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Last Desire 9

L x BB
von

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Der Beginn einer Beziehung

Die Musik hämmerte in den Lautsprechern und man konnte kaum sein eigenes Wort verstehen. Die Luft war schwer von Hitze und vom Schweißgeruch der Sportler. Auf den Bänken saßen erschöpfte Männer im Alter von 25 bis Ende 30, die sich ein Handtuch um den Nacken gelegt hatten oder einen Schluck aus ihrer Wasserflasche tranken. Doch manche waren noch fleißig am Trainieren und bearbeiten die Sandsäcke. Henry Lawliet sah sich um und fragte sich, ob er sie hier antreffen würde. Zumindest wurde ihm gesagt, dass diese russische Kollegin, deren Namen er sich nicht so leicht merken konnte, fast jeden Tag hierher zum Training herkam. Aber wenn er sich hier so umsah, war er sich nicht ganz sicher, ob er sich nicht vielleicht in der Adresse geirrt hatte. Lautes Geschrei war zu hören und er kam zu einer Art Ring, wo er sie tatsächlich sah. Sie hatte sich die Handgelenke bandagiert, ihr Haar zu einem Zopf gebunden und sie trug einen Kampfanzug. Ihr Gesicht war schweißgebadet und die einen oder anderen blauen Flecken waren bei ihr nicht zu übersehen. Und doch loderte wilde Entschlossenheit und purer Kampfgeist in ihren Augen und sie machte sich bereit. Ihr Gegner war ein kahlköpfiger Hüne von knapp zwei Metern und machte einen gefährlichen Eindruck. Und nicht nur, dass er viel größer und kräftiger war, er war auch noch mindestens 15 bis 20 Jahre älter. Der würde sicherlich leichtes Spiel mit ihr haben. Na hoffentlich brach er ihr nicht noch die Knochen. Als der Kampfrichter das Zeichen gab, griff sie blitzschnell an und schlug zu. Ihr Rechtshaken hatte so eine Kraft, dass selbst der Hüne nicht viel dagegensetzen konnte. Seine kurze Benommenheit nutzte sie aus, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, dann sprang sie ihm ins Genick und rang ihn zu Boden. Dabei drückte sie ihn mit ihren Beinen nach unten und hielt seinen Arm fest, sodass er kaum noch die Möglichkeit hatte, sich zu befreien. Doch er gab nicht so schnell auf und schaffte es, sich loszureißen und warf sie sogleich zu Boden, verpasste ihr mehrere Schläge und trat sie schließlich weg, sodass sie fast aus dem Ring fiel. Doch sie berappelte sich, sammelte sich kurz und griff dann wieder blitzschnell an. Ein wahrer Hagel von Schlägen und Tritten folgte und binnen weniger Sekunden hatte die 17-jährige ihren Gegner niedergerungen und ihn aus dem Ring gestoßen. Von den Sportlern kam Applaus und Pfeifen und sogleich verließ das Mädchen den Ring und setzte sich, um etwas zu trinken. Sogleich kamen mehrere gut gebaute Sportler zu ihr und bauten sich vor ihr auf. Sie aber zeigte sich unbeeindruckt und fragte sogleich, wobei ihr russischer Akzent deutlich zu hören war „Was gibt’s?“ „Du bist ganz schön gut, Mädchen. Hab selten jemanden gesehen, der es geschafft hat, unseren Champ derart zu vermöbeln. Erzähl mal, was ist dein Geheimnis?“

„Der Herr hat mir zwei gesunde Fäuste gegeben, also benutze ich sie auch, um stärker zu werden. Ich will körperlich und geistlich auf einem Level sein und deshalb muss ich eben viel trainieren. Was ist? Wollt ihr auch gegen mich antreten?“

„Nicht direkt, aber wie wäre es, wenn wir vielleicht mal zusammen ausgehen?“ Doch die Blondhaarige nahm noch einen Schluck aus ihrer Wasserflasche und lehnte ab. „Nein danke, ich bin nicht interessiert. Aber trotzdem danke für das Angebot.“ Henry überlegte sich schon, ob er nicht vielleicht lieber gehen sollte. Hätte Alice ihn nicht gedrängt, einfach mal den Schritt zu wagen, dann wäre er nicht hergekommen. Aber Tatsache war nun mal, dass er fasziniert von dieser jungen Russin war, die vor zwei Jahren nach England kam und bereits mit 11 Jahren einen Doktortitel in Humanbiologie in der Tasche hatte. Ein wahres Genie. Sie galt an der ganzen Universität als hochintelligent und begabt, aber sie hatte gleichzeitig sehr viele Eigenheiten und hatte auch den Ruf, etwas seltsam zu sein. Gleich schon als sie sich das erste Mal gesehen hatten, da hatte er sich unsterblich in sie verliebt, sich aber nicht getraut sie anzusprechen. Immerhin war sie zwei Jahre jünger als er und sie hatte bisher jeden abblitzen lassen, der sie um ein Date gebeten hatte. Nun gut, die meisten waren auch wesentlich älter. Und dann war sie auch noch religiös. Für Henry nur schwer verständlich, da sie doch eine Frau der Wissenschaft war! Er sollte besser gehen, solange sie ihn noch nicht bemerkt hatte. Es war eine echt dumme Idee gewesen, hierherzukommen. „Hey, du bist doch Henry Lawliet, oder?“ Oh verdammt, jetzt hat sie mich bemerkt. Er versuchte sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen, dennoch schlug sein Herz deutlich höher, als er sie sah. Sie hatte ein sehr freundliches Lächeln und wirkte herzlich. Ganz im Gegensatz zu vorhin im Ring, wo sie gnadenlos auf ihren Gegner eingedroschen hatte. „Äh hallo… ähm… Natascha, richtig?“

„Nastasja“, korrigierte sie. „Aber ist nicht schlimm. Fast alle nennen mich Natascha, weil sie sich meinen Namen nicht so gut merken können. Nastasja ist die Kurzform von Anastasja. Aber sag schon, was verschlägt dich denn hierher? Sag bloß du beherrscht auch MMA?“ „Was?“

„Mixed Martial Arts. Ich trainiere schon seit ich neun bin. Ich mach auch Kickboxen und beherrsche die israelische Kampfkunst Krav Maga. Machst du so etwas auch?“ Er schüttelte hastig den Kopf und stammelte eher daher „Ich bin nicht sonderlich gut in so etwas. Aber sag mal Nastasja, was war das vorhin mit dem Kerl im Ring? Das sah irgendwie danach aus, als würdest du ihn zusammenschlagen.“ Als sie das hörte, musste sie lachen. Sie setzte ihre Brille wieder auf, nachdem sie die Kontaktlinsen wieder rausgenommen hatte und erklärte „Das sieht immer ziemlich brutal aus. Und es stimmt ja auch. In diesem Sport geht es darum, seinen Gegner auf die Matte zu schicken und dabei kommt es auch sehr oft vor, dass man sich blaue Flecken, Prellungen, Zerrungen oder auch Knochenbrüche holt. Aber daran kann man stärker werden und lernen, den Schmerz auszuhalten.“

„Und wofür willst du stärker werden?“

„Für mich selbst. Ich will nicht nur geistig, sondern auch körperlich stark sein und in der Lage sein, mich selbst und auch andere zu schützen. Wem Gott zwei gesunde Fäuste gab, so gab er ihm diese, um stark zu sein und sich zu verteidigen. Und wenn er sie anderen nicht gab, muss man sie einsetzen, um für die Schwachen einzustehen. Das ist es, woran ich glaube.“ Nastasja war immer noch ein wenig aus der Puste und holte aus ihrer Tasche ein kleines Medikamentendöschen. Sie nahm eine von den Tabletten und schluckte sie unzerkaut mit Wasser runter. Henry erhaschte einen kurzen Blick auf das Döschen und sah, dass es Magnesiumtabletten waren. „Aber ist es nicht irgendwie gegen den Glauben, Gewalt zu praktizieren?“ „Es kommt auf die Form der Gewalt an“, erklärte die Russin und steckte das Tablettendöschen wieder ein. „Es gibt destruktive und konstruktive Gewalt. Destruktive Gewalt beinhaltet so etwas wie Krieg und Unterdrückung. Aber konstruktive Gewalt ist das, was hier zum Beispiel praktiziert wird. Wir verletzen uns gegenseitig, um stärker zu werden. Wir gewinnen an Kraft, Ausdauer und Durchhaltevermögen dazu und lernen, den Schmerz auszuhalten. Und außerdem ziehen wir keine Unbeteiligten hinein und wir respektieren uns gegenseitig. Das Einzige, was mich nur immer nervt ist die Tatsache, dass mich die meisten nicht für voll nehmen, weil ich erst 17 Jahre alt bin und die meisten deutlich älter sind. Aber ich will auch nicht gegen Schwächere kämpfen. Sonst wäre das ja wohl auch kaum eine Herausforderung. Außerdem verstößt es auch gegen das, woran ich glaube, wenn ich gegen Schwächere kämpfe, wenn diese eh keine Chance gegen mich haben. Du hör mal, ich spring eben kurz unter die Dusche. Wollen wir danach noch was trinken gehen?“ Diese Frage kam für Henry sehr überraschend und zuerst bekam er keine Antwort heraus. Aber dann nickte er hastig und rief schon fast „Okay.“ Er verließ den Raum und setzte sich in den Eingangsbereich des Studios um auf Nastasja zu warten. Hatte sie ihn gerade tatsächlich gefragt, ob sie nachher zusammen was trinken gehen wollten? War das vielleicht ein Date? Aber sie hatte doch bis jetzt jedem einen Korb gegeben, der sie um ein Date gefragt hatte. War dieses Angebot etwa vielleicht nur deshalb, weil sie beide Kollegen waren und an derselben Universität arbeiteten und fast gleich alt waren? Nun, das muss es wahrscheinlich sein. Tja Henry, zu früh gefreut. Alice und ihr Vater haben das alles wahrscheinlich falsch verstanden.

Nach einer Weile kam Nastasja mit ihrer Sporttasche zu ihm hin und trug nun ein rotes T-Shirt mit buntem Aufdruck. An ihren Armen hatte sie einige blaue Flecken, auch ihr Gesicht sah etwas mitgenommen aus, aber dennoch wirkte sie wie das blühende Leben und auch wenn sie keine umwerfende Schönheit war, so besaß sie etwas, das man natürliche Schönheit nennen konnte. Sie winkte ihm zu und nahm ihn auch sogleich mit. „Ich kenne da eine Bar, wo wir uns einen schönen Abend machen können. Die ist eigentlich gleich um die Ecke.“ Nun, eigentlich war Henry nicht so der Typ Mensch, der Alkohol trank. Um ehrlich zu sein vertrug er überhaupt nichts und begann sich schnell wie ein Verrückter aufzuführen. Aber er wollte auch nichts sagen. Als sie die Bar erreichten, bestellte Nastasja sich erst einmal einen Drink und stürzte diesen sogleich in einem Zug runter, woraufhin sie das Glas auf den Tisch knallte. Ungläubig starrte der 19-jährige sie an und fragte „Bist du nicht ein wenig zu jung dafür?“ „Hey, ich bin Russin. Wir vertragen eine ganze Menge und ich hab schon mit 14 Jahren mein erstes Glas gehabt.“

„Aber ist Alkohol denn nicht falsch?“

„Du verwechselst das mit den Muslimen. Ich bin streng genommen Atheistin.“ Nun war er endgültig irritiert und sah Nastasja fragend an. Er bestellte sich ein alkoholfreies Bier und fragte „Aber ich dachte, du bist religiös. Du trägst doch immer diesen Rosenkranz, oder nicht?“

