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Lotusblüte

[Sasuke & Sakura | Kakashi & Yamato]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Der Titel ist ein Vers aus dem Gedicht »Mädchenlied« von Emanuel Geibel (1815 - 1884).
Das »Einstiegsgedicht« ist wiederum von mir.


Dieses Kapitel spannt einen Bogen von der ersten Mission zur nächsten. Deswegen liegt hier erst einmal der Schwerpunkt auf dem Zwischenmenschlichen. Zumal sich unsere Charaktere ja zunächst einmal erholen müssen. Der Schwerpunkt Action kommt dann wieder im (über)nächsten Kapitel zum Tragen.

Viel Spaß beim Lesen.

Jaelaki Komplett anzeigen

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Müssen nun alle verwelken, denn du bist fern.

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Du erinnerst mich, daran, wie es war.

Du erinnerst mich daran, wie es nie wieder sein wird.

Die Träume von damals. Sie sind nicht mehr da.

Wir. Du und ich.
 

Erinnerst du dich?

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Entsetzt starrte sie hinab auf den regungslosen Körper.

Das Knacken der Rippen dröhnte noch in ihren Ohren und ließ Schweiß ihre Schläfen entlang laufen.

Vielleicht musste sie gar nicht zusehen, wie ihre Kameraden ihn töteten, zuckte ein überraschend klarer Gedanke durch ihren Kopf, vielleicht schaffte sie das ganz alleine.
 

Kakashi Hatake nahm wahr, wie Sakuras Augen sich weiteten. In diesem Augenblick dachte er, dass es keine Möglichkeit mehr gäbe. In seinem Innern herrschte Stille, absolute Stille – wie immer, wenn sich vor seinen Augen Leben und Tod einen erbarmungslosen Kampf lieferten.

Er spürte ganz deutlich seinen eigenen Herzschlag in den Ohren dröhnen. Ihre Augen glänzten vor Anstrengung, ihre Mimik war unleserlich, aber offensichtlich aufgrund ihrer Mühen verzogen. Dann wurde ihm ihre Blässe bewusst und der rötliche Hauch auf ihren Wangen. Und noch etwas: Das sture Glitzern in ihren Augen.
 

Sais Blick ruhte auf dem grünlichen Chakra, das sich um Sakuras Handgelenke, die Finger hinab schlängelte. Es war ein helles Grün. Als hätte sich eine Waldlichtung und das Sonnenlicht vermischt. Nicht wie Acryl-, eher wie Wasserfarben. Und ein pulsierendes Licht – als ließe die Sonne den Wald erstrahlen – drang durch das Apfelgrün. Sein Blick wanderte zu ihrem Gesicht, das vor Anstrengung verzerrt war – kein schönes Motiv – aber die Röte auf ihren Wangen und der Kontrast zu ihren grünen, schimmernden Augen bannte ihn einen Augenblick. Er musste sich bei Gelegenheit wieder Farben kaufen.
 

Uchiha Sasuke verfolgte Sakuras Handeln mit Distanz. Sein Blick flog über ihre zierliche Gestalt und das vor Mühen verkniffene Gesicht. Egal, ob sie erfolgreich war oder nicht. Die Mission war so gut wie abgeschlossen. Sie hatten Yamato gefunden. Jetzt mussten sie ihn nur noch zurückbringen. Ob lebend – oder tot.
 

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Sie spürte es. Plötzlich. Als hätte jemand sie geschlagen. Unerwartet. Dann zuckte sein Oberkörper zusammen. Und sie hätte beinahe vor Schreck die Chakrazufuhr unterbrochen, als sich auch seine Augenlider bewegten und er sie mit aufgerissenen Augen anstarrte.
 

»Yamato-sensei«, krächzte sie. Die Anstrengung ließ ihre Finger und Stimme zittern.

»Yamato-sensei«, wiederholte sie entschlossen, »können Sie mich hören?«

Sein Blick versuchte, sie zu fokussieren. Sein Kopf zuckte, was sie als ein Ja interpretierte.

