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Amnesia

Wer ist man noch, wenn man sich selbst vergisst?
von

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Kapitel 24: Flashback

Hi Leute...
 

ich weiß, es dauerte wieder mal sehr lange, und das tut mir Leid. Ich bitte um Geduld mit mir, die Arbeit frisst mich momentan auf; ich vergess euch aber nicht, versprochen.

Viel Spaß beim Lesen,

beste Grüße,

eure Leira
 

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Kapitel vierundzwanzig: Flashback
 

Die Stille dehnte sich aus, mit jeder Sekunde, die sie länger wartete.

Ihr Zeitgefühl hatte sie schnell verloren, und daher hatte Ran auch keine Ahnung, wie spät es war. Sharon war seit ihrem Besuch nicht mehr aufgetaucht; stattdessen war Hidemi Hondo hier gewesen, hatte sich als Kir vorgestellt, ihr kurz erklärt, was Sache war – nämlich dass sie als Undercover-Agentin des CIA hier im Einsatz war, eine Tatsache, die sie doch einigermaßen erleichtert hatte, wusste sie jetzt wenigstens, dass sie hier nicht allein war – und ihr eine Flasche Wasser sowie etwas zu Essen gebracht. Lange war sie allerdings nicht geblieben; ihr war die Anspannung ins Gesicht geschrieben, offenbar ging es in der Organisation momentan hoch her.

Ran seufzte laut, ein gespenstisches Geräusch in diesem leeren Raum, in dem es so absolut und vollkommen still war.

Alles, was zu hören war, war ihr eigener Atem, und langsam kam ihr das Rauschen des Bluts in ihren Ohren unangenehm laut vor.

Sie warf einen frustrierten Blick auf den unberührten Teller vor sich; ein Sandwich, dass langsam vor sich hintrocknete; die Ränder des Schinkens wellten sich bereits, der Salat sah bei weitem nicht mehr so frisch aus, wie zu dem Zeitpunkt als ihr der Teller überreicht worden war.

Sie wagte nicht zu essen, fühlte keinerlei Appetitgefühl, obgleich ihr Magen langsam vor Hunger zu schmerzen begann und sie beständig angrummelte und -knurrte . Sie hätte doch das Frühstück noch hinunterwürgen sollen, heute Morgen, dachte sie bei sich – das Wasser war mittlerweile aber so gut wie leer.

Durst hatte sie dennoch.
 

Und so saß sie hier und wartete, gelehnt an die Rückwand ihrer Zelle, Conans Sachen an sich gepresst, atmete ein und wieder aus, ein und wieder aus… und dachte an ihn.

Nur an ihn.
 

Shinichi.
 

So harrte sie der Dinge, die da kommen würden.

Und kommen würden sie, soviel war gewiss.
 


 

Es war mittlerweile spätnachts.

Shinichi wurde zunehmend nervös; er teilte sich mit Heiji die Sofas im Wohnzimmer, und dieser Kerl wollte und wollte nicht schlafen gehen. Dachte gar nicht daran, sich endlich aufs Ohr zu hauen.

Der Oberschüler fluchte lautlos, überlegte fieberhaft, wie er diesen aufdringlichen Typen loswerden konnte. Kogorô hatte sich vor einer Stunde ins Bett verabschiedet; und Shinichi überlegte seither, wie er Heiji entwischen konnte.

Sich mal schnell auf die Toilette entschuldigen und ausbüchsen würde sicher gehen - optimal wäre aber, der Oberschülerdetektiv aus Osaka würde nicht sofort merken, dass das Objekt seiner Observierung verschwunden war, denn dann würde den Männern in Schwarz ein Vorsprung bleiben, bis sie ihn hier weggekarrt hatten… und damit waren sie wohl auch wohlwollender Ran gegenüber. Wenn ihnen allerdings bereits nach fünf Minuten die Polizei auf den Fersen war, könnte dieses Wohlwollen sich in Null Komma Nix in Luft auflösen.
 

Shinichi seufzte unterdrückt, versuchte, sich seinen Frust und seine Nervosität nicht anmerken zu lassen und zog eine rote Fliege aus der Schachtel, die ihm Kogorô in die Hand gedrückt hatte, um seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen; angeblich waren dies Conans alte Sachen.

„Sag mal, wozu soll das Ding denn gut sein?“, fragte er, hob die Fliege in die Höhe.

„Stimmentransposer.“, meinte Heiji, der kurz vom Skateboard, dass er einer näheren Begutachtung unterzogen hatte, aufsah und trat näher.

„Man verändert damit die Frequenz seiner Stimme. Damit hast du den Tonfall anderer Leute nachgeahmt, vor allem halt den Alt’n. Du hast ihn schlafen geschickt, dann mit seiner Stimme den Fall gelöst. Die sollt‘ eh voreingestellt sein.“

Er hob sich die Fliege an die Lippen; Shinichi zog die Augenbrauen hoch, wartete. Heiji stand auf, taumelte kurz theatralisch, ließ sich in einen Sessel fallen und schloss die Augen.

„Ich sage Ihnen, verehrte Anwesende, der Mörder is der Gärtner! Denn es is immer der Gärtner, weil es ihm am leichtesten fällt, seine Opfer unter die Erde zu bringen…“

Shinichi grinste kurz, stand dann auf und nahm ihm die Fliege weg, schüttelte gedankenverloren den Kopf.

„Was für ein Theater.“

„Das du bis zur Perfektion kultiviert hast.“

Heiji sah ihn ernst an. Shinichi erstarrte kurz, für Sekundenbruchteile; dann warf er ihm einen Blick aus den Augenwinkeln zu, sah dann nervös auf die Uhr. Er hatte vielleicht noch eine Viertelstunde, er musste hier weg.

Schnell.
 

Und Heiji am besten ablenken, beschäftigen, K.O.-Schlagen…
 

Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
 

„Und wie… wie hab ich ihn schlafen gelegt? Eins über die Rübe gezogen werde ich ihm als Knirps kaum haben…“

Heiji schaute ihn an; dann beugte er sich über die Schachtel, zog eine Uhr heraus. Shinichi zog die Stirn kraus.

„Warum liegt hier eine Uhr drin?“

Sein Freund schüttelte den Kopf.

„Nicht nur Uhr. Das ist ein Narkosechronometer. Da sind kleine Kügelchen drin, die einen für eine gewisse Zeit schlafen legen. Was meinste, wie du den Onkel zum Schweigen gebracht hast, damit du deine Show abziehen konntest? Mit dem Ding. Soweit ich weiß, muss man einmal hier drücken –“, er klappte die Zielvorrichtung aus, „und dann hier…“

„Zeig mal.“

Shinichi nahm ihm das Narkosechronometer aus der Hand, besah es sich genauer. Legte an, zielte auf den jungen Detektiv, der ihm gerade den Rücken zugewandt hatte.
 

Tja. Tut mir Leid, Heiji, aber du bleibst besser hier.

Ich hoffe, das Ding funktioniert wirklich.
 

Dann ging es ganz schnell.

Heiji hatte sich kurz umgedreht um aus der Schachtel die superelastischen Hosenträger herauszuholen, als er ihn spürte.

Einen kleinen Stich am Hals.

Er fuhr herum, warf Shinichi einen Blick zu, ungläubig, ehe er merkte, wie ihm die Beine ihren Dienst versagten.
 

Verdammt…! Wie blöd bin ich… die ganze Zeit weiß dich doch, dass er mich loswerden will, und ich…

… drück ihm das Mittel dazu noch in die Hand…
 

Shinichi griff nach Heijis Hand, bevor er umkippte, ließ ihn zu Boden sinken, langsam, damit er sich nicht verletzte und schluckte schwer. In ihm wühlte das schlechte Gewissen, als er ihn bewusstlos vor sich auf dem Boden liegen sah.
 

Aber du hättest mich nicht gehen lassen. Und alles andere wäre unverantwortlich gewesen… gegenüber dir, und gegenüber Ran.
 

Es tut mir Leid.

Du… scheinst ein wirklich guter Freund zu sein…

Nur manchmal solltest du nachdenken, bevor du redest, Heiji.
 

Ein letztes Mal warf er einen bedauernden Blick auf den jungen Mann zu seinen Füßen, dann löschte er das Licht, verließ das Haus lautlos.

Keiner bekam mit, dass er verschwunden war.
 

