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Schlaflos

Der Albtraum endet nie...
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Seit 1 1/2 Wochen hadere ich mit mir, ob ich es hochladen soll. Thematisch ist es wichtig, aber thematisch schlägt es mir im Moment auch an die Nieren -_-
Gleichzeitig seid ihr mir als Leser aber auch wichtig und ich weiß ja selbst, wie ungeduldig man sein kann, wenn man zu lange warten muss.
Deswegen: Kurz- und Schmerzlos. Hoch und fertig.
Have fun... Komplett anzeigen

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Besuche

Pflichtbewusst fuhr Kyo zwei Tage später zu seinem Bewährungshelfer, um diesem wieder einmal eine kleine Übersicht über sein neues Leben zu geben und ein kleines Frage-und-Antwort-Spiel zu spielen. Zeigen, dass er außerhalb des Gefängnisses gut zurecht kam und die Entscheidung mit der Bewährung eine gute war. Artig wartete er vor dem Büro, war etwa zehn Minuten zu früh dran. Um sich die Wartezeit angenehmer zu machen und sich selbst ein wenig zu entspannen, nahm er auf einem der Stühle im Flur Platz. Die Unterlagen, die er hatte mitbringen sollen - Kontoauszüge, Arbeitszeugnisse – lagen alle in einer Mappe auf seinem Schoß. Neben ihm auf dem freien Platz, hatte sich Ayaka niedergelassen, stillschweigend und die Hände fein säuberlich in ihren Schoß gelegt, nachdem sie sich eine blutverschmierte Strähne aus dem Gesicht gestrichen hatte. Schon den ganzen Morgen war sie so wortkarg gewesen, hatte ihn aber auf Schritt und Tritt verfolgt. Was irgendwo doch noch anstrengender und nervenaufreibender war, als alles bisherige.

Gut eine Minute war vergangen, da öffnete sich die Bürotür und heraus kam sein Bewährungshelfer, der einen anderen Klienten verabschiedete.

„Ah, Niimura-san. Sie sind ja schon da. So früh hatte ich Sie gar nicht erwartet. Wenn Sie möchten, dann können wir jetzt schon anfangen.“ Mit einer einladenden Geste wies er in sein Büro.

Kyo stimmte dem Vorschlag nickend zu. Warum sollte er hier auch weiter herum sitzen? Je eher sie anfingen, umso eher waren sie fertig.

Kibo-san, ein groß gewachsener, hellblonder junger Mann, mit wachen, rehbraunen Mandelaugen hinter einer großen, schwarzgerahmten Brille, ließ Kyo den Vortritt, schloss hinter sich die Tür. „Nehmen Sie Platz. Machen Sie es sich bequem“, bat er, während er sich selbst hinter seinen Schreibtisch setzte, sich Kyos Akte, die er schon bereit gelegt hatte, nahm. „Bei Ihnen ist alles in Ordnung? Keine Probleme auf der Arbeit oder so?“

„Indirekt...“

„Indirekt?“

„Vor drei Tagen wurde bei uns eingebrochen. Und die Einbrecher haben einen netten Spruch auf einer der Wände im Lager hinterlassen, der sich gegen mich richtete“, nuschelte Kyo seinen Füßen entgegen. Natürlich hätte er das auch verschweigen können, aber was, wenn das heraus gekommen wäre? Wenn das dann auch noch Ärger nachgezogen hätte? Nein, darauf konnte er verzichten. Außerdem machte sich Lügen nicht gut, wenn die eigene Freiheit auf dem Spiel stand.

„Gegen Sie? Was macht Sie da so sicher?“

„Wenn sich da jemand wünscht, dass ein Mörder stirbt und alle Anderen in dem Laden haben eine weiße Weste, wem gilt das dann wohl?“

„Oh. Ja, das wird sich dann vermutlich wirklich an Sie gerichtet haben. Das stellt dann schon ein Problem dar. Wie kommen Ihre Kollegen und Ihre Arbeitgeber damit zurecht?“

„Das Wissen nur Andou-san, Hara-kun, die Polizei und ich. Meine Kollegen haben keine Ahnung. Sie waren von dem Einbruch selbst nervlich schon so am Ende“, erklärte der Ältere.

