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Die Realität ist einfach grausam

written by crazypark & mir
von

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Krisenbewältigungsstrategien

Kapitel 27
 

Wow, vielen Dank für viele Resonanz. Als Belohnung geht es schnell weiter :D

Wir haben endlich die 200 Kommentare geknackt. Danke, danke, danke dafür an alle. Wir werden auf euer Wohl einen oder zwei trinken XD

Viel Spaß mit dem Chap
 

***
 


 

Krisenbewältigungsstrategien
 


 

Tim
 

Ich wusste nicht, was ich die nächste Zeit tat. Leben konnte man das nicht mehr nennen, allenfalls vor sich hin vegetieren. Der nächste Schultag war die pure Hölle. Dagegen war Frankreich ja das reinste Zuckerschlecken gewesen. Aber diese kack Dorfschule besuchten fast ausschließlich Bauern, die Worte wie Toleranz oder wenigstens Ignoranz nicht kannten. Hier war man schon das Gesprächsthema der ganzen Woche, wenn man nur eine neue Frisur hatte. Ich hasste diese Leute, deren einziger Lebenssinn darin bestand, sich über die Aktivitäten der anderen das Maul zu zerreißen.

Aber ich stand allein auf weiter Flur. Wegen einer beknackten Aktion, an die ich immer noch keine Erinnerungen hatte, war mein Leben komplett aus den Fugen geraten. Immerhin hatte ich es auf die Reihe gekriegt, mich während der Pausen zu verschanzen. Nicht, dass einem dieser Deppen einfiel, mir dumme bis gewalttätige Streiche spielen zu müssen. Die Opferrolle gefiel mir keineswegs, aber einer gegen alle war auch nicht möglich so komplett ohne Superkräfte oder wenigstens effektiver Waffen. Ich fürchtete, die Lehrer hatten etwas dagegen, wenn ich eine Dummbratze mit einem Schlagring das Gesicht neu definierte.

Des weiteren fing ich wieder mit dem Kiffen an, auch wenn mich dies um mein gesamten Einkommen bringen würde, anders konnte ich es nicht mehr ertragen. Das war auch der Zeitpunkt, in dem ich beschloss, mich Nick wieder zu nähern. Besagter hatte mich gestern nicht mal mehr mit dem Arsch angeguckt. Aber er war die einzige Verbindung zu meinem überlebensnotwendigen Stoff. Die anderen Möglichkeiten konnte ich gleich vergessen, es sei denn, ich stand auf Speichel in meinem Gesicht. Manchmal fragte ich mich, ob ich der einzige Homo neben Nick und Daniel auf diesem beknackten Gymnasium war. Wahrscheinlich nicht, nur war ich dämlich genug gewesen, dies öffentlich zuzugeben. Ich fragte mich wirklich, wie lange es dauern würde, bis sich alle an diesen Umstand gewöhnt hatten. In Frankreich war dies auch geschehen, nur wesentlich schneller, was mir mal wieder das Klischee bestätigte.

Die erste Kontaktaufnahme mit Nick war merkwürdig. Ich konnte es in ihm brodeln fühlen, aber auch die Neugier in seinen Augen sehen. Er fragte sich mit Sicherheit, wie es zu der Konstellation an Silvester gekommen war. Genau das wüsste ich auch gerne. Und das war im Grunde das Schlimmste an der ganzen Situation.

„Hi“, tat ich verunsichert den ersten Schritt in Richtung Konversation und machte mich schon mal klein, um mich auf neuerliche Schläge vorzubereiten. Es kam nur ein „Hi“ zurück und dann nichts mehr. Schon klar, ich war der Arsch und musste mich nun irgendwie rechtfertigen. Ich wünschte, ich könnte es. Ich war extra zeitig am Freitag in die Schule gegangen, um ihn abpassen zu können und nun stand ich vor ihm und meine zurechtgelegten Worte blieben mir im Halse stecken. Erst recht, als ich Daniel erblickte. Mein Herz fing augenblicklich an schneller zu schlagen und ich musste aufpassen, nicht Maulaffen feil zu halten. Ich unterdrückte den Drang, zu ihm hinzugehen. 'Reiß dich zusammen', mahnte ich mich selbst in Gedanken, 'du hast es komplett verkackt bei ihm'. Und dabei sah er auch noch so verdammt gut aus mit seinen gefärbten schwarzen Haaren und der schicken neuen Jacke. „Warum zum Teufel hast du nur so eine Scheiße gebaut?“, riss mich Nick mit seiner Frage ins Hier und Jetzt zurück. „Das wüsste ich auch gerne“, antwortete ich ebenso ratlos. „Willst du mich verarschen?“, zischte er mir zu. Ich riss mich von Daniels Anblick los, der Hand in Hand mit Luisa im Schulgebäude verschwand, und sah zu meinem Kumpel. „Ich erzähl dir nachher alles, was ich weiß, okay. Wir haben gleich Unterricht.“ „Bist du total dumm im Kopf? Als ob ich mich auf den Unterricht konzentrieren könnte. Wir gehen jetzt erst mal ordentlich einen durchziehen und dann erzählst du mir, was gelaufen ist, klaro??“

