ Leyya wimmerte und sah die Alte zum ersten Mal an, wie sie sich aufmunternd anlächelte. Sie hatte ein freundliches, schon leicht runzliges Gesicht, sie machte den Eindruck, als könnte sie ihr ihr Baby ohne weiteres anvertrauen. Vorsichtig ließ sie Purans Arm wieder los, der nur keuchte und verwirrt zur Tür sah, als die Tochter der Alten mit Laken und einer großen Schüssel mit Wasser herein schneite.

„Da bin ich, Muttilein.“, keuchte sie und eilte zu der Alten, „Was kann ich noch tun?“

„Kümmere dich um die schwangere Frau und ziehe ihre Unterkleidung aus, rasch. Ich glaube, die Fruchtblase ist schon geplatzt, das Baby wird jeden Moment da sein. Ich bin sofort wieder da!“ Sie erhob sich rasch und warf Puran einen Blick zu. „Erfahrungsgemäß ist eine Geburt nichts für Männer. In unserem Dorf bleiben die Männer dem Raum der Niederkunft fern, sie sind ja doch keine Hilfe. Wenn deine Frau es zulässt, ist es vielleicht besser, wenn Ihr solange hinausgeht… ist das in Ordnung?“ Puran starrte sie nur verstört an und blickte dann heftig atmend auf Leyya, die erneut schrie. Seine kleine Frau nickte wimmernd.

„I-ich schaffe es!“, versprach sie tapfer, „Sorge dich… nicht, Liebster! Ich schaffe es, bitte denk an mich! Bitte… bitte die Geister des Himmels, m-mit ihrem Grollen aufzuhören… der Himmel soll seinen Zorn zügeln…!“ Taumelnd kam der Herr der Geister auf die Beine und nickte ebenfalls.

„Ja, i-ich tue, was ich kann! Sei tapfer, Leyya, ich weiß, dass du es kannst!“ Er wünschte sich, überzeugter von seinen Worten zu sein, als er gemeinsam mit der alten Frau hastig den Raum verließ. Auf dem Flur trafen sie den alten Mann wieder, der sich verwirrt die bereits teilweise grauen Haare raufte.

„Lieber Himmel.“, sagte er dabei, als seine Frau ihm schon Puran entgegen schob.

„Kümmere dich um den Mann, vielleicht solltest du Tee kochen!“, meinte sie, dann fuhr sie zur immer noch offenen Haustür herum, in der sich bereits einige andere tummelten und neugierig herein lugten.

„Was passiert hier denn?“, wollte ein Mann wissen, ein weiterer, jüngerer schnappte nach Luft, als die Alte ihn stürmisch aus der Tür schob.

„Sohn, rasch, stehe nicht so herum, gehe zu Sagals und lasse nach Chitra schicken, wir können ihre Heilfähigkeiten jetzt gebrauchen! Die Frau bekommt ein Baby, beeil dich endlich!“ Der junge Mann zischte und machte, dass er davon kam, worauf seine Mutter wieder zurück in die Stube rannte. Sie lehnte die Tür an und von drinnen kam Leyyas Schrei, gleichzeitig ertönte ein grollender Donner. Puran schauderte und strauchelte etwas, ehe er an dem alten Mann vorbei zur Haustür torkelte.

„I-ich muss hinaus, ich muss diesen Himmelszorn besänftigen…!“, stöhnte er, „M-meine Frau kann doch bei diesem Lärm kein Baby gebären…!“

„Wartet, Ihr wollt da hinaus in das Mistwetter?“, wunderte der Alte sich, „Wartet, Herr! – Beruhigt Euch, meine Frau hat schon vielen geholfen, Babys zu gebären, Eurer Frau wird nichts geschehen… ach, wartet doch…“ Als Puran nicht auf ihn hörte, folgte der Alte ihm rasch hinaus vor die Haustür in die Kälte. Es goss aus Kübeln, was die Schaulustigen offenbar veranlasst hatte, sich wieder zurückzuziehen. Abgesehen von dem Sohn der beiden Alten, der gerade die Straße wieder herauf kam, ihm folgten ein anderer alter Mann und eine junge Frau. Der ältere Mann blieb aber auf der Straße stehen und kehrte dann wieder um, während die beiden Jüngeren das Haus erreichten. Die Frau musterte Puran kurz, nickte ihm und dem Alten hinter ihm dann höflich zu und eilte gefolgt von dem jungen Mann ins Haus. Letzterer kam aber schnell wieder heraus und dann standen sie zu dritt vor dem Haus im Regen. Ein Donnergrollen ließ Puran zusammenfahren und empor sehen in die schwarzen Wolken. Die Nacht war bereits herein gebrochen.

„Vergebt den Überfall…“, stammelte er dann neben sich in Richtung der beiden Dorfmänner, „Wir sind unterwegs nach Senjo und plötzlich hat sie die Wehen bekommen-… ich hoffe, wir belästigen euch nicht zu sehr…“

„Ach, nun mal die Ruhe.“, lachte der Alte, „Wir sind doch keine Unmenschen! Ihr braucht Hilfe und wir geben sie gerne, wenn wir können. Deine Frau ist sehr tapfer, glaube ich. Chitra ist eine gute Heilerin, sie hat schon viele Babys von anderen Frauen auf die Welt gebracht.“ Puran nickte nur nervös und fuhr abermals zusammen, als der Himmel wieder grollte. Drinnen hörte er seine Frau aufschreiend, dazwischen die beruhigenden Stimmen der Dorffrauen, die sich um sie kümmerten.

Der alte Mann neigte vor Puran den Kopf.

„Mein Name ist Chata Anso. Ich bin der Verwalter von Lorana, das ist das Dorf, in dem wir gerade stehen. Das hier ist mein ältester Sohn, Mujak.“ Er nickte zu dem jüngeren Mann herüber, der ebenfalls den Kopf neigte. Puran verneigte sich gestresst ebenfalls.

„Puran Lyra.“, entgegnete er kurz angebunden, und beim nächsten Donner fuhr er empört herum. „Verflucht, Vater Himmel! Jetzt reicht es aber mal mit dem Getöse! Hast du ein Problem?! Dann sprich mit mir, du Narr, mildere endlich deinen unnötigen Zorn!“ Er riss die Arme in den Himmel hinauf und von oben krachte es abermals, als ein gewaltiger Wind durch das Dorf fegte. Die beiden Dorfmänner starrten erst sich gegenseitig, dann den Fremden an.