„War es mehr auf Ihr drängen oder hatten Ihre Chefs darauf bestanden?“

„Meine Chefs.“

„Ah, gut.“ Nachdenklich notierte er sich etwas in der Akte. Das war ein Thema, auf das er als guter Bewährungshelfer weiterhin ein Auge haben sollte. „Aber sonst ist alles in Ordnung? Gibt es vielleicht etwas, wobei ich helfen kann?“

Kyo überlegte. Da gab es schon noch eine Bitte, war sich aber nicht sicher ob und wie er sie formulieren sollte.

„Sie haben mir erzählt, dass Sie eine Wohnung suchen. Kommen Sie damit voran?“

„Ja. Einer meiner jüngeren Kollegen hat ein paar gute Kontakte in der Stadt und mir vor kurzem ein paar sehr schöne Immobilien vorgeschlagen. Bei Gelegenheit wollten wir die auch besichtigen, aber wegen dem Einbruch haben wir das fürs Erste aufgeschoben.“ Wenn Nobu seine gute Laune wiedergefunden hatte, dann würde er den Jüngeren wieder drauf ansprechen.

„Sie können aber weiterhin bei Ihrem Freund wohnen?“

„Ja, kann ich. Das ist kein Problem“, erklärte Kyo. „Am liebsten würde der mich auch gar nicht wieder ausziehen lassen.“

„Wieso denn das?“ Jetzt war Kibo-san doch ein wenig verwirrt. Zwar war man als Freund froh, wenn man helfen konnte -würde er auch machen – jedoch konnte er sich auch vorstellen, dass man irgendwann erleichtert war, wenn der Andere auszog und wieder auf eigenen Beinen stand.

Um die Verwirrung zu lösen, fügte der Ältere hinzu: „Aus Angst. Um mich.“ Jedoch merkte er schnell, dass das nicht weiter half. „Wegen der Sache mit den Schlaftabletten letztens.“

„Weswegen Sie im Krankenhaus waren?“

„Genau. Und wegen“, Kyo schob die Ärmel seiner Jacke hoch, legte seine Unterarme demonstrativ auf den Schreibtisch, zeigte somit die verblassten, feinen Narben. „Mein Freundeskreis hat Angst, dass ich damit wieder anfange.“

Sein Gegenüber musste schlucken. So viele Schnittwunden auf einer vergleichsweise kleinen Fläche hatte er noch nie gesehen.

Diese Reaktion brachte Kyo dazu seinen Armen ebenfalls Aufmerksamkeit zu schenken. Vorsichtig strich er über die feinen Linien auf seinem linken Unterarm. Eine Geste, die ihn an Shinyas Geburtstag und an die kleine Nanami erinnerte. Sie hatte diese Linien nicht beachtet. Hatte sich nur um die Tattoos gekümmert. Alles andere war ihr egal gewesen. War wohl auch besser so. Denn ihr erzählen woher die weißen Striche kamen wollte er nicht. Im schlimmsten Fall würde sie Angst bekommen oder es aus Neugier noch selbst ausprobieren.

„Ich finde, dass aus dem weiß ruhig wieder rot werden könnte. Das passt besser zu deinen blutbesudelten Händen.“

Eine Gänsehaut breitete sich auf seinem gesamten Körper aus, als Ayaka seine Bewegung imitierte. Aber er sagte nichts, reagierte nicht weiter. Nur schneiden würde er sich nie wieder.

Nicht wegen ihr oder sonst jemandem. Nie wieder.

In den nächsten Minuten besprachen sie, nachdem für einen Moment betretendes Schweigen geherrscht hatte, noch einige Kleinigkeiten.

„Ich denke, wir können an dieser Stelle dann auch Schluss machen. Soweit ist ja alles in Ordnung. Sie erfüllen die Auflagen und haben sich nichts zu schulden kommen lassen. Ich kann Sie ruhigen Gewissens weiterhin unter Bewährung durchs die Straßen ziehen lassen.“

Gute Neuigkeiten. Aber obwohl dieses Treffen damit als beendet angesehen werden konnte, blieb Kyo sitzen, starrte auf die Papierberge vor sich.

