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Liebe wie Gurkensushi

YUAL mit BxB-Oneshots!
von

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Simon auf der Mauer

Er sitzt auf einer Mauer, von unten sehe ich seine dreckigen Fußsohlen. Eine Kippe hängt in seinem Mundwinkeln und er schaut nach oben in den Himmel. Ganz weit weit fort.

„Hey, Simon!“, rufe ich zu ihm hoch, winke.

„Oi, mein bester Freund, geselle dich zu mir!“ Er klopft auf die Mauer neben sich.

„Spinner!“ Ich lache. Ein paar Meter weiter, führt eine Treppe nach oben zu einem Biergarten. Wenn man sich geschickt anstellt, kann man von dort auf die Mauer springen und zu Simon balancieren. Am Anfang hat es mich viel Überwindung gekostet, die Mauer ist sehr hoch und die Angst vor der Höhe völlig natürlich. Aber Simon ist es wert.

„Bring ein Bier mit!“, höre ich ihn mir nachrufen, als ich mich auf den Weg zur Treppe mache. Bier mögen wir eigentlich nicht, aber der Biergarten drückt über das Mauerklettern die Augen zu, wenn wir ab und zu etwas bei ihnen kaufen. Simon liebt es, auf auf dieser Mauer zu sitzen.

Von dort aus sieht man einen kleinen Fluß und ein Gäßchen, auf dem nie viel los ist. Als befände man sich nicht in einer lebendigen Stadt, sondern in den Ruinen vergangener Zeiten.

Ich frage mich, wie er diesen Ort gefunden hat.

Aber ich könnte mich auch fragen, wie ich Simon gefunden habe. Manchmal ist etwas einfach da.

Ich kaufe im Biergarten zwei Bier in Flaschen. Die Kellner wissen schon Bescheid. Beherzt springe ich auf die Mauer. Egal, wie oft ich es mache. In diesen Momenten schlägt mein Herz mir immer bis zur Brust.

So ist es, Simon zu treffen.

„Hier, dein Bier.“ Ich hebe ihm die Flasche hin und setze mich mit meiner neben ihn. Meine Beine baumeln im Leeren. Es ist ein Gefühl, dass ich aus meiner Kindheit kenne und mir damals keine Angst gemacht hat, anders wie heute. Aber es hat auch was von Freiheit. Eine komische Freiheit, die ich nicht richtig in Worte fassen kann. Genau wie Simon.

„Danke, Mann. Sag mal, magst du Musik?“, fragt er mich, öffnet dabei geschickt seine Flasche an der Mauer. Ich reiche ihm ungefragt meine. Meine Flaschen kriege ich nur mit Flaschenöffnern auf.

„Denk schon.“ Wer mag denn keine Musik?

Die Flasche schäumt über. Lachend hält Simon die Flasche weit von sich und wir beobachten, wie das Bier von seiner Hand tropfte.

„Noch mal kräftig geschüttelt, hm?“, meint er mit einem Grinsen.

„Hey, nur für dich.“ Ich zwinkere ihm zu. Nur für ihn. Tatsache. Er reicht mir das Bier, was für ihn angedacht ist und schlürft selbst etwas von dem übergelaufenen.

„Meine Band spielt morgen das letzte Mal. Dachte, vielleicht willst du uns mal noch live sehen, wo wir uns nun auflösen.“

„Wo spielt ihr denn?“ Ich weiß nichts von einer Band. Aber allgemein habe ich Simon nie viel gefragt. Je mehr ich frage, desto bewusster wäre mir, wie wenig ich ihn kenne. Und das Gefühl mag ich nicht.

Ich bin ein gieriger, egoistischer Mensch. In meiner Vorstellung gehört mir Simon allein. Nur wir beide auf dieser Mauer und nur dann existiert Simon.

„Tortuga. Verrauchte Piratenkneipe. Du wirst es furchtbar finden, genau wie unsere Musik.“ Er grinst mich dabei an, so dass es unmöglich war, zu diesem Angebot Nein sagen zu wollen.

„Klingt einladend.“ Wahrscheinlich sollte ich fragen, warum sich seine Band auflöst. Welches Instrument er spielt, überhaupt welche Musikrichtung. Einfach irgendwas. Aber ich sitze nur hier und trinke mein Bier.

„Hier, ohne kommste nicht rein.“ Er hält mir zwei Tickets unter die Nase. Billiges Papier. Billiger Druck. `Lost & Blue´ ist darauf zu lesen. Ich tippe auf den Namen der Band. Überraschend kitschig.

„Soll ich mit dem zweiten Ticket meine Freundin mitnehmen, oder was?“ Warum gibt er mir zwei Tickets?

„Ich glaube nicht, dass du für eine imaginäre eine Eintrittskarte brauchst. Aber klar, bring sie mit!“ Simons Blick ist dabei amüsiert und etwas mitleidig. Natürlich weiß er, dass ich keine Freundin habe. Er weiß alles und ich weiß nichts. Es ist eine Art Naturgesetz.

Ich stecke die Tickets in meine Hosentasche, beschließe dabei, das zweite Ticket Vorort zu verschenken oder weg zu schmeißen. Jemand mitzunehmen, würde bedeuten, Simon zu teilen. Soll ich überhaupt auf sein Konzert gehen? Was ist, wenn ich dort einen Simon finde, der zu weit weg von mir ist? Ein Simon, den ich nicht fassen kann. Der mich nicht hört. Der nicht neben mir auf der Mauer sitzt und mit mir einen trinkt. Soll ich die Karten wieder zurück geben?

„Ich ziehe weg.“ Seine Stimme kratzt. Meine Bierflasche zerschellt auf dem Pflaster unter mir. Fallen gelassen.

Ich brauche einen Moment, um mich von dem Schock zu erholen. Als ich mich wieder gefasst habe, fummle ich die Tickets wieder aus meiner Hosentasche heraus.

„Ich komme nicht“, stelle ich klar, halte ihm die Papierzettel hin. Das würde ich nicht ertragen. Simon das letzte Mal zu sehen, wenn er auf einer Bühne weit weg von mir steht, zwischen mir und ihm eine Menschenmasse und er nicht derjenige ist, den ich zu kennen glaubte.

„Schade.“ Er nimmt die Eintrittskarten nicht zurück. Simon ist enttäuscht von mir, fast so sehr, wie ich von mir.
 

Ich komme an der Mauer vorbei, wie von selbst, schaue ich nach oben. Keine dreckigen Fußsohlen. Kein Simon. Natürlich nicht. Was habe ich erwartet? An diesem Tag. In diesem Moment. Der Tag auf der Mauer. Der Tag mit den Eintrittskarten. Alles hätte daraus werden können. Was hätte daraus werden sollen? Die Frage stelle ich mir immer wieder, finde keine Antwort.

Heute ist das Konzert. Ich beschleunige meine Schritte, meine Hände in der Hosentasche. Die Eintrittskarten sind zerknittert und weich, weil ich sie immer wieder zwischen meinen Fingern reibe, um sicher zu gehen, dass sie wirklich echt sind. Und nicht schon längst verloren.

Ob Simon auf mich wartet? Er kennt mich. Ich hoffe, er kennt mich.



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