Für alles braucht man eine Erlaubnis
Lost Angel
Kapitel 15 - Für alles braucht man eine Erlaubnis
Jesko's PoV
Das er sich trotzdem noch so an mich kuschelte. Und das auch noch freiwillig.
Das hatte er doch sonst nicht so gemacht. Machte er es vielleicht wegen dem, was
ich ihm erzählt hatte. Vielleicht glaubte er es gar nicht. Eigentlich wollte ich
es selbst gar nicht wahr haben. Es war aber auch schon so lange her. Ihm hatte
es auch alles nur ein Jahr lang gefallen. Danach hatte ich ihn nur noch mit Mila
immer in Garten spielen sehen. Hatte gelacht. Richtig gelacht. Wieso war er nur
so unglücklich geworden? Eins der wenigen Dinge, die ich ihn einfach nicht
fragen wollte.
Erst vor ein paar Tagen war ich ihm also eigentlich wieder begegnet. Das er mich
einfangen sollte hätte ich gar nicht gedacht. Immer ersten Moment hatte ich auch
seine sonst so strahlenden Augen nicht erkannt, immerhin haben sie ihren schönen
Glanz völlig verloren. Und erst langsam ist es mir jetzt bewusst geworden, dass
er es gewesen war.
Ich drückte ihn etwas enger an mich. "Würdest du wirklich abhauen?", flüsterte
ich. War seinem Ohr ganz nahe. "Sicher", erwiderte Jemil. Ich spürte seine Finger
auf meiner Brust. Wie er zaghaft darüber wanderte.
"Hat es damals sehr wehgetan?" Ich zuckte leicht zusammen. "Was meinst du?" Er
seufzte bei meiner Frage. "Als ich dich früher geschlagen und getreten habe",
erwiderte er schließlich. Zärtlich drückte ich seinen Kopf an mich. "Nicht
sehr." Ich wollte ihm kein schlechtes Gewissen bereiten, obwohl es damals
verdammt wehgetan hat. Einige Narben hatte ich heute noch. Dass er die noch
nicht gesehen hatte. Es wunderte mich fast schon.
"Kann ich es irgendwie wieder gut machen?" Sanft fuhr ich durch sein blondes
Haar, als er das fragte. "Lauf mit mir weg!", hauchte ich. Berührte sein
Ohrläppchen mit der Zunge. Küsste seinen viel zu schönen Hals.
"Das kann ich nicht." Er vergrub seinen Kopf in meiner Halsbeuge. Fühlte seine
Finger auf meinem Oberschenkel. "Wieso?" Ich wollte es wissen. Was gab es für
ihn schon für einen Grund noch länger hier zu bleiben? Wollte er denn bei seinem
verfluchten Bruder bleiben?
"Es ist einfach meine Pflicht. Ich darf nicht einfach von hier weggehen." Was
redete er denn? Was gab es denn hier schon groß für ihn? Niemand brauchte ihn.
Nur ich. Seltsamerweise war ich mir damit so unglaublich sicher.
"Was hält dich denn davon ab?" Ich wollte es wissen. Sollte er es mir doch sagen.
"Die Sonne und ... weil ich einfach nicht darf. Ich bräuchte seine Erlaubnis."
Zärtlich fuhr ich über seinen Rücken. Kicherte leicht. "Wessen Erlaubnis?"
Wirklich verstehen tat ich ihn nicht. Wessen Bewilligung brauchte er denn? Wer
stand denn schon noch über den Vampiren?
"Vom Ältesten. ... Und nur sein Blut könnte mich auch ans Sonnenlicht gewöhnen."
Ich drückte ihn an seinen Schultern weg. Er sah langsam zu mir auf. War das denn
der einzige Grund, wieso er nicht mit mir kam? Nur wegen den bisschen Regeln?
Wollte er sich denn auf Ewig daran halten? Obwohl er es sowieso schon gar nicht
mehr tat? Was war es denn, was er mit mir machte?