Oh man, ich konnte gar nicht in Worten ausdrücken, wie sehr ich ihn und seine Art vermisst hatte. Nick schleifte mich in den nahegelegenen Park und dort rauchten wir dann das Nerven beruhigende Gras, ohne das ich die letzten zwei Tage nicht überlebt hätte.

„Ich höre“, meinte mein Kumpel nach einer Weile, in der ich immer noch nicht zu sprechen begonnen hatte. Ich seufzte tief, bevor ich ihm dann alles erzählte, was ich vom Silvesterabend und dem folgenden morgen noch wusste. Dabei ließ ich kein Detail aus, auch meine Vermutung nicht, denn vielleicht konnte mir Nick ja irgendwie weiterhelfen.

„Okay“, sagte er schließlich, „nun habe ich nicht mehr den Drang, dich windelweich zu prügeln.“

„Freut mich“, lächelte ich schief.

„Puh, das ist echt starker Tobak.“ Er schnipste den Stummel vom Joint weg und fuhr sich anschließend durch die braunen Haare. „Meinst du echt, Annika hat was damit zu tun?“ Ungläubig zog ich meine rechte Augenbraue nach oben. „Uschi ist doch viel zu blöd für solche Aktionen und mal ehrlich, dass ich mit dem Hohlbrot in die Kiste steige und am nächsten Tag keinen mörderischen Kater habe, ist doch mehr als verdächtig.“ Bei der bloßen Vorstellung kam's mir glatt hoch und ich war dahingehend froh, keine Erinnerungen zu haben.

„Roofies“, schmiss Nick einfach ein Wort in die Gegend und ich fragte nur „Was?“

„Sag bloß, du kennst das nicht?“ „Woher sollte ich“, fragte ich unwissend nach. „Bei deinem Drogenkonsum hatte ich ein wenig mehr Wissen vorausgesetzt“, zog er mich frech auf. „Man, das is' 'ne Vergewaltigungsdroge. Damit werden Weiber aus Dissen abgeschleppt und am nächsten Tag wissen die von nix mehr und in vielen Fällen kriegen die nie 'ne Erinnerung zurück.“

Unpassender Weise musste ich anfangen zu lachen. „Was ist daran so witzig?“

„Ach komm, als ob die Tussi an so etwas ran kommen würde und was hätte sie bitte davon, wenn ich mit Uschi vögel?“

„Rache dafür, dass du ihr Daniel weggenommen hast und selbst nichts von ihr wolltest.“ Augenblicklich blieb mir das Lachen im Halse stecken. 'Du schuldest mir noch einen Gefallen', hallten mir ihre Worte im Gedächtnis nach. Verfluchte Scheiße, das konnte die doch nicht damit gemeint haben. „Ich glaub trotzdem nicht, dass die so etwas abartiges tun würde“, verkündete ich meine Annahme.

„Junge“, schüttelte Nick mitleidig den Kopf, „du bist zu naiv für diese Welt.“ Womit er wahrscheinlich recht hatte. Die nächsten Minuten versuchte ich mich mit der Vorstellung anzufreunden, dass mich jemand wirklich so sehr hassen konnte. Dabei hatte sie doch die letzte Woche im Jahr 2007 mehr von Daniel gehabt als ich. Aber vielleicht hatte ihr genau das gezeigt, dass sie ihn niemals so für sich haben konnte, wie das bei mir der Fall gewesen war. Und ganz vielleicht sahen wir nur den Wald vor lauter Bäumen nicht und es war etwas ganz anderes gewesen oder nicht mal die Schuld der beiden Weiber. „Oh man, solche wüsten Anschuldigungen können wir doch niemals beweisen, falls und ich betone nochmals: Falls es sich so abgespielt hat.“ Niedergeschlagen lehnte ich mich auf der Bank zurück, auf der wir uns zum Kiffen niedergelassen hatten und legte den Kopf in den Nacken.