„Das schon, aber ich fand keine Religion passend für mich. Ich habe Ansichten und Glaubensarten, die sich mit keiner bestehenden Religion vereinbaren lässt. Ich finde es ein Unding, wenn Menschen Angst gemacht wird, dass sie in die Hölle kommen, wenn sie nicht an Gott glauben. Ich bin der Ansicht, dass es nur darauf ankommt, ein guter Mensch zu sein und ein ehrliches Leben zu führen. Der Glaube kann Menschen helfen, Mut zu finden und die Kraft zum Kämpfen zu entwickeln. Und er sollte dazu da sein, um Menschen zu verbinden und nicht, um jemanden auszuschließen. Sobald auch nur einer wegen seiner Hautfarbe, seiner Sexualität oder seinen Ansichten ausgeschlossen wird, ist das für mich keine Religion, wie ich sie mir vorstelle. Ich glaube fest daran, dass der Herr über unsere Taten und nicht über unseren Glauben urteilt. Was glaubst du wohl, wer gerettet wird, wenn hier mal die Flut durchrauscht? Der Mensch, der sein Schicksal in die Hand nimmt und versucht, sich und andere zu retten oder derjenige, der sich hinkniet und darauf wartet, dass die Engel vorbeigeflogen kommen? Nun, der wird am Ende ziemlich blöd gucken. Ich hasse es, wenn Menschen meinen, sie können sich gänzlich auf eine höhere Macht verlassen, ohne selbst etwas zu tun. Ich will lieber aktiv werden, anstatt auf ein Wunder zu warten. Stattdessen werde ich alles daran setzen, selbst ein Wunder zu bewirken.“ Henry hätte sich beinahe verschluckt, als Nastasja das so selbstverständlich dahersagte und sogleich lachte sie, als sie ihn so sah und war sichtlich amüsiert. Sie unterhielten sich noch den ganzen Abend, lachten zusammen und verstanden sich blendend. Henry musste zwar zugeben, dass Nastasja ein klein wenig schräg sein konnte, aber sie war in der Hinsicht einfach ein Original. Allein schon wie sie auf der Bank saß. Sie hatte die Beine angezogen, machte sich quasi klein und hockte auch mehr, als dass sie saß. Und auf seine Frage hin, wieso sie so unkomfortabel saß, erklärte sie einfach „Damit steigt meine Fähigkeit, logisch zu denken, um gut 40%.“ Zugegeben, so hätte er wahrscheinlich nie gesessen, aber das war auch so ihr Stil. In der Hinsicht konnte man sie wahrscheinlich auch nicht umerziehen. Sie machte einfach ihr eigenes Ding und ließ sich auch nicht davon abbringen. Nastasja war ein absoluter Dickkopf und war für gewöhnlich ein sehr lebensfroher und freundlicher Mensch, konnte aber auch schnell sehr temperamentvoll werden, wenn sie wollte. Das lag ihrer Ansicht nach in der Tatsache, weil ihre Mutter Italienerin gewesen war. Er hingegen war eher der ruhige Typ, der versuchte, in jeder Situation die Fassung zu wahren und sachlich zu bleiben. Oder zumindest bei der Arbeit. Er hatte die innere Ruhe von seinem Vater geerbt, der Japaner war. Aber in Nastasjas Nähe konnte er einfach nicht so ruhig und gefasst bleiben und es fiel ihm sichtlich schwer. Schließlich, nachdem die Stimmung sehr gelockert war und Nastasja schon ihr drittes Glas Wodka getrunken hatte, räusperte er sich und fragte zögerlich „Sag mal Nastasja, wieso wolltest du mit mir hierher?“ Die Russin lächelte herzlich, dann beugte sie sich zu ihm herüber und küsste ihn. Henry sah in diesem Moment so verdattert aus, dass die 17-jährige nicht anders konnte als zu lachen und ihn in die Wange zu kneifen. „Ach Mensch, du musst doch nicht gleich rot werden. Weißt du Henry, ich fand dich schon echt süß und… nun ja, irgendwie hab ich mich ein bisschen in dich verguckt.“

„Hast… hast du deshalb alle anderen abblitzen lassen?“ Sie nickte und küsste ihn wieder, dieses Mal aber länger. „Ehrlich gesagt war ich mir nicht ganz sicher gewesen, ob ich dich ansprechen sollte, da ich zuerst dachte, du hättest was mit Alice. Und weil ich bei den Wammys wohne, wollte ich ihr auch nicht in die Parade fahren. Aber als sie mir zugesichert hat, dass zwischen euch rein gar nichts läuft, dachte ich mir einfach, dass ich mal den Schritt hier wage.“ Alice Wammy, du gerissene Kupplerin. Offenbar hatte sie das alles hier irgendwie eingefädelt, damit Nastasja und ich mal näher ins Gespräch kommen. Und nun… jetzt ist meine Chance da, sie endlich zu fragen. Also nahm Henry all seinen Mut zusammen und fragte mit fast schon wieder stotternder Stimme „Du hör mal Nastasja… willst… willst du vielleicht mit mir gehen?“ Und damit schlang sie ihre Arme um ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Natürlich will ich mit dir gehen. Wenn du auch mit mir gehen willst.“ Damit zwinkerte sie ihm frech zu und lehnte sich bei ihm an. „Weißt du Henry, ich hab dich schon allein deshalb so gemocht, weil du immer so ruhig warst. Ich weiß ja selbst, dass ich mit meinem italienischen Temperament anstrengend sein kann und ich nicht immer einfach bin. Die meisten halten mich für schräg, kommen mit meinem Lebensstil nicht zurecht und lassen sich schnell abschrecken. Aber wenn ich dich so sehe… du bist immer so ruhig und gefasst und lässt dich durch nichts aus dem Konzept bringen. Ehrlich gesagt fand ich das schon immer total faszinierend. Vielleicht sollte ich mir mal was von deiner inneren Ruhe abschauen.“

„Und ich sollte mir vielleicht ein wenig mehr von deiner fast übermenschlichen Willensstärke abschauen.“ Darauf stießen sie gemeinsam an. Es wurde noch eine sehr lange Nacht für sie beide, wo sie sich auch zugleich viel näher kamen.

Jeremiel wird aktiv

L fühlte sich nach der „Kur“, die Beyond ihm verordnet hatte, deutlich besser als die Tage zuvor und auch Beyond und Jeremiel hatten wirklich ihr Bestes gegeben, um ihn wieder auf die Beine zu bekommen. Zeitweise waren die beiden wirklich streng und hartnäckig mit ihm gewesen und als L sich dennoch zur Wehr setzen wollte, hatte Rumiko auch noch ein paar Takte gesagt. Doch dann hatte sie eine Schreckensnachricht ereilt, die sie alle aus der Bahn warf und sie zutiefst schockierte: nachdem Beyond und L mehrfach vergeblich versucht hatten, Hester zu erreichen und sie auch nicht im Krankenhaus zur Arbeit erschienen war, hatte ihre beste Freundin Cindy Astaire bei ihr vorbeigeschaut. Hester hatte tot in ihrem Wohnzimmer gelegen, mit unzähligen Schnittwunden. Es sah aus, als hätte ein Wahnsinniger sie mit einer Klinge zerfetzt und ihr Tod lag bereits mehrere Stunden zurück. Ihre ganze Wohnung war verwüstet worden und Zeugen berichteten, dass ein Mann mit schwarzer Lederkleidung und einem Motorradhelm aus ihrer Wohnung gekommen sei. Und das einzig Auffällige war, dass auf seiner Jacke eine „02“ eingenäht war. Insbesondere für L war das ein schwerer Schock, denn Hester und er kannten sich schon seit Jahren. Sie war seine engste Vertraute gewesen und hatte sich immer um ihn gekümmert, wenn er krank oder verletzt war. Sie war immer zur Stelle gewesen, wenn er sie gebraucht hatte und nun war sie tot. Dabei hatte sie doch sonst gewirkt, als könne nichts und niemand ihr etwas anhaben. Immerhin war sie auch Kampfsportexpertin gewesen. Sie hatte Beyonds Wunden verarztet als er angeschossen worden war, ihn während seiner Isolationshaft medizinisch betreut, ihn nach der Vergewaltigung durch Clear und Sam operiert und ihm zusammen mit Andrew den Gedankenschaltkreis eingesetzt. Und sie hatte sich um Rumiko gekümmert, als sie ihre Kinder zur Welt gebracht hatte und sie hatte Jeremiel untersucht. Alle hatte der plötzliche Tod von Hester Holloway, die mit wahrem Namen Hannah Heatherfield hieß, sehr erschüttert. Selbst Beyond, der für andere Menschen eigentlich nicht viel übrig hatte, war sehr still geworden und wirkte niedergeschlagen. Jeremiel hingegen, der bis jetzt noch nicht viel mit Hester zu tun gehabt hatte, blieb da etwas objektiver als die anderen und begann zu überlegen, was das zu bedeuten hatte. Es wunderte ihn nämlich, dass Hester ins Visier der Proxys geraten war, obwohl sie doch gar nichts mit den Eva-Experimenten zu tun hatte. Sie war in Wammys House aufgewachsen und ihre Eltern waren recht früh verstorben und hatten auch nichts mit den Experimenten am Hut. Selbst Andrew konnte bestätigen, dass sie nicht in diesem Institut gearbeitet hatten und so fiel das letzte Opfer doch völlig aus dem Konzept. Es machte überhaupt keinen Sinn, dass ausgerechnet Hester von den Proxys getötet wurde. Oder hatte sie vielleicht etwas gewusst, was vielleicht gefährlich gewesen wäre? Nun, sie wusste zumindest über die Eva-Experimente und die Gedankenschaltkreisforschung Bescheid. Immerhin hatte sie Andrew geholfen, Beyond einen künstlichen einzusetzen und sie hatte Fredericas Leiche obduziert. Außerdem war Jeremiel bei ihr zur Untersuchung da gewesen und er war ein Hybrid. Was, wenn das schon Grund gewesen war, sie zu töten? Aber L hatte doch alles streng geheim gehalten um auch Hester zu schützen. Womöglich steckte ja noch etwas anderes dahinter. Stellte sich nur die Frage, was es sein könnte. Jeremiel war wirklich am Grübeln und beschloss, sich mit Liam zu treffen. Er konnte sowieso nicht viel helfen, was L’s Gefühlslage betraf. Beyond war schon so lange mit ihm zusammen und hatte die weitaus tiefere Beziehung zu ihm, da war dieser die einzige Person, die L wieder aufbauen konnte. Außerdem wollte er sowieso nach Andrew schauen, der sich noch zur Beobachtung bei Liam befand, da es ihm nach dem Aufwachen wohl nicht so gut ging. Watari fuhr Jeremiel zu Liams Anwesen und sogleich wurde der ältere Lawliet-Zwilling von Johnny begrüßt, der wie immer bester Laune war. „Hey Jerry! Schön, dass du mal vorbei schaust. Alles fit im Schritt?“ „Mir geht es gut. Wie geht es Liam?“

„Ach, der ist ein wenig verstimmt, weil Eva wieder aufgetaucht ist und offenbar schon wieder irgendwelche Pläne verfolgt. Du weißt ja, wie empfindlich er darauf reagiert. Nun, er wird sich aber mit Sicherheit freuen, wenn du ihn besuchen kommst. Derzeit kümmert er sich noch um deinen Freund Andrew.“

