Wärme von wem?
Lost Angel
Kapitel 19 – Wärme von wem?
Jesko’s PoV
Mir fielen die Augen schon fast zu. Wohl oder übel hatte ich zu wenig geschlafen.
Und dann liefen wir auch noch durchgehend. Das Stück, das wir mit dem Pferd
zurückgelegt hatten, hatten wir jetzt schon längst übertroffen. Auch das Dorf,
das von diesem Werwolf regelrecht zu Grunde gerichtet wurde, lag schon weit
hinter uns. Doch ich wollte nicht meckern. Irgendwann würden wir schon einmal
eine Pause machen. Ich musste nur so lange durchhalten.
Ich spürte immer wieder Jemils nervöse Blicke, die er mir zuwarf. Meistens
wendete er sich dann aber auch gleich wieder seinen Händen zu. Sie waren noch
immer Blut verschmiert. Das was er im Gesicht gehabt hatte, war leicht
wegzuwischen – so viel war es nicht – aber seine Finger waren noch immer davon
getränkt. Seine Augen zeugte nur so davon, wie es ihn anwiderte.
Jedoch wusste ich genauso gut, dass er sich einfach nicht zurückhalten konnte.
Der Durst nach Blut war in ihm übergequollen und hätte ihn wohl innerlich
zerfressen, wenn er es nicht einfach getan hätte.
Von dem eigentlichen Massaker, das er angerichtet hatte, hatte ich gar nichts
mitbekommen. Das einzige was ich tat, war ihn loszulassen und dann war er auch
schon weg. Vielleicht hätte ich aber auch einfach nicht so lange auf den Boden
starren sollen. Doch was sollte ich schon anderes tun. Ich wollte es nicht sehen,
wie er diese Menschen umbrachte. Nur deswegen war ich so langsam dann auch hinter
ihm her. Aber wohl doch schnell genug. Dieser Werwolf hätte ihn wohl getötet. Wer
der wohl war? Zumindest war er keiner von denen, die bei Jemils Clan gelebt
haben. Soweit war ich mir sicher.
Ich hielt Jemil an der Hand fest. Leckte ihm schließlich über die Finger. Das
Blut ging nicht wirklich gut ab und es schmeckte auch noch grässlich – eben etwas
eingetrocknet – aber irgendwie musste ich ihn davon befreien. Er ekelte sich
davon, dass es an ihm klebte, und trotzdem hatte er es getrunken. Da hatte er
keinen Ekel mehr gefühlt, als er sich auf diese Leute gestürzt hat. Es war wohl
dann wie weggeblasen.
„Du bist müde.“ Ich schreckte aus meiner kleinen Säuberungsarbeit hoch. „Ein
bisschen“, nuschelte ich. Wendete mich wieder seinen Händen zu. Ein leichter
salziger Geschmack hatte sich unter den des Blutes gemischt. Er schwitzte auch
etwas. Wahrscheinlich war er genauso erschöpft, wie ich. Es wäre wohl wirklich
besser, wenn wir eine Pause machen würden. Aber ich wollte nicht danach fragen.
Quengeln war nicht so meine Angelegenheit. Möglicherweise war ich aber auch
einfach nur zu unterwürfig.
„Ich glaube sie sind sauber.“ Jemil zog seine Hände von mir weg. Wischte sie sich
etwas an seinem Umhang ab. Bildete ich mir das für einen Moment nur ein oder
hatte er einen richtig glücklichen Gesichtsausdruck aufgelegt. Ich konnte mir
einfach ein Grinsen nicht verkneifen. Er sah wirklich für einen Augenblick zu süß
aus.
„Du brauchst etwas Schlaf.“ Ich spürte Jemils durchdringenden Blick, als er das
zu mir sagte. Ganz sanft legte er die seine um die meine Hand. Seine Finger waren
ganz kalt. Schon als ich sie abgeleckt hatte, waren sie das. Jetzt nur noch viel
kälter. Er zitterte auch ganz leicht.
„Ok. Dann sollten wir uns aber einen anständigen Schlafplatz suchen“, stimmte ich
schließlich seinem Vorschlag zu. Sah mich schon suchend um. Eine Hütte würden wir
hier mitten im Wald nicht finden. Eine kleine Höhle würde wohl jetzt das Beste
für uns sein.
Ich blickte mich um. Doch es war nichts Annäherndes zu sehen. „Es sollte hier
irgendwo eine Höhle in der Nähe sein“, meinte da aber auch schon Jemil, „da hab
ich früher immer mit Mila gespielt.“ Irgendetwas lag in seiner Stimme etwas so
traurig klang. Er erinnerte sich wohl nicht gerne an diese Zeit.
„Dann sollten wir wohl da hin. Sonst verbrennst du uns noch in der Sonne.“ Es war
noch tief dunkel. Bis es hell werden würde wären wohl noch einige Stunden
vergehen. Aber ich fühlte mich sicherer, wenn er früh genug irgendwo davor
geschützt war, obwohl das wohl sein schwarzer Mantel auch ganz gut tat. Doch ich
war wirklich müde. Zu lange war ich jetzt schon wach.