"Das ist doch egal. Der würde es dir ohnehin nicht erlauben. Nicht wenn du mit
mir weggehst." Ich zog ihn wieder zu mir. Doch er befreite sich fast mühelos aus
meinem Griff - wirklich festgehalten hatte ich ihn sowieso nicht - und setzte
sich auf.
"Gerade deswegen will ich es auch gar nicht erst versuchen. Und dass flüchten
nichts bringt, hast du selbst schon gesehen." Über diese Tatsache klang er nicht
einmal erfreut. Fast schon traurig. Wollte er etwa - obwohl er es nicht zugab -
von hier weg. Wieso sollte er aber auch nicht? Was hielt ihn denn hier?
"Schau mich nicht so an. Ich werde es doch schon versuchen." Ein zaghaftes Lächeln
bildete sich auf seinen Lippen ab, als er sich zu mir umwendete. Das sah sogar
einmal richtig süß bei ihm auf. Obwohl es kaum zu sehen war. Wenn man nicht ganz
genau hinsah.
Ich raffte mich zu ihm hoch. Legte meine Lippen kurz auf die seinen. Wie angenehm
das gerade war. Nur dieser eine Moment.
Ich wanderte an seinem Hals hinunter. Mein Atem schlug immer wieder dagegen.
Verflucht. Ich hatte höllischen Hunger. Alles hätte ich jetzt wohl gefressen.
Wohl am Ende sogar ihn. Selbst wenn ich es nicht gewollt hätte. Rein das
Hungergefühl hätte ich dazu getrieben.
"Du hast Hunger, richtig?" Er löste sich von mir. Ich nickte, gerade als er
aufstand. Sich noch einmal zu mir drehte. Überdeutlich seufzte. "Willst du
mitkommen?", fragte er. Ich nickte wieder. Liebend gerne kam ich mit. Dann
könnte ich mich vielleicht auch einmal wieder richtig voll fressen. Gleich
sprang ich auf und folgte ihm.
Wir marschierte nur durch die Gänge. Sie waren noch völlig leer. Wieso war denn
noch immer kein Vampir auf den Beinen. Könnte es wirklich sein, dass sie noch
nicht wach waren. War die Sonne noch immer nicht untergegangen.
Wir gingen durch einen der großen Säle. Dort hielt Jemil für einen Moment Inne.
Blickte zu einer der riesigen Flügeltüren. "Dahinter ist Victor. Der momentane
Älteste", murmelte er. Fixierte mit den Augen nur noch diese Tür.
"Dann gehen wir ihn nachher doch einfach einmal besuchen." Er schüttelte bei
meinen Worten abrupt den Kopf. "Du darfst da nicht mit hin. Das ist die heilige
Gruft. Nur ein Vampir darf dort hin." Ich schlang die Arme um ihn. "Wie sieht es
denn dann mit dir aus?" Er hatte den Kopf gesenkt. Tat so als ob er mir gar
nicht richtig zuhören würde. "Eigentlich ist es mir auch nicht erlaubt dort
hinzugehen. Aber im Grunde ist es jetzt auch egal."
Sanft löste er sich wieder aus meiner Umarmung. Ging weiter. Das Knurren meines
Magens deutete mir an, dass ich immer noch Hunger hatte. Lief ihm schließlich
hinterher.
Ich kannte mich schon lange nicht mehr aus. Wusste nicht wo wir waren. "Wohin
gehen wir?", fragte ich. "Da wo die Festmahle für unsere 'Gäste' aufbewahrt
werden." Eine etwas knappe Antwort für mich.
"Tob dich aus", verkündete der blonde Vampir, als wir durch die Küche, die ich
noch nie von innen gesehen hatte, marschiert waren. Direkt in den Kühlraum.
Ich konnte nur über das Staunen. Für was brauchten die Vampire das nur alles.