„Wie geht es ihm?“

„Noch ziemlich neben der Spur. Liegt daran, weil der Parasit schon einiges von seiner Persönlichkeit zerstört hat. Zwar ist es noch nicht allzu gravierend, aber man merkt schon, dass er nicht mehr ganz der Alte ist. Nun, er wird sich sicherlich freuen, Besuch zu bekommen.“ Sie betraten das Anwesen und wollten zuerst Andrew besuchen gehen. Dieser befand sich im Anbau, wo auch andere Patienten lagen, die Liam operiert hatte. Andrew, der noch ein klein wenig angeschlagen aussah, saß in seinem Bett und las ein Buch. Als er Jeremiel sah, da lächelte er, aber es wirkte nicht mehr ganz so herzlich und fröhlich wie sonst, wenn er Besuch bekam. „Hallo Andrew“, grüßte Jeremiel ihn und nahm auf einem Stuhl Platz, wobei er fast dieselbe Sitzposition wie L einnahm, allerdings hielt er dabei seinen Rücken gerade. „Wie geht es dir?“ „Den Umständen entsprechend“, antwortete der Rothaarige und sah aus dem Fenster. Er wirkte irgendwie müde und traurig, als wäre seine ganze Lebensfreude gewichen. Bis heute hatte er nicht darüber gesprochen, was der Proxy mit ihm gemacht hatte und aus Rücksicht hatten L, Oliver und die anderen auch nicht nachgehakt. Aber Jeremiel wollte es wissen. „Andrew, dieser Proxy, der dir das angetan hat, hast du ihn gekannt?“ „Ja“, antwortete der Engländer ein wenig tonlos und senkte den Blick. „Ich habe ihn kennen gelernt, als ich noch im Institut gelebt habe. Das war vor neun Jahren. Er hieß Elion und… wir beide waren gute Freunde.“ Elion. Diesen Namen hatte Sariel erwähnt, als sie ihn wiederbelebt hatte. Sie hatte ihn gebeten, Elion zu retten. „Was hat er dir alles gesagt?“ „Dass er oft an Experimenten teilnehmen muss und noch nie draußen war. Er wird oft Schmerzen ausgesetzt und ist damals nicht einsatzbereit gewesen, weil er zu menschlich war.“

„Und was hat er dir gesagt oder gezeigt, als ihr alleine gewesen ward?“ Andrew wurde bleich, als er wieder daran dachte und seine Augen wurden matt und leer. „Er hat mir die Hölle gezeigt, in der er lebt. Er hat mich um Hilfe angefleht und er sah furchtbar aus, als ich in seiner Welt war. Seine untere Körperhälfte fehlte und sein Gesicht war deformiert. Er sah schon fast nicht mehr menschlich aus. Und dann war da noch ein Kind… nein, das war kein Kind. Es war ein Monster. Es hat mich am Arm gepackt und als ich mich losgerissen habe, tat mir der Arm weh, als würde er mir gleich absterben.“ Jeremiel verstand schon, was Andrew passiert war. Elion hatte eine mentale Verbindung aufgebaut und ihm seine Seele offenbart. Genau dasselbe hatte Liam mal mit ihm gemacht, als dieser ihm zeigen wollte, wie seine Welt aussah. So etwas war nicht ohne, wenn man sowieso schon so sensibel wie Andrew war. Und wenn er wirklich so schlimme Dinge gesehen hatte, dann war es kein Wunder, wenn er sich selbst nach Tagen noch nicht davon erholt hatte. „Glaubst du vielleicht, Elion hat dir mit Absicht all diese Dinge gezeigt, um dir zu schaden?“

„Nein“, murmelte Andrew und schüttelte den Kopf. „Er hatte nicht gewollt, dass mir was passiert. Er hatte nur keine andere Möglichkeit gesehen, mich um Hilfe zu bitten.“ Da er Andrew nicht sonderlich helfen konnte, wollte er ihn alleine lassen, doch da hielt der Rothaarige ihn noch auf und fragte „Hat Elion Hester getötet?“ „Du weißt es also schon“, stellte Jeremiel fest und senkte betrübt den Blick, da es ihm schon leid tat, dass jetzt auch noch das über Andrew hereinbrach. Aber zumindest konnte er ihn in einer Sache trösten. „Nein, es war Proxy-02, höchstwahrscheinlich Sheol, da Sariel 07 und Elion 01 sind.“ Und diese Nachricht schien Andrew tatsächlich ein wenig zu trösten, da er schwach lächelte und sagte „Selbst nach all den Jahren, wo er sich so verändert hat, scheint er dennoch im Herzen der Gleiche geblieben zu sein. Er hasst eben Gewalt und würde niemals jemandem wehtun wollen.“ Offenbar hing Andrew noch an seinen alten Freund und Jeremiel fragte sich, was sie denn tun konnten. Vor allem aber stellte sich die Frage, wie sie Elion helfen konnten. Fakt war, dass der Parasit ihn so zerstört hatte, dass er kaum noch ein Mensch war. Wenn nicht etwas dagegen getan würde, dann würde Elion seine letzte Willenskraft verlieren, die ihn daran hinderte, Menschen zu töten. Er würde sterben und der Parasit würde sich in seinem Körper breit machen. Und selbst wenn es Liam gelänge, den Parasiten zu zerstören, von Elion würde dennoch nicht mehr viel übrig bleiben. Eine Lösung musste her. Jeremiel verabschiedete sich schließlich von Andrew und ging zusammen mit Johnny zu Liam, der gerade ein Telefonat zu Ende geführt hatte. Johnny verabschiedete sich sogleich und als sie alleine waren, ging Jeremiel direkt zu Liam hin und umarmte ihn. Der Unvergängliche erwiderte diese sofort und war auch sichtlich froh, ihn zu sehen. „Wie geht es dir denn?“ „Es geht. Die Stimmung ist ziemlich bedrückt, seit Hester getötet wurde. Für L ist es besonders schlimm, weil sie eine sehr enge Vertraute für ihn war und auch Beyond leidet, auch wenn er es zu verstecken versucht.“ Liam nickte besorgt und setzte sich. Auch Jeremiel nahm Platz und setzte sich in seiner gewohnten Sitzhaltung hin. „Es ist klar, dass Hester von einem Proxy getötet wurde, aber irgendwie werde ich da nicht sonderlich schlau draus. Immerhin hatte sie nichts mit den Eva-Experimenten zu tun und sie ist auch nicht der Typ Mensch gewesen, der Versuche an anderen durchführen würde. Sie hatte einen sehr starken Gerechtigkeitssinn und hat Menschen immer geholfen. Deshalb glaube ich, dass sie irgendetwas gewusst hat, was ihr letztendlich das Leben gekostet hat. Aber mir würde nichts einfallen. Liam, weißt du vielleicht etwas?“ Der Mafiaboss lehnte sich in seinem Sessel zurück und dachte nach. „Nun, ich kannte Hester Holloway ganz gut. Sie war eine sehr ehrliche Person. Manchmal hat sie es ein wenig übertrieben und nicht genug auf sich selbst geachtet, aber wie du schon richtig gesagt hast: sie ist zu ehrlich gewesen, um etwas dergleichen zu tun. Aber dass du und L nicht auf die Antwort gekommen seid, wundert mich ehrlich gesagt.“

„Was meinst du damit?“

„Erinnere dich doch mal daran, wieso du mich letztens angerufen hast. Dann hast du deine Antwort.“ Jeremiel dachte nach und versuchte sich zu erinnern, worum es noch mal in seinem Telefonat mit Liam ging. Und dann fiel es ihm wieder ein. Ja richtig, er hatte ihn zum Unborn-Phänomen befragt, nachdem Sariel ihm den Tipp gegeben hatte. Liam hatte ihm gesagt, er solle sich an Hester wenden, da das Unborn-Phänomen höchstwahrscheinlich etwas mit seltenen Krankheiten zu tun hatte, womit er sich nicht ganz so genau auskannte. Und Watari hatte erzählt, dass seine verstorbene Tochter Alice mit dem Phänomen sehr vertraut gewesen war und Hester ihre Aufzeichnungen studiert hatte. „Dann… dann wurde Hester getötet, weil sie über das Unborn-Phänomen Bescheid wusste?“ „So sieht es aus. Eine andere Erklärung würde es in meinen Augen nicht geben, weil Hester nicht der Typ Mensch war, der sich in dubiose Sachen verwickeln lassen würde.“ Also musste dieses Unborn-Phänomen Antwort darauf liefern, was es mit den Proxys auf sich hatte und was es mit Projekt AIN SOPH auf sich hatte. „Aber wie konnten sie das herausfinden? Warum haben sie Hester nicht schon viel früher getötet?“

„Nun, entweder hören sie euch ab oder aber sie haben in Erfahrung bringen können, was Sariel ausgeplaudert hat und deshalb haben sie reagieren müssen. Ich würde dir und L also raten: sucht das Haus nach Wanzen und Kameras ab. Wenn die Drahtzieher des Projektes über eure Ermittlungen Bescheid wissen, kann es noch sehr gefährlich werden. Johnny und Delta haben weiterhin ein wachsames Auge auf euch und ich werde auch Andrew noch eine Weile hier behalten. Er ist mental noch sehr angeschlagen und ich kann ihn keinen psychischen Belastungen aussetzen. Sein Verlobter war auch einverstanden und seine regelmäßigen Besuche tun Andrew auch ganz gut. Ich fürchte allerdings, dass sich sein Zustand auf Dauer nicht sonderlich bessern wird.“

„Dann… dann wird er für immer so bleiben?“

„Zumindest, bis meine Schwester sich endlich wieder blicken lässt und seinen Gedankenschaltkreis wiederherstellt.“ Liam war ein wenig gereizt, als er wieder über Eva sprach und das entging Jeremiel durchaus nicht. Die Situation zwischen den Geschwistern war nach wie vor noch sehr angespannt, das hatte er ja schon von Johnny erfahren. „Ich verstehe wirklich nicht, was meine Schwester schon wieder für Pläne im Sinn hat. Erst verschwindet sie spurlos, dass ich sie nicht mehr aufspüren kann, dann taucht sie wieder auf und kommt wieder mit ihrer Heimlichtuerei daher. Irgendetwas führt sie wieder im Schilde und ich habe das arge Gefühl, dass ich es wieder hinterher ausbaden muss, weil sie schon wieder irgendwelchen Mist verbockt hat. Irgendwann reißt mir noch endgültig der Geduldsfaden mit ihr.“

„Vielleicht arbeitet sie ja an einem Plan, wie sie helfen kann.“

„Sie sollte das Helfen besser bleiben lassen. Denn sie steuert wirklich alles in eine absolute Katastrophe und haut dann wieder ab, weil sie sich nicht der Verantwortung stellen will. Sie ist eben ein Kind. Naiv, verantwortungslos, kurzsichtig und ichbezogen.“ Jeremiel hatte es überhaupt nicht gerne, wenn Liam sich ärgerte und sogleich fragte er sich, was er vielleicht tun konnte, um seine Laune zu bessern. Ihm kam eine Idee. „Hey, wie wäre es, wenn ich die Nacht über hier bleibe? Dann haben wir wieder Zeit für uns. Zumindest, wenn Delta nicht wieder auf den Gedanken kommt, mal wieder zu spannen.“ Und bei dem Vorschlag konnte Liam einfach nicht mehr sauer sein und schmunzelte. „Ja, das wäre wirklich eine schöne Idee. Was sagt denn eigentlich L dazu, dass wir uns weiterhin treffen?“

„Er hat sich damit arrangiert, ist aber immer noch nicht ganz so begeistert. Irgendwie denkt er immer noch, er müsse mich beschützen, aber ich denke, dass es geholfen hat, als du deine Hilfe angeboten und vor allem Andrew geholfen hast. Er ist zumindest nicht mehr gänzlich dagegen, dass wir beide zusammen sind, aber er hat wahrscheinlich noch Sorgen, dass ich ins Mafiamilieu abrutschen könnte.“