»Versuchen Sie, sich mithilfe des Mokuton von dem Pflanzenstamm zu lösen. Versuchen Sie –«

Seine Augenlider flatterten. Ihre Chakraeinflösung schwankte. Langsam kam sie an ihre Grenzen. Ganz ohne Iryounin-Team und medizinische Ausstattung. Wenn er wieder ohnmächtig werden sollte – sie wusste, das hier war ihre einzige Chance. Und sie würde nicht aufgeben.
 

Mit verengten Augen konzentrierte sie sich auf eine Erhöhung, ein wenig mehr Druck, ein bisschen mehr. Sie spürte, wie ihr Chakra in Yamatos Organismus eindrang und den Kreislauf anfachte. Sie konnte fühlen, wie er geradezu zurückgezogen wurde.

Ins Hier und Jetzt.

Sie keuchte. Sie würde ihn nicht sterben lassen, sie würde – »Sakura!«, hörte sie jemanden viel zu ruhig sprechen. »Sakura, du bringst dich um! Hör auf! Es –«

Sie würde nicht aufhören. Nein. Nur ein bisschen mehr. Das Zittern in ihren Fingern wurde stärker. Ihr wurde schwindelerregend heiß, dann eiskalt. Der Schweiß perlte von ihrer Oberlippe. Sie fühlte, wie die Ohnmacht nach ihr griff, aber sie weigerte sich nachzugeben.
 

Dann. Sie spürte es. Als würde ein Knoten aufplatzen. Plötzlich. Unerwartet. Und man über einen Schnürsenkel stolpern. Verschwommen nahm sie war, wie sich Yamatos Zellen klärten. Sein Oberkörper wurde länger, seine Hüfte sichtbar. Die Pflanzenfasern zogen sich zurück und machten Platz für seine Beine. Als schließe man einen Reißverschluss, kletterten die menschlichen Zellen aneinander und mit einem Schlag nahm sie wie in Zeitlupe war, wie sein Körper auf sie zufiel. Sie erwartete den Aufprall. Doch sie entkam in einer Dunkelheit.
 

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Ihr Kopf pochte. Schmerz.

Das war das Erste, was sie wahrnahm, als sie erwachte.

Dann hörte sie das Piepsen und fühlte die Flüssigkeitszufuhr an ihrer Handfläche. Sie öffnete ihre Augen nicht. Ihr Körper schien erstarrt und gleichzeitig schlapp. Müdigkeit, die an Kraftlosigkeit kratzte, zog sich durch ihre Muskelfasern und Chakrakanülen.
 

Noch ein wenig in diesem Zustand bleiben, dachte sie, diesem Dämmerzustand. Dort, wo sie keine Verantwortung übernehmen musste. Sie kniff die Augen zusammen. Doch die Müdigkeit trug sie wie von selbst zurück in die Dunkelheit.
 

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Es störte ihn, nervte, war unerträglich. Und doch stand er hier. In diesem Raum. Das gleichmäßige Piepsen ertönte von den Geräten und teilte die Zeit in das störende Geräusch und die Spanne dazwischen. Sein Blick folgte den regelmäßigen Tropfen, die in seine Venen flossen. Er sah bleich aus.
 

Sasuke starrte unbewegt hinab zu ihm. Das blonde Haar strohig und noch ungezähmter als sonst schon. Seine Augen waren geschlossen. Als schliefe er und würde jeden Moment aufwachen und ihn mit seinem übertrieben lauten Geschwätz nerven. Es war viel zu still in diesem Raum. Der Raum, in dem sich Naruto befand war sonst immer erfüllt von Worten und Gesten und funkelnden Blicken.
 

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Sie wusste nicht, ob es nur einige Augenblicke, Stunden oder sogar Tage gewesen waren. Aber als sie das nächste Mal das Piepsen hörte, fühlte sich ihr Körper irgendwie seltsam leicht an, ihr Kopf schmerzfrei. Die Müdigkeit war einer Erschöpfung gewichen.
 