„W-was im Namen aller-…?!“, japste der Jüngere, und sein Vater hielt ihn fest, als er schon vortreten wollte. Der Wind flaute wieder ab und nach einem weiteren Donnern und einem beunruhigenden Wetterleuchten im Himmel wurde der Regen schwächer.

„Ihr seid Schamane…“, stellte das Dorfoberhaupt richtig fest, als Puran sich nervös die Haare zu raufen begann und vor den beiden auf und ab ging. „Ihr könnt den Geistern des Himmels befehlen…“ Der Magier seufzte unruhig.

„Ja, das ist wahr…“ Ein weiteres Schreien seiner Gattin von drinnen ließ ihn wieder zusammenfahren, stärker als es der Donner getan hatte. Er hörte die Worte der Dorfmänner nicht mehr, alles, was er wahrnahm, war Leyyas Schreien und das Zischen der Geister in seinem Kopf.

„Fürchtest du um ihr Leben, hm?“, spotteten sie kichernd, „Du solltest zu dem stehen, was du anrichtest, wenn du deine Frau in so jungem Alter schwanger machst, du Idiot.“

Ja, das wusste er. Das half ihm nicht weiter.

Ruhe!, zischte er empört, Ja, ich fürchte um sie, ich weiß, dass es ein Fehler war…

„War es das wirklich?“, fragten die Geister und er blieb stehen, als er an den Traum dachte, über den er mit seiner Mutter gestritten hatte. Er hatte befürchtet, sein Kind wäre eine Reinkarnation von Kelars Geist… seine Mutter hatte etwas anderes gesagt. Der bloße Gedanke an das, was passieren würde, wenn er doch recht behielt, verschaffte ihm derartige Übelkeit, dass er taumelte. Er spürte, wie einer der beiden Männer seinen Arm ergriff, um ihn davor zu bewahren, umzufallen, und er strauchelte erneut.

„Bitte, Geister der Mutter Erde… Geister der Frauen und der Geburt, ich flehe euch an… helft… m-meiner Leyya… macht aus dem Baby ein gutes Kind…“, stammelte er apathisch, er erntete ein dumpfes Grollen von oben, sehr viel leiser als die vorigen. Er wusste nicht, ob die Erdgeister auf ihn gehört hatten. Er kam sich vor als stünde er wie so oft in seinen Träumen in der Finsternis, und um ihn herum war nur Leyyas schmerzerfülltes Schreien.
 

Er wusste nicht, wie lange er schon im Dunkeln stand und das Schreien mit anhörte, wie lange er schon versuchte, die Geister darum zu bitten, ihren Zorn zu mildern – als er das Gefühl für seine Umgebung zurück bekam, waren der Regen und der Sturm wieder stärker geworden, aber das Grollen hatte nachgelassen. In dem Moment, in dem er Leyya zum letzten Mal schreien hörte, erklang auch zum ersten Mal in dieser Nacht der Schrei eines Neugeborenen.

Die beiden Dorfmänner fuhren zuerst herum, als Puran noch dabei war, zu registrieren, was er da hörte.

„Das Baby ist da!“, freute sich der Alte sofort, „Na, das hat aber lange gedauert! Lieber Himmel, die Nacht ist ja halb um!“

„Hey, aufwachen, Fremder, dein Kind ist da!“, lachte der Jüngere ebenfalls und Puran fuhr japsend herum und wurde weiß, als er es wieder hörte – das laute, kräftige Schreien eines Babys.

„Es ist da…“, stotterte er perplex, und plötzlich verließen ihn seine Kräfte und er taumelte vorwärts, wäre beinahe über die Türschwelle gestolpert, wenn der Alte ihn nicht festgehalten hätte. „Mein Kind… ist da!“, wiederholte er dann immer noch fassungslos, und als der Schrecken von ihm abbröckelte wie tote Haut, befreite er sich schnell aus dem Griff des Mannes und stolperte wieder ins Haus. „Leyya!“, rief er dabei und hatte vor Aufregung kaum Stimme, während er dem Geschrei des Kindes immer näher kam, „L-Leyya, mein Liebes, b-bist du wohlauf?!“ Er hörte seine Frau hinter der Tür heulen.

„Du bist Vater, mein Liebster… d-du bist Vater des niedlichsten Babys der Welt, Puran!“ Er wusste gar nicht, wie ihm geschah, da öffnete sich die Stubentür vor ihm und heraus kam die junge Heilerin, die Mujak zuvor heran geschleppt hatte. Sie lächelte, als sie ihm plötzlich gegenüber stand, und verneigte sich leicht, ihre Hände in einem Tuch vergrabend, das sie hielt.

„Eure Frau hat eben einen gesunden Jungen zur Welt gebracht, Herr.“, verkündete sie guter Laune, „Meinen Glückwunsch, es ist ein wunderbares Baby, und es schreit aus den gesündesten Lungen der Welt, wie man hört.“ Sie lachte leise und Puran taumelte jetzt zur Seite. Chata Anso und sein Sohn kamen ebenfalls herein und letzterer schenkte der Heilerin einen kurzen Blick.

„Ein männliches Kind? Na, so ein Glückspilz.“, grinste er, dann wurde er lauter und rief in Richtung Stube: „Wie lange soll der arme Kerl denn noch hier herum torkeln wie ein besoffener Biber?!“ Sein Vater lachte und als die Tür wieder aufging, kam die alte Frau heraus und strahlte über das ganze Gesicht. Kurzer Hand fiel sie Puran um den Hals und er hustete erschrocken über die offensive Gestik. Was war das denn, er kannte sie doch gar nicht…

„Alles Gute, deiner Frau geht es wunderbar, dem Baby auch! Du kannst jetzt zu ihnen, Fremder, aber sei behutsam, beide sind sehr erschöpft. Es war eine anstrengende Geburt, nicht ganz ungefährlich bei einer so kleinen und zierlichen Frau…“ Sie machte ein besorgtes Gesicht. „Aber deine Frau war sehr tapfer und hat durchgehalten. Na los, geh zu ihr, sie wartet schon auf dich!“ Damit schob sie den immer noch entsetzt starrenden Puran in Richtung Stube und durch die jetzt offene Tür.