„Niimura-san?“

„Ich hätte da eine Bitte an Sie“, nuschelte Kyo und spielte ein wenig an der mitgebrachten Mappe herum.

„Welche denn?“, erkundigte sich der Hellbraune wissbegierig. Wenn er helfen konnte, wollte er das gerne tun.

„Ich würde gerne das Grab von Takeno-san besuchen.“ Kurz ließ er den Satz wirken. Schließlich kam dieser Wunsch reichlich überraschend. „Wenn Sie vielleicht mit der Familie reden könnten? Ihr Einverständnis einholen? Vielleicht wollen sie ja gar nicht, dass ich dem Grab ihrer Tochter zu nahe komme. Und wenn sie wollen, dass irgendwelche Vorkehrungen getroffen werden, wenn sie wollen, dass ich keinen Schritt, keinen Atemzug ohne Erlaubnis ihrerseits machen darf, dann bin ich damit einverstanden.“ Fest sah er in das Gesicht des Jüngeren. „Ich will ja nichts Schlimmes. Ich will mich nur entschuldigen und ein paar Blumen hinterlegen.“

„Das willst du wirklich tun?“, hörte er Ayaka neben sich fragen und woraufhin er sacht nickte. Er hätte ihr auch gerne eine mündliche Antwort gegeben, aber wenn andere Menschen dabei waren hielt er sich zurück. Es musste ihn ja nicht jeder gleich für verrückt erklären.

„Nun“, fing der größere Japaner an, „Ihre Bitte kommt überraschend. Zeigt mir aber auch, dass ich Sie richtig eingeschätzt habe. Ich werde mich noch gleich heute darum kümmern.“ Lächelnd erhob er sich, zeigte somit an, dass er das Gespräch beenden und gleich mit der Erfüllung der Bitte beginnen wollte. Kyo stand ebenfalls auf, wurde wie sein Vorgänger zur Tür begleitet und dort verabschiedet, bekam von Kibo-san noch das Versprechen, dass er alles tun würde, damit dieser Besuch so schnell wie möglich stattfand.

Auf dem Weg nach draußen schielte er immer wieder zu Ayaka herüber. Sie wirkte nachdenklich.

„Ich mache das, weil du es so willst.“ Zumindest hatte er ihre Aussage damals im Krankenhaus: 'Sag es mir ins Gesicht.' so verstanden.

„Und was willst du dafür?“

„Die Freiheit zu singen. Mit den Anderen wieder musizieren, ohne mir die ganze Zeit Vorwürfe von dir anhören zu müssen.“ Er meinte es nicht böse, schmunzelte sogar ein wenig.

„Deine Wünsche ändern sich wohl auch nicht“, erwiderte sie, hatte dabei leichtes Lächeln mit einem Hauch Spott, der aber alles andere als böse gemeint war.

„Nein, nicht wirklich.“ Derzeit gab es wirklich nichts, was er mehr wollte.

„Dir ist schon klar, dass du mich nicht fragen brauchst. Wenn du es mit dir vereinbaren kannst, dann sing doch.“

„Aber das ist doch der Grund, weshalb ich dich frage“, flüsterte der kleine Japaner, sah sich immer wieder verstohlen nach rechts und links um. Es musste ja keiner etwas von seinen 'Selbstgesprächen' mitkriegen. „Du bist mein Gewissen. Wenn ich mich nicht mit dir einig werden kann, mit wem denn dann?“
 

Als Kyo etwa eine halbe Stunde später in den Laden kam, saßen seine Kollegen, was an diesem Tag neben Die und Toshiya, Nobu und Keisuke waren, in der Angestelltenküche und tranken Tee oder Kaffee.

„Hallo Leute“, begrüßte er alle, legte die Mappe mit den Unterlagen auf den Tisch und entledigte sich seiner Jacke, die er über die Lehne des Stuhles hängte, auf den er sich dann auch setzte. Allerdings wunderte ihn, dass er keine Antwort bekam. Zumindest keine so fröhliche wie sonst. Und gerade bei Nobu war das Besorgnis erregend.

