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Amnesia

Wer ist man noch, wenn man sich selbst vergisst?
von

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Kapitel 21: Die Schlinge zieht sich zu

Aloha!
 

Entschuldigt die Verspätung, aber momentan wächst mir hier recht viel über den Kopf...

Angst vor einem neuerlichen Abbruch der Geschichte braucht ihr dennoch nicht haben.
 

Nächste Woche geht's dann... ab ins Grüne ;D
 

Viel Spaß mit der Ruhe vor dem Sturm,

eure Leira
 

_______________________________________________
 

Kapitel einundzwanzig: Die Schlinge zieht sich zu
 


 

Heiji lehnte sich mit finsterer Miene gegen den Klingelknopf der Villa Kudô, die Arme vor der Brust verschränkt, sein Baseballcap tief in die Stirn gezogen. Seine Augenbrauen stießen fast zusammen, als er darüber nachgrübelte, ob er Shinichi nun sagen sollte, was er dachte, oder nicht.
 

Was, wenn es war is‘, und er es is‘?

Was, wenn sein Vater wirklich der Boss is‘…

Es spricht so viel dafür… seine Alleingänge, bei denen keiner weiß, wo er is‘… wie ich ja erfahren durft‘ is er mindestens so’n Meister im Verschwinden wie sein Sohn.

Die Sache mit dem Baron der Nacht… irgendwie isses ja schon seltsam, dass er derart… sensationell gut… über einen Mörder schreiben kann. Man glaubt, er kennt den Mann persönlich…

Er schreibt über seine Psyche, gibt Einblicke, die zu real scheinen, um fiktiv sein zu können…

Was, wenn er über sich schreibt?

Über sich selbst…
 

Und wenn er der Boss is, was dann? Was hat er mit Shinichi vor – oder was hatte er mit ihm vor, zum Teufel?! Ihn in die Organisation integrieren, ihn!?

Ausgerechnet ihn…

Allerdings… wenn das die einzige Möglichkeit war, um ihn zu retten, wer weiß…
 

Seine Gedankengänge wurden abrupt unterbrochen, als jemand die Tür öffnete, und Heiji auf einmal nicht mehr blicklos gegen eine recht massiv aussehende Haustür starrte, sondern geradewegs ins Gesicht des Hausherrn.

Yusaku Kudô stand im Türrahmen, hatte den Griff der Eingangstür immer noch in der Hand, schaute ihn mit unergründlichem Gesichtsausdruck an; die andere Hand hatte er scheinbar lässig in seiner Hosentasche vergraben.

Er räusperte sich kurz, gab dem jungen Mann Gelegenheit, sich zu fassen, ehe er sprach.
 

„Hallo Heiji.“
 

Was willst du hier?
 

Heiji zuckte unmerklich zusammen, als er die sonore Stimme des Autors hörte, nickte dann, zwang sich dann sein unverbindlichstes, höfliches Lächeln auf die Lippen.

„Herr Kudô! Einen schönen Tag wünsch ich. Ich dacht‘ ich statt‘ Ihrem Sohn mal wieder `nen kurzen Besuch ab, damit er sich nicht so langweilt. Isser da? Kann ich mit ihm sprech’n?“

Yusaku musterte den jungen Detektiven einen Augenblick zu lange, das wusste er. Eigentlich, dessen war er sich sicher, wussten sie das beide. Dann trat er zur Seite, machte eine einladende Geste mit seiner rechten Hand.

„Sicher. Er ist im Wohnzimmer. Ich denke, er freut sich, dich zu sehen, er langweilt sich tatsächlich zu Tode.“
 

Was wirst du ihm sagen, Heiji?
 

Heiji trat an ihm vorbei, legte seine Jacke ab und strich sich seine Straßenschuhe von den Füßen, stieg umständlich in die Hauspantoffeln, die für Besucher wie immer bereitstanden.
 

„Na, dann werd ich ihn mal beschäftigen.“

Er zerrte ein breites Grinsen auf seine Lippen, wollte sich auf den Weg zum Wohnzimmer machen, als er innehielt.

