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Amnesia

Wer ist man noch, wenn man sich selbst vergisst?
von

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Cognac

Nun...
 

Zuerst einmal vielen Dank für die Kommentare! Es hat mich echt gefreut, dass ihr die Hoffnung noch nicht aufgegeben hattet, dass meine Geschichte doch noch weitergeht :D
 

Nun... hierzu sag ich erstmal nichts... einige von euch haben es kommmen sehen... andere dachten etwas anderes.

Ich hoffe, ihr lest trotzdem weiterhin mit; ich kann nur noch einmal betonen, ich habe mir tatsächlich was dabei gedacht, als ich es geschrieben hab, das ist nicht nur pure Willkür.
 

In diesem Sinne überlasse ich euch diesem Kapitel und dem Geheimnis um die Identität des Bosses - in dieser Geschichte.
 

Mit den allerfreundlichsten Grüßen,

eure Leira
 

_____________________________________
 

Kapitel 18: Cognac
 

Er wusste, jetzt war es soweit. Diesmal gab es kein Zurück mehr.
 

Erstaunlich gefasst schritt Shinichi den schmalen Gang entlang, vorbei an weißen Kunststofftüren, den Kopf hoch erhoben, sein Blick ohne Angst.
 

Er hatte seine Chance gehabt, und sie verspielt.

Schließlich… hatte er sie nie haben wollen.
 

Diesen Weg ging er bewusst, er hatte ihn sich ausgesucht, zu seiner Entscheidung stand er; er fürchtete nichts mehr.
 

Er hatte nie ein Mitglied sein wollen, hatte dies nun wohl sehr klar gemacht, und wenn das hieß, dass er jetzt sterben musste, dann war ihm das Recht. Alles war besser als das, was er in den letzten zwei Tagen erlebt hatte. Alles war besser als ein Leben weiter in dieser Lüge, jetzt, da er es wusste…

Jetzt, da er die Wahrheit kannte.

Absinths Worte hallten durch seinen Kopf.
 

Es ist eine Gnade für dich, dass du unwissend sterben darfst…
 

Ein zynisches Lächeln huschte über seinen Lippen, ging, so schnell wie es gekommen war.
 

Das mit der Unwissenheit hat sich dann wohl erledigt.
 

Er schluckte, merkte, wie Kälte in ihm emporkroch. Keine Angst… aber wahrscheinlich ein leiser Abklatsch dessen, was ihn jetzt noch erwartete.

Sein Leben war am Abgrund; was jetzt mit ihm geschah, spielte keine Rolle mehr.

Die Hauptsache war doch, dass Ran in Sicherheit war, und dessen war er sich gewiss; und dieser Funken Erleichterung, der ihn durchfuhr, malte ein kurzes Lächeln auf die Lippen, ein echtes.

Nur kurz; genauso schnell wie es gekommen war, verschwand auch dieses Lächeln, bei dem Gedanken, was er und Ran nun endgültig nie bekommen würden.

Wie weh er ihr jetzt tat, in diesem Moment; nur jetzt spürte sie es noch nicht.

Aber mit dem Augenblick, an dem sie es erfahren würde, was aus ihm geworden war… warum… das alles passieren hatte müssen, da… würde ihre Welt einstürzen.

Und in Trümmern liegen bleiben, wobei er hoffte, das nur… nur für eine Weile.
 

Betrübt schluckte er, kam nicht umhin sich in Gedanken an die tausend Mal zu verfluchen ob seiner Dummheit in den letzten Jahren.

Er hatte es verbockt.

Alles.
 

Und er war unsagbar blind gewesen.

War so beschäftigt gewesen, zu täuschen, dass er gar nicht mitbekommen hatte, wie man ihm beständig ein Trugbild vorgaukelte. Nicht einen Schritt war er ihm wohl je vorausgewesen, dem Boss.

Nicht einen.

Nichtsdestotrotz war er sich die ganze Zeit so schlau vorgekommen.

Dabei hatte er nichts bewirkt. Er war ihnen all die Jahre doch nicht wirklich nahe gekommen, der Grund, warum er sterben sollte, war ein ganz anderer…

Die Chance, sie zu vernichten, hatte er wohl kaum gehabt, auch wenn sie wohl erkannten, dass man ihn nicht laufen lassen konnte, weil er nicht ganz dumm war…

Shinichi zog die Augenbrauen zusammen. Der Gedanke daran war wirklich frustrierend. Zu wissen, dass er dieses Spiel schon zu Beginn verloren hatte, dass alles, was passiert war, umsonst gewesen war, all seine Anstrengungen, alle Bemühungen, alles… für die Katz.
 

Klar, sie wussten, er war potentiell eine Gefahr gewesen, schließlich war er Detektiv und wirklich nicht unintelligent, aber bisher hatte man ihn wohl kontrolliert, ohne dass er es je gemerkt hatte. Jetzt aber wusste er viel zu viel, und daneben hatte das Triumvirat wohl noch einen anderen Grund, ihm mit Freuden sein Lebenslicht auszupusten.
 

Er war doch wohl kaum mehr gewesen als eine Marionette in diesem Spiel, die vielleicht ein wenig selber zappelte, aber gefährlich hatte er ihnen wohl nie werden können.
 

Wie auch… unter diesen Umständen.

Er hing ja an den Fäden fest.
 

Er schluckte bitter.
 

Und jetzt war es vorbei. Die Fäden hatte er gerade abgerissen und was nützte schon eine kaputte Marionette…
 


 

Vermouth ging vor ihm durch den weiß getünchten Gang mit dem hellgrauen Linoleumboden, warf ihm immer wieder einen Blick zu, bemerkte schließlich Beaujolais, die ihnen nachlief, in ihren Augen glomm ein sensationslüsternes Funkeln. Sie lächelte breit, zeigte dabei ihre perfekten, weißen Zähne, und schien extrem gut drauf zu sein, holte die kleine Gruppe ein, als sie vor einer Tür stehen blieb.
 

„Also hat er’s vergeigt? Ja?“
 

Sharon hielt inne, drehte sich um, bedachte dann die Rothaarige mit dem herablassendsten Blick, den sie auf Lager hatte.

„Fuck you off, Beaujolais.“, bemerkte sie dann gedehnt, drehte sich wieder um und marschierte weiter.

Gin, der vor ihnen gegangen war, wandte sich ebenfalls um, in seinen Zügen eine Heiterkeit, die man von ihm nicht gewohnt war, und die ihn seit ihrer Ankunft nicht verlassen hatte.

„Na, na… wer wird denn, Vermouth.“

Er lächelte gewinnend, dann wandte er sich selbst an die Rothaarige.

„Verschwinde.“, befahl er kühl, lächelte dabei immer noch.

„Aber…“

„Ich sagte, du sollst Leine ziehen, Beaujolais. Drück ich mich etwa undeutlich aus? Muss ich noch klarer werden?“

Die Schärfe in seiner Stimme war unüberhörbar. Beaujolais schluckte, wagte aber nicht, ihm noch einmal zu widersprechen. Stattdessen warf sie ihm einen beleidigten Blick zu, bedachte Shinichi mit einem gehässigen Lächeln und stolzierte von dannen.

„You can go as well.“

Vermouth trat vor, blickte Gin arrogant aus den Augenwinkeln an, während sie ihre Hand auf den Türknopf legte.

„Ich bring ihn zum Boss, you’ve no permission for that area. Du benachrichtigst das Triumvirat, Gin.“

Gin verengte die Augen zu Schlitzen, man sah ihm an, dass ihm ihre Order nicht schmeckte. Er sah sie lange prüfend an; dann schien er zu dem Schluss gekommen zu sein, dass sich daran nichts ändern ließ, für den Moment, knurrte etwas unverständliches und verschwand durch eine Tür in der Seite, die, wie Shinichi bemerkte, einen weiteren Gang offenbarte - genau wie die Tür vor ihnen, die sie nun passierten.

Er warf der Blondine neben sich einen musternden Blick zu.

Besorgt.

Sie schien wirklich besorgt.
 

Er seufzte, schaute sie an.

„Warum?“, fragte er dann.

„Warum was?“, hakte die blonde Frau nach, ließ sich zurückfallen, bis sie neben ihm schritt.

„Warum passt du auf mich auf? Du hast das die ganze Zeit über getan, nicht nur, seit ich in der Organisation bin. Warum kümmert es dich, was mit mir passiert, was ich tue? Das würd ich gern noch wissen, bevor…“

Vermouth schaute ihn an, wandte dann ihren Blick ab.

Ihre Gesichtszüge wurden hart, ihr Mund fast verkniffen, und kurz, ganz kurz konnte man das wahre Alter dieser Frau auch auf ihrem Gesicht sehen.
 

Kurz, ganz kurz, sah man Sharon Vineyard, die fünfzig Jahre alte Frau, die ihn und Ran und seine Mutter seinerzeit durch das Theater geführt hatte, in New York.
 

„Weil du der Sohn meiner besten Freundin bist… und ich nie wollte, dass sie dich verliert. Dich… auch noch.“

Shinichi schluckte hart, wandte den Blick nun ebenfalls ab, bohrte ihn in den Boden vor sich, als gelte es, ihn zu durchlöchern.

„Also… habe ich Recht? Er… er ist es wirklich?“

Seine Stimme klang ungewohnt rau, kratzig fast. Er hob die Hand, rieb irritiert seinen Hals, räusperte sich und schluckte erneut. Ihm war nicht recht, überhaupt nicht recht, dass ihn seine Stimme verriet.

