Der Diebstahl
Der Diebstahl
Eine große Gestalt in edlem Gewand und mit wehenden weißen Haaren, stand auf einem Hügel und blickte ins Tal hinab.
Sesshomaru hatte schon seit längerem Naraku gewittert, aber er konnte den Quell der Geruches nicht richtig orten. Das brachte ihn zur Weißglut.
Hinter sich hörte er tappende Schritte.
" Sesshomaru- sama!", erklang die hohe Kinderstimmer von Rin. "Wieso hast du es heute dauernd so eilig?"
" Sei still Rin!" tadelte Jaken sie " Man stellt nie das Tun des großen Sesshomaru- sama in Frage!"
" Oh... entschuldigung. Aber du bist doch auf der Suche nach etwas, nicht wahr Sesshomaru- sama?"
" Hach dieses Gör", flüsterte Jaken mehr zu sich selbst " Immer so neugierig. Und diese dauernde Fragerei!"
Sesshomaru antwortete nicht. Er sog prüfend die Luft ein und filterte Narakus Geruch heraus.
Kam er von Osten oder von Westen?
Anmutig sprang der Youkai auf einen hohen Felsen und prüfte die Lage von dort. Diese Sucherei machte ihn fast wahnsinnig! Dass er, Sesshomaru, sich von Naraku derart sprichwörtlich an der Nase herumführen ließ konnte er einfach nicht ertragen.
Aber er musste Naraku finden und wenn er das ganze Land nach ihm absuchen musste. Er war einfach zu weit gegangen: Zuerst hatte er Sesshomaru benutzt, indem er ihm einen Arm mit einem Splitter des Juwels gab, dann wollte er sogar Sesshomarus Körper einnehmen!
So etwas Unverschämtes ließ sich der Youkai nicht länger gefallen.
Er hob die Nase in den Wind und schnupperte aufmerksam. Eine sanfte Briese kam ihm entgegen und sie trug tatsächlich den gesuchten Geruch bei sich. Sesshomaru starrte in die Richtung, aus der die Briese kam und lächelte selbstzufrieden.
Jetzt habe ich dich endlich gefunden du elender Halbdämon, dachte er und sprang los.
" He! Sesshomaru- sama!! Wo wollt ihr hin?" rief ihm Jaken händeringend nach.
" Jaken. Bleib mit Rin dort." Befahl der Youkai bevor er außer Hörweite kam. Rin blickte ihm bekümmert nach.
" Er wird doch bald wiederkommen, nicht wahr Jaken- sama?"
" Natürlich!"
" Wann glaubst du wird er wieder da sein?"
" Das kann ich doch nicht wissen. Wieso gehst du nicht und kümmerst dich um Ah und Uhn?"
" Ist gut." Munter sprang das Mädchen los und pfiff dabei ein fröhliches Lied.
Jaken folgte ihr und rollte genervt mit den Augen. Im Grunde hatte er Rin gern, aber das war ihm nicht bewusst.
Sesshomaru landete sanft auf dem Gras und zog Tokejin lautlos aus der Scheide. Aufmerksam blickte er sich um und ließ seine scharfen Augen über jeden Fleck gleiten.
Etwas war da, aber er konnte nichts riechen und hören ebenso wenig. Es war ungewöhnlich still, so als ob alles Leben geflohen wäre.
Etwas knackte gefolgt von einem zischenden Laut.
Sesshomaru wirbelte blitzschnell herum und sah sich zu seinem Erstaunen einem riesigen Schmetterling gegenüber, der gerade ein paar Bäume wie Strohhalme einfach umknickte.
Sesshomaru ließ sich nichts anmerken.
Mit kaltem Blick musterte er seinen Gegner, der eine seltsame Mischung aus Eleganz und Hässlichkeit aufwies. Der plumpe Körper hing schwerfällig in der Luft, als ob er von unsichtbaren Fäden gehalten wurde. Im allgemeinen sah der Insektendämon fast pummelig aus, wenn man seine Klauen und die vielen Tentakel, die aus seinem Körper sprossen, außer Acht ließ.