„Das kann man ihm ja auch nicht verdenken. Immerhin ist er dein Bruder und Familienmitglieder passen aufeinander eben auf. Und wenn er sich keine Sorgen machen würde, dass du mit einem Mafiaboss zusammen bist, dann wärst du ihm auch nicht wichtig. Versuch das mal so zu sehen.“ Ja, da hatte Liam wahrscheinlich Recht. L’s Angst um mich ist ja auch ein Beweis dafür, dass ich ihm als Bruder wichtig bin und er mich auch wie einen Bruder liebt. Immerhin macht er sich doch auch Sorgen um Beyond, weil der ja dazu neigt, sich ständig in Gefahr zu begeben. „Ich hätte es aber dennoch gerne, dass L unsere Beziehung akzeptiert und sich auch nicht so ablehnend verhält. Ich bin ja auch nicht sonderlich glücklich damit, dass ich jedes Mal ein schlechtes Gewissen habe, wenn ich mich mit dir treffe. Da habe ich immer das Gefühl, als würde ihn hintergehen.“

„Tja, damit wirst du dich wohl arrangieren müssen“, sagte der Unvergängliche ganz klar, dem L’s ablehnende Haltung zu dieser Beziehung persönlich herzlich egal war. „Es gibt genügend andere Beziehungen, die unter keinen guten Stern stehen. Und manche Eltern lehnen die Partner ihres Kindes grundsätzlich ab und lassen auch nicht mit sich reden. Das hat oft genug ein böses Ende. Du solltest dich erst einmal damit zufrieden geben, dass L sich damit wenigstens arrangiert hat und auch aufgehört hat, dich von mir fernhalten zu wollen. Erwarte nicht immer zu viel, sonst wirst du nur enttäuscht werden. Gib ihm einfach etwas mehr Zeit. Und stell dir mal vor, deine Eltern würden noch leben. Wie würden die wohl reagieren, wenn du ihnen sagen würdest, dass du mit einem Mafiaboss zusammen bist? Keine guten Eltern wünschen ihrem Kind so einen Partner. Also versuch das ein bisschen entspannter anzugehen und nicht immer gleich zu viel zu verlangen.“ Wahrscheinlich hat Liam Recht und ich erwarte wirklich zu sehr auf einmal. Ich sollte froh sein, dass L wenigstens aufgehört hat, mich von Liam fernhalten zu wollen. Wahrscheinlich wird er auch niemals damit wirklich einverstanden sein, aber er versteht, dass ich Liam liebe und er mich. Und darauf kommt es doch im Endeffekt an, oder? Jeremiel stand auf, ging um den Tisch herum und küsste Liam. „Ich hoffe, dass sich bald alles klärt und wir eine Möglichkeit finden, die Proxys zu stoppen und in Erfahrung zu bringen, was sie vorhaben. Ich mag es auch nicht mit anzusehen, wie schlecht es L geht, weil er wieder mit dem Tod eines Menschen konfrontiert wurde, der ihm wichtig war. Ich will ja auch am liebsten bei dir bleiben, aber ich kann meinen Bruder doch nicht hängen lassen. Er braucht mich jetzt und ich will ihm auch helfen, wenn ich es denn kann. Tut mir Leid, dass es zwischen uns beiden deshalb nicht so gut läuft.“ Doch Liam lächelte mild und erwiderte den Kuss. „Du brauchst dich doch nicht dafür zu entschuldigen. Ich verstehe es, wenn du für ihn da sein willst. Immerhin ist er dein Bruder und die Familie hält nun mal zusammen. Ich würde dir deswegen auch nicht böse sein, Dummkopf. Wenn du meine Hilfe oder meinen Rat brauchst, du weißt ja, dass du mich oder die anderen anrufen kannst. Und wir werden weiterhin ein wachsames Auge auf euch haben. Ich habe dir versprochen, dass ich deiner Familie nichts tun werde, egal was auch passiert. Also werde ich auch dafür sorgen, dass sie sicher sind. Und meinetwegen kannst du, bis sich die Lage wieder etwas entspannt hat, auch bei deiner Familie bleiben, wenn du unbedingt willst. Ich weiß ja, dass du zu mir zurückkommen wirst.“ Jeremiel errötete, als er das hörte und lächelte ein klein wenig verlegen. Sein Blick wanderte zu dem Armband, welches er Liam geschenkt hatte. Darauf stand sein Name in hebräischer Schrift. Es war sein Versprechen, dass er zu ihm zurückkehren wird. Zugegeben, der Anfang zwischen ihnen beiden war schwer gewesen und es hatte viel Kummer und Schmerz und auch viele Missverständnisse gegeben. Aber es hatte sich dennoch zum Guten gewandt und nun, da Jeremiel in den letzten Wochen eine richtige Persönlichkeit entwickelt und auch deutlich mehr über Gefühle und dem Leben mit Menschen gelernt hatte, konnte er sich immer besser artikulieren und auch seine Mitmenschen deutlich besser verstehen. Lediglich mit Sarkasmus und Ironie tat er sich noch etwas schwer und erkannte dies auch nicht immer sofort. Zumindest verstand er jetzt einige Redewendungen besser und gab sich auch erheblich Mühe, noch seine restlichen Defizite irgendwie auszugleichen. Am Anfang hatte sich Liam ja noch dagegen gesträubt, Jeremiel zu seinem Bruder gehen zu lassen, da er Sorge hatte, dass es in einer Katastrophe enden würde. Aber anscheinend tat ihm das Zusammenleben mit der Familie gut und es schien auch das richtige Umfeld zu sein, damit er seine Persönlichkeit weiterentwickeln konnte. Deshalb sah er das Ganze deutlich entspannter als zuvor und befürwortete sogar, dass Jeremiel noch eine Zeit bei den anderen blieb, wenn es für seine soziale Entwicklung förderlich war. Aber er freute sich auch, wenn Jeremiel ihn mal aufsuchte und sie ihre gemeinsame Zeit miteinander genießen konnten.

Der Einbruch

Als Hester beerdigt wurde, regnete es in Strömen und es hatten sich viele Leute versammelt, um an der Beisetzung teilzunehmen. Freunde, Kollegen, Bekannte… Selbst ein paar Abgänger aus dem Waisenhaus waren dabei, um von ihr Abschied zu nehmen. Auch L und die anderen nahmen daran teil und während Beyond am Klavier spielte, sang Rumiko „Tears in Heaven“ und „Hallelujah“. Sogar Liam ließ sich blicken, da Hester immerhin mal für eine Zeit lang seine Kollegin gewesen war und er sie auch sehr geschätzt hatte. Andrew, der immer noch nicht ganz auf der Höhe war, weinte nicht, sondern sah mit trostlosen und matten Augen ins Leere und sagte rein gar nichts. Schon seit er sich mit diesem Parasiten infiziert hatte, wirkte er völlig neben der Spur und hatte nicht ein einziges Mal gelacht, freundlich gelächelt oder überhaupt lebhaft gewirkt. Wie Liam schon gesagt hatte: es war nicht gravierend, aber dennoch deutlich erkennbar, dass Andrew nicht mehr derselbe war wie zuvor. Oliver hatte tröstend seinen Arm um ihn gelegt, doch darauf reagierte der Rothaarige nicht. L selbst war zusammengeschrumpft und wirkte durch seine gebeugte Haltung schon fast zwergenhaft. Als nun nach und nach jeder eine Rose ins Grab legte, da trat er hervor, senkte den Blick und wirkte so erschöpft und kaputt, dass sich selbst Watari große Sorgen um ihn machte. Er blieb eine Weile schweigend stehen und sah hinab auf den Sarg, dann sagte er leise und kaum hörbar „Lebwohl Hester. Eine gute Seele wie dich wird es so schnell nicht mehr geben. Für mich warst du mehr als nur eine Vertraute. Du warst eine gute Freundin. Danke für alles. Ich verspreche dir, dass ich deinen Mörder finden werde.“ Damit legte er die Rose ins Grab und ging. Auch Beyond legte eine weiße Rose ins Grab, sagte aber nur ein kurzes „Danke für alles“, da er es einfach nicht schaffte, andere Worte zu finden. Aber er war sich sicher, dass Hester genau gewusst hätte, was er damit meinte. Nachdem alle von der Toten Abschied genommen hatten, kehrten sie zurück und sagten nicht viel. Doch als sie schon das Haus betreten wollten, fiel ihnen auf, dass die Haustür nicht richtig abgeschlossen war. Und das war mehr als verdächtig. Denn L hatte seine eigenen Vorsichtsmaßnahmen, an denen er sofort erkennen konnte, ob jemand sich Zutritt verschafft hatte. Und dem war tatsächlich so. Im Haus herrschte zwar kein Chaos wie bei Hester, als dieser Proxy eingebrochen war, aber dennoch ließ sich schnell erkennen, dass jemand hier gewesen war und alles durchsucht hatte. L blickte zu Watari, Beyond und Jeremiel und diese verstanden schon und nickten. Der gebürtige Engländer holte seine Erfindung raus, mit der er eventuelle Wanzen und Kameras lahm legen konnte und sofort begannen sie alles abzusuchen. Rumiko, die noch mitgekommen war während Oliver und Andrew selbst nach Hause zurückgekehrt waren, half mit und fragte sogleich „Wer sollte denn hier bitteschön einbrechen? Ich meine, die Computer und Fernseher sind noch alle da und hier sieht es auch nicht so aus, als wäre alles auf den Kopf gestellt worden.“ Ja. Wer auch immer hier ins Haus eingedrungen war, er hatte allem Anschein nach gezielt etwas gesucht und musste wohl auch gewusst haben, wo er es finden könnte. Beyond, der als Erster den Geistesblitz hatte, ging ins Arbeitszimmer und suchte nach. Nach einer Weile rief er „L, hast du vielleicht die Aufzeichnungen deiner Mutter woanders hingetan?“

„Nein, die müssten noch im Arbeitszimmer sein.“ Nun kamen auch die Lawliet-Zwillinge dazu, um nachzusehen, doch es stellte sich schnell heraus, dass Beyond mit seinem Verdacht Recht hatte. Der Einbrecher hatte sämtliche Aufzeichnungen von Nastasja Kasakowa gestohlen und auch Jeremiels Zeichnungen mitgehen lassen. Als wäre die Situation durch Hesters Tod nicht schon schlimm genug, jetzt war auch noch jemand bei ihnen eingebrochen und stahl Nastasjas Unterlagen. Rumiko verschwand ihrerseits in die Küche und bereitete einen Kaffee vor, während die anderen zu grübeln begannen, was das wohl zu bedeuten hatte. Sie wandte sich an Watari, der überhaupt nicht gut aussah und dem die ganze Aufregung der letzten Zeit überhaupt nicht gut getan hatte. Rumiko machte sich ernsthaft Sorgen um ihn, denn auch wenn Watari immer den Anschein erweckte, als könne ihm rein gar nichts anhaben, so war ihr erst letztens aufgefallen, wie er Medikamente eingenommen hatte. Sie setzte sich schließlich zu ihm. „Watari, jetzt mal Butter bei den Fischen: was ist mit Ihnen los? Ich sehe doch, dass es Ihnen gar nicht gut geht und dass Sie Pillen schlucken. Und ehrlich gesagt mache ich mir langsam ernsthaft Sorgen, dass Sie vielleicht eines Tages noch einen Zusammenbruch erleiden.“

„Ach, ich merke allmählich, dass ich alt werde“, gab der Erfinder zu und putzte seine Brillengläser. „Und diese schrecklichen Geschichten sind ja nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Fredericas Tod und ihre jahrelange Qual, die Tatsache dass man Nastasja eines ihrer Kinder weggenommen hat… und nun ist auch Hester verstorben. Sie war meiner Alice sehr ähnlich, deshalb hatte ich sie auch sehr ins Herz geschlossen. Beide besaßen den gleichen Ehrgeiz und dasselbe Talent im medizinischen Bereich. Auch äußerlich sahen sie sich sehr ähnlich, da meine Alice dasselbe schwarze Haar hatte. Und sie hatten den Willen, Menschen zu retten. Es war für mich fast wie ein Deja-vu. Nur mit dem Unterschied, dass ich meine Tochter nie bestatten konnte, weil man ihre Leiche nie finden konnte. Sie ist einfach von der Strömung aufs Meer hinausgerissen worden. Ich werde bald 74 Jahre alt und als ich noch bei Hester zur Untersuchung war, da sagte sie mir, dass mein Herz auch nicht mehr so gut funktioniert. Ich solle mich etwas mehr zurücknehmen und Aufregungen vermeiden.“