„Könnte in der Tat etwas schwierig werden“, stimme er mir zu. „Aber ich kann mich ja mal in der Szene umhören, ob in letzter Zeit jemand so etwas wollte.“ „Danke“, murmelte ich und ließ meinen Kopf wieder niedergeschlagen hängen.

Wir saßen noch eine Zeit lang einfach nur nebeneinander und genossen die Stille, die um diese Uhrzeit herrschte.

„Ich war am Mittwoch noch bei Daniel“, kam es dann völlig unerwartet neben mir. Sofort stand ich wieder unter Strom und blickte meinen Sitzpartner erwartungsvoll an. Ich traute mich kaum, zu fragen, wie es Daniel ging, tat es aber dennoch.

„Mies natürlich“, würgte er mir gleich eins rein, „er hat schließlich alles selbst gesehen.“ Das bestätigte mir dann endgültig meine Befürchtung. „Ich wollte dir eigentlich nur mitteilen, dass er bei Felix untergekommen ist.“ Bloß gut, ich hatte schon befürchtet, dass das mit Annika wieder losgehen würde. Aber auch ohne die Olle war es ein nahezu unmögliches Unterfangen unsere Beziehung zu kitten. „Ich weiß echt nicht, was ich machen soll“, meinte ich weinerlich und Nick bot mir gönnerhaft seine Schulter zum Ausheulen an. Diese Einladung nahm ich ohne zu Zögern an und ließ erst mal alles raus, was ich mir die letzten Tage nicht gestattet hatte.

Irgendwann beschloss Nick, dass es Zeit für Ablenkung war und lud mich zu sich nach Hause ein. Dort soffen wir die Hausbar seines Vaters leer, der zum Glück arbeiten war und nichts von seinem Glück ahnte. In unserer guten Verfassung plünderten wir auch noch den Kühlschrank und brachten etwas zustande, dass einer Pizza wohl am nächsten kam. Während das belegte Teigding im Ofen vor sich hin brutzelte, nahm ich ein großes Messer in die Hand und fragte: „Ob das wohl scharf ist?“ Dies testete ich gleich mal an meinem linken Unterarm, der danach eine rot klaffende Wunde aufwies. „Alter“, brüllte Nick und stürzte zur Küchenrolle, um mein Blut daran zu hindern, den Linoleumboden voll zu tropfen. „Du hast echt den größten Schaden von allen.“ Kaum, dass er das gesagt hatte, mussten wir beide anfangen zu Lachen. „Du solltest nicht mehr so viel trinken“, sagte er und reichte mir danach die nächste Bierflasche. „Du auch nicht“, grinste ich.

Der restliche Tag bestand darin, mir einen hübschen Verband zu basteln, zu Kiffen, um die aufkeimenden Schmerzen abzutöten, das komische Ding aus dem Backofen zu vertilgen und weiter zu saufen. Gegen 20 Uhr lagen wir dann im Bett bzw. auf dem Sofa und schliefen den Schlaf der Gerechten. Wecken tat uns gegen 7 Uhr des nächsten Tages das Gebrüll von Nicks Vater, der wohl die Küche soeben betreten hatte.

„NICK!!! WAS ZUR HÖLLE HAST DU GETAN???“ In einiger Entfernung brummte Angesprochener unzufrieden auf, was zwei Stockwerke weiter unten natürlich niemand hörte. Und so war es nicht verwunderlich, dass einige Zeit später trampelnde Schritte auf der Treppe zu vernehmen waren und kurz darauf ein entrüsteter Vater in der Tür stand. „Nick!“, wiederholte er sich, bevor er mich auf der Couch entdeckte. „Oh“, meinte er verwundert, „du hast ja Besuch.“ Ich lugte verschlafen unter meiner Decke hervor und grinste schief. „Hallo Tim“, sprach er schon wieder ganz in seiner Gastgeberrolle, „Sorry, wenn ich euch wecke, aber was habt ihr bitteschön gestern mit meinem Haus angestellt?“

„Tschuldige“, äußerte sich auch endlich mal Nick zu der Sache, „Tim hat Liebeskummer und wir haben Abhilfe schaffen müssen.“

„Oh nein, ist Schluss mit Daniel?“, fragte er sogleich besorgt. Ich verzog daraufhin schmerzlich mein Gesicht und verkrümelte mich wieder unter der kuscheligen Decke. Nick machte wohl irgendeine verständliche Geste, woraufhin sich sein Vater kommentarlos wieder nach unten begab.