Als er schließlich in der Straße ankam, sah er den Wagen schon von weitem, der schwarze Porsche war nicht zu übersehen – auch wenn es finstere Nacht war. Er stand genau unter einer Straßenlaterne und tat das, was ein Porsche zu tun pflegt – nämlich die Blicke anderer auf sich zu ziehen, in diesem Fall seine eigenen.

Shinichi schluckte, merkte, wie in ihm alles zu Eis gefrieren schien. Angst manifestierte sich in ihm, schien sich auf wundersame Weise in seinen Füßen zu sammeln, die bleischwer wurden, ihn am Gehen hinderten, als er sich langsam auf das Auto zubewegte.

Er fühlte sich, als ob er durch Wasser waten würde.
 

Als er noch ungefähr zwei Meter vor dem Auto stand, blieb er stehen. Er sah, wie sich die Tür öffnete und der kurze, gedrungene Mann ausstieg, der vor ein paar Tagen mit Gin schon in seinem Krankenzimmer gestanden hatte. Er öffnete die Tür zum Fond, wortlos, und bedeutete ihm lediglich mit einem kurzen Nicken einzusteigen - nicht allerdings, ohne ihm zuerst die Hände auf den Rücken zu fesseln.

Shinichi sagte zu alledem nichts, ließ sich widerstandslos auf die Rückbank verfrachten.

Gin, der auf dem Fahrersitz saß, wandte sich um, lächelte.
 

„Sehr brav.“

Shinichi warf ihm einen kalkulierenden Blick zu, kämpfte sich in eine aufrecht sitzende Position.

„Was ist mit Ran?“

Der Oberschüler bemühte sich um eine feste Stimme, merkte er doch, wie sich sein Hals auf einmal wie ausgetrocknet anfühlte; er schaffte es jedoch, zu seiner Genugtuung, den Satz einigermaßen bestimmt zu äußern, sich seine Schwäche nicht anmerken zu lassen.
 

„Es geht ihr gut. Noch.“

„Und warum sollte ich das glauben?“

„Warum fragst du, wenn du uns ohnehin nicht glaubst?

Gin lachte leise, zündete sich eine Zigarette an. Vodka grinste, soviel sah Shinichi im Spiegelbild, das der Hüne auf die Frontscheibe warf. Er biss sich auf die Lippen, ärgerte sich über seine eigene Unbedachtheit.
 

„Aber wenn es dich tröstet, du wirst Gelegenheit bekommen, sie zu sehen.“

Shinichi schaute ihn an, sagte nichts. Die Vorfreude in Gins Stimme konnte nichts Gutes bedeuten und sprach genauso deutliche Worte wie die Tatsache, dass man sich nicht die Mühe machte, ihm die Augen zu verbinden; es war egal, dass er den Weg, den sie fuhren sah. Er würde die Gelegenheit zur Flucht nicht bekommen.

Wahrscheinlich überlebte er nicht einmal mehr diese eine Nacht.

Es spielte also keine Rolle, ob er nun wusste, wo das Hauptquartier lag, oder nicht – er würde nicht mehr dazu kommen, es jemandem zu erzählen.
 

Langsam sank er mit der Stirn gegen die Scheibe, schloss die Augen, spürte den Rhythmus seines eigenen Atmens und seufzte.
 

Nun, vielleicht fällt es leichter, zu sterben, wenn man ohnehin kein Leben hat, dem man nachtrauern kann…
 


 

Sharon ihrerseits tickte fast aus, etwas, das ganz und gar unüblich für sie war. Seit Stunden versuchte sie nun, diesen Kriminalschriftsteller zu erreichen, aber der gnädige Herr hatte sein Handy ausgeschaltet. Sie seufzte, strich sich unwillig eine blonde Strähne aus dem Gesicht.

Sie befand sich am Fenster im Konferenzraum, der in vollständiger Finsternis lag, um nur keine Aufmerksamkeit zu wecken; sie hatte diesen Platz gewählt, weil man hier am ehesten sah, wenn jemand ankam, der Ausblick führte genau auf die Parkplätze heraus. Abgesehen davon, dass die Aussicht perfekt war, hatte sie sich aber auch aus einem ganz anderen Grund für diesen Ort entschieden – hier drin fand und vermutete sie keiner. Hätte sie draußen am Gang gewartet, hätte man sich Gedanken gemacht, was sie da tat, warum sie hier war; hier drinnen jedoch entging ihr seine Ankunft nicht, und nebenbei blieb sie unbemerkt.
 

Dann zog der schwarze Porsche, der gerade einbog, ihre Aufmerksamkeit auf sich.
 

So it’s time now.

The game has started…
 

Sie wusste, was nun passieren würde. Ran war bereits im Verhörraum; mit Shinichi würde man sich unterhalten, ehe man ihm das Schauspiel vorführen würde.
 

Langsam drehte sie sich um, verließ das Konferenzzimmer. Sie würde jetzt warten müssen – warten, bis man sie rief.

Und das würde man.

Sicher.
 

Shinichi stolperte über die Schwelle hinein in das große Firmengebäude; sie führten ihn vorbei an der Pforte, wo ein grimmig aussehender, ebenfalls ganz in schwarz gekleideter Pförtner saß und ihnen nur kurz zunickte.

Dann ging es weiter durch eine Reihe weiß gestrichener, mit grauem Linoleum ausgelegter Gänge; sie sahen alle gleich aus. An den Seiten links und rechts die gleichen hellgrauen Türen, mit den gleichen verchromten Türklinken, hin und wieder ein Mann oder eine Frau in Schwarz; selbst sie sahen gleich aus in ihrer Kluft.

Ab und an ging es eine Treppe bergauf oder bergab, oder durch eine Glastür, die sich vor ihnen öffnete und hinter ihnen schloss – und er war sich sicher, dass sie nur von einer Seite zu öffnen war.

Er ertrug das alles mit stoischer Gelassenheit. Zu schreien und sich zu wehren machte keinen Sinn; er war ihnen unterlegen, und unter Umständen ließ man den Unmut, den sein Ungehorsam verursachte, an Ran aus.

Er presste die Lippen zusammen.
 

Ran.
 

Im Wohnzimmer der Môris kam Heiji stöhnend wieder zu Bewusstsein, fühlte sich, als hätte ihn gerade ein Bus mit Vollgas überrollt. Allerdings brauchte sein malträtiertes Hirn keine fünf Sekunden, um zu rekonstruieren, was passiert war.
 

„VERDAMMT!“

Er rappelte sich hoch, machte sich nicht die Mühe, nach ihm zu suchen; es war klar, dass der Schuss aus dem Narkosechronometer kein Versehen gewesen war. Shinichi hatte ihn gezielt ausgeschaltet, um sich aus dem Staub zu machen. Die Frage war nur, warum; und wohin.
 

Irgendwas is in diesem blöden Wald passiert - wahrscheinlich hat er diese Männer getroffen, und wir haben mal wieder nix mitgekriegt – und der Vollidiot sagt nix, weil er wieder den Helden spielen muss, dieser… dieser…
 

Er rannte zu Kogorô ins Zimmer, riss die Tür auf, klatschte mit der flachen Hand auf den Lichtschalter, nestelte mit der anderen Hand in seiner Hosentasche, um sein Handy aus der engen Tasche zu ziehen.

Kogorô blinzelte ihn aus verschlafenen Augen an.

„Verdammt, Heiji, ich reiß dir den Kopf ab… was ist denn los?!“

„Shinichi is weg.“

Heiji hielt sich nicht mit den Details auf.

„Er hat mich mit der Narkoseuhr lahmgelegt und is weg. Ich geh Ran wecken, und ich ruf die Polizei, ziehn Sie sich an, Herr Môri, es eilt! Wer weiß, was…“

Mehr brauchte er nicht sagen. Kogorô fiel regelrecht aus seinem Bett, verhedderte sich in der Bettdecke, stürzte der Länge nach hin und stand unflätig fluchend wieder auf. Worin genau der Inhalt dieser Flüche bestanden hatte, interessierte Heiji nicht genauer; er hatte sein Handy in der Hand und die Nummer der Polizei gewählt, stand nun vor Rans Tür und klopfte.

„Ran?“

Keine Antwort.

Heiji seufzte, merkte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Eigentlich hatte er nicht vor, einfach so in das Zimmer eines Mädchens zu spazieren. Und so klopfte er nochmal, lauter.

„Ran!? Ran, wach auf!!“

Wieder keine Reaktion.

Er seufzte; dann drückte er die Klinke runter und öffnete die Tür einen Spalt weit, drückte den Lichtschalter sachte runter.