Die Tochter der alten Ansos öffnete gerade das Fenster, um frische Luft in den stickigen Raum zu lassen. Auf dem Sofa lag in ein Laken gewickelt und mit dem Fell eines Rehs bedeckt Leyya. Sie sah zu ihm auf, als er vor dem Sofa stand, und schenkte ihm ein erschöpftes, glückliches Lächeln. Das Schreien des Babys war verstummt; und als Puran sich neben Leyyas Kopf vor das Sofa hockte, blickte er zum ersten Mal in das Gesicht seines Sohnes, des winzigen, nackten Wesens, das seine Frau auf ihrem Bauch liegen hatte. Es war ebenfalls gewaschen und in ein Tuch gehüllt worden, jetzt lag es auf dem noch etwas aufgeblähten Bauch seiner Mutter und ruhte sich aus. Auf seinem Köpfchen war ein Flaum dunkler Haare.

„Ist das nicht… das wunderschönste Baby der ganzen Welt?“, wisperte Leyya und wagte kaum, lauter zu sprechen, aus Angst, sie könnte das Kleine damit zerstören. Sie hob müde eine Hand und streichelte sanft das winzige Kind, das sich darauf ganz leicht bewegte. Die Frau schluchzte, als eine weitere Welle der schönsten Gefühle der Welt sie übermannte und wegzuspülen drohte. „I-ich… ich bin… so glücklich, Puran… ich bin so dermaßen glücklich, i-ich kann… nur noch weinen!“ Und sie weinte und strahlte dabei vor Freude, als er sich zu ihr herüber lehnte und auch eine Hand hob, um seinerseits seine Frau zu streicheln. Er küsste ihre Wange und zitterte, als er seine Augen kaum von dem Baby lassen konnte, das einfach nur da lag und atmete.

Das war sein Sohn. Es war das Kind von ihm und Leyya, ein neues, winziges Leben. Und er liebte es vom ersten Moment seines Lebens an von ganzem Herzen, so sehr, wie ein Vater sein Kind nur lieben konnte.

„Du bist so tapfer, meine Leyya.“, flüsterte er und lächelte gerührt über ihre Tränen; in Wahrheit musste er sich beherrschen, um nicht mitzuheulen. Leyya wischte sich mit der freien Hand die Augen.

„Nimm ihn.“, forderte sie ihren Mann strahlend auf, „Halte ihn und zeige ihm, dass du da bist… der Lebensgeist des Kindes wird spüren, dass du sein Vater bist, so, wie er gespürt hat, dass ich seine Mutter bin…“ Puran wagte kaum, das Kind hochzuheben, er hatte Angst, zu sehr zuzudrücken und es zu zerquetschen; ganz behutsam hob er das winzige Baby vom Bauch seiner Frau und nahm es auf seine eigenen Arme. Das Baby bewegte sich. Dann öffnete es blinzelnd zum ersten Mal die Augen, nur einen winzigen Spalt weit, aber Puran spürte, dass es ihn ansah. Es konnte vermutlich eigentlich noch gar nicht richtig gucken, aber sein Geist konnte es. Als er die Augen seines Sohnes zum ersten Mal sah, fiel jede Panik, er könnte irgendetwas mit seinem Großvater zu tun haben, von ihm ab. Dieses Kind konnte unmöglich ein schlechtes Kind sein.

Seine Mutter hatte recht gehabt. Es war ein gutes, gesundes Kind.

„Wie soll es heißen?“, fragte Leyya lächelnd, „Es braucht einen Namen, einen… Lebensgeist.“ Puran sah erst das Baby, dann sie an und gab es ihr schließlich zurück, als es abgehackte, wimmernde Laute von sich zu geben begann. Als Leyya es wieder auf ihren Bauch legte, suchte es mit seinem winzigen Mund nach ihrer Brust, und mit einem liebevollen Lächeln rückte sie sich etwas auf dem Sofa zurecht, bevor sie das Laken von ihrem Oberkörper zog und dem Kleinen zum ersten Mal die Brust gab. Es begann sofort gierig zu trinken und die Frau sah wieder zu ihrem Mann. Der senkte den Kopf.

„Ich würde mir wünschen… dass du ihm einen Namen gibst, Leyya. Mein erster Gedanke wäre gewesen… ihn nach meinem Vater zu benennen. Es wäre eine Ehre für jeden Jungen, diesen Namen zu bekommen… aber… was macht meine Mutter im Geisterreich, wenn mein Vater schon wieder in unserer Welt weilt…? Mein Instinkt sagt mir, dass du ihm einen Namen geben sollst.“ Leyya sah ihn zunächst groß an. Das war eine große Ehre. Normalerweise war es Sache des Mannes, das Kind – vor allem den erstgeborenen Sohn – zu benennen. Dass er ihr diese ehrenvolle Arbeit überließ, machte sie sehr stolz. Die Frau sah auf das trinkende Baby und lächelte es an.

„Deine Mutter hat gesagt, ich würde einen Sohn bekommen.“, sagte sie dann. „Ich habe mir Gedanken gemacht, welche Namen außer dem deines Vaters noch eine Ehre für dieses Baby wären… es ist dein erstgeborener Sohn. Er… verdient einen wundervollen Namen.“ Puran sah sie gespannt an, als sie kurz pausierte, dann hob sie das Gesicht wieder und sprach den Namen glückselig aus. „Karana. Unser Sohn soll Karana heißen.“ Als sie einen verblüfften Blick ihres Mannes erntete, der das wohl nicht erwartet hatte, erläuterte sie ihre Wahl. „Karana war der tapferste aller Jungen in ganz Kadoh für mich. Ein Junge, der… viel zu früh gestorben ist… und er starb, als er mein Leben beschützte. Ohne diesen tapferen Jungen wäre… ich heute nicht hier. Mein erstgeborener Sohn verdient die Ehre, diesen wunderbaren Namen zu tragen… möge er einmal genauso tapfer und mutig sein wie der Junge, dem ich begegnet bin.“ Puran sagte nichts dazu. Er lächelte sie nur an mit einem warmen Lächeln voller Liebe und Zuneigung, sowohl für die Frau wie auch für das Kind.

„Karana.“, wiederholte er und strich dabei über den Kopf des Sohnes, „Das ist ein wunderschöner Name. Ich nehme das Leben dieses meinen Sohnes an. Ich wünsche mir, dass sein Lebensgeist ihm Stärke und Glück bringen wird.“
 

Er hatte kaum ausgesprochen, da öffnete sich vorsichtig die Tür, herein kam die alte Frau. Während Puran zu seiner Frau gegangen war, hatten alle anderen das Zimmer verlassen, um ihnen etwas Ruhe zu gönnen.

