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Amnesia

Wer ist man noch, wenn man sich selbst vergisst?
von

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Kapitel 23: Black strikes back

Nach einer kleineren Pause geht's nun weiter - entschuldigt bitte, und viel Vergnügen beim Lesen,
 

eure Leira

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Kapitel dreiundzwanzig: Black strikes back
 


 

Für einen Moment schien die Welt still zu stehen – ehe sie sich weiterdrehte, und die Realität sie wieder einholte.

Ran stand immer noch da, wie zur Salzsäule erstarrt, Tränen rannen lautlos über ihre Wangen, vermischten sich mit den auf sie niederprasselnden Regentropfen, perlten über ihre Haut, tropften von ihrem Kinn.

Der leichte Nieselregen hatte sich mittlerweile zu einem ausgewachsenen Schauer gesteigert – sie war völlig durchnässt, ihre Haare klebten in Strähnen auf ihrer Haut, in ihrer Stirn, an ihrem Hals. Sie fixierte immer noch die Stelle, an der er im Wald verschwunden war – ihre Augen weit offen, ohne zu blinzeln und konnte immer noch nicht fassen, was passiert war, was er gesagt hatte.
 

Sie schluckte, wischte sich über die Stirn, die nassen Fransen aus den Augen, schüttelte unwillig den Kopf.
 

Aber er hat ja Recht…
 

Eine Gänsehaut lief ihr über den Körper. Sie betastete ihre Arme, spürte die Härchen, die buchstäblich zu Berge standen, seufzte. Es tat weh, sich das einzugestehen, aber er hatte Recht gehabt, ja. Sie hatte auf Teufel komm raus versucht, in ihm den alten Shinichi zu sehen; zumindest musst diese Botschaft bei ihm angekommen sein, nachdem sie ihn alle nicht so nehmen wollten, wie er nun mal jetzt war. Sie hatte zwar beständig beteuert, ihm helfen zu wollen, aber wem – wem hatte sie im Grunde wirklich helfen wollen?

Sie hatte ihm das Gefühl gegeben, nicht er selbst zu sein. Hatte ihn nach sich selbst suchen lassen, an seiner eigenen Identität zweifeln lassen, mehr noch, als er es ohnehin schon tat.
 

Dabei, und das hatte sie doch eigentlich selbst schon festgestellt, war er das nicht mehr. Er war nicht mehr der alte Shinichi, egal ob mit oder ohne Gedächtnis.

Wie konnte er auch, nach Conan und allem, was er noch so erlebt hatte.
 

Und eigentlich… eigentlich hatte sie ihn gern gehabt, so wie er als Conan gewesen war. Conan war selbstsicher, aber nicht mehr so arrogant und selbstverliebt, wie der alte Shinichi es gewesen war, mit seinen Fanbriefen und diesem Titel, den ihm die Presse aufgedrückt hatte.
 

Sherlock Holmes der Heisei-Ära, Retter der japanischen Polizei… nein, das bist du nicht mehr. Du bist eher wie Sherlock Holmes aus Doyles‘ Romanen… der geachtete, aber im Hintergrund arbeitende Detektiv, der Lestrade die Lorbeeren kassieren ließ, aber dennoch um seinen Wert und sein Können wusste. Ein beratender Detektiv… wie er es war.
 

Keine Frage, Shinichi war immer noch unglaublich intelligent, gewitzt, schlau, aber ließ es nicht mehr so raushängen, führte den anderen seine Fehler nicht mehr so vor Augen. Er war ein wenig leiser geworden, verpasste dabei aber nie den Moment, wo man den Mund aufmachen musste, wo etwas gesagt werden musste.

Das waren Eigenschaften, die sie schätzen gelernt hatte, an Conan und die sie an ihm auch schätzte, an Shinichi.

Er war ein Gentleman. Wie Holmes einer war.
 

Aber anstatt ihm das zu sagen – hatte sie ihm die Geschichte seiner Enttarnung erzählt. Und er konnte jetzt doch gar nicht anders, als zu glauben, dass der Grund, der sie jetzt noch bei ihm hielt, der war, dass sie sich ihm verpflichtet fühlte.
 

Toll gemacht, Ran.
 

Sie schaute in den Himmel, dieses endlose, bleierne Grau, sah, wie der Regen die Oberfläche des Meeres in Milchglas verwandelte, schniefte. Sie rieb sich die Arme, unfähig, sich zu bewegen. Sie hatte keine Ahnung, wann und wie sie zurückgehen sollte; sie wusste nicht, wie sie ihnen begegnen sollte, den anderen - und ihm. Genervt merkte sie, wie sich erneut Tränen in ihren Augen sammelten. Sie wollte doch eigentlich nicht mehr flennen.

„Warum mach ich alles falsch…“, flüsterte sie lautlos; ihre Worte gingen unter im Regen und dem Rauschen der Wellen, die sich am Strand brachen. Ran starrte in den Sand vor ihren Füßen, in die jeder Regentropfen einen kleinen Krater schlug, bevor er versickerte – ganz, als hoffe sie, dort die Antwort auf ihre Fragen zu finden, von Zauberhand geschrieben, sichtbar nur für sie.

Fast ein wenig sauer schüttelte sie den Kopf über ihre eigene Unfähigkeit, sich selbst zu helfen, wedelte dann mit ihren Armen – ihre Ärmel klebten an ihrer Haut, troffen vor Nässe, und dieses Gefühl war auch kein schönes.
 

Wie geht’s jetzt weiter? Was mach ich jetzt?

Sollte ich mit dir noch mal reden?

Wirst du mir denn nochmal zuhören, Shinichi?

Was willst du hören von mir?
 

Und was… will ich hören von dir?

Man kann es mir wohl auch schwer recht machen…
 

Langsam schloss sie die Augen, versuchte, Klarheit in ihre Gedanken zu bekommen, spürte, wie ihr die Regentropfen übers Gesicht rannen, ihren Hals hinab in ihren Kragen.

Und bemerkte dabei nicht, wie sich ihr von hinten jemand näherte.

Erst viel zu spät hörte sie die Schritte im nassen Sand. Sie erstarrte, drehte sich in Windeseile um, wusste noch während sie sich bewegte, dass es nicht Shinichi war, der zurückgekommen war.

Ihre Nackenhaare sträubten sich, als sie in das Gesicht eines hageren, schwarz gekleideten Mannes starrte.
 

Lange helle Haare, schwarzer Mantel, Hut…
 

Ihre Gedanken rasten.
 

Gin…
 

Wortlos formten ihre Lippen seinen Namen.

Er lächelte hämisch, zog seine Waffe.

