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Blatt im Regen

oder: Versteck mich!
von

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Sechs

Titel: Blatt im Regen

Autor: -Scarecrow-

Disclaimer: Die gehören alle mir *_________*

Teil: Sechs

Email: kyubimon1@gmx.de

Warnung: Evt. lemon/lime, auf jeden Fall sap

Kommentar:

Achtung, achtung! Ab hier wird's richtig sap-ig. Allen, die ein leichtes Gemüt haben und einfach zum Heulen zu bekommen sind, empfehle ich, jetzt noch den Notausgang zu nehmen und auszusteigen, bevor es zu spät ist...
 

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„Der Junge hat sehr viel durchgemacht, wie ich Ihrem Bericht entnehmen kann. Von daher wird es zunächst sehr schwierig sein, ihm näher zu kommen... Ihn überhaupt richtig kennenzulernen. Fürs Erste sollten Sie ihn sich selbst überlassen, bis er selbst auf Sie zukommt. Nur so kann eine freiwillige Beziehung geschaffen werden, denn einem gezwungenen Kontakt wird er sich niemals offenbaren.“

Die Stimme des Arztes hallte unangenehm im totenstillen Untersuchungsraum wider. Ich nickte nur zu seinen Worten, danach wandte ich den Blick von ihm ab und sah an ihm vorbei aus dem Fenster. Es schneite.

„Gut, dann verabschiede ich mich von Ihnen!“, stand er auf, wieder mit einer geschäftigen Stimme, mir die Hand hin streckend.

Ich erhob mich ebenfalls, schüttelte die Hand. „Auf Wiedersehen.“

Er ging voraus und öffnete mir die Tür, hielt mich aber noch einmal zurück. „Wenn es weiterhin Probleme wie... Davonlaufen geben sollte, rufen Sie mich ruhig an“, murmelte er und gab mir seine Visitenkarte. Dankend nahm ich diese an und steckte sie mir in die Hosentasche.
 

Mit einem sentimentalen Gefühl stand ich ein paar Minuten unschlüssig auf der bereits verschneiten Straße herum, bis ich seufzte und mich auf den Heimweg machte.

Herr Anlini war der Dorfarzt, sein Fachgebiet Psychologie. Deshalb hatte ich keine Sekunde gezögert, ihn mit meinen Problemen zu belasten. Er war ein ruhiger, freundlicher Mann, dem ich mein Leben anvertraut hätte. Ich kannte ihn jetzt schon seit bestimmt fünfzehn Jahren, früher hatte er oft Hausbesuche bei meiner Großmutter gemacht. Er war für mich wie ein zweiter Vater, aber zum Duzen waren wir immer noch nicht übergegangen. Er hatte eine Italienerin geheiratet, daher der Name.

Ich trat mit den Füßen eine leere Dose vor mich her, um den Frust zumindest halbwegs abzubauen. Warum tat ich mir dieses Leid eigentlich noch an? Zum bestimmt dreitausendzweihundertfünften Mal fragte ich mich, warum, zum Teufel, ich Cain aufgenommen hatte! Wie sehr wünschte ich mir eine Antwort darauf! Es war wirklich zum Haare raufen.

Das Fenster im ersten Stock stand weit offen. Ich konnte sehen, wie der Junge auf der inneren Fensterbank saß und hinaus schaute. Sein Blick war, soweit ich das erkennen konnte, merkwürdig leer und irgendwie verträumt. Der Wind zauste sein rehbraunes Haar und verlieh ihm einen verwegenen Anblick. Die Augen ruhten auf dem Geäst des Gingkos, der mittlerweile fast alle seine Blätter verloren hatte, doch er sah durch ihn hindurch. Woran er wohl gerade dachte...?