Ich liebte ihn und seinen Vater wahrhaftig für ihr Verständnis. Wir schliefen noch etwa drei Stunden, bevor wir vom Kaffeegeruch angelockt aus unserem Schlaf getrieben wurden. Ich wunderte mich jedes mal, wie Nicks Erzeuger mit so wenig Schlaf topfit sein konnte.

Schnell erledigten wir die nötige Katzenwäsche in Nicks Badezimmer und gesellten uns dann zu seinem Zeitung lesenden und Kaffee trinkenden Vater in die Küche, die mittlerweile wieder blitzblank glänzte. Mich meines schlechten Gewissens erleichtern wollend, entschuldigte ich mich für die gestrige Sauerei, woraufhin Stefan (so war sein Name) nur abwinkte. „Ich kann das nachvollziehen“, meinte er nur mitfühlend und widmete sich danach wieder den Wochengeschehnissen in dieser aufregenden Kleinstadt und ihrer umliegenden Dörfer. Trotz der Entschuldigung konnte ich mich eines miesen Gefühls nicht erwehren und kam mir reichlich dumm vor, als wir erneut die Essensvorräte plünderten und Nick wie selbstverständlich für sich und mich Kaffee eingoss. Ich war solcherlei fürsorgliche Gesten einfach nicht gewohnt und fühlte mich dabei jedes mal schlecht, so als würde ich die Beiden ausnutzen.

Nach unserem mehr als reichlichen Frühstück bedankte ich mich nochmals für die zuvorkommende Behandlung und Nick und ich begaben uns in den nahegelegen Supermarkt, um dessen Alkoholvorräte zu räubern. Wir brauchten dringend Konterbier für den gestrigen Nachmittag.

Unser Samstag bestand also auch aus den gleichen Betätigungen wie am Vortag. Nur dass mit dem Schärfetest des Messers ließ ich diesmal aus.

Sonntag stand vor der Tür und ich hatte selten so wenig Lust verspürt in eine Wohnung zurückzukehren, wie dieses Mal. Demotiviert schloss ich also die Haustür auf und musste gleich mal einen Herzinfarkt unterdrücken, als ich Daniels Schuhe im Flur stehen sah. Ich riss die Wohnzimmertür auf und sah ihn neben dem Sofa stehen. So als wäre nie etwas passiert. Als hätte es den Silvesterabend nicht gegeben stand er dort und drehte sich zu mir um. Und damit war alles anders. Sein Gesichtsausdruck hatte sich komplett gewandelt. Seine kalten Augen starrten in meine und ich konnte kein Gefühl darin entdecken. Ich wollte gerade ansetzen, etwas zu sagen, als ich auch schon unterbrochen wurde: „Hör zu“, meinte er frostig, „ich will deine dummen Erklärungen gar nicht erst hören. Denn, lass mich raten, es war so: 'Oh mein Gott Daniel, es war ein Unfall, sie ist ausgerutscht und ich konnte sie nur noch mit meinem Schwanz auffangen.' Also spar dir den Mist. Ich bin wieder hier und gut ist. Tschüss.“

Nach der Ansage rauschte er an mir vorbei und ich stand da wie der letzte Vollidiot. Zu etwas anderem war ich auch gar nicht mehr in der Lage. Verfluchter Dreck! Ich war wieder am Anfang unserer ersten Begegnung angelangt.
 


 

Daniel
 

Ich knallte meine Zimmertür hinter mir zu und ließ mich langsam an dieser herab. Alles war so gelaufen, wie ich es mir zurecht gelegt hatte. Der Plan war Tim abzupassen, die Situation auszunutzen und ihn nicht zu Wort kommen zu lassen, damit ich ein für alle Mal die Fronten geklärt bekam. Ich wollte seine Ausflüchte nicht hören, denn sonst bestünde die Gefahr, dass ich einfach klein beigegeben hätte und das würde nicht passieren. Besser fühlte ich mich allerdings nicht, eher im Gegenteil. Seufzend fuhr ich mir durch die Haare und lehnte meinen Schädel an das massive Holz. Wie konnte ich nur so tief sinken jetzt hier zu sitzen und irgendjemanden hinterher zu trauern. Ich hatte mir doch geschworen, dass ich nie zu solchen Deppen gehören würde. Zum Glück sah dieses Häufchen Elend gerade keiner. Heulen würde ich trotzdem nicht! Eher gefror die Hölle.