„Exakt. Und ich nehme an, vor mir befindet sich Ran. Ran… Môri.“

Unversehens ging sie in Kampfposition, suchte sich einen festen Stand, winkelte ihre Arme an und ballte ihre Fäuste, hatte nicht vor, tatenlos zu kapitulieren – allerdings, weit kam sie nicht. Auf einmal stand er hinter ihr, der zweite von ihnen, und drückte ihr eine Waffe zwischen die Rippen. Ran sah ihn nur aus den Augenwinkeln, den untersetzten Mann mit Hut und Sonnenbrille. Gins Lächeln verbreiterte sich vor Genugtuung.

„Ich rate dir, sei nicht genauso dumm wie dein Freund, zu glauben, du hättest eine Chance. Er hatte sie nicht, du wirst sie auch nicht haben. Er spielt nur auf Zeit, und diese Zeit läuft ab…“

Ran lief es eiskalt über den Rücken – was sie für den Bruchteil einer Sekunde tatsächlich überraschte, schlotterte sie ja ohnehin schon vor Kälte.

„Was haben Sie mit ihm…“, begann sie, mit erstaunlich viel Kraft in der Stimme.

„Ah.“

Er hob den Finger, schnitt ihr das Wort ab.

„Die Fragen stelle ich. Und nun… sei ein braves Mädchen.“

Gin strich ihr über die Wange, mit einem Fingernagel nur. Ran erschauderte, das Gefühl, das diese Bewegung auf ihrer Wange hinterließ, war ihr höchst unangenehm.

Abgesehen davon dachte sie nicht daran, brav zu sein.

Unversehens und aus heiterem Himmel rammte die Karatemeisterin dem Mann hinter ihr ihren Ellenbogen in die Magengegend, hörte ihn laut aufjaulen, und wusste, sie hatte ins Schwarze getroffen. Sie zögerte nicht länger, stürzte los, wollte laufen, nur noch weg, weg…
 

Und dann fing sie an zu rutschen im nassen Sand, rannte weiter, merkte jedoch panisch, wie unendlich schwer ihr das Laufen fiel. Immer wieder glitten ihre Schuhe über den rutschigen Boden, sie geriet ins Straucheln, sie sank ein.

Sand war kein guter Untergrund für eine Flucht.

Nicht für sie – und erst recht nicht für einen Grundschüler…
 

Shinichi…
 

Hinter sich hörte sie die beiden Männer laufen - glücklicherweise erging es ihnen nicht besser als ihr.
 

Vielleicht… vielleicht hab ich doch eine Chance… wenn ich es schaffe…
 

Dann fiel sie.

Und ehe sie es sich versah, war er über ihr, drehte sie unsanft auf den Rücken, um ihr das Aufstehen zu erschweren, kniete auf ihren Beinen. Sie keuchte, starrte ihn ängstlich an, auch wenn sie versuchte, gerade das nicht zu sein. Ängstlich.
 

„Du willst doch nicht, dass er noch unglücklicher wird, als er schon ist…?“, fauchte er, umgriff hart ihr Handgelenk, als sie eine Hand voll Sand nach ihm warf und nach ihm schlagen wollte, spuckte ein paar Sandkörner, die ihr Ziel gefunden hatten aus, fluchte lauthals und presste ihr dann ein nasses Tuch, dass er aus einer Tüte schüttelte, über Mund und Nase.

Was dann geschah, bekam sie bereits nicht mehr mit. Sie roch es noch kurz, ein Hauch von Äther, als ihr Gin das mit Chloroform getränkte Tuch ins Gesicht drückte, war viel zu überrascht, um die Luft anzuhalten, atmete ein, schnell, flach.

Langsam zog Nebel über ihre Sinne, machte ihr das Denken schwer. Ihre Sicht flatterte, als sie gegen die Ohnmacht ein letztes Mal ankämpfte; ihre Glieder wurden schwer, ihr Kopf schien sich mit Watte zu füllen - dann sank sie in samtige Dunkelheit. Ihr Körper erschlaffte.

Gin stand auf, klopfte sich den Sand von seiner Hose, fluchte ungehalten. Dann zog er Ran am Arm hoch, warf sie sich über die Schultern, drehte sich um zu Vodka.
 

„Hast du das mit dem Handy schon erledigt?“

Wodka nickte entspannt.
 

Alles war erledigt.

Diesmal würde nichts schiefgehen.
 


 

Er wusste nicht, warum er auf einmal innehielt.

Unsicher hob Shinichi seine Hände, sah, wie sie zitterten – und seltsamerweise war er sich aber sicher, dass es nicht die Kälte, und auch nicht die Nässe waren, die sie dazu brachten.

Shinichi biss sich auf die Lippen. Unruhe keimte in ihm auf, Sorge, Angst.
 

Ist das das schlechte Gewissen? Ich war wirklich etwas harsch zu ihr, aber… ist es nicht besser so?

Ich sollte sie noch ein wenig allein lassen…

Wenn sie später noch nicht zurück ist… dann…
 

Unruhig huschte sein Blick hin und her.
 

Später… bestimmt überlegt sie nur, vielleicht weint sie…

Ich sollte sie in Ruhe lassen, ich hab genug angestellt.
 

Er fröstelte, trat einen Schritt nach hinten.
 

Andererseits…

Was ist das nur…?

Was ist das für ein Gefühl, so plötzlich…?
 

Er warf einen Blick in die Richtung, aus der er gekommen war. Keine Ran war in Sicht; und nichts war zu hören, außer dem Prasseln des Regens auf die Blätter der Bäume.
 

Was…, wenn…
 

Dazu, den Gedanken zu Ende zu denken, kam er nicht. Auf dem Absatz machte er kehrt und begann zu laufen, getrieben von einer inneren Stimme, die ihm beharrlich und immer lauter ins Ohr flüsterte, dass er bereits viel zu spät war.
 

Als er schließlich aus den Büschen brach und am Strand ankam, traf ihn fast der Schlag.

Keine Sekunde kam ihm die Idee, dass Ran nur einen anderen Weg zurückgenommen haben könnte, und bereits bei den anderen war.
 

Seine Augen glitten suchend über den Sand, er wagte nicht, einen unbedachten Schritt zu tun.

Spuren verliefen in hektischen Bahnen durch diesen so verräterischen Boden, zeigten ihm genau, was seit seinem Weggang hier passiert war.

Da waren nicht nur seine Spuren, die er deutlich zuordnen konnte, wegen des welligen Profils der Turnschuhe – und auch nicht nur Rans Fußabdrücke, die bei weitem die kleinsten waren.
 

Ein mittelgroßer Herrenschuh und der Abdruck eines Mannes mit wahren Quadratlatschen.
 

Und vor ihm aufgewühlter Sand, Abdrücke von Händen.
 

Das hier war ein Tatort.

Und darüber, welches Verbrechen verübt worden war, wer die Täter und wer das Opfer gewesen waren, gab es keinerlei Zweifel.
 