Sie blinzelte, öffnete die Augen und erstarrte. Ein dunkler Blick stierte ihr entgegen.

»Was – was machst du hier?«, fragte sie und ihre Stimme klang fremd in ihren Ohren. Er zuckte die Schultern, breitete eine Rolle Pergament auf seinem Schoß aus und blickte sie mit Erwartung in den Augen an an. Seine Mimik unleserlich.
 

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Sasukes Blick wanderte zu dem Fenster, durch das unpassend freundliche Sonnenstrahlen drangen. Hinter ihm öffnete sich die Tür. Augenblicklich fühlte er sich am falschen Ort zur falschen Zeit.

»Uchiha Sasuke«, stellte die Godaime fest, als sie ihn so dort stehen sah. Wenn sie überrascht war, verbarg sie es ausgezeichnet, vielleicht war sie es aber auch nicht. Möglicherweise hatte sie sogar damit gerechnet, ihn hier zu finden. Er erwiderte nichts.

»Du warst noch nicht bei der Nachsorgeuntersuchung der Mission.«

Ihre Stimme duldete keine Erklärung – die er ohnehin nicht gegeben hätte.

»Da Sakura – nunja. Wie du weißt, übernehme ich alle Untersuchungen bezüglich der ANBU. Ich erwarte dich in einer halben Stunde.«

Er nickte und deutete eine Verbeugung an, ehe er ohne zurückzusehen durch die Tür schritt und aus ihrem unerträglich wissenden Blick verschwand.
 

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Entnervt schüttelte sie den Kopf. Bereits das zweite Mal.

»Sai, medizinisches Chakra ist kostbar«, beharrte sie, »meine Kapazitäten sind beschränkt, deswegen würde ich dir nicht einfach so medizinisches Chakra vorführen. Ganz generell.«
 

Er blickte sie mit seiner stoischen Gelassenheit an, saß mit einem Bein überschlagen auf dem Stuhl an ihrem Krankenbett und hielt Pergament und Pinsel in seinen Händen. Anfänglich hatte sie es für einen Scherz gehalten – dann war ihr wieder eingefallen, dass Sai keine Scherze machte.
 

»Sakura, nicht einfach so«, erwiderte er, »es geht um ein neues Jutsu.«

Sie verdrehte die Augen.

»Abgesehen davon. Ich bin vorhin erst aufgewacht, Sai. Momentan bin ich noch kaum in der Lage. Meine Chakrareserven sind noch immer weit unter normal.«

Er sah sie an und dachte nach.

»Du hattest bereits zweieinhalb Tage Regenerationszeit«, verbalisierte Sai seine Überlegungen und zuckte dann die Achseln. »Deine Kapazitäten sind offensichtlich tatsächlich deutlich beschränkt.«

Mit pulsierender Stirnader zog sie ihre Bettdecke zurück, stieg aus dem Bett und verpasste ihm kurzerhand eine Kopfnuss.
 

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Es war Nacht.

Die Luft kühl und der Himmel klar. Sterne glitzerten dort oben. So weit entfernt.

Müdigkeit ließ seinen Blick verschwimmen, als er durch das kleine Fenster seines Apartments hinauf sah, die Arme hinter seinem Kopf verschränkt, im Bett liegend.

Ruhe lungerte in der Nacht. Und trotzdem bekam er kein Auge zu.

Seine Worte klangen immer noch in seinen Gedanken nach.

Unruhig drehte er sich hin und her, fuhr sich durchs graue Haar. Irgendwann stand er seufzend auf, griff sich seine Klamotten, zog sich die Weste über und ließ die Tür hinter sich zufallen.
 

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Sie starrte durch das Fenster des Krankenzimmers. Eine Trauerweide rauschte im Wind. Der Himmel war blauschwarz. Die Sterne funkelten wie kleine Diamanten bestickt auf einer dunklen Decke. Dann entdeckte sie den Schatten auf dem Balkon, lässig an den Türrahmen gelehnt. Stumm und doch –

»Wie oft soll ich es dir noch sagen?«, zischte sie. »Ich werde dir nicht –«

Ihr Satz sollte nie vollendet werden.
 