„Was ist los?“, fragte er und sah unsicher von Einem zum Anderen.

Die regte sich als Erster. „Toshiya und ich hatten vorhin ein Gespräch mit den Polizisten, die für unseren Fall zuständig sind.“ Mit traurigem Blick starrte er in die Tasse, die er in seinen Händen herum drehte.

„Und?“

„Die Einbrecher sind vorgestern gefasst worden. Hat wohl nur so lange gedauert, weil die Jungs keinen festen Wohnsitz haben. Ein paar Jugendliche ohne Perspektive. Sollen wohl auch recht schnell gestanden haben.“

„Das-Das ist doch gut, oder nicht?“ So allmählich verstand Kyo die Welt nicht mehr. Wenn die Übeltäter gefasst wurden, war das doch ein Grund zur Freude.

Jetzt war es an Toshiya zu antworten: „Wenn es die üblichen Gründe wie Langeweile, Zerstörungswut oder sowas wie eine Mutprobe gewesen wäre, dann wäre das zwar auch ärgerlich, aber nicht so schlimm wie das, was wirklich dahinter steckt.“

Erwartungsvoll sah Kyo in die Runde, nachdem Toshiya gestoppt hatte. Sollte er jetzt raten, warum ihnen ein paar Jugendliche die Bude demoliert hatten oder erbarmte sich vielleicht mal einer von den anderen Vieren und erzählte die ganze Geschichte?

„Jemand hat sie dazu angestiftet“, klärte Daisuke auf. „Hat ihnen den Alkohol und ein bisschen Geld dafür gegeben, dass sie das alles hier anrichteten.“

„Auch für -?“

„Bezahlt für alles“, antwortete Die, der wusste worauf Kyo sich bezog. „Darauf hatte der ominöse Kerl sogar bestanden. Hat sogar noch die Spraydose spendiert.“

Jegliche Farbe wich aus dem Gesicht des Sängers. Das war alles nur wegen ihm passiert. Seinen Freunden war Schaden zugefügt worden, weil er hier war. Nein, weil es ihn gab. Verzweifelt ließ er den Kopf in seine Hände sinken. Es war eben doch falsch gewesen, dass man ihn wieder raus gelassen hatte.

Plötzlich spürte er, wie jemand ihn in eine Umarmung zog. An den grünen Haarspitzen konnte er erkennen, dass es ihr Kätzchen war. „Nicht traurig sein, Kyo-san. Für das Ganze ist ein ganz, ganz böser Mann verantwortlich. Das er so etwas veranlasst hat, ist unverzeihlich. Du darfst nicht sterben. Dafür hab ich dich viel zu gern.“

Erst jetzt wurde Kyo klar, dass Die eben offen über die Schweinerei unten im Keller geredet hatte. Und dass Nobu Bescheid wusste, konnte nur heißen, dass die beiden eingeweiht worden waren. Vorwurfsvoll sah er und zu den beiden engen Freunden.

„Nach der Information mussten wir es ihnen erzählen“, rechtfertigte sich der Gitarrist.

Kyo holte tief Luft, wurde ärgerlich, aber so schnell wie sie gekommen war, war seine Wut auch schon wieder verpufft. Hatte er nicht noch vorhin bei seinem Gespräch mit Kibo-san festgestellt, dass es besser war die Wahrheit zu sagen?

„Hat die Polizei denn eine Ahnung, wer dahinter steckt?“

Toshiya zuckte mit den Schultern. „Uns wurde erzählt, dass man versucht ein Phantombild zu erstellen, aber die Jungs sind nicht einfach. Jeder sagt was anderes. Man vermutet, dass die beim Treffen schon nicht mehr ganz nüchtern waren. Nur in einem Punkt sind sie sich alle einig: Es war ein Kerl mit eiskalten Augen. Stechenden, kalten Augen.“
 