Nein, nein, nein!!!
 

Seine Beine gaben fast nach, als er sorgsam neben den Spuren herlief, bis zu der Stelle, wo sie sie geschnappt hatten. Der Abdruck ihres zierlichen Körpers zeichnete sich im Sand ab, deutlich. Er sank auf die Knie, streckte eine Hand aus, berührte den Boden an der Stelle, an der sich ihr Rücken befunden haben musste, biss sich auf die Lippen, schmeckte Blut und biss noch fester.
 

Ran.
 

Und plötzlich schien die Realität zu kippen.
 

Die Wolken hatten sich verzogen, warme Sonne strahlte auf sein Gesicht, es regnete nicht mehr – oder hatte es nie.

Wind strich mit ihm mit seinen kalten Fingern durch die Haare, zerrte an seiner Kleidung. Dann hörte er es.
 

„Hallo, Shinichi…“
 

Er wirbelte herum, stutzte.

Anstatt eines Gesichts sah er nur zwei schlanke Beine, die in eleganten Sportschuhen steckten.

Beine?

Guter Gott, er stand doch aufrecht, wie…
 

Dann fiel es ihm ein.

>Conan!

Zweifellos ist das die Perspektive eines Kindes, nicht meine…<
 

Er erstarrte, schaute hinauf in das Gesicht dieser Frau. Ihre roten Haare glühten im Licht der Morgensonne, schienen fast in Flammen zu stehen.

„Ich heiße Conan. Sie verwechseln mich mit jemandem.“, hörte er sich sprechen, und hörte sie zum ersten Mal.

Sie machte ihn Schaudern.

Conans Stimme.
 

„Du kannst aufhören, mir etwas vorzumachen, Hosenscheißer. Ich hab gestern mehr von deinem Telefonat mitgehört, als dir lieb sein dürfte.“

Sie lächelte diabolisch.
 

„Es wird sicherlich interessant sein, zu erfahren, was der Boss darüber denkt, dass einer, der bei ihm auf der Gedenktafel seiner Opfer steht, noch lebt…“
 

>Boss?!

Mein Gott, ist sie das?

Hat sie mich… ist sie ein Mitglied der Organisation!?<

Seine Gedanken rasten.

Er merkte, wie er rückwärts trat, langsam, merkte, wie er in den Sand einsank, warf kurz einen Blick nach unten. Nicht unbedingt optimale Bedingungen für eine Flucht.
 

Sie lächelte immer noch teuflisch, nickte zufrieden.

„Ich sehe, du erkennst die Gefahr, wenn sie vor dir steht - Shinichi Kudô. Und das ist auch gut so.“
 

Conan drehte sich um, begann wider besseres Wissen zu rennen.
 

>Eigentlich ist das zwecklos, der Knirps hat keine Chance. Aber ich muss etwas tun… irgendetwas musste er tun, er konnte ja nicht einfach stehen bleiben und mit ihr mitgehen. Sicher nicht. Schreien hilft nichts, die Brandung des Meers, das Rauschen der Wellen ist viel zu laut, und wir beide viel zu weit weg von den anderen, als dass seine Rufe die Ohren der anderen erreicht hätten…<
 

Conan rannte, stolperte durch den Sand, in dem er immer wieder versank, der in seine Schuhe rieselte, ihm das Laufen zusätzlich schwer machte.

Es kam, wie es kommen musste - nach ein paar Metern hatte sie ihn eingeholt, hielt ihn fest. Conan trat um sich, schlug nach ihr, kämpfte verbissen, versuchte doch zu schreien, eine Verzweiflungstat, das wusste er - doch dann kriegte sie ihn zu fassen, hob ihn hoch, drückte ihm Mund und Nase zu. Er klammerte seine Hände um ihre Finger, versuchte ihren Griff zu lockern, ihn zu brechen - aber seine kleinen Finger waren zu schwach.
 

Wenn er sich nicht wehrte, hielt der Sauerstoff länger, das wusste er.

Wenn er sich nicht wehrte, würde sie ihn dann umbringen? Er glaubte ja nicht, dass das ihr Ziel war. Allerdings… was war, wenn er irrte?

Panik ergriff ihn.
 

Er kniff die Augen zusammen, als ihn der Atemreflex zu quälen begann, fing nun doch an, zu strampeln, sich zu winden, irgendwie freizukämpfen…
 

Sie hielt ihn zu fest. Sie war zwar nur eine Frau, aber ihm doch kräftemäßig weit überlegen.
 

>Ich bin nichts weiter als ein Kind…völlig wehrlos…!<
 

Wehrlos.

Der Gedanke schoss durch seinen Kopf, löste in ihm nun vollends Panik aus, ein Gefühl, das der nicht mochte, und das eigentlich auch nicht zu ihm passte, aber…

Von einem Sechsjährigen unterschied ihn nun kräftemäßig nichts mehr. Und damit war sein Schicksal besiegelt.
 

Er riss die Augen auf, griff sich an den Hals, wollte nach Luft zu schnappen - hörte das dumpfe Geräusch der Wellen… sah über sich die Sonne durch die Wolken scheinen, die Strahlen brachen durch die Lücken, die sie ließen, wie durch das Blätterdach eines Waldes, brachen sich auf den Wellen, streuten Sterne auf die Wasseroberfläche, wo sie mit dem Wellengang tanzten und hüpften.… ein wahrhaft märchenhafter Anblick.
 

Er riss die Augen auf, keuchte. Shinichi schnappte nach Luft, sein Atem ging schnell, sein Puls raste, als wäre er gerade wirklich um sein Leben gelaufen, als hätte ihn gerade wirklich jemand bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt.

Er schluckte, schmeckte Blut, hustete.
 

Während dieser Episode hatte er sich wohl weiter fest auf die Lippen gebissen.

Shinichi würgte den metallischen Geschmack runter, fuhr sich durchs Gesicht, spürte nasse, kalte Haut unter seinen Fingern, merkte, dass er am ganzen Körper zitterte, und wusste nicht, ob es wegen dieser Erinnerung war, die ihn da überfallen hatte, oder ob es wegen der Feuchtigkeit und Kälte war.
 

Wahrscheinlich beides.
 

Unwillkürlich griff er sich an den Hals.

Dann fiel sein Blick wieder auf die Spuren im Sand.

Ihre Spuren.

Sie war erwachsen gewesen, hatte aber wie er keine Chance gehabt. Sie waren zu zweit gewesen, Ran allein. Allein, und aufgewühlt.

Sie hatten nur auf sie gewartet.

Sie war zwar kein Kind gewesen, aber sie war mindestens genauso wehrlos gewesen wie Conan.
 

