Zum Inhalt der Seite

Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kreislauf

Karanas Eckzähne ähnelten denen seines Urgroßvaters sehr. Für Puran blieb es ein beunruhigendes Zeichen, ein schlechtes Omen, obwohl er versuchte, dagegen anzukämpfen. Es war, wie Alona gesagt hatte… er war Karanas Vater, es lag mit an ihm, auf welchem Weg sein Sohn eines Tages landen würde. Er musste nur dafür sorgen, dass es nicht der Weg eines Mannes war, dessen raubtierähnliche Eckzähne der Kleine geerbt hatte…

Die Gedanken ließen ihn trotz der Hitze schaudern, als er eiligen Schrittes durch die Hauptstadt Vialla marschierte, auf dem Weg zum Palast. Er würde zu spät kommen und die anderen im Rat würden sich königlich amüsieren… oh, wie er es hasste. Aber in Gedanken versunken hatte er einfach die Zeit vergessen. Der Sommer war gekommen. Er war schon beinahe wieder vorbei, aber in Thalurien wie in Vialla hielt die furchtbare Hitze immer noch an. Es war ein trockener Sommer mit wahnsinnig viel Sonne gewesen; Puran hatte gedacht, er würde sterben in dem Klima. Im Sommer sehnte er sich immer nach der angenehm frischen Temperatur in Dokahsan, nach seiner alten Heimat… den Rest des Jahres fühlte er sich wohl in Lorana. Nur im Sommer nicht, und er machte kein Geheimnis daraus. Seiner Frau und Karana schien es da besser zu gehen; vor allem Karana. Er war auch im Sommer quietschfidel gewesen, war im Dorf herum gerannt und gehüpft, egal, bei welcher Hitze. Er war im Süden geboren worden, vielleicht hatte er deswegen nicht so große Probleme mit der Hitze wie sein Vater…

So in Gedanken versunken erreichte der Mann schließlich den Palast und fuhr erschrocken zusammen, als ihm plötzlich jemand genau in den Weg sprang.

„Aha, da bist du ja endlich! Und wir haben uns schon gefragt, ob du vergessen hast, dass wir heute Rat halten müssen, Puran!“ Der Herr der Geister fasste sich keuchend an die Brust und schnaubte dann, ehe er dem Mann vor sich ins Gesicht sah.

„Himmel, Neron! Du Idiot, wieso erschreckst du mich so?! Wenn ich tot umfalle, müsst ihr in einem sehr langwierigen, anstrengenden Turnier einen neuen Herrn der Geister bestimmen, willst du das etwa schon wieder durchmachen müssen? Wobei, mir könnte es dann ja egal sein…“ Er seufzte, als hinter Neron auch Tare Kohdar, Senol Kita und Meoran dazu kamen. Der Rat der Geisterjäger war wirklich nicht mehr groß, fiel dem Jüngsten dabei auf und er räusperte sich verhalten, als die vier andere einander ansahen und dann synchron grinsten. Er hatte sie alle seit dem Frühjahr nicht mehr gesehen… viermal im Jahr sollten sich die obersten drei Räte der Schamanen in Vialla treffen, um zu besprechen, ob es etwas Wichtiges gab. Das Protokoll der Versammlungen ließ man dann dem König zukommen. Puran ärgerte sich immer, dass die Heiler ihren Rat nie gleichzeitig mit dem seinen abhielten, sondern immer um wenige Tage versetzt; so konnte er nie viel Zeit mit seiner Frau zusammen in der Stadt verbringen, wenn sie schon beide hier sein mussten. Sie wohnten dann für die wenigen Tage in Purans kleiner Stadtwohnung im Beamtenviertel; aber dass sie dort gleichzeitig waren, beschränkte sich meistens auf höchstens eine Nacht. So war Leyya einen Tag bevor er nach Vialla aufgebrochen war schon aus der Stadt abgereist und war jetzt wieder in Lorana – das Gute daran war, dass so immer jemand auf Karana aufpassen konnte. Wenn sie tatsächlich beide weg mussten, wurde das Kind vertrauensvoll Chata Anso und seiner Frau überlassen.

„Du siehst so fertig aus.“, grinste Neron da und der Braunhaarige schnaufte, „Ich dachte, deine Frau wäre schon früher hier gewesen…?“

„Diese Hitze.“, erinnerte Puran ihn, „Ich hasse sie, ich habe mich sehr beeilt, herzukommen, und es ist verdammt warm, grauenhaft!“

„Sehr beeilt, und dennoch zu spät.“, grinste Tare, „Mittag ist durch, die Sonne war schon im Zenit… aber was soll’s, du bist da.“

„Besser spät als nie.“, addierte Senol Kita und Neron hob theatralisch einen Zeigefinger.

„Wir haben noch etwas zu feiern, so denke ich, oder, Puran? Ach, verdammt, ich wollte getrocknete Blätter mitnehmen aus Skelrod und sie über dich werfen zur Feier des Tages… du Senator aus Thalurien!“ Jetzt begriff der Jüngere, was Neron feiern wollte, und er lachte blöd.

„Moment, woher weißt du, dass die Prüfungen durch sind…?“

„Meoran hat es erzählt.“, petzte der Schwarzhaarige, „Du hast ihm einen Brief geschrieben! Du hast also den Posten von Koreth gekriegt! Glückwunsch! Verdammt, dann wirst du jetzt ja ein richtig wichtiger Mann… und ich?! Du Held…“ Die anderen lachten und Puran ließ sich von seinen Kollegen und Kameraden die Hand geben, ehe er sich erneut räusperte und sie sich dann langsam auf den Weg zum Ratssaal machten, der für sie fünf Männer viel zu groß war.

„Das ist nett von euch, so viel Aufmerksamkeit wäre nicht nötig gewesen.“, murmelte der Ratsführer dann bescheiden, „Ich schätze, es gehört auch etwas Glück dazu…“

„Du hast die Leute eben von dir überzeugt.“, grinste Meoran, „Ich bin stolz auf dich. Wie macht sich denn deine neu errungene, ehrliche Arbeit?“

„Wieso betonst du ehrlich, Meister? – Nun, es ist… anstrengend. Der Papierkram macht Kopfschmerzen, Statistiken und so, aber eigentlich ist das noch besser als in der Provinz herum zu laufen, bei dieser Affenhitze! Und das im Mond der Irrlichter!“

Sie erreichten den Raum, in dem sie für gewöhnlich tagten, und setzten sich gemeinsam an den Tisch. Der Raum war stickig, deswegen öffnete Senol artig die Fenster, während die anderen die guten Gaben heraus rückten:

„Tare hat extra guten Tabak gekauft und ich hab Wein mitgebracht!“, erklärte Neron eifrig, „Ach so, das Formelle vorweg – ist was passiert? Nein? Gut, hurra, wir machen es wie immer und rauchen und saufen!“ Alle lachten, Senol verdrehte die Augen und Meoran schnaubte.

„Also wirklich, etwas Ernst solltest du behalten, Neron. Die Zuyyaner sind immer noch auf Tharr, wir sind mit denen noch nicht fertig. Trotz des Waffenstillstandes sollten wir achtsam sein.“

„Sind wir doch, du Spielverderber…“, kicherte Neron, gab seinem Kollegen aber mit einem Blick zu verstehen, dass er ihn durchaus ernst nahm. Meoran seufzte; er wusste, dass Neron ein guter Mann war. Wenn es wirklich ernst würde, könnten sie sich auf ihn verlassen.

„Du verlierst wohl nie deinen Humor.“, seufzte Puran, nahm aber dankend eine von Tares Zigaretten an, „Gerade jetzt, wo deine Frau endlich mal schwanger geworden ist, solltest du dich mal zusammenreißen! Bevor die Geister es sich anders überlegen…“

„Ah, oh, ihr werdet sehen!“, gackerte der Schwarzhaarige, der sich auch eine Kippe ansteckte – Tare und Meoran taten es ihm gleich und Senol Kita hüstelte bloß. Der einzige Nichtraucher im Verein… „Saja wird einen großartigen Sohn gebären, genau! Purans Karana muss doch mal einen Rivalen haben! Oder wenigstens Kumpel, oder so.“

„Ja, pass auf, nachher sieht er noch so aus wie ich.“, feixte Tare Kohdar und erntete von seinem Kollegen einen Schlag auf den Kopf, „Au… war nur ein Scherz, ich mach mir nichts aus blonden Frauen…“ Die anderen lachten erneut und Neron schmollte.