Dass sie Zeugnis über seinen inneren Aufruhr ablegte.
 

Vermouth bedachte ihn mit einem traurigen Blick, ihr Tonfall klang etwas niedergeschlagen, als sie nun sprach.

„Wie lange… seit… seit wann weißt du es denn…?“

Shinichi schaute sie nicht an.

„Ich hatte die Ahnung schon länger… Du… du warst viel zu offensichtlich…“
 

Er biss sich nur auf die Lippen und schüttelte stur den Kopf.

„Und dabei hattest du es so leicht mit mir, ich wollt es nicht wahrhaben… ich wollte es wirklich nicht glauben. Ich mache den gleichen Fehler immer wieder… ich will nicht glauben, was mir nicht gefällt…“

Shinichi schaute auf, kam nicht umhin sich zu wundern, wie sehr sich Vermouth, die eiskalte Killerin verändert hatte.

So kannte er sie gar nicht.

So besiegt, so erschüttert.
 

Lange beschäftigen konnte ihn dieses Phänomen jedoch nicht. In seinem Magen rumorte es, ihm war wirklich schlecht. Das Gefühl, das sich in ihm ausbreitete, in jede einzelne Faser seines Körpers kroch und die Herrschaft über sein Denken an sich riss, konnte er nicht in Worte fassen. Und deshalb schwieg er nun, bis sie an der Tür angekommen waren, hinter der über sein Schicksal entschieden werden sollte.
 


 

Dann waren sie angekommen.

Stille hatte sich ausgebreitet, als die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, einzig und allein die leise Atmung der Anwesenden und gelegentliches Rascheln und Reiben von Stoff war zu hören, wenn sich eine der drei Personen etwas bewegte.
 

Die Atmosphäre jedoch schien fast zu brennen, ein unwirkliches, statisches Knistern schien in der Luft zu hängen, die Anspannung war fast spürbar.
 

Was er fühlte, konnte er nicht mehr beschreiben, und so stand er da, wartete, versuchte nicht zu denken. Schließlich wusste er schon, bevor die Gestalt aus dem Schatten trat, was, oder besser wer, ihn erwarten würde.

Seit er den Schatten in der Gasse gesehen hatte, wusste er es doch...

Sie mussten fast zeitgleich angekommen sein, im Hauptquartier.
 

Shinichi schluckte, stellte fest, dass sein Hals ausgedörrt zu sein schien, hob irritiert die Hand an seine Kehle, ließ sie wieder sinken, als er merkte, was er tat.

Er hatte den Blick auf den Boden vor ihm geheftet, schöner, roter Marmor. Bleich starrte ihm sein Konterfei entgegen, so lange, bis er seinen Anblick nicht mehr ertragen konnte.

Erst dann sah er auf, langsam.

Es half ja schließlich alles nichts… seinem Schicksal musste man sich stellen.

Der Wahrheit musste man sich stellen.

Er war ihr doch noch nie davon gelaufen… und er würde es auch heute nicht tun. Ein letztes Mal musste er ihr wohl noch einmal in die Augen schauen… der Wahrheit.
 

Als er dann tatsächlich in den Lichtkegel der Deckenlampe trat, schien in ihm etwas zu Stein zu werden, er kam sich vor wie erstarrt, unfähig, sich zu bewegen, die Augen abzuwenden.

Er biss sich stattdessen wieder einmal an diesem Abend auf die Lippen, so fest, dass er Blut schmeckte. Der Schmerz beruhigte ihn fast… diesen Schmerz konnte er begreifen.

Anderes nicht.

Er merkte, wie sein Innerstes zu Eis zu gefrieren schien, wie seine Atmung sich beschleunigte, sein Puls zu rasen begann und wandte dann doch ruckartig den Kopf ab. Er wollte ihn nicht sehen.

Ertrug den Anblick keinen Augenblick länger.

In seinen Hosentaschen ballte er die Fäuste, so fest, dass seine Fingernägel in seinen Handballen schnitten.
 

„Du hast es doch geahnt, besser gesagt, gewusst…

Es… sollte dich doch nicht mehr so treffen, Shinichi…“
 

Yusaku Kudôs Stimme war leise, als er sprach, und in ihr schwang echtes Bedauern. Sharon bewegte sich leicht, sie schien ihre Nervosität abzustrahlen wie eine Aura, Shinichi spürte sie deutlich.

„Du wusstest doch, was Sache ist, als du in der Gasse den Mann nicht erschossen hast, und es war dir auch klar, was dich erwartet, als du gerade durch die Tür gekommen bist. Du willst es jetzt nur nicht glauben.“
 

„Hör auf…“

Shinichis Stimme war tonlos; seine Augen hingen fest an einer Vase in der Ecke. Von seinem Selbstbewusstsein, das ihn erhobenen Hauptes hierher gebracht hatte, war gerade nicht mehr viel übrig, jetzt, wo er vor vollendeten Tatsachen stand.

Wie hatte er glauben können, er könnte damit umgehen…
 

Yusaku lächelte traurig.

„Du kennst die Wahrheit, aber du willst sie mal wieder nicht glauben, nicht wahr? Wolltest es wohl die ganze Zeit nicht… wie ich dich kenne. Aber du weißt, dass es stimmt. Egal ob du mich nun ansiehst oder nicht, du weißt es, dass ich es war, gerade in der Gasse, die ganze letzte Woche, all die Jahre über...“
 

Der junge Detektiv merkte, wie bei den Worten seines Vaters die Bitterkeit erneut in ihm hochstieg, so intensiv, dass er sie fast auf seiner Zunge schmecken konnte.
 

„Sag mal, hat dich das amüsiert…?“, wisperte er dann.
 

Ruckartig blickte er auf.

„Wars interessant, zuzusehen, wenigstens, hat die Show sich gelohnt?“

„Shinichi!“

Der Schriftsteller schluckte, konnte sich denken, warum sein Sohn so aufgebracht reagierte. Er hätte an seiner Stelle wohl kaum anders reagiert, hätte er erfahren, dass er jahrelang nicht mehr gewesen war als eine Figur in einem Spiel, kontrolliert von Mächten, die er nicht kannte… noch dazu von Mächten, denen er vertraut hatte.

Ihm waren die Hände gebunden gewesen all die Jahre, all seine Mühen waren umsonst gewesen, er hatte ihn ja auf Abstand gehalten und ihm Theater vorgespielt, genauso wie Shinichi den anderen etwas vorgemacht hatte…

Das musste ihn wütend machen.

Er fühlte sich verraten, missbraucht, und das zu Recht.

Er war frustriert, das war verständlich.

Er hatte all die Jahre umsonst gelitten… und noch schlimmer, all die Jahre dem Leiden anderer zugesehen, die ebenfalls… umsonst gelitten hatten.
 

Dann begegnete er dem wütenden Blick seines Sohns und erstarrte.

Ja, Shinichi war wirklich aufgebracht, anscheinend übernahm nun seine Wut das Regiment, anscheinend wich der Schock.
 

„Na, nun sag schon! Du siehst mir ja immerhin seit Jahren bei meinen fruchtlosen Bemühungen zu, mein Leben wieder auf die Reihe zu kriegen, mal ganz zu schweigen von letzter Woche.“

Er schaute ihn an, lächelte sarkastisch.
 

„Und ich dachte doch wirklich, der Lügner in unserer Familie wäre ich.“
 

Diese Worte trafen Yusaku wie ein Schlag ins Gesicht.

„Du warst in guter Gesellschaft, mein Sohn.“, murmelte er dann leise.

„Ach, was du nicht sagst.“, erwiderte er pampig, wurde allerdings gleich wieder von seinem Vater unterbrochen.

„Hör zu, ich…“

„Nein.“
 

Shinichi hob die Hand, brachte damit seinen Vater seinerseits zum Schweigen..

„Jetzt rede ich und du hörst zu. Wahrscheinlich ist es sowieso das Letzte, was du je von mir hörst, also solltest du gut zuhören. Ich hätte dir da… nämlich noch etwas zu sagen.“

Er biss sich auf die Lippen.

„Was mich noch interessieren würde wäre, was du dir verdammt nochmal dabei gedacht hast, all die Jahre. Alles was du mir beigebracht hast, all deine Moralvorstellungen, deine ethischen Ansichten, dein Sinn für Gerechtigkeit... sieh mich an! Ich bin, wozu du mich gemacht hast! Ein Verfechter der Gerechtigkeit, ein waschechter Moralapostel…“
 

Seine Stimme hatte monoton, hoffnungslos geklungen, bis zum Schluss, als er kurz auflachte, hohl, mutlos.

„Wozu das alles?! Wozu bringst du mir das bei, wenn du all deine Prinzipien selbst verrätst…? War das irgendwie lustig, wars spannend für dich, dieses paradoxe, absurde Spiel, dass du da abgezogen hast und Erziehung nanntest?! Du hast mit mir das genaue Gegenteil von dir kreiert und dann glaubst du, mich hier eingliedern zu können? Wieso das alles? Wie hattest du dir das denn mal vorgestellt, glaubtest du, dein kleines Geheimnis bliebe auf ewig unentdeckt? Das alles ist doch absurd! Hast du eigentlich irgendwann mal darüber nachgedacht?! Wolltest du, dass ich’s mal rausfinde, oder wie?“

Yusaku schwieg; nun war er es, der den Kopf abwandte, weil er die Anklage in den Augen seines Sohns nicht ertrug.
 