„Entschuldige, dass ich störe.“, flüsterte sie, „Aber es gibt noch etwas zu klären; wollt ihr hier bei uns schlafen, Fremde? Wir können noch eine Matte herein bringen, auf der dein Mann schlafen kann, du darfst auf dem Sofa liegen. Ihr solltet euch ausschlafen und zur Ruhe kommen… das Gewitter scheint auch vorüber zu sein.“ Sie lächelte gutmütig und Puran erhob sich rasch.

„Das ist eine große Ehre für uns.“, sagte er mit einer tiefen Verneigung, „Würdet Ihr das wirklich zulassen? Ich wäre sehr dankbar für diese liebevolle Hilfe, gute Frau… ich weiß gar nicht, wie ich Euch danken kann. Es tut mir leid, dass wir Euch in der Nacht so gestört haben…“

„Ach was!“, winkte die Alte ab, „Es gibt ein neues Leben im Dorf! Das ist ein Grund zur Freude!“ Sie lachte glücklich und Leyya strahlte über die Freundlichkeit. „Keine Sorge, ich hole euch die Matte, ruht euch nur aus! Morgen schauen wir mal, wie es weitergeht.“ Sie wollte gehen, doch Puran ergriff sie schnell vorsichtig am Arm, sodass sie ihn erstaunt anblickte. Er sah ihr dankbar in das runzlige Gesicht.

„Ihr… seid sehr, sehr gute Menschen.“, sagte er leise. „Mögen die Geister Euer Dorf mit Glück und Wohlstand segnen. Es ist nicht selbstverständlich so etwas für Fremde zu tun, jedenfalls nicht da, wo ich herkomme. Ich danke Euch wirklich… aus tiefstem Herzen.“ Er verneigte sich erneut und die Frau machte ein freundliches Gesicht.

„Nicht doch, junger Mann.“, wies sie ihn zurecht, „Wir tun nur, was wir können. Wäre die Welt nicht schöner, wenn alle so handelten?“

„Ja… das wäre sie wirklich. Habt Dank, gute Frau, es soll euch tausendfach vergolten werden, sobald es möglich ist.“
 

Die Nacht wurde ruhiger. Der Sturm war vorüber, als Leyya sich vorsichtig vom Sofa schob und es irgendwie schaffte, zu ihrem Mann auf die Matte zu kommen, um sich mit dem kleinen Baby an ihn zu kuscheln. Zu zweit war es etwas eng, aber sie kamen zurecht und Leyya hatte sich nach der zärtlichen Umarmung gesehnt, die sie jetzt bekam. Während Puran ihren Hinterkopf streichelte, schlief sie neben ihm ein; er selbst fand erst Schlaf, als der Morgen graute, und der wurde bald unterbrochen, weil sein neugeborenes Baby in Leyyas Armen zu plärren begann.

Dem Unwetter des vergangenen Tages folgte trotz des fortgeschrittenen Jahres und des baldigen Winters ein strahlender Sonnenschein. Während die alte Frau Leyya in der Stube dabei half, das Baby zu wickeln, und ihr Tipps gab, wie man es am schnellsten und einfachsten machte, war der Herr der Geister dem alten Mann des Hauses dankbar für eine Tasse Kaffee und ein Stück Brot.

„Woher seid Ihr, wenn ich fragen darf?“, fragte der alte Chata Anso ihn dabei, während er mit ihm in der Küche saß und seine Tochter im Hintergrund Tee aufsetzte. „Ihr sprecht einen eigenartigen Dialekt, wenn ich das so sagen darf.“ Auf ganz Tharr wurde dieselbe Sprache gelehrt, bis auf die Gegenden, die nicht wirklich der Zivilisation angehörten, beherrschten alle Menschen die Einheitssprache. Sie war über viele Jahrhunderte hinweg durchgesetzt worden. Aber jede Region hatte ihre Eigenheiten, ihren eigenen, speziellen Wortlaut und Wortschatz, daher erkannte man immer schnell, ob jemand von weit weg kam. Puran seufzte kurz.

„Jetzt gerade kommen wir aus Vialla, ich bin aber in Dokahsan geboren und meine Frau in Anthurien.“

„Oh! Das ist wahrlich ganz das andere Ende des Landes, quasi… das ist ja eine weite Reise, die ihr hinter euch habt. Wohin soll es denn gehen?“

„Wir… sind auf dem Weg nach Yuron, wobei das noch gar nicht hundertprozentig sicher ist… wir suchen nur einen Ort, an dem wir bleiben können. Na ja, jetzt ist das… ja so eine Sache…“ Er machte eine verlegene Pause, in der er einen großen Schluck Kaffee trank. „Meine Frau liegt jetzt im Wochenbett, ich denke, es wird etwas dauern, bis sie wieder reisen kann, oder?“ Der alte Mann hatte davon auch keine Ahnung und sah nur blöd seine Tochter an. Die lachte nervös.

„Vati, ich habe doch selbst noch keine Kinder gehabt, frag Mutti!“ Dann kam sie mit einem Tablett mit Teekanne und Tassen an ihnen vorbei und verschwand aus der Küche, um das Getränk ihrer Mutter und der jungen Frau aus dem Norden zu bringen. Puran und Chata Anso blieben in der Küche zurück.

„Nun.“, sagte letzterer dann lächelnd, „Ich denke, bis Eure Frau das Wochenbett überwunden hat und kräftig genug ist für eine Reise, könnt ihr problemlos hier bleiben, wenn ihr möchtet. Wir haben ein Zimmer, in dem könntet ihr wohnen, wir brauchen es gerade nicht; das Zimmer, das mal Mujak gehörte, er ist ja schon verheiratet und wohnt nicht mehr bei uns.“ Der Jüngere hustete, weil er sich an seinem Kaffee verschluckt hatte.