„Ran?“

Langsam wurde er unruhig. Er ließ seine Bedenken fahren, trat ins Zimmer, ging sachte und auf Zehenspitzen zum Bett, um sie nicht zu erschrecken –

Und begann lautstark zu fluchen, wobei er Kogorô in Sachen unflätiger Ausdrücke noch überbot.

„VERDAMMT!!!!“

Er riss die Decke vom Bett, und sah, was sich darunter verbarg; eine sorgsam geformte Silhouette aus Kleidern und Kissen.

Dann merkte er, wie jemand da Zimmer betrat, drehte sich um. In der Tür stand Kogorô, kreidebleich auf das Bett starrend.

„Mein Gott, ist sie mit ihm mitgegangen? Ich bring den Kerl um, wenn…“

Heiji schüttelte den Kopf.

„Nicht mitgegangen, Onkelchen. Verstehn se nich? Wir warn die blöden… selbst wenn er nicht er selbst ist, spielt er so überzeugend Theater, dass man ihm die Rolle abkauft…“

Kogorô lehnte sich gegen den Türrahmen, als er verstand.

„Sie war nie da.“

„Nein, war se nich.“

Heiji schüttelte den Kopf, ließ die Decke zu Boden gleiten.

„Mein Gott, wie blöd waren wir. Wie blöd! Wie dumm, wie dämlich, wie…“

Er trat wütend nach der Decke, drehte sich um.

„Die müssen ihre Tochter im Wald entführt haben. Und ihm haben se’s gesagt, und mit ihm ausgemacht, dass er sich stellen soll. Jetzt. Also vor ein paar Minuten oder so.“

Heiji drehte sich um, ging an Kogorô vorbei mit unfokussiertem Blick nach draußen, sinnierte vor sich hin, schien mit sich selbst zu sprechen.

„Gleich mitnehmen konnten sie ihn nich, weil dann hätten wir Wind davon bekommen und sie geschnappt. Wir warn ihnen da ja sehr nahe… also haben sie sie mitgenommen, ihn instruiert, uns diese Scharade vorzuspielen, und nachzukommen… und er hat’s gemacht. Und ich hab mir noch gedacht, dass irgendwas nich stimmt, aber anstelle, dass ich ihn genau beobachte, lass ich mich ausknocken von ihm! Verdammt! VERDAMMT, VERDAMMT, VERDAMMT!!!“
 

Kogorô strich sich übers Gesicht.

„Mausebein…“, murmelte er nur leise. Heiji warf ihm einen kurzen Blick zu. Dann ließ er den Kopf sinken, blickte auf das Handy in seiner Hand.

„Ich ruf die Polizei. Die sollen dem FBI auch gleich Bescheid sagen. Vielleicht…“
 

Der ehemalige schlafende Meisterdetektiv warf ihm einen eher hoffnungslosen Blick zu.
 


 

Man hatte ihm die Fesseln abgenommen. Und nun stand er hier, vor ihm saßen drei Herren in grauen Anzügen.
 

Nicht schwarz. Hm.

Anscheinend sind die was Besonderes.
 

Absinth starrte ihn hämisch grinsend an.

„Hallo, Armagnac. Wie schön, dich doch noch einmal in unserer Runde willkommen zu heißen – nachdem du dich so unehrenhaft und unangemessen von uns verabschiedet hast…“

Shinichi starrte ihn an, zog die Augenbrauen hoch.

„Genau genommen hast du dich ja gar nicht verabschiedet. Du hieltest es wohl nicht für nötig, uns Lebwohl zu sagen. Wie soll ich das bloß finden?“
 

Shinichi verdrehte die Augen kurz.

„Und Sie sind…?“

Absinth grinste.

„Absinth… und ich denke, den Namen wirst du kein zweites Mal vergessen.“

Er lehnte sich entspannt zurück. Shinichi hingegen zog die Augenbrauen hoch.

„Lassen Sie mich raten – die Zeit, die ich noch lebe, wird zu kurz sein, um irgendetwas zu vergessen.“

Absinths eisblaue Augen blitzten amüsiert.

„Ich sehe, du schaffst es noch immer, die Sachen auf den Punkt zu bringen. Eigentlich wäre dein Gedächtnisverlust eine unschätzbare Chance gewesen… dich doch noch umzudrehen… nur leider fanden dich die falschen Leute zuerst…“

Shinichi lächelte spöttisch.

„Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen. Selbst wenn Sie mir erklärt hätten, dass Sie mein Vater wären und ich hier aufgewachsen wäre, schätze ich, hätten Sie sich die Zähne daran ausgebissen an der Aufgabe, aus mir einen Verbrecher zu machen.“

Er starrte den Mann an, blinzelte nicht.

Absinth war das Lächeln auf den Lippen gefroren. Er tauschte einen kurzen Blick mit seinen Mitgliedern aus; dann gewann er seine Souveränität zurück.

„Sprich nicht über deinen Vater, solange du ihn nicht wirklich kennst… Detektiv.“

Er stand auf.

„Aber deswegen sind wir nicht hier. Wir wollten dir ja, da du so brav und gehorsam, wenn auch ein wenig vorlaut warst, den letzten Gefallen gewähren, dein Mädchen zu sehen…“

Shinichi fuhr hoch.

„Ich hoffe von hinten, wie sie aus diesem Bau rausspaziert!“, meinte er bissig.

Rum lachte dunkel, während Cachaça ein leises Kichern entschlüpfte. Shinichi warf ihm einen angewiderten Blick zu.
 

„Ich fürchte, ganz so großzügig wird unser Geschenk an dich und sie nicht ausfallen.“
 

Shinichi starrte ihn an. Es überraschte ihn nicht; eher im Gegenteil. Allerdings, und das musste er sich eingestehen, hatte er doch gehofft, wenigstens ihr Leben retten zu können.

Wenigstens ihrs.
 

Hass stieg in ihm hoch. Seine Blicke kreuzten die Absinths, der nur noch breiter lächelte.
 

„Schau mich nicht so böse an, Detektiv… es ist nicht meine Schuld. Du hättest dich nicht mit uns anlegen sollen… du nicht, und jemand anders auch nicht.“

Er lehnte sich zurück, entspannt, ungeheuer zufrieden mit sich selbst.

„Los, führt ihn ab. Er soll es sehen. Und dann – dann knallt ihn endlich ab, ich kann seine Visage nicht mehr ertragen.“
 

Damit zerrte Gin ihn an seinem Arm hoch, raus aus der Tür. Hinter Shinichi ging Vodka, hatte eine Pistole gezückt und presste sie ihm in den Rücken.
 

Sharon stand am anderen Ende des Gangs, als die Tür aufging, und man ihn abführte. Sie wusste, wohin sie unterwegs waren, und wollte ihnen gerade folgen, als ihr Handy leise piepte. Eine SMS war eingegangen.

Sie zückte das Handy, klappte es auf, las die Mitteilung, und merkte, wie ihre Hände kalt wurde, fast schon zitterten.
 

Folgender Teilnehmer ist wieder erreichbar: Cognac
 

Sie drückte sich um die Ecke, wählte die Nummer und lauschte atemlos dem Freizeichen.
 

Yusaku zuckte zusammen, als sein Telefon losbimmelte, gerade, als er es wieder eingeschaltet hatte. Eigentlich wollte er gerade eine Tasse Kaffee kochen und sich überlegen, wie er weiter vorgehen sollte in dieser Geschichte. Er hob das Telefon an, nahm den Anruf entgegen, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Yukiko außer Hörweite war.

„Vermouth. Was ist?“

„Why on earth have you switched off your phone, you goddamned…”

“Vermouth. Was. Ist. Los?“
 

Sie verdrehte die Augen kurz, holte tief Luft und riss sich am Riemen.

„Mein lieber Yusaku, ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber ich habe heute schon öfter als einmal versucht, dich zu erreichen – hier brennt nämlich grad die Hütte. Heute Vormittag haben Gin und Vodka im Wald Ran entführt, und…“

Yusaku wurde bleich.

„Bitte, was?“

Sharon merkte, wie Wut und Ärger in ihr wieder hochkochte.

„Hättest du mich nicht aufgelegt heute Mittag, dann wüsstest du das längst! Idiot!“

Ihre Stimme war auf ein leises Zischen herabgesunken.

„Und nun darfst du raten, wen sie damit erpresst haben…“
 

Yusaku schloss die Augen.

„Shinichi.“

„So ist es.“

Sharon schluckte, merkte, wie ihre Sorge ihren Zorn langsam vertrieb.