Im warmen Haus angekommen machte ich erst einmal Tee und goss ihn in zwei Tassen, kippte das letzte Paket Kekse, das noch da war, in eine Schüssel und stellte das Ganze auf ein Tablett. Ich scheuchte Umbrella mit einem Tritt, wie man diese Fußbewegung beinahe bezeichnen konnte, von der Tür weg und klopfte an, das Tablett mit einer Hand und der Brust balancierend.

„Ja?“, vernahm ich dumpf und drückte die Klinke herunter. Die Tür schob ich mit einem Fuß auf.

Cains prüfender Blick traf mich sofort. Doch er sprang nicht vom Fensterbrett, wie ich es erwartet hatte, sondern glitt mit seinem Blick nur über den Eingang, ob die Hündin auch ja draußen geblieben war. Ich ging auf ihn zu und blieb kurz vor ihm stehen.

„Darf ich?“, fragte ich.

Er nickte knapp, woraufhin ich das Tablett auf dem Fensterbrett abstellte und mich auf seiner anderen Seite abstützte. Eine ganze Weile tat ich es ihm gleich und starrte schweigend hinaus, ließ mir die eisige Luft um die Ohren wehen, aber ich konnte keinen wirklichen Gefallen daran finden.

„Wie... geht es dir?“, fragte ich vorsichtig; hoffentlich gab er mir jetzt eine ordentliche Antwort, und kein sarkastisches Lächeln, wie er mir sonst immer zu antworten pflegte. Aber ich hatte weder Glück noch Pech; ich erhielt nämlich überhaupt keine.

Cain schaute immer noch aus dem geöffneten Fenster, die Glasscheibe an seinem Rücken. Der rasch zunehmende Wind fegte einige Blätter aus dem Regal, Unterlagen aus meinem Studium. Es kümmerte mich nicht. Das Einzige, was gerade zählte, war sein Anblick... Hätte ich es besser gewusst, hätte ich ihn glatt mit dem Prinzen aus einem fernen, nicht existierenden Land gehalten...

Ich habe eindeutig zu viel Fantasy gelesen.

„Wie soll es mir schon gehen?“, vernahm ich plötzlich doch seine Stimme. Kurz war ich verwirrt, weil ich mit der Frage abgeschlossen hatte.

Ich zuckte mit den Schultern, schickte ein schüchternes Lächeln hinterher. „Ich weiß nicht, deshalb hab ich ja gefragt.“

Er schwieg eine weitere Weile, sagte aber schneller als vorher etwas. Seine Stimme klang rau, und ich glaubte, einen Hauch von Trauer heraus hören zu können. „Ich fühle mich einfach nur verwirrt...“ Und auf einmal wollte er gar nicht mehr aufhören zu reden! „Bin ich denn nicht auch nur ein Junge, der Antworten haben will? Ein Kind, das seine Eltern fragt, warum die Blätter im Wind rascheln? Schön, die Frage lässt sich nicht einfach beantworten, aber sie hätten sich wenigstens die Mühe geben können, es zu versuchen! Aber es war ihnen egal, sie wollten es nicht! Ich fühle mich so hintergangen...!“

Ich wusste sofort, dass er die Geschichte mit dem Blätterrascheln als Synonym für etwas anderes benutzte. „Aber wenn ihnen jemand anders es verboten hätte, es dir zu sagen?“, verteidigte ich seine Eltern sanft. „Wenn sie daran gehindert worden wären?“

„Dann hätten sie es mir trotzdem sagen sollen!“ Wut blitzte in seinen Augen auf. Wut und Streitlust. „Habe ich denn nicht das Recht, es auch zu erfahren? Habe ich das nicht, verdammt?!“

Ich hob beide Hände, um ihn zum Schweigen zu bringen, als er noch etwas anfügen wollte. „Es ist genug, Cain“, erwiderte ich ernst, mit einem scharfen Unterton. Sein Blick wandte sich ab. „Ich habe nicht das Recht, deine Geschichte zu erfahren. Wenn du sie mir erzählen willst, dann bitte ohne irgendwelche seltsamen Ausdrücke zu verwenden. Du hast deine Eltern doch wohl nie gefragt, warum Blätter rascheln, oder?“

