Wen würde er beißen?
Lost Angel
Kapitel 29 – Wen würde er beißen?
Jesko’s PoV
Diese kleinen Hybriden waren doch wirklich zu süß. Auch wenn sie auch ein
bisschen nervig waren. Doch so war ich auch einmal. Zumindest irgendwann einmal
früher, als ich noch ganz klein war.. Immerhin hatte ich so eine schöne Kindheit
nie gehabt.
„Jesko!“ Ich spitze die Ohren. Drehte mich auch gleich zu Jemil, der mich da
rief, um. „Was ist denn?“ Da rissen mich aber schon ein paar der Kleinen zu
Boden. „Lasst ihn doch einmal in Ruhe.“
Der Vampir hockte sich vor mich hin, während die keinen Vampir-Werwolf-Mischlinge
auf mir saßen. „Wieso denn?“, fragte da ein kleiner Blonder. „Weil der gute Jesko
mir gehört“, erwiderte Jemil.
„Schade“, seufzte da einige der Kleinen. Ließen auch schon binnen weniger
Sekunden von mir ab. „Danke“, meinte ich grinsend zu Jemil. Doch da schlag der
schon die Arme um mich.
„So anhänglich?“, fragte ich mit gehobener Augenbraue. „Nur hungrig“, flüsterte
er da aber schon als Antwort. Küsste zärtlich meinen Hals. Leckte leicht darüber.
„Du bekommst doch bald was.“ Ich löste seine Umarmung um mich.
Die Blutlust kam ihm wohl irgendwie momentan ziemlich oft. War er denn wegen
diesen paar Tagen, in denen er geschlafen hatte, so ausgehungert?
„Onkel Jemil! Onkel Jesko!“ Ich spürte eine Hand um mein Handgelenk. „Hey,
Felix“, meinte ich nur, als ich den kleinen Hybriden erkannte. Der mich und den
Vampir auch gleich versuchte hinter sich herzuziehen.
„Hat er uns gerade ‚Onkel’ genannt?“, flüsterte mir da auf einmal Jemil zu.
Gefügig folgten wir gerade dem Kleinen. „Lass ihn doch.“ Der warme Hauch meiner
Stimme ließ sein Haar für einen Moment sich in Bewegung setzen.
„Satôbi hat gesagt, wir sind bald da“, wendete sich da Felix an uns, als wir
schon in Mitten der ganzen Hybriden waren. „Das hat er schon einmal gesagt“,
seufzte ich. „Dieses Mal stimmt es aber auch.“ Der kleine Hybride strahlte
wirklich übers ganze Gesicht.
„Ich hoffe mal, dieses Mal passen alle etwas besser auf und ich muss nicht wieder
irgendwelche Zähnen aus irgendwelchen Hälsen ziehen“, meinte da gerade Satôbi.
Irritiert hob ich eine Augenbraue.
„Das letzte Mal sind drei hängen geblieben“, erklärte da aber schon Felix. Immer
noch grinsend. Ich hob noch die zweite Augenbraue. Was waren denn das für
Idioten? Wie schwer war es denn seine Zähne wieder aus dem Hals eines Opfers zu
bekommen und das dann am besten noch daran zu hindern, sich zu verwandeln?
Ich schüttelte leicht den Kopf. Für einen Moment lehnte sich Jemil an mich. Und
ich wendete mich knapp zu ihm. Doch kaum hob ich mein Haupt wieder, war auf
einmal der Großteil der Hybriden schon weg. „Wir sollten uns vielleicht beeilen“,
meinte da schon der Vampir neben mir.
Ich stapfte vor ihm her. Nur einige Hundert Meter vor uns lag ein kleines Dorf.
Das wollten sie wohl ausmeucheln. Jemil seufzte. Er wollte das wohl eigentlich
gar nicht mehr machen. Nie wieder einen Menschen töten. Und jetzt war er doch
wieder so weit. Und es war wohl seine einzige Möglichkeit, dass er sich nicht
völlig planlos auf irgendjemanden stürzen würde.