Das ist meine Schuld! Warum musste ich auch ausgerechnet hier dieses Gespräch mit ihr führen – wir wussten doch, wie nahe wir ihnen sind, bestimmt haben die nur darauf gewartet, und jetzt -
 

Ihm wurde kurz schwindelig. Die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen – die Ähnlichkeit zwischen Conans Verschwinden und der Szene, die sich hier abgespielt hatte.
 

Jetzt ist sie weg.
 

Unwillkürlich folgten seine Augen den Spuren, die sich von diesem Platz fortbewegten; ein paar Fußabdrücke sanken nun mit jedem Schritt deutlich tiefer in den Sand ein. Sie hatten sie weggetragen, mitgenommen.

Wie von der Tarantel gestochen fuhr er hoch, sein Atem beschleunigte sich.
 

Weit können sie eigentlich noch nicht sein!
 

Shinichi wollte gerade loslaufen, als er stutzte - in seiner Tasche vibrierte etwas. Irritiert hielt er inne, schob seine Hand in seine Jackentasche um einen kleinen, rechteckigen, abgerundeten Gegenstand zu fassen zu kriegen.

Er zog ihn heraus, starrte ihn verblüfft an.

Es war ein Handy.

Und gerade rief ihn jemand an.
 

Unsicher schaute er um sich.
 

Conans Handy?
 

Shinichi schluckte, starrte es an, wog es in seiner Hand, fragte sich, warum es ihm nicht vorher aufgefallen war, dass er es in seiner Jackentasche hatte.
 

Wann bin ich denn dazu gekommen?
 

Ihm fiel nur eine Gelegenheit ein, als man ihm etwas hatte zustecken können; und das war, als sie vorhin so dichtgedrängt im Polizeibus gesessen hatten.
 

Etwa einer dieser ortsansässigen Polizisten, neben dem ich saß, im Bus?
 

Aus dem Dickicht heraus, in einiger Entfernung, beobachteten die beiden Männer in Schwarz aus Gins Wagen heraus ihr Opfer. Gespannt spähte Wodka durch das Fernglas, neben ihm saß Gin, mit seinem Handy am Ohr, lauschte kühl lächelnd dem Freizeichen.
 

Shinichi klappte es auf, merkte, wie seine Finger kalt und klamm wurden. Eine Ahnung beschlich ihn; und er konnte nicht behaupten, dass es eine gute war. Unwillkürlich begann er, seine Kiefer zusammenzupressen, als er das Handy ans Ohr hielt.
 

„Hallo, Kudô.“
 

Shinichi schloss kurz die Augen.
 

So muss es sich anfühlen, wenn einem sprichwörtlich das Innerste zu Eis gefriert…
 

„Gin.“
 

Er schaute sich um, langsam, unauffällig, konnte aber niemanden sehen.
 

Sie müssen doch hier sein! Ich traue mich wetten, dass sie mich sehen…
 

„Du wirst uns nicht finden.“

Gin lachte leise in sein Ohr. Shinichi erschauderte unmerklich, blieb stehen. Still.
 

„Was wollt ihr?“, wisperte er schließlich, riss sich zusammen, damit seine Stimme nicht zitterte.

Er konnte Gins Grinsen nicht sehen, aber er wusste, er tat es. Bestimmt grinste er von einem Ohr bis zum anderen.

„Dich, was sonst? Du solltest es gemerkt haben, im Krankenhaus. Ich dachte eigentlich, ich wäre ziemlich deutlich gewesen in meiner Ausdrucksweise.“

Shinichi presste das Handy an sein Ohr.

„Warum sollte ich mich von euch umbringen lassen wollen?“, murmelte er dann, bemühte sich um einen sachlichen Ton.

„Weil wir deine Freundin haben.“

Gin klang ebenso sachlich, ließ sein Opfer nicht aus den Augen. Shinichi war noch etwas blasser geworden, seine Atmung etwas flacher, ansonsten verhielt er sich ruhig – und dennoch wusste Gin, dass es nun soweit war. Er kannte die Zeichen, so subtil sie auch waren.

Sie hatten ihn.

„Sie war leichte Beute, nach dem, was du mit ihr gemacht hast, Kudô, aber das brauch ich dir wohl nicht erzählen...“

„Was habt ihr ihr angetan?!“, zischte Shinichi, ließ kurz seine Selbstbeherrschung fahren, merkte, wie in ihm zwei Gefühle um die Herrschaft kämpften.

Angst und Hass.

Noch nichts.“

Gin lachte leise.

„Bis jetzt, heißt das. Der Rest liegt an dir…“

Shinichi atmete aus, gepresst.

„Hör zu.“

Gins Stimme klang leise an sein Ohr.

„Wenn du nicht willst, dass ihr was passiert, solltest du tun, was ich dir jetzt sage. Und ich warne dich jetzt, und nur einmal - wenn du der Polizei oder dem FBI ein Sterbenswörtchen verrätst, ist sie tot. Verstanden?“

Shinichi nickte.

„Verstanden?!“

Er schluckte.

„Ja.“, murmelte er dann leise.

„Gut.“

Gin legte das Handy beiseite, steckte sich in aller Seelenruhe eine Zigarette an. Wusste, dass der junge Detektiv es nicht wagen würde, aufzulegen.

Er wusste, er hatte ihn in der Hand.
 

„Du wirst jetzt mit den anderen nach Hause fahren.“, sagte er dann, als er die ersten Züge gepafft hatte, und das Handy wieder aufgegriffen hatte. Er beobachtete den Rauch, der in Kringeln nach oben stieg und gegen das Fenster wallte, auseinandertrieb.

„Wenn irgendwer nach ihr fragt, wirst du sagen, Officer Miyazaki habe sie heimgefahren, weil sie sich nicht gut fühlte.“

„Okay.“, murmelte Shinichi, strich sich eine regennasse Haarsträhne aus dem Gesicht. Dicke Tropfen fielen immer noch auf ihn herab, hatten ihn schon längst durchnässt bis auf die Knochen.

„Wie du dir denken kannst, gehört Officer Miyazaki zu uns. Bei weiteren Fragen nach deiner Freundin wirst du erklären, sie läge in ihrem Bett, um sich aufzuwärmen, später schläft sie und dürfe nicht geweckt werden, weil sie erschöpft sei. Jeder wird dafür Verständnis haben. Dafür wirst du mit zu den Môris fahren, mit der Begründung, dort etwas für dein Gedächtnis tun zu wollen. Du bleibst dort über Nacht.“
 

Gin zog an seiner Zigarette.

„Verstanden?“

„Ja.“ Shinichis Stimme ging im Geprassel des Regens fast unter.
 

„Gut. Gegen Mitternacht wirst du aus dem Haus kommen. Eine Straße weiter um die Ecke werde ich auf dich warten. Ein schwarzer Porsche 356 A. Dann sehen wir weiter. Ich hoffe, dein lädiertes Hirn kriegt das auf die Reihe.“
 

Er legte auf, ohne ein weiteres Wort.
 