Shinichi trat einen Schritt näher, merkte, wie die Mutlosigkeit, das Entsetzen einem Zorn wich, den er in diesem Ausmaß selten vorher gespürt hatte. Das Schweigen seines Vaters regte ihn auf. Diese ganze Situation regte ihn auf.

„Hast du dazu denn nichts zu sagen, verdammt?“, zischte er ihn böse an.

Ein wütendes Funkeln trat in seine Augen.

„Wenigstens das bist du mir schuldig! Eine Erklärung! Mein Gott, hast du denn zu dieser Farce von einer Vater-Sohn-Beziehung nicht ein Wort zu sagen!?! Du predigst mir Moralgefühl und schlachtest hinter meinem Rücken die Leute ab, du willst von mir, dass ich gerecht und wahrhaft und ehrlich bin und selber stielst du, mordest, betrügst, belügst, erpresst und…“
 

„Du nennst mich einen Verräter.“

Yusaku unterbrach ihn, aber klang immer noch sachlich.
 

„Ja.“

Shinichi atmete durch, versuchte, sich ein wenig in den Griff zu kriegen.

„Da irrst du dich, mein Sohn.“

„Nenn mich nicht deinen Sohn.“, wisperte Shinichi scharf.

„Du hast keinen mehr. Du verdienst auch keinen.“

Er schloss kurz die Augen, öffnete sie dann wieder und schaute ihn stur an, voller Trotz und Wut.

„Und ich irre mich nicht.“

In seinen Augen lag Anklage und ein Hauch von Trauer.

„Ich hab dir vertraut, verdammt, und dann tust du mir das an…! Du hättest mich sterben lassen sollen, als man dir die Entscheidung abnahm, warum hast du es verhindert, als man mich erschießen wollte? Wie konntest du mir dieses Leben einbrocken, wie konntest du denken, ich könnte so leben, überhaupt…!? Wie konntest du tatenlos zusehen, wie man mich zu Grunde richtet… ich sollte ein Verbrecher werden, Himmel, du weißt, was das mit mir macht, so gut solltest du mich doch kennen! Aber nein - du hast gebilligt, dass ich ausgelöscht werde, wahrscheinlich war es ja deine Idee… Shinichi Kudô, so wie er war, sollte eliminiert werden!“
 

Er schüttelte den Kopf, langsam, schaute ihn unverwandt an.
 

„Nein… du bist nicht mehr mein Vater! Mein Vater hätte das nicht getan…! Denn Väter tun so etwas nicht.“

Seine Stimme klang bitter.

„Und wie konntest du… verdammt, wie konntest du nur Ran da mit reinziehen…? Du hast doch gesehen, wie ich versucht habe, sie zu schützen, sie unter allen Umständen da rauszuhalten, und nun…“

Er hob den Kopf, starrte den Autor wutentbrannt an.

„Ich hab mir mein Leben zur Hölle gemacht, um sie zu beschützen! Ich… hab alles getan, was in meiner Macht stand, und dann kommst du! Ich warne dich…“

Shinichis Stimme zitterte.

„Wehe, du kommst ihr zu nahe… verdammt, sie…“
 

Er schluckte hart, starrte dann zu Boden, seine Stimme war leise, aber die Drohung in ihr war deutlich zu hören, als er sprach.

„Lass Ran in Ruhe, denn wenn ihr etwas passiert, dann gnade dir Gott, denn ich werde es nicht tun, ich werde nicht… gnädig… sein…, egal ob ich tot bin oder nicht.“
 

Shinichi keuchte, atmete heftig. Yusaku schaute ihn an, in seinen Augen lag mindestens genauso viel Bitterkeit wie in den seines Sohnes, aber ungleich mehr Schuld.

Er fühlte sich schuldig, ja… allerdings half das keinem von ihnen beiden das Geringste.

Langsam schüttelte er den Kopf.

„Ich kann dich beruhigen, ich werde Ran… nichts tun. Ich nehme an, das weißt du, sonst hättest du das nicht gewagt, den offenen Widerstand, gerade eben.“
 

Er schluckte, rang nach Worten, kam sich dabei lächerlich vor; er war Schriftsteller, ein Mann des Wortes, und nun fiel ihm scheinbar nicht eins mehr ein.

Kurz massierte er sich die Schläfen, wandte sich kurz ab, stütze sich an seinem Schreibtisch ab. Merkte, wie sein Puls langsam in die Höhe ging, er schneller atmete, seine Gedanken zu rasen anfingen. Das war so nie geplant gewesen. Keiner hätte das erfahren sollen.
 

„Ich habe nicht tatenlos zugesehen! Nach allem, was du weißt… weißt du, das ist nicht so! Du bist unfair, wenn du mir das vorwirfst.“
 

Er drehte den Kopf, schaute seinem Sohn ins Gesicht.

Shinichi war bleich, ja. Man konnte ihm ansehen, wie sehr ihm das hier gerade den Boden unter den Füßen wegzog.

Er hatte ihm vertraut.

Ihm geglaubt.

Alles. Immer. Bedingungslos.

Und nun stand er da und musste feststellen, dass sein Leben eine einzige Ruine war, gebaut auf einer Lüge.
 

„Was ist schon unfair. Du hast davon doch keine Ahnung.“

Shinichi schaute ihn mit verachtendem Blick an, aber die Enttäuschung in seinen Augen vermochte er nicht zu verbergen.

Niemals hätte er so vor ihm stehen sollen.

Shinichi hätte das nie erfahren sollen, niemals. Genausowenig wie all die anderen.

Und er hätte nie… nie in diese Lage kommen dürfen, nie… hätte sein Leben bedroht sein sollen. Er hatte ihn schützen, ihn raushalten wollen, aber Shinichi… zeigte sich gegen jede Schutzmaßnahme resistent. Er ging seinen Weg, und wenn der ihn in die Hölle führte, dann war dem eben so.

Yusaku seufzte, schaute ihn immer noch an, konnte dann dem stummen Vorwurf in Shinichis Augen nicht mehr standhalten und drehte sich weg, schaute auf die Tischplatte, studierte die Maserung des Mahagonis.
 

„Verdammt nochmal, Shinichi, du bist mein Sohn… kannst du dir denn nicht vorstellen, dass ich dich nicht sterben sehen kann…?“, flüsterte er leise.
 

Shinichi keuchte, starrte ihn wütend an.

„Und was hast du die letzten Tage getan? Sag mir, was hast du gesehen?!“

„Shinichi!“

„Armagnac, für dich!“

Er schrie ihn an, merkte, wie ihm langsam die Luft ausging. Yusaku fuhr herum, starrte ihn voller Entsetzen an.
 

„Schließlich hast du mir den Namen selbst gegeben.“
 

Shinichi hielt sich die Hand an die Stirn, sein Kopf fühlte sich an, als müsse er explodieren. Er wollte weg hier, endlich, wollte, dass das ein Ende fand; und so beschloss er, zu schweigen, kniff die Lippen zusammen und starrte an seinem Vater vorbei, aus dem Panoramafenster in dessen Rücken, sah den fahlen Mond über der Tokioter Skyline hängen.
 

Er hatte nichts mehr zu sagen.
 

Yusaku starrte ihn erschüttert an, zog sich eine Brille von der Nase, fuhr sich übers Gesicht.

„Shinichi… so heißt du aber nicht… nicht für mich.“

Seine Stimme klang hilflos. Sharon schluckte, bewegte sich unruhig. So hatte sie ihn noch nie erlebt. Beide nicht, um genau zu sein.
 

„Verdammt, verstehst du nicht… du bist mein eigen Fleisch und Blut… mein Sohn…! Ich wollte nicht, dass man dich umbringt… ich wollte um keinen Preis, dass man dich tötet… um Himmels Willen… kannst du das nicht verstehen?“

Shinichi schwieg beharrlich, stopfte seine Fäuste noch tiefer in seine Hosentaschen, würdigte seines Vaters weiterhin keines Blickes.
 

„Shinichi… als man dich hier anschleppte, was meinst du, wie hab ich mich da gefühlt? Ich wollte doch nie, dass es soweit kommt! Ich wollte dich hier nie sehen! Du hast immer fein ermittelt, und ich hab immer schön dafür gesorgt, dass du nie zu nahe kamst, nachdem du ja das Feld nicht anderen überlassen wolltest, soweit… denke ich, bist du in deinen Überlegungen gekommen, und es tut mir Leid, dass alle deine Bemühungen damit… umsonst waren. Aber es schien mir das Beste zu sein! Und es funktionierte, bis… bis Beaujolais kam und alle meine Pläne durchkreuzte. Ich war auf einmal zum Handeln gezwungen, du hast das Triumvirat doch kennengelernt…

Ich dachte, ich kann dich retten, indem ich dich hier… zum Mitglied mache…

Aber du hast dich nicht verbiegen lassen… du hast dich widersetzt.“

Yusaku schaute ihn an, ganz kurz huschte so etwas wie Stolz über sein Gesicht.
 

Shinichi blickte ihn immer noch nicht an, schaute zur Seite.
 