Er begann, ertappt auf seiner Unterlippe zu kauen. „Natürlich nicht... Das tun doch nur Idioten.“

„Oh, hat der junge Herr also doch zu Teenagerausdrücken gefunden?“, sagte ich spöttisch, worauf ich einen bösen Blick seinerseits erntete. Mit dieser Bemerkung, das wusste ich selbst, wollte ich nur meine eigene Verlegenheit zu überspielen. Fakt ist, dass ich meine Eltern das früher gefragt habe... Weiß der Fuchs, warum.

Cain hatte seine Tasse Tee nicht einmal angerührt, als er vom Fensterbrett sprang und das Zimmer verlassen wollte.

„Wo willst du hin?“, fragte ich gewarnt. Will er schon wieder abhauen? Diesmal legal?

„Ins Bad“, knirschte er, und mein Herzschlag beruhigte sich augenblicklich. Hatte ich doch tatsächlich geglaubt, er würde erneut fortlaufen. Du bist ein Narr, Adrian. Ein großer, besonders dämlicher Narr. Und ein sentimentaler dazu.

Ich fuhr mir mit der einen Hand durch das Haar und seufzte schwer. Das würde wohl niemals aufhören...
 

Cain kehrte nur mit Shorts bekleidet in das Zimmer zurück. Sein Haar war noch nass, und er sah nicht so aus, als wollte er sich noch fönen. Stattdessen platzierte er sich, so wie er war, wieder auf der Fensterbank.

Mein Blick schweifte über seinen fast gänzlich nackten Körper. Er war mager, die Rippen stachen geradezu hervor, aber auf eine gewisse, sehr eigene Art schön.

Wie fühlt er sich wohl an...?

In diesem Moment spielte ich mit dem Gedanken, ihn nur einmal zu berühren... Eine flüchtige Begegnung meiner Hand mit seiner Schulter, ein Ticken, vielleicht auch ein Streichen durch sein nussbraunes Haar, ein Greifen nach der Hand, die ruhig auf seinem Oberschenkel lag...

Oh mein Gott. Ich glaube, ich muss hier raus. Frische Luft schnappen.

Ich sprang so plötzlich auf, dass Cain mich verwundert ansah. Die Wut in den Augen war verschwunden, jetzt hauste dort wieder der übliche, abwesende und kühle Ausdruck.

„S... Sauerstoff“, stotterte ich und knallte die Tür beinahe hinter mir zu, ehe ich die Treppen hinunter stürmte und die Haustür aufriss, um die klirrende Luft einzuatmen.

Was, verdammt noch mal, war denn in mich gefahren?! Er war noch ein Junge, ein Teenager, nicht älter als vielleicht siebzehn... Und ich fünfundzwanzig. Verflucht...

„Alles in Ordnung?“

Die Stimme ließ mich zusammenzucken, als wäre der Blitz durch mich gefahren. Mein Kopf ruckte herum und erkannte die braunen Strähnen. Unwillkürlich nickte ich, obwohl dies überhaupt nicht der Fall war.

Ich musste nachdenken. Dringend. Dieser eine Gedanke vermochte sogar, die Freude, dass Cain offensichtlich ohne vorher Ausschau nach Umbrella gehalten zu haben, zu verdrängen.

Ich stürzte geradezu zurück in den Flur, schloss die Tür aber nicht. Ich zog mir Schuhe und Jacke an, suchte fast panisch nach meinen Schlüsseln. Derweil stand Cain nur wenige Zentimeter von mir entfernt und sah mich eindringlich an. Er verstand es nicht. Natürlich nicht.

„Ich... komme bald zurück“, sagte ich nur, bevor ich die Haustür ins Schloss fallen ließ – und mich auf ihrer anderen, kälteren Seite befand.
 