Das Insekt zischte erneut und starrte Sesshomaru mit funkelnden Facetteaugen an. Er starrte seinerseits zurück. Kein Muskel zuckte in seinem Gesicht.
Von der Gelassenheit des Gegners provoziert, stieß der Dämon einen Kampfesschrei aus und ließ seine Tentakel auf Sesshomaru los.
Er wich ihnen elegant aus und schwang Tokejin so schnell, dass die Schwertklinge die Tentakelfront zerschnitt und den Körper des Dämons mit voller Wucht traf. Der Schmetterling schrie auf und krümmte sich zusammen. Er wankte bedrohlich aber die Tentakel schienen eigenständig zu handeln. Ohne die blutende Verletzung zu berücksichtigen schossen sie auf Sesshomaru zu.
Eine richtige Herausforderung war das für ihn nicht. Mühelos zerschnitt er mit dem Schwert die Tentakel und versuchte den Körper noch einmal zu treffen. Aber für jede Tentakel die er abschnitt kamen zwei neue dazu, die den Körper des Dämons schützten und Sesshomaru nicht mehr als einige Meter heranließen.
Weiteres bemerkte der Youkai, dass sein Gegner keinen Geruch hatte. Das erschien ihm ein bisschen seltsam. Er hatte doch Narakus Geruch verfolgt, aber von dem war nichts mehr zu wittern. Stattdessen war nur dieses Monster aufgetaucht...
Was soll das Naraku, dachte Sesshomaru, während er weitere Tentakel abhackte. Wieso versteckst du dich? Bist du im Grunde so ein großer Feigling? Nun, bei einem Halbdämon hätte ich nichts anderes erwartet. Du schickst sogar deine Handlanger, um die dreckige Arbeit zu erledigen.
Das Insekt hatte sich inzwischen schwankend aufgerichtet und schien wieder bei Kräften zu sein. Es knurrte leise und schwebte mit schillernden Flügel auf Sesshomaru zu. Es schien eine neue Taktik einzusetzen, in der sein Rüssel eine Rolle spielte. Er schnellte hervor, zielte und spuckte einen Säureschwall aus.
Sesshomaru wich schnell aus, aber einige Tropfen streiften seinen Ärmel und hinterließen kleine schwarzgeränderte Löcher. Unbeeindruckt griff der Youkai von neuem an. Er wich einem weiteren Säureangriff aus, bahnte sich einen Weg durch die Tentakel und trennte einen Flügel mit einem sauberen Schnitt vom Körper. Der Schmetterling schrie markerschütternd auf und fiel auf die Seite.
Zuckungen durchfuhren ihn und er flatterte verzweifelt mit dem anderen Flügel von dem goldenes Pulver fiel und auf die Erde rieselte, sofort verwelkte das Gras und die Blumen ließen schwach ihre Köpfe hängen.
Bevor der Staub Sesshomaru erreichte, sprang er schnell zurück, um einen sicheren Abstand zu haben. Es kam ihm seltsam vor, dass ihm Naraku einen so schwachen Gegner schickte. Irgendetwas war da faul.
Vielleicht lauerte irgendwo ein Hinterhalt. Sesshomarus Blick tastete suchend über Bäume und Felsen. Nichts regte sich.
Schließlich wandte er sich wieder seinem Gegner zu, der sich etwas aufrichtete und Sesshomaru hasserfüllt anfunkelte. Dieser blieb völlig gelassen.
" Schluss mit den Spielchen." Sagte er und schnitt mit Tokejin durch die Luft. Die erzeugte Energiewelle floss auf den Dämon zu und zerfetzte ihn regelrecht. Der Schmetterling ächzte und fiel zu Boden. Er regte sich nicht mehr.
Anders sah es bei den Tentakeln aus: Sie stellten sich auf und wiegten sich wie Schlangen hin und her.
Sie gingen alle gleichzeitig zum Angriff über und attackierten Sesshomaru von allen Seiten. Dieser sprang in die Luft, entging somit ihren tödlichen Umarmungen. Er hob Tokejin und ließ die Klinge mit aller Kraft herabsausen.