Kibo-san war schnell. In etwas weniger als zwei Wochen hatte er alles organisiert. Noch am selben Tag, an dem er von der Bitte seines Mandanten gehört hatte, hatte er die Familie Takeno kontaktiert und ihnen dieses Anliegen näher gebracht. Überrumpelt von dieser Anfrage hatten sie erst einmal um ein wenig Bedenkzeit gebeten, sich dann nach drei Tagen wieder bei dem Hellbraunen gemeldet. Sie waren einverstanden, hatten allerdings auch zwei Bedingungen: Das Erste war, dass sie dabei sein wollten. Als Zweites wünschten sie sich die Anwesenheit von Polizeibeamten, die die ganze Aktion überwachen sollten. Mit beidem erklärte sich Kyo einverstanden, so wie er gesagt hatte. Was sprach auch schon dagegen? Zudem: Er wollte zu dem Grab, wollte der von ihm getöteten Frau, gegenüber treten, sich entschuldigen und so ein wenig Buße tun. Nach den 15 Jahren Haft ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.

Es war Freitag Morgen, als zwei Polizeibeamte bei Toshiya klingelten. Noch vor den Beamten waren Die, Kaoru und Shinya nacheinander bei den beiden Freunden eingetroffen, um Kyo zu begleiten. Hatten sich extra hierfür frei genommen. Nach einer kurzen Absprache mit den Beamten einigte man sich darauf, dass diese voraus fahren würden, während die anderen Vier und Kibo-san, der ebenfalls dabei sein wollte, folgen würden.

Kyo kam sich schon ein wenig komisch vor, als er im hinteren Teil des Streifenwagens Platz nahm. Schließlich war er, wenn man mal von der Bewährung absah, ein freier Mann. Es war ein beengendes Gefühl hier zu sitzen. Als ob ihm seine Freiheit wieder genommen werden würde. Doch das musste er auf sich nehmen. Hatte er sich doch bereit erklärt, alle gestellten Bedingungen zu akzeptieren und einzugehen. Das gehörte einfach dazu.

Während der Fahrt, die doch eine Weile dauerte, drehte er sich immer mal wieder nach hinten um, um sicher zu gehen, dass seine Freunde noch da waren, den Wagen mit ihm darin nicht aus den Augen verloren hatten. Wenn er Dies roten Wagen entdeckte, dann war er immer wieder aufs Neue beruhigt. Vor dem Eingang zum Friedhof konnte er schon von weitem ein älteres Paar ausmachen, welches reichlich gebeugt dastand und sich die eine Person sogar auf einem Krückstock abstützte. Neben ihnen ein Mann Mitte 40, dessen stechenden Blick Kyo schon auf diese Entfernung auf sich spüren konnte. Die Familie Takeno. Kyos griff um den mitgebrachten Blumenstrauß auf seinem Schoß festigte sich. Sein Blick wanderte zu Ayaka neben sich. Sie war offensichtlich mindestens genauso nervös wie er selbst.

Der kleine Konvoi fuhr auf den Parkplatz. Erst der Polizeiwagen, dann Die und zu guter Letzt Kibo-san. Allmählich wurde es ernst. In den Gesichtern seiner Freunde konnte Kyo dieselbe Nervosität entdecken, die ihn selbst erfasst hatte. Dabei mussten sie ja gar nicht so fühlen. Für ihn war es ein schwerer Gang. Sie waren nur begleitend dabei. Trugen nicht seine Bürde.

Einer der beiden Beamten öffnete eine der Hintertüren und ließ Kyo aussteigen. Sogleich wurde er von beiden Seiten flankiert. Mit seinen Freunden im Rücken und Kibo-san vorneweg ging es zu der Familie, die geduldig am Eingang wartete. Nun, mehr oder weniger, denn der Sohn wippte auf seinen Füßen herum. Freundlich begrüßte Kibo-san die Eheleute, stellte sich als der vor, mit dem sie telefoniert hatten. Es folgte ein kleiner, allgemeiner Austausch von Begrüßungen, ehe sich der kleine Trupp in Bewegung setzte. Während die Eltern Kyo gegenüber deutlich machten, dass sie sich über dessen Bitte und seine jetzige Anwesenheit so etwas wie freuten, spürte er im Nacken die hasserfüllten Blicke des Bruders. Von Ayaka war er ja einiges gewöhnt, aber das hier war wirklich heftig. Richtig unheimlich und ein Schauer nach dem anderen rannte ihm den Rücken runter. Nur langsam kamen sie voran, da Herr und Frau Takeno nicht die schnellsten waren, aber sie mussten ihnen ja den Weg weisen, weil sonst keiner wusste, wo sich die Grabstelle befand. Viel gesprochen wurde auch nicht mehr, da die ganze Atmosphäre und die Umgebung reichlich bedrückend wirkten. Irgendwann hielten sie vor einem schlichten, weißen Grabstein auf dem ihr Name eingraviert war. Nachdem die Familie kurz ein kleines, stilles Gebet gesprochen und einige Räucherstäbchen angezündet hatte, durfte Kyo vortreten. Mit wackeligen Beinen trat er heran, legten den kleinen Strauß ab und die Hände aneinander.

