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business as usual

Die Hungerspiele des Lynn Irving
von

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2. The Liar

Alexander Irving war trotz – oder gerade wegen – seines Alters ein eindrucksvoller Mann. Das allerdings hatte nichts mit seinem Äußeren zu tun. Nicht mehr. Es hieß, in seiner Jugend sei er begehrenswert gewesen. Ganz Panem hätte ihn damals bewundert wie heute nur Finnick Odair. Heute war von seiner Schönheit nicht viel geblieben. Über achtzig Jahre hatten ihn geprägt und mit grauen Haaren, Altersflecken und einem stahlharten Blick zurückgelassen.

Letztendlich war es egal. Besonders für all jene, die Friedenswächter waren und keine Fragen zu stellen hatten.

Faris Alston war ein Friedenswächter und er stellte keine Fragen. Er stand von der Tür und er würde dort stehen bleiben. Entweder, bis ihm einer seiner Vorgesetzten einen Befehl gab oder die Zeit um war und die Familie des Mädchens gehen musste. Den Kopf erhoben und die Arme hinter dem Rücken verschränkt, erwiderte er den Blick des Mannes vor ihm.

„Es tut mir wirklich Leid, Sir, aber ich habe meine Anweisungen. Ich darf sie jetzt nicht einlassen.“

Die meisten anderen Bewohner des Distrikts hätten sich damit abspeisen lassen, aber nicht Alexander Irving. Die Jahre als Bürgermeister hatten ihn scheinbar daran gewöhnt, dass seinen Befehlen Folge geleistet wurde. Er baute sich mit all seiner Würde vor ihm auf und obwohl Faris ihn um einen Kopf überragte, fühlte er sich, als müsse er unter dem Blick des Mannes zusammenschrumpfen.

„Ihre Anweisungen sind mir egal, Sir“, antwortete Irving ihm und verzichtete auf alle drohenden Gesten, „Ich sagte Ihnen bereits, es ist dringend. Ich bin im Auftrag meiner Enkelin hier.“

Es war eine unverhohlene Warnung. Dementsprechend behutsam wog Faris seine Optionen ab. Er wusste, welche seiner Enkelinnen der alte Irving meinte und er wusste auch, dass es ihn durchaus in Schwierigkeiten bringen würde, wenn er sich einem direkten Befehl der amtierenden Bürgermeisterin widersetzte, auch wenn er ihrem Befehl eigentlich nicht unterstand. Nicht, dass es nicht auch Probleme bedeuten würde, wenn er dem Drängen des alten Mannes nachgab. Am liebsten hätte er Steen, der mit ihm Wache schob und schwieg, einen bittenden Blick zugeworfen, doch er wusste es besser als sich jetzt die Schwäche zu geben, bei einem Untergebenen Hilfe zu suchen.

Letztendlich war es nicht Steen sondern seine Uhr, die ihn schließlich vor der Misere, eine Entscheidung zu treffen, rettete. Sie piepte leise und verkündete das Ende der Zeit.

„Ich erfülle nur meine Pflicht“, erwiderte er, obwohl es nach seinem Schweigen selbst in seinen Ohren dümmlich klang, und wandte sich demonstrativ der Tür zu. Er klopfte taktvoll, wartete allerdings deutlich weniger taktvoll nicht darauf, hineingebeten zu werden. Er öffnete die Tür mit Schwung. Augenblicklich hatte er die volle Aufmerksamkeit der fünf Anwesenden.

„Die Zeit ist um“, verkündete er.

Eines musste er Crestas Familie zugute halten – keiner von ihnen machte ihm eine Szene, obwohl vermutlich jeder von ihnen wusste, dass ihre Annie nicht zurückkehren würde. Der Vater, ein großer Mann mit dem braunen Haar, das seine Tochter augenscheinlich von ihm geerbt hatte, warf ihm einen finsteren Blick zu, drückte seine Tochter dann aber noch einmal zum Abschied und verließ den Raum. Seine Frau und die beiden jüngeren Mädchen folgten seinem Beispiel.

Unwillkürlich atmete Faris auf. Er hasste dramatische Szenen bei der Verabschiedung und gerade bei früheren Ernten, die er in den ärmeren Distrikten verbracht hatte, hatte er davon mehr als genug erlebt. Leider waren die Crestas sein kleineres Problem. Das eigentliche Problem erinnerte ihn mit einem unfreundlichen Schulterrempler an seine Existenz.

Einen Augenblick später brach ihm eine solide Holztür beinahe die Nase. Für einen Moment musterte Faris die dunkle Maserung des Türblatts und lauschte der Stimme des alten Irving, die unverständlich durch das Holz drang. Er musste nicht verstehen, was der Mann sagte. Er musste auch nicht fragen. Faris wusste auch so, dass er ihn nicht hätte einlassen dürfen. Nicht wegen irgendeinem Befehl, den irgendwer ihm gegeben hatte, sondern weil er es dem Mädchen schuldig war. Ihr und den Mitschülern, die er hinter einer sehr ähnlichen Tür verloren hatte.

Schließlich wandte er sich ab und atmete er die Luft aus, von der er noch nicht einmal wusste, dass er sie angehalten hatte.
 