Im selben Moment spürte er ein Zerren an seiner Seite. Er blickte an sich herab und beobachtete erstaunt, wie ein anderer Insektendämon Tenseiga packte und schnell wie ein Pfeil davonflog.
Das alles passierte gerade mal in einer halben Sekunde. Auch Sesshomarus schnelles Reaktionsvermögen kam ein klein wenig zu spät. Bevor er den Dämon packen konnte, war er bereits über alle Berge. Aber... Sesshomaru schnupperte. Da war ein ganz schwacher Duft... Schwefel vielleicht? So genau konnte er es nicht bestimmen. Es konnten auch mehrere Gerüche auf einmal sein.
Nachdenklich landete er auf dem versengten Gras und betrachtete grimmig die verkohlten Überreste des Schmetterlings.
Zorn wallte in Sesshomaru auf. Jetzt versand er.
En Ablenkungsmanöver.
Der Schmetterling hatte ihn abgelenkt, damit ein anderer Insektendämon Tenseiga an sich nehmen konnte. Und er war auf so einen banalen Trick reingefallen!
Wer war denn so lebensmüde ihn zum Narren zu halten und nebenbei auch noch Tenseiga zu stehlen?
Sesshomarus Gesicht verfinsterte sich vor Wut.
Ein plötzlicher Schrei und das Summen vieler Insekten unterbrach seine Gedanken.
Rin.
Sesshomarus Ohren zuckten und er vergaß seine Wut vorerst. Ohne lande zu überlegen erhob er sich in die Luft und flog zu Jaken und Rin zurück. Zum Glück war er nicht weit weg, sodass er die beiden bald erreichte.
Mit einem Blick erfasste er die Lage: Jaken und Rin waren von großen missratenen Dämonenfliegen eingekreist. Jaken hatte sich schützend vor Rin gestellt und seinen Stab erhoben. Einige Dämonen lagen bereits tot am Boden, aber es waren zu viele, um sie alle aufzuhalten.
Sesshomaru reagierte schnell.
Er stürzte auf die fetten Dämonenfliegen zu und tötete alle mit ein paar Schwertstreichen. Sie hatten kaum Zeit zu begreifen, was mit ihnen geschah, geschweige denn sich zu verteidigen. Mit einem lauten " Plumps" fielen sie zu Boden.
Rin hatte die Hände vor die Augen gepresst und ließ sie jetzt langsam sinken. Erleichtert atmete sie aus.
" Ah... Sesshomaru- sama! Ich wusste, dass du kommen würdest!" strahlend lächelte sie ihn an. " Ich hatte fast keine Angst, aber Jaken hat auch gut gekämpft."
Verlegen blickte Jaken zu Boden und zupfte an seinem Gewand herum.
" Hmm." Machte Sesshomaru nur, aber Rin schien das zu genügen. Glücklich schlenderte sie zu dem zweiköpfigen Drachen Ah und Uhn und tätschelte deren großen Schnauzen.
Jaken richtete sich auf und versuchte wieder würdevoll auszusehen. Er musterte die Dämonenfliegen angeekelt.
" Was waren das für Dämonen, Sesshomaru- sama?" fragte er behutsam. Gleichzeitig fiel sein Blich auf Tokejins Scheide. Nur eine Scheide und nur ein Schwert.
" Oh... aber wo ist Tenseiga?" fügte er überrascht zu seiner ersten Frage hinzu.
" Gestohlen. Von einem Insektendämon."
" Insektendämon? So wie diese hier?" Jaken trat nach einer Fliege, die den Hang hinunter rollte und auf einen Stein klatschte.
Vielleicht hätte Sesshomaru geantwortet, wenn ihn nicht etwas plötzlich abgelenkt hätte. Er wirbelte so unerwartet herum, dass er den überraschten Jaken von den Füßen riss. Prüfend sog er die Luft ein.
Ja, es bestand kein Zweifel. Dieser Geruch war bekannt und nur allzu verhasst.
" Inuyasha." flüsterte Sesshomaru.