'Es tut mir Leid. Nie habe ich gewollt, dass ein Mensch durch meine Hand stirbt. Ich bedauere zutiefst, dass es dich treffen musste. Dass ich mich nicht unter Kontrolle gehabt hatte. Könnte ich etwas in meinem Leben ändern, dann...' Eigentlich gehörte hier die Stelle mit dem Schlag hin, aber Kyo war mehr für den Zeitpunkt, als er den angeblichen Überfall vereitelt hatte. Aber das wäre nicht richtig gewesen. Immerhin hätte er es bis zu dem 'Unfall' schaffen können, dass sich ihre Wege unwiderruflich trennten. Doch wenn er ganz tief in sich hinein horchte, dann war das, was er wirklich am meisten bereute und ungeschehen machen wollte, dieser eine Tag. Dieser eine Moment, der ihren Tod bedeutet hatte.

„Gomen nasai, Takeno-san“, flüsterte er, verneigte sich tief vor Ayakas letzter Ruhestätte. Als er sich wieder aufrichtete, merkte er wie er von hinten von ihr umarmt wurde.

„Danke. Das war alles, was ich von dir hören wollte.“ Ein sanfter Kuss landete auf seiner Wange. „Ich vergebe dir. Und um ehrlich zu sein: So schön war mein Leben zum Schluss ja auch nicht mehr.“ Sie löste sich von ihm, schritt an der Gruppe vorbei. Das Blut in ihrem Gesicht, ihren Haaren und ihrer Kleidung war verschwunden. Einige Meter weiter blieb sie stehen und mit einem strahlenden Lächeln und einem Winken verschwand sie.

„Lebe wohl“, wisperte er ihr hinterher, strich sich Tränen, von denen er noch nicht einmal gemerkt hatte, wie sie flossen aus dem Gesicht. Tränen der Erleichterung. Hierher zu kommen, sich an ihr Grab zu begeben und sich für alles zu entschuldigen war definitiv richtig gewesen. Das war es, was ihn in den letzten sechzehn Jahren wohl doch noch mit am meisten belastet hatte, neben der Tatsache, dass er eben jemandem auf dem Gewissen hatte: Dass er ihr nicht in irgendeiner Form das letzte Mal gegenüber getreten war, um sich, wie jetzt zu entschuldigen. Natürlich fühlte er sich immer noch schuldig, aber eben auch ungemein befreiter. Froh diesen Schritt getan zu haben, wandte sich Kyo zu den Eltern herum, verneigte sich tief. „Dass mir erlaubt haben hierher zu kommen, bedeutet mir sehr viel. Arigatou Gozaimasu.“

Das Ehepaar deutete ihrerseits eine Verbeugung an, schafften sie es in ihrem Alter doch nicht mehr richtig. Der Bruder hingegen zeigte sich immer noch eiskalt, als Kyo sich vor ihm noch einmal extra verneigte.

Sein Bewährungshelfer bedankte sich ebenfalls für die gegebene Chance, natürlich erst nachdem er Ayaka noch die Ehre erwiesen hatte. Die anderen vier Dir en Grey- Mitglieder taten es ihm gleich, sprachen ihr Beileid aus.

Kyo hielt sich wieder ein wenig abseits auf, genoss das neu gewonnene Stück seelischer Freiheit ein wenig, sah träumerisch in den durchbrochenen, grauen Himmel. Plötzlich legte sich eine Hand wie ein Schraubstock um seinen linken Oberarm. Verwirrt sah er in das Gesicht des Mannes, der dafür verantwortlich war, traf auf hasserfüllte Augen.