„Such dir endlich auch mal eine, du Außenseiter.“, riet er Tare dann grinsend, „Alle hier sind Vater, nur du Idiot nicht – sogar Senol hat ein kleines Baby!“ Der Blonde lachte.

„Sie lacht jetzt schon… ich könnte den ganzen Tag meiner Frau und meiner Tochter zusehen, es ist einfach zu schön…“

„Da kommt der Romantiker, passt auf.“, feixte der einzige Kinderlose weiter und die anderen glucksten erneut.

Seit dem Frühlingsmond hatte Senol eine kleine Tochter, sie hieß Sora. Beim letzten Ratstreffen war der Blonde ganz aus dem Häuschen gewesen und hatte allen von dem freudigen Ereignis erzählt, und weil er ohnehin in Vialla wohnte, hatten anschließend alle kurz seine Frau Shiva und Baby Sora besucht und zum Glückwunsch beschenkt. Sora war ein niedliches Baby mit bislang wenig Haar und blauen Augen. Puran fragte sich, ob das Kind von Neron und seiner Frau Saja wirklich ein Junge werden würde. Nach so vielen Versuchen hatte es also bei ihnen auch endlich mal geklappt; Saja war jetzt seit sehr kurzer Zeit schwanger. Im späten Frühjahr des nächsten Jahres würde das Kind geboren werden.

Während Senol sich über Tare empörte und sich aufregte, er wäre gar kein Romantiker und niemand würde ihn ernst nehmen, und der Ältere nur grinsend seine Zigarette rauchte, holte Neron aus der Tasche, die er mitgebracht hatte, Becher, um allen Wein einzuschenken. Meoran lachte verhalten, während er zum Fenster blickte. Draußen bewölkte es sich… es würde Regen geben, wenn nicht sogar Gewitter. Der drückenden Luft war die Spannung anzumerken…

„Ich wünsche mir so sehr, dass es einfach so bleibt, weißt du?“, murmelte er in Purans Richtung, „Dass wir… weiter hier so sinnlos sitzen und rauchen, dass wir uns fröhlich über unsere Nachwuchs unterhalten können… und dass dieser Nachwuchs unbeschadet aufwächst. Ich wünschte, es wäre einfach… wir beide wissen, dass es das nicht sein wird, Puran.“ Der Jüngere senkte kurz den Kopf und sagte nichts, während die anderen ihm gegenüber lauthals diskutierten. Dann drehte er das Gesicht zu seinem Lehrmeister herum und zeigte ein bitteres Lächeln.

„Ich weiß, ja. Wenn ich mit den Geistern spreche, warnen sie mich noch immer… vor dem Ende der Welt. Uns steht noch irgendetwas Grausames bevor… ich weiß nicht, ob es die Zuyyaner sind… oder irgendetwas anderes.“ Meoran stieß den Rauch der Zigarette aus und richtete den Blick an die Zimmerdecke, als er sprach.

„Ich habe Gerüchte gehört, dass die Bestienzüchter im Ostreich irgendwelche grauslichen Schatten über dem Zentralreich beschwören wollen. Ich weiß nicht, in wie weit die Quellen vertrauenswürdig sind – du weißt, ich darf dir darüber eigentlich nichts erzählen, Informationen der streng geheimen Sorte. Du hast das nicht von mir, Puran… aber sei so gut und behalte im Hinterkopf, was ich dir sage. Wir in Janami sind dem Ostreich näher als ihr… irgendetwas tun sie in Ela-Ri, dem Land der blutigen Schatten.“ Puran starrte ihn noch einen Moment an – dann riss Neron seine Aufmerksamkeit wieder auf sich.

„Hey, schläfst du? Stoßen wir an, Puran! Auf dich, weil du jetzt Senator bist, du Held! Zeig’s denen in Thalurien, du machst das schon gut! Alles Gute.“

„Genau.“, stimmten Tare und Senol im Chor zu und Puran musste verhalten lächeln, während sie ihre Becher aneinander stießen und er sich fragte, ob der König das gut fände, wenn sie hier Alkohol tranken. Er nippte an seinem Becher und versuchte, die Schatten aus seinem Geist zu verdrängen, die Meorans vage Andeutungen in ihm geweckt hatten; schlimmere Schatten als Karanas Zähne verursacht hatten, und das sollte etwas heißen.
 

Er vertrug fast keinen Alkohol, deswegen trank er nur den einen Becher Wein; schließlich musste er irgendwie noch nach Lorana kommen am Nachmittag. Neron maulte zwar, man wüsste seinen guten Wein nicht zu schätzen, aber Puran war in diesem Punkt nicht sehr kompromissbereit – er wusste selbst, dass er abscheulich werden konnte, wenn er sehr betrunken war; und er wurde schnell betrunken. Jedenfalls schneller als sein Kollege, der dann den halben Wein alleine getrunken hatte – am Ende hatten Meoran und Tare sich erbarmt und ihn zur Kutsche geschleppt, die ihn zurück nach Skelrod bringen sollte.

„Saja wird sich freuen.“, hatte Meoran orakelt und die übrigen Geisterjäger hatten gelacht. „So ein Trottel. Aber immerhin haben wir etwas zu lachen.“

Wenn Puran vom Wein etwas dusselig geworden war, war er jedenfalls wieder nüchtern, als er spät in der Nacht endlich das Dorf erreichte, in dem er lebte. Er war seit drei Tagen nicht hier gewesen… die Bauarbeiten am Haus gingen voran, stellte er fest, als er durch die sandige Hauptstraße ging und auf das Haus der Ansos zusteuerte. Wie sie es angedacht hatten, hatten sie im Sommer damit begonnen, ihr kleines Haus um ein Stockwerk zu erweitern. Es war eine schwierige und langwierige Arbeit, die viele Hände benötigte, aber viele Männer aus dem Dorf und den Nachbardörfern halfen mit, sie wurden natürlich für ihre Arbeit entschädigt. Während gebaut wurde, konnten die nicht im Haus wohnen, deswegen hatte das Dorfoberhaupt ihnen großzügigerweise wieder das Gästezimmer in seinem Haus angeboten. Sie hofften, vor Einbruch des Winters fertig zu sein mit dem Bau.

„Ich sollte die Leute hier dringend für ihre Gutmütigkeit belohnen…“, murmelte Puran bei sich, als er das Haus erreichte, die Tür leise öffnete und sich möglichst lautlos die Treppe hinauf in das Zimmer schlich, das er mit seiner Familie teilte. Und verblüfft blieb er in der Tür stehen, die er geöffnet hatte, denn Leyya lag quer auf dem Schlaflager, noch voll angezogen, und schlief tief und fest. Zuerst hatte er Angst, ihr wäre etwas passiert – aber sie atmete gleichmäßig und ruhig, was ihn beruhigte. Er seufzte, schloss die Zimmertür hinter sich und legte seinen schwarzen Umhang ab. Kurz warf er einen Blick in Karanas Bettchen – der Kleine schlief bis auf die Windel nackt unter einer dünnen Leinendecke, die Leyya ihm im Sommer gab, damit er es nicht gar zu warm hatte. Puran lächelte kurz und streichelte zärtlich das Köpfchen seines Sohnes. Karana nuckelte am Daumen; das tat er noch nicht lange, erst seit einigen Monden. Es war niedlich anzusehen und des Vaters Lächeln wurde vor Entzücken etwas breiter.

„Schlaf schön, Karana.“, flüsterte er, „Tut mir leid, dass ich so selten bei dir sein kann im Moment… mir geht es da eigentlich nicht anders als Senol. Ich würde gern den ganzen Tag bei dir und deiner wundervollen Mutter sein…“ Zu jener wandte er sich jetzt um, schritt zum Schlaflager und versuchte vorsichtig, seine Frau ordentlich umzudrehen, sodass sie nicht mehr quer über dem Bett lag – dabei wachte sie auf und gähnte verschlafen, worauf er entsetzt die Hände zurück riss.

„Oh nein, ich wollte dich nicht wecken…“, stammelte er und Leyya zog die Brauen hoch.

„Oh!“, machte sie, „Ach, Puran… oh nein, ich bin eingeschlafen! Ich wollte nicht einschlafen…“ Sie setzte sich sofort auf und errötete, worauf er sich am Kopf kratzte.