Die ersten Stunden traute ich mich nicht einmal aus meinem Zimmer und das in der eigenen Wohnung. So langsam zweifelte ich an meinem geistigen Zustand. Tim schlich häufiger über den Flur und jedes Mal erlitt ich einen halben Herzinfarkt. Wenn das so weiterging, würde ich es keine Woche mehr machen und vorzeitig im Jenseits landen. Irgendwann gewann der Durst überhand und ich musste wohl oder übel meinen Weg in die Küche aufnehmen, wenn ich nicht riskieren wollte schon jetzt zu verdursten. Angestrengt lauschte ich an meiner Tür. Zumindest im Flur war alles ruhig.

Langsam öffnete ich diese und steckte den Kopf hindurch. Die Luft war definitiv rein. Erleichtert atmete ich auf und bahnte mir den Weg in die Küche, nur um wie vom Blitz getroffen in der Tür stehen zu bleiben. Da stand er ruhig an den kleinen Tisch gelehnt mit einem Glas in der Hand dessen Inhalt nicht unbedingt nur nach Cola aussah. Ein Kenner realisierte das immerhin sofort. Ich wollte gar nicht wissen, wie lange Mongo sich hier schon die Beine in den Bauch stand. Wahrscheinlich hatte dieser Mistkerl nur darauf gewartet, dass ich früher oder später ja aus meinen heiligen Hallen herauskommen musste. Wie ich ihn doch hasste. Jetzt erst fiel mir die lange Wunde an seinem Unterarm auf. Was hatte der denn gemacht? Das sah nicht nur nach einem kleinen Kratzer aus. Und warum machte ich mir darum jetzt bitte Gedanken? Konnte mir doch egal sein, wenn der Typ versuchte sich selbst aufzuschlitzen.

Noch einmal tief einatmend ging ich langsam zum Kühlschrank, immer darauf bedacht Tim ja keines weiteren Blickes zu würdigen. Klappte auch super, bis ich mein Bier ergattert hatte und mich auf den Rückweg machen wollte. Scheinbar war dann auch mein Mitbewohner aus seiner Starre erwacht.

„Daniel“, gab dieser leise von sich und ließ mich kurz zusammen zucken. Musste der mich so erschrecken? Was bildete der sich eigentlich ein, mich jetzt und hier anzusprechen? Schnell, fast fluchtartig, setzte ich meinen Weg zum Zimmer fort und verbarrikadierte mich regelrecht darin. Was hatte das Mongo an meiner vorherige Ansprache eigentlich nicht verstanden? Meine Wohnung, meine Regeln. Schon seit seinem Einzug galt, dass er mich gefälligst nicht dumm von der Seite anlabern sollte. Narf, wenn der so weiter machte, würde ich es ihm einprügeln müssen, denn dazu hatte ich gerade nicht wenig Lust, aber leider hätte ich dazu noch einmal daraus gemusst. Soviel zum Thema Freiheit in den eigenen vier Wänden. Meine Tür war verschlossen und ich traute mich auch erst wieder diese zu öffnen, nachdem ich Tim am nächsten Morgen die Wohnung verlassen hörte. Dieser hatte sich auch damit noch so scheiß viel Zeit gelassen, dass ich es nie und nimmer pünktlich zu Mathe schaffen konnte. Danke auch!

Selbst wenn ich mich in einer Rekordzeit fertig machte und den halben Weg rannte, war die erste Stunde schon im vollen Gange. Entweder ich kassierte Anschiss oder ich ließ die Doppelstunde sausen. Zweiteres klang bei weitem freundlicher. So hatte ich wenigstens noch Zeit mir unterwegs einen Kaffee und eine Packung Kippen zu besorgen. Auf dem Schulhof war keine Menschenseele mehr zu sehen, als ich dort ankam. Hier eine zu rauchen, wäre auch mehr als unklug gewesen, da vom Fenster des Mathematikraumes direkt die Raucherecke zu sehen war. Es würde etwas schwierig werden so mein Fernbleiben vom Unterricht zu erklären. Daher zog ich mich auf den zweitbesten Platz zurück: das Klo.