„Mein Gott, ich muss zu Kogorô. Er ist…“

„…hier, Yusaku. He’s just arrived. You’re far to slow… er ist hier, und sie haben sich gerade mit ihm unterhalten. Ich nehme an, sie werden ihn jetzt teilhaben lassen, wie Ran auf das Wahrheitsserum reagiert, und dann… dann werden sie ihn töten. Und sie auch.“

Yusaku legte wortlos auf.

Dann begann er zu laufen.
 

Shinichi fand sich in einem kleinen, weißen Raum wieder, der auf einer Seite eine große Glasscheibe hatte, die den Blick auf ein weiteres Zimmer freigab.
 

Wie diese Verhörräume auf dem Polizeirevier…
 

Er verzog das Gesicht, als er sah, wer ihm gegenüber saß.
 

Ran.
 

Irgendwie kam ihm die Szene seltsam bekannt vor… als er sie sah, wie sie da saß, in diesem weißen Raum, an einem Tisch, vor ihr Absinth, der gerade den Raum betreten hatte, mit einer Ampulle in der Hand.

Shinichi begann langsam zu schwitzen. Er ahnte, dass in der Ampulle nichts Gutes sein konnte. Neben ihm stand Rum; sein aufdringliches Aftershave biss ihn in die Nase.
 

„Was wollt ihr denn von ihr noch? Sie…“, begann der junge Detektiv, schaute den Mann neben sich dabei nicht an; er beobachtete seine Reaktion anhand der Spiegelung in der Scheibe.

„…weiß auch einiges, das uns von Nutzem sein könnte.“

Rums Stimme war tief und sonor wie sein Lachen.

„Sie kennt dich gut, und sie hat, wie wir denken, einen guten Einblick bekommen in dein Leben der letzten paar Jahre… deswegen werden wir sie jetzt fragen, was sie weiß. Du lässt uns keine Wahl, nachdem du es uns vor ein paar Tagen nicht sagen wolltest…“, er drehte sich zu Shinichi, sah ihm gelassen in die Augen, „und uns jetzt nicht sagen kannst.“
 

Shinichi merkte, wie in ihm der Hass wieder hochkochte, begann, sich zu winden, wollte seine Hände aus den Fesseln ziehen, was nur zur Folge hatte, dass Vodka und Gin ihn fester griffen.
 

Shinichi schluckte, merkte, wie sein Atem immer schwerer wurde, ihm irgendetwas die Luft abschnürte. Er starrte sie nur an, ihr bleiches Gesicht, wohl wissend, dass sie nicht reden würde, egal was man ihr antun würde… und wohl wissend, dass ihr ihr Schweigen nichts nützte, weil er bereits hier war. Sie konnte ihn nicht mehr schützen. Das hier war nur Folter. Folter für sie, die so unnütz diese Schmerzen ertragen wollte und für ihn, der es mit ansehen musste, wie sie litt.
 

Und dann würde sie sterben.

Diese Tatsache brachte ihn fast um den Verstand.
 

Mein Gott, wie konnte es nur soweit kommen…? Wie konnte das passieren, ich kann es nicht glauben…

Wie kann ein einzelner Mensch nur so viel Mist bauen, das ist doch nicht möglich…
 

So kann es doch nicht enden -
 

Ran ihrerseits versuchte ruhig zu bleiben, und merkte doch, wie schwer der Kampf um ihre Selbstbeherrschung war. Sie hatte Angst. Ganz entsetzliche, ihr Denken lähmende, ihr Herz gefrierende Angst. Dieses Gefühl hatte sie fest in seinen eiskalten Klauen.

Vor ihr hatte ein Mann Platz genommen, den sie noch nie gesehen hatte und lächelte sie auf die unsympathischste Weise an, die sie sich vorstellen konnte.
 

„Hallo, Ran.“

Sie sparte sich die Antwort, starrte ihn nur an. Er legte eine Spritze vor sie auf den Tisch, lächelte immer noch. Beobachtete, wie ihre Augen seinen Bewegungen folgten, die Spritze fixierten.

Und die Angst griff noch fester zu.

Dann fasste sie sich, hob den Kopf.

„Was ist mit Shinichi?“
 

Ihm rann ein Schauer über den Rücken, als er ihre Stimme hörte. Unverwandt starrte er sie an, vergaß sogar, dass er sich wehren wollte. Schaute sie nur an, merkte, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug, verfluchte sich, der ihr das eingebrockt hatte.

Dann riss Absinths Stimme ihn aus seinen Gedanken, und er verfolgte das Geschehen wieder mit vollster Aufmerksamkeit.
 

„Es geht ihm gut, noch. Wenn es dich interessiert, er steht hinter dieser Glasscheibe und kann uns in diesem Moment sehen – auch wenn du ihn nicht siehst. Diese Scheibe funktioniert wie die dir wahrscheinlich bekannten Fenster in den Verhörräumen der Polizei.“

Sie schluckte.

„Woher soll ich wissen, dass sie die Wahrheit sagen?“

„Ah, du bist genauso misstrauisch wie er. Aber gut.“

Absinth lächelte; dann schnippte er kurz mit den Fingern, und die Scheibe wurde klar.

Ran fuhr hoch, so heftig, dass ihr Stuhl umkippte. Sogleich war hinter ihr ein Mann in Schwarz zur Stelle und drückte sie wieder auf ihren Stuhl. Sie musterte ihn; er war blass, seine Augen jedoch unverwandt auf sie gerichtet, unfähig, irgendetwas zu sagen. Das Schuldbewusstsein in seinem Gesicht sprach jedoch Bände.

Sie schluckte, lächelte matt.

Er würde mit ihr tauschen, sofort, wenn er das könnte.

Soviel wusste sie.

Sie würden beide sterben… und sie ahnte, soviel wusste er auch.
 

Absinth winkte kurz und die Scheibe wurde wieder dunkel, und alles was Ran noch sah, war ihr eigenes, blasses Gesicht, dass sie mit großen, blauen Augen ansah.

Sie biss sich auf die Lippen, seufzte. Es war offensichtlich gewesen, dass er sich immer noch nicht erinnerte; aber allein, dass er da war, beruhigte sie irgendwie – auch wenn sie ihn viel lieber meilenweit von hier entfernt gewusst hätte.
 

Shinichi stand auf der anderen Seite der Scheibe, merkte, wie er innerlich zu kapitulieren anfing und hasste sich dafür.

Er hatte den Karren gegen die Wand gefahren, es so dermaßen vergeigt, dass eines gewiss war; es gab keinen Weg mehr zurück, und nach vorn ging’s erst recht nicht.

Aber aufgeben sollte er doch nicht – eigentlich wollte er es auch gar nicht. Allein die Idee fehlte ihm, was er tun konnte.

Er drehte seinen Kopf, starrte Gin und Vodka kurz an. Sie waren allein in diesem Zimmer, außer ihnen dreien und Rum war keiner hier.
 


 

Er fuhr wie ein Verrückter.

Yusaku war ohne nachzudenken aus dem Haus gestürmt, hatte sich hinters Steuer gesetzt und war losgefahren; er hoffte, er kam noch rechtzeitig.

Rechtzeitig wofür wusste er allerdings noch nicht; er hatte keine Ahnung, was er tun würde, wenn er angekommen sein würde. Aber irgendetwas musste er tun, soviel war klar.

Regen hatte eingesetzt, peitschte ihm entgegen; der Scheibenwischer arbeitete ohnehin schon auf Hochtouren, kam den Wassermassen aber dennoch kaum mehr nach. Als sein Auto dann ins Schwimmen geriet aufgrund von Aquaplaning, musste er sich zwingen, vom Gas zu gehen.
 

Es brachte nichts, wenn er verunglückte.
 


 

Sharon betrat das Verhörzimmer, leise. Ran drehte sich um, fing ihren Blick, kurz. Dann wandte sie sich wieder dem Mann zu, der ihr gegenübersaß, und dessen Lächeln immer noch wie festgemeißelt auf seinen Lippen ruhte.

In diesem Moment verbreiterte es sich jedoch, als er die Injektionsnadel zückte; ein Lichtblitz hüpfte über kaltes Metall, Rans Augen wurden groß, als sie sich auf das Folterinstrument in der Hand dieses Mannes hefteten.
 

Folter.
 