„Ist doch in Ordnung. Es ist spät… es hat wirklich ewig gedauert hierher. Vergib mir…“ Er küsste sie entschuldigend auf die Lippen und sie strahlte ihn an, als sie sich erhob.

„Puran, schau doch.“, verlangte sie kichernd und wiegte sich vor ihm hin und her, „Fällt dir gar nichts auf an mir?“ Verblüfft sah er sie an und grübelte.

„Ähm…?“, machte er planlos und sie wiegte sich weiter, ihm einen Hinweis gebend:

„Oder an dem, was ich trage…?“

„Ah!“, fiel ihm jetzt geistreich ein, „Du hast das Kleid an, das du dir im Frühling genäht hast… ah, es steht dir gut, es ist hübsch geworden.“ Er betrachtete den Stoff, den sie geschickt zu einem hübschen, weiten Kleid verarbeitet hatte. Sie hatte viele Wochen daran gearbeitet und war sehr stolz auf sich gewesen, als sie fertig gewesen war, er erinnerte sich… wieso trug sie es jetzt plötzlich? Es war das erste Mal, dass er es an ihr sah… dabei war es seit Monden fertig. „Was ist denn los?“, fragte er so amüsiert, stand auch wieder auf und fing an, sein Hemd aufzuknöpfen. „Gibt es etwas zu feiern, dass du es anhast?“

„Nun.“, erklärte sie und grinste ihn schelmisch an, „Ja, sozusagen! Habe ich dir damals gar nicht gesagt, wofür genau ich das Kleid genäht habe? Es ist ein weites Kleid und der Stoff ist ziemlich dehnbar… das ist wichtig für die Kleidung einer Frau, die ein Kind erwartet…“

Er hatte gerade den letzten Knopf seines Hemdes geöffnet und hielt jetzt plötzlich inne bei ihren Worten. Die Augen geweitet starrte er sie an, und Leyya kicherte wie ein kleines Mädchen, sich hastig durch die Haare fahrend und dann ihr neues Kleid glatt streichend.

„Was… wie bitte? Habe ich mich verhört oder hast du gerade sagen wollen, dass du neues Leben in dir trägst?“

„Du hast richtig gehört, Schatz…“, kicherte seine Frau und hibbelte jetzt richtig ungeduldig hin und her, bis sie sich nicht mehr beherrschen konnte und ihm um den Hals fiel. Er stolperte bei der plötzlichen Umarmung und hielt sie fest, als sie ihren zierlichen, hübschen Körper dicht an seinen drückte. „Ist das nicht toll? Mir war schon in Vialla neulich morgens so komisch, da habe ich gleich, sobald ich daheim war, den Test an mir selbst gemacht… und ich habe den Geist eines kleinen Babys in mir gespürt! Wir bekommen noch ein Kind… ich bin so überglücklich, ich wollte unbedingt warten, bis du heim kommst…“ Sie ließ zitternd vor Freude von ihm ab und strahlte ihn glücklich an – Puran konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. „Was sagst du?“

„Ich… ich freue mich!“, keuchte er, „Das ist… das ist wunderbar!“ Sie strahlten sich an und glücklich warf sich die Kleine wieder an seinen Hals, worauf er sie an sich zog und ihre Haare küsste. Sie weinte vor Freude.

„Ich… habe so lange gehofft… ich meine, Karana wird schon in zwei Monden zwei… es wird wirklich Zeit für ein zweites Kind! Ich war so aufgeregt, ich konnte keinen Moment stillsitzen heute! Ich habe es noch keinem gesagt, du solltest es zuerst hören!… Oh, die Geister sind gütig zu uns! Ich danke ihnen so sehr für den Lebenskeim… ich freue mich so!“ Puran musste lachen über ihre Euphorie, und zärtlich hob er sie auf seine Arme und legte sie dann auf dem Schlaflager ab, wo er sich über sie beugte und ihren Mund küsste.

„Ich liebe dich…“, seufzte er dann, „Ich freue mich genauso wie du, Leyyachen. In drei Monden werde ich Neron auslachen, weil er immer noch auf sein erstes Kind wartet und wir schon auf das zweite, haha…“ Sie lachten beide, aber nur leise, um Karana nicht zu wecken. Dann beugte Puran sich wieder herunter zu ihr und begann, ihr Gesicht und ihren Hals mit Küssen zu bedecken, während ihre Hände sanft sein offenes Hemd von seinen Schultern streiften.

„Liebe mich, Puran…“, wisperte sie fast lautlos, „Zeig mir, dass du mein Mann bist… und Vater meines Babys.“ Sie strahlte, als er den Kopf hob, und glücklich teilten sie einen weiteren, innigen Kuss. Es war ein wundervoller Moment, und die Schatten im Ostreich hatte er wieder vergessen, als er begann, Leyyas Kleid aufzuschnüren, und ihre Hände rasch in seine Hose glitten.
 

Das Gewitter kam über Nacht. Die Hitze des Sommers kühlte schnell herunter, als es in Strömen über das Land goss und der Himmel grollend seinen Zorn auf irgendetwas verkündete. Das Gewitter hielt Puran vom Schlafen ab, während seine Frau sich nicht daran zu stören schien, sie schlief nackt in seinen Armen. Doch selbst die größte Freude über Leyyas zweite Schwangerschaft konnte die Unruhe nicht vertreiben, die ihn jetzt wieder einholte, während er wach lag und dem Donnern draußen zuhörte. Er fragte sich, wieso die Geister zornig waren… ob etwas geschehen war? Die Erinnerung an Karanas Eckzähne kam wieder in ihm hoch und er ließ Leyya los, um sich zischend auf die andere Seite zu rollen und sich mit den Händen über das Gesicht zu fahren.

„Lasst mich doch einfach in Ruhe, ihr Geister…“, murrte er, und er lauschte dem Prasseln des Regens auf dem Dach, das ein Stück über die Außenwand hinausragte und so verhinderte, dass es ins Zimmer regnete, obwohl das Fenster offen war. „Oder sagt wenigstens, was ihr wollt…“ Doch die Himmelsgeister schwiegen in seinem Kopf und taten, als gäbe es ihn gar nicht, was ihn erboste. Was bildeten die sich eigentlich ein?

Ein Schauer überkam ihn, ohne dass es einen wirklichen Grund hatte, und er zog sich die dünne Sommerdecke bis unter die Nasenspitze, obwohl ihm nicht kalt war. Ein Blitzen draußen erhellte das Zimmer und er erkannte bizarre Schatten an der Wand, auf die er starrte. Schatten des Unheils und dunkler Vorahnungen, von denen er wohl keinen Tag seines Lebens verschont bleiben sollte…

Hatte es jemals eine Zeit gegeben, in der er keine schlechten Zeichen gesehen hatte?

Vielleicht dachte er einfach zu pessimistisch. Wenn er nicht immer nur nach Schatten in seinen Träumen jagte und aufhörte, immerzu an sie zu denken, wurde es vielleicht besser… er nahm sich vor, an angenehme Dinge zu denken, um endlich Schlaf zu finden, und ignorierte das Grollen des Himmels.
 

Doch am nächsten Tag waren die Sorgen wieder da, als Puran und Leyya aufstanden, sobald der Morgen graute. Karana schlief noch, als sie sich rasch anzogen und das Zimmer verließen. Puran kam nicht viel dazu, über die Schatten in seinem Geist nachzudenken, die Böses vorhersagten, da seine fröhliche Frau seine Hand nahm und ihn gut gelaunt mit sich die Treppe hinab in die Küche der Ansos zog. Dort trafen sie Frau Anso, die Kartoffeln schälte. Sie war eigentlich immer früh wach und arbeitete in der Küche.