„Übrigens, Herr Kudô, was ich Ihnen sagen wollte – ich lese momentan Professor Agasas Ausgaben Ihrer Bücher. Sie schreiben tatsächlich sensationell gut, wenn ich Ihnen das Kompliment machen darf. Ich hab offengestanden noch nie so ein Profil eines Serienkillers gelesen, und ich lese viel – wenn auch nicht immer das gleiche wie ihr Sohn.“

Ein schiefes Lächeln huschte über sein Gesicht, begleitet mit einem Hauch von Sorge, der kurz seine Augen verdunkelte. Dann riss er sich zusammen.

„Wie auch immer. Es is‘ beeindruckend. Sie müssen sehr gründlich sein, bei Ihren Recherchen.“
 

Yusaku schluckte, hoffte, dass man ihm nicht ansah, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken rann; dennoch hielt er dem bohrenden Blick des Detektiven stand.
 

„In der Tat, Heiji, das tue ich. Ich recherchiere sehr genau. Danke für das Kompliment.“
 

Heiji, was willst du?

Worauf spielst du an?

Wie viel… ahnst du? Oder weißt du gar etwas?

Wenn ja, woher?
 

Der Oberschüler steckte seine Hände in seine Hosentaschen, ließ seinen Blick sinken.

„Nichts zu danken. Verraten Sie das Ende?“
 

Der Schriftsteller setzte sich ein mysteriöses Lächeln auf, hoffte damit, die aufkeimende Panik zu kaschieren, die er immer deutlicher spürte. Er hasste sich dafür, dass er sich nicht besser im Griff hatte – und gehabt hatte, vor ein paar Tagen. Er hatte sich selbst verdächtig gemacht mit seinem Verhalten, das wusste er. Er hätte daran denken sollen, dass er beobachtet wurde, und zwar nicht nur von seiner Frau – sondern auch von Leuten, die etwas von ihrem Fach verstanden.

Nun bekam er prompt die Quittung, und Heiji war verdammt nah dran an der Wahrheit.

Aber er durfte Shinichi nichts sagen… auf gar keinen Fall. Wenn Shinichi sich damit beschäftigte, wer er wirklich war, dann lief hier alles aus dem Ruder, in diesem Boot, das ohnehin nicht mehr so wirklich seinem Steuer und dem Willen seines Kapitäns gehorchte. Unter Umständen brachte er sich dann durch unüberlegtes Verhalten in Gefahr – ganz davon abgesehen, was in der Organisation los sein würde, käme seine Identität auch nur ansatzweise ans Licht.
 

Nein…
 

Dann merkte er, dass Heiji noch eine auf eine Antwort wartete, und lachte leise, klang dabei irgendwie künstlich; verlegen strich er sich mit einer Hand durch seine Haare, versuchte den geheimnisvollen Autor zu spielen, wie er ihn so oft schon vor seinen Verlegern inszeniert hatte.
 

„Heiji, welcher Schriftsteller tut das schon? Damit nimmt man sich selber den Wind aus den Segeln. Du wirst es beizeiten erfahren, wie jeder, der meine Romane liest. Viel Vergnügen dabei noch.“

Er hatte die Hand zum Gruß erhoben und wollte sich gerade umdrehen, als er merkte, dass Heiji immer noch lächelte.
 

„Danke, ich bin mir sicher, den werde ich haben.“

Damit drehte er sich um, öffnete die Tür zum Wohnzimmer, ließ den wie zur Salzsäule erstarrten Autor stehen. Yusaku Kudô sah ihm nach, bis er ihm Türrahmen verschwunden war, stemmte seine Fäuste in seine Sakkotaschen, unschlüssig, was er tun sollte. Widerwillig zog er seine Packung Zigaretten aus der Innentasche des Jacketts, puhlte einen Glimmstängel heraus und zündete ihn an, merkte dabei, dass seine Finger zitterten und fluchte lautlos. Als es ihm endlich gelungen war, die Spitze der Zigarette zum Glühen zu bringen, zog er nervös daran, ließ die Tür zum Wohnzimmer nicht aus den Augen.
 