»Sakura.«

Ihr Name auf seiner Zunge, sah sie auf, ihm ins Gesicht und blickte direkt in seine Augen.

»Sasuke«, erwiderte sie, jeder Emotion bar und versteifte sich doch unter der Bettdecke.

»Was willst du hier?«

Er schaute sie einen Augenblick lang an, stumm, als hätte er sie nicht gehört, als hätte er nichts zu sagen – sie wusste, dass beides nicht zutraf.
 

»Wenn du was zu sagen hast, dann sag es gleich. Damit ich es wieder schnell vergessen kann und ein wenig schlafe«, durchbrach sie die Stille, die sich zwischen ihnen immer auszubreiten drohte, so eine schwere, bleierne Stille. Wie eine Mauer.
 

Seine Augenbrauen hoben sich spöttisch, als er sich eine Strähne aus der Stirn strich, seinen Blick gen Himmel hob, als wäre gar nicht sie die Angesprochene seiner nächsten Worte. Und sie wusste, noch bevor die Buchstaben seine Lippen verließen, dass sie es nicht wieder schnell vergessen würde. Nur nicht, wie lange es in ihrem Kopf dröhnen sollte.
 

»Gib das Ninja-Dasein auf, Sakura.«

Sie erstarrte und blickte ihn fassungslos an.
 

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Seine Handfläche ruhte einen Moment auf der Türklinke. Es war derselbe Moment, in dem der Gedanke, einfach wieder umzukehren, durch seinen Kopf zuckte. Aber er blieb. Er wusste, er könnte nicht einfach wieder gehen. Oder zumindest, dass er immer wieder vor dieser Tür landen würde. Seine Worte zogen ihn hierher. Seine Erinnerungen ließen ihn vor der Tür verharren. Seine Gedanken würden ihn die Tür öffnen lassen.
 

Das Knarzen der Tür klang zu laut in der Nacht. Mit einem Blick durch den Raum schloss er sie hinter sich. Der Raum war klein. Fensterlos. Kontinuierlich piepsten im Hintergrund verschiedene Geräte, zeigten Daten, Nummern, Buchstaben und Graphen, die ihm keinerlei Information boten. Am Bettkopf spendete eine gedimmte Leuchte Licht. Zu hell, um zu schlafen. Zu dunkel, um die Gestalt im Bett problemlos zu mustern.
 

Kakashi schlenderte näher. So, als rutschte ihm nicht mit jedem Schritt das Herz ein wenig mehr Richtung Füße. Irgendwie erwartete er, dass sich der seltsam fremde Mensch dort bewegen würde. Ihn ansehen und ihm mit lauter, brüllender Stimme – oder leise, aber deutlich – Vorwürfe entgegen schleuderte. Vorwürfe, die er im Stillen bereits hörte. Immer wieder. Immer. Dass ihn dieser seltsam fremde Mensch mit seltsam vertrauten Augen anblicken würde. Und so viel Ungesagtes zwischen ihnen in seinem Blick stünde. So viel Trauer. Enttäuschung. Hass. So viel verlorene Freundschaft.
 

Sein Blick schwamm davon. In eine Ferne. In eine Vergangenheit, in die er ertrinken könnte. Er bewegte sich nicht, er sah ihn nicht an, er sagte nichts. Fahrig strich er sich durch das Haar. Verharrte. Zögerte. Trat einen Schritt näher. Er sah sein bleiches Gesicht, die linke Gesichtshälfte zeugte von einer unaufdringlichen Schönheit, die rechte war entstellt. Zeugte von einem gewaltigen Fehler, den er nie wieder gut machen könnte. Er wagte es nicht, genauer hinzusehen, wandte sich um und verschwand.
 