„Das wäre wirklich möglich? Du liebe Zeit, ich – würde jetzt gerne sagen, ich könnte es nicht annehmen, aber… ich fürchte, meine Frau braucht diese Ruhe wirklich-… was kann ich für euch tun, guter Mann, um euch zu entschädigen?“

„Ihr müsst doch nichts tun!“, lachte der Mann amüsiert, „Es ist doch eine Ehre für uns, netten Menschen helfen zu können. Ich möchte mich auch nicht aufdrängen, nicht, dass Ihr Euch ein schlechtes Gewissen macht… es ist nur ein Angebot.“

„Aber irgendetwas muss ich doch machen können-… ich bin ein passabler Jäger, vielleicht kann ich da irgendwie helfen…“

„Ah, na, wenn Ihr so darauf besteht, wendet Euch an Mujak, er ist der beste Jäger des Dorfes, er führt die Truppe an, wenn es etwas zu jagen gibt. Er freut sich immer über fähige Unterstützung. Aber Ihr müsst wirklich nicht, kümmert Euch lieber um Eure Frau und Euren kleinen Sohn. Aber Ihr könntet uns etwas über das Land erzählen, aus dem Ihr kommt. In Dokahsan war ich noch nie… da muss es furchtbar kalt sein im Winter! Hier ist der Hungermond auch mitunter sehr zäh und furchtbar…“ Puran gluckste.

„Na ja, ja, es ist viel kälter als hier, stimmt, aber ich persönlich bin mehr die Kälte gewohnt und komme mit der Hitze hier unten nicht gut klar… so ist jeder was andere gewohnt.“

„In Dokahsan wohnen die meisten Schamanen, heißt es.“, fuhr Chata Anso fort, während er aufstand und sich auch eine Tasse Kaffee einschenkte. „Hier in Thalurien gibt es auch eine ganze Menge – Chitra seid Ihr ja gestern begegnet. Sie gehört zum Sagal-Clan, habt Ihr den Namen im Norden gehört?“ Puran schüttelte den Kopf; seine Mutter hätte das vielleicht, sie war doch diejenige mit den Clanstammbäumen gewesen… „Nun, wie auch immer, hier unten in Thalurien sind sie sehr einflussreiche Leute. Ich bin quasi nur das offizielle Oberhaupt von Lorana. Chitras Vater, das Oberhaupt der Sagal, regelt hier alles, was mit höheren Instanzen zu tun hat. Die Familie ist sehr groß und überall im ganzen Kreis und teilweise auch außerhalb verteilt, sie haben überall Beziehungen in jeder Schicht der Provinz. Der alte Sagal ist immer noch etwas jünger als ich, aber er ist ein weiser Mann mit viel Ahnung. Vielleicht ist es gut, wenn Ihr Euch ihm einmal vorstellt, wenn ihr ein wenig bleiben wollt. Er wird gewiss nichts dagegen haben, er misstraut nur Geheimniskrämern, die ihren Mund nicht aufbekommen.“

„Ja, dann wäre es vielleicht gut, wenn ich mal mit dem Mann spräche.“

„Wenn Ihr wollt, kann ich Euch nachher hinbringen, dann können wir gleich bei Mujak vorbei gehen und ihn wegen des Jagens fragen.“ Der Alte war ganz begeistert und Puran musste leise lachen.

„Nun mal langsam, Ihr tut ja, als würden wir einziehen wollen…“
 

„Oh!“, rief Leyya erfreut und hätte beinahe vor Aufregung ihren Tee verschüttet, „Wir können hier bleiben? Das… das wäre so furchtbar nett! Ich weiß gar nicht, wie wir den Leuten hier danken sollen…“ Sie errötete und Puran strich ihr über den Kopf. Er saß bei ihr auf der Matte, auf der sie in der Stube lag, durch einen Stapel Kissen soweit aufgerichtet, dass sie trinken konnte. Für das Baby hatte man ein Körbchen besorgt, in dem es jetzt schlief. Der Herr der Geister hatte seiner Frau gerade erzählt, was er mit Chata Anso besprochen hatte, und sie war jetzt ganz aus dem Häuschen. „Das ist wirklich lieb… was für gute Menschen hier wohnen.“ Er lächelte, beugte sich herüber und küsste ihre Wange.

„Es ist Glück, dass wir hier gelandet sind. Da sind die Geister sehr gnädig mit uns gewesen… ich werde mich nachher einmal bei den Mächten der Schöpfung bedanken für das Glück… dass du dich ausruhen und das kleine Baby wachsen kann.“ Er räusperte sich. „Ich werde nachher mit dem Hausherren zu dem Mann gehen, der hier das Sagen zu haben scheint, damit er weiß, dass wir eine Weile hier sind. Du sollst dich ruhig so lange ausruhe, bis es dir besser geht, die Reise nach Yuron ist weit-… wer weiß, wie viele Zuyyaner da wieder herum irren.“
 

Das Haus der Sagals war teilweise aus Stein, teilweise aus Holz gebaut und musste eines der ältesten im Dorf sein. Es machte einen ordentlichen und ehrerbietenden Eindruck, gerade so, dass man genau ahnen konnte, dass der Inhaber des Hauses ein bedeutender Mann sein musste. Dasan Sagal war ein Mann mittleren Alters, er musste etwas älter als Tabari es jetzt wäre sein, dachte Puran sich, als er vor dem Mann den Kopf neigte – er hatte ihn am vergangenen Abend gesehen, als Mujak und Chitra zusammen mit ihm in Richtung des Hauses gekommen waren, der Mann aber dann zurückgeblieben war. Jetzt stand er auf der Veranda des Hauses vor der geöffneten Haustür und beobachtete seine beiden Besucher kurz. Als Puran zum Sprechen ansetzte, hob er die Hand, um ihn aufzuhalten.

„Sagt nichts. Ich weiß, wer Ihr seid. Kommt herein.“ Mehr sprach er nicht, er trat nur zur Seite und ließ Chata Anso und Puran passieren, hinter ihnen schloss er die Haustür wieder und rieb sich die Hände. Als er dann den Gästen voraus in die besser geheizte Küche schritt, fiel Puran auf, dass er ein Bein nachzog und etwas hinkte. In der Küche wartete Chitra, die Heilerin, bereits mit gefüllten Teetassen. Puran sah sie nur blöd an und Dasan Sagal erriet seine Frage, bevor er sie aussprechen konnte. „Ich habe gewusst, ihr würdet heute kommen. Deshalb habe ich Chitra gesagt, sie solle Tee machen. Setzt euch doch.“ Er setzte sich selbst und die Gäste taten es ihm gehorsam gleich. Chitra begrüßte beide Männer und schenkte dann allen Tee ein, ehe sie sich auch wieder setzte, neben ihren Vater.

„Ich verstehe.“, murmelte Puran mehr für sich, „Ihr seid Telepath, dann ist es kein Wunder.“ Der Mann unterbrach sein Gemurmel.

