Kälte und Wärme
Lost Angel
Kapitel 11 – Kälte und Wärme
Jesko’s PoV
Ich sprang auf. Vor lauter Schreck. Er hatte wirklich die ganze Nacht neben mir
geschlafen. Einfach so? Ohne Rücksicht auf das, was passieren würde, wenn uns
jemand erwischt. Dachte gerade der Richtige.
Ich sank auf den Boden. Legte meinen Kopf aufs Bett und warte. Bis er wach wurde.
Das könnte aber noch dauern. Auf meinen nackten Rücken fielen ganz leicht
Sonnenstrahlen. Es war draußen taghell. Nur er lag im Schatten. Ob er da wohl
wirklich hingehörte? In diese Dunkelheit? Freiwillig war er dort zumindest nicht.
Das spürte ich. Ganz deutlich. Er wollte ins Licht. Nur das ihn das für immer
verwehrt bleiben würde.
Langsam wurde mir warm. Zu warm. Obwohl es doch schon November ... nein, sogar
fast Dezember war, war es hier drinnen viel zu warm. Zwar gab es keine Heizungen,
aber in fast jedem Zimmer einen Kamin oder zumindest war jeder Raum irgendwie
über das Lüftungssystem mit einem verbunden, das einen hatte. So hatte es sogar
in diesem alten Gemäuer angenehme Temperaturen. Wie man eben 'angenehm'
definiert.
Ich wendete mich von Jemil ab. Tapste zum Fenster um dieses zu öffnen. Ein kalter
Wind schlug mir ins Gesicht. Und erst jetzt bemerkte ich, dass es geschneit
hatte. Gestern hatten wir es noch im Gras miteinander getrieben und jetzt könnten
wir es in dieser weißen Pracht tun. Ob der junge Vampir das wohl machen würde.
Ich drehte mich etwas zu ihm um. Ein Grinsen zeichnete sich auf meinem Gesicht.
Er hatte sich ganz unter der Decke verkrochen. Vielleicht wurde ihm kalt?
„Jemil?“, flüsterte ich. Nur um zu testen, ob er wach war. Doch es kam keine
Reaktion. Er schlief wohl noch. Und dabei hatten wir gar nichts gemacht. Letzte
Nacht. Keine Matratzengymnastik. Gar nichts. Irgendwie schon seltsam. Dabei hätte
wohl er schon gerne.
Ich schloss leise das Fenster wieder. Selbst ich fror etwas. Zwar nur ein
bisschen. Aber es reichte mir gut und gerne aus. Und er würde wohl sonst erst
recht noch zum Frieren anfangen.
Zaghaft setze ich mich auf die Bettkante. Wie gerne hätte ich ihm jetzt über das
blonde Haar gestrichen. Aber er war immer noch nicht wieder unter der Decke
hervor gekommen. Da unten musste es wohl schön warm sein. Sonst würde er auch
nicht so lange dort bleiben.
„Jemil?“, flüsterte ich erneut. Etwas lauter. Und endlich tat sich etwas. Sein
blonder Kopf spitzte unter der Steppdecke hervor.
„Mir ist kalt.“ Er schlotterte. Klapperte sogar überdeutlich mit den Zähnen. Ob
ich ihn wohl in den Arm nehmen durfte um ihn zu wärmen? Ganz klar war ich mir
noch nicht, was ich durfte und was nicht.
„Tut mir Leid, mir war warm und deswegen habe ich das Fenster kurz einmal
aufgemacht.“ So zaghaft hatte ich noch nie wirklich jemanden etwas erzählt. Doch
jetzt war es wohl nötig.
Er setzte sich auf. Blickte mich desinteressiert an. Wie ich diesen Gesichtsausdruck
hasste. Gerade wenn er mich damit ansah. Ich senkte den Kopf. Traute mich nicht
ihn anzuschauen. Dabei hatte er es mir selbst erlaubt. Ich durfte ihn ansehen.
Sogar anfassen, wenn er zumindest wollte. Und wie das jetzt war wusste ich leider
nicht. Dabei hätte ich zu gerne seine Haut gespürt.