 

* * *
 

„Wer war es?“

Lynn Irvings Stimme hatte einen angenehmen Klang, ohne die Schärfe seines Urgroßvaters. Annie Cresta zuckte dennoch zusammen, als hätte sie jemand angeschrien. Nach dem, was der alte Irving ihr möglicherweise geflüstert hatte, überraschte es Faris nicht. Die Annie Cresta, die er jetzt zu dem Auto geleitete, das sie zum Bahnhof bringen würde, war nicht die mehr das Mädchen, das vor seinen Augen in den Verabschiedungsraum getreten war. Faris konnte es ihr nicht verübeln.

Sie antwortete nicht.

„Mum kann es nicht gewesen sein“, fuhr der junge Irving unbeirrt fort. „Dad war die ganze Zeit bei mir. Er hat sich nicht rauswerfen lassen, weißt du. Aber wer war es dann? Mein Großvater? Irgendeiner meiner Onkel? Tante Annabelle?“

„Dein Urgroßvater.“

Selbst Lynn – der Alexander Irving zweifellos bereits sein gesamtes Leben lang kannte – schluckte hart. Für einen Moment schwiegen nicht nur die Friedenswächter, sondern auch die beiden Tribute.

„Sorry“, murmelte Lynn schließlich. Faris musste die Ohren spitzen, um seine Worte verstehen zu können. Vielleicht erinnerte sich der Junge plötzlich doch daran, dass auch Friedenswächter Ohren besaßen. Vielleicht rechnete er auch nur mit technischem Abhörgerät. „Was auch immer er zu dir gesagt hat – ich glaube, es ist besser, wenn du es ignorierst.“

Faris hörte Annie lediglich schnauben. Ihrem Profil nach zu urteilen war sie nicht sonderlich überzeugt.

Einer der beiden Friedenswächter, der vor ihnen ging, öffnete die Tür. Nachmittagshitze schlug ihnen entgegen. Der Lärm des Marktplatzes, der noch immer seine neuen Tribute feierte, drang über das Ratsgebäude hinweg bis zu ihnen. Das Fahrzeug stand ein paar Meter entfernt bereit und mit ihm ein weiterer Trupp Friedenswächter.

„Ich meine es ernst.“

Statt Lynn noch einmal zu antworten, schloss Annie zu den beiden führenden Friedenswächtern auf, schweigend. Erst, als sie vor dem Fahrzeug hielten und einer der wartenden Wächter ihr die Tür öffnete, drehte sie sich zu ihm um. Eine Welle kühler Luft folgte ihrer Bewegung aus dem Fahrzeuginneren.

„Ich weiß, Lynn“, sagte sie so leise, dass Faris ihre Worte von ihren Lippen ablesen musste. „Es ändert nur nichts.“

Und mit diesen Worten ließ sie sich in ihren Sitz neben Lyssa Makram fallen. Die Tür schlug hinter ihr zu und schluckte den Wortschwall, der möglicherweise gleich über dem Mädchen hereinbrechen würde, völlig.

Faris Kameraden eskortierten Lynn ebenfalls zu seinem Platz, doch falls der Junge noch einmal die Gelegenheit bekam, das Gespräch aufzugreifen, bekam er es nicht mehr mit. Er hatte sich längst von der Szene ab- und sich seinem wartenden Vorgesetzten zugewandt und salutierte.