Shinichi stand im Regen, starrte das Handy an, glaubte nicht daran, sich auch nur einen Millimeter bewegen zu können.
 

Ran…!

Was hab ich getan…
 


 


 

„Und wieso ist sie gegangen, ohne mir etwas zu sagen?“

Kogorô starrte ihn an. Shinichi sah ihm an, dass er ihm kein Wort von der Geschichte, die er ihm aufgetischt hatte, glaubte. Es wunderte ihn nicht, er selbst hätte die Geschichte auch nicht geglaubt.

„Ihr ging’s nicht gut, sie war sehr müde…“

Shinichi schluckte.

„Ich meine, du hast sie ja heute auch gesehen, sie…“

Er wusste, dass das Argument zog. Fast in dem Moment, als er es geäußert hatte, drehte Kogorô betroffen seinen Kopf weg; ihm war der Zustand seiner Tochter natürlich nicht entgangen. Shinichi merkte, wie ihm ein Schauer über den Rücken rann.
 

Wegen mir sieht sie so aus. Wegen mir…

Und nun ist sie weg, wegen mir.

Entführt, wegen mir.
 

Und dir darf ich es nicht sagen.
 

„Der Officer kam uns entgegen, und war so freundlich, ich dachte… es wäre okay. Nachdem sie so mitgenommen wirkte…“

Er starrte auf seine Füße, schaffte es nicht, seinem Gegenüber ins Gesicht zu blicken.

Kogorô seufzte.

„Nun gut, wir sind hier wohl ohnehin fertig.“

Der Mann bedachte den Oberschüler mit einem mitfühlenden Blick. Er sah mitgenommen aus, blass, abgehetzt. Erschöpft.

Offenbar hatte er keine Eingebung gehabt.

Keinen Teil seiner Erinnerungen wieder gefunden.
 


 

Als sie wieder aufwachte, befand sie sich in einer kleinen, weißen Kammer ohne Fenster. Rund um sie herum war alles gefliest und das kühle, nüchterne Licht einer Neonröhre tauchte den Raum in beunruhigend sterile Helligkeit.
 

Sie lag auf dem Boden, in der Mitte des Raums, hingestreckt. Sie spürte kalte, harte Kacheln unter ihren Fingern und an ihrer Wange, blinzelte. Langsam richtete sich auf, stemmte sich auf beiden Händen hoch, leise stöhnend, griff sich an die Stirn, hinter der es aufs Unangenehmste zu Pochen anfing, als sie halbwegs aufrecht auf dem Boden kauerte.

„Ahhhh…“, murmelte sie, blinzelte, nahm ihre Umgebung etwas genauer in Augenschein, mit dem Ergebnis, dass ihr zweiter Eindruck identisch mit ihrem ersten war.

Ihr Kopf schmerzte, schien explodieren zu wollen, fühlte sich an, als versuche jemand, mit einem Schlagbohrer durch ihre Schädeldecke zu brechen. Offenbar vertrug sie Chloroform nicht wirklich gut.
 

Dann blieb ihr Blick an einem kleinen Haufen Klamotten hängen. Sie robbte auf Händen und Knien näher, nahm die Sachen in die Hand, stutzte.

Die Ahnung, die sich in ihr während der letzten Sekunden manifestiert hatte, bestätigte sich.
 

Conans Sachen.

Also warst du… auch hier.
 

Bevor sie allerdings die Sachen genauer untersuchen konnte, ging die Tür auf, und sie fuhr herum, um zu sehen, wer ihr da die Ehre seines Besuchs gewährte; als sie sah, wer es war, fiel ihr fast buchstäblich die Kinnlade herunter.
 

Langes, glänzendes, blondes Haar wellte sich über ihre Schultern, ihr Teint makellos, ihre Züge fast symmetrisch, ebenmäßig - schön. Eisblaue Augen fingen ihren Blick. Ran wagte nicht, ihr Gesicht abzuwenden, auch nicht, als sie aufstand und etwas nach hinten taumelte, weil die Nachwirkungen des Chloroforms sie schwindeln machte.
 

„Chris… Vineyard?“, bemerkte sie dann fragend, stutze, als sie merkte, wie heiser ihre Stimme klang.
 

Sharon stieß die Tür hinter sich zu, seufzte. Sie konnte gut verstehen, warum er ihr so verfallen war. Sie war bezaubernd, auch jetzt, wo sie so mitgenommen aussah, so blass war. Im Gegenteil – diese Verletzlichkeit verlieh ihr einen besonderen Reiz. Und das obwohl, wie sie wusste, sie bei weitem nicht so verletzlich war, wie es den Anschein hatte.
 

Nein, bist du nicht…

Du bist eine Kämpferin, und doch…

Du wünschst ihn dir, einen Gefährten an deiner Seite, jemanden, der dich auffängt, wenn du fällst… und deine Wahl fiel schon vor langer Zeit, noch bevor du selbst es wusstest, auf ihn.

Deine Wahl war keine schlechte, auch wenn er… gerade einen kleinen Durchhänger hat.
 

Ein schmales, bitteres Lächeln stahl sich auf ihre Lippen bei diesem Gedanken; dann trat sie langsam näher.
 

Sie war gekommen, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen. Gin war vor ein paar Minuten im Konferenzraum erschienen, hatte vollmundig das Gelingen seiner Aktion verkündet, hatte sich die Lorbeeren eingeheimst von Absinth, dessen Teint vor Häme und Freude puterrot geworden war.
 

Jetzt stand sie hier, sah, dass es wahr war, obwohl eigentlich ohnehin keinerlei Zweifel bestanden hatte.

Und in ein paar Stunden, zweifellos, würde er hier sein.

Ihr zweiter Gast.

Er würde tun, was man ihm sagte, denn auch wenn er sich an sie nicht erinnerte – er liebte sie, und ganz bestimmt würde er sie beschützen wollen. Um jeden Preis.
 

Wie du es immer getan hast.

Du kannst nicht anders.

Silver bullet…
 

Dann riss sie sich am Riemen, als sie merkte, dass sie etwas lange weggetreten war, schüttelte den Kopf. Rans Augen hafteten auf ihren Zügen, als sie sprach.
 

„Nein, Ran. Nicht Chris…“

Ran schluckte, hielt sich den Kopf, schloss kurz die Augen.

„Sharon?“
 

Die Blondine nickte langsam, trat noch näher, bis sie ganz knapp vor Ran zum Stehen kam. Sie sah die Enttäuschung in ihren Augen, als sie eins und eins zusammenzählte, was ihre Verjüngung sowie ihre Anwesenheit in diesem Raum und ihre schwarze Berufskleidung betraf.
 