Leicht spitze ich wieder hoch, denn er hatte die Arme um mich geschlungen.
Wanderte mit seinem heißen Atem über meine Brust. Mein Shirt musste er mir wohl
irgendwann heute Nacht ausgezogen haben. Das gefiel ihm wohl. So schlecht sah ich
möglicherweise für ihn nicht aus. Auch wenn er bis jetzt in der Art noch nichts
gesagt hatte. Nicht einmal annähernd erwähnt.
Plötzlich spürte ich seine Zunge an meiner linken Brustwarze. Und gleich darauf
wieder seinen Atem. Ich keuchte. Nur ganz leicht. Dieses Gefühl durchfuhr meinen
ganzen Körper. Kribbelte bis in die Fingerspitzen.
Aber wieso macht er das? Nur wegen Mila? Weil sie gesagt hatte, wir würden zusammen
passen? Das wäre doch dumm! Es konnte sich doch nicht zu seinen Gefühlen zwingen.
Das war doch dann sinnlos. Er würde doch nie das Gleiche empfinden, was ich.
Zumindest was ich dachte, was ich ihm gegenüber fühlte.
Gefügig ließ ich mich dennoch von seinen Lippen verwöhnen. Bis er nach einigen
Minuten von mir abließ. Er keuchte leicht. Sah zu mir auf. Er wirkte noch etwas
verschlafen. So wie ich meinte, war es aber erst gegen Nachmittag. Nur da es
bewölkt war fiel kein Tageslicht in den Raum. Nur ein bisschen. Sonne ohnehin
kaum. Und er konnte sich fast frei im Raum bewegen. Das einzige was ihn
zurückhielt waren meine Arme, die ich um ihn geschlungen hatte.
Wieso sollte auch nur er das dürfen? Ich wollte ihn doch auch spüren. Sanft fuhr
ich über seine von seinem Shirt bedeckte Brust. Aber auf einmal drückte er mich
weg. Hatte er sich doch nicht so sehr von Mila überzeugen lassen? Oder wollte er
einfach einmal mehr meine Nähe nicht?
„Was ist denn?“
Ich wendete mich zu ihm um. Wartete wie gebannt auf eine Antwort. Doch ich bekam
keine. Nur diesen irre bösen Blick. Wie mir der Angst einjagte. Hatte ich denn so
große Scheiße gebaut? War ich zu aufdringlich?
Ich schluckte, als er wieder zu mir zurückkam. Mit seinen Fingern über meinen
Hals wanderte, den ich ihm fast unterwürfig hinschreckte. Ich spürte auch ganz
deutlich seine Fingernägel. Er hinter ließ damit wohl blutige Spuren auf meiner
Kehle. Vielleicht nur ganz dünne. Doch möglicherweise war er sauer auf mich. Dann
könnte er mir genauso gut die Halsschlagader durchtrennen. So etwas hatte er doch
auch schon mit so vielen anderen gemacht. Das er die Nägel eigentlich ohne
Waffenschein besitzen durfte.
Langsam beugte er sich über mich. Saugte an meinem Hals. Nur rührte er das Blut
darauf nicht an. Ließ es über meine Brust laufen. Es war noch ganz warm.
Ich zuckte zusammen, als er von mir abließ. So plötzlich. Das hatte sich auf
einmal alles so gut angefühlt. Meinetwegen hätte er weiter machen können. Ein
paar Streicheleinheiten wären auch nicht schlecht gewesen.
„Was hältst du von ... Sauna?“
Das fragte er mich? Mich? Er würde mich doch ohne hin zwingen mit zu gehen. Ob
ich jetzt wollte oder nicht. Es wäre ihm scheißegal! Wenn er wollte, dann musste
ich doch eigentlich auch. Und hier alleine bleiben? Nein! Zwei Vampire wussten
schon, dass ich hier war und da konnte es viel zu leicht sein, dass die
möglicherweise doch nicht die Schnauze halten konnte.