„Herzlichen Glückwunsch zum gesunden Sohn, das zu Anfang. Ihr habt es schon gehört, aber ich stelle mich noch einmal vor, mein Name ist Dasan Sagal, ich bin der Kopf meiner Familie und einer der Restlichen, die hier noch wohnen. Meine jüngste Tochter Chitra habt Ihr schon gesehen.“

„Ich fühle mich außerordentlich geehrt, Herr.“, sagte Puran mit einer weiteren Kopfneigung und Chata Anso gluckste über so viel Förmlichkeit.

„Nicht doch.“, widersprach der Telepath im Tee trinken, „Uns sollte es eine größere Ehre sein, Puran Lyra, Sohn des Windmeisters und der Schattenkönigin aus dem nördlichen Land. – Oh, Chata, mein Freund, du hast keine Ahnung, neben wem du sitzt.“

„Was?“, machte der jetzt verblüfft und Puran erstarrte. Moment, Telepath hin oder her, das wusste der alles?

„Herr, ich bitte doch-…“, begann er kleinlaut, aber Dasan Sagal redet weiter.

„Nicht so förmlich, alles ist gut. Die Geister haben mir schon vor Eurer Ankunft gesagt, Ihr würdet kommen. Ich habe gewusst, es würde ein Unwetter kommen und mit ihm zwei Fremde. Und dann kam Mujak und rief nach meiner Tochter. – Wisst Ihr, wenn man so viele Leute in ganz Thalurien kennt, hört man einiges. Eure Mutter ist vor kurzem noch in der Provinzhauptstadt Taiduhr gewesen, sie war im Antiquariat meines Großonkels. Ich habe… von ihrem Ableben gehört, ich bedaure Euren Verlust.“ Jetzt senkte er kurz den Kopf und Puran war zu verdattert darüber, was der alles wusste, um etwas sage zu können. Dasan Sagal wandte sich an Chata Anso.

„Puran Lyra ist nicht nur irgendein Schamane, er ist Vorsteher des obersten Gremiums der Schwarzmagier, des Rates der Geisterjäger. Der Mann, neben dem du sitzt und dessen Frau in deinem Haus gestern ein Kind geboren hat, ist niemand Geringeres als der Herr der Geister, der oberste Vertreter der Mächte der Schöpfung in diesem Umkreis.“

Puran hüstelte verlegen.

„Ihr macht mich verlegen.“, brummte er nur, als Chata Anso ihn verblüfft anstarrte.

„Moment!“, machte der dann, „Sowas wie… das Oberhaupt der Schwarzmagier dann, sozusagen?“

„Sozusagen, ja, jedenfalls ein Mann von Rang und Ehre. Der Lyra-Clan, aus dem er stammt, ist einer der ältesten, ehrwürdigsten und begabtesten Clans des ganzen Zentrums. Aber das ist nicht alles, wir dürfen ja Eure Frau nicht vergessen.“ Er trank in aller Ruhe Tee und Puran errötete beschämt über die ganze Ehre, die ihm zuteil wurde; das hatte er nun wirklich nicht beabsichtigt, hier alle in Aufruhr zu versetzen… vielleicht war es schlecht, wenn bald ganz Thalurien wusste, dass er hier war; dann würde Ulan Manha ihn auch finden.

„Was ist mit der Frau?“, wollte Chata Anso wissen und Puran hielt es für klug, jetzt selbst zu sprechen.

„Leyya ist Heilerin, sie ist auch Mitglied des obersten Heilerrates und stammt aus einer ebenfalls ehrwürdigen Heilerfamilie, soweit ich weiß, der Bao-Familie.“ Er wandte sich rasch an Dasan Sagal und versuchte irgendwie mit Blicken zu verhindern, dass er jetzt die ganze Lebensgeschichte seiner Familie auftischte; es war nicht gut, wenn es alle wussten. Der Telepath schien seine Gedanken zu verstehen, denn er wechselte jetzt etwas ungalant das Thema.

„Eure Frau wird sicher sechs Wochen im Wochenbett liegen; es dauert seine Zeit, bis man nach einer Geburt wieder fähig für lange Reisen ist. In sechs Wochen ist der Hungermond schon fast da. Ich möchte mich nicht aufdrängen, Herr, aber im Mittwinter zu reisen erscheint mir äußerst unpraktisch, zumal Ihr ein Baby bei Euch habt… vielleicht wäre es besser, wenn Ihr den Winter hier verbrächtet.“ Puran hustete.

„Was? Aber – aber, wir können doch nicht wie Kuckuckskinder in einem fremden Nest wohnen, einfach so, auf Kosten anderer…“

„Ich denke, Ihr wolltet jagen? Ich denke nicht, dass das ein Problem ist. Natürlich nur, wenn Ihr es wünscht. Ich bin sicher, Chata und seine Frau würden sich geehrt fühlen.“

„N-natürlich würden wir das – und selbst, wenn nicht, es ist tödlich, im Hungermond in Kamien herum zu irren… die Gegend ist so schon nicht ganz ungefährlich, aber im Hungermond sind da nicht nur die Menschen die Raubtiere.“ Puran senkte verlegen den Kopf. Was sollte er machen? Es war ein vernünftiges und vor allem großzügiges Angebot… für Leyya und das Kind wäre es gut. Der Hungermond war nicht mehr fern… daran hatte er nicht gedacht.

Er hob das Gesicht verdutzt wieder, als Dasan Sagal sich plötzlich etwas schwerfällig mit seinem Hinkebein erhob.

„Chitra, schenke doch Chata Tee nach. Ich würde mir wünschen, für einen Moment mit dem Herrn der Geister unter vier Augen sprechen zu können… es gibt da Dinge, die er vermutlich gerne erfahren würde.“ Chitra holte sofort die Kanne, während Puran sich nach einer Verneigung vor Chata Anso und ihr erhob und dem hinkenden Mann aus dem Raum folgte. Er führte ihn in die Wohnstube, auf deren Boden ein edler, verzierter Teppich lag. Puran fragte sich, woher der wohl kommen mochte, als Dasan Sagal die Tür hinter sich schloss.

„Der Teppich ist aus Adadru.“, erriet der Telepath wiederum seine Gedanken und Puran fuhr auf.

„Was? Oh… ja… ähm, hübsch.“ Adadru? Das war wahrlich weit weg. Fann, soweit er wusste, das Land der Irren, wie es hieß. Fann war ein Ort, den man grundsätzlich eher mied und der nur Geheimnisse barg. „Nun… was wolltet Ihr mit mir besprechen?“, lenkte er dann auf das Thema zurück, dabei beobachtete er Dasan Sagal, der im Zimmer umher humpelte, langsam, aber ohne müde zu werden. Was wohl mit seinem Bein passiert war? Was der Mann dann sagte, ließ den Schwarzmagier aus allen Wolken fallen.