Shinichi schluckte, er fühlte miserabel, merkte, wie sich sein Herzschlag fast unerträglich beschleunigte, wie ihm der Schweiß aus allen Poren brach, ihm fast schwarz vor Augen wurde. Er versuchte mit aller Macht, dieses Gefühl zurückzudrängen und beobachtete weiterhin angestrengt die Szene, die sich in dem kleinen Raum vor seinen Augen abspielte.
 

„Nun, Ran. Bevor wir euch beide gemeinsam in einen anderen Daseinszustand versetzen…“

Er lehnte sich entspannt zurück, wippte die Nadel sachte in seinen Fingern.

„…möchte ich nun doch noch sehen, ob wir dem Gedächtnis deines Freundes nicht auf die Sprünge helfen können. Gedächtnisforschung und Medizin sind meine Steckenpferde, weißt du… und genau in dieser Situation in diesem Raum befand auch er sich, vor gar nicht so langer Zeit. Hier fing es an, für ihn. Hier hat er uns seine Treue geschworen… im Austausch für dein Leben. Er hat seinen Schwur gebrochen, und damit… muss er mit den Konsequenzen leben. Oder sterben, vielmehr.“

Ran schluckte schwer, unterdrückte einen Würgereiz.

„Ich denke aber, es wäre nur fair, wenn er weiß, warum er sterben muss. Und warum er mitansehen muss, wie du stirbst. Dafür aber… brauche ich deine Hilfe, meine Liebe…“
 

Er ergriff ihren Arm. Ran schauderte, wollte ihn wegziehen, merkte, wie jemand hinter sie trat und ihre Arme festhielt.

Sie starrte auf die Nadel, die sich genussvoll langsam ihrem Unterarm näherte, konnte ihre Augen nicht mehr davon abwenden, merkte, wie sie zu zittern anfing und nun echte, nackte Angst in ihr hochstieg, ihr Denken benebelte und die Steuerung übernahm.

Sie begann sich zu winden, zu zappeln, versuchte, ihren Arm zu befreien, schrie.
 

Shinichi starrte unverwandt auf die Szene, die sich ihm bot, merkte, wie er den Kampf gegen die Übelkeit und Ohnmacht zu verlieren drohte.

Kurz schwindelte ihm, dann überdeckte sich das Bild des Raumes mit einem anderen Bild… einer Erinnerung.

Zuerst nur flackernd, wie ein Wackelkontakt in einer Lampe.
 

Dann war es da, deutlich und irreal scharf.

Und er ahnte, dass es kein normales Gefühl von Übelkeit war. Und auch keine drohende Ohnmacht, die ihn überwältigen wollte.

Ein fast schon familiäres Pochen in seinem Schädel stellte sich ein, als das Bild sich entwickelte, sich die Szene bewegte, Laute an seine Ohren drangen, stechend schrill zuerst, dann immer verständlicher.
 

Es war alles gleich…

Nur eines nicht.

Die Person am Tisch war nicht Ran.

Nicht Ran, sondern…
 

Er selbst.
 

Und dann war es vorbei mit ihm. Er kollabierte, schrie auf, wollte sich an den Kopf greifen, als immer mehr Bilder auf ihn herein zu brechen begannen, auf ihn einstürzten wie die Fluten eines Stroms bei Hochwasser, ihn fast mit sich rissen.
 

Wer ist Sherry? Wieviel weiß das FBI?
 

Er sah sich in diesem Raum, hörte die Fragen… spürte Schmerzen in seinen Gliedern, wusste, sie rührten vom Verhör. Er hörte Stimmen und Geräusche, kaum zu unterscheiden, ein Gewirr von Wörtern und Sätzen, die wieder zurückzufallen schienen, in all die sprichwörtlichen Schubladen und Fächer in seinem Kopf.
 

Er wusste wieder, warum er eingetreten war in diese Organisation, er wusste, wie es so weit gekommen war, er erinnerte sich daran, wie er Gin und Vodka das erste Mal begegnet war in dieser Achterbahn, und was nach seiner Schrumpfung passiert war. All die Fälle, all die Gesichter; all die Leute, die er vergessen hatte, der Professor, die Kinder, Ai, Heiji…

Kogorô, seine Eltern.
 

Er erinnerte sich an diesen Campingausflug, an diese rothaarige Hexe, die ihn belauscht hatte, und ihn dann überwältigt und ins Hauptquartier gebracht hatte.

Er wusste wieder, worum es in diesem Telefongespräch gegangen war.
 

Dieses verfluchte Gespräch…
 

Shinichi keuchte, krümmte sich, wollte sich den Kopf halten, und konnte es doch nicht, weil seine Hände immer noch hinter seinem Rücken gefesselt waren.

Er sah diese Nacht vor seinen Augen, in dieser Gasse. Dieser Kerl mit dem Falschgeld – er hörte ihn wimmern, konnte ihn vor sich im Dreck der Straße kriechen sehen. Er vernahm Gins hämische Kommentare, den Befehl ihn zu töten; er erinnerte sich an die Polizei im Auto, ganz wie Meguré es erzählt hatte.

Und er wusste, dass er nicht geschossen hatte.
 

Er wusste auch, warum.
 

Der Gang in sein Büro, dieses quälende Gespräch, diese Enttäuschung, dieser Schmerz, diese Wut… Bilder flackerten in seinem Kopf auf, Bilder von einem Büro, seinem Vater und Vermouth…

Und wieder sein Vater, der versuchte, sich zu erklären, sich zu rechtfertigen, irgendwie...
 

Vater...
 

Überdeutlich stand ihm die Szene vor Augen, als er aus den Schatten trat, in seinem Büro. Er konnte den leicht muffigen Geruch des alten Teppichs riechen, und Sharons Parfum, die neben ihm gestanden hatte, als...
 

Wie konntest du nur?
 

Und die Flucht. Der Regen, der Schuss, der Sturz...
 

Er wusste wieder, wer er war.

Wer sie war.
 

Ran.
 

Und das Gefühl, das er mit dem Gedanken an sie verband, riss ihm fast das Herz aus der Brust.

Er hatte gewusst, dass er sie liebte… aber was er tatsächlich fühlte für dieses Mädchen hatte er nicht ermessen können.
 

All das und noch viel mehr war wieder da, alles, sein ganzes Leben zurückgekehrt in Bruchteilen einer Sekunde - und es kostete ihn fast den Verstand.

Dass er ihn nicht komplett verlor, hing nur mit einem Umstand zusammen… der Person im Raum hinter der Scheibe.

Ran.
 

Er durfte ihr nichts antun.
 

Wenn das Zeug in der Spritze wirklich Wahrheitsserum war…
 

„NEIN!“

Er schrie, bäumte sich auf, als er wieder einigermaßen Herr über seinen Körper wurde und zerrte an seinen Fesseln, wollte sich losreißen, trat um sich.

„NEIN!!! Lasst die Finger von ihr! Absinth! Lass sie in Ruhe!“
 

Der Mann im Raum hinter dem Glas schien ihn gar nicht zu hören.
 

Shinichi wurde fast wahnsinnig, als er sah, wie sich die Spritze dem Arm seiner Freundin immer mehr näherte.

Er überlegte fieberhaft; er kam nicht los, die beiden hielten ihn zu fest, amüsierten sich hörbar über ihn. Gin lachte, und Shinichi fragte sich, wie er dieses Gelächter je hatte vergessen können. Ein Schauer rann ihm über den Rücken, als er atemlos innehielt, sich ein Gedanke in seinem Kopf formulierte.

Vielleicht…
 

Shinichi drückte sich ruckartig gegen Gin, griff nach hinten, bekam seine Pistole an seinem Gürtel unter seinem Mantel zu fassen, entsicherte sie hinter seinem Rücken und drückte ab.
 

Die Kugel schoss geradewegs in den Fußboden, aber der Lärm war ohrenbetäubend.
 

Gin ließ ihn kurz los, versuchte dann ihn wieder zu überwältigen, aber Shinichi tritt um sich, stieß gegen ihn und Vodka, der ins Straucheln geriet, seinerseits gegen Rum fiel, der von den Ereignissen völlig überrumpelt schien, und gegen die Wand prallte – gegen den Schalter, der die Scheibe verdunkelte.
 

Und plötzlich war alles wieder ruhig. Gin presste Shinichi gegen das Glas, atmete heftig. Shinichi schluckte, merkte, wie die Scheibe von seinem Atem beschlug, sah aus den Augenwinkeln Ran, die aufgesprungen war, als sie ihn sah. Er lächelte bitter.
 