„Aber damit hast du es mir jetzt unmöglich gemacht,… dir noch zu helfen. Es war damals schon schwer, das Triumvirat doch noch zu überzeugen… und nun ist es vorbei. Du hast es… geschafft. Du hast dein Todesurteil unterschrieben. Eigentlich war das nur folgerichtig, und ich hätte es viel früher sehen müssen.“

Die Stimme des Autors versagte.
 

„Du hast ja Recht… Es… es tut… mir leid. Als Vater hab ich auf ganzer Linie versagt, und ich verdiene keinen Sohn. Es tut mir leid.“
 

„Das bedeutet mir nichts.“, flüsterte Shinichi nun doch, senkte den Kopf, schaute zu Boden.

Er fühlte sich verraten. Missbraucht.

Betrogen.

Yusaku zuckte unter den Worten zusammen wie unter einem Peitschenhieb, sank dann kraftlos in seinen Stuhl. Shinichi versuchte seinen Kopf zu leeren, denn wenn er über das hier nachdachte, merkte er, wie er langsam den Verstand zu verlieren drohte.
 

„Ich wollte doch auch nicht, dass es soweit kommt! Das musst du wissen, verdammt! Aber du musst mich verstehen… ich hatte keine Wahl… ich bin doch… dein Vater… und nun… ich weiß doch auch nicht, was ich jetzt machen soll.“

Er seufzte, fuhr sich über das Gesicht, mit beiden Händen, schluckte.

„Ich wollte dich retten und hab dich doch in dein Unglück getrieben. Aber ich hab das doch… gut gemeint! Ich konnte dich nicht sterben lassen, Shinichi…

Du musst mich verstehen, bitte…“

„Ach ja?“

Shinichis Kopf fuhr hoch, Wut kochte erneut hoch in ihm.

„Ach ja? Ich muss verstehen, dass mein Vater ein Mörder, Erpresser, Entführer, also allgemein gesagt, ein Krimineller ist!? Ein Verbrecher?

Mein Vater, der mir immer so von Moral, und Ehrlichkeit und Gerechtigkeit gepredigt hat… mein Vater?!

Der die momentan größte Verbrecherorganisation Japans führt, und drauf und dran ist, seinen eigenen Sohn für die Sache zu opfern? Aus ihm einen Mörder machen wollte?! Das muss ich verstehen?! Ehrlich? WIRKLICH? Das glaub ich nicht!“

Er atmete schwer, spürte, wie sein Herz gegen seinen Brustkorb hämmerte, merkte, wie sich im Nacken seine Haare aufstellten. Er war wütend, ja. Er war so unglaublich wütend.

Und gleichzeitig war er traurig… und enttäuscht… wie nie zuvor.

Er hatte keinen Vater mehr.

Shinichi kniff die Lippen zusammen, schüttelte stur den Kopf.

„Ich muss gar nichts verstehen! Erst Recht nicht…“, er holte Luft, „… erst Recht nicht dich. Und jetzt komm bitte zu einem Ende.“

Langsam atmete er aus, keuchte.
 

Yusaku nickte nur, wandte seinerseits den Blick ab.

„Wahrscheinlich stimmt das.“
 

Sharon hatte sich aus der Diskussion herausgehalten, sah die beiden nur ernst an, überlegte nach einem Ausweg und fand doch keinen.

Es gab keinen.
 

Sie blickte zu dem jungen Mann neben ihr, der sich nun langsam aus seiner Starre löste.

Shinichi schluckte, schaute ihn dann geschlagen an.

„Nun… dann mach endlich, wozu wir hier sind.“

Er hatte aufgegeben.

„Willst du es selber in die Hand nehmen oder wem gedenkst du die Ehre zuteilwerden zu lassen?“
 

Yusaku atmete stockend aus, hob den Blick, sah in Shinichis Augen.

Diesen Ausdruck hatte er dort nie sehen wollen… diesen Ausdruck von Kapitulation. Shinichi war erschöpft, und es leid, dieses Gespräch weiterzuführen, das sah er ihm an.

Er verachtete ihn, er war enttäuscht von seinem Vater, fühlte sich verraten und wollte nun endlich das Ende.

Jedes seiner Worte hatte mitten ins Schwarze getroffen.
 

Yusaku drehte fast durch. Tief holte er Luft, versuchte, die Nerven zu bewahren.

Er schluckte, merkte, wie sich das Schuldgefühl weiter in ihm breitmachte; Schuld, Angst und Verzweiflung.

Er wollte seinen Sohn nicht töten.

Verdammt er wollte ihn doch nicht umbringen! Er hatte doch nicht umsonst alles getan und riskiert, um ihn am Leben zu halten. Er liebte ihn doch. Er wünschte ihm ein schönes Leben.

Fieberhaft dachte er nach, wälzte tausende Gedanken, entwarf einen Plan nach dem anderen um ihn zu verwerfen und doch immer wieder zum gleichen Ergebnis zu kommen. Shinichi hatte sein Schiff manövrierunfähig gemacht.

Es war nicht mehr in der Lage, vor dem Angriff zu fliehen oder sich zu verteidigen.

Es war drauf und dran, zu kentern.
 

Yusaku schüttelte nun seinerseits den Kopf, erschöpft, gebrochen, um Jahre gealtert.

„Du hast in allem Recht. Ich hab alles falsch gemacht, von deiner Geburt an bis zu diesem Moment und die Konsequenz für meine Fehler ist, dass du jetzt du sterben musst…“, murmelte er tonlos vor sich hin.

„You cannot be serious!“

Sharon starrte ihn an, schlug mit beiden Händen flach auf den Tisch.

„He is your son!“

Er schaute niedergeschlagen auf.

„Herrgott, Sharon, das weiß ich doch! Ich war dabei, als er auf die Welt kam! Ich hab ihn aufgezogen! Aber was soll ich machen, kannst du mir das sagen? Wenn du die Lösung kennst für mein Problem, dann her damit! Du weißt, wie ich mit Rebellen verfahre, wir hier verfahren… immer verfahren haben, und du weißt, was sie alle von mir erwarten! Er hat vor Zeugen den Befehl verweigert, hat gesagt, dass er nicht mitmacht! Ich kann ihn nicht laufen lassen, ich kann ihn nicht am Leben lassen - weil es nicht meine Entscheidung ist… verdammt, Sharon, du weißt doch, was auf dem Spiel steht… du weißt, dass die Entscheidung längst nicht mehr bei mir liegt.“

Seine Stimme brach, wurde leise.

„Ich würde mein Leben für ihn geben, das weißt du! Aber es liegt nicht mehr in meiner Hand. Das Triumvirat erwartet, dass ich ihn...“

Er warf ihm einen Blick zu, stöhnte auf, konnte das Wort nicht aussprechen.

Dann fasste er sich wieder.
 

„Es wäre ja nicht so, als wäre er irgendein leicht einzuschüchternder Oberschüler, den man erpressen und verängstigen könnte - nein, nicht zu vergessen - er ist ein Detektiv! Er wird sich nicht einschüchtern lassen, er hängt diesen Laden hin, das verfolgt er seit Jahren, das weiß ich, du weißt es, und das Triumvirat weiß es auch. Und du weißt, wie das Triumvirat zu ihm steht – nämlich gar nicht, sie wollen ihn tot, immer schon. Ich hatte schon Schwierigkeiten, sie zu überzeugen, ihn als Agent auszubilden, weil er der Feind ist. Er wird nie einer von uns; wir wussten es von Anfang an, aber ich hatte gehofft… ich könnte ihn schützen, er würde einlenken...“

Seine Stimme verlor sich in unverständlichem Gemurmel, fast so, als würde ihm jetzt erst klar, wie sinnlos seine Hoffnung eigentlich gewesen war.

Er seufzte leise, massierte sich die Schläfen, starrte Sharon dann fast trotzig an.

„Ja, verdammt… er ist mein Sohn! Und ich liebe ihn, und nichts will ich weniger, als dass er stirbt. Aber seine Zeit hier ist vorbei. Du weißt, warum. Das Triumvirat… Absinth, Rum, Cachaça… sie wissen, was er getan hat, und wer ich bin, in welcher Beziehung Shinichi und ich stehen. Sie werden ihn umbringen. Es ist nicht meine Entscheidung. Ich kann nichts mehr tun.“
 

Er schluckte, war blass geworden während seiner Rede. Sharon hatte den Blick abgewandt, war ebenfalls bleich wie ein Bettlaken.
 

„Wenn Shinichi entkommt, dann wird er mich hinhängen, uns alle hinhängen, und ich würde von ihm nichts anderes erwarten… aber das lassen die nicht zu. Wenn ich ihn laufen lasse, dann wissen sie, warum er entkommen konnte, und du weißt, was sie gegen mich in der Hand haben. Was dann passiert. Ginge es nur um mich, ich würd ihn raustragen, hier… was sie mit mir machen, ist mir egal.“

Er lächelte bitter.
 

Shinichi horchte auf.

Sie hatten ihn in der Hand? Er war der Boss… mit was könnten sie ihn schon erpressen…?

Seine Blicke wanderten verwirrt von Sharon zu seinem Vater. Sie hatte den Blick ruckartig abgewandt, während auf seinem Gesicht pure Verzweiflung stand.

„Yukiko.“, murmelte Sharon.
 

Shinichis Herz setzte einen Schlag aus, dann wandte er sich seinem Vater zu, der sichtbar mit sich kämpfte, dann nickte.
 