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»Verschwinde, Sasuke«, zischte sie aufgebracht. »Verschwinde endlich!«

Doch er verharrte. Hinter ihm rauschten die Blätter der Trauerweide im Sommerwind. Die Nacht hüllte sie in eine Wärme, geschützt vor den brennenden Sonnenstrahlen am Tag, schöpfte sie Kraft. Die Sterne glitzerten. Irgendwo quakten Frösche.

»Hau schon ab!«

Sie bemerkte seinen Blick, die Nüchternheit darin, die jede Emotion von sich wies und verabscheute sich selbst dafür, dass es ihr nicht egal war, dass seine Worte ihr nicht am Arsch vorbei gingen, sein Auftreten irgendetwas in ihr entfachte. Ungläubigkeit. Entrüstung. Ungezügelte Wut. Ihre Hände verkrallten sich in der Bettdecke.

»Dank mir, wird Yamato-Sensei überleben. Die Mission war erfolgreich. Mehr sogar. Was sollte mich zu diesem absolut hirnrissigen Gedanken bringen, meine Karriere an den Nagel zu hängen? Ausgerechnet jetzt?«, ließ sie sich hinreißen und biss sich sofort auf die Lippe. Ihr Blick sprühte vor Angriffslust, während seiner in Distanz eine Professionalität angesichts seiner Worte wahrte. Sie brauchte sich nicht rechtfertigen. Nicht vor ihm. Erst recht nicht vor ihm.
 

Stille. Brodelnd Stille. Als erwartete sie bereits den endgültigen Ausbruch des Wirbelsturms, der in ihrer Brust fegte.
 

»Irgendwann«, schnitten seine Worte durch ihre Atemlosigkeit, »wirst du jemanden nicht retten können. Und du wirst dich und jemanden aus deinem Team deswegen umbringen.«

»Seit wann interessiert dich mein Team, Sasuke?«, fragte sie trocken.
 

Mit Herablassung wandte er sich um.

»Ich persönlich werde jedenfalls nicht jenes Teammitglied sein.«

Und war in den Schatten der Nacht verschwunden.
 

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Die Blume auf dem Nachtschränkchen war verwelkt, wie schon die Blume davor und jene vor dieser.

Es betäubte ihn, zu sehen, wie Pflanzen neben ihm verdorrten. Er ließ sie nie eingehen. Wenn er in der Nähe war, dann ließ er sie sprießen und blühen und wachsen und ergrünen. In allen möglichen Farbtönen.
 

Er selbst hatte nie eine Blick dafür übrig gehabt, bis ihn sein ehemaliger ANBU-Kollege einmal darauf aufmerksam gemacht hatte. Die vielfältige Farbpalette der Natur.

»Was ist Ihre Lieblingsfarbe, Kakashi-sempai?«, hatte er ihn irgendwann gefragt, als sie nach einer langen Mission verschwitzt und verdreckt nach Hause geschlendert waren. Er hatte keine Antwort darauf gewusst. So etwas Banales.
 

Er sah auf. Das Fenster lockte die Sonnenstrahlen am Morgen in das Zimmer. Kakashi zog die verblühte Blume aus der Vase und ersetzte sie durch die neue. Die Blütenblätter lang und spitz, ein enger Kreis um den Pflanzenstängel, die Blumennarbe. Sein Blick wanderte über die piepsenden Geräte und die Graphen, die sich auf deren Bildschirmen abzeichneten. Dann über die magere Gestalt im Bett. Obwohl die Bettdecke seinen Körper umhüllte, erschien er viel zu zierlich. Seine Gesichtsknochen traten hervor.
 

„Du weißt, dass ich Krankenhäuser verabscheue, Tenzou“, murmelte er vorwurfsvoll und verstummte dann, denn er würde keine Antwort bekommen, keinen genervten Blick, keine trockene Erwiderung. Seufzend griff er sich ins Haar, fuhr sich über das Auge, das vor Müdigkeit brannte. Er konnte die Nächte kaum schlafen. Die Tage war er ständig unterwegs. Jetzt stand er einfach da. Sah ihn so kränklich blass und abgemagert. Und erinnerte sich an unsinniges Zeug. Unwichtige Gespräche.
 