Zufrieden setzte ich mich dort auf das Fensterbrett, zündete mir meine verdiente Kippe an und starrte Löcher in Luft. Aus der Mädchentoilette erklang leises Gekicher. Da die beiden Räume nebeneinander durch einen Luftschacht verbunden waren, konnte man, wenn es leise genug war, den Gesprächen der Weiber lauschen. Äußerst amüsante Sache. Früher taten Nick und ich das dauernd. Wer hatte wann seine Tage, welcher Lippenstift passte zu welchen Schuhen oder wer sah mal wieder am besten bzw. schlimmsten aus. Die Hühner hatten echt keine anderen Probleme. Gerade ging es um die neue Jeans-Kollektion in irgendeinem Geschäft. Als ob Jeans nicht eh alle gleich aussehen würden.

Die Tür wurde geöffnet und ich wollte schon los grummeln, dass meine Ruhe gestört wurde, als ich Nick eintreten sah, welcher mich mit einem freundlichen „Guten Morgen“ begrüßte.

„Was willst du denn hier?“, war meine passende Antwort. So langsam fühlte ich mich verfolgt.

„Was macht man wohl auf einem Klo. Ich muss mal“, kam es nur grinsend zurück. Klang logisch. Hätte ich auch von alleine darauf kommen können.

„Dann tu dir keinen Zwang an.“

„Mensch Alter, ich kann nicht schiffen, wenn du mir zuschaust“, erwiderte mein Kumpel und hüpfte leicht auf der Stelle. Was hatte der denn für Probleme?

„Angst, dass ich davon scharf werde?“

„Nee, nur dass der Neid dich umbringt.“ So ein Arsch! Lachend erledigt dieser das nötigste und kehrte dann zu mir an das Fenster zurück.

„Lebst ja noch“, war das einzige dumme Kommentar. Der hatte doch echt zum Frühstück heute einen Clown verschluckt.

„Musst du nicht wieder zum Unterricht?“

„Die können auch mal eine Weile auf mich verzichten. Krieg ich auch eine Kippe?“. So saßen wir hier nun beide, wie in alten Zeiten und genossen unser Nikotin. Ich war sogar so nett und teilte meinen Kaffee mit meinem besten Freund. Kurz bevor es zur Pause klingeln würde, kam etwas Leben in die Toilettenräume nebenan. Die ersten Weiber zogen sich ihren Lidstrich bis auf den Hinterkopf nach oder ähnliches. Gekichere verschwand und Heulen tauchte auf. Meine Fresse, da wurde man ja regelrecht wahnsinnig. Nick schien auch wenig begeistert, seufzte genervt und erhob sich. Mit einer Kopfbewegung deutete er an, dass ich ihm folgen sollte, was ich auch nur zu gern tat.

„Aber Tim ...“ ertönte es gedämpft durch den Luftschacht und wir beide blieben wie angewurzelt stehen.

„Hör endlich auf wegen der Schwuchtel zu heulen.“ Okay die Stimme gehörte eindeutig zu Annika. Dieses penetrante Organ erkannte man unter tausenden. Eigentlich wollte ich es nicht hören, aber Nick blieb demonstrativ stehen und verdeutlichte mir, dass ich ruhig sein sollte.

„Aber, ich verstehe es nicht. Wir haben doch“, jammerte die andere Person weiter, welche ich logischer Weise als Uschi identifizierte.

„Jetzt reiß dich zusammen. Der Kerl hätte doch sowieso niemals mit dir gevögelt, wenn ich ihm nicht das Zeug ins Glas getan hätte.“

„Du hast was?“

Ja, sie hatte was? Ich stand wie gelähmt da und starrte ungläubig vor mich hin. Ich hatte Annika viel zugetraut, aber nicht das. Nick scheinbar schon, denn dieser sah nicht einmal halb so überrascht aus, wie er eigentlich sollte.

„Wie? Wa-warum“, ertönte es leise von drüben. Uschi schien genauso verwirrt und schluchzte noch unkontrollierter vor sich hin. Das „Warum“ würde mich ja auch mal interessieren, immerhin betraf mich ja die ganze Sache auch indirekt. Und zum Glück war auf die Kotzkuh von Ex auch Verlass:

„Die Pillen waren ein kleines Geschenk von Fritto. Er hatte mit beiden noch eine Rechnung offen, ich brauchte einen Weg sie auseinander zu bringen und du hattest eine Nacht deinen Spaß. So was nennt man eine Win-Win Situation.“

Gott, wurde mir schlecht. Wie konnte man nur so krank im Kopf sein? Die Sache mit Fritto hatte ich schon wieder völlig ausgeblendet, seit dieser für ein paar Wochen zum Austausch nach Amerika gereist war. Ich hatte ja noch nicht einmal seine Rückkehr mitbekommen.

