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Assoziatives Schreiben

à ma manière
von

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Satz 09: Der Auslöser - nicht der Grund

Ihre Eltern vertraten den liberal-europäischen Standpunkt, dass Jugendliche, denen Alkohol schon früh frei zur Verfügung steht, auch entsprechend früh lernen, damit umzugehen. So war es nicht weiter verwunderlich, dass das Mädchen bereits mit siebzehn Jahren die Unterschiede verschiedener Weinsorten kannte, die Vorzüge eines vollmündigen Merlots oder eines fruchtigen Cabernet Sauvignons zu schätzen wusste und Weißwein nur gut gekühlt trank. Sie konnte qualitativ hochwertigen Branntwein von Fusel unterscheiden, wusste welches Getränk man zu welcher Speise reichte und war in der Lage einzuschätzen wie viel sie wovon vertrug.

Denn bei allem Liberalismus der den Standpunt zum Thema Alkohol geprägt hatte, hatte der Gedanke von bis zur Besinnungslosigkeit alkoholisierten Jugendlichen ihren Erziehungsberechtigten Übelkeit beschert.

Dies war auch der ausschlaggebende Grund für diese Art des Umgangs mit dem Thema gewesen. Die Bedrohung durch eine Gefahr nahm ab, je besser man darüber Bescheid wusste. So oder so ähnlich war ihre Argumentation vor Freunden und Bekannten gewesen. Oft waren sie auf Ablehnung gestoßen und hatten für ihre Erziehung böse Blicke geerntet. Doch immer hatten sie mit Stolz sagen können, dass es funktionierte.
 

Bis zum heutigen Abend…
 

Zwar bezweifelte Karen, dass es an dieser Ansicht ihrer Eltern lag, dass sie jetzt hier saß, vollkommen betrunken und vollkommen verzweifelt, aber sie schämte sich trotzdem.

Was würden sie sagen, wenn sie sie jetzt so sehen könnten?

Ihnen wäre das „Warum“ egal. Es ging immer nur um den aktuellen Zustand.

Dieser war schon viel eher ein Grund um sich zu betrinken…

Die jetzigen Verhältnisse waren nicht berauschend…

Dieser Wortwitz zauberte ein sarkastisches Lächeln auf ihr Gesicht. Das wäre ihr nüchtern nicht passiert.
 

Voller Abscheu blickte sie nun auf die klare Flüssigkeit, die in dem Pappbecher hin und her schwappte als sie das Gefäß leicht bewegte. Billig und scharf. So konnte man diesen Fusel, der sich Wodka schimpfte beschreiben. Ein Geruch wie Putzmittel stieg ihr in die Nase. Unter normalen Umständen hätte sie dieses Zeug niemals angerührt.

Aber jetzt passte alles zusammen. Das schäbige Zimmer, in dem sie sich befand und der billige Alkohol in dem Pappbacher…
 

Reisen machten sie immer ein wenig traurig. Sie zeigten so viele Missstände auf.

Das, was im eigenen Leben fehlte, wurde dem Reisenden gnadenlos vorgehalten, genauso wie die Zustände in anderen Ländern offensichtlich wurden. Nicht viele Staaten hatten einen derart hohen Lebensstandard wie der, aus dem sie kam.

Es verdunkelte ihre Gedanken, wenn sie sich in einer Umgebung, wie dieser befand.

Ein halbzerfallener Plattenbau neben dem anderen. Überbleibsel aus einer anderen Zeit, doch immer noch in Gebrauch. Daumendicke Kabel hingen von der niedrigen Decke des Gebäudes, das sich ernsthaft als 3-Sterne-Hotel ausgab. Die Wände waren kahl, der Bodenbelag löste sich deutlich ab. Alles in allem kein Ort den man freiwillig wieder aufsuchte…

Von den unliebsamen Überraschungen im Essen des Hotelrestaurants ganz zu schweigen. Alles hier war ohne Liebe und ohne die notwendigen finanziellen Mittel errichtet worden, die nötig gewesen wären um einen Ort zu schaffen der zumindest den Hauch einer wohnlichen Atmosphäre hatte.