Verdammt, kannst du dir keine normalen Freunde aussuchen, Shinichi?

Auch wenn er nichts weiß… er weiß, wie er seine Opfer weichkocht.

Wie du wohl auch.
 

Heiji hatte die massive Tür zwar hinter sich zugezogen, bis er das beruhigende Klacken hörte, das ihm bestätigte, dass das Schloss eingerastet war - und merkte doch, dass es nichts half; er spürte die Blicke des Schriftstellers noch immer im Rücken, drehte sich um, unwillkürlich. Natürlich sah er nur das dunkle Furnierholz der Tür, aber er traute sich wetten, dass der Schriftsteller immer noch in der Halle stand - und immer noch genau diese Tür anstarrte.

Und er fragte sich zum wiederholten Male, wie richtig er tatsächlich mit seiner Vermutung liegen könnte.

Und ob er nicht gerade zu weit gegangen war, mit seinen Ködern, die er ausgeworfen hatte; wenn Yusaku Kudô tatsächlich der Boss der Organisation war, dann… war der sich wohl spätestens jetzt bewusst, vor wem er sich in Acht nehmen musste und nicht verdächtig machen durfte.
 

Verdammt, Hattori, du und deine große Klappe…

Wie willste denn jetzt jemals Beweise kriegen? Du weißt doch, wessen Vater er is… wenn er dir keine geben will, wirste keine kriegen, jetzt erst Recht nicht mehr.

Aber vielleicht isses besser so… und…

Am Ende issers vielleicht gar nich…
 

Angestrengt starrte er die Tür an, seine Kiefer so fest aufeinandergepresst, dass seine Zähne dabei knirschten. Langsam hob er eine Hand, legte die Handinnenfläche auf das kühle Holz, atmete gepresst aus.
 

Dann riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken.
 

„Willst du da Wurzeln schlagen?“
 

Shinichi hatte aufgeblickt, als jemand das Zimmer betreten hatte. Ein Teil von ihm hatte gehofft, dass es sein Vater war, ein anderer, dass er es nicht war – einerseits wollte er wissen, was er mit seinen kryptischen Äußerungen von gerade eben gemeint hatte, andererseits wusste er nicht, ob er wirklich jemals wissen wollte, was genau das war.

Und irgendwie hatte er das Gefühl, dass die Sache, worüber sein Vater nicht mit ihm reden wollte, vielleicht sogar die Ursache für seinen Gedächtnisverlust war.

Dann aber stellte sich unausweichlich die Frage, ob sein Vater… mit Schuld hatte an dem, was ihm passiert war.

Und das – das wollte er nicht glauben, wollte er vielleicht sogar… gar nicht wissen.

Und wollte es doch, denn die Wahrheit – die Wahrheit musste ans Licht, und auch er durfte sich nicht vor ihr verschließen.
 

All seine Gedanken liefen allerdings in diesem Moment vorerst ins Leere, als er merkte, wer das Zimmer betreten hatte. Es war Heiji, der nun unschlüssig in der Tür stehen geblieben war und diese anstarrte, als versuche er, sie mit seinen Augen zu durchleuchten.

Shinichi setzte sich auf.
 

„Nun gut, sag Bescheid, wenn du dich von der Schönheit dieses Musterexemplars einer Wohnzimmertür losreißen kannst… aber tu dir keinen Zwang an. Ich kann warten, mir läuft nix weg.“
 

Heiji zuckte zusammen, grinste dann, griff sich verlegen an den Hinterkopf, zog sich dann die Kappe vom Kopf und setzte sich in Bewegung.

„Entschuldige. Ich war nur in Gedanken, irgendwie, und es is immer noch etwas komisch…“

„Sehr.“

„Häh?“

„Sehr komisch, meinst du wohl.“ Shinichi zog eine Augenbraue hoch und grinste schief. Heiji presste sich seine Mütze wieder auf die Haare, nahm ihm gegenüber Platz, nickte widerwillig.

