Ein Lauf durch den Wald
Lost Angel
Kapitel 6 – Ein Lauf durch den Wald
Jemil’s PoV
So hart wollte ich eigentlich nicht klingen, doch ich empfand wirklich nichts
für ihn. Nicht einmal ein Gefühl, das auch nur im Ansatz so etwas wie
Freundschaft hätte hervorbringen könnte. Ich brauchte nur etwas, das meine Lust
stillen konnte. Und da war er mir eben gerade recht. Als entlaufener und wieder
gefangener Werwolf vermisste ihn auch niemand. Keiner würde sich um ihn sorgen,
wenn er plötzlich irgendwo tot liegen würde. Selbst ich war manchen mehr wert.
Ich hörte ihn plötzlich wieder schluchzen. War da etwa bei ihm irgendein Gefühl
für mich? Mochte er mich? Empfand er etwas? Aber ich durfte ihn doch nicht lieben.
Konnte es nicht einmal. Egal wie angenehm sich das gerade angefühlt hatte. Es
war doch nur Sex. Eben mit einer Missgeburt von Werwolf. Auch wenn er nichts dafür
konnte. Er war eben so geboren worden. Und trotzdem fand ich, dass er schön war.
Er wirkte nicht wie eine Bestie, die Menschen wie Vampire in der Luft zerriss und
sich an ihnen voll fraß. Vielleicht gehörte er auch zu denen, die gar nicht töten
konnten. So wie ich. Sonst würde ich auch nicht das Blut aus Blutkonserven trinken.
Und dennoch war er ganz anders als ich. Er war viel fürsorglicher. Sogar in den
Arm nehmen wollte er mich. Und ich hatte ihn nur weggestoßen. Dabei wollte er wohl
nur etwas Nähe von mir. Und genau die wollte ich nicht. Ich mochte es einfach
nicht, wenn mich jemand einfach so berührte.
Wieder schluchzte er. Ich ertrug es nicht. Wie konnte man nur so traurig klingen.
Obwohl er doch so eine schöne Stimme hatte. „Jemil“, wimmerte er. Es klang
irgendwie süß. Genauso wie er. Nur deswegen hatte ich ihn überhaupt mit zu mir
genommen. Weil er süß war. Sein Körper hatte mich fast magisch angezogen. Doch
jetzt widerte er mich nur noch an.
„Jemil.“ Wieder dieses ... Wort. Nur lauter. Ich presste die Augen zusammen. Er
rief nach mir und ich reagierte darauf nicht einmal. Wie ich es immer machte. Nur
weil ich keine Verantwortung übernehmen wollte. Und das tat ich wieder nicht. Ich
spürte es doch. Dieses Gefühl in meiner Magengegend, dass sich langsam nach oben
kämpfte. Nur wahrhaben wollte ich es nicht. Ich durfte es nicht einmal für ihn
empfinden.
Er winselte. Wieso machte er das nur? Wollte er mich unbedingt dazu treiben, dass
ich ihn in den Arm nahm? Oder zumindest mich für seine Gefühle interessierte?
Wenn nicht gerade so ein Chaos in mir herrschen würde, dann könnte ich das
vielleicht.
Ich wanderte mit meiner Hand nach hinten, bis ich seine Hüfte spürte. Leicht
darüber streichelte. „Beruhige dich wieder“, flüsterte ich. Er kroch aber nur zu
mir. Schloss die Arme wieder um mich. Ich versuchte mich aus seinem Griff zu
befreien. Doch irgendetwas hinderte mich daran, mich richtig zu wehren.
Ich versuchte es zu genießen, dass er mich umarmte. Auf eine Art und Weiße war es
sogar schön, dass mich jemand so anfasste. Ich fühlte mich wohl bei ihm. Es war
angenehm. Genüsslich kuschelte ich mich an ihn. Wie gut es sich doch anfühlte.
Ich spürte seine Finger an meiner Taille. Wie er darüber strich. Mein Atem begann
wieder zu rasen. Mir wurde heiß und kalt. Gleichzeitig. Meine Haut glühte wieder.
Es wirkte aber nicht so, als ob er das wollte.
Zärtlich küsste er meinen Hals. Schmiegte sich an mich. „Darf ich dich jetzt so
fest halten?“, fragte er. Wollte mich aber scheinbar gar nicht mehr loslassen.
Ich nickte langsam. Drehte mich langsam zu ihm um und drückte meinen Kopf gegen
seine Brust. „Du bist schön warm“, flüsterte ich.