„Du, Jemil? Willst du das wirklich tun?“, fragte ich ihn einfach. Und er wendete
sich leicht zu mir. „Wieso nicht? Ich muss es immerhin tun.“ Doch kaum hatte er
das ausgesprochen, rannte ihn ein Mädchen fast über den Haufen.
„Bitte! Helft mir!“ Verängstigt blickte sie ihn an. Krallte die Finger in sein
Shirt. Sein Blick schweifte knapp über ihr Gesicht, bevor er sich ihrem Hals
zuwendete. Kurz schrie sie auf, als er schon seine Eckzähne in ihre Kelle rammte.
Ihre Arme wurden langsam schlaff. Und ihr Körper wohl auch immer kälter.
Ich sah Jemil stumm dabei zu, wie er langsam den kostbaren Lebenssaft aus ihr
saugte. Es wirkte aber nicht so, als ob er sie bis zum aller letzten Tropfen
aussaugte. Langsam ließ er ihren Körper auf den Boden fallen. Blickte wie gebannt
in den Himmel, wo die Sterne von einigen Wolken verdeckt wurden.
Langsam wanderte sein Blick wieder zu dem Mädchen, das noch immer an seinen Füßen
lag. „Ciao, Kleine“, flüsterte er sich zu ihr bückte und ein ein Knacken kurz die
Stille der Nacht durchbrach.
„Äh, was hast du mit ihr gemacht?“, fragte ich, als wir weiter gingen.
„Gebissen“, erwiderte er. Knapp schluckte ich, das war aber doch nicht alles.
„Und danach?“, bohrte ich. Das Knacken war schon ein etwas seltsames Geräusch.
Jemil warf mir einen kurzen Blick zu. „Das Genick gebrochen“, meinte er wie
nebenbei. Ich blieb abrupt stehen. „Du hast was getan?“, stieß ich aus. Das hatte
er nie im Leben gemacht.
Der Vampir wendete sich wieder zu mir. „Das hab ich doch schon gesagt. Das Genick
gebrochen.“ Er wollte schon weiter gehen. Doch ihn hielt ihm am Kragen fest.
„Wieso?“, zischte ich. Jemil blickte nur desinteressiert an. „Sonst hätte sie
sich verwandelt. Und da ich keine Lust habe ihr etwas von meinem Blut zu geben,
ist es besser. Oder willst du das dir eine willenlose, Blut saugende, sabbernde
Bestie hinterher rennt?“ Langsam schüttelte ich den Kopf, als er sich wieder von
mir befreite. „Siehst du.“
Etwas irritiert blickte sich der Vampir um, als wir am Marktplatz des Dorfes
angelangt waren. Er setzte sich auf den Rand des Brunnens, der dort in der Mitte
angelegt worden war. „Sieht so aus, als ob sie so gut wie fertig wären“, meinte
Jemil. Streckte sich leicht.
„Wie kommst du darauf?“, wollte ich wissen, als ich mich neben ihm nieder ließ.
„Schau dich doch um. Es treibt sich hier draußen niemand mehr herum, also können
wohl kaum noch viele Menschen leben. Sonst würden sie wohl so weglaufen, wie
dieses Mädchen eben.“
Ich beugte mich zu ihm. Strich ihm einen Haarsträhne aus dem Gesicht. „Und wo
sind dann die anderen?“, hauchte ich ihm ins Ohr. „Vielleicht noch bei der
Müllbeseitigung“, erwiderte er nur.
Ganz vorsichtig glitt ich mit den Fingern an seinem Hals entlang. Zog ihn etwas
näher zu mir. Liebkoste vorsichtig sein Ohr.
Ein Keuchen verließ Jemils Kehle, als ich seinen Schritt berührte. Ihn dort
langsam immer wieder streichelte.
„Wir sollten das hier nicht machen“, flüsterte er. Aber ich spürte es doch ganz
deutlich. Er wollte es. „Nur ganz kurz“, säuselte ich. Jedoch drückte er mich da
schon von sich weg. „Nein“, meinte er bestimmend. So ließ ich mich aber nicht
abwimmeln. Zog ihn auf meinen Schoss. Breitbeinig saß er auf mir. Blickte sich
unsicher um.