„Leider, ja. Und ich wollte, es wäre nicht so, aber es ist so seltsam… du sitzt mir gegenüber, irgendwie benimmst du dich auch wie du dich immer benimmst, aber…“

„Die Füllung fehlt.“

„So wie du’s sagst, klingt’s gemein.“

„Ist mir egal, offen gestanden.“

Shinichi lehnte sich zurück.

„Was führt dich her?“
 

Heiji wich seinem Blick aus, unwillkürlich. Shinichi stutzte.

„Schlechte Neuigkeiten?“, fragte er vorsichtig.

Der Osakaer Detektiv schaute auf, kam nicht umhin, ihm innerlich Respekt zu zollen; auch wenn Shinichi amnestisch war, ihm entging keine Regung seines Gegenübers.

„Nicht direkt. Ich meine, irgendwie… doch. Ahhh…“

Er stöhnte auf, vergrub seine Hände in seinen Haaren, schob sich dabei die Kappe vom Kopf. Shinichi zog die Augenbrauen hoch.

„Was nun?

Heiji warf einen unsicheren Blick zur Tür.

„Sind wir hier ungestört? Ich meine, kann uns wer hören?“

„Wer soll uns denn nicht hören dürfen?“

Unwillig biss sich Heiji auf die Lippen; ihm wurde jetzt erst klar, wie seltsam seine Frage in den Ohren seines Gegenübers geklungen haben musste.

Sie waren schließlich hier bei ihm daheim. Der Ort, an dem er großgeworden war. Sein Zuhause.

Sie waren an dem Ort, an den man ihn gebracht hatte, weil man dachte, dass er dort sicher war.
 

Sicher.
 

Kudô – wie erklär ich dir das…?
 

Eine Erklärung war allerdings im nächsten Moment überflüssig.

„Du willst nicht, dass meine Eltern dich hören?“

Seine linke Augenbraue war nach oben gerutscht, verharrte in ihrer Position, als er weiter sprach.

„Darf ich raten? Du willst vor allem nicht, dass mein Vater dich hört? Heiji, was ist los, zum Teufel?“

Heiji wurde nervös.

„Woher…“

„Ich hab euer Gespräch grad gehört, Schlaumeier.“

Shinichi verzog das Gesicht, Skepsis breitete sich auf seinen Zügen aus. Starr fixierte er Heiji, nicht willens, locker zu lassen.

„Was ist los?“

„Wie ist es nun, kann uns hier wer hören oder nicht?“

„Kommt drauf an, worüber du mit mir reden willst.“

Shinichi schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
 

„Ich wollte mit dir über den reden, den du vergessen hast, um ehrlich zu sein. Eigentlich wollte ich…“
 

Heijis Stimme war auf ein leises Flüstern gesunken.

„Da gibt’s ein paar Kandidaten, mein Lieber.“

Shinichi machte sich nicht die Mühe, zu flüstern.

„Über… über…“

„Ja?“

Heiji merkte, wie er unter Shinichis Blick zu schrumpfen schien – erst jetzt wurde ihm klar, was er hier eigentlich machte. Sollte er wirklich seinem besten Freund seine noch nicht beweisbaren Vermutungen über dessen Vater offenbaren, stieß er ihn geradewegs noch weiter in das Dunkel zurück, aus dem er sich gerade mühsam herauszutasten versuchte. Abgesehen davon, dass er ihm wohl den Schlaf raubte – der Gedanke, dass der eigene Vater, mit dem er unter einem Dach wohnte, der Anführer eines Verbrechersyndikats sein könnte, war wohl kaum ein gutes Schlafmittel.

Er schluckte, merkte, wie schwer ihm das fiel; in seinem Mund schien von einem Moment auf den anderen Trockenzeit ausgebrochen zu sein, und die breitete sich rasant in seinem Gaumen die Speiseröhre hinab aus. Er hustete.
 

Mein Gott, darf ich das? Sollt‘ ich dir das wirklich sagen?

Was, wenn ich mich irr‘ – mein Gott, lass mich irren… ich will nich‘ Recht haben, dieses eine Mal nich‘, wirklich nich...
 

Er rieb sich den Hals, starrte auf die Tischplatte, versuchte erneut, seine Kehle zu befeuchten.
 