Irgendetwas jagte mir nur plötzlich Angst ein. Sein Herz pochte so schnell. „Was
ist denn?“, fragte ich. Sah zu ihm auf. „Nichts, es ist nur … irgendwie seltsam
… wenn du dich so an mich kuschelst.“ Es war mir gar nicht aufgefallen. Aber ich
lag wirklich ganz eng an ihm. Und es störte mich eigentlich gar nicht. Es gefiel
mir wirklich.
Jesko betete seinen Kopf an meine Brust. Dabei wollte ich das jetzt gerade bei
ihm machen. Ich wollte es mir bequem machen. An ihm. Vorsichtig schob ich ihn
etwas weg. Um für mich Platz zu machen.
„Empfindest du wirklich nichts für mich?“, wollte Jesko wissen. Es war so viel
Traurigkeit in seiner Stimme. Und eigentlich wollte ich es gar nicht hören. Denn
‚Nein’ war leider die richtige Antwort. Ich spürte überhaupt nichts. Nichts für
ihn. Es war mir einfach nicht möglich jemanden zu lieben. Und erst recht wohl
nicht ihn. Er würde immer ein Werwolf bleiben und ich ein verfluchter Vampir. Es
war doch gar nicht erlaubt.
Das einzige was ich ihn seiner Nähe spürte war, das ich verdammt noch mal mit ihm
ficken wollte. Sonst nichts. Nur dieses Gefühl der Lust. Es war das einzige was
ich überhaupt empfinden konnte.
Ich musste wohl gar nichts sagen. Er wusste auch so, was ich antworten würde.
„Dann muss es wohl so sein.“ Er drückte mich noch etwas enger an sich. Ließ mich
jeden Zentimeter seiner Haut spüren. Was das für ein seltsames Gefühl war. Ich
konnte jede Pulsierung seiner Adern empfinden.
Leicht öffnete ich den Mund. Hauchte an seinen Hals. Seine Schlagader dort zog
mich fast magisch an. Wenn es ihn doch nur nicht umbringen könnte, wenn ich zu
biss, dann könnte ich es einmal tun.
„Beiß!“ Sollte das ein Befehl sein? „Wie kommst du darauf, dass ich das tun will?“,
fragte ich. Obwohl ich es wirklich wollte. „Es kommt mir einfach nur so vor,
also tue es doch einfach!“ Er legte den Kopf leicht in den Nacken. Hielt mir
seine Kehle direkt vor die Zähne. „Ich will aber nicht!“, knurrte ich. Wollte
mich schon wieder von ihm wegdrehen. Doch er hielt mich fest. „Dann wende dich
zumindest nicht wieder von mir ab!“
Zärtlich wanderte er wieder mit den Fingern über meine Haut. Erkundete fast
jeden Millimeter damit. Selbst meinen Schritt ließ er nicht aus. Knetete leicht
mein Glied. Nur machte es mich gerade nicht an. Ich war zu müde. Hatte keinen
Bock darauf. Schließlich drückte ich seine Hände weg. „Lass mich schlafen!“ Ich kuschelte mich an ihn. Versuchte wirklich einzuschlafen. Aber obwohl ich müde war,
konnte ich nicht. Irgendetwas hielt mich davon ab.
„Wolltest du nicht etwas in süße Träume versinken?“, flüsterte Jesko mir ins Ohr.
Er merkte es wohl. „Wenn du mich hier halb erdrückst, geht das wohl nicht.“ Es
tat nicht weh und war eigentlich ganz angenehm. Aber irgendetwas musste ich
sagen. Sonst würde er wohl weiter quatschen. Und dennoch tat er es einfach. „Ich
dachte nur, du magst das.“ Leicht hob er eine Augenbraue. Massierte sanft meinen
Rücken mit kreisenden Bewegungen.
Einen Moment überlegte ich. Hob schließlich meine Arm zu seinem Ohr. Kraulte ihn
dahinter. Wie schnell er plötzlich die Finger von mir ließ. Sich auf den Bauch
legte. Nur noch den Kopf leicht an meine Brust drückte. „Das fühlt sich gut an!“,
summte er zufrieden. Ein richtiger Hund. Mein kleines Haustier. Genau das war er.
Ich setze mich auf. Die Müdigkeit hatte auf einmal jedes meiner Glieder verlassen.
„Hast du Hunger?“, fragte ich. Er nickte langsam. „Aber bevor du etwas holst,
kraulst du mich erst noch ein bisschen.“ Ein Grinsen huschte über meine Lippen.
„Wo denn?“, fragte ich immer noch leicht grinsend. Suchte aber mit meinen Händen
schon seine unteren Regionen ab. Begann leicht seinen Schritt zu kneten. „Nicht
da!“, wimmerte er.