Er war verwirrt. So verwirrt. Und allein.

Er hockte wieder mit angezogenen Beinen auf dem Fensterbrett am geöffneten Fenster, hatte beobachtet, wie Adrian gegangen war.

Ich komme bald zurück.

Wann war ‚Bald‘? War es in zwei Stunden? Morgen? In zehn Jahren?

Er hatte ‚Bald‘ schon oft gehört, und jedes Mal hatte er dieses Wort mehr hassen gelernt.

Es war so falsch. So verlogen. Und noch viel verlogener waren die Menschen, die hinter ihm steckten...

Er machte sich in den nächsten Minuten ernsthaft Gedanken darüber, wer dieses Wort überhaupt erfunden hatte. Wahrscheinlich die Menschen, die es für harmlos hielten, die es für den Alltag benutzten. Dabei hatten sie jedoch eines vergessen: ihn.

Er raufte sich die Haare. Schon wieder hat man mich vergessen...
 

Das konnte nicht sein! Das konnte einfach nicht sein! Es war unmöglich!

Ich lehnte an einem Baum an der Straße und starrte auf den Teerboden vor mir. Mein Herz raste wie bekloppt, als ob es sich einen Führerscheinverweis einhandeln wollte. Ich keuchte; ob dies vom Rennen oder von etwas anderem herrührte, wusste ich nicht.

Ich konnte unmöglich in Cain verliebt sein. Er ist ein Kind, er ist ein Kind..., dachte ich immer und immer wieder, aber zu einer Schlussfolgerung kam ich nicht. Heftig schüttelte ich den Kopf, auf dem schon Schneeflocken saßen und vor sich hin schmolzen.

Ist das der Grund, warum du es dir verwehrst?, erwiderte eine andere Stimme in mir. Ist es das?

Ich konnte nur immer wieder den Kopf schütteln, um diese Gedanken abzuwehren, aber es wollte nicht funktionieren. Stattdessen wurde es immer schlimmer.

Warum nimmst du nicht einfach all deinen Mut zusammen und gibst dem Gefühl eine Chance?

Er ist zu jung...

Ich glaubte, ein Kichern zu hören. Glaubst du das? Was wäre daran denn so schlimm?

Mein Kopf fühlte sich an wie ein Wespennest. Überall summte es, rotierte und bewegte sich...

Lass es einfach zu, sprach meine innere Stimme weiter, du wirst dann schon sehen, was passiert.

Stöhnend und mit einem Arm vor den Augen ließ ich mich an dem Stamm auf den Boden herabsinken. Ich störte mich nicht an dem kalten Schnee, der auf der Erde lag, sondern schlang meine Arme um die Knie und zog die Beine an meinen Körper heran. Murmelte Worte wie Nein, Zu jung und Unmöglich. Aber mein Inneres wusste es natürlich besser – viel besser. Die Hoffnung, dass dem nicht so sei, hatte ich verloren...



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Alathaia_Idhren
2007-10-13T19:01:04+00:00 13.10.2007 21:01
Adrian tut mir irgendwie leid.Was hat er sich da nur eingebrockt :3
Ich sitz grad so fröhlich hier und freu mich voll XD
@Adrain Du kannst dich nicht dagegen wehren! Muharhar
Nur schade,dass sich Cain jetzt so allein gelassen fühlt,dabei stimmt das doch garnicht!! Q.Q Hab jetzt voll Angst,dass er sich wieder so verschließt.
Zusammengefasst--> *mitfieber*
Von: abgemeldet
2007-09-04T14:31:26+00:00 04.09.2007 16:31
Aaaaaaaaaaaaaaaah~

°// __ //°

So schööööön... das Kapitel ist ja wohl niedlich~
xD
Echt sweet. Ich find's echt toll, dass Cain sich ihm wenigstens etwas anvertraut hat....wenn man das so bezeichnen kann.


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