Aber was, wenn ich Recht habe, und Himmel, es spricht so viel dafür…

Was, wenn er es is‘… dann sitzt du hier, vor ihm aufm Präsentierteller…
 

Shinichi schaute ihn an, Ungeduld zeichnete sich in seinen Zügen ab.

„Hör zu, Heiji, sprich einfach. Bitte fang du auch nicht noch an mit Rumstammeln und Ausreden suchen und kryptische Aussagen machen, die kein Mensch versteht…“

„Wer… wer macht denn kryptische Aussagen?“

Der Detektiv des Westens hatte seine Sprache wieder gefunden. Shinichi zuckte zusammen. Offenbar waren ihm die letzten Worte unwillkürlich herausgerutscht.

„Mein Vater.“, seufzte er dann. Seine Stimme klang leise, etwas unsicher. Auf seinen Zügen war die Ungeduld einem Ausdruck von Enttäuschung und Gedankenversunkenheit gewichen – das Fragezeichen, das wohl hinter all seinen Gedanken um seinen Vater stehen musste, stand ihm dick und fett ins Gesicht geschrieben.

„Er sagt, ich würde ihn hassen und verabscheuen, wenn er mir all die Fehler aufzählte, die er an mir begangen hätte. Und er denkt, wenn ich wieder alles weiß, meine Erinnerungen zurückgekehrt wären, würde ich ihn hassen und verabscheuen, und das seines Erachtens mit Recht.“

Shinichi atmete scharf ein, hob die Hand, als Heiji ihn unterbrechen wollte.

„Nein, das war’s noch nicht. Er sagte noch, dass er, bis es soweit wäre, keinen Fehler mehr machen will. Der Vater sein will, den ich verdient hätte. Und wenn es soweit wäre…“
 

Er schluckte.

„Dann wartet er auf mich…“
 

Heiji starrte ihn an, zwang sich dann ein Lächeln auf die Lippen.

„Na, da bereut aber wer seine Erziehungsmethoden gründlich…“

Shinichi schüttelte den Kopf.

„Findest du das lustig?“

Heijis Miene wurde schlagartig ernst.

„Nein. Eigentlich nicht. Aber…“

„Aber?“
 

Heiji wand sich innerlich unter dem forschenden Blick, mit dem Shinichi ihn bedachte.
 

Augen, die seinen sehr ähnlich waren.
 


 

Yusaku Kudô stand vor der Tür und lauschte, in seiner Hand immer noch die Zigarette, die leise vor sich hinglomm und an der er seit ihrem Entzünden kein einziges Mal gezogen hatte – und hoffte, dass Yukiko nicht aus der Küche kam, und ihn so vorfand. Er würde wieder unangenehme Fragen beantworten müssen, und davon hatte er eigentlich die Schnauze voll fürs erste.

Dennoch ließ ihm keine Ruhe, was Heiji seinem Sohn erzählen würde. Er ahnte, dass der Junge ihn verdächtigte, der Kerl war nicht blöd – allerdings etwas zu offensichtlich und schlampig beim Verstecken seiner Spuren.

Er durfte ihm auf gar keinen Fall mehr Futter für seine Theorie geben, allerdings… musste er wissen, was er Shinichi erzählte.

Er musste es einfach wissen.

Und deshalb lauschte er jetzt an dieser Tür, auch wenn er sich schäbig vorkam.
 


 

Heiji schluckte.

Vorsicht und Misstrauen hatte er gesehen, in diesen Augen. Vielleicht ahnte der Schriftsteller was von seinem Verdacht…
 

– ach was, nicht nur vielleicht.
 

Leider, das musste Heiji sich eingestehen, war er wohl viel zu offensichtlich.

Allerdings…

Diese Worte, die er nun von Shinichi gehört hatte, sie bestätigten eigentlich seine Vermutung, was die Identität des Bosses betraf.

Es würde so gut passen.

Allerdings…
 

Passe nie die Fakten deiner Theorie an, Watson.
 

Klar, sie spielten ihm in die Karten. Sie passten wie die Faust aufs Auge, und auch Yusakus Haltung ihm gegenüber – aber – was, wenn er sich das einbildete?