Ich beugte mich über ihn. „Das hat dir aber vor ein paar Minuten noch ganz gut
gefallen.“ Er drehte sich leicht zu mir. Sah mich verschlafen an. „Kannst du mir
nicht doch erst etwas zum Essen holen?“ Ich kicherte leicht bei seinen Worten.
„Du willst wohl nicht mehr spielen?“ Langsam nickte er. „Es macht eine so fertig“,
flüsterte er noch, bevor ich aufstand. „Bist wohl ein ganz Verschlafener.“
Ich stand langsam auf. Sammelte meine Kleider auf dem Boden zusammen und zog sie
an. Wendete mich, als ich schon auf dem Weg zur Tür war, noch einmal zu ihm um.
„Du wolltest gerade auch schlafen!“, meinte er da. „Na und, jetzt bin ich wohl
hell wach!“ Ich kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. „Darf ich dann denn nicht
trotzdem müde sein. Das was du so einfach als ‚Spiel’ bezeichnest, ist nicht
gerade etwas, nachdem man nicht erschöpft ist“, seufzte er. Etwas erinnerte mich
sein Blick an die Nacht, als ich ihn gefangen hatte. Da hatte er den gleichen. Nur
war er da an seiner Situation selbst schuld. Er war weggelaufen und ich hatte ihm
nur wieder Manieren beigebracht. Er durfte nicht fliehen und jetzt erst recht
nicht mehr. Er gehörte mir. Sein Körper gehörte mir. Jedes einzelne Haar. Jeder
Zentimeter seiner Haut. Jeder Atemzug den er tat. Einfach alles.
Ich wendete mich wieder zum Gehen um. „Du weißt, dass du nicht weglaufen darfst?“,
fragte ich. Drehte mich nicht mehr um. Drückte nur die Klinke der Tür hinunter
und wartete noch einen Moment auf eine Antwort. Doch es kam keine. Noch ein
letztes Mal drehte ich mich zu ihm. Beinahe wäre mir ein lang gezogenes ‚Süß’
entfahren.
Er lag wieder flach auf dem Bett. Das Gesicht im Kissen vergraben und schlief.
Ganz friedlich. Wie ich es eben immer wieder gerne erwähnte, er war ein Hund.
Eigentlich ein Werwolf. Aber er wirkte eben eher wie die Haustierversion eines
Wolfes. Also ein Hund. Ein Schosshündchen, wie es im Buche stand. Zumindest
erinnerte seine Körperhaltung gerade schwer daran. Wie gerne hätte ich ihn jetzt,
wie ein kleines Kind gestreichelt. Ihm immer wieder über den Kopf gefahren.
Seine weiches Haar gespürt. Aber ich wollte ihm doch seine Belohnung holen. Sei
Futter. Eben das was ich ihm versprochen hatte. Das was er bekommen sollte, wenn
er mit mir spielte.
Dabei hatte er doch recht gehabt. Für ein Spiel war es viel zu anstrengend. Und
dennoch war es für mich nicht mehr, als ein entspannender Lauf durch den Wald,
an dessen Ende man noch eine schönen gemütlichen Sprint hinlegte, nur um dann
trotzdem noch erschöpft auf dem Boden zusammen sacken konnte und wusste, dass
man etwas geschafft hatte. Das war wohl wirklich der beste Vergleich, für das,
was wir taten.
Aber jetzt hatte ich ihn fürs Erste genug angeschwärmt. Ich wollte ihn doch
belohnen für seine nette Tat. Zwar nicht so ganz freiwillig, aber gefallen hatte
es ihm trotzdem. Irgendwie hatte er sogar gewirkt, als hätte er das Gefühl eines
Orgasmus noch nie erlebt. Wäre aber auch nicht ungewöhnlich, wie selten hatte
ich es auch schon bis jetzt gehört, dass unsere Werwölfe miteinander schliefen.
Und dann auch nur einzelne. Die jüngeren – zu denen er unweigerlich gehörte –
schon gar nicht.
Wie armselig diese Kreaturen doch eigentlich waren. Sie durften nie tun was sie
wollten und wirklich leben sowieso nicht. Sonst würde er wohl ganz anders auf
meine zarten Berührungen reagieren. Viel wilder. Er blieb fast ruhig dabei.
Obwohl er doch – wie es mein Vater immer ausdrückte – eine wilde Bestie war.
Genauso wie alle anderen seiner Rasse. Für uns waren sie nichts anderes, als
Tiere.
Ich seufzte. Verließ schlussendlich den Raum. Er brauchte etwas um sich zu stärken.
Hoffentlich trieb ich etwas anständige für ihn auf. Er würde es brauchen. Immerhin
war er verdammt ausgepowert.