„Wenn es vollkommen nach mir gegangen wäre, dann wären Sie hier in dicken Ketten aufgetaucht, eingekreist von Mitgliedern irgendeiner Spezialeinheit der Armee. Wenn ich denn überhaupt die Erlaubnis gegeben hätte. Sie sind ein Mörder. Abschaum. Ein Nichts“, zischte er ihm zu. „Gefängnisstrafe. Pah. Man hätte Sie töten sollen. Mörder gehören getötet.“

Wie paralysiert starrte Kyo den jüngeren Mann an. Selbst nachdem dieser ihn weggestoßen und davon gegangen war.

'Mörder gehören getötet.'

War das ein Zufall? Es gab schließlich viele Menschen, die so dachten. Die für die Todesstrafe waren. Aber diese Augen, die ihm noch jetzt eine Gänsehaut bereiteten. Das konnte alles doch nur Zufall sein. Aber es passte einfach zu perfekt. Steckte Takeno-kun hinter dem Einbruch?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wehe, einer beschwert sich, dass das zu kurz war -_-
Antworten gibt es morgen Abend, wenn ich wieder zu Hause bin Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  totchi_1312
2011-10-12T14:43:58+00:00 12.10.2011 16:43
hey

es ist sehr gut geworden...ich bin begeistert...es freut mich das ayaka ihm vergeben aht...das ist wirklich schön...

bin gespannt ob der bruder das war :o)

liebe grüße
totchi
Von:  myamemo
2011-10-11T19:22:06+00:00 11.10.2011 21:22
Ich beschwere mich net das es zu kurz war.
Wollte es heute eig gar net mehr lesen da ich es für zu viel gehalten hatte xDD
Aber die neugier war dann doch größer ^^"
Tolles kapitel und ayaka scheint kyo ja jetzt erlöst zu haben ^^
Ok, das mit ihrem Bruder is wieder ne andere Sache, aber ok xD
Der war das bestimmt mit dem Laden >.<
Bin mal wieder gespannt wie flitzebogen ^^

lg mya
Von:  Astrido
2011-10-10T17:07:55+00:00 10.10.2011 19:07
nobu is ein niedliches kerlchen^^

ich finde schön, das kyo und auch ayaka jetzt ihren frieden gefunden haben. und das die familie es trotz erlaubt hat, obwohl der bruder ja offensichtlich dagegen zu sein scheint.

jetzt kann kyo sich mit aller kraft der band und dem fiesling der ihn tot sehen will widmen. ich fand den bruder ja von anfang an sehr komisch. ich denke auch, dass er dahinter steckt.

lg
Mayu
Von:  IMMORTAL_QUEEN
2011-10-10T15:04:41+00:00 10.10.2011 17:04
Hey :)

So, von mir auch mal wieder ein Kommentar.

Ich bin ehrlich überrascht (im positiven Sinn) dass Ayaka ihm verziehen hat, aber das freut mich wirklich total.
Ich würde ja auch auf den Brunder tippen, mit dem Schriftzug. Bin aufjedenfall gespannt.

Wie immer: toll!

LG
Von:  KenTsu
2011-10-10T10:21:06+00:00 10.10.2011 12:21
halloho,

irgendwie hab ich mir schon am anfang dieses kappis gedacht das der bruder von ayaka dahintersteckt. denn nur er hatte ja schon im "ersten" teil diese kalten augen.
gut das nobu und der rest der anwesend war auch bescheid wissen. nobu is aber auch wieder knuffig. ich lieb den kleinen immer mehr.
schön auch das kyo zum grab durfte und sich bei ayaka entschuldigen konnte, auch wenn sie ja irgendwie mitschuld an ihrem eigenem tot trägt.

ich hoffe jetzt wird es für kyo, was ayaka betrifft, ruhiger. obwohl sie ja schon selber ruhiger geworden war.

schönes kappi wie immer.

danke auch wie immer für den BESCHEID.

lg und bis zum next chap.



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