„Wir sind nur kurz weg, um zu baden.“, erklärte Leyya und Puran kratzte sich noch etwas unausgeschlafen am Hinterkopf. Ja, richtig, baden war eine gute Idee… „Wir beeilen uns, kannst du solange auf Karana aufpassen? Bitte…“

„Ach!“, machte die alte Anso lachend und winkte, „Natürlich kann ich das. Der Tag ist ja noch jung… musst du heute gar nicht nach Taiduhr, Puran?“

„Nein… heute ist mal Ruhe, zum Glück. Entschuldige die Umstände, bitte… wir sind wirklich gleich zurück.“

Die Luft draußen war nach dem Gewitter sehr angenehm geworden. Leyya rannte und kicherte dabei, während sie ihren Mann hinter sich her durch das Dorf und hinaus zerrte. Ganz in der Nähe von Lorana lag ein kleiner See, in dem die Menschen im Sommer oft baden gingen; und gerade, weil sie im Moment bei den Ansos wohnten, war der See für die beiden praktisch, damit sie nicht das Badezimmer der Gastgeber belagern mussten. Schließlich wohnten noch mehr Leute dort im Haus…

„Du bist ja gar nicht zu bremsen.“, stöhnte Puran ermüdet, als sie das Ufer des Sees erreichten und seine kleine Frau sich fröhlich in der kühlen Luft des Morgengrauens auszog. Er beobachtete sie und zog heftig die Luft zwischen den Zähnen ein, als sähe er sie zum ersten Mal nackt. Sie lachte ihn manchmal aus, wenn er so reagierte bei ihrem Anblick, aber er wusste, dass sie sich freute, dass ihm ihr Körper so gefiel. Sie selbst hasste ihren immer noch kaum weiblichen Körper – dass ihre Brüste jemals schön und prall werden würden wie die aller anderen Frauen, glaubte Leyya inzwischen nicht mehr. Wahrscheinlich würde sie immer wie ein Mädchen aussehen, obwohl sie längst eine Frau war.

„Ja!“, erklärte sie feierlich und wiegte sich nackt vor ihm im Wind, „Ich freue mich… wir werden bald noch ein Baby bekommen! Der Gedanke macht mich so glücklich, dass ich den ganzen Tag tanzen möchte!“ Sie kicherte erneut, fuhr sich durch die Haare und trat von einem Fuß auf den anderen. „Jetzt zieh dich doch endlich aus, oder meinst du, du wirst vom Herumstehen sauber?“ Er konnte nichts sagen, sondern sie nur anstarren, wie sie splitternackt vor ihm im seichten Gras am Ufer stand. Die kühle Luft verschaffte ihr eine Gänsehaut und ihre zierlichen, dunklen Brustwarzen richteten sich auf. Der Anblick ließ ihn nur schaudern und er zog es vor, sich doch endlich von ihr abzuwenden und ihrem Befehl Folge zu leisten. Verdammt… da war er nur wenige Tage von ihr getrennt und schon wurde er bei ihrem bloßen Anblick schon verrückt. Er fragte sich manchmal, ob man besessen von seiner Frau sein konnte. Er war es vermutlich, so hatte er oft das Gefühl. Wenn er sie länger nicht sah, wurde er nervös und schlecht gelaunt. Und es verblüffte ihn eigentlich sogar, dass es ihr da genauso ging. Es war, als sträubten sich alle Geister, wenn sie zu lange voneinander getrennt blieben, als wollten sie unbedingt betonen, dass sie beide zusammengehörten. Es war ein angenehmer Gedanke, und Puran grinste, als er sich auch ausgezogen hatte und Leyya sich plötzlich von hinten auf ihn stürzte. Sie klammerte sich lachend an seinen Hals und riss ihn von den Beinen, und mit einem erschrockenen Schrei stürzten sie in den See. Am Ufer war das Wasser nur sehr flach und es spritzte, als sie hinein fielen. Leyya setzte sich sofort wieder auf und fing herzhaft zu lachen an, während ihr Mann empört den Kopf aus dem Sand am Grund des Sees riss und ausspuckte.

„Verdammt, ich hab Sand im Mund…“

„Du hättest dein Gesicht sehen sollen…“, gackerte Leyya und er schnaufte, während sie kicherte und mit den Beinen strampelte.

„Sei nicht so übermütig, nachher tust du dem Baby in deinem Bauch weh.“, mahnte er sie, aber sie gackerte nur weiter und schmiegte sich an ihn, nachdem er sich auch aufgesetzt hatte.

„Ach, du bist sooo ernst…“, sagte sie mit verstellt böser Stimme und zwickte ihn in den Oberarm. „Und ich habe gedacht, du hast weniger Stress, wenn deine Prüfungen durch sind; jetzt arbeitest du schon eine Weile und bist immer noch so unruhig.“ Er seufzte.

„Ich fürchte, das liegt in meiner Natur. Nerve ich dich, Leyya? Dann tut es mir leid.“

„Nein, ich sorge mich nur!“, gestand sie und er blinzelte, als sie zu lachen aufhörte und ihn ernst ansah. „Du bist nachdenklich… das bist du immer, aber ich merke auch, wenn du es mehr bist als gewöhnlich. Was ist passiert?“ Lachend kratzte er sich am Kopf.

„Wenn ich das wüsste, hätte ich keinen Grund, nervös zu sein. Aber irgendwie beschleicht mich schon seit längerer Zeit ein ungutes Gefühl… vor allem seit gestern Nacht. Und es liegt nicht am Gewitter… vielleicht sollte ich meinen freien Tag nutzen, um die Geister ernsthaft um eine Antwort zu bitten.“

„Ach, so viel ernster Kram…“, seufzte sie und er musste lächeln, als sie wie ein Kind schmollend die Arme vor den kleinen Brüsten verschränkte. „Und ich hatte gedacht, an deinem freien Tag kommst du einmal dazu, etwas mit Karanachen und mir zu machen…“ Sie konnte nicht zu Ende sprechen, weil er sie plötzlich umwarf. Als sie quiekte, rollte er sich im Wasser über sie und drückte sie herunter, sodass nur ihr Gesicht aus dem flachen Wasser heraus guckte. Sie kicherte noch, als er sie flüchtig auf die Lippen küsste.

„Andererseits…“, räumte er ein, „Kann ich mir auch morgen noch genug Sorgen machen. Ein Tag Pause täte mir vielleicht ganz gut… so wie die Gesellschaft meiner bezaubernden Frau.“ Sie errötete vor Stolz, als er sie verliebt anlächelte, sich dann herabbeugte und sie wieder küsste. Oh, sie hatte so gehofft, dass es sich so ergeben würde… sie ging so gerne mit ihm baden. Und da ihre Badewanne im Haus zu klein für sie beide war, war der See im Sommer herrlich dafür. Hier war genug Platz… und im Morgengrauen war hier niemand außer ihnen, so konnten sie sich ungestört austoben, so viel sie wollten.

„Ich habe dich jetzt viele Nächte lang nicht sehen können…“, wisperte sie, als er sich erhob und sich etwas weiter ins Wasser setzte, worauf Leyya zu ihm krabbelte, um sich dann breitbeinig über seinen Schoß zu knien. Seine Hände fuhren über ihren nackten Rücken und durch ihre nassen Haare, die daran klebten, als sie ihn errötend angrinste und ihre Finger verspielt über seinen Oberkörper fahren ließ. „Ich habe mich… so nach dir gesehnt, Puran…“ Er tat empört:

„Ah, du versuchst, damit zu rechtfertigen, dass du schon wieder Sex willst, obwohl wir es erst in der Nacht wild getrieben haben?“

„Oh, ich glaube nicht, dass ich mich dafür wirklich rechtfertigen muss.“, erwiderte sie mit einem dezenten Blick nach unten, worauf er hüstelte und ein diabolisches Grinsen von ihr erntete. „Denn ich glaube, ich bin da nicht die Einzige, die das will…“
 

Als sie wieder zurück zum Haus der Ansos kehrten, frisch gebadet, angezogen und mit noch nassen Haaren, erwartete Puran das Unglück, das er tief im Inneren die ganze zeit verspürt hatte. Der alte Chata war auch inzwischen wach und er erwartete die beiden vor der Haustür mit ernster Miene.

„Nanu?“, machte Leyya bestürzt, als sie das Dorfoberhaupt sie beide kurz anblicken sah, „W-was ist geschehen?“

„Keine Angst, dem Kleinen geht es gut. Aber ihr habt Besuch bekommen, während ihr am See wart, und… offenbar keine schönen Nachrichten.“ Er sah bedrückt zur offenen Haustür, und als hinter ihm jemand aus dem Haus trat, hob Puran verblüfft den Kopf – und fuhr zusammen, als er seine Cousine in der Tür stehen sah.

„Alona!“, keuchte er und trat einen Schritt nach vorn, und sie seufzte tief, ehe sie sich apathisch durch die langen, braunen Haare strich und den Blick senkte.

„Da seid ihr ja endlich, ich habe euch schon gesucht; man hat mir netterweise gesagt, ihr wärt euch waschen gegangen, deswegen habe ich kurz gewartet.“

„Aber…?“, machte Puran nur nervös, als Leyya schon unruhig seine Hand nahm. Alonas Nachricht war nicht überraschend, aber sie traf ihn dennoch, als sie den Mund wieder auftat.