„Wissen L und Beyond schon davon?“ Sein Gesichtsausdruck war Antwort genug. Er hatte nichts gesagt. Offenbar wollte er ihnen diese Nachricht ersparen. „Als Nastasja ihren Sohn zu mir gebracht hat, da war er fünf Jahre alt. Er hat immer wieder geweint und nach seinen Eltern gerufen. Ich habe mich um ihn gekümmert wie ein Vater und war stets bemüht, ihn in allen Situationen zu unterstützen. Als ich sah, wie er Gefühle für Beyond entwickelte, da hatte ich zuerst Sorge um ihn, aber ich war auch froh zu sehen, dass er auch andere Menschen in sein Leben ließ. L war seit damals immer so verschlossen gewesen und wurde immer mehr und mehr zu der Person, die er all die Jahre anderen nur vorgegeben hatte. Er hatte vergessen was es heißt, eine Familie zu haben und mit anderen zusammenzuleben. Ich wollte ihn beschützen und habe ihn vor der Welt versteckt, weil ich wollte, dass wenigstens etwas von Nastasja weiterlebt und ich zumindest mein Versprechen halten konnte.“

„Und Sie haben ja auch gute Arbeit geleistet. Dank Ihnen konnte L Kira aufhalten und er lebt. Er ist erwachsen und jetzt hat er eine Familie. Aber Sie sollten wirklich mehr auf sich Acht geben. Vielleicht… vielleicht sollten Sie ja mal in Betracht ziehen, sich zur Ruhe zu setzen und einen Nachfolger zu suchen, der L bei seiner Arbeit unterstützt. Sein Bruder Jeremiel wird ja auch bald wieder zu Liam zurückkehren und Beyond ist in vielerlei Hinsicht genauso wie L. Ich würde ja gerne helfen, aber ich habe selbst eine Familie. Vielleicht kennen Sie ja jemanden, der mit den beiden Hornochsen zurechtkommt.“ Watari schwieg und wirkte nachdenklich. Er dachte kurz darüber nach, aber so wirklich überzeugt schien er noch nicht zu sein. Natürlich war das nicht gerade eine leichte Entscheidung. Nachdem L seiner Obhut anvertraut worden war, war dies hier quasi zu seiner Lebensaufgabe geworden und nun, da es um seine eigene Gesundheit nicht zum Besten stand, stand er vor einer schweren Entscheidung und vor allem musste er L die Wahrheit irgendwie beibringen. Die Musiklehrerin spürte, was das Problem war und goss Watari einen Kaffee ein. „Es ist ja ganz lieb, dass Sie L ein Stück weit vor der Wahrheit schützen wollen, aber glauben Sie nicht auch, dass auch er längst gemerkt hat, dass es Ihnen nicht mehr ganz so gut geht? Er ist nicht dumm und sicherlich ahnt er auch schon was. Deshalb sollten Sie ihn mal die Tage darauf ansprechen und ihm die Wahrheit sagen. Es mag ja sein, dass Sie nicht wollen, dass er nach seinen Eltern auch noch jene Person verliert, die für ihn all die Jahre die einzige Bezugsperson war. Aber er hat jetzt auch uns und ich bin ja auch da. Wir werden weder Sie noch L im Stich lassen. So, ich geh jetzt mal zu den Jungs rüber und schau mal nach, ob sie schon was in Erfahrung gebracht haben.“ Damit stand die Halbjapanerin auf und ging mit einem Tablett ins Arbeitszimmer. Dort saßen Jeremiel, L und Beyond da und besprachen die Lage. „Und? Schon den Täter gefunden?“

L saß an einem Laptop und überprüfte die Überwachungskameras vor dem Haus und hatte tatsächlich eine Person gesehen, allerdings hatte diese wirklich gute Arbeit geleistet, um unerkannt zu bleiben. Sie hatte langes schwarzes Haar, trug eine Sonnenbrille und einen Sonnenhut. Ihr Gesicht war aufgrund dessen kaum zu erkennen, sodass selbst Beyond nicht viel ausrichten konnte. „Das Problem ist, dass ich entweder die Augen oder das ganze Gesicht sehen muss, um den Namen zu erkennen. Aber da die obere Gesichtshälfte durch diesen Hut verdeckt wird, sehe ich rein gar nichts. Scheiße verdammt, wer ist diese Frau und wieso hat sie die Unterlagen gestohlen?“

„Vielleicht ist es ja diese „Mutter“, von der die Proxys geredet haben“, vermutete Jeremiel. Aber Beyond und L waren nicht sonderlich überzeugt von dieser Theorie. „Dann wären die Proxys doch selbst hergekommen und dann hätten sie nicht nur die Unterlagen gestohlen, sondern uns auch gleich umgebracht.“

„Dann könnte es auch vielleicht Eva gewesen sein, die irgendwelche Pläne verfolgt und nicht erkannt werden will.“ Nun gut, das war zumindest eine Theorie. Zwar war L noch ein wenig skeptisch, aber es war auch nicht ganz ausgeschlossen. Wenn das wirklich Eva gewesen war, dann stellte sich die Frage, wieso sie Nastasjas Aufzeichnungen gestohlen hatte. Sie hätte doch genauso gut um Hilfe bitten können, wieso also diese Heimlichtuerei und diese Verkleidung? Das alles war schon ziemlich merkwürdig und so ganz trauten sie der Sache nicht. Schließlich aber hatte Jeremiel etwas Interessantes zu erzählen. „Als ich bei Liam war, da haben wir auch über den Fall gesprochen und auch darüber gerätselt, was dieses Unborn-Phänomen sein könnte. Ich weiß, dass Liam beiläufig gesagt hatte, dass Eva erst spurlos verschwunden sei und dass sie nicht mal für ihn auffindbar war. Und die Unvergänglichen sind ja in der Lage, jegliche Form von Lebewesen auf der ganzen Welt aufzuspüren. Aber Eva war wie vom Erdboden verschluckt und jetzt ist sie wieder aufgetaucht, allerdings gehe sie ihm die ganze Zeit schon aus dem Weg und nun vermutet er eben, dass sie wieder irgendwelche Alleingänge plant. Dies würde zumindest dafür sprechen, dass Eva die Unterlagen gestohlen hat. Und sie muss die Zeit genutzt haben, wo wir alle bei Hesters Beerdigung waren, um hier einzudringen und Nastasjas Unterlagen zu stehlen. Wahrscheinlich vermutet sie irgendetwas in diesen Aufzeichnungen zu finden, was ihr bei der Durchführung ihres Plans helfen könnte.“

„Nun, das wäre zumindest eine Idee. Vielleicht ist sie ja auch auf der Suche nach Antworten zu diesem Phänomen und hat sich gedacht, dass Nastasja als Humanbiologin etwas darüber gewusst hat. Die Tochter vom alten Knacker hat immerhin sogar einen Patienten behandelt, der unter diesem Syndrom gelitten hat. Und wir wissen, dass Nastasja früher, als sie gerade erst nach England gekommen war, eine Zeit lang bei den Wammys gewohnt hat. Und auch sonst hatten sich die beiden ganz dicke verstanden. Also wäre es doch möglich, dass Nastasja irgendwo in den Aufzeichnungen etwas erwähnt haben könnte, das wir vielleicht übersehen haben.“

„Wir haben sie mehr als gründlich studiert und nichts Auffälliges feststellen können, was uns weiterhelfen könnte.“

„Doch“, sagte Jeremiel überraschend, dem nämlich etwas Wichtiges eingefallen war, was er zuvor noch nicht ganz bedacht hatte und nun zur Ansprache bringen wollte. „Die unvollständige Formel, die keiner von uns entschlüsseln konnte. Ich habe sie vervollständigt und wollte herausfinden, was es für eine Formel ist und wollte mich näher damit beschäftigen. Vermutlich hat es mit der Formel irgendetwas auf sich. Immerhin handelten sonst alle Aufzeichnungen von den Eva-Experimenten und die Pläne zum Tesserakt hat sie verbrannt. Womöglich ist etwas in dieser Formel enthalten, was mit den Proxys zu tun haben könnte.“

„Das finden wir heraus, wenn wir sie hätten, um sie zu entschlüsseln.“ Nun, das war kein großes Problem für Jeremiel, der die gesamte Formel im Kopf hatte. Er schnappte sich einen Zettel und einen Stift und schrieb alles auf. Selbst die Handschrift seiner Mutter imitierte er perfekt und so hatten sie ziemlich schnell die vollständige Formel vor sich liegen. L war tief beeindruckt. „Nicht schlecht. Und die Handschrift sieht auch aus wie das Original.“

„Dein Bruder hat ein ziemlich gutes Gedächtnis und zudem noch ein Talent zum Fälschen von Handschriften.“ Jeremiel wirkte ein wenig verlegen weil er oft nicht wusste, wie er auf Komplimente reagieren sollte. Schließlich lächelte er, wobei es wirklich herzlich wirkte und sagte „Danke“. Und als Beyond dieses Lächeln sah, da konnte er nicht anders, als zu schmunzeln und L mit einem sanften Ellebogenstoß in die Seite zu sagen „Ich versteh schon, wieso Liam so verrückt nach deinem Bruder ist. Bei dem kann man ja nur schwach werden.“ Und für diesen mehr als ungebührlichen Kommentar fing sich der Serienmörder sogleich einen Klaps mit der zusammengerollten Zeitung ein, die L ihm kurzerhand über den Kopf zog. „Sei bloß still!“ warnte der Detektiv ihn mit bedrohlicher Stimme und Beyond wurde daraufhin etwas kleinlaut und rieb sich die Stelle, wo ihn die Zeitung erwischt hatte. „Ernsthaft“, meckerte er und zog eine Schmollmiene. „Wo nimmst du immer diese blöde Zeitung her? Schleppst du die etwa ständig mit dir herum?“ „Irgendwie brauch ich ja wohl eine Methode, um dich zu erziehen.“