„Irgendwelche besonderen Vorkommnisse, Alston?“

„Nein, Sir.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kiryava
2013-02-07T22:37:24+00:00 07.02.2013 23:37
Hm ja ...eigentlich, vielleicht, eventuell, ursprünglich wollte ich mal Game of Thrones. xD
Ich muss sagen, du hast mich ziemlich überrascht mit dieser FF, da ich ja (nach gefühlten 20 Fragen zu GoT) wirklich fest damit gerechnet hatte, dass du dazu was schreibst. Eigentlich.
Entsprechend war ich dann auch erstmal ein wenig skeptisch, als ich das Fandom gesehen habe (vor allem weil ich besonders dem letzten Band der Hungerspiele nicht besonders wohlgesonnen gegenüberstehe), aber – ich hatte es dir ja bereits im Thread mitgeteilt – du hattest mich bereits ab der ersten Seite. Liegt vielleicht daran, dass ich Charaktere wie Yara liebe. Sie ist so herrlich sarkastisch und gemein. Lyssa Makram tat mir je ehrlich gesagt sogar ein bisschen Leid. Mir hat es super gefallen, wie du Yara etabliert hast, ohne den Leser (also mich) mit der „Das-ist-mein-Charakter-er-verhält-sich-so-und-so-weil“-Keule zu treffen. Es sind eher die kleineren Details, die sie einem näher bringen. Und ihre Beschreibung von Lyssa Makram ist spitze. Man konnte sich die arme schwitzende Frau mit ihrer Perücke und dem „Fischkostüm“ richtig gut vorstellen. Vor allem das Fischkostüm ;)
Besonders spannend finde ich die Beziehung, die Yara und Finnick zueinander haben. Es wird zwar einerseits angedeutet, dass das Kapitol sie zusammen sehen möchte, andererseits scheinen sie sich ja durchaus zu mögen, da sie sich ja küssen. Vor allem wenn man Finnicks und Annies weitere Geschichte bedenkt, lässt das natürlich auf einige Konflikte schließen. Auch warum das Kapitol sie als Paar mag, bleibt ein Rätsel. Finnick ist ja dort selber auch recht ... beliebt. Aber ich nehme an, in den Hunger Games geht es vor allem darum, dass dem Publikum (sprich: dem Kapitol) was geboten wird. Und ein kleines Liebesdrama ist da natürlich genau das richtige.
Deine Darstellung von Distrikt 4 fand ich auch sehr interessant, vor allem weil ich mich mal wieder frage, warum gerade dieser Distrikt zu den Careers gehört. Ich meine, stinkige Fischfabriken sind wahrscheinlich nicht gerade die Vorstellung des Kapitols von einem angenehmen Leben. Oder sollte ich da eine wichtige Information zu übersehen haben?
Abgesehen davon ist es spannend (vor allem im Gegensatz zum Buch, das sich ja ausschließlich auf Distrikt 12 fokussiert), mal zu sehen, wie die Ernte in den Career-Distrikten abläuft. Dass die älteren Jungs aus der Akademie sich um einen Platz in den Hungerspielen reißen, muss man erstmal verdauen, immerhin ist die Chance zu gewinnen selbst als Career nicht besonders hoch (mir persönlich wäre ja schon eine 50/50-Chance zu wenig >____<). Und – was ich als langsamer Leser natürlich auch nicht gleich realisiert habe – dass in den Career Distrikten auch die eigenen Distrikt-Kollegen eine riesige Gefahr darstellen können. Von den ärmeren Distrikten ist man ja eher gewohnt, dass die beiden Jugendlichen sich nicht direkt als Gefahr sehen. Aber dass Annie natürlich wenig begeistert ist, mit (offensichtlich) einem der besten Tribute (noch dazu aus der Sieger-/Bürgermeister-Familie) in die Arena geschmissen zu werden, ist verständlich.
Was es heißt, gegen den Sohn der Bürgermeisterin anzutreten, wurde mir aber eigentlich erst so richtig im zweiten Kapitel klar. Natürlich „unterhält“ sich da die Familie mal mit der anderen Tributin, um die Sicherheit ihres Sohnes zu garantieren. Und dann wird einem auch (im Hinblick auf die Bücher) klar, warum sie sein Tod so fertiggemacht haben muss. Ich vermute jetzt einfach mal, dass der Bürgermeister ihr angedroht hat, ihrer Familie etwas anzutun, wenn sie nicht dafür sorgt, dass Lynn lebend aus der Arena rauskommt. Das ist eine sehr gute Idee, um ihrem Verhalten zu erklären. Vor allem da man ja gerade in Distrikt 4 davon ausgehen muss, dass alle Tribute Careers sind und geschult, in der Arena zu überleben.
Übrigens finde ich den Friedenswächter sehr sympathisch, auch wenn er Annie die Begegnung mit Lyyns Großvater „eingebrockt“ hat. Aber es macht ihn sehr menschlich, dass es ihm leidtut. Und wenn ich ehrlich bin ist es als Friedenswächter wahrscheinlich auch nahezu unmöglich, sich einem so mächtigen Mann zu widersetzen. Wenn sich sogar sein Urenkel für ihn entschuldigt. Arme Annie.
Sorry, dass es mit dem Kommentieren etwas gedauert hat. Zu den weiteren Kapiteln werde ich mich äußern, wenn du sie hochlädst :)
Aber ich kann dir nochmal versichern, dass du mir eine große Freude mit der Geschichte gemacht hast.
Von:  _Delacroix_
2013-02-07T19:52:28+00:00 07.02.2013 20:52
Uh, Kapitel 2 ist da und nein, das war nicht mein persönliches Lieblingskapitel. Aber ich kommentier das jetzt trotzdem, immerhin bin ich durch die Story ja schon einmal komplett durch und da isses eigentlich ziemlich rille, wo ich auf kommentieren drücke.^^

Insgesamt ist es sehr spannend, dass du es geschafft hast, aus den drei Sätzen, die man über diese Hunger Games hört, eine komplette Geschichte zu machen. Die OCs sind durch die Bank eigentlich recht interessant, haben ihre Macken und wenn man weiß was ihnen blüht, hinterlässt es beim Lesen einen faden Beigeschmack. Mir persönlich gefällt Annie als Career auch deutlich besser als als armes, kleines, bedauernswertes Etwas, das nur zufällig aus dem Topf gefischt wurde. Vor allem passt es auch besser zu dem was man vom Distrikt hört.

Ansonsten: Stand die Geschichte zwischenzeitlich mal auf komplett abgeschlossen, oder verstehe ich Coronet nur einfach nicht richtig? Das alles klingt so abgeschlossen. O.o
Antwort von: Arcturus
07.02.2013 20:56
Danke :)

Und ähm, ja, tat sie mal. Ich war zu blöd zum umschalten.


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