„Meine Mutter ist gestern verstorben. Ich bin gekommen, um euch zu bitten, der Bestattung beizuwohnen.“
 

Puran strauchelte, obwohl die Nachricht nicht wirklich unvorhergesehen kam. Trotzdem musste Leyya ihn stützen, als er plötzlich bedrohlich schwankte und dann sein Gleichgewicht nach einem verzweifelten Keuchen zurück gewann.

„S-sie… sie ist…?“ Er starrte Alona nur an und sie schloss die Augen, ehe sie den kurzen Abstand zwischen ihnen überwand und Cousin und Cousine einander in schweigsamer Trauer umarmten. Leyya tauschte einen hilflosen Blick mit Chata Anso, der den Kopf gesenkt hatte.

„Es tut mir leid…“, flüsterte die kleine Heilerin dann und wusste nicht, was sie anderes tun sollte als daneben zu stehen. Puran seufzte, während er seine Cousine an sich drückte, und sie zitterte in seinen Armen, das Gesicht an seiner Brust vergrabend. Sie atmete unregelmäßig ein und aus und Puran versuchte unbeholfen, ihr tröstend durch die Haare zu streicheln.

„Obwohl ich es schon Monde vorher wusste, ist es doch… ein Schlag mit dem Hammer.“, murmelte Alona benommen, als sie sich dann hastig von ihm löste und sich mit den Händen über das Gesicht fuhr. „Vergib mir meine Unfähigkeit, Puran. Ich habe Meoran eine Nachricht geschickt, ich hoffe, er kommt auch; unsere beiden Familien gehören irgendwie seit vielen Generationen auf schicksalhafte Weise zusammen. Ich empfand es als rechtens, ihm Bescheid zu sagen.“ Ihr Cousin nickte nur schweigend und sie holte kurz Luft.

„Möchtest du einen Tee trinken, Alona?“, fragte Leyya die ältere Frau bedrückt, „Oder irgendetwas?“ Sie sah zum Dorfoberhaupt, das den Kopf wieder hob, doch Alona schüttelte den Kopf.

„Ich würde gerne sofort zurück nach Yiara. Unser Nachbar ist jetzt im Haus, und ich habe Nachricht an den Orden gegeben, dessen meine Mutter auch ein Teil war. Vielleicht sind die alle schon da, ich will sie nicht so lange warten lassen. – Habt ihr Zeit, eine Nacht zu bleiben, wenn ich euch morgen früh wieder her teleportiere?“ Puran nickte.

„Natürlich, das geht in Ordnung. Lass uns… kurz das Nötigste einpacken für das Kind, dann kann es losgehen. Oder, Leyyachen?“ Er sah seine Frau mit gequältem Gesicht an, die nur apathisch nickte und nach ihrem flachen Bauch fasste.

„V-vorhin… dachte ich noch, es wäre ein guter Tag und… ich habe mich so über meine Schwangerschaft gefreut…“ Die Cousine ihres Mannes sah sie groß an, als Puran noch ein Wort mit Chata Anso wechselte und dann im Haus verschwand, um Karana zu holen.

„Du bist schwanger? Meinen Glückwunsch, Schwägerin.“ Die Heilerin errötete unglücklich.

„Aber das ist jetzt so unpassend…“

„Das entscheiden die Geister. Ich finde, es ist ein gelungener Kreislauf der Natur. Ein Mensch stirbt, ein neues Leben wächst. So… funktioniert das eben.“ Alona lächelte und strich der kindlichen Frau über den Kopf. „Ihr werdet sicher ein wunderbares, zweites Baby bekommen.“
 

Der Gedanke ermutigte die Heilerin etwas, als sie wenig später mit ihrem kleinen Sohn auf den Armen gemeinsam mit ihrem Mann und Alona wieder hinauf nach Yiara teleportiert wurde. Die Telepathin hatte recht; es war ein Kreislauf. Dass sie gerade an dem Tag ihre Schwangerschaft ihrem Mann gebeichtet hatte, an dem Sukutai gestorben war, war nichts Schlechtes. Es war der Wille der Geister. Und dennoch beschloss sie weise, ihre Freude über das Baby auf später zu verschieben, als sie im Haus in Yiara angekommen waren. Verblüffenderweise waren alle anderen wirklich da – viele Mitglieder des Telepathen-Ordens, Alonas Nachbar, Herr Noh, und selbst Meoran war da; im Hintergrund saß die kleine Saidah neben einem recht jungen Mann auf der Küchenbank.

„Da seid ihr ja.“, wurden sie da von dem Nachbarn Noh begrüßt und der ältere Mann gab Puran höflich die Hand. „Wir haben uns immer nur von weitem gesehen, Senator Lyra, es ist mir eine Ehre. Wenn auch zu einem traurigen Anlass.“

„Ich stimme Euch einfach mal zu.“, murmelte der Herr der Geister dumpf und neigte den Kopf, ehe er sich zu Meoran wandte, der traurig seufzte. „Du bist schon da, Meister?“

„Ja, ich habe in der Stadt noch Alonas Nachricht bekommen… da ich wegen des vorangegangenen Rats ohnehin die Familie in Vialla mithatte, habe ich sie abgeholt und habe dann zufällig Herrn Sagal getroffen, der uns netterweise per Teleport mitgenommen hat.“ Er nickte in Richtung eines der Telepathen, und Puran nickte erkennend – das musste irgendein Verwandter von Dasan Sagal aus Lorana sein.

Während Alona ihren Nachbarn und ihre Kollegen begrüßte und ein paar Worte verlor, nickte Puran, der gemeinsam mit seiner Frau bei Meoran stehen blieb, zu Saidah, die artig auf der Küchenbank saß.

„Ach, dann sehe ich ja auch deinen, ähm… Kinderaufpasser mal, über den sich im Rat immer alle den Mund zerreißen!“

„Was?“, fragte Leyya verdutzt, die Karana auf ihren Armen wippte, und Meoran hüstelte.

„Wie, habe ich dir nie von Meorans Kindermädchen erzählt?“, wunderte sich ihr Mann gedämpft, „Der Junge neben Saidah.“

„Wie kann denn ein Junge ein Kindermädchen sein?“ Leyya bemühte sich, dem jungen Mann keine auffälligen Blicke zu schenken, um nicht unhöflich zu wirken, obwohl ihr die Geschichte etwas seltsam vorkam. Was machte Meoran denn mit einem Mann als Kindermädchen? Wieso keine Frau, die das sicher besser konnte? Der Meister ihres Mannes räusperte sich verhalten.

„Können wir das später klären? Ich finde das gerade bei diesem Anlass etwas… unangemessen.“ In dem Moment wurden sie auch schon von Alona unterbrochen, die sich räusperte.

„Ich danke euch allen für eure Mühe, dass ihr gekommen seid. Wir versammeln uns hier, um den Körper meiner Mutter zu verbrennen und ihre Seele ins Geisterreich zu schicken… wir haben heute morgen bereits den Scheiterhaufen im Hinterhof errichtet.“ Sie machte eine unschlüssige Pause und Puran sah, dass sie sich nervös am Arm kratzte, was ganz untypisch für die sonst so beherrschte und berechnende Frau war. „Ich… ich mache dann nachher für alle Tee, als Dank für die Ehre, die ihr mir… heute erwiesen habt mit eurem Erscheinen.“ So murmelte sie mehr, als dass sie sprach, ehe sie sich schweigend abwandte und voran in den Hinterhof des Grundstückes ging.

„Sie ist nervös…“, murmelte Leyya betrübt, der es auch aufgefallen war, und unpassend zum Anlass fing Karana auf ihrem Arm an zu lachen und zu kichern. Puran seufzte, das Kind kurz schräg ansehend.

„Sie trauert… und versucht, es in sich zu vergraben.“
 

Der Hinterhof war wie ein kleiner, hübsch angelegter Garten. Der Haufen aus Reisig, auf dem die Tote unter einem Tuch lag, passte gar nicht in das idyllische Bild mit den Blumen, kleinen Sträuchern und angeordneten Steinen.

Karana gackerte, während er jetzt an Leyyas Hand stand, als sich die Gruppe hinter Alona versammelte, die die brennende Fackel in die Luft erhob. Leyya zischte verzweifelt.

