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Was wir sind

Seto & Joey | Puppyshipping
von

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... bin ein Versager


 

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Schuldzuweisungen sind

Werkzeuge für Versager.

Alfred Selacher

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Ich war kein Geschäftsmann, der in aller Welt geschätzt wurde. Ich stand weder für eine Menge Ansehen noch Geld. Und ich legte einen Scheißdreck darauf, sympathisch zu sein.

 

»Du hast es also geschafft, sozusagen innerhalb eines Tages Kaiba und Yugi dermaßen anzukacken, dass sie dich vielleicht nie wieder auch nur anschauen wollen«, brachte Tris mein chaotisches Gefasel auf den Punkt und warf mir den Schlafsack auf den Kopf.

»Hey!«, rief ich empört, aber Tristan zuckte die Schultern.

»Natürlich war es nicht korrekt von mir. Aber er hat halt –«

Tris schnaubte.

»Ich meine doch bloß, weil –«

Er warf mir nur einen Blick zu.

»Aber –«

Er atmete tief ein.

»Nur weil er es gut meint, macht er es nicht gut«, murrte ich. War das nicht eines dieser Sprichwörter, die Yugi mir beigebracht hatte? Ich spürte, wie sich ein heißer Knoten in meinem Bauch bildete. »Er hat mich nicht mal wirklich ernst genommen.«

»Du nimmst dich doch selbst nicht ernst«, erwiderte Tris und ich starrte ihn an. Das hatte er nicht gerade gesagt, oder?

»Was laberst du da für eine –«

»Nope, fang nicht so an. Am besten wir schlafen einfach. Meine Eltern fanden es schon nicht so geil, dass du hier mitten in der Nacht auftauchst, wenn wir jetzt noch Stress schieben –«

Ich ließ mich auf den Schlafsack fallen und drehte meinen Rücken zu Tris. Er hatte Recht; es war alles andere als optimal, dass ich von einem zum anderen wanderte, egal wie spät es war, wie so ein Penner. Meine Gedanken flogen in gefährliche Ecken meines Hirns.

»Schmollst du jetzt?«, fragte er und beugte sich über mich. Ich drehte mich zu ihm um und verengte meine Augen.

»Nein, aber wenn du ein Problem hast, dann sag es.«

»Warum sagst du nicht, wenn du ein Problem hast?«

Wir starrten einander in die Augen und ich sah, wie er die Lippen aufeinanderpresste, als würde er gleich explodieren, wenn er nicht sagte, was er dachte. Aber das war mir nur recht. Er hatte angefangen, dann sollte er es auch beenden.

»Kann es sein, dass alle anderen ständig schuld sind, dass bei dir etwas nicht läuft?«

Da war es also. Wie Tritte gegen beide Schienbeine. Ich erhob mich langsam, als müsste ich alle meine Muskeln einzeln anspannen, damit sie den Befehlen meines Gehirns Folge leisteten und verharrte kurz vor seiner Nasenspitze. Seine Worte echoten in meinem Ohr wie eine alte Tonspur, die ausgeleiert war. Aber ich hatte ihn eindeutig verstanden.

»Hast du überhaupt eine Ahnung, wie scheiße das ist, was momentan abgeht?«, fragte ich und mir blieb zwischendurch die Luft weg. Meine Rippen schienen in meine Lungen zu stechen.

»Ja, Kaiba ist ein Arsch. Aber ist es echt seine Aufgabe, alles für dich zu regeln?«

»Es geht hier nicht um Kaiba, du Idiot. Mein Vater –«

»Er ist nicht nur dein Vater, weißt du?«

Ich öffnete den Mund, aber er hatte mich komplett aus dem Konzept gebracht. Er saß da auf seinem Bett und starrte auf seine Hände, die er auf die Beine im Schneidersitz gelegt hatte. Von außen wirkte er ruhig, aber wer ihn kannte, wusste, dass Tristans Nerven über seine Lippen sprachen. Er kaute auf ihnen herum und presste sie aufeinander.

»Wann hast du das letzte Mal wirklich zugehört? Wann hast du dich das letzte Mal echt mit jemandem unterhalten? Ohne, dass du und dein Drama im Mittelpunkt gestanden haben? Hast du mal mit Serenity gefragt, wie es ihr geht? Oder deinen Bruder?«

»Und du hast natürlich ganz selbstlos mit ihnen gesprochen«, spottete ich. »Was hast du mit der ganzen Sache zu tun? Es geht dich einen Scheißdreck an!«

»Serenity geht mich etwas an.«

Ich rückte von ihm ab und presste die Augen aufeinander, versuchte bis zehn zu zählen, ehe ich ihn anschaute. Zorn schwappte durch meinen Bauch. Ich kam nur bis sieben.