Sie aßen doch ohnehin nichts. Und für das Blut, das sie brauchten, war das hier
zu viel Platz. Immerhin war auch nicht nur ihr wichtiger Lebenstrank hier
aufbewahrt.
"Für ..." Er schnitt mir das Wort ab. "Selbst meine Familie braucht manchmal
frisches Menschenblut. Und niemand vermisst Menschen, wenn sie zu uns eingeladen
werden. Meinst sind es Alleinlebende, die keine Familie mehr haben. Man braucht
nur genug von ihnen. Das Festmahl war immer gigantisch. Nur nichts für mich." -
Er blickt zu mir - "Und bevor sie umgebracht worden sind, durften sie sich erst
einmal satt essen." - Einen Moment wendete es sich wieder ab - "Aber jetzt bist
erst einmal du dran."
Das musste er mir kein zweites Mal sagen. Ich fraß mich einfach einmal durch
alle Gänge hindurch. Hier gab es wirklich alles. Selbst feinsten Kaviar. Obwohl
das nicht für mich war. Fischeier waren doch zu eklig.
"Brauchst du noch lange?", rief Jemil nach gut einer halben Stunde, als ich
schon längst wieder auf dem Rückweg zu ihm war. Nur noch gelegentlich etwas aus
einem der endlosen Regale nahm.
Er hatte sich auf dem Boden zusammen gekauert, als ich ihn wieder fand. "Ist dir
kalt?", fragte ich. Setzte mich zu ihm. "Etwas." Seine Lippen wirkten blau und
seine Haut noch weißer, als sie es sowieso schon war.
"Na dann komm." Ich zog ihn hoch. Raus aus dem Kühlraum. Legte draußen einen Arm
um ihn. Drückte ihn etwas an mich. So wurde ihm rasch wieder warm. Gab ein
klangvolles Summen von sich. Fühlte er sich so wohl.
Für einen Moment hatte ich mich nicht ganz unter Kontrolle. Drückte ihn gegen
eine Wand. Hätte beinahe in seinen Hals gebissen. Der Wolf in mir trieb mich
dazu. Also war es zumindest nicht der Hunger.
"Lass das. Wenn uns jemand erwischt", zischte er. Sofort ließ ich ihn los. "Wer
denn? Mila vielleicht? Sie ist doch wohl die Einzige, die sich momentan schon
auf den Gängen herumtreibt." Wer würde das aber auch um diese Tageszeit sonst
auch tun.
Doch ich zuckte plötzlich durch näher kommende Schritte zusammen. Presste Jemil
wieder gegen die Wand. Lauschte. Mein Blick schweifte immer wieder nach links
und rechts. Ich spürte, dass dieser Jemand noch näher kam.
"Jesko, du lebst?" Ich wirbelte herum. Zwei fast schon zu dunkle, rote Augen
blitzen vor mir auf. "Laurin", fauchte ich, "was machst du denn hier?" Doch der
Jüngere beachtete mich gar nicht. "Ein Fledermäuschen. Zu süß." - Er grinste. -
"Was treibst du mit dem? Willst du ihn fressen?"
Ich spürte wie Jemil zitterte. Er hatte doch wohl vor dem guten Laurin nicht
Angst? Er war doch fast schon nur ein junges Schosshündchen. Noch schlimmer als
ich. Nur das er nie im Leben so gut gehorchen würde.
"Lass ihn in Ruhe", knurrte ich. Ließ den jungen Vampir langsam los. Dessen
Blick sich langsam in seinen ursprünglich kühlen verwandelte. Das er sich wohl
erschreckt hatte, wollte er gar nicht zeigen.
"Seit wann bist du mit einem solchen ... Sklaventreiber befreundet?", fragte
er. "Seit wann bist du tagsüber hier drin?", erwiderte ich jedoch nur mit einer
Gegenfrage. Laurin grinste. "Wenn Vollmond ist, lassen sie uns doch nie raus.
Sogar wenn es noch Tag ist. Und ich hatte keine Lust mich da unten noch länger
herumzutreiben."