„Bin ich etwa ein Hund, oder was?“

„Einen Hund kann man wenigstens erziehen, im Gegensatz zu dir.“

„Stimmt, dem kann man auch zumindest ein paar Tricks beibringen.“ Nun war auch von Jeremiel ein Seitenhieb gekommen, bevor Rumiko die Chance bekam, etwas dergleichen zu sagen. Sie musste lachen und klopfte dem älteren Lawliet-Zwilling anerkennend auf die Schulter. „Ich sehe schon, du lässt dich nicht von den Späßen meines Bruders ärgern.“ Beyond fand das nicht sehr witzig und schmollte missmutig. Dann wandte er sich wieder dem eigentlichen Thema zu, weil es ihm langsam zu blöd wurde. „Also was die Formel betrifft: hat da jemand eine Idee?“ Nun schaute auch Rumiko drauf, konnte aber genauso wenig damit anfangen und neigte ihren Kopf nachdenklich zur Seite. „Auf jeden Fall handelt es sich um eine chemische Formel. Aber ich kenne ehrlich gesagt kein passendes Ausgangsprodukt dafür. Die einzelnen Teile dafür kenne ich, die sind ja recht einfach. Aber wenn wir in Betracht ziehen, dass es die Formel ist, die eine Humanbiologin entwickelt hat, dann kommen doch bloß folgende Möglichkeiten in Betracht: Medikament, Impfstoff, körpereigene Stoffe wie Enzyme und andere Proteine, Gift und Gegengift.“ Ja, das war zumindest ein Anfang, aber dennoch half das auch nicht sonderlich weiter. Denn es konnte sich wirklich um alles Mögliche handeln und wahrscheinlich wusste nur ein Mediziner etwas damit anzufangen. Dummerweise fehlte L nach Hesters Tod jetzt jemand, der diese Aufgabe übernehmen könnte und zudem hatte er sowieso etwas gegen Mediziner. Ein Ansprechpartner musste her und da Beyond sein Medizinstudium sowieso nie ganz beendet hatte, konnte auch er nicht viel damit anfangen. Schließlich aber hatte Jeremiel eine Idee. Er ging einige Bücher holen, die er sich aus Liams Privatbücherei ausgeliehen hatte und darunter waren auch Fachliteraturen für die Bereiche dabei, die sie brauchten. „Vielleicht hilft es, wenn wir die Formeln vergleichen. Dann könnten wir so auf dem Weg herausfinden, um was es sich genau handelt.“ Dieser Vorschlag wurde sofort aufgenommen und so verteilten sie die Bücher. Beyond nahm das Buch über Giftformeln, L konzentrierte sich auf Impfstoffe, Rumiko auf Gegengifte und Jeremiel nahm das Buch mit Medikamenten sowie Enzymen und anderen Proteinen unter die Lupe. So saßen sie die ganze Zeit zusammen und durchblätterten Seite um Seite und schrieben sich auf, welche Formel der auf Jeremiels Zettel ähneln könnte. Sie waren fast den ganzen Tag damit beschäftigt und schließlich musste Rumiko gehen, da sie sich um ihre Kinder kümmern musste. Also übernahm Beyond beide Bücher und schließlich hatte er etwas Interessantes gefunden, was tatsächlich etwas mit der Formel zu tun haben könnte. „Ich habe hier etwas. Es geht um Fleisch fressende Bakterien. Ein extrem seltener Fall in den USA. Beim Baden hat sich ein Mann, der eine offene Wunde an seinem Bein hatte, mit Bakterien infiziert, die ihn regelrecht zerfressen haben. Eine Studentin hat sich ebenfalls infiziert und man musste ihr beide Hände und ein Bein amputieren. Nekrotisierende Fasziitis nennt sich das. Es gibt hier drin ein experimentelles Mittel zur Bekämpfung dieser aggressiven Bakterien und es ähnelt der Formel hier, allerdings gibt es dennoch einige Unterschiede.“ L und Jeremiel sahen sich die Seite genauer an und tauschten sogleich einige fragende Blicke aus, dann kam L zu seiner Schlussfolgerung. „Also kann es sein, dass Mutter ein Heilmittel gegen Nekrotisierende Fasziitis herstellen wollte.“

„Oder aber etwas Vergleichbares.“

„Dann könnte es sich um ein Heilmittel für den Parasiten handeln, der Andrews Seele fast zerfressen hätte.“

„Ein Heilmittel gegen parasitäre Bewusstseinsformen.“ Beyond sah abwechselnd zu den beiden und schaute ein wenig perplex drein als er sah, wie sie gegenseitig ihre Gedankengänge erfassten und fortführten. „Ernsthaft, ihr beiden werdet mir langsam immer unheimlicher. Ihr redet ja wirklich schon wie eineiige Zwillinge.“ „Ach echt?“ fragten beide unisono, was das Ganze aber nicht wirklich besserte. Beyond blieb dabei und wandte sich wieder den Formeln zu. Wenn es wirklich stimmte und Nastasja hatte damals eine Formel entwickelt, die die Ausbreitung von parasitären Bewusstseinsformen im menschlichen Körper unterbrechen konnte, dann würde das zumindest erklären, wieso die Proxys all die Jahre nicht einsatzbereit waren. „Nastasja hat den Proxys ein Mittel gespritzt, welches die Aktivität des Parasiten eindämmt. Von Andy wissen wir, dass Elions „Mum“ ihm etwas gespritzt hat, wodurch er nicht einsatzfähig war. Da Nastasja offenbar ein enges Verhältnis zu den Proxys hatte und eine Art Mutterfigur für sie war, hat sie versucht, ihnen zu helfen. Also entwickelte sie ein Mittel, damit dieser seelenfressende Parasit sich nicht weiter ausbreiten konnte. Da die Formel aber unvollständig war, verlor das Mittel irgendwann seine Wirkung und so konnte sich der Parasit wieder ausbreiten. Um aber so ein Gegenmittel zu finden, muss Nastasja den biologischen Gedankenschaltkreis geknackt haben und dessen genetische Beschaffenheit kennen. Und Jeremiel ist es unbewusst gelungen, das Gegenmittel zu perfektionieren, womit wir den Parasiten tatsächlich stoppen könnten.“

„Und was will Eva damit anstellen?“

„Den Parasiten wahrscheinlich auslöschen.“ Ja, das war gut möglich. Nur stellte sich die Frage, wieso Eva so ein Geheimnis daraus machte. Irgendwie kam ihm das mehr als seltsam vor.
 

Während sie weitergrübelten, ereilte sie ein Anruf von Oliver, der etwas Interessantes zu melden hatte: jemand hatte sich Zutritt bei Vention verschafft, sämtliche Sicherheitssysteme austricksen können und mehrere Geräte gestohlen. Es handelte sich um ebenfalls um eine Frau. Sie hatte sich mit einer falschen Schlüsselkarte, speziellen Kontaktlinsen und falschen Fingerabdrücken problemlos Zutritt verschafft und konnte den Kameras so geschickt ausweichen, dass nirgendwo ihr Gesicht zu sehen war. Man wusste nur, dass es sich um eine schwarzhaarige Frau gehandelt hatte.

Ein nächtlicher Überfall

Andrew hatte tief und fest geschlafen, nachdem er sich so erschöpft gefühlt hatte. Zwar verfolgten ihn noch diese Bilder, die Elion ihm gezeigt hatte, aber er litt auch nicht sonderlich darunter. Er hatte auch keine Angst oder schlaflose Nächte deswegen. Er fühlte überhaupt keine Angst und er merkte auch selbst, dass sich irgendetwas in ihn verändert hatte. Zwar freute er sich, wenn Oliver ihn besuchen kam, aber… er fühlte nichts Tieferes mehr für ihn. Es war so, als wäre da eine Leere in seinem Herzen, die gewaltsam hineingerissen worden war. Und das fühlte sich einfach nur schrecklich an. Diese Leere war wie ein schwarzes Loch, das man einfach nicht stopfen konnte und er hasste das. Es war unerträglich für ihn und er wünschte sich, dass es wenigstens eine Möglichkeit gäbe, diesem Zustand zu entkommen. Doch wahrscheinlich würde es nie wieder weggehen. So wie Liam es gesagt hatte, würde dieses Loch für immer in seinem Herzen bleiben. Andrew fühlte sich schrecklich damit. Er wollte Oliver heiraten und für immer bei ihm bleiben, doch nun waren diese Gefühle nicht mehr da. Und das machte ihn noch fertig. Warum nur musste mir das passieren? Werde ich Oliver nie wieder so lieben können wie vorher? Womit habe ich das nur verdient nach alledem, was ich zehn Jahre lang durchgemacht habe? Ich wollte glücklich werden und den Mann heiraten, den ich über alles liebe und mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen wollte. Und nun geht das nicht mehr, weil dieser Parasit einen Teil meiner Persönlichkeit zerstört hat. Und damit auch diese Liebe für Oliver. Andrew schloss wieder die Augen und wollte schlafen, doch da spürte er plötzlich etwas. Eine Präsenz, als befände sich da jemand mit ihm in einem Zimmer. Er sah auf und sein Herz setzte fast einen Schlag aus, als da eine Frau an seinem Bett stand. Eine schwarzhaarige Frau, die eine Sonnenbrille trug und in einen schwarzen Mantel gehüllt war. Zwar wusste er nicht, wer diese Frau war, aber dass sie hier eingebrochen war und Olivers Sicherheitsanlage überlistet hatte, sprach dafür, dass sie gefährlich war. Sofort sprang er auf und wollte fliehen, doch da überwältigte die Frau ihn mit Leichtigkeit und rang ihn zu Boden. Sie drückte ihm ihr Knie auf den Brustkorb und holte eine Spritze hervor. „Hab keine Angst, ich will dir nur helfen.“ Großer Gott, die wird wahrscheinlich von James geschickt worden sein, sonst hätte sie es nicht auf mich abgesehen. „Was… was wollen Sie…“ Doch die Frau antwortete nicht, sondern versuchte ihn festzunageln und ihm die Spritze zu verabreichen, doch da schaffte es der Rothaarige, sich irgendwie zu befreien und kam sofort auf die Beine. Er rannte schon in Richtung Zimmertür, doch da ergriff die Frau ihn von hinten und drückte ihm ein mit Chloroform getränktes Taschentuch ins Gesicht. Sie hielt ihn dabei mit ungeheurer Kraft fest und Andrew schaffte es beim besten Willen nicht, sich zu befreien. Langsam wurde ihm mulmig zumute und er wusste, dass er gleich das Bewusstsein verlieren würde. Als seine Gliedmaßen langsam erschlafften, ließ auch der Griff der Frau etwas nach und sie ließ ihn vorsichtig zu Boden sinken. In dem Moment schaffte er es, ihr seinen Ellebogen in den Unterleib zu rammen und sich loszureißen. Die Frau geriet aus dem Gleichgewicht und diese Chance nutzte er um wegzukriechen, doch da hatte sie sich auch schon wieder gefangen. Sie drückte ihn erneut zu Boden, nur dieses Mal auf den Bauch, setzte sich auf ihn drauf und nahm die Schutzkappe von der Nadel ab. Andrew geriet in Panik und begann um Hilfe zu rufen, doch die Frau blieb ruhig. „Schreien nützt nichts. Oliver ist gerade bei Vention, um den Einbruch zu klären, den ich begehen musste. Keine Angst, dieses Mittelchen ist nichts Schlimmes.“ „Nein, bitte… lassen Sie mich. Hören Sie auf! Sagen Sie James, es tut mir Leid…“ „James?“ fragte die Frau und begann nun seinen Arm festzuhalten, dann spürte der verängstigte 25-jährige, wie die Nadel unter seine Haut stach und das Mittel in seinen Blutkreislauf gelangte. „Ich arbeite nicht für ihn, da kannst du unbesorgt sein. Nein, ich stehe auf eurer Seite. Entschuldige bitte, dass ich hier das jetzt tun muss, aber ich glaube, dass ich so oder so keine andere Wahl hätte. Also halt bitte still, sonst wird es noch unnötig wehtun.“ Andrew versuchte sich zu befreien, doch dieses Mal hielt ihn die Frau erbarmungslos unten. Und als sie ihm die Injektion gegeben hatte, drückte sie ihm erneut das Taschentuch ins Gesicht. Er verlor das Bewusstsein und blieb regungslos auf dem Boden liegen. Als die Frau sich vergewissert hatte, dass er auch wirklich schlief, ging sie von ihm runter, hievte ihn hoch und legte ihn ins Bett. Sie verschwand durch die Tür nach draußen und verließ das Haus, noch bevor Oliver zurückkehrte. Und in der finsteren Nacht sah sie niemand.
 