»Meine Lieblingsfarbe«, hatte Tenzou ihm am selben Tag damals wenig später verkündet, »ist Orange.«

Er hatte nicht einmal gefragt. Es hatte ihn auch nicht wirklich interessiert, aber manchmal war es – er würde es nicht als angenehm bezeichnen – zumindest nicht unangenehm, wenn er mit Tenzou solche banalen Gespräche führte. Es war eine Abwechslung zu den Kämpfen auf Leben und Tod und der ständigen Stille, die ihn sonst begleitete.

»Orange?«, hatte Kakashi gähnend wiederholt. Sein Desinteresse hatte in seinen Gesichtszügen gestanden, aber Tenzou hatte sich davon nie groß beeindrucken lassen.

»Ja, die Farbe ist warm. Wie rot, aber nicht so aggressiv. Sie fällt auf, aber ist nicht so aufdringlich wie gelb.«

»Ahja«, hatte er erwidert und wieder in seinem Heftchen gelesen.
 

Sein Blick streifte das Nachtschränkchen am Krankenbett. Es war still. Wieder diese Stille, die ihn begleitete. An den Blättern der Blume liefen die feinen Adern wie ein Netz ineinander. Die Blüten waren glatt und spitz. Eng aneinander liegend. Auch sie würden verblühen. Noch strahlten sie in einem kräftigen Orange.
 

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Sakura seufzte. Es war schwül. Die Sonne brannte durch das Fenster und sie sehnte sich nach einem kühlenden Gewitter. Wolken bauschten sich am Horizont auf, aber von einer erfrischenden Brise war nichts zu spüren.
 

»Sakura!«

Die Stimme ließ sie zusammenzucken.

Am Fensterrahmen lehnte ihr ehemaliger Lehrer und zwinkerte ihr zu.

»Wie geht es dir? Man hört ja bereits Gerüchte, du hättest wieder einmal jemanden verprügelt?«

Sie blinzelte.

»Wieder einmal wieder?«, echote sie und hob ihre Augenbraue.

»Das hört sich so an, als würde ich kaum etwas anderes tun.«

Kakashi zuckte seine Schultern, sprang durch das Fenster und schlenderte auf sie zu. Sie war sich sicher, dass er unter seinem Mundschutz grinste.
 

»Sai übertreibt maßlos. Nicht, dass er sich dessen bewusst wäre. Ich hätte ihm noch viel schmerzhaftere Kopfschmerzen verpassen können.«

»Ach, das weiß er sicherlich«, erwiderte Kakashi und seine Tonlage hing zwischen einer scherzhaften Anmerkung und einer nüchternen Feststellung.

»Wie geht es Ihnen, Sensei?«, fragte sie.

»Ich habe zuerst gefragt.«

Sie seufzte.

»Gut. Soweit. Eigentlich musste ich mich nur ausruhen, um meine Chakrareserven wieder aufzufüllen. Also mehr oder weniger. Nachdem alles aus dem kritischen Bereich war, hat mir Tsunade natürlich gründlich den Kopf gewaschen.«

Kakashi musterte sie und Amüsement flackerte durch seine Augen.

»Sicherlich zu recht«, warf er nüchtern ein, doch sie schnaubte.

»Yamato-sensei wird leben. Ich habe die ganze Sache schadlos überstanden. Ich sehe da kein Problem. Im Gegenteil. Es stand mehr als nur der erfolgreiche Abschluss einer Mission auf dem Spiel. Ich wollte keinen Kameraden sterben lassen.«

Sie konnte förmlich sehen, wie das Amüsement in seinem Auge erlosch und Müdigkeit Platz machte.