Ich wendete mich von ihm ab. Hielt Jemil am Handgelenk fest. "Dann darfst du
dich jetzt geehrt zeigen und uns in Frieden lassen", zischte ich. Laurins Augen
verengten sich, als ich ihm noch einen Blick schenkte. "Verrätst du jetzt schon
deine eigene Art?"
Ich antwortete gar nicht. Zog Jemil hinter mir her.
"Wir werden jetzt zu diesem Victor gehen und ... beantragen, dass du gehen darfst."
Ich merkte gar nicht, wie er hinter mir zeterte. Bis er auf einmal stehen blieb
und ich einen Schritt zurück stolperte. "Trotzdem kann ich nicht einfach mit.
Die Sonne würde mich umbringen."
Ich hörte es heraus. Er wollte mit. Ja, er wollte. Aber diese eine Tatsache ließ
es einfach nicht zu. "Dann bring ich ihn für dich um, damit du sein Blut bekommst."
Es sollte fast nur ein Scherz sein. Nur fast. Tun würde ich es wohl.
"Idiot."
Sanft - fast zaghaft - legte er die Arme um meinen Bauch. Murmelte mir etwas ins
Ohr. Selbst für mich zu leise. Ich wollte ihn schon fast fragen, was er gesagt
hatte. Doch er meinte nur: "Irgendwann sag ich es dir noch mal!" Ich nickte. Das
würde er wohl tun.
"Sag du mir aber jetzt gleich: Wieso hast du dem Wolf gerade eben nichts von uns
gesagt?" Nicht gerade etwas, auf das ich wirklich antworten wollte. "Weil er es
war, der mich zum Fliehen animiert hatte. Dem wollte ich es einfach nicht
erzählen."
Jemil summte. "Dann hab ich dich wegen ihm." Wie spöttisch das doch klang.
Musste er so gemein klingen. "Ja", erwiderte ich schließlich knapp. Wenn es ihn
glücklich machte, dann war ich es auch.
Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen ab. Ich hatte es anfangs doch
eigentlich schon etwas dumm gefunden, dass ich mich zu dieser verfluchten Flucht
drängen habe lassen. Aber jetzt war es doch recht gut. Besser als jetzt konnte
es mir doch eigentlich gar nicht mehr gehen. Bis vielleicht auf die Sache, dass
ich bald nicht mehr hier sein würde. Obwohl selbst das gut sein konnte. Immerhin
würde ich mit ihm weg kommen. Nur mit ihm. Dem einzigen den ich ... nein, so
weit konnte ich noch gar nicht sein.
Ich schüttelte ganz leicht den Kopf. War ich denn wirklich schon so versessen
nach ihm. Oder war dieser Gedanke nur ein bloßes Versehen.
"Na komm." Er nahm meine Hand. MEINE Hand. Und zog mich jetzt hinter sich her.
Wollte er zumindest. Doch ich rührte mich kein Stück. Hatte nur den Kopf gesenkt.
"Was ist denn jetzt, Jesko?"
"Liebst du mich?" Es war nicht mehr, als ein Flüstern. Kaum der Rede wert. Er
hätte mich auch gar nicht hören müssen. Ich empfand es sogar fast als sinnlos,
dass überhaupt von mir gegeben zu haben.
Als er sich zu mir umdrehte wurde ich rot. Jede Tomate wäre eifersüchtig
geworden. "Etwas schon." Ich tat keinen Zucker bei seiner Antwort. Hatte er das
denn jetzt wirklich gesagt? Ganz echt? Ganz, ganz echt?
Ich blickte wieder auf. Doch er sah mich nicht mehr an. Zu gerne hätte ich
seinen Gesichtsausdruck gesehen. Daran würde ich vielleicht ablesen können, ob
er es ernst gemeint hatte. Nur so ging das einfach nicht. Dabei wäre mir sein
Blick jetzt wirklich wichtig gewesen.