„Ja. Sie weiß doch von all dem hier nichts… sie hat keine Ahnung, wer ihr Mann eigentlich ist. Und ich bin doch nur hier, weil sie mich mit ihr… und bis jetzt auch dir… in der Hand haben. Fakt ist, wenn ich nicht tu, was sie verlangen, dann töten sie sie...“
 

Shinichi sank langsam in einen Sessel, starrte ihn an.

„Ja, die Masche ist nicht neu, Sohnemann… was meinst du, wie ich auf die Idee kam, dir das anzutun? Dir mit Ran zu drohen? Weil ich weiß, wie sehr man einen Menschen in der Hand hat, bedroht man das Leben derer, die er liebt.“

Yusaku hatte seine Reaktion bemerkt, nickte schwer.

„Glaubst du ernsthaft, ich wollte das hier…?“

Er machte eine ausholende Geste, lächelte bitter.

„Nein… ganz sicher nicht.“

Langsam strich er sich mit einer Hand über Gesicht und Haare.

„Du kannst von Glück reden, dass sie von Ran nichts wissen. Von ihr weiß nur ich, Sharon und Beaujolais, aber die kann nichts ausrichten, und sie kennt zudem nur den Vornamen… und ich hatte und habe nicht vor, Ran ein Leid zuzufügen. Aber Fakt ist…“

Er wedelte erschöpft mit der Hand, wandte sich wieder Sharon zu.

„Wenn er frei kommt… dann wird er dafür sorgen, dass die Organisation bezahlt, für alles. Nicht wahr, Shinichi?“

Er warf ihm einen langen Blick zu.

„Aber das… genau das lassen die nicht zu. Sie stellen mich vor die Wahl, entweder dich zu töten, oder deine Mutter, und wir dürfen uns aber sicher sein, sollte die Wahl auf deine Mutter fallen, dann bist du eben deswegen trotzdem nicht sicher, wenn du nicht schaffst, diesen ganzen faulen Apfel auf einmal zu vernichten.“

Auf Yusakus Gesicht war ein trauriges Lächeln getreten; langsam legte er die Spitzen seiner Finger aneinander.
 

„Ich will dich nicht umbringen, ich liebe dich, egal ob du mir das noch glaubst oder nicht… und ich will auch Yukiko nicht gefährden… ich denke, das liegt auch nicht in deinem Interesse.“
 

Shinichi schwieg, sagte nichts mehr.

„Das einzige, was ich für dich noch tun kann…“
 

Sharon horchte auf, schaute dem Schriftsteller angespannt ins Gesicht.
 

„Ich kann dir… fünf… vielleicht zehn Minuten Vorsprung geben.“

Yusakus Stimme war kaum mehr zu hören. Beschämt, wie es schien, wandte er seinen Kopf ab. Shinichis Kopf fuhr hoch, Erstaunen lag in seinem Blick.

„Das ist die einzige Chance, die ich dir noch geben kann. Herrgott… auch wenn du mich jetzt verachtest, wozu du jedes Recht hast…“
 

Er schaute auf, schaute seinem Sohn geschlagen ins Gesicht. Shinichi stutzte, erschrak. So…alt… hatte er seinen Vater noch nie gesehen.
 

„Fünf Minuten, Shinichi, dann werden sie dich jagen… dann wird dein Verschwinden bemerkt werden, länger kann ich sie nicht aufhalten, wegen deiner Mutter. Es wird sonst zu offensichtlich, dass ich dir geholfen habe, und dann ist sie in Gefahr. Sobald du durch das Haupttor das Gelände verlässt, wenn du zuvor nicht auf jemanden triffst, muss ich...“
 

Er brach ab.

„Versuch, zu entkommen und mach, was du für richtig hältst. Mehr kann ich nicht tun… ich bin zwar der Boss der Organisation…“

Er lächelte bitter.

„Aber ich bin auch ihr Gefangener. Ich kann mich diesen Gesetzen nicht widersetzen. Und ich kann mich nicht… der Polizei stellen. Ich… ich kann es nicht riskieren wegen Yukiko. Und ich bin… lange nicht so mutig wie du es bist. Es ist gut, dass du… nicht so geworden bist wie ich. Ich wollte nie, dass du zu den gleichen Dingen fähig bist wie ich…

Dass uns in der Hinsicht so wenig verbindet ist unschätzbar viel wert und ich bin so dankbar dafür.“

Während er geredet hatte, hatte Yusaku Kudô seine Finger auf der Tischplatte angestarrt.
 

„Nun, leb wohl.“
 

Langsam sah er auf, schüttelte den Kopf, als Shinichi den Mund öffnete, um etwas darauf zu erwidern.
 

„Lauf.“
 

Shinichi schluckte. Langsam atmete er aus. Dann stand er auf, ohne ein Wort zu sagen, sah ihn an, mit einem schwer zu deutenden Ausdruck in den Augen.

Drehte er auf dem Absatz um, verließ das Büro und begann zu rennen.
 

Yusaku stand auf, als die Tür zugefallen war, warf Sharon einen Blick zu, reichte ihr den Revolver aus seiner Schublade.

„Na los. Schlag mich irgendwohin damit, es muss aussehen, als hätte er uns überwältigt.“

„Und was ist mit mir?“

Sie hob eine Augenbraue.

Yusaku zog eine weitere Schublade auf, holte eine Uhr heraus.

Das Narkosechronometer.

„Ich hab schon lange auch so eine… seit ich sie das erste Mal bei Shinichi gesehen hab.“
 

Vermouth lächelte bitter, nahm den Revolver, schlug ihm schwungvoll mit dem Griff der Waffe ins Gesicht.

Er schrie nicht, atmete nur scharf aus und taumelte kurz, griff sich dann an die Platzwunde an der Schläfe, aus der das Blut zu laufen begann.

„So fest hättest du nicht…“

„Es soll doch glaubhaft wirken, oder nicht, darling? Du musst… damit beschäftigt gewesen sein, um ihn nicht selbst zu stellen.“

Ein breites Grinsen zierte ihre Lippen. Er sagte nichts mehr, hob nur die Uhr hoch, zielte auf ihren Hals, ließ den Deckel aufschnappen und drückte ab.
 

Während sie umfiel wie ein gefällter Baum, zu Boden ging und liegenblieb, ein schwarzer Engel mit goldenen Locken, ließ er sich in seinen Sessel sinken, warf einen Blick hinaus durch das Panoramafenster.

Er sah das Haupttor.
 

Es ging auf.
 

Dann sah er ihn durch hetzen. Eine schlanke, schwarzgekleidete Gestalt, die lief, als ob der Teufel persönlich hinter ihm her wäre.

Genau genommen war dem auch so.
 

Sein Magen zog sich zusammen, als er den Alarmknopf drückte.

Langsam nahm er die Hand von seiner Schläfe, betrachtete das Blut an seinen Händen.
 

Lauf, Shinichi.
 

Lauf. Lauf um dein Leben.
 

Draußen hörte er Rufe, Schritte.
 

Die Jagd hatte begonnen.
 

Und der Regen setzte ein.
 


 

Shinichi war draußen, vor den Toren, wusste immer noch nicht, wie genau er rausgekommen war. Im Grunde genommen war es auch egal; es zählte nur da Ergebnis. Er war draußen.

Kurz hielt er inne, hielt sich den Handrücken an die Stirn, versuchte, nicht zu viel zu denken, aber es gelang ihm nicht.

Die Ereignisse der letzten Tage stürzten auf ihn ein wie eine Meute wütender Hunde auf eine wehrlose Katze.
 

Shinichi schluckte, merkte, wie ein Zittern durch seinen Körper lief.
 

Yusaku Kudô war der Boss der schwarzen Organisation.

Der Anführer der Organisation, die ihm die letzten drei Jahre seines Lebens als Shinichi Kudô gekostet hatte.

Die Organisation, die Akemi Miyano auf dem Gewissen hatte, der er Conan Edogawa verdankte, die Schuld war, an Tausenden von Rans Tränen und an unzähligen Stunden, in denen er in seiner Bitterkeit und zahllosen Selbstvorwürfen versunken war, weil er wieder nicht helfen hatte können, dank seines neuen Alter Egos.

Stunden, in denen er sich nutzlos, wie ein Versager, wie ein Mistkerl, ein Niemand vorgekommen war, jemand, den man besser vergas…

Weil er tatenlos einem Verbrechen hatte zuschauen müssen.

Weil Ran wieder geweint hatte, wegen ihm.

Weil…
 

Yusaku Kudô war Boss der Organisation, die ihn umbringen wollte… die ihn vernichten hatte wollen, in den letzten Tagen… Wochen, Monaten Jahren…
 

Der Boss dieser Organisation war sein eigener Vater.

Den er… trotz allem, was er ihm eben an den Kopf geworfen hatte… trotz der Wut, der Enttäuschung, der Verzweiflung, die ihn ergriffen hatten und nicht losließn… noch immer liebte… wie ein Sohn eben einen Vater liebte.

Irgendwo verstand er ihn… verstand, warum er so gehandelt hatte, verstand es, weil er in der gleichen Situation gewesen war und nicht sicher war, wie er gehandelt hätte, hätte er sich entscheiden müssen…

Ja, er verstand, warum das alles so hatte enden müssen, unter diesen Umständen und gleichzeitig wollte er ihn nicht verstehen.

Denn er war verraten worden… von seinem eigenen Vater.