„Das können wir doch nicht machen. Hier kann jederzeit irgendeiner von diesen
Hybriden aufkreuzen.“ Bevor er das letzte Wort überhaupt komplett von sich geben
konnte, verschloss ich schon seine Lippen mit den meinen. Vereinigte sie zu einem
leidenschaftlichen Kuss, aus dem er sich dann fast schon nicht mehr lösen wollte.
Jemil keuchte leicht, als ich begann seine Hüfte sanft zu kneten. Er drückte
seinen Kopf gegen meine Brust. Ließ endlich meine Berührungen zu. Auch wenn er
sich wohl auf die Zunge biss, nur damit er nicht zu laut wurde.
„Du unterdrückst es doch sonst nicht so.“ Ich übersäte seinen Hals mit Küssen.
„Aber ich will es nur nicht. … Nicht jetzt“, erwiderte er. Kuschelte sich etwas
an mich.
Er brauchte es wohl in letzter Zeit eigentlich gar nicht. Oder er hielt es
einfach nur nicht aus, dass uns so viele dabei zuhören könnten.
Also fasste ich ihn eben so nicht mehr an. Für die nächste Zeit. Ich
könnte mich schon zurück halten. Unbedingt brauchen tat ich es ja nicht.
„Onkel Jemil und Jesko!“ Die Stimme kannte ich doch. „Hey, Felix!“ Eigentlich
wollte ich aufstehen, aber mit Jemil immer noch auf meinem Schoss ging das nicht
so gut. „Schläft er?“ Der kleine Hybride hatte sich neben mich gesetzt. Beäugte
interessiert den Vampir. „Wie es aussieht.“ Jemil war schon ein Fall für sich. Es
gab schon einiges, was ihn zu sehr erschöpfte.
„Wo sind die anderen?“, fragte ich. Felix blickte mich mit großen Augen an. „Weiß
ich nicht, aber die treiben sich hier sicher irgendwo herum.“ Der Kleine seufzte
und ließ den Kopf hängen. Ließ seine Beine leicht vor und zurück schwanken.
„Und da lassen sie dich ganz alleine?“, wollte ich wissen. Blickte den kleinen
Hybriden fragend an. „Wir trennen uns immer, wenn wir mit auf diese Jagd gehen.
Da ist jeder auf sich selbst gestellt. Und ein anderer würde ohnehin nur stören.“
Als ich antworten wollte durchzog ein Schrei die Stille. Ich blickte auf. Es war
nicht zu sehen, was diesen Laut ausstoßen hätte können. Sofort viel also mein
Blick auf Jemil. Doch der lag immer noch friedlich schlafend in meinen Armen.
„Und wieder einer weniger“, flüsterte aber schon Felix. Ich sah verwirrt zu ihm.
„Da ist wieder ein Mensch weniger“, erklärte er und blickte zu mir. Erst jetzt
bemerkte ich das Blut, das an seinen Mundwinkeln klebte. Also hatte auch er
jemanden ausgesaugt. Ich konnte mir aber gar nicht vorstellen, dass er denn dann
auch so eiskalt getötet hatte, wie Jemil. Der hatte doch gerade eben nicht einmal
mit der Wimper gezuckt.
„Hat er denn auch schon was getrunken?“, fragte aber auf einmal Felix. Riss mich
damit aus meinen Gedanken. „Ja, gerade eben. Das Mädchen liegt noch irgendwo da
vorne.“ Ich nickte in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
„Hat er sie auch getötet?“ Der Hybride legte den Kopf schief. Blickte mich
fragend an. „Ja“, gab ich knapp zur Antwort. „Dann ist er wirklich ein richtiger
Vampir. Von uns kann das nämlich keiner so einfach. Ich beiße zwar Menschen, aber
umbringen kann ich sie einfach nicht. Dann tun sie mir viel zu sehr leid.“ Der
Kleine seufzte. Fixierte einen undefinierbaren Punkt auf dem Boden mit seinen
Augen.