Rum seinerseits stieß Vodka angewidert von sich, warf Absinth einen verärgerten Blick zu. Absinth indes erhob sich ohne Eile, in seinen Augen ein interessiertes Funkeln - dann suchte er Augenkontakt zu Gin, winkte ihn zu sich.

Shinichi merkte, wie man ihn wieder fester griff und auf den Gang zerrte, durch die nächste Tür wieder rein in den Verhörraum. Shinichi schluckte, hatte nur Augen für sie, suchte ihren Blick; Ran saß auf dem Tisch, ihr Teint war blass, in ihren Augen war ihre Unruhe zu lesen. Und leises Erkennen.

Seine Augen sprachen eine allzu deutliche Sprache, auch wenn sein Gesicht keinerlei Gefühlsregung zeigte.
 

Also bist du wieder da... aber scheinst nicht erfreut über deine Erinnerungen zu sein, Shinichi...
 

Absinth lächelte kühl.
 

„Wie schön.“

Shinichi wandte langsam seinen Kopf von ihr ab, schenkte Absinth seine Aufmerksamkeit, der sich vor dem Oberschüler aufbaute, ihm gelassen, fast erfreut, von Kopf bis Fuß musterte.

„Der große Detektiv weilt wieder unter uns. Ich muss gestehen, selten hat uns jemand so auf Trab gehalten wie du. Damit ist jetzt allerdings Schluss.“

Er griff in sein Sakko, zog eine Pistole heraus, schaute sie interessiert an, streichelte ihr fast liebevoll über den Lauf.

„Ich denke, du weißt ja jetzt, bei wem du dich bedanken kannst.“
 

Shinichi schluckte, biss sich auf die Lippen, bis er Blut schmeckte. Ran starrte ihn an.

„Shinichi?“

Er warf ihr einen Blick zu, schüttelte nur den Kopf.

„Ah.“

Absinth grinste.

„Du willst es ihr nicht sagen, was? Lieber als dein kleines Geheimnis mit ins Grab nehmen? Nun… mir soll das egal sein. Sie wird ohnehin vor dir sterben.“

Ran merkte, wie ihr langsam übel wurde.

„Nein!“

„Du weißt, dass es nicht anders geht. Wir hatten eine Vereinbarung. Deine ungeteilte Loyalität und dein absoluter Gehorsam gegen ihr Leben. Du hastuns betrogen. Du trägst die Konsequenzen. Gin…“

Er warf dem blonden Mann ein gönnerhaftes Lächeln zu.

„Ich denke, du hast es dir verdient.“

Dazu, sein Geschenk entgegenzunehmen und auszupacken, kam er allerdings nicht mehr; Gin starrte Absinth nur an, verdrehte dann die Augen und sackte zusammen. Vodka neben ihm tat es ihm gleich. Absinth fuhr herum, beunruhigt, fast panisch. Shinichi merkte, wie ihm jemand von hinten Mund und Nase zuhielt, als er sah, wie Rum umfiel wie ein gefällter Baum und neben ihm mit einem leisen Seufzen Ran zu Boden sank.
 

„Vermouth!“

Absinth starrte sie an, begann zu husten.

„Du…! Ich hätte…“

Vermouth lächelte nur, sah ihm zu, wie auch er das Bewusstsein verlor. Dann löste sie schnell Shinichis Fesseln, bedeutete ihm wortlos, die Luft anzuhalten und Ran mitzunehmen. Er bückte sich, hob sie auf und folgte der blonden Frau eilig aus dem Raum. Sie schloss hinter ihm die Tür ab, schnappte nach Luft. Er rang ebenfalls um Atem schaute sie ungläubig an.

„Ein Betäubungsmittel in Gasform?“

„Ganz Recht.“

Sie seufzte, strich sich über die Stirn. Sie nickte zu Ran, die bewusstlos in seinen Armen lag.

„She’ll wake up quickly, breathing in fresh air. Die anderen Trottel da drinnen werden noch ein wenig länger schlafen. Allerdings haben wir nichtsdestotrotz nicht viel Zeit, also sollten wir uns beeilen… silver bullet.“

Sie schlug entschlossen eine Richtung ein; Shinichi hetzte ihr hinterher.

„Warum…?“

„Sprich nicht, du brauchst die Luft zum Laufen. Bevor wir allerdings hier rauskönnen, sollten wir noch ein paar Dinge erledigen.“

Sie gingen vorsichtig die Korridore entlang, immer auf der Hut, damit sie nicht erwischt würden.

Dann bog sie in ein Zimmer ab, sperrte hinter sich ab. Shinichi sah sich um, schluckte bitter. Er hatte geahnt, wohin die Reise ging, als sie losgelaufen waren; und nun standen sie hier in diesem Büro, in dem er die schrecklichsten Minuten seines Lebens verbracht hatte. Shinichi legte Ran in einem Sessel ab, strich sich die Haare aus der Stirn.

„Warum silver bullet, Sharon? Und warum nennst du sie angel?“

Er schaute sie an, unverwandt. Sie lächelte sanft.

„You remember, when we first met?“

„Sure. We were at the theatre…“

“Right. She saved that girls life, then… and learned afterwards, that Rose was a murderer herself. Nevertheless, she showed me, what grace and mercy mean. She taught me, that this kind of soul still exists – es gibt sie noch, die Unschuldigen und Tapferen. Sie hat Rose gerettet; und damit mir gezeigt, dass auch ich noch gerettet werden kann. Auch ich bin verloren, bin eine Mörderin, wie Rose es war; aber sie hat aus dieser großen Geste nichts gelernt, sie hat ihn trotzdem umgebracht. Für mich begann an diesem Tag ein Umdenken. Ich habe gesehen, dass es sich lohnt, sich zu ändern, dass man nicht verloren ist, solange man daran glaubt, dass einem noch vergeben werden kann. Und sie zeigte mir, dass es noch etwas gibt, das man beschützen kann, und für das zu kämpfen es sich lohnt. Es gibt noch einen Gott… der vergibt, wenn man Reue zeigt. Und dann kamst du. Silver bullet.“
 

Sie lächelte breit.

„Du erinnerst dich an den Serienmörder, der…“

„Klar.“ Shinichi warf ihr einen gelangweilten Blick zu.

„Das warst du. Das war mir recht schnell klar.“

Sie warf ihm einen ungläubigen Blick zu.

„Wie…?“

Er winkte ab.

„Komm, ich denke, dafür ist keine Zeit. Also, warum nennst du mich silver bullet?“

„Weil, mein lieber Shinichi, es nur eine silberne Kugel vermag, die Untoten zu vernichten – und sag mir, was sind wir, wenn nicht eine Horde Untote – manche im wahrsten Sinne des Wortes, du hast die Wirkung selbst kennengelernt.“

Sie seufzte.

„Abgesehen davon, braucht so eine Silberkugel ein Ziel vor Augen, Durchschlagskraft und Präzision in der Planung. Du – bist brillant. Zielstrebig, intelligent und willensstark – und von einem Gerechtigkeitsgefühl geprägt, das seinesgleichen sucht.“

Sie seufzte.

„Deshalb silver bullet. Und nun werde deinem Namen gerecht, mein Lieber… wenn wir hier draußen sind, weißt du hoffentlich, was zu tun ist.“

Sie zog eine Schublade auf, holte einen kleinen, quadratischen, flachen Gegenstand heraus, reichte in ihm.

„Er kann’s nicht tun, du weißt warum. Gib ihm nicht…“

„… die Schuld?! Was sonst? Ich bitte dich, Sharon…“

Ehe sie zu einer Antwort kam, hielten sie allerdings beide inne. Ein leises Stöhnen hatte ihre Aufmerksamkeit geweckt. Ran rührte sich etwas, schlug zögernd und träge die Augen auf. Er trat auf sie zu, half ihr vorsichtig, sich aufzusetzen.

„Alles in Ordnung, Ran? Wie fühlst du dich?“

Sie starrte ihn nur an, sagte nichts.

Er ging vor ihr auf die Knie, besorgt.

„Ran?“

Ran schluckte, blinzelte, merkte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Langsam rutschte sie vom Sessel, sank gegen ihn, schlang ihre Arme um seinen Hals.

Er blinzelte perplex, drückte sie dann sanft an sich.

„Schhht.“

Sie schluchzte leise, nur einmal, nur kurz, schmiegte sich an ihn. Langsam ließ er sein Kinn auf ihren Kopf sinken, drückte ihr einen Kuss auf die Haare. Ran schluckte, vergrub ihre Finger in seinem Pullover, schloss die Augen. Er hielt sie kurz fest, dann löste er vorsichtig ihren Griff, schob sie ein wenig von sich, blieb ihr aber immer noch nahe genug, dass er ihren Atem auf seinem Gesicht spüren konnte.
 