Das verzieh man einfach nicht so schnell, und das wollte man auch nicht nachvollziehen müssen…

Und er wollte nicht verstehen… weil er nicht zu den gleichen Dingen fähig sein wollte.
 

Ihm war schlecht.

Er fühlte sich elend, er war verzweifelt, er merkte erst jetzt, wie unter ihm der Boden unter den Füßen wegbrach…

Seine Welt stürzte ein. Der Mensch, von dem er dachte, er könne ihn immer vertrauen, wäre immer für ihn da und würde ihm immer helfen…

Dieser Mensch hatte ihn verraten.

Langsam hob er die Hand vor den Mund, unterdrückte einen Würgereiz.
 

Dieser Gedanke, diese Situation trieb ihn an die Grenze dessen, was sein Verstand zu ertragen bereit war. Dieses Hin und Her, dieses Für und Wider, gepaart mit all den Ereignissen der letzten Woche, angefangen von der Entführung bis hin zu diesem Zeitpunkt… forderten nun ihren Tribut.

Pochender Kopfschmerz stellte sich ein, begann in seinem Hinterkopf, schien durch seinen Schädel zu rasen.

Shinichi griff in seine Haare, hielt sich den Kopf, kniff die Augen zu, ein leises Stöhnen verließ seine Lippen.
 

Nur nicht durchdrehen jetzt.

Du bist zwar draußen, aber in Sicherheit bist du noch nicht.
 

Über das alles kannst du noch nachdenken, wenn du sie abgehängt hast.
 

Er seufzte, überging, dass ihm kurz schwarz vor Augen wurde, drehte sich um; wollte sich orientieren, in welche Richtung er am besten lief.

Die Entscheidung wurde ihm schnell abgenommen.
 

„Haltet ihn auf!“
 

Er dachte nicht mehr. Er rannte einfach los, egal welche Richtung, nur weg.

Einfach weg von hier. So schnell wie möglich.

Hinter sich hörte er sie rufen, aber er achtete nicht auf sie. Er konzentrierte sich nur aufs Laufen, denn ein Stolpern könnte schon fatal sein.

Er versuchte zu vergessen, was für eine Unterhaltung er gerade im Büro des Bosses, im Büro seines Vaters, geführt hatte.
 

Er hatte keinen Vater mehr.

Shinichi schluckte, merkte, wie es in seinem Magen kribbelte, wie seine Hände kalt wurden, seine Beine taub. Das Laufen fiel ihm schwer, aber er riss sich zusammen.
 

Er wusste nicht, wie lange er gerannt war, und wohin… aber auf einmal war alles still.

Unsicher blieb er stehen, lauschte, versuchte etwas anderes zu hören als seinen eigenen Atem, als das Rauschen von Blut in seinen Ohren. Er stand da, keuchend, versuchte, herauszufinden, in welche Richtung er nun am besten fliehen sollte.
 

Shinichi sah auf, in den Himmel, legte seinen Kopf in den Nacken, um anhand des Mondes oder der Sterne seine Laufrichtung zu bestimmen, sah die Himmelskörper funkeln wie Diamanten auf schwarzem Samt, aber er konnte sich nicht sammeln. Er fand die Wegweiser nicht, konnte keinen klaren Gedanken fassen.
 

Es schien, als entzöge sich ihm sein Denkvermögen.

Er konnte sich nicht konzentrieren.

Hilflos schaute er wieder zu Boden, fuhr sich durch die mittlerweile tropfnassen Haare, merkte, wie er vor Kälte und Nässe schlotterte.

Regen prasselte immer noch auf ihn nieder, es goss in Strömen – schon längst war er bis auf die Haut durchnässt.
 


 


 

Agasa, Ai und Jodie saßen im gelben Käfer und fuhren die Landstraßen entlang. Ganz wie sie beschlossen hatten, hatten sie bis zur Dämmerung gesucht, und waren dann ins Auto gestiegen. James hatte sich mit den Kindern und Heiji verabschiedet; sie mussten die Kleinen zu ihren Eltern zurückbringen, ehe die sich noch Sorgen machten.
 

„What a dreadful night.“, wisperte Jodie, schaute aufmerksam durch die Windschutzscheibe, verfluchte den Regen, der die Sicht so behinderte.

„Allerdings.“, pflichtete der Professor ihr bei, lenkte den Wagen, hielt ebenfalls Ausschau.

Ai sagte nichts. Sie saß im Fond des Wagens, starrte auf ihre Hände, mit denen sie ihre Knie umklammerte, schluckte schwer.
 

Ein ungutes Gefühl hatte sich in ihr breitgemacht.
 

Ein Gefühl, dass sie nicht losließ… ein Gefühl, das sie schon einmal beschlichen hatte.

Am Tag, als Akemi sterben musste…
 

Sie schloss die Augen, schüttelte den Kopf.
 

Nicht er auch noch!
 


 


 

James Black wagte seinen Ohren kaum zu trauen.

Er hatte sein Auto am Straßenrand geparkt, als sein Handy zu klingeln anfing; am Telefon war Hidemi Hondo, ihre Stimme überschlug sich fast.
 

„Sie wollen ihn töten!“
 

Die schwarzhaarige Frau presste das Telefon an ihr Ohr.

„Er hat sich geweigert, einen Klienten zu erschießen, und jetzt wird man ihn umbringen… da kann keiner ihn raushauen. Vorhin wurde der Alarm ausgelöst, offensichtlich ist er… flüchtig… aber weit wird er nicht kommen… sie sind hinter ihm her, die ganze Organisation ist auf den Beinen…“
 

Black starrte Heiji an.

Dann legte er das Telefon auf.

„Er ist da draußen.“
 

„Worauf warten wir dann noch?!“

Heiji starrte ihn aufgebracht an, gestikulierte wild.

„Fahrense los!“

Langsam, bedrückt schüttelte der FBI-Agent sein Haupt.
 

„Wir können nicht. Nicht mit den Kindern im Wagen, er ist nicht gepanzert.“

Betrübt blickte er zu den schlafenden Detective Boys.

„Man wird schießen. Es wird hoch hergehen, Kudô ist vogelfrei… wir können das Leben der Kinder nicht riskieren, junger Freund.“

Heiji starrte ihn an, dann drehte er sich ruckartig um, griff nach der Türklinke, hörte ein leises Klacken.

James hatte den Wagen zentralverriegelt.

„Es ehrt dich, dass du das tun willst, aber du hast keine Chance. It is dark, you will not see them, and they’ll shoot at any moving thing. I’ll not risk your life. Das kannst du nicht von mir erwarten.“
 

„Lassense mich raus! Sie hab’n kein Recht..! Ich muss…“

Heiji atmte schwer.

Traurig schüttelte James den Kopf.

„Forget it. Wir können nur abwarten. Ausharren. Irgendeinen Ausgang wird es geben, in dieser Nacht…“

„Dann rufen Sie Jodie an!“

„Würde ich gern.“

Der grauhaarige Mann seufzte tief.

„She just left her mobile in this car…”

Zynisch lächelnd hob er ein Handy aus der Mittelkonsole des Wagens.

„Wir können nur hoffen, dass Fortuna ihnen hold ist, und sie ihn finden…“
 

Heiji verdrehte die Augen, ließ sich in den Autositz sinken, nicht, ohne noch einmal an der Türklinke zu rütteln.

Der Wagen ließ sich nur mit dem Schlüssel zentralverriegeln von innen, und den Schlüssel hatte James… er hatte keine Chance.
 

Kudô!

Verdammt, halt durch!
 


 


 

Dann pfiff eine Kugel durch die Nacht. Der Schuss war ohrenbetäubend.
 

„Da ist er!“

Schreie hallten durch die Dunkelheit.
 

Angst.
 

Er hatte Angst, spürte sie in jeder Faser seines Körpers vibrieren. Todesangst.

Shinichi fuhr herum, blickte hektisch um sich, versuchte zu orten, aus welcher Richtung der Schuss gefallen war, schließlich wollte er ihnen nicht in die Arme laufen. Er schaute sich gehetzt um, begann dann einfach wieder los zu hetzen. Er hatte keine Zeit…
 

Verdammt…!
 

Allein, was ihm in den letzten paar Stunden an Schrecken widerfahren war, reichte für den Rest seines Lebens.

Und das wollte er nun wenigstens behalten… sein Leben.

Auch wenn es… ein anderes Leben war, als das, welches er vorher geführt hatte… er wollte es nicht einfach so aufgeben. Auch wenn er den Boden unter den Füßen verlor, auch wenn seine Welt ein großer Trümmerhaufen war und er nicht wusste, was morgen kam, was er jetzt tun sollte, mit diesem Wissen…

Diesem Wissen, dass er nicht haben wollte.
 

Er kniff die Augen zusammen, nur kurz. Bilder tauchten auf, in seinem Kopf, sein Vater, der Boss…

Sein Vater… der ihm das angetan hatte…

Der ihm das Leben gerettet hatte…

Den er jetzt hasste…

Und doch irgendwie… immer noch liebte.

Diese Schuld in seinen Augen zu sehen, diese Verzweiflung… diese Angst.
 

Er war ein Verbrecher. Er musste ihn… verraten.

Aber… war er dazu in der Lage? Seinen Vater auszuliefern?

Auf das, was er getan hatte, stand die Todesstrafe in Japan.
 

Mein Gott, diese Worte gehen einem immer so leicht über die Lippen, wenn man nicht in der Situation steckt.
 