„Sei still, Karanachen! Das ist nicht der richtige Moment zum Lachen!“ Sie zog an seinem Ärmchen, doch der Kleine kicherte nur aus unerfindlichen Gründen weiter und ließ sich nicht beirren. Ein paar der Telepathen drehten sich schon verblüfft nach dem Jungen um, der unaufhörlich gluckste. Leyya zischte erneut und zerrte an Karana, doch es war nichts zu machen. „Nimm dir ein Beispiel an Saidah!“, empörte die Frau sich, „Sie steht ganz brav und du alberst hier herum!“

Alona versuchte, ihren sozusagenen Neffen zu ignorieren, als sie die Stimme erhob.

„Geist von Sukutai!“, sprach sie laut, „Nun verlasse deinen sterblichen Körper und kehre in die Geisterwelt zurück, aus der alle Seelen stammen und in die alle wieder zurückkehren müssen. Das ist der Kreislauf… von Himmel und Erde, der nicht unterbrochen werden darf.“ Damit schloss sie ihre Ansage und ließ die Fackel zitternd auf den Haufen fallen, worauf sie so gefasst wie sie konnte wieder zurücktrat. Und dennoch erschauderte sie unwillkürlich, als der Haufen mit der Leiche ihrer Mutter in Flammen aufging. „Es… ist der Kreislauf.“, wisperte sie tonlos, und als sie spürte, wie jemand von hinten die Hände auf ihre Schultern legte, zuckte sie kurz zusammen. Puran stand hinter ihr und zog sie jetzt zu sich heran, worauf sie heftig erzitterte.

„Spiele nicht die kalte Frau, Alona.“, murmelte er, „Ich weiß, dass du das nicht bist. Ich weiß, dass du versuchst, zu schweigen, obwohl dein Geist vor Schmerzen schreien will. Tu es… ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich sage, dass ich weiß, wie es sich anfühlt, eine Mutter zu verlieren.“ Und er schloss die Augen und hielt sie fest, als sie sich zu ihm herumdrehte, ihn schluchzend umarmte und zu weinen begann über die Vergänglichkeit der schönen Tage, die längst hinter ihnen lagen. Sie hörten Karana im Hintergrund weiter lachen und Leyya verhalten mit ihm schimpfen, sie hörten das Feuer vor ihnen prasseln, aber im Geiste waren sie wo anders. Zurück in den alten, vergangenen Tagen, die nie zurückkehren würden, in denen sie alle noch am Leben waren. Alonas Eltern, Purans Eltern… wenn sie zurückblickten, brachte es Sehnsucht und Nostalgie mit sich; und was lag in ihrer Zukunft?

Schatten und die quälende Ungewissheit, was aus ihnen allen werden würde.
 

Karana war gar nicht zu beruhigen. Er kicherte, und wenn er nicht kicherte, quasselte er zusammenhanglos vor sich hin. Seine Mutter wurde langsam ärgerlich, als sie versuchte, ihn in einem der Zimmer in Alonas Haus schlafen zu legen, während die anderen unten Tee tranken. Die Telepathen waren wieder gegangen, nur Herr Noh, Meoran und seine Anhängsel waren geblieben. Jetzt lag Karana in dem Bett, das Leyya für ihn gerichtet hatte, und strampelte jedes Mal wild, wenn sie versuchte, ihn zuzudecken.

„Karana, jetzt sei still und schlaf!“, empörte sie sich grantig, „Jetzt ist Schluss mit dem Zirkus, was ist los mit dir? Was ist so komisch?!“

„Mutti lieb, hihi…“, kicherte das Kind, und Leyya schnaufte.

„Nein, Mutti ist nicht lieb, Mutti ist wütend auf dich! Wie kannst du so schamlos lachen, während wir eine Bestattung abhalten? Du bist respektlos zu deiner eigenen, äh, Großtante, auch, wenn sie nur angeheiratet war! Du hast überhaupt keinen Grund zu lachen, Karana Lyra, hör damit auf!“ Karana klatschte begeistert in die Hände und strampelte johlend, als sie empört abermals versuchte, ihn zuzudecken. Die Heilerin war verzweifelt – was war mit dem Kind? Wieso lachte es die ganze Zeit?

„Vielleicht mag er sich davon ablenken, dass ihn die Situation verwirrt.“, hörte Leyya eine helle Kinderstimme hinter sich und sie fuhr erschrocken herum – sie hatte Saidah gar nicht hereinkommen gehört. Jetzt stand Meorans sechs Jahre alte Tochter bei ihr und sah herunter auf Karana, der strampelte und sie nicht beachtete.

„Verwirrt?“, fragte Leyya nur, und das kleine Mädchen ging näher an das Bett und hielt Karanas strampelndes rechtes Beinchen fest, bevor sie ihm ins Gesicht blickte. Was dann geschah, verblüffte Leyya mehr als vieles, was sie erlebt hatte.

Karana hörte sofort zu strampeln auf und war ganz still, als das Mädchen ihn streng anblickte und sprach.

„Schlaf, Karana.“, befahl sie höflich, aber mit ordentlichem Nachdruck, ohne dass sie besonders laut wurde dabei. Und der Kleine gehorchte ihr aufs Wort, lag plötzlich ganz friedlich im Bett und ließ sich von Saidah fein zudecken. „Sei artig, mach deiner Mutter keinen Kummer.“, fuhr die Kleine mit ernster Miene fort, und Karana gähnte und schloss die Augen, als hätten ihn allein durch die Worte des Mädchens die störrischen Geister verlassen, die ihn zuvor aufgescheucht hatten. Als Saidah sich vom Bett entfernte, blieb er seelenruhig liegen und gähnte erneut, sich dabei auf die Seite rollend, und müde hob er eine Hand und steckte sich den Daumen in den Mund, um daran zu nuckeln. Leyya sah verblüfft auf Meorans kleine Tochter.

„Wie… hast du das gemacht?“, wollte sie wissen, „Er… gehorcht dir ja aufs Wort!“ Saidah pulte eine Weile schweigend an den schwarzen Zöpfen, die sie trug.

„Ich weiß auch nicht genau.“, gestand sie dann, „Die Geister wollten es so, glaube ich.“
 

Die Geister wollten so einiges, dachte die Heilerin sich verwirrt, als sie wenig später, jetzt, da Karana endlich schlief, zusammen mit ihrem Mann, Alona, Meoran und dem alten Noh in der Wohnstube saß. Saidah und das männliche Kindermädchen tobten jetzt im unteren Flur herum und spielten Pferd – natürlich war der arme Kerl das Pferd und Saidah die Reiterin, die auf seinem Rücken saß und Befehle erteilte.

Leyya hatte Meoran erzählt, was seine Tochter zuvor getan hatte, dass es sie sehr beeindruckt hatte. Der Kollege ihres Mannes war verblüfft gewesen.

„Was denn, Saidah hat einfach Schlaf gesagt und er ist eingeschlafen? Ist ja nicht zu fassen.“

„Sie ist ein kluges, scharfsinniges Mädchen.“, behauptete Puran und nippte an seiner Kaffeetasse, „Und sie ist eine Erbin des Chimalis-Clans. Sie wird einmal eine große Magierin sein, wenn sie eine Frau ist.“ Er machte eine unsichere Pause, ehe er sich verhaltener an seinen Lehrmeister wandte. „Mir… kam schon einmal dieser Gedanke, Meoran. Du hast keinen Sohn und Saidah ist dein einziges Kind – die letzte Erbin deiner Familie. Was machst du mit ihr, wenn sie erwachsen ist? Sobald sie heiratet, wird der Chimalis-Clan… verschwinden, weil sie ihren Namen ablegt. Es sei denn, du findest zufällig einen Mann für sie, der zwar begabt, aber namenlos ist, der sich dazu herablassen würde, den Namen der Frau anzunehmen.“ Meoran seufzte.

„Das ist für mich kein Problem. Das mit dem Namen. Auch, wenn sie anders heißt, wird sie immer das Blut der Chimalis tragen. Und… eigentlich widerstrebt es mir, extra einen namenlosen Niemand zu suchen, der ihren Namen annehmen kann. Wie viele begabte Magier ohne großen Clan gibt es schon? Neron ist wahrlich eine seltene Ausnahme. Ich weiß, dass mit meiner Frau… die letzte Hoffnung für mich gestorben ist, jemals einen Sohn zu haben. Die Linie der Chimalis wird mit Saidahs Hochzeit enden. Und wenn sie das schon tut, will ich meinem Clan die Ehre erweisen, dass seine letzte Erbin wenigstens einen ehrbaren Mann bekommt.“

„Dieses Gerede mit den Clans ist ganz schön grausam den Kleinen gegenüber.“, bemerkte Herr Noh kleinlaut, und Alona lachte.