»Willst du mich verarschen?«

Tristan verschränkte die Arme vor der Brust, als könnte er sich damit irgendwie vor meinen Worten schützen. Aber er kapierte nicht, dass er die Wahrheit hören musste.

»Wir sind –«

»Nein, ihr seid gar nichts! Kapiert? Ich glaube, ich muss kotzen!«

Er runzelte seine Stirn, zog seine Arme auseinander und schnappte sich meinen Kragen. Ich strampelte, aber die Wut ließ mich kleine Explosionen sehen und meine Muskeln krampfen.

»Hast du eine Ahnung, warum deine Mutter damals mit Serenity weg ist?«, schrie er. »Nein, weil du dich im Selbstmitleid badest. Ist dir schon einmal die Idee gekommen, dass es auch für sie verdammt schwer war?«

»Und du weißt das natürlich alles, weil du ein selbstloser Prinz bist?«, spukte ich ihm hin.

»Ich bin nur kein egoistischer Arsch, der alle anderen die Schuld zuschiebt! Du spielst dich auf als würde ohne dich keiner klarkommen, dabei bekommst du dein eigenes Zeug nicht hin!«

Ich krallte mir sein Shirt, während er mich zu sich zog und gegen die Matratze drückte. Ich bäumte mich auf und trat ihm gegen das Schienbein, doch er lag halb auf mir und ich bekam immer schwerer Luft.

»Du bist nur ein Arsch, der meine Schwester flachlegen will!«, keuchte ich und er erstarrte, fuhr hoch und blickte mich mit so einer Abscheu an, dass ich wegschaute. Ich konnte beobachten, wie sich die Wolke aus Zorn in seinen Augen zusammenbraute.

»Du bist ein Penner«, zischte er.

»Hey! Ruhe jetzt oder ihr schlaft draußen!«, keifte Tristans Mutter durch die Wände und ich atmete zittrig ein.

»Ich sollte gehen.«

»Ja, das solltest du, wirst du aber nicht. Du schläfst jetzt hier. Wer weiß, was sonst noch heute Nacht passiert.«

Wie schaffte es Tris sich um mich zu sorgen, während er vor Wut wohl am liebsten meinen Kopf gegen das Bett hämmern würde? Er schaute mich nicht an, als er über mich stieg, dabei voller Absicht gegen mein Bein stieß, und seine Decke übers Kinn zog; sein Gesicht Richtung Wand. Ich zögerte. Mit einem Blick zur Tür begann ich meinen Pullover über den Kopf zu ziehen. Eine Socke traf mich an der Schläfe.

»Schlaf jetzt«, nuschelte Tris unter der Decke. »Zu wem willst du als nächstes gekrochen kommen? Du kannst auch noch morgen deine restlichen Freunde prellen.«

Ich schluckte und warf den Pullover in die Ecke. War es das, was ich tat? Nach und nach all meine Freundschaften zerstören, weil ich ein Ziel verfolgte, das niemand verstand? Ich wollte so viel geraderücken und schaffte es nur, immer weiter in der ganzen Misere zu versinken. Tristans Atmen verlangsamte sich und wurde tief. Die Schatten tanzten über meinem Kopf und ich zählte seine Atemzüge, schloss die Augen und versuchte, all die Worte zu verdrängen, die sich immer wieder an die Oberfläche meines Bewusstseins kämpften. Warum begriff niemand, dass ich das tun musste?

 

Es dämmerte, als ich meinen Pullover überzog und meine Schuhe band. Tristan lag wie eine Raupe in die Decke eingewickelt auf dem Bett und murmelte irgendetwas Unverständliches im Schlaf. Ich hätte gegrinst, hätte mir sein friedlicher Anblick nicht die Übelkeit in die Lunge getrieben. Er und Serenity? Was dachte er sich? Dass er die ganze Situation am besten ausnutze und sich an meine Schwester heranmachte? Widerlich. Mit einem Schnauben ließ ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen und atmete kühle Morgenluft. Der Wind schüttelte die Äste des Baums und eine Amsel hüpfte über die Wiese, auf der Flaschen verteilt lagen. Ich blickte zurück, hoch, wo unsere ehemalige Wohnung lag. Die Plattenbauten ragten grau in grau in die Wolken hinein. Bestimmt würde es anfangen zu regnen. Wie einen Schnitt in meinem Bauch spürte ich, als ich durch diese Straßen schlenderte. Ich vermisste es, auch, wenn es oft beschissen gewesen war. Aber ich gehörte hierher und vielleicht war das auch das Problem. Ich trat gegen etwas an, das ich womöglich nie loswerden würde; als würde ich gegen meine eigene Lunge oder meine Füße kämpfen. Sicherlich lebte es sich auch ohne sie, aber einfacher wäre es nicht.