„Ich weiß, vor wem Ihr flieht. Ulan Manha, der Schlächter. Vor Zeiten bin ich ihm auch einmal begegnet. Er hat gefährliche Augen… dahinter ist vermutlich eine Seele, die so hässlich ist wie seine Visage hübsch ist. Ich habe davon geträumt vor nicht langer Zeit.“ Puran räusperte sich verhalten.

„Ihr… kennt ihn also? Was ist mit den anderen im Dorf? Wissen sie alle, wer das ist?“

„Nein, kaum. Chata vielleicht, er ist einer vom älteren Schlag. Die jungen Leute schert das alles nicht. Dabei ist es noch nicht so lange her, dass er die Einheit der Zuyyaner geschlachtet hat, es war nicht weit von hier. Und dann das Drama mit den Lianern; ich habe das Gefühl, das wird noch ein böses Nachspiel haben. Die Lianer sind bedauernswerte Leute, sie sind zu gutmütig, um sich wirklich zu wehren, und werden deswegen ganz sicher ein schweres Los ziehen. Man könnte denken, ich sollte es ihnen wünschen…“ Er klopfte sich auf das Bein, das er nachzog. „Das hier verdanke ich den Beschwörern. Hier an der Grenze werden sie noch mehr diskriminiert als sonst wo auf ganz Tharr, so denke ich, sie haben keine Rechte und versuchen zu kämpfen. Und dabei greifen sie meistens Leute an, die etwas mehr zu sagen haben, so bin ich auch eines Tages an der Reihe gewesen.“

„Verstehe… das tut mir leid.“

„Oh, keine Sorge, den armen Leuten sei vergeben, sie sind wirklich die größten Opfer dieser Welt, vielleicht habe ich diese Behinderung verdient.“ Er lachte kurz. „Was ich sagen wollte… ich bitte Euch im Namen der Geister, die zu mir sprachen, bleibt hier. Ihr sucht… Schutz für Eure Frau und Euer Kind, vor diesem Manha-Typen? In Kamien findet ihr den niemals. Und der Weg nach Yuron rauf ist sehr weit.“ Der Herr der Geister sah schweigend zum Fenster, während der Ältere weiter im Kreis ging und sich dabei am Kinn kratzte. „Ich habe… Verbindungen in ganz Thalurien. Die funktionieren wie ein Frühwarnsystem. Ulan Manha wird keinen Fuß unbeschadet durch diese Provinz tun, ich wage zu behaupten, dass Ihr hier in Lorana sicherer seid als irgendwo sonst in der Gegend.“

„Er hat einen Schattenkrieger.“, sagte Puran dunkel. „Henac Emo, der Verräter, steckt vermutlich mit ihm unter einer Decke. Er kann ihn und sich selbst unsichtbar und unbemerkbar machen, Herr… ich möchte Euer Dorf nicht in Gefahr bringen.“ Zu seiner Verblüffung lachte der alte Sagal.

„Ah… Emo, der Schattenkrieger. Nun, dann soll er das versuchen. Die Emos mögen ein ehrenwerter, mächtiger Clan im Norden sein. Der Clan der Sagal ist der mächtigste Clan hier im Westen. Wir sind so gut wie keine Schwarzmagier, aber ich denke, dass Telepathen für unsichtbare Leute gefährlichere Gegner sind als Schwarzmagier es je sein könnten. Ihr müsst Euch nicht sorgen. – Ich möchte Euch nicht zwingen, damit Ihr das versteht… ich möchte Euch raten.“ Er blieb vor Puran stehen und beide Männer sahen sich ernst ins Gesicht. Puran wusste, dass der alte Mann es wirklich ernst meinte, er meinte wirklich das, was er sagte, und nur das. Es ging hier nicht um zwielichtige Absichten… es ging um den Zusammenhalt eines Volkes gegen den gemeinsamen Feind.

Er verbeugte sich vor Dasan Sagal.

„Ich danke Euch demütigst für Eure Sorge…“, murmelte er dabei, „Ich würde mich… über alle Maßen geehrt fühlen, mit Euch im selben Dorf wohnen zu können.“

„Und ich denke, dieses Dorf wird meinen Ratschlag nicht bereuen. Es ist eine gute Sache… ich kann es spüren, tief in meinem Inneren, ohne ihm einen Namen geben zu können.“
 

Leyya schlief, als Puran am Abend zurück zu ihr kam. Sie wohnten jetzt in dem freien Zimmer im Haus der Ansos; es gab die Matte, eine Kommode, die die alte Frau Anso für sie leer geräumt hatte, damit sie ihre Sachen hinein tun konnten, und einen kleinen Tisch mit einem Schemel. Auf dem Tisch stand das Babykörbchen mit dem kleinen Karana, als Puran ins Zimmer kam, und seine Frau lag eingerollt auf der Matratze und schlief. Er lächelte, während er seinen schwarzen Umhang ablegte, begann, sich auszuziehen und nach dem Baby sah. Sein Söhnchen lag friedlich in dem Körbchen, fein zugedeckt, und störte sich an gar nichts.

„Träum was Schönes, Karanachen.“, flüsterte der Vater und wagte nicht, das Baby anzufassen, um es nicht aufzuwecken. Als er die Decke etwas mehr über Leyya ziehen wollte, seufzte sie leise, blinzelte und drehte sich dann um.

„Puran…?“

„Ach!“, zischte er, „Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken! Ich war extra ganz leise…“ Sie gähnte und rutschte zur Seite, sich zu ihm drehend, als er sich mit auf die Matte legte und sie sich zusammen unter die Decke kuschelten. Sie küssten sich sanft. „Tut mir leid…“

„Ach was.“, sagte sie leise, um das Baby nicht aufzuwecken, „Ich wollte gar nicht einschlafen… ich wollte auf dich warten, aber… ich war so müde… wie ist es dir ergangen? Hast du Neuigkeiten?“ Sie ließ ihn nicht antworten, legte nur zärtlich die Arme um seinen Nacken und gab ihm einen langen, tiefen Kuss. „Ich habe dich vermisst, Puranchen…“ Er lächelte.