Er hatte keinen Beweis. Und er wollte so verbissen endlich diesen Fall lösen, dass er wohl sehr geneigt war, jeden Hinweis in eine Richtung zu biegen.

Solange es aber nur bei Hinweisen blieb, und kein Beweis auftauchte, waren alle Theorien nicht zu halten.

Und so lange er den nicht hatte, stürzte er Shinichi buchstäblich ins Chaos, wenn er ihm seine Theorie unterbreitete, denn Shinichi war momentan nicht der Shinichi, als den er ihn kannte. Er verschlimmerte seine Lage nur noch, indem er ihm sein Zuhause nahm, das eigentlich sein sicherer Hafen sein müsste – zwar war es momentan noch weit davon entfernt, aber setzte er Shinichi nun die Idee in den Kopf, der Boss wäre sein eigener Vater, welche ruhige Minute hätte er dann noch?

Welchen Stein brachte er damit ins Rollen?
 

Er konnte die Folgen nicht mal ansatzweise abschätzen.
 

Egal ob ich nun richtig liege oder nicht, Shinichi muss einen Ort haben, an dem er lernt, sich sicher zu fühlen, und das sollte sein Zuhause sein. Er sollte Menschen haben, zu denen er Vertrauen aufbaut, und das sollten seine Eltern sein.
 

Und selbst wenn Sie der Boss sind, Herr Kudô… ich schätze, nur wegen Ihnen lebt er noch.

Also passen Sie auf ihn auf… auch weiterhin.
 

Heiji seufzte, dann ging er zur Tür, ließ einen verdutzten Shinichi auf dem Sofa sitzen, und öffnete sie. Im Gang stand niemand, nur leichter Tabakrauch stieg ihm in die Nase.
 

Er hätte schwören können, dass sie jemand belauscht hatte.
 

„Heiji, was wolltest du mir nun eigentlich sagen?“

Shinichi war aufgestanden und hinter ihn getreten.
 

„Dein Vater schreibt phänomenal gut. Ich hab die ersten Bücher innerhalb der letzten zwei Tage verschlungen. Ich kann kaum abwarten, wie es weitergeht.“
 

Shinichi zog eine Augenbraue hoch.

Sie wussten beide, dass Shinichi ihm die Ausrede nicht abnahm – aber er fragte auch nicht weiter, sondern zog die Tür hinter sich zu.
 

Er wusste nicht, was es gewesen war, das er ihn den Augen des Schriftstellers gesehen hatte, als er ihn reingelassen hatte.

Zumindest da hatte er es nicht gewusst – er hatte es für Abscheu gehalten, für Wachsamkeit und Unwillen.

Jetzt wusste er es besser.
 

Angst.
 

Und langsam begriff er.

Und ahnte, wie nah er der Wahrheit war – und hatte doch keine Ahnung, was hinter all dem steckte.

Das hier war eine weit größere Sache, als er es sich vorgestellt hatte, und da jetzt vorschnell zu handeln, könnte fatal sein.

Das wusste er.

Er kaute auf seiner Unterlippe, unschlüssig, schaute sein Spiegelbild auf den Boden an. Ein unwilliges Knurren verließ seine Kehle, als er frustriert den Kopf schüttelte.
 

Was für ein Chaos.
 

Dann klingelte das Telefon. Die Tür zur Küche ging auf, und Yusaku betrat die Eingangshalle, warf den beiden jungen Männern einen Blick zu.

„Ich werd dann gehen… Herr Kudô. Wir sehen uns morgen.“

Er nickte dem Herrn des Hauses kurz zu, quetschte sich dann an Yusaku vorbei nach draußen. Kurz kreuzte sich ihr Blick, und er wusste nicht, ob er es sich schon wieder einbildete.

Aber er glaubte, einen Hauch von Dankbarkeit in den Augen des Autors gelesen zu haben.
 

Langsam stieg er die Treppe hinunter, rammte seine Fäuste in seine Hosentaschen, biss sich auf die Lippen.
 