Er hetzte mich aber noch eine ganze Weile durch die Gegend. Und dennoch ging es
dann an einem niedrigen Erdwall wirklich in die Tiefe. So groß konnte das wohl
gar nicht sein. Zumindest dachte ich das im ersten Moment. Als er mich dann
hinein gelotst hatte bemerkte ich aber erst, dass es eine schöne, gemütliche
Höhle war. Mit genügend Platz. Zwar konnte man kaum aufrecht laufen, jedoch
wollte ich ohnehin nur schlafen. Mein Körper brauchte das jetzt um einiges mehr,
als senkrecht stehen zu können.
„Na, wie geht es dir?“, fragte Jemil, als er gerade zu mir kroch. Ich hatte es
mir schon auf dem Boden bequem gemacht. Wollte mich schon auf die Seite rollen.
„Geht schon“, gab ich nur knapp zurück. Doch da schmiegte er sich schon an mich.
Machte es sich an meiner Schulter bequem.
Ich glitt mit den Fingern über sein Haar. Ganz kurz zuckte er zusammen. „Ich war
schon lange nicht mehr hier“, flüsterte er und es halte dennoch ganz leicht an
den niedrigen Wänden wider.
Er blieb mit seinen eigenen Händen auf meiner Brust zum Liegen. Seufzte
erschöpft. „Das alles hätten wir von Anfang an nur nachts durchziehen sollen“,
keuchte er. Es war ihm wohl auch zu viel geworden. Gerade da wir Tagsüber
gelaufen waren. Er war das gar nicht gewohnt. Eigentlich schlief er zu dieser
Zeit und dann musste er jetzt auch noch so eine Marsch hinlegen. Obwohl er doch
ein paar Stunden geschlafen hatte. Im Gegensatz zu mir. Ich war die ganze Zeit
über wach. Hatte über ihn gehütet, wie ein Hirte über ein verlorenes Schaf, das
er erst vor ein paar Minuten wieder gefunden hatte.
So ähnlich versuchte ich ihn gerade auch zu umsorgen. Doch ganz ließ er mich
irgendwie trotzdem noch immer nicht an sich heran. Irgendwie fühlte ich das. Er
verschloss sich immer noch vor mir. Dabei hatte er sich wirklich schon weit
geöffnet. Das er mir schon nicht mehr diesen kalten Charakter zeigte, war doch
schon ein Vorteil. Im Ansatz hatte ich doch sein wahres Ich schon wieder zum
Vorschein gebracht.
Er war aber wirklich nicht so eiskalt. Eher wirklich richtig schüchtern und
einfach nur zurückhaltend.
Er kuschelte sich noch etwas mehr an mich. Wollte er nur meine Wärme spüren.
Vielleicht sollte ich ihn auch etwas zärtlich berühren.
Ich fuhr über seine Taille. Ließ meine Finger etwas weiter nach unten wandern. So
weit ich eben kam. Er summte ganz leicht. Klang vergnügt. „Das fühlt sich gut
an“, flüsterte er. Schmiegte seine Kopf noch enger an mich. Es gefiel ihm wohl
wirklich. Ein bisschen Nähe war also sogar ihm richtig lieb. Dann könnte ich wohl
etwas weiter gehen.
Sanft streichelte ich über seinen Oberschenkel. Nur über die obersten Stellen.
Weiter kam ich ohnehin nicht. Oder eigentlich wollte ich gar nicht. Es reichte
mir schon so aus. Ihm anscheinend auch. Irgendwie bildete sich ein Grinsen auf
meinem Gesicht, wenn ich mir vorstellte, dass er das wirklich gerade genießen
könnte. Ich fasste ihn doch nur ganz leicht an. Das war doch kaum der Rede wert.
„Das fühlt sich wirklich gut an“, schnurrte er. Rutschte noch ein winziges Stück
näher zu mir. Das ging eigentlich schon fast gar nicht mehr.
Ich spürte eins seiner Beine zwischen den meinen. Er war auf mich gekrochen. Lag
jetzt halb auf mir. Ein Arm von ihm war zumindest noch auf der kalten Erde.
Stützte sich dort noch immer etwas ab.
„Komm doch ganz her.“ Ich zerrte ihn vollendet auf mich. Schloss die Arme um
seinen schmalen Körper. Er zitterte leicht. Etwas fror er immer noch. Obwohl sich
hier langsam unsere gesamte Wärme anstaute. Es ging so gut wie gar nichts davon
nach draußen. Als ob nichts in diese Kälte hinaus wollte.
„Mir ist kalt“, flüsterte Jemil. Klammerte sich an mich. Ich konnte ihn kaum noch
mehr wärmen. Mehr konnte ich nicht an ihn abgeben. Es ging einfach nicht. Und
trotzdem versuchte ich es irgendwie. Ich wollte doch nicht, dass ihm kalt war.