„Wir müssen hier raus, Ran.“

Er flüsterte die Worte nur. Sie schniefte leise, nickte dann.

„Ich weiß. Will ich auch…“

Er ließ sie los, stand auf und zog sie hoch.

Bevor er jedoch durch die Geheimtür in der Wand steigen konnte, hielt sie ihn an der Hand zurück. Er drehte sich um, sah den drängenden Ausdruck in ihren Augen.

„Du willst das nicht tatsächlich jetzt von mir wissen?“, fragte er ungläubig.

„Wenn ich dich daran erinnern darf, wir sollen abgeknallt werden, und überhaupt solltest du mächtig auf mich sauer sein, dass ich dich mit in diese Sache gezogen hab…“

Ran schloss die Augen.

„Wer weiß, ob wir noch einmal dazu kommen. Wie du schon sagst, wir sollen abgeknallt werden.“

Sharon grinste leise in sich hinein. Shinichi drehte sich um, warf ihr einen genervten Blick zu.

„Könntest du… vorgehen, bitte?“

„As you wish.“, meinte sie spöttelnd, stieg durch die Tür.
 

Shinichi drehte sich wieder um, holte tief Luft.

„Ran... Ich könnte mir schönere Orte vorstellen, und romantischere, und ich…“

Er merkte, wie ihm die Hitze zu Kopf stieg, war sich sicher, dass Ran genau sah, wie nervös er war.

„Lass uns warten, bis das hier vorbei ist, bitte. Wir habens schon einmal geschafft, das zur falschen Zeit am falschen Ort bereden zu wollen und ich denke… hier ist es nicht besser. Außerdem… Ich will das nicht… nicht einfach so...“

Ein schüchternes Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus; dann hob sie die Hand, legte ihren Zeigefinger sanft auf seine Lippen. Er starrte sie überrascht an, nahm ihre Hand in seine.

„Du hast Recht.“ Ein leichter Rotschimmer breitete sich auf ihren Wangen aus.

„Das muss jetzt aber dennoch anders laufen, Shinichi.“, meinte sie dann leise, schmunzelte. Er strich ihr über die Nase, zart.

„Wird es, vorausgesetzt, wir überleben das.“

Er deutete zur Tür.

„Nach dir.“

Sie griff seine Hand, fest, ehe sie durch die Geheimtür stieg und ihn mit sich zog.
 

Die Geheimtür endete im Aufzugschacht, wie sich herausstellte; sie stiegen unbemerkt in den Aufzug ein, fuhren nach unten.

Und damit, das merkte Shinichi sehr schnell, war der leichte Teil der Flucht geschafft.

Nun galt es am Pförtner vorbeizukommen.

Sharon seufzte, warf ihm einen ernsten Blick zu.

„Hör zu. Er wird uns nicht freiwillig aus dem Haus lassen. Ich muss ihn… ablenken. Ihr lauft. Hört ihr? Run. For your lives.“

Ran schluckte, schaute von Shinichi zu Sharon. Die zog einen Umschlag aus ihrer Jacke und überreichte ihn gemeinsam mit dem flachen Gegenstand, der sich bei genauerer Untersuchung als Festplatte entpuppte, Shinichi, der sie in seine Jackentasche steckte.

„Den Umschlag gibst du bitte deiner Mum.“

Shinichi seufzte.

„Willst du ihr das nicht selbst…?“

Vermouth griff nach ihrer Pistole, entsicherte sie, warf ihm nur einen langen Blick zu. Er seufzte, schaute sie betrübt an.

„Nun gut. Ich geb ihn ihr.“

„And don’t forget, what I told you. I’m counting on you; you came this far, this…”, sie deutete auf die Festplatte in seiner Jackentasche, “will explain anything that’s not cleared yet. And there’s plenty of evidence stored in it. Destroy them… silver bullet. Und jetzt…“

Sie ging einige Schritte nach vorn.

„Lauft.“

Damit zielte sie und drückte ab.

Shinichi reagierte gerade noch rechtzeitig, griff nach Rans Kopf, drückte ihn gegen seinen Hals, damit sie nicht sah, wie der Pförtner zusammensackte. Nichtsdestotrotz stand der Schrecken in ihren Augen zu lesen, als er sie ansah, ihr über die Wangen strich. Sie biss sich auf die Lippen, warf Sharon einen undeutbaren Blick zu, schluckte dann hart.

„Danke.“, presste sie hervor. Sharon nickte nur, warf einen Blick den Korridor hoch, trat dann ein paar Schritte vor, signalisierte dann mit einem kurzen Winken, dass die Luft rein war.

Shinichi seufzte nur kurz, schüttelte sich, nickte dann der blonden Ex-Schauspielerin zu.

„Good luck.“

Dann griff er Rans Hand fester und fing an zu laufen.

Hinter ihnen wurden erste Rufe laut, Schüsse fielen.
 

Shinichi sah nicht zurück, lief nur noch.

Er kannte ja den Weg.
 

Allerdings hatten sie schlechte Karten, das wusste er, wenn sie wieder eine ähnliche Hetzjagd veranstalteten wie bei seiner letzten Flucht. Beunruhigt wandte er sich kurz zu Ran um. In ihrem Gesicht stand der Schrecken geschrieben. Er hätte ihr den Tod des Pförtners gern erspart; und überhaupt diesen ganzen Tag heute. Es war immer noch stockfinster draußen, und er orientierte sich nur grob an Merkmale in der Landschaft, an die er sich erinnerte, versuchte, so schnell wie möglich die Straße zu finden. Tatsächlich stieß er bald auf den asphaltierten Waldweg, lief neben ihm her, bereit, in den Wald zurückzulaufen, wenn es sein musste. Ab und zu hielt er inne, um zu horchen. Die Rufe waren ihnen aus dem Gebäude heraus gefolgt, aber schienen einigermaßen weit weg zu sein.

Er atmete heftig, merkte, wie es in seiner Seite zu stechen begann, betastete vorsichtig seine Verletzung.

Ran schaute ihn besorgt an.

„Alles in Ordnung.“

Shinichi versuchte ein beruhigendes Lächeln.

„So in Ordnung, wie es momentan sein kann, schätze ich. Mach dir keine Sorgen um mich, ich kann was ab.“

Er seufzte, späte in die Finsternis. Ran schauderte.

„Das weiß ich.“

Sie griff seine Finger fester.

„Und darüber müssen wir auch noch reden.“

Langsam drehte er den Kopf, sah die Sorge und die Schuld in ihrem Gesicht.

„Hör mal – jetzt ist nicht die Zeit und nicht der Ort, um darüber zu diskutieren. Aber wenn… du das wirklich willst, diese Art von Beziehung mit mir, dann… musst du dich daran gewöhnen, an den Gedanken, dass ich alles – wirklich alles tun würde für dich. Und jetzt… sollten wir wohl weitergehen.“

Sie grummelte etwas Unverständliches; er schmunzelte ob ihres leisen Widerstands, allerdings nicht lange. Seine Nerven schienen zum Zerreißen gespannt, seine Sinne übersensibel und alarmiert.

Als ihnen ein Auto entgegenkam, erschrak er, wollte gerade wieder tiefer in den Wald laufen, als er den Wagen erkannte.

Und den Fahrer.

Die Bremsen quietschten, als der Wagen neben ihnen hielt, Wasser spritzte hoch, Tropfen trafen ihm im Gesicht; Kies knirschte unter den breiten Reifen der Limousine. Dann wurde die Tür aufgestoßen.
 

„Steigt ein!“
 

Shinichi blinzelte, starrte ihn an, merkte, wie sich alles in ihm verkrampfte. Hinter ihn trat Ran, schaute zu Yusaku, dann zu Shinichi, der wie versteinert schien.

„Herr Kudô, was tun Sie…“, fing sie an, wurde dann aber von der energischen Stimme des Schriftstellers unterbrochen.