„Ja, aber sowas ist angeboren. Wenn man einmal in so einem Clan steckt, kommt man nicht mehr raus und denkt unweigerlich genauso, egal, wie sehr man versucht, es nicht zu tun.“

„Grausam, sagt er.“, brummte Meoran, „Es ist eine Verantwortung und Bürde, die man als Clanführer trägt, die Bürde, dafür zu sorgen, dass die Linie weiterhin besteht oder zumindest größtmögliche Ehre vor den Geistern erhält.“ Dann trank er einen Schluck Tee und Puran seufzte tief, die Kaffeetasse anhebend, ehe er sprach und dabei die Tasse intensiv musterte.

„Würdest du deine Tochter Karana zur Frau geben, Meoran?“

Der Ältere verschluckte sich mit dem Tee und hustete, kriegte sich aber schnell wieder ein und fuhr dann zu seinem langjährigen Freund herum.

„Was?“, keuchte er, „Im Ernst?“ Leyya machte auch ein verblüfftes Gesicht.

„Karana soll Saidah heiraten?“

„Was spricht dagegen? Sie sind fast gleich alt, die fünf Jahre sind ja wohl egal. Nun, wenn sie sich, wenn sie älter sind, absolut gar nicht leiden können, natürlich nicht… aber beide sind Erben alter, ehrwürdiger Clans. – Du hast gesagt, Meoran, du willst, dass sie einen ehrbaren Mann bekommt. Ich hoffe, dass Karana eines Tages einer sein wird. Nicht der Name macht ihn ehrbar, sondern der Geist und die Art seines Handelns.“

„Nun.“, machte Meoran, „Das ist gut gesagt… wenn er da nach dir schlägt, wäre das zumindest unweigerlich gegeben.“ Puran errötete verlegen ob des überdeutlichen Kompliments und Alona zog eine Braue hoch.

„Du und ehrbar, Puran, ja, ja.“

„Sei ruhig!“, entrüstete er sich und sie kicherte über seine Aufregung, bevor sie sich selbst und ihrem Nachbarn neuen Tee eingoss. Meoran lächelte kurz, als das Grölen aus dem Flur näher kam und das männliche Kindermädchen mit Saidah auf dem Rücken herein getrabt kam.

„Ich bin erledigt… bitte geh runter, können… wir nicht etwas anderes spielen?“

„Ja, in Ordnung.“, meinte das Mädchen vergnügt und kletterte hinab, „Du warst tapfer, Tanuq. Schlage etwas vor, was magst du spielen?“

„Ähm… Ich sehe was, was du nicht siehst?“

„Das ist fein, ei!“ Das Mädchen hüpfte aufgeregt auf und ab und zerrte dann an der Hand des Mannes, der Meoran einen verpeilten Blick schenkte und mit der Kleinen hinaus jagte.

„Nun, Karana wäre sicher ein guter Mann für Saidah.“, stimmte Meoran jetzt seinem Freund zu, „Wie du sagtest – sofern die Kinder nichts dagegen haben, sobald sie alt genug sind, das zu entscheiden, nehme ich dein Angebot gerne an. Es wäre mir eine Ehre, meine Restfamilie mit dem Clan der Lyra verbinden zu können. – Was sagst du dazu, Leyya? Schließlich ist Karana dein Sohn.“

„Nach dem, was ich da oben gesehen habe, habe ich das Gefühl, dass Saidah eine gute Frau für ihn wäre!“, machte diese verblüfft, „Sie… hat jedenfalls die Hosen an.“ Die anderen lachten und Meoran kratzte sich am Kopf.

„Dann behalten wir es im Hinterkopf und schauen, wie das in zwölf Jahren oder so aussieht. – Prost, Puran, mein Freund, auf die Verbindung.“

„Ich weiß deine Einwilligung mehr zu schätzen als du dir vorstellen kannst.“, sagte der Jüngere, als sie kurz ihre Tee- und Kaffeetassen erhoben und tranken. Leyya fiel noch etwas ein, während sie Saidah draußen mit dem jungen Mann spielen hörte.

„Wer… ist jetzt der Kerl, mit dem sie spielt? Ich meine, ich wusste gar nicht, dass jemand bei euch lebt, Meoran.“

„Da hat mein gestresster Freund Puran wohl verpeilt, dir das zu sagen.“, scherzte der Ältere, „Nun, die Geschichte ist etwas… zwielichtig.“ Er hüstelte etwas und Puran fing zu lachen an.

„Ja, du hättest Nerons Gesicht sehen sollen. Der hat alles falsch verstanden, der Idiot…“ Der Lehrmeister errötete etwas und kratzte sich wieder am Kopf.

„Dass ich in Janami beim Militär gelandet bin, weißt du aber, Leyya?“

„Ja… wie war das genau?“

„Genau genommen bin ich Führer einer Sicherheitstruppe in den Bergen von D’anbahr bei Minh-În. Das Haus, in dem ich wohne, ist eine verlassene Wachstation gewesen, die wir etwas aufgerüstet haben. Ich organisiere den Schutz und die Überwachung einer bestimmten Region des Gebirges; es kommen gerne Flüchtlinge aus Fann oder sonst von wo zu uns und wollen heimlich die Grenze überqueren, nach Janami kommen, ohne zu bezahlen. Und der König kann illegale Zuwanderer nicht ausstehen, deswegen lässt er alle Grenzen streng bewachen. Ich habe teuer bezahlt für meine Unterkunft dort, um ins Land reisen zu dürfen. Wer grundlos die Grenze passieren will und keine Genehmigung der höheren Gremien vorzeigen kann, wird…“ Er stoppte kurz und fuhr leiser fort, „Sagen wir, dezent weggeschafft. Das ist eine geheime Sache, mehr kann ich dir darüber nicht erzählen, Leyya… es sind… strenge Regeln und harte Bedingungen da oben. – Jetzt komme ich zu Tanuq. Er war auch beim Militär, allerdings in einer anderen Truppe weiter östlich, und er… hat Ärger bekommen und wurde rausgeschmissen. Ich bin ihm bei der Patrouille begegnet und habe ihn zuerst für einen illegalen Einwanderer gehalten. So verstoßen wegen Ärgernissen hätte er in ganz Janami nirgends mehr eine Arbeit bekommen. Und ich brauche jemanden, der auf Saidah aufpasst… ich bin nicht den ganzen Tag daheim, sie ist noch zu jung, um alleine zu bleiben. Deswegen habe ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, sozusagen, und Tanuq bei mir eingestellt. Es rettet ihn vor dem sicheren Hungertod und mich vor der Panik, was wohl mit Saidah ist, wenn sie alleine ist. Er kümmert sich rührend um sie und sie mag ihn gern. Es war eine gute Entscheidung, ihn zu behalten.“ Die anderen sahen sich an und Leyya war immer noch etwas verwirrt.

„Ja, das verstehe ich.“, sagte sie. „Aber… ein Mann als Kindermädchen?“

„Na ja.“, schnaubte Alona, „Wenn er nun mal einen Mann gefunden hat, der zufällig Arbeit brauchte, und keine Frau…“

„Nun, ich hätte aber eine Frau nicht eingestellt.“, räumte der Geisterjäger verhalten ein. „Es… es ist… einfach wegen Ruja. Ich käme mir vor, als versuchte ich, sie zu ersetzen, würde ich eine Frau holen, die Saidah bemuttert. Nicht nur hätte ich Angst, dass Saidah genau das von mir denkt, dass ich versuche, ihr eine Ersatzmutter zu geben… niemand kann Ruja ersetzen, weder für sie, noch für mich. Außerdem hätte ich einfach Angst gehabt… dass es mir tatsächlich passiert, dass ich irgendeine Frau als… Frau ansehe und… na ja. Ich bin auch nur ein Mann… und ich möchte keine neue Frau. Ich möchte meiner einzigen Frau treu sein, und wenn ich Tag und Nacht irgendein womöglich hübsches, junges Ding um mich herum habe, fällt es – seien wir ehrlich… - nun mal etwas schwer, das einzuhalten.“ Das leuchtete ein und Leyya tat es jetzt leid, dass sie so hartnäckig gefragt hatte, dass er so intime Dinge hatte erzählen müssen. Sie trank hastig ihren Tee, und jetzt war es Alona, die weiter stocherte.