 

Ich seufzte und kickte einen Kieselstein auf dem Weg vor mir her, ob meiner abstrusen Gedanken. Meine Gedanken summten wie Wespen in meinem Kopf. Was tat ich hier eigentlich? Ich wartete an der Bushaltestelle und drückte mir die Kopfhörer ins Ohr. Die Töne waren die passende Hintergrundmusik; als wäre ich der Protagonist in einem schlechten Film. Im Bus starrte ich nach draußen, Regentropfen klopften gegen die Scheiben und an den Fassaden der Hochhäuser zogen die LED für das kommende Turnier vorbei. Mein Herz klopfte in meinen schwitzigen Socken. Ich hatte keine Chance bei dem Wettbewerb und würde mich wie der größte Trottel anstellen. Was hatte ich nur dabei gedacht, Kaiba zuzusagen? Es kam mir vor, als wäre die Entscheidung in einem anderen Leben gefallen; als ich noch auf die Unterstützung meiner Freunde vertrauen konnte. Jetzt hing ich hier allein herum, wie der größte Versager.

 

Ich trottete durch die Pfützen und schob meine Kapuze tiefer ins Gesicht. Der Anblick des Hauses war wie ein Echo aus einem Alptraum. Immer wieder zog es mich hierher, war ein Anker, der mich tiefer riss. Es war kein Zuhause, aber es war zu vertraut, um bedeutungslos zu sein. Ich stand am Eingang und klopfte, obwohl es auch eine Klingel gab. Vielleicht, weil ich hoffte, so weniger Aufsehen zu verursachen. Vielleicht, weil ich hoffte, niemand würde mir öffnen. So ein schwachsinniger Gedanke, dachte ich, während ich nass dastand und fror. Aber es bezeichnete mein Leben ganz gut, wie es momentan lief.

 

Jemand riss die Tür auf, rief fröhlich »Joey!«, drückte sich in meine Arme und quasselte mich voll. Jacob grinste und schaute mich erwartungsvoll an.

»Sorry, was?«, stotterte ich.

»Du siehst ganz schön komisch aus. Wo warst du? Ich habe voll lange auf dich gewartet! Serenity und Mama schlafen noch. Deine neue Dueldisk ist angekommen! Also das Paket von der Kaiba Corp und ich habe es nur ein bisschen aufgemacht, weißt du? Weil – also ich dachte halt, du kommst ja eh, aber dann warst du dauernd weg und dann habe ich es wieder in dein Zimmer gestellt und –«

Seine Worte rauschten wie ein Sturzbach an mir vorbei und ich schnappte nur Schlüsselbegriffe auf.

»Moment, meine neue Dueldisk?«

Ich fasste mir an den Kopf. Das konnte doch nicht passieren, oder? Ich würde an dem Turnier teilnehmen müssen und Kaiba gegenübertreten, der mich wegen meiner Kommentare zerstören wollen würde und gegen Yugi, für den wahrscheinlich dasselbe galt; nur dass es bei letzterem ein neues Phänomen und bei ersterem geradezu Tradition war. Ich schnaufte. Das war alles ein verdammt schlechter Witz. Aber Jacobs Augen leuchteten.

 

»Dann lass uns das Ding auspacken«, seufzte ich und Jacob jagte vor mir die Treppe hoch. Das Paket war dreifach verpackt. Der Geruch von nagelneuer Dueldisk umfing mich, als ich meine Finger nach ihr ausstreckte, um das polierte Hartplastik zu berühren. Sie war kleiner als die vorherigen Versionen, kompakter und eleganter. Weiß und grau, glänzend. Mit dem Symbol der KC eingraviert. Es wirkte minimalistisch und gleichzeitig verdammt teuer. Als ich sie hochhob war sie angenehm leicht, aber schwer genug, um die wertvolle Technik zu verraten. Jacob betrachtete mich mit leuchtenden Augen.