„Warum?“, murmelte sie fragend.

Sharon schüttelte den Kopf.

„Das ist meine Geschichte, Ran, und die gehört nicht hierher.“
 

Sie wandte den Blick ab, fokussierte einen Punkt hinter Ran an der Wand.

„Viel wichtiger ist es, was mit dir hier passiert. Und was aus ihm wird.“
 

Ran fröstelte, rieb sich mit ihren Händen ihre Oberarme.

„Sie erpressen ihn mit mir.“

Sie begann, sich die Lippe zu zernagen.

„That’s the way they work.“, antwortete Sharon mit erstaunlich sachlicher Stimme.

„Wird er kommen?“

Das Mädchen merkte, wie ihr Herz gegen ihren Brustkorb zu hämmern begann.

Vermouth verschränkte die Arme vor ihrer Brust, wandte sich nun wieder Ran zu, die noch blasser geworden war, sofern as überhaupt möglich war.

„Make a guess, angel. Of course he will. He loves you, although he doesn’t remember your name, your face… you.“

Sie schluckte, warf einen Blick auf ihre tadellos manikürten, rot lackierten Nägel.

„Er wird kommen. Heute Nacht noch. Und dann wird diese Geschichte seinen Lauf nehmen, in die eine oder andere Richtung, unweigerlich.“

Ran wandte den Blick ab, krallte ihre Hände kurz in ihre Haare, merkte, wie unbändige Verzweiflung in ihr hochstieg.

„Können Sie ihn treffen? Können Sie ihm sagen, er soll nicht kommen? Bitte?!“

Ihre Augen glänzten, ihn ihnen stand wilde Entschlossenheit zu lesen. Sharon lächelte bitter.

„You fool.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Er wird kommen, egal was ich ihm sage. Und nun schüttle nicht den Kopf, denn du würdest das Gleiche für ihn tun.“

„Aber…!“

„No.“

Vermouth trat einen Schritt zurück.

„Du kannst ihn nicht davon abhalten, zu tun, was er tun muss. Auch ich kann das nicht…“

Ran merkte, wie sie ärgerlich wurde, langsam.

„Was tun Sie dann hier? Wenn Sie uns nicht helfen können, was tun Sie dann…“

„Ran, ich sagte doch…“

„Nein!“

Trotz sprach aus Rans Blick.

„Sie sind Mitglied des Verbrechersyndikats, das Shinichi das alles angetan hat! Sie sind hier, sie arbeiten hier, sie haben dieses gleiche Gift genommen, Sie…! Und nun stehen Sie hier und sagen mir, dass er in sein Verderben rennt, wegen mir, und wollen mir nicht helfen! Wer sind Sie?! Macht Ihnen das Spaß, zuzusehen, wie…“

Rans Stimme war zu einem wütenden Zischen geworden, ihre Wangen vor Zorn gerötet. Sharon lächelte traurig.

„Verabscheue mich ruhig, du hast jedes Recht dazu, glaub mir. Aber ich…“

„Sie waren mein Idol.“

Ran flüsterte die Worte nur noch, aber die Schärfe und auch die Enttäuschung in ihrer Stimme waren deutlich zu vernehmen. Die ehemalige Schauspielerin schaute sie traurig an.
 

And you were my angel, dear…

But it’s not the time for idols and angels anymore…

At least not for me.

You’re someone else’s angel now.
 

Sharon drehte sich um, ging ohne ein weiteres Wort. Ran eilte ihr hinterher.

„Hey!“

Die Frau ignorierte sie, griff nach der Türklinke.

„Hey!!“

Vermouth drehte sich um.

„Sei so gut und tu was man dir sagt, hier. Mach ihm nicht noch mehr Schwierigkeiten, als er schon hat, und bitte – mach ihn nicht noch unglücklicher, als er schon ist, indem du ihnen einen Grund gibst, dich zu töten. Denn das werden sie – they’ll kill you, for sure. Just to see him crash on the floor. This issue is far bigger than you know. He… did know…”
 

Ran stand da, atemlos, starrte sie an.

„Und was… was soll ich dann tun?“

„Nichts, Ran. Du bist nicht in der Lage, zu handeln. Du… wirst warten müssen. Just wait. And hope. Pray. If there’s a god out there, willing to help you.“
 

Sie wandte sich ab, schloss die Tür hinter sich. Dann zückte sie ihr Telefon. Er musste davon wissen. Sofort.
 


 

Yukiko seufzte, schaute beklommen auf das unberührte Stück Toastbrot von heute Morgen. Sie waren so schnell aufgebrochen, dass Ran nicht mehr zum Essen gekommen war – mittlerweile war es trocken geworden, die Marmelade klebrig und zäh. Eine Fliege hatte den süßen Duft gerochen und war dabei, sich daran gütlich zu tun. Yukiko verzog das Gesicht.

Sie hasste Fliegen.

Und hier im Haus hatten sie gleich dreimal nichts zu suchen.

Unwirsch nahm sie den Teller, kippte das vergessene Frühstück in den Mülleimer, und versuchte dann, die Fliege mit einer Zeitung zu verscheuchen. Yusaku sah ihr von der Tür aus zu. Sie hielt inne, als sie den Ausdruck auf seinem Gesicht bemerkte, ließ den Arm sinken.
 

„Woran denkst du?“

Yusaku seufzte, rieb sich die Stirn.

„Ich weiß nicht. An vieles. Ich fürchte, an viel zu viele Dinge auf einmal.“

„Denkst du, es war eine gute Idee, ihn bei Kogorô und Ran zu lassen?“

Sie legte die Zeitung auf dem Tisch ab; die Fliege hatte sie völlig vergessen. Langsam ging sie auf ihren Mann zu, legte ihre Arme um seinen Oberkörper, schmiegte sich an ihn. Er zuckte mit den Schultern, ließ sein Kinn vorsichtig auf ihren Kopf sinken, holte tief Luft, atmete den Duft ihrer Haare ein.

„Ich weiß nicht.“, murmelte er dann langsam.

„Vielleicht… ich meine, er war ja doch lange da. Bei Kogorô und Ran. Im Prinzip sind sie für ihn zu einer zweiten Familie geworden.“

Er spürte, wie Yukiko nickte, genoss die Nähe, die er mit ihr teilte, und merkte doch, wie sich langsam ein bitterer Beigeschmack dazugesellte; ein leiser Pieks, den er schon immer gespürt hatte, aber in letzter Zeit immer bohrender geworden war. Sanft strich er ihr über den Rücken, merkte, wie sie ihn noch fester an sich zog, schluckte hart.

„Ich mach mir nur Sorgen… um seine Sicherheit. Aber ich denke, Kogorô passt auf, und die Polizei…“

Yukiko schloss die Augen, atmete langsam aus.