Während ein paar U-Bahnstationen weiter prächtige Bauten die belebten Straßen schmückten und Touristen an jeder Ecke unnötigen Schrott kauften...

Doch all diese Umstände waren nicht der Grund für ihre Gemütslage. Sie waren lediglich der Auslöser, der Tropfen der das Fass endgültig zum überlaufen brachte.
 

Schon lange war nicht mehr alles in Ordnung in ihrem Leben.
 

Ihre tollen liberalen Eltern…

Ihr tolles Leben, als das Kind von wohlhabenden liberalen Eltern…
 

Nach außen hin schien alles wie immer. Doch das was sich hinter der prächtigen Fassade abspielte ahnte keiner.

Die Lieblosigkeit die den Umgang in der Familie miteinander prägte führte Schritt für Schritt in die vollkommen falsche Richtung. Gegenüber allen anderen blieb diese Farce aber erhalten. Die gutverdienenden, junggebliebenen ach so freisinnigen Eltern spielten in Wahrheit nur ein Spiel. Zu sehr waren sie in einem starren Rollendenken gefangen, als dass sie daraus ausbrechen hätten können. Die Ehe war gescheitert, doch die Furcht dies öffentlich zu machen war zu groß. Stattdessen sperrten sie sich jeden Tag aufs Neue in ihren selbstgebauten Käfig. Ohne Möglichkeit zu entkommen…

Diese Einengung war der Grund für den Hass der schleichend sich breit machte.

Niemals wäre es soweit gekommen, wäre die Lage so katastrophal wenn es ihre „liberalen“ Eltern die Courage besessen hätten, sich einzugestehen, dass es keinen Sinn mehr machte zusammen zu bleiben. Doch nun wurden sie jeden Tag mit dem jeweils anderen und den, mit diesem verbundenen, Gefühlen konfrontiert.
 

Auf dieser Reise, einer Schulveranstaltung, war ihr dies bewusst geworden. Lange genug hatte sie es nicht gesehen, oder einfach nicht sehen wollen.

Tief im Innersten hatte sie es wohl gespürt, gehandelt hatte sie nicht…

Im Grunde war sie nicht besser als ihre Mutter und ihr Vater. Sie könnte genauso etwas bewegen…
 

Es war ein Leichtes gewesen hier etwas zu finden, dass den Frust wegschob. Schließlich war es nichts ungewöhnliches, wenn eine Gruppe von Siebzehn- bis Achtzehnjährigen auf solche einer Reise nicht nur Limonade trank, auch wenn offiziell natürlich niemals auch nur ein Tropfen einer ethanolhaltigen Substanz angerührt wurde.
 

Sie kannte das Gefühl nicht, wenn man den Punkt erreichte, an dem sich die ausgelassene Stimmung in tiefe Niedergeschlagenheit verwandelte.

Wie auch, wenn sie immer höchstens angeheitert gewesen war, niemals wirklich betrunken?

Diese Erfahrung war eine vollkommen neue für Karen. Doch das Gefühl, der Anschein von Klarheit und das damit verbundenen Abstürzen in ein tiefes Loch sollte sich in ihr Gedächtnis einbrennen…

Genauso wie der Kater am nächsten Morgen.
 


 

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Im Übrigen bin ich eigentlich auch der Meinung, dass Jugendliche bzw. Kinder schon früh mit Alkohol und den damit verbundenen Risiken vertraut gemacht werden sollten. (Natürlich mit Maß und Ziel!) Nur mit Verboten ist keinem geholfen.

Meiner Meinung nach ist es weder verwerflich, wenn man Kinder von Bier oder Wein kosten lässt, noch daran, wenn Jugendliche (unter gewissen Bedingungen) Alkohol trinken.
 