Selbst wenn Sie es sind, Herr Kudô… so ist es wohl noch nicht an der Zeit.

Und nicht an mir, es ihm zu sagen.

Wer weiß, ob er mir überhaupt glauben würde…
 

Und wenn Sie es sind, Herr Kudô… Baron der Nacht…

Dann passen Sie auf ihn auf! Besser als bisher, wenn ich darum bitten darf.
 

Als Heiji beim Professor ankam, fand er Kazuha in der Küche, die das Dessert fürs Abendessen kochte; sie rührte in einem großen Topf Schokoladenpudding an. Er sah sie an, fühlte dieses seltsame Prickeln in seiner Magengegend und seufzte. Er liebte Schokoladenpudding, aber das war es nicht, das in seinem Magen rumorte.
 

Er liebte sie.

Und wenn er daran dachte, wie zwei, die sich auch liebten, momentan miteinander umgingen, wurde ihm seltsam zumute.

Er hatte hier die einmalige Chance, endlich klar Schiff zu machen, während Ran und Shinichi… sie vielleicht verpasst hatten. Sie nicht wieder bekamen.

Selbst, wenn er sein Gedächtnis wieder zurückbekommen würde, wer wusste, wie er dann zu Ran stand.

Nach allem, was passiert war… vielleicht war ihm seine Opferbereitschaft für sie dann doch langsam auch selbst unheimlich. Wobei…

Nein…

Er lächelte traurig.
 

Dafür liebt er sie zu sehr. Aus diesem Grund macht er nicht mir ihr Schluss… erst wenn er merkt, er tut ihr nicht mehr gut, dann…

Und nur dann.
 

Er rieb sich unwillig die Nase. Kazuha bemerkte ihn aus dem Augenwinkel, wandte sich um.

„Wie geht’s ihm?“

Sie nickte Richtung Kudô-Villa.

„Unverändert.“

Kazuhas Miene umwölkte sich mit Sorge.

„Er hat‘s momentan nich leicht…“

„Nein, hat er nich.“

Er lehnte sich gegen die Theke neben dem Herd. Kazuha rührte beständig weiter.

Gerade als Heiji etwas sagen wollte – so genau wusste er eigentlich gar nicht, was er hatte sagen wollen, er wusste nur, es hatte was mit dem Prickeln in seiner Magengegend zu tun – wurde die Tür einen Spalt aufgeschoben und Ai trat ein, eine Schüssel mit Beeren in den Händen.

„Bitte.“, murmelte sie gelangweilt und schob die Schüssel auf die Theke, wo sie Kazuha dankend entgegennahm, Heiji den Rührbesen in die Hand drückte und mit den Früchten zur Spüle ging, um sie abzubrausen. Ai nutzte die Gelegenheit, dem Detektiv einen fragenden Blick zuzuwerfen.

Er verzog die Lippen, schüttelte den Kopf. Sie schien etwas erleichtert.
 

Besser so, Heiji. Wenn es stimmt, was du vermutest, sollte er es selbst herausfinden.
 

***
 

Unschlüssig stand er da, seine Finger spielten nervös mit dem Faden, der die Maske davon abhielt, einfach von seinem Gesicht abzublättern wie Farbe von feucht gewordenem Mauerwerk.

Ihm gegenüber stand er, seine Augen unverwandt auf ihn gerichtet, hielten ihn fest.

Kommissar Koichi Endo.
 

Schweiß brach ihm aus allen Poren, machte ihm das Tragen der Maske unerträglich, eigentlich.

Aber noch wollte er sie nicht ziehen – auch wenn sie heute noch fallen würde. Soviel war klar.

Seine andere Hand umklammerte die Glock, unsichtbar für den Kommissar, verdeckt durch den weiten Mantel – obgleich der Kommissar sicher wusste, dass sein Gegenüber bewaffnet war, und er wusste auch, dass er seine Waffe nutzen würde, gab er ihm einen Anlass.

Genau genommen brauchte er nicht einmal den.
 

Aber das war heute nicht sein Ziel; den Kommissar zu töten war nie sein Ziel gewesen, eigentlich.
 