»Das ist so mega cool!«, gluckste er. »Damit gewinnst du gegen alle!«

Ich grinste schief und verschwieg, den offensichtlichen Makel an dem Plan: Die Dueldisk war auch nur so gut wie die Strategie des Spielers, der sie benutzte. Ich zog die Schublade meines Nachtschränkchens auf und kramte meine Karten hervor, legte sie probeweise in die Ablage für das Deck, schaltete das Gerät ein und sofort ertönte ein Sound. Das Display erklärte die verschiedenen Funktionen.

 

»Das klingt doch schon mal richtig toll«, stieß mich eine Stimme aus meinen Vorstellungen, wie es sein würde, sich damit zu duellieren. Serenity stand im Pyjama in der Tür zu meinem Zimmer und lächelte, schlenderte zu uns und tastete nach der Dueldisk.

»Wow, das fühlt sich richtig geschmeidig an, und hier sind die Ablagen für die Karten, richtig? Habt ihr schon ausprobiert, wie es aussieht, wenn eine Karte projiziert wird?«

Sie wirkte so sorglos, als kannte sie nur das Schöne und Leichte in der Welt. Ihre Stimme hatte diesen weichen Klang und um ihre Lippen hing ein Grinsen, als heckte sie etwas aus.

»Oh ja, aktiviere eine Karte!«, bettelte Jacob. »Das sieht bestimmt mega aus!«

Ich suchte meine Lieblingskarte aus dem Stapel und legte sie in Angriffsposition in die Dueldisk. Lichtstrahlen explodierten und plötzlich erschien der Schwarze Rotaugendrache mitten im Raum. Er atmete, ich konnte seine Schuppen zählen und in seinen Augen brannte ein Feuer. Ich streckte meinen Arm aus, um seine glänzende Haut zu berühren und die Hitze zu spüren, die er aussondern musste. Seine Nüstern bebten, als er ein Brüllen losließ.

»Oh, shit«, fluchte ich und drückte meine Hände auf die Ohren.

»Was zur Hölle ist hier los?«, rief meine Mutter und starrte das Chaos im Zimmer an, wie wir da zu dritt mitten in Plastikverpackungen und Kartons saßen und sich ein riesiger Drache um uns herumschlängelte. Ihre Lippen wurden schmal, als ihr Blick auf mich fiel.

»Achja, da kommt der Herr auch mal nach Hause. Was denkst du eigentlich, was du da tust? Es reicht mir. Du packst das Zeug weg und schickst es dahin, wo es hergekommen ist!«

»Aber Mama«, nörgelte Jacob.

»Und ihr deckt den Frühstückstisch. Ich will nichts mehr hören! Los!«

Jacob und Serenity erhoben sich ohne weiteren Widerstand, stiegen über den Müll und verschwanden durch den Flur. Ich sah ihnen nach und beobachtete, wie Jacob sich zu Serenity beugte, ihr etwas zuflüsterte und sie nickte. Ihre Vertrautheit stieß Nadelspitzen in meine Fingerkuppen.

»Und du?«, keifte meine Mutter. Ich verdrehte die Augen, während ich mich vom Fußboden erhob und die Dueldisk ordentlich zurück in die Verpackung schob.

»Was soll mit mir sein?«, murrte ich.

»Du verschwindest dauernd, tauchst auf, verursachst Chaos und tust so, als ginge es dich nichts an.«

Ich ballte meine Finger zu Fäusten. Ihre Stimme hallte in meinem Kopf wider, als brüllte sie, doch sie sprach ganz leise, flüsterte fast. Ihr Blick brannte sich in mich hinein und ich spürte, wie ihre Ablehnung eine Mauer um sie herum erschuf.

»Vielleicht fällt dir ja ein, warum ich dauernd von hier abhaue. Ist ja echt nicht auszuhalten hier.«

Ich kickte die Kartons in eine Ecke und knüllte das Plastik zusammen; irgendwo musste ich diesen Frust abladen. Meine Füße zuckten Richtung Tür. Warum war ich überhaupt hierhergekommen?

»Du hast mehr mit deinem Vater gemeinsam, als du ahnst.«

»Besser mit ihm als mit dir«, spukte ich ihr vor die Füße und drängte mich an ihr vorbei, die Dueldisk drückte ich gegen meinen Bauch, schnappte mir meinen Rucksack und war schon im Flur, als sie mich zurückhielt. Sie krallte meinen Ärmel.

»Wenn du gehst, verabschiede dich wenigstens. Sie warten ständig auf dich. Jacob schaut jeden Morgen in deinem Zimmer vorbei, ob du nicht doch da bist und Serenity wartet dauernd auf eine Nachricht von dir.«

»Woher willst du das wissen?«, fragte ich zerknirscht.