„Los, steigt doch ein, wir müssen hier weg…!“

Shinichi blinzelte, wurde aus seinen Gedanken gerissen. Einerseits hatte er Recht… sie waren dicht hinter ihnen, sie mussten wirklich so schnell wie möglich weg hier…

Andererseits… war dieser Mann überhaupt erst Schuld…

„Shinichi!“

Yusakus Stimme wurde drängend. Shinichi warf ihm einen berechnenden Blick zu, dann trat er nach hinten, machte die Tür zum Fond auf, half Ran, die ihn fragend anschaute, beim Einsteigen; er ignorierte das wohlweislich. Stattdessen schlug er die Tür hinter ihr zu, nahm selber auf dem Beifahrersitz Platz, kam kaum dazu, die Tür zu schließen und sich anzuschnallen, als sein Vater schon das Gaspedal durchtrat, sodass es Shinichi und Ran in die Sitze drückte.

„Wow.“, murmelte Ran von hinten.

„Ich dachte immer, ihre Frau wär die Kamikazefahrerin der Familie.“

Yusaku grinste; allerdings fiel ihm das Lächeln sehr schnell von den Lippen, als er den Blick in den Augen seines Sohns bemerkte.
 

Es war klar… er hatte es schon gewusst, als er Shinichi gesehen hatte, nachdem er die Tür geöffnet hatte.
 

Er wusste es wieder.
 

Alles.



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Kommentare zu diesem Kapitel (11)
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Von:  Kimikou
2012-09-26T20:00:15+00:00 26.09.2012 22:00
muss mich au ma wieder melden ^-^

du bist einfach Hammer :D dieses Kapi hat mich echt sowas von gefesselt :)
Alo ich muss gestehen das ich es gut finde das Shin-chan sein Gedechtniss wieder erlangt hat! :D
Und die gute Ran... jaja nur sie bringt solche Fragen in den falschen Momenten raus xD
aber wenn man sich bedenkt... sie wollt es wohl einfach nur nochmal abgeklärt haben, sollten sie sterben cO
Naya zu Heji und Kogoro.. was soll man da noch sagen? da gibts nich mehr zu sagen xD

hmm hast du eig scho mal drann gedacht nen Buch zu schreiben? ich währ wohl einer deiner treuen Leser ^-^

soo hmm mir bleibt momentan nur noch zu sagen, das ich mich aufs nächste Kapi freu =)

*winke*
lg
Kimi(früher RanKudo ;o) )
Von:  JuriKudo
2012-09-25T19:19:00+00:00 25.09.2012 21:19
Wieder einmal einfach nur genial.
Ich liege hier im bett und halte andauernd die luft an, weil es so spannend ist...
Heiji ist wieder typisch. Erst reden, dann denken. Ran will reden, während die Welt unter geht und Yusaku fährt wie ne besenkte Sau :)
Ich liebe diese Story.
Immer wenn ein neues Kapitel kommt, vergesse ich alles andere. Mach weiter so.

LG Juri
Von: abgemeldet
2012-09-25T16:28:34+00:00 25.09.2012 18:28
Ich will net pingelig sein, aber kann es sein, dass du auf seite 11 ganz unten "ich muss zu shinichi" gemeint hast :D?
LG die reika
Von:  R3I
2012-09-24T10:41:24+00:00 24.09.2012 12:41
Genial, beeindruckend, aufregend, spannend ... ich finde keine Worte mehr!
Der Wahnsinn. Das Kapitel hält dich fest, die Umgebung verschwimmt, wird egal und dein Schreibstil drängt einen mit der Pistole im Rücken endlich weiter zu lesen!!! Ich hoffe, dass das nächste Kapitel nicht so lange auf sich warten lässt.
Bis dahin,
lg R3I
Von:  traumherz
2012-09-23T23:30:58+00:00 24.09.2012 01:30
Also...
wow.
Mir fehlen wirklich die Worte. Und ein bisschen auch der Atem, ich fühle mich so, als wäre ich selbst gerade geflüchtet, so vertieft war ich in dieses wunderbare Kapitel. Wie immer einfach nur grandios, sogar besonders grandios, sogar noch besser als sonst, auch wenn ich gar nicht gedacht hätte, dass das überhaupt möglich ist. Aber das Kapitel war wirklich wieder einmal der totale Hammer und da hat sich das Warten doch wirklich wieder mal total gelohnt <3

Ich bin gespannt, was jetzt passiert, wo Shinichi sein Gedächtnis wieder hat und sich auch an die Sache mit Yusaku erinnert - das verspricht noch unglaublich spannend zu werden, auch wenn mich das bei dieser genialen Geschichte natürlich nicht mehr überrascht.

Ich freu mich schon auf das nächste Kapitel *-*

Liebe Grüße,
traumherz
Von:  Soulsynger
2012-09-23T21:14:42+00:00 23.09.2012 23:14
Meiner Meinung nach war das eins der besten Kapitel dieser Geschichte.

Und jetzt bin ich gespannt, was Shinichi wegen seinem Vater macht..
Also mach schnell weiter :D ..

Wuhu ^_^
Von:  Black_Taipan
2012-09-23T19:47:38+00:00 23.09.2012 21:47
Das Kapitel war krass - schon allein der Gedanke daran, Ran foltern zu wollen um in Shinichi die Erinnerungen wieder wachzurütteln, lässt mich frösteln. Die ganze Verhörszene und die ganzen Gedankengänge haben mir sehr gut gefallen, die Stimmung war richtig beängstigend, wie WEltuntergang.
Ich stimme meinen Vorrednern zu - Ran hat wirklich ein interessantes Gefühl entwickelt, wenn es darum geht den richtigen Zeitpuntk für die richtigen Worte zu wählen. Wobei ich mich frage, ob die beiden sich noch irgendwas gesehen müssen, so wie sie miteinander umgehen und reden im Moment, braucht es keine Worte mehr. :)
Aber meine Lieblingspersonen aus diesem Kapitel sind:
Yusaku - man kann immer einen Fahrer gebrauchen, der genau im richtigen Moment auftaucht! :)
und Vermouth - ihre Ideen um Leute schlafen zu legen oder etwas zu stürmen sind einfach genial. Hach, der ganze Saal schläft, traumhaft. :)
Ich bin gespannt, wie nun die Sache weitergeht. Die Organisation schläft nur, die tauchen sicher noch auf - und die Dikussion mit Heiji wird sicher auch amüsant.
Bin gespannt aufs nächste Kapitel!
Liebs Grüessli
taipan
Von: abgemeldet
2012-09-23T18:49:27+00:00 23.09.2012 20:49
du
machst
mich
wahnsinnig
*heul*
WIE kann man nur SO schreibe?????
Will auch.
Aber gut. Zum Kapitel.
Sag mal, hat Ran sie noch alle? Sie werden verfolgt und des Maedel fragt die seltsamsten Sachen.
Aber diese Szene im Verhoerraum hinter der Scheibe
*_*
Wie kommt man nur auf diese beschreibung von wegen Wackelkontakt? Der VErgleich ist echt klasse :D
Bitte, bitte, BITTE, lad naechste Woche das neaechste Kapitel hoch, sonst heul ich wirklich.
Und noch eins. Ich kapier den folgenden Satz net ganz
Ich hoffe von hinten, wie sie aus diesem Bau rausspaziert! Auf Seite 10
Liebe Gruesse
Reika
Von:  Silver_Yokai
2012-09-23T18:05:23+00:00 23.09.2012 20:05
*ausatme* wow das war direkt fesselnd.
und mein vater hat das jetzt gade unterstüzt, der stande grade mit der taschenlampe in völliger finsterniss vor meinem fenster...
ich hab fast nen herzinfarkt bekommen und ganz nebenbei einen kleinen geschmack davon wie sich Ran und Shinichi wohl grade auf der flucht fühlen XD
ich liebe deine geschichten, du schreibst einfach wahnsinnig gut.
ich bin jetzt mal gespannt wie die konfrontation zwischen Shinichi und Yusaku ausgeht.
wird sich der schriftsteller freiwillig der polizei stellen?
lässt er sich von shinichi ans messer liefern?
wird die polizei es schaffen das nest der organisation entgültig hochzunehmen?
oder gibts flüchtige?
und dann ist ja nich ganz uninterresant wie die sache zwischen Ran und Shinichi ausgehen wird.
noch so viele fragen und nur du kannst sie uns beantworten.
ich bin mal gespannt wie es weiter geht.

liebe grüße
silver
Von:  Kati
2012-09-23T16:19:10+00:00 23.09.2012 18:19
Hahahaha, Ran schießt in dem Kapitel mal wieder den Vogel ab xD
Geniales Kapitel, als Vermouth da ins Verhörzimmer kam... Endlich was positives! ^^ Bin schon gespannt wies weiter geht (und was mit Yusaku sein wird) ;)


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