„Ich fürchte fast, Yusaku, egal wo er ist, wirklich sicher ist er momentan nirgendwo.“

Sie schaute auf. In ihren Augen stand Sorge.

„Aber wenn es ihm hilft, und vielleicht auch ein wenig Ran, dann…“

Er nickte nur, gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie schloss die Augen, seufzte. Sie hatte das vermisst, musste sie sich eingestehen; diese Nähe, diese Offenheit, dieses Gefühl, sich einfach fallen lassen zu können und gefangen zu werden.

Es tat gut, sich an ihn anzulehnen; er hatte ihr gefehlt, in diesen letzten Tagen.

Sie hob ihre Hand, berührte sein Kinn, schaute ihn aus klaren, blauen Augen an. Er biss sich auf die Lippen, kurz, legte seinerseits eine Hand an ihre Wange, strich mit dem Daumen über ihre Haut.
 

„Ich liebe dich.“, flüsterte er leise, seine Stimme klang belegt. Yukiko seufzte leise, strich mit ihrer Nasenspitze zart gegen seine Wange, griff nach seinem Kragen, zog ihn zu sich, langsam.
 

Dann zerriss ein Handyklingeln die Stille. Yusaku schloss die Augen, seufzte laut, ließ seine Stirn kurz gegen die seiner Frau sinken; dann löste er sich aus ihrem Griff, warf ihr einen bedauernden Blick zu, fischte sein Handy aus seiner Tasche, warf einen Blick aufs Display.

Dann räusperte er sich.

„Ich muss leider rangehen, Yukiko, du entschuldigst mich…?“

„Nein, tu ich nicht. Lass es doch klingeln.“, wisperte Yukiko. Er schüttelte den Kopf.

„Das geht nicht, es ist wichtig…“

„Wichtiger als ich…?“

Er starrte sie an.

„Yusaku?“

Unsicher warf er einen zweiten Blick aufs Display. Das Handy bimmelte hartnäckig weiter. Dann traf er seine Entscheidung; tief holte er Luft, und schaltete das Handy aus.

„Du hast Recht.“, meinte er leise.

„Du hast ja Recht…“

Sie lächelte ihn an, Erleichterung stand in ihrem Gesicht geschrieben, ein Anblick, der sein schlechtes Gewissen weckte. Eigentlich sollte sie sich seiner Liebe sicher sein; erst jetzt wurde ihm klar, wie sehr sein Verhalten in den letzten Tagen ihr Vertrauen in ihn ins Wanken gebracht hatte. Langsam atmete er aus, schloss die Augen, ließ sich fallen.
 


 

Sharon war kurz davor, das Handy wütend gegen die Wand zu schmettern.

„You damned fool!“, zischte sie wütend, funkelte das Telefon an.

„Was zur Hölle machst du?! Geh an dein Telefon!!“

Frustriert schnaubte sie, steckte dann ihr Handy weg. Es half nichts, der Teilnehmer war nicht erreichbar, wie ihm die freundliche blecherne Stimme seiner Mobilbox mitteilte.

Sie würde sich selbst Gedanken machen müssen, wie sie die beiden da raushauen konnte… nur leider, das musste sie sich eingestehen, standen die Chancen denkbar schlecht. Unwillig ließ sie sich in einen Sessel sinken, verfiel in angestrengtes Grübeln.
 


 

Heiji klapperte einen Tick zu laut für seinen Geschmack mit dem Geschirr, als er sich damit beschäftigte, Teller für das Essen zu suchen. Kogorô warf ihm einen leicht genervten Blick zu, den der Oberschüler tunlichst ignorierte; leider hatte sich Heiji ihnen angeschlossen, als Shinichi mit der Bitte bei ihm angekommen war, die Nacht bei ihm zu verbringen.

Er hatte seinen Wunsch nicht begründet, aber Kogorô wusste den Grund auch so; warum Heiji allerdings unbedingt mitkommen hatte müssen, war ihm schleierhaft.

Die Fahrt zurück nach Tokio war sehr bedrückt verlaufen. Sie alle hatten sich mehr von dieser Tour erwartet – einer wohl ganz besonders. Kogorô Môri warf dem jungen Mann neben sich einen nachdenklichen Blick zu. Shinichi war auffallend still geworden – noch stiller, als er sonst in letzter Zeit zu sein pflegte – nachdem sie wieder in den Bus eingestiegen waren. Auf seine Bitte, heute bei Ihnen schlafen zu dürfen, war er ohne großes Nachdenken eingegangen; es war klar, dass der Junge nach jedem Strohhalm griff, den er erreichen konnte, und Tatsache war, dass Conan den Großteil seiner Existenz bei ihnen gelebt hatte. Hier war er daheim gewesen, hier waren Erinnerungen zu finden, wenn überhaupt.

Nicht in seinem Zuhause, nicht in Shinichis Haus.

Und daher, das ahnte er, war die Wahrscheinlichkeit, dass Shinichi sich an irgendetwas wieder erinnerte, hier definitiv am Größten.
 

Nun saß er in der Küche, die Hände um eine Tasse Tee gelegt, die er ihm gemacht hatte. Ran lag seiner Aussage nach zu urteilen in ihrem Zimmer; Shinichi war kurz bei ihr gewesen, um nach ihr zu sehen, er selbst hatte nur einen Blick von der Tür aus ins Zimmer geworfen, hatte ihren Körper unter der Bettdecke ausgemacht.

Ran hatte es schwer, in letzter Zeit, die Sache nahm sie sehr mit.

Ein wenig Schlaf tat ihr sicher gut.
 

Môri setzte sich dem Oberschüler gegenüber an den Tisch, blickte in das bleiche, müde Gesicht, das sonst vor Entschlossenheit und Vitalität nur so sprühte; auch an ihm gingen diese Ereignisse nicht spurlos vorbei.

„Willst du… reden?“, murmelte er dann leise fragend. Shinichi blickte auf.

„Worüber?“, murmelte er langsam.

„Ich denke nicht, dass es etwas zu bereden gibt.“

Er verknotete seine Finger, biss sich auf die Lippen. Ihm ging nicht aus dem Kopf, was Gin zu ihm gesagt hatte.

Heute Nacht würde er zurückgehen, an den Ort, dem er das hier alles zu verdanken hatte – zu den Leuten, die ihm das hier angetan hatten.
 

Ihm war nicht wohl dabei.
 

Er hätte es gerne jemandem erzählt, aber er wusste, er spielte mit ihrem Leben, tat er das. Und so schwieg er, schüttelte stumm den Kopf, und begriff langsam, warum er all die Jahre geschwiegen hatte.

Er hatte nie eine Chance gehabt.
 

Wenigstens das weiß ich jetzt. Sehr tröstlich ist das allerdings nicht.
 