„Hab ich es doch gewusst“, flüsterte Nick leise. Schön, dass alle immer besser informiert waren als ich. Die ganze Scheiße war vielleicht auch mein Problem.

„Tim meinte, er könne sich an nichts erinnern, hatte jedoch keinen Kater, was Alkohol ausschließt“, erklärte mein bester Kumpel leise weiter. Ich achtete gar nicht weiter auf die beiden Weiber. Ich hatte genug gehört. Annika konnte ich leider nicht die Scheiße aus dem Gesicht prügeln. Man hatte ja so seine Prinzipien, aber da gab es ja zum Glück noch einen Schuldigen. Ich rannte regelrecht an Nick vorbei aus der Toilette. Scheinbar hatte es schon zur Pause geklingelt, denn die Flure waren vollgestopft mit lärmenden Schülern. Wütend kämpfte ich mir meinen Weg durch die Massen auf der Suche nach Fritto. Ich konnte nicht einmal sagen auf wen ich mehr wütend war. Auf ihn, weil er hier so eine Scheiße abzog, oder auf mich, weil ich wirklich kurz geglaubt hatte, dass Tim freiwillig zu dem fähig gewesen wäre. Zum Glück oder eher zum Leidwesen anderer setzte mein Hirn komplett aus, als ich diesen Klapperstorch von Möchtegern-Emo im Foyer stehen sah. Mir brannten förmlich die Sicherungen durch, als ich auf ihn zu lief und ihm einfach nur eine gekonnte Rechte mitten in die Fresse verpasste. Der Überraschungsmoment war definitiv auf meiner Seite. Verdutzt taumelte mein Gegner zurück und sah mich fassungslos an.

„Du weißt warum“, zischte ich darauf nur wütend und holte erneut aus. Leider war dieser Mistkerl weder blöd noch wehrlos, sondern checkte zu schnell die Situation und ging ebenfalls auf Angriff über. Eine Rangelei würde ich das ganze nicht mehr nennen wollen. Wir prügelten uns gegenseitig wohl eher sämtlichen Frust heraus, sodass es pro Mann drei Lehrer brauchte, um uns wieder auseinander zu bekommen. Eine nicht zu verachtenden Menschenmenge hatte sich um unser kleines Schauspiel gebildet und glotzten neugierig zu, wie wir beide abgeführt wurden. Natürlich direkt zum Büro des Rektors, wo wir weit auseinander gesetzt unter Aufsicht unser Gemüt „abkühlen“ sollten. Verstohlen schielte ich kurz zu Fritto. Ich hatte wirklich gute Arbeit geleistet. Aus dessen Nase quoll stetig Blut, was er versuchte notdürftig mit einem Taschentuch wegzuwischen. Man konnte schon jetzt erahnen, welche Stellen sich in seinem Gesicht spätestens morgen hübsch färben würden. Leider sah ich bestimmt nicht besser aus. Meine Augenbraue brannte wie Hölle und ein verdächtig warmes Rinnsal lief mir seitlich am Auge vorbei. Mein Magen fühlte sich ziemlich taub an und ich wollte gar nicht an die Schmerzen denken, welche auf mich warteten. Bewegen war ja schon jetzt eine schlechte Idee. Nach einer geschlagenen Stunde wurden wir endlich freigelassen, da wir beide eisern schwiegen, und für den weiteren Schultag suspendiert. Was für eine Bestrafung. Jetzt hatte ich schon die schulische Erlaubnis fürs schwänzen. Das einzige, was mir noch mehr Magenschmerzen bereitete, war die Tatsache, dass die Schule natürlich unsere Eltern informieren würde. Na Halleluja! Das konnte ja noch was werden.

Kaum waren wir aus dem Lehrerzimmer raus drehte sich Fritto zu mir herum.

„Glaub nicht es ist schon vorbei“, giftete dieser los und ließ mich nur grinsen, was nicht gerade schmerzfrei war. Oh man, mein Gesicht wollte ich wirklich nicht sehen.