„Na ja, das wirst du wohl auch irgendwann einmal können“, versuchte ich ihm Mut
zu machen. „Ich will das gar nicht können.“ – Er zog die Augenbrauen zusammen. –
„Es ist eklig Menschen so töten zu müssen.“ Ich verzog darauf nur leicht das
Gesicht. „Machen tue ich es auch nicht gerne“, stimmte ich ihm zu, aber fügte
dann noch hinzu: „Manchmal muss man es aber eben machen. Wir sind immerhin
eigentlich Monster.“
Der Kleine kauerte sich zusammen. „Eigentlich will ich so was gar nicht machen.
Aber mit dem halben Vampir in mir muss ich das. … Ich finde es eigentlich voll
doof.“ Irgendwie konnte ich ihn verstehen. Mir wäre es auch zu wider einfach so –
grundlos – jemanden töten zu müssen.
„Du musst dich mit dem zufrieden geben was du bist“, meinte ich nur. Und im
Grunde stimmte das doch so. Ich war eigentlich auch nicht gerne Werwolf, aber es
war immer noch besser, als irgendetwas anderes zu sein. Da könnte ich mich jetzt
gar nicht mehr hinein versetzen. Aber wenn man schon 16 Jahre lang Werwolf war
konnte man wohl auch nichts anderes lieber sein.
„Felix!“ Einige Jungen kamen zu uns gelaufen. Alle waren sie blutbefleckt. Also
alles Hybride.
Sie blieben etwas von uns entfernt stehen. Verwirrt hob ich eine Augenbraue und
wie es aussah verstand auch Felix nicht was los war. „Was ist denn?“, fragte er.
Blickte immer wieder zwischen mir und Jemil und seine Freunden hin und her. „Wir
gehen nicht näher an diesen Vampir“, erwiderte ein Junge. Seine Augen glitzerten
fast schon in der Dunkelheit. So wie ich es sah waren sie golden. Ob das daran
lang, dass er ein Mischling war.
„Der tut euch doch nichts und außerdem heißt er Jemil!“ Felix klang wütend.
Wollte er meinen Vampir verteidigen. „Bist du dir da sicher. Was wenn er dich
beißt. Dann gehst du drauf.“ Bei den Worten konnte ich nur die Augen verdrehen.
„Der beißt euch doch nicht. Jemil macht das nicht einfach“, mischte ich mich
einfach ein. Es passte mir ohnehin nicht, dass sie so einfach über ihn redeten.
„Das glaube ich nicht“, rief ein anderer Junge, „Vampire beißen jeden.“ Amüsiert
begann ich zu kichern. „Davon merke ich aber nicht viel.“ Kein einziges Mal hatte
er es bei mir gemacht, auch wenn ich ihn dazu immer wieder animieren wollte, aber
auch nur, weil ihn seine Lust nach Blut ohnehin irgendwann einmal dazu treiben
würde.
„Wahrscheinlich hat er das schon längst und du hast es nur noch nicht bemerkt“,
rief einfach ein Mädchen mit kurzem blondem Haar.
Vorsichtig hob ich Jemil hoch. Nur um ihn gleich darauf an den Brunnen zu lehnen.
Ihm noch kurz über die Wange zu streicheln, bevor ich mich wieder erhob und mich
der kleinen Gruppe an Hybriden zuwendete.
„Ich kann mir kaum vorstellen, dass er sich als erster an euch vergreifen würde,
also müsst ihr euch darum schon mal keine Sorgen machen.“ Die Kleinen gingen ein
Stück zurück. „Und wenn würde er dann zuerst beißen?“, fragte einer mit leuchtend
rotem Haar. „Mich. Und das wohl auch nicht einmal freiwillig.“ Verwirrt sahen sie
mich an.
Knapp wendete ich mich an Felix. „Na dann geh mal wieder zu deinen kleinen
Angsthasen-Freunden“, meinte ich zu ihm und er lief auch gleich los. Drehte sich
aber noch einmal zu mir um.
„Wieso würde er dich unfreiwillig beißen?“, fragte er. „Weil ich ihn dazu zwingen
würde“, antwortete ich auch gleich. Und ich würde das wohl tun. Wenn es sein
müsste, sollte er seine Zähne in meinen Hals rammen und in sonst keinen.