Kogorô drängte ihn nicht zum Reden, und dafür dankte er ihm im Stillen – und hoffte, er konnte ihm seine Tochter heil zurückbringen.

Ihn hier und jetzt anzulügen war Folter.
 

Und das soll ich jahrelang ausgehalten haben?

Hut ab.
 

Dann fuhr er hoch, als Heiji ihm geräuschvoll einen Teller vor die Nase knallte und die Tüte mit Fertiggerichten aus einem Restaurant auf den Tisch platzierte; nachdem sie den Nachmittag in fast schon erdrückender Stille verbracht hatten, hatte er sich dazu entschlossen, das Essen zu holen.

Er warf seinem Freund einen kalkulierenden Blick zu, als er die Tüte raschelnd auspackte und die kleinen Schachteln und Aluminiumblechbehälter wahllos auf den Tisch stellte. Shinichi hatte nicht sehr begeistert gewirkt und schien es auch jetzt noch nicht zu sein, dass er hier war; und das hatte ihn in seinem Entschluss nur noch bestärkt, hier zu bleiben. Er fiel auf einen Stuhl, ließ seinen linken Arm über die Lehne baumeln und taxierte seinen besten Freund.
 

Irgendwas is im Busch.

Irgendwas is passiert, im Wald, worüber du nich‘ sprechen willst.
 

„Essen is‘ fertig.“

Kogorô warf ihm einen Blick aus zusammengekniffenen Augen zu, zog dann wortlos eine Schachtel zu sich, griff nach einem Paar Essstäbchen und öffnete den Pappcontainer. Angewidert verzog er das Gesicht, hielt Heiji den Behälter unter die Nase, aus dem es einigermaßen streng roch.

„Ich schätze, deins.“

„Stimmt.“, Heiji grinste, griff nach der Schachtel und einem Paar eingetüteter Essstäbchen. Kogorô schüttelte den Kopf, griff sich einen Becher und puhlte den Deckel ab, brummte zufrieden und begann, Reis mit Gemüse und Fisch aus dem Aluteller in seinen Mund zu schaufeln.

Kogorô zog die Augenbrauen hoch.

„Und für was sind jetzt die Teller?“

Heiji schaute sinnierend auf das Essgeschirr.

„Nun, vielleicht mag jemand nicht aus der Schachtel ess’n. Dacht ich mir.“

„Aha.“

Kogoro schob sich den nächsten Bissen in den Mund. Shinichi seinerseits machte keinerlei Anstalten, sich ans Essen zu machen; so wie er aussah, dachte er nicht mal ans Essen, obgleich er den sich langsam ausbreitetenden, durchaus verführerischen Duft sicher riechen musste.

Heiji zog sich nachdenklich seine Mütze ins Gesicht.

„Wolln wir Ran wecken und fragen, ob sie was essen will…?“

„Nein!“

Kogorô und Heiji schauten auf. Die Antwort war ihnen etwas zu schnell gekommen – und Shinichi wusste das.
 

„Iiich…“, begann er langsam, seufzte dann, brach ab. Gedanken rasten durch seinen Kopf.

„Ich finde, wir sollten sie schlafen lassen.“, meinte er dann. Er rieb sich über die Augen, merkte, dass er selber eigentlich auch ziemlich müde war.

„Ich meine, essen kann sie immer, aber das mit dem Schlaf ist, fürchte ich, momentan so eine Sache…“

Kogorô schaute ihn an, überlegte.

„Wahrscheinlich hast du Recht.“

Er seufzte.

„Sie sah ziemlich fertig aus, heute Morgen. Ich muss gestehen, ich mach mir echte Sorgen.“

Der ehemalige Meisterdetektiv schaute Shinichi abwartend an. Der junge Mann kaute auf seiner Lippe, ließ seinen Kopf dann in beide Hände sinken, fuhr sich durch die Haare, sah nicht auf, als er sprach.

„Ich mir auch.“
 

Heiji, der immer noch damit beschäftigt war, sein Essen in seinen Mund zu schaufeln, hielt inne, sah ihn wachsam an.
 

Die erste Aussage an diesem Tag, die ich dir abkaufe.

Was is nur los?
 

Dann beobachtete er, wie Shinichi lustlos nach einem Karton griff, und ohne darauf zu achten, was es war, damit anfing, dessen Inhalt in seinen Magen zu befördern.
 

Er hatte Heijis skeptischen Blick genau gesehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von: abgemeldet
2012-08-15T23:58:20+00:00 16.08.2012 01:58
YEAH, NEUES KAPITEL!!
Moment
Ran wurde entfuehrt!
Entfuehrt, entfuerht, entfuehrt *panisch im Zimmer rumrenn*
Ne scherz
Ich hab mir schon beim letzten Kapitel gedacht, dass du sie verschwinden laesst.
Aber dieses KApitel ist mal wieder toll geschrieben
WUNDERTOLL
Hoffentlich durchschaut ihn Heiji. Er soll nicht nochmal in die Orgi >.<
Mit vieeeeeeeeeeeleb Lieben Gruessen
Reika (Dein ab sofort eingeschweisster Fan ^^)

Von: abgemeldet
2012-08-06T19:56:24+00:00 06.08.2012 21:56
Heiji hat so die Rolle des unberechenbaren Faktors XDD
Shinichi wird ihn wohl betäuben müssen, wenn er zu seinem unfreiwilligen Treffen mit Gin will XD

Ich bin gespannt, wie es weitergeht!

Liebe Grüße,
Puffie-chan
Von:  Kati
2012-08-06T13:29:24+00:00 06.08.2012 15:29
Uuuuh, das ist ja spannend :D Jetzt haben sie Ran und Yusaku ist nicht erreichbar :P bin mal gespannt wie das weiter geht, freu mich schon auf die Fortsetzung ;)
LG
Von:  traumherz
2012-08-06T13:05:51+00:00 06.08.2012 15:05
Hach, wieder mal ein super spannendes Kapitel. Dass sie jetzt Ran haben, ist natürlich ziemlicher Mist ... also für die Charaktere - zum Lesen ist es genial. Einfach super spannend. Und dann geht Yusaku auch noch nicht ans Telefon, oh mann ... mega spannend. Ich bin echt gespannt, wie das jetzt noch weiter geht und ob Ran gerettet werden kann, freue mich also schon sehr aufs nächste Kapitel.
Liebe Grüße,
traumherz
Von:  R3I
2012-08-06T11:59:20+00:00 06.08.2012 13:59
Yay, neues Kapitel! Hast uns ja ganz schön warten lassen! Warst wohl im Urlaub?
Aber egal, das Warten hat sich gelohnt! Das Imperium schlägt zurück! ^^ Und wie...
Jetzt kann die Action wieder beginnen! Bis zum nächsten!
lg R3I




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