Aber halt! Die häusliche Sauna im 2. Untergeschoss war für Werwölfe strengstens
verboten. In die gesamte Etage wurden wir nur gelassen, wenn mal wieder geputzt
werden musste. Und das kam dort unten seltsamerweise durchschnittlich selten vor.
Wieso das so war hatte ich mich eigentlich schon immer gefragt. Nur zu fragen
hatte ich nie gewagt. Vielleicht lag es aber auch einfach nur daran, dass dort
die gesamten Erholungsräume waren und Pack, wie Werwölfe, an solchen Orten nichts
zu suchen hatten.
„Dein Schweigen deute ich jetzt einfach mal als ein 'Super'“, meinte Jemil, „also
komm!“ Er zog mich hoch. Ich hätte wohl nicht so lange über nutzloses Zeug
nachdenken sollen und ihm lieber sagen, dass ich nur einen Hitzschlag kriege,
wenn er mit mir in so etwas, wie eine Sauna gehen würde. Mir war doch hier drin
schon manchmal zu heiß. Da unten konnte es doch nur schlimmer sein.
Nachdem ich mir also noch mein Shirt anziehen durfte, zog Jemil mich hinter sich
her in den Gang hinaus. Da es Tag war trieb sich dort niemand herum. Zumindest
bis jetzt noch nicht. Erst in den paar Stunden vor Sonnenuntergang würden die
meisten Vampire wach werden und die Werwölfe hielten sich ohnehin draußen auf. So
konnten wir zumindest ungestört durch die Flure schleichen. Auch wenn es mir
scharf so vorkam, als würde Jemil mit mir Händchen halten, denn er wollte mich
gar nicht mehr loslassen, obwohl ich sowieso gefügig hinter ihm herlief. Dennoch
– obwohl es mich etwas störte – sagte ich nichts. Ich wollte ihn nicht mehr
wütend sehen.
Minuten später kamen wir endlich im 2. Untergeschoss an. Die Saunen lagen
ziemlich im vorderen Teil. Direkt hinter den Solarien. Für was auch immer Vampire
die brauchten. Braun wurden sie so oder so nicht.
Im Vorraum der kleinen Sauna – wie Jemil sie nannte – zogen wir uns aus. Ohne
auch nur noch ein bisschen Scharm zu zeigen, ließ ich mich sogar von ihm helfen.
Mich auch ganz kurz auf den Bauch küssen, bevor wir schließlich in die
eigentliche Sauna gingen.
„Ich hab extra vorheizen lassen“, meinte der blonde Vampir grinsend mit einem
Handtuch – wie auch ich – um die Hüften, als er sich auf eine der mit Holz
beschlagenen Steinbänke nieder ließ. Es sich schon sichtlich bequem machte,
während ich aus dem Staunen nicht mehr heraus kam. Kleine Sauna war gut. Ich
wollte gar nicht wissen, wie eine große aussah. Diese war nämlich riesig. Größere
als ich es mir vorgestellt hatte.
„Jesko!“
Bei meiner ganzen Verwunderung hatte ich gar nicht mehr auf Jemil geachtet. Ich
wirbelte herum. Am liebsten hätte ich mich aber gleich wieder umgedreht.
Der Vampir lag auf der Bank. Die Beine angewinkelt und gespreizt. Sah mich fast
flehend an.
„Fick mich!“
Für einen Moment stockte mir der Atem. Er konnte sich doch nicht so vor mich
hinlegen. Und dann erst recht nicht so etwas von mir verlangen!
„Aber ich kann doch nicht...“, fing ich an, wurde jedoch von ihm unterbrochen.
„Fick mich oder bring mich um!“
Ganz trauen wollte ich meinen Ohren nicht mehr. Das konnte er gar nicht gesagt
haben. Oder er konnte es zumindest nicht so meinen. Sonst hätte er schon verrückt
sein müssen. Wieso sollte er mich um so etwas auch bitten. In einer solchen Lage.
Ich wurde leicht rot.
„Red doch nicht so einen Mist! Das meinst du doch gar nicht so!“, erwiderte ich
also einfach und lächelte dabei auch noch so verdammt unsicher.