Er krallte seine Finger in mein Shirt. Zitterte immer noch. Ihm wurde gar nicht
warm. Wieso denn nur nicht? „Komm Jemil, beruhige dich.“ Ich rollte mich herum.
So das er unter mir liegen blieb. Setzte mich schließlich breitbeinig auf ihn.
„Du bist schwer“, murmelte er, als er mich von sich herunter schieben wollte.
Doch jetzt legte ich mich nur auf ihn. Versuchte mich so leicht wie möglich zu
machen.
„Wird dir jetzt wärmer?“, fragte ich schlussendlich. „Etwas.“ Er fror wirklich
nicht mehr so sehr. Und jetzt wartete ich eigentlich nur noch darauf, dass er
einschlafen würde. Das, was eigentlich ich machen wollte. Ich wollte schlafen.
Aber ich konnte gar nicht. Zumindest nicht so lange er wach war.
Und dann würde ich erst recht nicht mehr zur Ruhe kommen. Irgendeiner musste doch
auf ihn aufpassen.
Ich sank auf ihn zusammen. Schloss für einen Moment die Augen. Für diese wenigen
Sekunden spürte ich ein bisschen Wärme an ihm. Ich legte die Arme um ihn. Spürte,
wie er sich an mich drückte. Leicht streichelte ich über seine Taille.
Überdeutlich vernahm ich das Summen, das er von sich gab. Fuhr wieder und wieder
über seine Hüfte.
„Du solltest etwas schlafen“, meinte Jemil irgendwann. Schob mich von sich
herunter. Ich landete auf der unbequemen, kalten Erde. Auf ihm war es viel
schöner. Aber scheinbar war ich ihm ohnehin zu schwer. Er würde mich wohl nicht
lange auf sich aushalten können.
Eigentlich wollte ich mich neben Jemil zusammen rollen. Doch da beugte er sich
schon leicht über mich. Bettete seinen Kopf auf meine Brust. „Schlaf etwas“,
flüsterte er. Fast zärtlich küsste mich der Vampir. Ich kam nicht mehr dazu auf
den Kuss einzugehen, denn da ließ er schon wieder von mir ab. Setzte sich leicht
auf.
„Ich werde mich draußen einmal umsehen. Ok?“ Ich nickte langsam. Aber er hatte
sich schon von mir abgewendet. Kämpfte sich im Halbwaagerechten wieder nach
draußen.
War er jetzt irgendwie vor mir geflüchtet? Leicht verwirrt zog ich eine
Augenbraue hoch.
Ich rollte mich endlich zusammen. Machte mich zu einer möglichst kleinen Kugel.
Auf einmal war es, als ob mir kalt werden würde. Da hatte er wohl doch mehr mich
warm gehalten, als ich ihn.
Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich jetzt sogar richtig einsam. Genauso, wie er
es oft genug getan hatte. So kam es mir zumindest vor. Wie sollte er sich aber
auch anders gefühlt haben, wenn er nie jemand nah genug an sich heran gelassen
hatte. Dabei suchte er Nähe, wie kein anderer. Konnte nur alleine nicht wirklich
etwas dagegen tun.
Ich seufzte. Mein kleiner Vampir. Wie konnte es nur nie jemand spüren? Wieso
konnte nur nie jemand sehen, wie er wirklich war? Diese Kälte gab es eigentlich
gar nicht bei ihm. Alles nur gespielt. Nur vorgetäuscht. Es war alles nur dafür
gedacht, dass er niemanden unbedingt in seine Nähe lassen musste. Dass er
überhaupt mich so weit an sich heran ließ.
Wieder seufzte ich. Presste die Augen zusammen. Ich war viel zu lange mit einem
Grinsen durchs Leben gesprungen um zu merken, dass es Wesen gab, denen es nicht
so gut ging wie mir. Und trotzdem hab ich seinen Blick immer wieder gesehen. Er
sah so bedrückt auch obwohl viel zu oft, dieses Eisige in seine Augen lag. So
herablassend.
Wie sich das doch eigentlich auf einmal geändert hatte. Ich rollte mich auf den
Rücken. Er war ganz anders geworden. Oder hatte er ganz einfach nur seine Maske
weggeworfen und es nur mir gezeigt?
Ich wickelte mich in meinen Mantel ein. Ohne ihn war mir wirklich kalt. Und dabei
fühlte ich mich auch mehr wohl, wenn jemand bei mir war, der mich etwas in den
Arm nahm.
Mir wurden die Lider schwer. Ich brauchte wirklich Schlaf. Ich war schon viel zu
lange wach. Und der Marsch machte alles gerade nur noch schlimmer. Mir tat alles
weh.
Langsam verschwamm alles vor meinen Augen. Löste sich in ein Schwarz auf. Bis es
sich ganz um mich legte. Und mich in einen traumlosen Schlaf zog.