Auf jeden Fall ein Thema über das Mann stundenlang philosophieren oder streiten könnte...
 

Alkohol alleine ist selten der Grund für Probleme. Jedoch sind Probleme oftmals der Grund für übermäßigen Alkoholkonsum. (Ein Teufelskreis)



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Dels
2008-12-20T19:23:21+00:00 20.12.2008 20:23
Hallöchen, ich wühl mich heute mal durch alle möglichen Satz-Beiträge und fange ganz einfach mal hier an.

Erst mal was zum Schreibstil. Liest sich, wie schon von Shu angemerkt, sehr flüssig und so gut wie völlig fehlerfrei (habe glaub ich zwei Kommata vermisst), man stolpert nicht und hängt sich auch nicht an ellenlangen Bandwurmsätzen auf.

Zum Inhalt, was ja eigentlich wichtiger ist:
Der Satz war ja auch nicht sehr dankbar und du hast was wirklich gutes daraus gemacht. Das mit dem jungen Mädel, das fast ne Spezialistin in Sachen Spirituosen ist, das fand ich nen richtig guten Einfall. Mal was ganz Abwegiges irgendwie, so ne leicht angesnobte Yuppie-Tochter mit Kenntnissen und Niveau.
Und dann rutscht sie trotzdem ab. Da sieht man mal, dass Wissen nicht vor Dummheiten schützt. Wobei Dummheit, für sie war es ja mehr ein Akt der Hilflosigkeit und der Frustration.

Irgendwie bezeichnend fürs Teenageralter, das Ganze. Die jungen Erwachsenen können noch so gebildet und "wohlerzogen" sein - wenn Probleme angeschwappt kommen, verhalten sie sich auch nicht anders wie alle anderen Orientierungslosen ihrer Altersklasse. Ich finde, zu der beschriebenen Protagonistin passt dieses Kühle, Distanzierte in deiner benutzten Sprache/Formulierung ziemlich gut und transportiert diesen trockenen Frust sehr gut. So heftig emohaft hätte garnicht gepasst.

Liebe Grüße,
tsche
Von:  Technomage
2008-11-25T01:25:12+00:00 25.11.2008 02:25
Hao^^,

ich bin etwas unschlüssig, was ich von der Geschichte denken soll, aber eigentlich gefällt sie mir gut.
Die Sprache liest sich sehr gut, sehr einfühlsam und sehr angeschmiegt an die Situation. Sie weicht wirklich in keinem Moment vom Gedankengang der Hauptfigur ab und gibt ihre Introspektive wieder. Ich kann mich leider nicht so ganz entscheiden, ob die Figur so emotional kühl und lethargisch ist oder nur so rüberkommt, weil ihre Gefühle nicht eindeutig rauskommen. Ich denke allerdings, dass es wohl deine Absicht war sie so rüberkommen zu lassen und es ist sicherlich gelungen.
Die Handlung finde ich gut übermittelt, soweit man von Handlung sprechen kann. Ich hatte den Eindruck des Mädchens, wie es da sitzt und sich betrinkt sehr gut vor mir, was auch an einem guten Auge für Beschreibungen deinerseits liegt.
Allgemein wirkte der Ablauf auf mich noch ein wenig hölzern und unrund, gerade als es in den Schluss ging, aber das ist bei Assoziieren nicht wirklich ein Kriterium.

In dem Sinne: Gute Geschichte ^_^.

Grüße,
shu.
Von:  Ito-chan
2008-11-16T21:43:00+00:00 16.11.2008 22:43
Applaus.
Hast du sehr gut hinbekommen!
Ein sehr beschreibender Schreibstil, der dem Leser die Situation des Mädchens sehr deutlich macht.
Zwar ein wenig emotionslos, aber wahre Emotion würde wahrscheinlich auch nicht zu der Protagonistin passen, daher auch hier wieder sehr gut gearbeitet. Schreibstil und Handlung passen gut aufeinander. Gefällt mir ^^


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