»Ich bin ihre Mutter«, sagte sie und ließ mich los.

Ich stolperte die Treppe herunter, wo Jacob singend den Tisch deckte. Serenity summte und presste Orangensaft. Der Duft frisch aufbackender Brötchen stieß mir in die Nase und ich wünschte, ich könnte anders reagieren, aber der Schatten meiner Mutter jagte mich hinaus.

»Hey«, machte ich und trat von einem Bein auf das andere.

»Du gehst schon wieder?«, fragte Serenity und hielt inne.

Woher wusste sie das? Ihr Blick glitt an mir vorbei, aber sie schien so viel mehr zu sehen, als es mit Augenlicht möglich war.

»Ja, ich muss – leider – also –«

»Och menno, dabei haben wir extra viele Brötchen in den Ofen!«, platzte aus Jacob heraus, als wäre das ein handfestes Argument, alles Andere stehen und liegen zu lassen. Vielleicht wäre es das gewesen, würde in meinem Leben nicht alles kreuz und querrennen.

»Ein anderes Mal«, vertröstete ich ihn auf einen Zeitpunkt, den es wahrscheinlich nicht gab und zog meine Jacke über. Mein Magen grummelte, aber mein Hirn schrie. Ich hielt es hier nicht aus. Das hier war der gesamte Beweiskatalog, was in meinem Leben nicht stimmte. Also verabschiedete ich mich und zwang mich irgendwann aus Jacobs Umarmung. Serenity drückte mir zwei Sandwiches in die Hand und knuffte mir in die Seite, dann drehte ich mich um und trat aus der Tür und schaute nicht zurück. Es war Sonntag, ich stopfte mir die Sandwiches als Frühstück in den Mund und zog mir die Mütze meiner Jacke tiefer ins Gesicht, weil es in Strömen regnete. Was auch sonst? Ich stand mit dem Rücken vor dem Haus, in meinen Armen die neueste Dueldisk, die es nicht einmal zu kaufen gab, und ich fragte mich, zu welchen Scherben meines Lebens ich als nächstes rennen sollte.

 

»Hey.« Serenitys Stimme riss mich aus der Überlegung. »Du stehst schon seit gut zehn Minuten hier.« Sie hielt einen Regenschirm über uns und grinste verlegen.

»Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll«, murmelte ich.

»Du könntest wieder mit reinkommen«, schlug sie vor und dieser Satz brach etwas in mir; dass sie nicht begriff, dass ich eben genau das nicht konnte. Ich schüttelte den Kopf, obwohl ich wusste, dass sie es nicht sah. Ihre Schulter berührte meine und ich stand hier und fragte mich, wann ich in die falsche Straße gerannt war. Serenity kannte diese Art von Schmerz nicht. Sie lebte in einer Welt, in der jeden Morgen das Haus nach frischem Kaffee duftete und der Kühlschrank mit Leckereien überquoll.

»Du verstehst es nicht«, murmelte ich. »Aber ich muss das mit unserem Vater regeln. Ich weiß nur nicht, wie.«

»Du kannst unserem Vater nicht helfen, wenn er es nicht möchte«, seufzte sie, »Tris hat dasselbe gesagt. Wir –«

In meinen Ohren rauschten ihre Worte. Tristans Aussagen explodierten wie Raketen in meinem Hirn. Das konnte doch nicht wahr sein!

»Was hast du mit Tristan zu schaffen?«, knurrte ich. Sprachen die beiden wirklich hinter meinem Rücken über mich. Was ging bei denen ab?

»Wir haben in letzter Zeit ganz viel geredet. Er war ganz oft für mich da, wenn ich nicht mehr weiterwusste.«

»Nein«, sagte ich und machte einige Schritte weg von ihr. Der Regen schlug mir ins Gesicht und saugte sich in meine Jacke, aber das war mir egal.

»Was meinst du?«, fragte sie.

»Tris ist ein Idiot. Er hat keine Ahnung, was hier abgeht; wie alles zusammenhängt. Er kann viel behaupten und gute Ratschläge geben, die einfach null wert sind.«

Ich ging auf und ab, wischte den Regen aus meinen Augen und umklammerte die eingepackte Dueldisk, als wäre sie mein letzter Anker, um nicht völlig in diesen Gefühlchaos aus Wut und Sorge und Zweifeln zu ertrinken.