„Ich meine es aber so! Also was willst du?“
„Keines von beiden“, gab ich hastig zu Antwort. Ich würde ihn nie töten. Und auf
Sex hatte ich – ehrlich gesagt – keinen Bock. Zumindest nicht hier. Mir war viel
zu heiß. Noch mehr schwitzen konnte ich kaum noch.
Doch sein bettelnder Blick sagte mir, dass ich wohl eins von beiden tun sollte,
wenn nicht gar musste. Aber das könnte ich nie.
„Wieso wollt ihr den sterben?“, fragte ich aber, bevor ich mir noch einmal
Gedanken über sein 'Angebot' machte.
Er sah sofort weg. Wollte er möglicherweise nicht darüber reden? Zumindest sah es
so aus. Lag es vielleicht an mir? Konnte er es mir einfach nicht sagen?
„Weil nichts mehr für mich Sinn hat!“, erwiderte er schließlich. Und genau das
konnte ich nicht glauben. Wieso sollte denn alles keinen Sinn mehr für ihn haben?
Ich beugte mich über ihn. Stützte mich mit einem Arm neben ihm ab. Mit der anderen
drückte ich seine Beine auseinander.
„Erzähl es mir doch“, meinte ich mitfühlend. Und langsam wendete er auch den
Blick wieder zu mir.
„Selbst kann ich es einfach nicht“, begann er, während sich meine Augen
schlagartig weiteten, „ich hab es schon oft genug versucht!“
Ich drückte ihn an mich. Bettete seinen Kopf an meine Brust. Spürte seinen warmen
Atem darauf.
„Wenn ich den ersten Tropfen meines Blutes gesehen habe, ist mir immer schlecht
geworden ... also bitte! Bring mich um!“ Dass ich momentan nicht mit ihm schlafen
wollte, musste er wohl schon bemerkt haben. Aber dass er dann gleich so etwas
sagen würde, war doch einfach nur krank! Wie konnte er denn jetzt schon nicht
mehr leben wollen? Dafür musste es doch einen Grund geben. Einen wirklich guten!
„Wieso?“, wollte ich wissen. Drückte ihn noch ein bisschen enger an mich.
Leicht fing er an den Kopf zu schütteln. „Das würdest du nicht verstehen!“
Eigentlich wollte ich darauf etwas erwidern. Doch ich wurde plötzlich von ihm
weggerissen. Landete schmerzhaft an der gegenüberliegenden Wand.
„Verschwinde, Drecksköter!“ brüllte mich ein großgewachsener, dunkelhaariger Kerl
an, der mindestens fünf Jahre älter war als ich, zumindest von Aussehen her. Dass
er ein Vampir war, wusste ich auf Anhieb. Wer sollte sich auch sonst noch hier
unten aufhalten?
Ich wollte diesen Blutsauger anbrüllen. Doch da fiel mein Blick auf Jemil. Er
kauerte sich zusammen. Vor Angst? So hatte ich ihn noch nie gesehen. Er zitterte.
Und dieser Blick. Er wirkte fast panisch. Dieser Kerl musste ihm doch schon
irgendetwas angetan haben. Aber ich hatte ihn noch nie gesehen. Bis auf seine
Augen. Dieses Dunkle war mir irgendwie bekannt. Nur woher? Solche Augen konnte
man doch nicht einfach vergessen. Die würden sich doch in einen einbrennen.
Gerade da sie nicht unbedingt von Freundlichkeit überquollen, sondern eher einen
gewissen Hass und Verachtung ausstrahlten. Das Gleiche was die von Jemil noch vor
ein paar Tagen getan hatten. Aber die hatten sich verändert. Ins komplette
Gegenteil. Bei ihm strahlten sie jetzt etwas ganz anders aus. Und jetzt im Moment
erst Recht. Da war etwas zwischen ihnen, was ich wohl wirklich nicht verstehen
konnte. Wieso sollte auch ein Vampir Angst von einem anderen haben? Sie durften
sich doch eigentlich gar nichts gegenseitig antun. Oder irrte ich mich da mal
wieder? Hatte ich doch in den letzten Tagen schon viel zu oft getan.