Am nächsten Morgen war L noch nicht ganz wach, als es an der Haustür klingelte und Jeremiel aufmachen ging, da Watari gerade verhindert war. Oliver und Andrew standen vor der Tür und beide wirkten ziemlich durch den Wind. „Jeremiel, sind L und Beyond schon wach?“ „Beyond schon, aber kommt doch erst mal rein.“ Der ältere Lawliet-Zwilling führte die beiden ins Wohnzimmer und merkte sofort, dass irgendetwas passiert sein musste. Er brachte ihnen einen Kaffee und ein paar Snack. Er selbst hatte noch nicht gefrühstückt. Beyond kam kurz darauf hinzu und rieb sich müde die Augen. Auch er war mehr als verwundert, die beiden zu sehen und fragte sogleich, als er sich sein Glas Erdbeermarmelade geschnappt hatte „Was ist los? Ist irgendetwas nicht in Ordnung mit dir, Andy? Oder ist dir wegen den Proxys etwas eingefallen?“ Der Serienmörder bemerkte sofort, dass irgendetwas anders war an seinem besten Freund. Er wirkte nicht mehr so apathisch, still und niedergeschlagen wie die letzten Tage, seit er mit diesem parasitären Bewusstsein infiziert worden war und dadurch einen Teil seiner Persönlichkeit eingebüßt hatte. Nein, er wirkte viel lebendiger und ganz wie der Alte. Als wäre das nie passiert. „Bei uns ist gestern jemand eingebrochen.“

„Bei euch auch? Hat diese schwarzhaarige Einbrecherin auch irgendetwas geklaut?“ Andrew schüttelte den Kopf und wirkte immer noch etwas durch den Wind. Dann aber erklärte er „Nein, sie hat mich überwältigt und mir irgendetwas gespritzt. Dann hat sie mich betäubt und ist abgehauen.“ Als Beyond das hörte, sprang er schon fast auf und war alarmiert. „Wie bitte?“ rief er, als er das hörte. Diese Einbrecherin hatte nicht bloß Nastasja Kasakowas Unterlagen und bei Vention mehrere Geräte gestohlen, sondern auch Andrew überfallen und ihm irgendetwas gespritzt? Das konnte doch nicht wahr sein. Was musste noch alles passieren, bis diese Frau geschnappt wurde und was hatte sie bloß vor? Und was hatte sie Andrew angetan? „Scheiße verdammt“, murmelte der BB-Mörder und ging zu seinem besten Freund hin, dann begann er ihn zu untersuchen. „Wir müssen dich schnellstens untersuchen lassen um sicherzugehen, dass sie dir nichts Tödliches gegeben hat. Jeremiel, dein Lover ist ja auch Mediziner. Meinst du, er könnte Andy untersuchen und feststellen, was ihm fehlt?“

„Sicher. Ich rufe ihn sofort an und gebe ihm Bescheid.“ Damit holte Jeremiel sein Handy hervor und rief sofort Liam an, um ihm den Sachverhalt zu schildern. Oliver holte noch etwas hervor und gab es Beyond. Es war ein Beweistütchen und darin befand sich eine kleine Tüte mit Lakritz. Es war eine englische Marke. „Das hat die Einbrecherin verloren, als Andrew sich zur Wehr gesetzt hat. Ich hab aufgepasst. Wir haben keine Fingerabdrücke hinterlassen, außer vielleicht unsere Einbrecherin.“

„Na hoffentlich haben wir Glück. Wenn sie nämlich Engländerin ist und nicht hier in den USA registriert wurde, wird es schwer sie aufzuspüren.“ Beyond sah sich die kleine Tüte genauer an und war nun doch verwundert, als er da etwas sah, das ihn stutzig machte. „Und ich hoffe, sie hat einen robusten Magen, denn das Verfallsdatum ist bereits seit knapp 18 Jahren abgelaufen.“ Andrew verzog das Gesicht, als er das hörte und schüttelte den Kopf. „Igitt. Wer isst denn bitteschön vergammelte Süßigkeiten?“

„Keine Ahnung. Eine verrückte Spinnerin vielleicht. Nun gut, ich werde L nachher fragen, ob er jemanden hat, der das untersuchen kann. Und was ist mit dir Andy, wie fühlst du dich?“ Der rothaarige Engländer zuckte mit den Achseln und erklärte „Mir geht es blendend. Ehrlich gesagt fühle ich mich so gut wie noch nie. Nun gut, der Schreck von gestern Abend sitzt mir noch in den Knochen, aber ich fühle mich seltsamerweise viel besser als vorher.“

„Nun, das hat wahrscheinlich nichts zu bedeuten, aber Liam wird wahrscheinlich eine bessere Diagnose fällen können. Zumindest sind deine Pupillen normal, Temperatur und Kreislauf scheinen auch normal zu sein und ich sehe auch keine motorischen Anomalitäten. Aber es kann sich auch später bemerkbar machen. Wartet kurz hier, ich schmeiß L eben aus dem Bett und sag ihm Bescheid.“ Beyond stellte sein Marmeladenglas beiseite und ging in Richtung Schlafzimmer, um L zu wecken, doch der kam schon aus dem Bad und wirkte ein wenig verschlafen. Beyond erzählte ihm von den Geschehnissen und so war auch der Detektiv mit den Pandaaugen hellwach und zeigte sich ebenfalls beunruhigt, war aber nicht ganz so temperamentvoll dabei wie Beyond, sondern ging ins Wohnzimmer und ließ sich von Andrew noch mal alles erzählen. Er und Jeremiel nahmen jeweils ihre gewohnte Sitzhaltung ein und begannen zu überlegen. „Also zuerst bricht diese Frau bei uns ein und stiehlt die Aufzeichnungen, dann verschafft sie sich Zutritt bei Vention und stiehlt medizinische Geräte und steigt dann mitten in der Nacht bei Andrew ein, um ihm etwas zu spritzen.“

„Demnach muss sie also wissen, was mit Andrew passiert ist, wenn sie ihn nicht töten wollte. Hätte sie es nämlich vorgehabt, wäre er nicht mehr hier.“

„Zudem entschuldigt sie sich noch und legt ihn ins Bett, nachdem sie ihn betäubt hat. Und sie hätte ihn auch einfach niederschlagen können. Demnach hatte sie wahrscheinlich nicht vor, ihm ernsthaft zu schaden.“

„Also geht sie wahrscheinlich davon aus, dass Andrew noch immer diesen Parasiten in sich trägt und wollte diesen zerstören.“

„Und dazu brauchte sie Nastasjas Dokumente und das gestohlene Equipment bei Vention, um das Mittel herzustellen. Also müsste sie auch in eine Apotheke oder aber ins Krankenhaus gegangen sein, um sich dort die Mittel zu beschaffen.“

„Menschenskinder“, sagte Oliver schließlich, der die Augenbrauen hob, als er die beiden sah. „Ihr beiden verhaltet euch immer mehr wie Zwillinge…“ „Das hab ich auch schon gesagt“, meldete sich der Serienmörder und verwundert sahen sich die beiden Brüder an und hatten offenbar selbst nicht bemerkt, was sie da getan hatten. Und doch konnten sie sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen. „Wir denken eben immer mehr auf einer Wellenlänge.“ Nun, das blieb bei eineiigen Zwillingen oft nicht aus. Da es Watari heute nicht gut ging und L und die anderen ihm deshalb etwas Ruhe gönnen wollten, fuhr Oliver sie alle zum Anwesen von Liam J. Adams. Natürlich wurden sie von einigen etwas bedrohlich wirkenden Mafiosi angehalten, aber als sie Jeremiel sahen, ließen sie die Gruppe ohne weiteres durch das große Tor durchfahren. Liams Anwesen war im Stil eines italienischen Herrenhauses erbaut worden und hatte wirklich Klasse. Etwas anderes konnte man einfach nicht sagen. Die Gärten waren aufs Beste gepflegt und nicht weit vom Eingang entfernt parkte die schwarze Limousine. Eine Japanerin mit türkis gefärbten Haaren beugte sich gerade über die Motorhaube und schraubte herum. Jeremiel ging zu ihr hin und grüßte sie. „Gishi! Wie geht es dir denn soweit?“ Sie sah auf, wirkte aber auf dem ersten Blick nicht sonderlich begeistert, aber sie hatte eine etwas strenge und mürrische Art. Dennoch gab sie ihm eine kurze Umarmung und bemerkte „Meine Fresse, du hast dich ja in den letzten Wochen verändert. Und wer ist der Kindergarten bei dir?“

„Meine Familie. Du hör mal, weißt du wo ich Liam finde?“

„Der ist im Anbau und führt noch eine Untersuchung bei einem Patienten durch, den er operiert hat. Pass aber auf, er scheint nicht gerade die beste Laune zu haben.“

„Wieder Ärger mit „Kunden“ gehabt?“

„Wenn’s das nur wäre. So eine Einbrecherin hat diverse Medikamente aus dem Krankenhaus mitgehen lassen und auch bei Vention eingebrochen. Und die Bullen wollen das natürlich mal wieder uns in die Schuhe schieben. Dabei haben wir mit Drogen nichts am Hut und ein paar medizinische Geräte bei Vention zu klauen lohnt sich doch eh nicht. Das Zeug kriegt man doch niemals auf dem Schwarzmarkt verschachert. Viel eher hätten wir mit dem richtig teuren Kram noch viel Kohle machen können. Es ist echt zum Kotzen…“ Sie verabschiedeten sich von Gishi, die noch eine Kleinigkeit reparieren musste und steuerten direkt den Anbau an. Tatsächlich trafen sie dort Liam an, der gerade dabei war, einem Teenager von gut 15 oder 16 Jahren mit den Krücken zu helfen, da sein linkes Bein bis zum Knie bandagiert und eingegipst war. „So Tyler, deine Mutter kommt dich gleich abholen. Versuch dein Bein die nächsten 4 bis 6 Wochen nicht zu belasten. Danach nehmen wir den Gips ab.“ „Ist gut, Doc. Danke für alles.“ Damit begleitete Liam den Jungen noch zur Tür und traf dort auch schon auf Jeremiel und die anderen. Er grüßte sie und brachte sie direkt in eines der Untersuchungszimmer. „Also“, begann er und wandte sich an Andrew. „Die Einbrecherin, die auch im Krankenhaus, bei Vention und bei L eingebrochen ist, hat dir also irgendetwas gespritzt, bevor sie dich mit Chloroform betäubt hat.“

„Ja, aber seltsamerweise fühle ich mich viel besser als vorher. Ich weiß auch nicht genau, was los ist.“

„Das werden wir gleich haben.“ Liam begann nun damit, Andrew zu untersuchen, um körperliche Beschwerden ausschließen zu können. Er konnte aber rein gar nichts feststellen und so zog er schließlich seine Handschuhe aus und wollte es mit etwas anderem versuchen. „Ich werde jetzt eine mentale Verbindung aufbauen, um deinen seelischen Zustand zu prüfen.“ Damit legte er seine Hände an Andrews Schläfen und legte seine Stirn auf die des Rothaarigen ab, wobei er konzentriert die Augen schloss. Einen Moment verharrte er so, ohne dass etwas passierte, dann löste er sich wieder von ihm und verschränkte die Arme. „Also das ist mehr als seltsam…“ „Wieso?“ fragte der Engländer und wirkte ein klein wenig beunruhigt. „Stimmt da irgendetwas nicht?“

„Nein, ganz und gar nicht und genau das ist es ja. Denn eigentlich müsste dein Gedankenschaltkreis Schäden aufweisen, die von dem Parasiten herrühren, den ich zerstört habe. Aber ich kann keine Schäden ausfindig machen. Es ist so, als hätte sich dein anatomischer Gedankenschaltkreis vollständig regeneriert und das ist eigentlich so nicht möglich. Wenn der anatomische Teil einmal zerstört oder beschädigt ist, dann gibt es keinerlei Möglichkeiten, ihn wiederherzustellen, es sei denn, meine Schwester würde dieses Problem beheben.“