»Er weiß verdammt viel. Ich konnte super mit ihm reden«, erwiderte sie und ihre Stimme verlor diesen samtenen Ton.

»Er will wohl mehr als nur mit dir reden!«, zischte ich.

Sie beugte sich zu mir, ihre Stirn gerunzelt, und verengte ihre Augen. Es schien, als würde ihr Körper von Flammen aus Zorn umgeben. Sie streckte ihren Arm aus und ich erstarrte, als sie meinen Pullover überraschend straff bei der Brust packte und mich zu sich zog. Obwohl sie blind war, glaubte ich, blickte sie in meine Tiefen und ich schluckte.

»Und wenn es so wäre, Joey, wäre es meine Sache! Das hat nichts mit dir zu tun!«

»Ihr kennt euch doch gar nicht«, entgegnete ich ihr geradezu verzweifelt und versuchte ihrem Griff zu entfliehen, aber sie lockerte ihn nicht. Ihre Worte peitschten um meine Ohren und ich wollte sie nicht hören, aber sie brachen über mich herein, wie der Wolkenbruch, der meine Klamotten zum Triefen brachte.

»Woher willst du das wissen? Du bist doch nie hier!«, schleuderte sie mir entgegen und ich hielt inne.

Wann hatte ich das letzte Mal wirklich mit ihr geredet? Wann mit Jacob? Ich hatte das Gefühl, dass mir alles langsam entglitt. Ich versuchte die Fäden zusammenzuziehen, aber sie lockerten sich immer weiter und ließen Löcher im ganzen Gewebe zurück. Ich verlor alle nach und nach, versagte Stück für Stück. Regen tropfte auf meine Brust, dann nahm ich ihr Schluchzen wahr. Erst als ich ihr ins Gesicht schaute, begriff ich, dass es nicht nur Regentropfen waren.

Ich umschlang sanft ihre Finger, die noch immer den Stoff meines Pullovers umklammerten, und zog sie an mich. Sie stolperte einen Schritt, ließ den Schirm fallen und drückte dann ihr Gesicht in meine Halsbeuge. Regen klopfte auf unsere Haut, benetzte mein Gesicht und obwohl wir hier ohne Plan und völlig durchnässt standen, bröckelte ein Brocken von meinem Herzen.

»Es tut mir leid«, murmelte ich. »Es tut mir wirklich so leid.«

 

Ich war kein Geschäftsmann, der in aller Welt geschätzt wurde. Auf Ansehen und Geld konnte ich verzichten, aber für meine Familie würde ich bis an das Ende meines Lebens kämpfen. Manchmal versagte ich, verlor den Plan aus den Augen oder den Fokus; vor lauter Zielen, war ich den falschen Weg entlang gerannt. Jetzt stand ich hier, eine Kreuzung ohne Schilder und musste mir eingestehen, dass ich einen anderen Weg einschlagen musste.

»Und jetzt?«, fragte Serenity irgendwann, wischte sich über die Augen und schaute an mir vorbei. Ich atmete tief ein und aus, starrte in die dunklen Wolken über uns und spürte die Tropfen meine Haut entlangwandern.

»Jetzt fange ich erst richtig an«, flüsterte ich, mein Bauch erfüllt von einem Kribbeln, packte ihre Hand und zog sie mit mir.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Brooky
2020-03-29T17:11:15+00:00 29.03.2020 19:11
Hallo Jaelaki,
ich bin vor einiger Zeit auf deine Fanfiction gestoßen und ich finde sie einfach nur klasse. Du hast einen sehr schönen Schreibstil und es macht einfach Spaß, weiterzulesen.
Ich bin nicht der große Kommentarschreiber und ich schreibe vermutlich auch viel zu selten welche. Wenn mir eine Story allerdings besonders gut gefällt, dann möchte ich das auch gerne mitteilen.
Deine Story ist eine dieser wenigen Storys auf Animexx, die dazu zählen und ich hoffe sehr, dass die sie noch abschließt :)
Liebe Grüße
Brooky

Antwort von:  Jaelaki
02.01.2021 00:10
Hey, Brooky!

Vielen Dank für deinen motivierenden Kommentar! Es berührt mich immer von Leser:innen zu lesen und dein Kommentar ist natürlich besonders schön. Ich schließe diese Geschichte auf jeden Fall ab. Manchmal versinke ich im Alltag und zwischendurch hat sich einiges bei mir beruflich verändert, aber diese Geschichte vergesse ich auf keinen Fall. : )

Viele Grüße,
Jaleaki


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