Heute war er hier, um ein Ende zu finden für diesen Alptraum von einer Geschichte.
 

„Ich wüsste nicht, wie sie mir helfen könnten, Baron.“

Endos Stimme klang leicht spöttisch. Das war etwas, das der Baron an ihm schätzte; selbst im Angesicht eines so mächtigen Gegners wie er ihn abgab, behielt der Mann Haltung. Blieb seinen Prinzipien treu und ließ sich nicht einschüchtern.
 

Ein Schauer rann ihm über den Rücken, als er seine Augen über die letzten Zeilen huschen ließ.

Ihm lief die Zeit davon, hier wie dort, und er fragte sich, woher er die Muße nahm, seine Geschichte zu beenden, aber irgendwie…

Irgendetwas sagte ihm, dass er genau das jetzt tun sollte. Die Geschichte beenden.

Heijis Besuch hatte ihm gezeigt, wie dünn der Faden war, aus dem sein Lügengespinst gestrickt war.
 

Er hatte erkannt, es war Zeit, einen Schlussstrich ziehen, das Leben des Barons aufzuräumen… und damit seins.

Unwillkürlich fasste er sich mit seiner Linken an den Hals, rieb sich die Haut an seiner Kehle; dann setzte er den Füller auf das Papier.

Die Parallelen waren immer deutlicher geworden, im Laufe der Jahre, zwischen dem Leben des Barons und seinem eigenen Dasein.

Diesem Doppelleben… Tags der strahlenden Schriftsteller, Nachts der Herrscher über die Schattenwelt.
 

Er würde es beenden.

Zuerst diese Geschichte.

Dann eine andere.
 

Und so merkte er nicht, wie es langsam dämmerte, die Schatten im Zimmer immer länger wurden.

Merkte nicht, wie die Zeiger der Uhr immer weiter vorrückten.

Hörte nicht, dass Yukiko ihn kurz ansprach; sie gab es auf, ihn zu fragen, ob er Hunger hatte, als sie sah, wie versessen sein Füller über das Papier kratzte. Shinichi trat leise hinter sie, lehnte neben ihr in der Tür.

„Ist das normal?“, fragte er leise.

„Es kommt selten vor, ist aber nicht ungewöhnlich. Warts ab, morgen kannst du wohl das Ende lesen.“

Sie lächelte sanft. Es war ihr fast peinlich, sich einzugestehen, wie sehr sie dieser Anblick erleichterte; ihren Mann so eifrig beim Schreiben zu sehen. Er war in seinem Element, so ganz bei sich – einmal, in dieser langen Zeit, war er der Mann, den sie geheiratet hatte, zumindest ein Teil von ihm.

Der Schriftsteller.
 

Wenn sie gewusst hätte, was ihn so antrieb, wäre sie sicher nicht ganz so erleichtert gewesen.
 

Yusaku schaute nur kurz auf, als der Luftzug der sich schließenden Tür seine Blätter kurz aufflattern ließ.
 

Yukiko?



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  funnymarie
2012-07-14T16:30:14+00:00 14.07.2012 18:30
ein tolles kapitel^^
armer yusako! hoffentlich bleibt seine wahre identität noch ein bisschen verborgen^^
ich freu mich auf das nächste kapitel
lg funnymarie
Von:  R3I
2012-07-11T17:06:13+00:00 11.07.2012 19:06
Oha da hat Yusaku aber ganz schön Schiss bekommen!
Und ob das so eine gute Idee ist Shinichi nichts davon zu erzählen? Wir werden sehen. Auf jeden Fall wieder ein starkes Kapi. Und nächste Woche gehts ins Grüne, na da bin ich ja mal gespannt!
lg R3I
Von:  Kati
2012-07-11T15:29:53+00:00 11.07.2012 17:29
Na ich bin gespannt wie Yusaku "aufräumen" möchte.
Und Heiji hat zum Glück nicht geplappert, das wär sicher nicht gut ausgegangen.
Im nächsten Kapitel wirds wieder richtig spannend wenn sie raus fahren. Bin echt mal gespannt ;)
Bis dann <3


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