Früher hätte er darüber nicht nachgedacht.

Jetzt tat er es, und es trieb ihn an seine Grenze.
 

Shinichi keuchte, riss die Augen wieder auf, wusste immer noch nicht, was er tun sollte.

Aber musste doch etwas tun…

Etwas tun… irgendetwas.
 

Aber zuerst galt es, zu überleben. Also sollte er jetzt verdammt nochmal zu denken aufhören und etwas anderes tun.

Rennen nämlich… sonst würde er diese Entscheidung nie mehr treffen müssen.

Eigentlich auch ein verlockender Gedanke… aber so einfach durfte er sich das nicht machen.
 

Und so lief er, lief, lief, lief um sein Leben.

Ruderte mit den Armen, fing sich gerade noch, als er fast ausgerutscht wäre, rannte weiter.

Hinter ihm hörte er Reifen quietschen. Auch ohne sich umzudrehen wusste er, dass es Gin war. Ein schwarzer Panther auf der Jagd.

Er keuchte, kniff die Augen zusammen, hustete.

Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, schmerzhaft. Er rang nach Atem, das Blut rauschte in seinen Ohren, als er weiter rannte.
 

Weiter, weiter, weiter…

Schneller, schneller,…

Wenn sie dich kriegen, bist du tot…
 

Er bog ab, dann schlug er sich in die Büsche. Zweige peitschten ihm ins Gesicht, zerkratzten seine Haut, rissen an seiner Kleidung - aber so konnte er zumindest den Autos entkommen.
 

Diesmal hörte er sie nicht. Es war nur ein leises Pfeifen in der Luft- der Schalldämpfer machte seine Sache wirklich gut.

Und dann spürte er sie. Die Kugel.
 

Den Schmerz.
 

Er schrie auf, markerschütternd, gellend, als das Projektil ihn von hinten traf, seinen Bauchraum durchschlug, vorne wieder austrat und in einem Baum ihre Ruhe fand.

Er stürzte, keuchte, würgte und spuckte Blut.

Kurz wurde im schwindlig, schlecht - dann rappelte er sich wieder auf, als er eine Autotür zuschlagen hörte, wankte weiter, taumelte durch den nächtlichen Wald.
 

„Los, weit kann er nicht sein. Wir haben ihn getroffen.“

Gin.

Shinichi zitterte - dann blieb er stehen.

Sie konnten ihn nicht sehen, ihn nicht, und auch nicht die Spur, die er hinterließ.

Es war zu dunkel, und es war alles nass.

Taschenlampen würden sie nicht verwenden, denn so könnten nicht nur sie ihn sehen… sondern auch er sie, und hätte ihnen damit ausweichen können.

Nein, sie würden die Dunkelheit zur Deckung nutzen… so wie er.

Sie konnten ihn nicht sehen.

Aber sie konnten ihn hören. Also musste er sich ein Versteck suchen, und da warten, bis sie von ihm abließen.

Hoffen, dass sie ihn nicht fanden.
 

Prüfend schaute er den Baum neben sich an - dann griff er nach dem ersten Ast, den er erreichen konnte, und zog sich hoch, biss die Zähne zusammen, unterdrückte ein Stöhnen. Kletterte höher, so leise er konnte.
 

Und wartete… versank in Gedanken, die sich langsam immer mehr im Kreise drehten, ihn immer mehr verwirrten, und versuchte, irgendwie noch versuchen auszumachen, wo seine Verfolger abblieben.

Es gelang ihm nicht, seine Gedanken ließen ihm keine Ruhe mehr.
 

Immer auswegloser schien das alles zu werden… immer weniger Halt fand er, so sehr er auch nach etwas suchte, an das er sich klammern konnte.

Seine Welt brach Stück für Stück auseiander, zerlegte sich in winzig kleine Einzelteilte, die er versuchte, zusammenzusetzen.
 

Immer mehr Fragen türmten sich auf, immer weniger Antworten fand er, und immer mehr Dunkelheit drückte auf ihn nieder.
 

Finsternis…
 


 

Warum…?
 


 


 

Agasa, Jodie und Ai fuhren immer noch die Straßen ab; es war ihnen, als hätten sie in der Ferne einen Knall gehört, und nun versuchten sie, in diese Richtung zu fahren.

Der Regen wurde immer schlimmer, die Scheibenwischer konnten das Wasser kaum mehr abhalten, im Licht der Schweinwerfer sah es aus, als ginge ein Schauer von Diamanten nieder, jeder Regentropfen brach das Licht, funkelte kostbar.
 

Jodie seufzte, bemerkte einen Wagen, der an ihnen vorbeifuhr.

Er war schwarz.

Langsam drehte sie sich nach hinten um, zu Ai.

Sie war kreideweiß im Gesicht, ihre Lippen zitterten, aber sie machte keinen Mucks.
 

„Something’s goin‘ on here.“
 

Das Mädchen nickte nur.
 


 


 

Irgendwann war es still.

Diese Stille war es gewesen, die ihn aus einer Lethargie gerissen hatte, aus seinen Gedanken.

Es regnete immer noch - dicke Tropfen fielen auf ihn nieder, erbarmungslos.

Shinichi spähte durch die Nacht, horchte, hing wie halbtot auf seinem Ast, zitterte vor Kälte und Erschöpfung. Aber er musste weiter… hier im Wald würde ihn keiner finden, und gefunden werden musste er, denn in seinem Zustand kam er lebend nirgendwo mehr zu Fuß an, das war ihm klar.

Soweit funktionierte sein Verstand noch, wenn er ihm auch sonst immer mehr zu entgleiten drohte.

Er musste zurück auf die Straße.

Wenn, dann würde man ihn dort aufgabeln.

Er konnte nur hoffen, dass es die richtigen Leute sein würden.
 

Er war fast unten, als der Ast abbrach.

Aus gut drei Metern Höhe stürzte er, schlug hart auf dem Boden auf und blieb liegen. Fast etwas fassungslos blinzelte er den Mond an, Regen tropfte auf ihn nieder, in die Augen.

„Ahhh…“, stöhnte er schwach, kniff die Augen zu, merkte, wie ihm übel wurde, und kalt. Aber… auf eine andere Weise kalt als ihm ohnehin schon war.

Eine Kälte… die ihn bewegungsunfähig machte, ihn lähmte.

Tauber Schmerz breitete sich von seinem Kopf über den Rücken bis in alle Gliedmaßen aus.

Kurz wurde es schwarz um ihn.
 

Dann kam er wieder zu sich - er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war.

Als er sich aufsetzen wollte, durchfuhr ein Gefühl von Schmerz seinen Körper vom Scheitel bis zur Sohle, ließ ihn leise aufschreien. Er biss die Zähne zusammen, krabbelte, stemmte sich hoch, krallte seine Finger in den nassen Waldboden und keuchte.

Sein Kopf tat weh, ihm war schwindlig und schlecht, er fürchtete, dass er sich gleich übergab, versuchte, den Würgereiz zu unterdrücken und kroch voran, auf allen vieren, zog sich am nächsten Baum hoch, taumelte weiter.

Es dämmerte bereits, als er die Straße erreicht hatte.
 

Regen ließ sie glänzen wie einen Strom.
 

Er griff nach der Schusswunde an seinem Bauch. Seine Hand war schwarz - er wusste, dass sie voller Blut war.

Es tat weh.

Alles.

Alles tat weh.
 

Er konnte nicht mehr.

Es ging nicht mehr.
 

Die Welt begann sich auf einmal so schnell zu drehen. Er hörte wie durch Watte, schwarze Flecken traten vor seine Augen.

Er setzte sich hin, um nicht umzufallen als er merkte, dass er sich nicht mehr halten konnte, dass ihn seine Kraft verließ.

Sein Atem ging schwer, stoßweise.

Mühevoll versuchte er, herauszufinden, wie er hierhergekommen war, doch es schien, als hätte ihn nun sein Gedächtnis, sein Gehirn, restlos im Stich gelassen.

Er konnte nicht mehr denken, nicht einen klaren Gedanken mehr fassen.
 

Was war passiert…?

Wo war er hier…?
 

Mein Kopf…
 

Das war der Schock… bestimmt der Schock.

Deshalb fiel ihm das Denken so schwer. Deshalb konnte er sich nicht mehr konzentrieren…
 

Und dann kam er nicht mehr dagegen an. Er kippte zur Seite, immer noch seine blutige Hand vor Augen, verlor das Bewusstsein.
 

Es war vorbei.



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Kommentare zu diesem Kapitel (12)
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Von:  Diracdet
2010-08-11T18:16:56+00:00 11.08.2010 20:16
Hallo Leira,

ich weiß, ich bin wieder mal sehr spät und wahrscheinlich werde ich auch nicht so viel sagen.