»Man kann nicht jeden retten, Sakura. Und manchmal muss man sein eigenes Leben gegen das von Kameraden aufwiegen.«

»Mein Leben ist nicht wertvoller als jedes meiner Freunde.«

Etwas, das sie an die Qual eines lahmenden Hundes erinnerte, der erbarmungslos hinter seinem Herrchen hergezogen wurde, flimmerte durch Kakashis Auge. Vielleicht bildete sie es sich aber auch nur ein.

»Aber was ist, wenn du deinen Freund nicht retten kannst. Würdest du für ihn sterben?«

Sie verzog ihre Augen zu Schlitzen, schwieg. Ihre Gedanken überschlugen sich.

Würde sie alles geben? Ja. Würde sie ihr Leben riskieren? Hatte sie das nicht bereits getan?

Sie nickte entschlossen.

Kakashi fuhr sich durch sein Haar. Das machte er oft, wenn ihm etwas gegen den Strich ging, wenn er nervös war oder genervt erkennen musste, dass sein Gegenüber sturer als er selbst war, uneinsichtiger oder hartnäckiger. Oder einfach nichts verstand. Sein Blick wanderte aus dem Fenster und verfing sich in den dunklen Wolken, die sich am Horizont auftürmten, ein Versprechen auf einen baldigen Sturm, aber auch auf eine Abkühlung.

Langsam wandte er sich wieder Sakura zu. Unbeugsam schimmerte das Grün ihrer Augen. Ein Versprechen stand dort. Ein Versprechen, niemals aufzugeben. Alles zu geben. Niemals ihre Freunde im Stich zu lassen. Sich selbst zu vergessen, um den anderen zu retten. Kakashi kannte diesen Blick. Er hatte früher in den Augen seines besten Freundes gestanden.
 

»Würdest du für einen Freund sterben, den du nicht mehr retten kannst, Sakura?«
 

Zuletzt hatte nur noch Ablehnung, Enttäuschung und Hass in diesen seltsam fremden, seltsam vertrauten Augen gestanden. Jetzt gab es dieses Schimmern in den Augen seines besten Freundes nicht mehr. Nur noch in seiner Erinnerung. Alles war eine fade Erinnerung geworden.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Edit: bearbeitet Nov. 2015 Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2014-05-07T17:36:12+00:00 07.05.2014 19:36
Ein fantastisches Kapi ich bin hin und weg. Dein Schreibstil wie immer super und kaum Fehler. Mach weiter so. 😊
Antwort von:  Jaelaki
15.05.2014 01:49
Vielen Dank! Es freut mich, wenn mein Stil gut ankommt! ;-D
Ich werde mich weiterhin bemühen.

Gruß,
Jaelaki
Von:  rokugatsu-go
2014-05-01T14:34:34+00:00 01.05.2014 16:34
Ah, siehst du? Yamato hängt bei dir ja gar nicht nur bewusstlos am Bildrand herum. In der Rückblende hat er ja sogar Text.
Ernsthaft, dieses kurze Gespräch über Lieblingsfarben hat mir am besten gefallen (auch wenn ich über "orange" als Yamatos Lieblingsfarbe stutze). Ich liebe solche Szenen, in denen einem nach lachen und weinen zugleich ist. Natürlich gefällt es mir auch sehr gut, dass Kakashi so viele Szenen in diesem Kapitel hat. Ich mag es, wie du ihn darstellst.
Alles in allem ein sehr gut geschriebenes, atmosphärisch dichtes Kapitel, nach dem man sich auf mehr freut.

Antwort von:  Jaelaki
06.05.2014 18:48
Ja, Yamato wird auch noch mehr Screentime haben im Laufe der Geschichte - seltsam, ich weiß. ;-D Über das Farbenthema haben wir ja bereits gesprochen. ^.-
Ansonsten: Danke für deinen Eindruck!

Jaelaki
Von:  fahnm
2014-04-30T23:05:08+00:00 01.05.2014 01:05
Spitzen Kapi
Antwort von:  Jaelaki
18.05.2014 18:15
Vielen Dank! ^.-

Gruß,
Jaelaki


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