„Ich würd' den Ball lieber flach halten, sonst könnte ich mich aus Versehen verplappern. Ich glaub nicht das deine Drogen in Deutschland legalisiert sind“, gab ich neutral zurück und erkannte an seinem Gesichtsausdruck, dass ich voll ins Schwarze getroffen hatte.

„Mach doch was du willst. Du kannst mir nichts“, motzte unser Emo nur zurück und zog von dannen. Nach Hause gehen war jetzt wirklich eine gute Idee auch wenn dies nur langsam realisierbar war. Man, taten mir alle Knochen weh. Ich wurde wirklich zu alt für diese Scheiße. Und was mir noch von meinen Eltern blühen würde, wollte ich mir gar nicht erst ausmalen. Und dann war da noch die Sache mit Tim. Ich hatte wirklich keinen Plan, was ich tun sollte.
 

TBC

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Kommentare zu diesem Kapitel (8)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  myu_the-vampire
2011-04-30T19:40:18+00:00 30.04.2011 21:40
Oh man... armer Tim... =( erst das mit Uschi&Annika und dann noch der Stress mit Daniel -.-
Würd Annika am liebsten zum Mond schicken, obwohl... der wäre für die noch zu Schade!!!! XP

Hoffentlich kriegen die beiden das hin :)
und hoffentlich danken sie es Nick^^ der ist den beiden schließlich ne GROßE Hilfe ^^

Ich liebe die Story <3

LG Miyu
Von:  MarukaHazmierski
2011-04-29T20:47:00+00:00 29.04.2011 22:47
halloooo???
warum idst das chap zu ende >_____<
schreibt weiter XDDDDD *suchtiiiiiiiii*
Von: abgemeldet
2011-04-29T11:32:05+00:00 29.04.2011 13:32
Oh wai gosh!
Ich hab die ENS bekommen, als ich grade zu meinen Cousins mit dem Zug wollte...
Dann hab ich einfach das kap. gespeichert und im Zug gelesen ^^
Richtig klasse, obwohl ich das mit dem K.O.Tropfen oder so ähnliches halt...hatte ich schon vermutet haha, haben wahrscheinlich die meisten...
Wirklich cool die Storry.
Mit Tim und Daniel habt ihr in mir jedenfalls eine treue Leserin gefunden.
Bin total gespannt.
Von:  Khaosprinzessin
2011-04-28T17:41:44+00:00 28.04.2011 19:41
hui, daniel ich bin ja soooooo stolz auf dich! du hast dich soeben FÜR tim geprügelt!!! wow!
und nun schwing deinen knackarsch zu tim und klär die sache und lasst anschließend die lacken brennen^^
ich liebe nick, ganz ehrlich! erstens versteht er die beiden auch ohne zu reden und zweitens ist er mittlerweile mein lieblingskiffer^^ ich find den einfach nur super!
und tim und daniel sowieso und überhaupt!
freu mich schon aufs nächste kappi, geht ja im mom irre fix bei euch^^ find ich super

see ya in hell, beast
Von:  Jeschi
2011-04-28T17:23:08+00:00 28.04.2011 19:23
Wow~ heftige Aktion, ey. xD
Aber jetzt ist es endlich raus. ^^ Ich hoffe, die Jungs können das jetzt klären.
Von:  RockFee
2011-04-28T16:52:51+00:00 28.04.2011 18:52
Da stimmt anscheinend die Aussage: Es gibt nichts Schlimmeres als eine Gekränkte Frau. Das war ja ein starkes Stück von Annika.
Nick ist den Beiden ja wirklich ein toller Kumpel. Wer weiß, wie sie ohne den zueinander stehen würden. Wobei - da wäre jetzt erst mal ein klärendes Gespräch fällig.

lg
Von:  Inan
2011-04-28T16:23:33+00:00 28.04.2011 18:23
Annika ist wirklich...naja, sie war ja nie eine der nettesten fiktiven Personen auf diesem Planeten..
Hoffentlich kriegen Tim und Dani das wieder hin, ohne Nick wären sie wohl noch nicht mal so weit, wie sie es so sind~
Tolles Chap~ :)
Von:  -Black-Pearl-
2011-04-28T16:11:40+00:00 28.04.2011 18:11
Reden wäre eine gute Sache, glaube ich xD
Man, hatte aber auch schon an Drogen gedacht.... die beiden sollen das schnell wieder kitten ;)
LG


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