Erstmal, juhu, ich hatte Recht. Nicht damit, wer der Boss ist, das... nun ja, sagen wir einfach sehe ich jetzt nicht als triumphale Erkenntnis für mich an. ;p
Nein, mein Gedanke, wie er nun mal in die Situation vom Anfang kommt, vom Prolog, dass er sein Gedächtnis verliert. Der Schock über die Realisierung, wer der Boss ist, wenn auch erst Stück für Stück. Der ganze Abend ist ja im Nachhinein eher eine schwammige Erinnerung für ihn, schätze ich. Wenn überhaupt eine Erinnerung. ;]

So... was soll ich über Yusaku nun sagen. Du hast viel drauf hingearbeitet, hast viele Assoziationen geschaffen, viele witzige Szenen, die ich schweigen musste, über die ich sonst geredet hätte, aber...
jetzt bin ich von ihm etwas enttäuscht, von der Art wie er in diesem Kapitel dargestellt ist.
Ich sehe den Boss nicht in ihm, Leira. Ich sehe Yusaku Kudo genau so, wie ich ihn vorher immer sah. Es wirkt sein ganzes Verhalten so exakt gleich, und das soll ja auch laut seinen Gedanken nicht gespielt sein, so als hätte er nie geschauspielert in seiner Art, nie gelogen oder so, aber eben auch nie gesagt haben er wäre der Boss, oder es verleugnet haben.
Und da fehlt mir irgendwie die Aussage... warum? Warum ist er der Boss? Wie?
Du hast zwar diese Assoziation mit Yukiko später gebracht, aber er wird doch nicht wegen der Erpressung erst zur Organisation gekommen sein, oder? Das macht dann erst recht keinen Sinn, schon gar nicht, wenn er dann später Boss wurde. Sprich es begann erst später. Dafür spricht auch Shinichis Gedanke, als er den Baron der Nacht im Schaufenster sieht, und darüber nachdenkt, warum sein Vater einen Schurken als Helden wählt. Es war mir zu viel Yusaku, zu wenig Boss in dieser Situation. Und gerade der Vergleich mit den vorangegangenen Kapiteln, wenn man den Boss sah, macht es irgendwie unpassend. Er ist eine andere Person für mich als noch zuvor.
Und ich gebe Shinichi recht, er ist so nicht glaubhaft, wenn er von Moral und Anstand spricht. Aber eben genau dieser Widerspruch ist mir hier nicht geklärt. Wie oben gesagt, es fehlt mir das Motiv noch, das warum. Das fehlt sicher allgemein beim Boss der BO, klar, aber eines, das diese Situation mir verständlich macht.

Tut mir Leid, wenn du lange wartest und dann ein nicht so positives Kommi bekommst, aber ich war von seiner Art... sagen wir mal, verwirrt. Sie ergab für mich keinen Sinn, fürchte ich.

Die Jagdszene danach war aber nicht schlecht, auch wenn mir das Argument mit dem Licht nicht ganz einleuchtet. Nicht, weil es zur Tarnung besser ist, aber wichtiger ist es doch ihn zu finden. Und mitten im Wald, nachts, wer soll da kommen. Und wenn ja... gibt es eine Leiche mehr. Herausfinden, was passiert ist, wird eh keiner. ;]
Aber ich denke, ich weiß, worum es ging und insofern, war es witzig, alle suchen im Dunkeln,. Da ist so ein Baumversteck schon ganz gut ne? ^.~

Zum Abschluss was ironisches, zum Aufheitern.
Du hast den besten Witz der ganzen FF verpasst.
Vermouth: „You cannot be serious!“ Darauf hätte folgen MÜSSEN:
Yusaku: „I know, John, but it's out!“ ;]
Das war meine erste Intention bei ihrem Satz. *ggggggggggggg*

Nun, beginnt dann jetzt also der zweite Teil, wo dann Conan und Yusaku sich begegnen und es auf die Frage zuläuft, wann er sich erinnert, wer da vor ihm steht? Wäre jetzt so meine Vermutung.

Ja, also dann bis zum nächsten Kommi, welches wohl auch nicht diese Woche kommt, da ich das WE über nicht da bin.
LG, Diracdet
Von:  Nuadize
2010-08-10T23:05:58+00:00 11.08.2010 01:05
somit wären wir fast wieder am anfang :D, kann's kaum erwarten, weiterzulesen

ich halte es zwar für sehr unwhrscheinlich, dass tatsächlich yusaku der boss ist ... aber wenn du meinst, is ja deine ff

es wurde allerdings in den letzten kapiteln wirklich offensichtlich, dass es darauf hinausläuft ...
Von: abgemeldet
2010-08-09T19:26:00+00:00 09.08.2010 21:26
Guten Abend, Leira!

Nun... irgendwie weiß ich nicht, was ich so groß noch zu diesem Kap sagen soll. Grob hatten wir ja auch darüber gesprochen, und für mich zumindest, war es nicht wirklich ein Schock- aber das soll ja nicht heißen, ich hab das Kapitellesen nicht genossen. ^.~

Was das schreibtechnische bei dir angeht, weißt du ja, was ich davon halte; wäre ja wohl eher Wiederholung, aber nochmals, dass es mir gefallen hat :)

Ob nun deine Theorie stimmen könnte, weiß ich noch nicht (gut, wer weiß es ja schon auch); aber ich hab nun auch, ehrlich gesagt, nicht wirklich intensiv darüber nachgedacht. Grob gesehen, ist es nicht ganz so abwegig, ich will mich ja aber diesbezüglich noch nicht ganz festlegen *seufz*

Nun denn... - wie gesagt, hat mir das Kap wirklich gefallen, nur weiß ich nicht, was ich dazu sagen soll... es war vorhersehbar gewesen und nun scheint der Augenblick gekommen zu sein; die Wahrheit... und die Amnesie? Falls er denn jetzt schon das Gedächtnis verloren haben sollte... ist das dann nun dem Schock zu verdanken oder was anderem?

Aber ich finde, du hast gut Shinichis Verzweiflung gezeigt, seine Wut, sein Dilemma (auf diesem Gebiet bist du ja wohl mittlerweile eine Meisterin *g*)... mir fällt jetzt nix dazu ein, ich weiß nicht wieso... aber es war wohl einer der Szenen, wo der Leser mehr der Zuschauer war und später keine richtigen Worte darüber verlieren konnte - gut, ich spreche hier nur für mich; die anderen wohl waren hier besser im Kommentieren - man konnte, denk ich, im Laufe der Zeit sich schon ein Bild davon machen, was nun uns erwarten wird und es wurde mehr oder weniger bestätigt ^^

Tut mir leid, dass es diesmal so kurz ausgefallen ist, mein Kommentar, aber irgendwie weiß ich nicht, was ich da sagen soll; und ich will ungern mehr Mist fabrizieren, als ohnehin schon ^^;

Es ist schön, dass es anscheinend normal weitergeht, scheint ja (hoffentlich ;p) stressfreier zu sein :D

Bis zum nächsten Kap,
liebe Grüße, Claire

PS: 30%? *pfeif*
Dann bin ich sehr gespannt, was denn nun die restlichen 70% uns zu bieten haben. ;D
^___________________________~
Von:  Kikili
2010-08-09T11:28:52+00:00 09.08.2010 13:28
Ok, also ist Yusaku es doch! Irgendwo war da noch die Hoffnung, dass er es nicht ist... aber dadurch wird es ja spannend!
Mir tut vorallem jetzt SHinichi leid! Sein VATER!!! Oh Gott
Wie wird es weiter gehn?
Tja darauf freu ich mich schon!
Lg Kikili
Von:  S-capee
2010-08-08T17:11:38+00:00 08.08.2010 19:11
endlich sind wir wieder am ausgangspunkt angekommen *__*
muss immer durchgehend grinsen wenn ich diese ff lese
ich liebe spannende situationen und ich liebe es wenn sie gut umschrieben werden x3~
Von:  Luxara93
2010-08-06T19:19:43+00:00 06.08.2010 21:19
Seinen Vater als Boss der BO zu verwenden.....
Indeed, äußerst böse xD
Mir fehlen die Worte :P

Aber wenigstens....wird Shinichi für die nächste Zeit außer Gefahr sein oder ?

LG Leonie93
Von:  funnymarie
2010-08-05T07:13:25+00:00 05.08.2010 09:13
wow, war das spannend^^ aber armer shinichi! da musste er ja echt eine menge in dieser kurzen zeit einstecken! hoffentlich kommt er heil davon^^ und wie es wohl ran geht? ob sie auch so ein gefühl dieser vorahnung hat,wie all die anderen!
freu mich auf das nächste kapi
lg funnymarie
Von:  kokuchou
2010-08-04T18:54:48+00:00 04.08.2010 20:54
oh gott! ich habs die ganze zeit gewusst und doch gehofft er is es nicht ><
aber intressant das kapitel
ich hoffe shinichi überlebt das ganze noch ^^"

hoffentlich gehts bald weiter
bin gespannt ^^

lg ruha
Von:  waffelcrepe
2010-08-04T11:51:27+00:00 04.08.2010 13:51
Mist es war doch Yusaku. XD

Hab mich von dir im letzten Chap auf ne falsche Spur bringen lassen und dabei hab ich mir alle zwanzig Kapitel davor gesagt "es kann nur Yusaku sein, es kann nur Yusaku sein...!" :D

Aber hoffentlich geht das mit Shinichi gut aus, ich denke zwar, dass er von Freunden gefunden wird (Ai oder Heiji etc.), aber was macht er dann? Seinen Vater in den Knast bringen? Sich sein Leben lang verstecken? Ran die Wahrheit sagen?

Waaaahhh! Ich will diesmal ein Happy End, deine letzten Storys gingen alle nicht gut aus Leira...
Von:  Ryoko-chan
2010-08-04T10:57:21+00:00 04.08.2010 12:57
Hui, also doch ...

Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. x) Es wirkt alles so aussichtslos ... aber ich bin mir sicher, dass du noch einen Plan auf Lager hast!


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