„Eins aber noch. Wenn du einen Mann hast, der auf deine Tochter aufpasst – hast du keine Angst, dass er sie eines Tages interessiert anguckt oder sie unsittlich begrabbelt?“ Jetzt lachte Meoran nervös und Puran hustete – jetzt waren sie am kritischsten Punkt der Geschichte angelangt.

„Das… wird nicht passieren. Deswegen hat er ja Ärger bekommen in seiner Truppe, und mir kommt es zu Gute, weil ich sicher weiß, dass er Saidah nie anrühren wird. Er… interessiert sich nicht… für das weibliche Geschlecht.“ Darauf erntete er eisernes Schweigen. Herr Noh machte ein perplexes Gesicht und Alona verkniff sich ein Lachen und den dummen Kommentar, der ihr dazu einfiel. Stattdessen presste sie nur heraus:

„Du… hast… ein schwules Kindermädchen?“ Meoran hustete.

„Ich weiß genau, was du denkst! Nein, ich habe nichts mit ihm, ich interessiere mich nicht für Männer, wirklich nicht! Damit hat Neron mich schon fertig gemacht, noch mal brauche ich das nicht! Ich sagte doch, ich werde meiner Frau treu bleiben… ganz davon abgesehen bin ich sehr guter Hoffnung, dass auch Tanuq kein… sexuelles Interesse an mir haben wird, ich bin doch viel zu alt für ihn, er ist jünger als Puran! Und schon Puran könnte vom Alter her locker mein Sohn sein…“

„Na ja, locker, mit fast vierzehn Jahren?“, fragte Alona feixend, „Da hättest du sehr früh anfangen müssen.“

„Ich meine ja, rein theoretisch wäre es möglich…“, seufzte der Ältere und Puran gluckste, ihm auf die Schulter klopfend.

„Ist gut, Väterchen… wir verstehen, was du sagen willst…“
 

Karana schlief fest, als seine Eltern später nach ihm schauten. Er lag genauso da, wie Leyya ihn im Zimmer gelassen hatte, atmete ruhig und lutschte zufrieden an seinem Daumen. Leyya lächelte und streichelte seine braunen Haare, ehe sie das Deckchen etwas höher über ihren kleinen Sohn zog und sich zu Puran umdrehte, der hinter ihr stand. Er küsste Leyyas Nacken.

„Er scheint sich wohl zu fühlen. Immerhin einer.“

„Du nicht?“, lächelte die Frau und spürte, wie ein Schauer über ihren Rücken fuhr, als er sie noch mal auf den Nacken küsste. Es fühlte sich angenehm an… er machte das oft, wenn er hinter ihr stand, und sie grinste in sich hinein bei dem Gedanken daran, was daraus gleich resultieren würde. Oh, sie war so besessen… besessen von ihrem gut aussehenden, tapferen Mann, und sie stand dazu, dass sie es war.

„Hmm.“, machte Puran leise hinter ihr, während eine seiner Hände sich nach vorne auf ihren Bauch lümmelte, um sanft über ihr Kleid zu streicheln, dort, wo in ihrem Inneren das noch winzige Baby wuchs. „Ich frage mich, ob Alona in diesem riesigen Haus jetzt ganz alleine wohnen will…“

„Sie hat ja noch ihren netten Nachbarn.“, kicherte Leyya gedämpft, um Karana nicht zu wecken, „Der kommt bestimmt mal zum Tee.“ Sie hörte Puran hinter sich husten.

„Ja, genau. Zum Tee.“ Sie schien seine Anspielung nicht zu bemerken, denn sie lehnte sich nur seufzend gegen seine Brust und legte die Hände auf seine Hand, die auf ihrem Bauch lag. Dass Herr Noh etwa zu so einem Tee kommen würde, zu dem auch Zoras Chimalis zu Salihah gekommen war, war in Purans Augen nicht ganz auszuschließen. Nicht, dass er wirklich etwas gewusst hätte… aber er kannte Alona und sein Bauchgefühl hatte ihn nie im Stich gelassen. Vielleicht war es gut für sie, wenn sie den Tod ihrer Mutter nicht alleine überwinden musste – selbst, wenn er nicht wegen seiner Arbeit daran gehindert gewesen wäre, ihr beizustehen und eine Weile zu bleiben, so wusste er genau, dass Alona seine Gesellschaft nicht zulassen würde. Sie wollte vor ihm nicht das Schutz suchende Mädchen sein… das hatte sie nie gewollt. Vor einem nicht ganz so vertrauten Mann würde es ihr leichter fallen, ihre Gefühle auszudrücken… und wenn sie nur rein körperlicher Natur waren, das spielte keine Rolle. Wichtig war, dass Alona nicht ganz allein blieb.

Puran drehte den Kopf zum Fenster. Die Sonne ging unter und tauchte den Himmel des Spätsommers in ein unnatürlich gelb-grünes Licht. Vom Osten her zog Schatten über das Land, während im Westen die letzten Lichtstrahlen darin zu ertrinken drohten.

Schatten aus dem Osten… murmelte er innerlich und drückte seine zierliche Frau unschlüssig etwas fester an sich heran. Er wandte den Blick von der heraufziehenden Dunkelheit ab und seinem Sohn Karana zu, der sich im Schlaf etwas bewegte und auf den Rücken drehte. Sprecht, Geister des Himmels und der Erde… was ist es, das mir… schon wieder den Schlaf nimmt? Das mir immer noch… diese Unruhe beschwert? Was passiert mit dem Ostreich?

Die Geister kicherten nur, und es verging eine Weile, bis sie antworteten.

„Mit Feuer und Schatten… wird das Bündnis der drei Welten zerbrechen. Mit Donner und Finsternis… kommt das Ende der Welt, Lyra.“
 


 

________________________________

jah... gammel <3



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  -Izumi-
2010-06-12T21:24:43+00:00 12.06.2010 23:24
Konnte nicht Erste sein, musste mit Mama telen ._.'

Aww, ein trauriges Herz-Kappi óo
Arme Sukutai... es war zwar nicht so detailgenau beschrieben, aber mir kamen (Surprise) trotzdem die Tränen uû
Alona tat mir so Leid ._.
Aber es kamen viele tolle Charas vor, von denen man schon etwas nichts mehr gehört hatte ^^
Saidah ist ja schon richtig groß... also, na ja XD
Und sie soll Karana heiraten ._. Ich will, dass sie Karana heiratet (Sorry, nichts gegen Iana, aber irgendwie ist sie einfach im Weg óO)
Ach ja, und Karana... lacht XD Da ging der kleine Kelar in ihm wohl einfach mit ihm durch... irgendwie gruselig, aber auch süß óo
Oh, und Neisa ist unterwegs, dann kommt ja auch bald Simu jetzt ^O^
Am besten fand ich aber Saidahs "Kindermädchen" XDDD
Ich liiiiiebe den Kerl, ich wäre froh, wenn er noch mal auftauchen könnte, er ist... irgendwie süß óo
(Wir sollten ihn mal Moconi vorstellen XD)
Hach ja... und viiiiele Babys, so viele wie geht ^o^ Ach nein, nicht ganz, Tare fehlt noch in der Papa-Reihe, aber... fast so viele wie geht XD
Süüüß, mag ^o^
Von:  Decken-Diebin
2010-06-12T20:49:50+00:00 12.06.2010 22:49
Yeaaah, ich bin mal erste xD
Also, ganz zuerst muss natürlich das schwule Kindermädchen kommen (verzeih mir, Sukutai) xDDD Aber hey, Tanuq ist ein toller Name ^.^ Und cool ist er auch, weil er so lieb ist und sich um Saidah kümmert <3
Gut, aber jetzt Sukutai... die arme, ja, es kam wohl für alle und auch nciht für mich überraschend, aber somit ist diese Generation der Lyras auch dahin .___. Alona tat mir auch sehr leid, vor allem, weil sie versucht hat, ihre Gefühle nicht zu zeigen, aber was anderes habe ich auch gar nicht erwartet óo
Jaah, was noch. Ach ja, Karana und Saidah xD Die herzen ja jetzt schon rum. Aber ich kann mich dennoch nicht mit den beiden anfreunden, Karana gehört halt zu Iana oó Soa!
Ach ja, und eine Runde Herzen für Embryo-Neisa! <3


Zurück