„So lange war ich doch gar nicht weg… ja, ich… denke, ich habe einige Neuigkeiten. Ich möchte… da etwas sehr Wichtiges mit dir besprechen.“ Sie sah blinzelnd in sein Gesicht und fand eine ernste Miene.

„Was hast du…?“, wunderte sie sich sofort besorgt, doch er legte ihr einen Finger auf die Lippen.

„Es geht um… dieses Dorf hier. Ich habe das Angebot bekommen, dauerhaft hier zu bleiben… wenn du es auch möchtest. Ich habe mit dem Mann gesprochen, der hier in Lorana eigentlich die meisten Fäden zieht, ein Telepath namens Dasan Sagal. Ein höflicher, gebildeter Mann, er hat einen guten Eindruck auf mich gemacht. Er… wusste von Ulan Manha.“ Leyya starrte ihn an und er begann, ihre Haare zu streicheln. „Er… hat gesagt, hier in Thalurien wären wir sicherer als in Senjo. Außerdem sind wir dichter an Vialla, das… heißt für mich, dass es leichter wird, das Studium zu beenden und dass ich bald etwas Vernünftiges tun kann, womit wir Geld verdienen. Herr Sagal hat Beziehungen in der ganzen Provinz und kennt viele Leute, er hat gesagt, vielleicht kann er einen Draht nach Taiduhr und dem provinzialen Senat besorgen. Ich meine, das wäre eine sehr gute Sache… was sagst du?“ Die Frau keuchte.

„Wir… wir dürfen einfach so hier bleiben?“, fragte sie leise, „Wirklich? Das geht?“

„Ich denke schon. Ich denke, wir werden auf jeden Fall den Winter hier verbringen; bis dahin können wir uns endgültig entscheiden. Die Leute machen einen netten Eindruck, die Gegend ist angenehm und für ein Kind ist so eine ländliche Umgebung ein viel schönerer Ort zum Aufwachsen als eine große Stadt…“ Sie fing an zu lächeln.

„Deine Entscheidung ist längst gefallen, oder…?“, wisperte sie und strich sanft über seine Wange, „Du würdest das Angebot gerne annehmen, nicht?“

„Ich frage dich und deine Meinung ist mir sehr wichtig.“, widersprach er errötend, „Ja, ich würde gerne. Aber nicht, wenn du nicht willst.“ Sie kicherte, reckte sich und küsste seinen Mundwinkel, worauf er sie ansah.

„Ich möchte das auch, Puran… was du sagst, klingt vernünftig und gut… ich habe… ein angenehmes Gefühl in diesem Ort. Ich habe es gleich gespürt, als wir hergekommen sind… es hat sich… richtig angefühlt, oder? Die Geister haben uns hergebracht. Vielleicht wollen sie, dass wir hier bleiben.“ Ihr Mann seufzte leise und sie kuschelten sich dichter aneinander, die Arme um den jeweils anderen legend. Sie teilten einen weiteren Kuss. „Aber… wo sollen wir wohnen? Wir können die Ansos doch nicht unser Leben lang hier belasten…“

„Nein, ich weiß. Ich bin vorhin mit dem Alten durch das Dorf gegangen, oben neben dem Brunnen ist ein Platz, an den sicher ein kleines Häuschen passen würde. Die Leute sind so dermaßen hilfsbereit, sie wollen alle mithelfen, dann könnten wir uns bald ein Häuschen bauen… das Material müssen wir wohl in Raten abbezahlen, sobald es möglich ist. Die sind irgendwie sehr locker damit.“

„Materialmangel oder Geldprobleme scheint es ja nicht zu geben.“, bestätigte Leyya erstaunt und er gluckste.

„Ich glaube, das liegt an dem Kerl, Sagal. Er ist Telepath – er weiß, was ich denke. Er weiß, dass er mir vertrauen kann, und das beruht auf Gegenseitigkeit. Ich… habe auch ein gutes Gefühl.“

Leyya lächelte glücklich, als sie sich dichter in seine Arme kuschelte. Der Gedanke, in dem Dorf mit den freundlichen Menschen zu bleiben, gefiel ihr sehr. Es war der Geburtsort ihres erstgeborenen Sohnes… ein Ort für einen neuen Anfang.

Die Gedanken an die dunkle, traurige Vergangenheit, die sie zurückgelassen hatten, rückten in weite Ferne. Es wurde Zeit, dass in ihren Herzen Platz war für eine Zeit des Lichts. Sie würde hier beginnen, an diesem Ort, in diesem kleinen Zimmer auf der simplen Matte. Leyya spürte es tief in ihrem Inneren und es machte sie glücklich.
 


 

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Ja... langweiliges, kruzes Kapitel^^' Part sechs beginnt! <3



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Decken-Diebin
2010-05-27T18:18:15+00:00 27.05.2010 20:18
Wow, meine Apfelchips haben für das ganze Kapitel gereicht! ö.ö
Jedenfalls ein sehr süßes Kapitel, weil so viel Herz und Liebe <3 Und Karanachen ist da, ich find die Namenswahl so toll, jetzt, wo man die Hintergrundgeschichte kennt xD
Ich finde es irgendwie voll lustig, diese Vorstellung, dass sie sich in Senjo niederlassen hätten können... wenn ich so an die ganzen Spacken da denke xDD Irgendwie hat man durch die voll den schlechten Eindruck von Senjo xD
Ach, und ja, der Telepath hat auch gerult xD "Der Teppich ist aus Adadru."... oh man, der kriegt jede Kleinigkeit mit. Apropos Telepathen... was ist jetzt mit Sukutai und Alona? Die müssen auch noch wieder vorkommen! >.<
Von:  -Izumi-
2010-05-27T16:01:46+00:00 27.05.2010 18:01
Awww! So ein Herz-Kappi! *___*
Und ich hab schon wieder weinen müssen.... XDDDDD
Als Puran Karana zum ersten Mal hielt nämlich, ich fand das SO süß XD
*drop*
Ich mag Lorana ^///^ Zum Glück sind sie nicht nach Senjo gelatscht XDD
Und demnächst irgendwann kommt Simu *tanzt*
Der Anfang war so dramatisch óo
Musste ja gewittern, war klar XDD
Ich hab zuerst gar nicht erkannt, wer diese Leute sein sollen, doofes Baby XD
*drop*
Hach... und angenehme Länge <3
Ich fand den Telepath da so cool, ich bin jetzt Fan von dem <3+
So... mehr weiß ich grad nicht óo

Kurzes Kommi, ich weiß grad nicht mehr óo


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