„Dann ist mit mir alles wieder in Ordnung?“

„Ja, es ist alles bestens.“ Überglücklich umarmte Andrew seinen Verlobten und strahlte richtig. Ja, er war wieder ganz der Alte. Als hätte es dieses Aufeinandertreffen mit den Proxys niemals gegeben. Und auch Oliver war heilfroh, dass es Andrew wieder gut ging und der Mafiaboss wirkte auch zufrieden, als er die beiden sah. Auch die anderen waren sichtlich froh, dass es sich um nichts Ernstes gehandelt hatte und dass es Andrew stattdessen wieder blendend ging. Doch Jeremiel hatte sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt wie er es immer tat, wenn er nachdachte. Natürlich freute er sich auch für Andrew, aber dennoch gab ihm die ganze Sache Rätsel auf. Wenn es nicht Eva war, die die Einbrüche begangen hatte, wer war es dann? Vermutlich jemand, der über die ganze Sache Bescheid wusste. Eventuell eine Komplizin von Eva. Aber wer käme denn da infrage? Nun, vielleicht halfen ja die Fingerabdrücke auf der Lakritztüte weiter, die die Einbrecherin in dem Gerangel verloren hatte. Glücklicherweise hatte er es mitgenommen und fragte auch sogleich „Liam, hast du vielleicht Möglichkeiten, Fingerabdrücke zu untersuchen?“ Damit reichte er ihm das Beweistütchen und sogleich sah es sich der Unvergängliche an. „Das hat die Einbrecherin verloren, als Andrew versucht hat, sich zu befreien. Vermutlich sind da auch ihre Fingerabdrücke drauf.“ Liam betrachtete es von allen Seiten und nickte. „Ja, ich hab da ein paar Gerätschaften im Labor, die wir nutzen könnten. Dazu bräuchte ich dann nur noch Olivers Hilfe, um die Datenbank zu hacken und denjenigen zu finden, zu dem die Fingerabdrücke passen.“ Liam verschwand mit Oliver ins Labor, während L und die anderen im Salon warteten. Schließlich kam Johnny herein, der gut gelaunt die Melodie aus Kill Bill pfiff und ein Grinsen im Gesicht hatte, das nichts Gutes erahnen ließ. „Hey, da ist ja der Pappnasenverein. Was führt euch denn hierher?“

„Es geht um die mysteriöse Einbrecherin. Sie war auch bei uns gewesen und hat Andrew ein Mittel gespritzt, mit dem seine anatomische Seele regeneriert wurde. Und nun wollen wir herausfinden, wer sie ist.“ Johnny hob die Augenbrauen und betrachtete seinen Freund eine Weile, aber dann fand er sein Grinsen wieder und er erklärte „Meint ihr wirklich, dass das die richtige Vorgehensweise ist?“

„Wie meinst du das?“

„Na womöglich solltet ihr erst das Motiv finden und nicht den Täter. Denn ohne das Motiv kann man für gewöhnlich den Täter, den man noch nicht gefunden hat, nicht identifizieren. Welchen Sinn hätte es denn eurer Meinung nach, den Täter zu finden, den man noch nicht identifiziert hat, ohne das Motiv zu haben, mit dem wir den Täter identifizieren können? Gar keinen!“

„Du lügst gerade“, stellte Jeremiel fest und ließ sich auch nicht von Johnnys wirrem Gerede durcheinanderbringen. „Ach echt?“ fragte Johnny überrascht. „Und wieso denkst du das?“

„Weil du erstens viel freundlicher wirst wenn du lügst und zweitens macht deine Schlussfolgerung nur dann Sinn, wenn man keine verwertbaren Spuren oder Indizien hat, die direkt zum Täter führen.“ Und sogleich ergänzte auch L „Erst dann beginnt man nach dem Motiv zu suchen.“ Johnny gab sich geschlagen, wirkte aber dennoch zufrieden. „Ich sehe schon, ihr lasst euch durch nichts beirren. Nicht mal durch meine Worte. Na denn, ich muss dann mal auch wieder abzischen. Macht’s gut, ihr Flachzangen. Johnny verlässt das Haus!“ Damit ging er davon und L, Beyond und Andrew fragten sich ernsthaft, was bei dem Kerl denn kaputt war. Nun ja, er schien ziemlich clever und wortgewandt zu sein, aber rüpelhaft und provokant bis zum Gehtnichtmehr. „Und mit dem bist du allen Ernstes befreundet?“ fragten sie Jeremiel, der ein klein wenig verlegen dreinblickte. Dieser versuchte, den teenagerhaft wirkenden Unvergänglichen ein wenig in Schutz zu nehmen. „Johnny hat zwar schlechte Manieren, wenn er ehrlich ist, aber man kann sich auf ihn genauso verlassen wie auf Delta. Sie haben mir sehr beigestanden, als es mir nicht gut ging und sie haben dafür gesorgt, dass Liam und ich uns näher kommen und einander verstehen.“ Sie warteten eine ganze Weile, bis dann endlich Liam und Oliver zurück kamen und Ergebnisse liefern konnten. „Tolle Neuigkeiten“, verkündete der gebürtige Ire und hatte auch eine Notiz dabei. „Unsere Einbrecherin hat tatsächlich einen Namen. Dr. Wednesday Weather und sie ist Chefärztin im selben Krankenhaus, wo auch Hester gearbeitet hat. Und sie wohnt auch nicht weit von Andrew und mir entfernt.“

Monster oder Mensch?

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Eine schicksalhafte Begegnung

Sie hatten nach einer kurzen Fahrt die Adresse erreicht, wo Dr. Wednesday Weather ihre Wohnung hatte und tatsächlich lag sie nicht weit von Olivers und Andrews Haus entfernt. Immer noch rätselten sie, was eine Chefärztin mit den ganzen Einbruchsdiebstählen erreichen wollte und was sie mit Eva zu schaffen hatte. Aber das würden sie noch herausfinden. Da auf das Klingeln hin niemand reagierte, regelte Beyond das eben schnell, indem er sein Geschick bewies und sich und den anderen Zutritt verschaffte. Gleich schon als die die Wohnung betraten, fanden sie sie auf dem ersten Blick eher verlassen vor. Das Apartment war sehr einfach, aber dennoch hübsch eingerichtet und sie hörten jemanden leise singen. Sie folgten dem Geräusch und kamen an einer Kommode vorbei, wo eine schwarze Perücke lag. Und sogleich fanden sie auch den schwarzen Mantel und den Sonnenhut, den die Einbrecherin getragen hatte. Eine gute Verkleidung, etwas anderes konnte man kaum dazu sagen. „Ah verdammte Hacke!“ hörten sie plötzlich die Frauenstimme laut rufen und nun hatten sie auch die Quelle geortet, von woher die Stimme denn kam. Da sie nichts riskieren wollten, ging Liam vor und die anderen blieben hinter ihm. Keiner konnte sagen, ob Dr. Weather gefährlich werden könnte, wenn sie sie überraschten. Sie gingen den Flur entlang und erreichten schließlich ein Zimmer, wo sie tatsächlich eine Frau vor einem Computer sitzen sahen, die gerade an der Auswertung irgendwelcher Daten war. Es herrschte ein gewisses Chaos im Arbeitszimmer und man konnte sehen, dass diese ominöse Chefärztin blond war und zudem eine etwas merkwürdige Sitzhaltung hatte, die ihnen mehr als bekannt vorkam. Nun aber hielt die Frau ein Reagenzglas mit einer Flüssigkeit in der Hand, drehte sich um und sah erst jetzt die Gruppe da stehen, woraufhin sie einen solchen Schreck bekam und das Reagenzglas fallen ließ und auch die Brille verrutschte ihr fast. L, Jeremiel, Beyond und Liam sahen gleichermaßen entsetzt und fassungslos aus, als sie die Frau erkannten, die da auf dem Drehstuhl saß und mindestens genauso perplex aussah. Sie wirkte immer noch erschrocken, doch als sie L sah, da weiteten sich ihre Augen und sie schien es gar nicht glauben zu wollen. „Das… das gibt es doch nicht… Henry?“ L brachte kein einziges Wort hervor, er war wie erstarrt und glaubte zuerst an einen Irrtum. Aber die Erinnerung an dieses Gesicht war einfach zu stark und diese Frage war es, die seinen Verdacht bestätigte. „Nein, ich… ich bin L. Und… bist du… bist du es, Mum?“ Die Frau erhob sich nun von ihrem Stuhl und sagte nichts. Doch es sammelten sich Tränen in ihren Augen und sie musste ihre Brille abnehmen, um sich die Tränen irgendwie wegzuwischen. Sie nickte und senkte fast schon beschämt den Blick. Jeremiel wandte sich an Beyond und verstand das Ganze nicht. Doch auch dieser glaubte seinen Augen nicht zu trauen und schüttelte den Kopf. „Das gibt’s doch nicht. Es ist tatsächlich Nastasja Kasakowa. Sie ist unsere Einbrecherin?“

„Ich verstehe das nicht“, brachte L hervor und ging auf sie zu, doch sie selbst bewegte sich nicht und wirkte irgendwie, als hätte sie Angst. „Was hat das zu bedeuten, Mum? Ich dachte, du wärst tot und du… du bist seit damals nicht gealtert. Was ist passiert und wieso hast du die Einbrüche begangen? Erklär mir das bitte.“ Doch sie schwieg erst noch und wusste nicht, was sie sagen sollte. Dann aber atmete sie tief durch und versuchte sich zu sammeln. „Wie wäre es, wenn wir uns alle ins Wohnzimmer setzen und ich euch die Sache in Ruhe erkläre? Es ist ein wenig kompliziert und nicht einfach zu verstehen.“ Da sie alle noch recht unter Schock standen über diese unerwartete Entdeckung, legte niemand einen Protest ein und so gingen sie allesamt ins Wohnzimmer und setzten sich. Nastasja folgte als letzte und hatte eine Tüte Salzlakritz dabei. Sie setzte sich auf einen Stuhl und nahm dieselbe Haltung ein wie L. Eine Weile schwieg sie noch, um sich die passenden Worte zu überlegen, dann aber schien sie soweit zu sein und erklärte den ganzen Sachverhalt. „Ich bin Nastasja Kasakowa, das stimmt. Aber… ich stamme nicht aus dieser Zeit. Genauer gesagt komme ich aus einer der vergangenen Zeitschleifen, näher gesagt aus der 33. Zeitschleife. Als ich damals am Eva-Projekt gearbeitet habe, stieß ich auch auf ein Projekt mit dem Code „AIN SOPH“. Ich habe damals versucht, das Projekt zu stoppen und den Drahtzieher ausfindig zu machen, was mir aber bis zu meinem Tod nicht gelungen ist. Da einer von euch schon Kontakt zu einem Proxy hatte, wisst ihr ja wahrscheinlich auch schon einigermaßen darüber Bescheid. Jedenfalls habe ich versucht ein Mittel zu entwickeln, um den Parasiten zu zerstören und gleichzeitig den entstandenen Schaden im anatomischen Gedankenschaltkreis wiederherzustellen. Damals hatte ich nicht die Zeit und die Mittel dazu. Ich wusste, wann meine Zeit ablaufen würde und habe deshalb immer wieder versucht, es fertig zu stellen, aber es gab zu dem Zeitpunkt einfach nicht die Mittel dazu, um das Serum herzustellen. Und da ich wusste, dass das unfertige Serum nicht ausreichen würde um den Parasiten dauerhaft zu bekämpfen, begann ich mit einer neuen Idee. Wenn es mir gelänge eine Art zeitversetzten Teleporter zu entwickeln, könnte theoretisch eines meiner Ichs aus einer vergangenen Zeitschleife in die Zukunft reisen, nachdem die Zeitschleife beendet wurde. Der Hyperkubus, den ich entwickelt habe, funktioniert in beiden Zeiten wie ein Sender und ein Empfänger. Der Tesserakt in der Vergangenheit ist der Sender und der in eurer Zeit der Empfänger. Er ist so eingestellt, dass ich zumindest in der Nähe des Empfängers lande und da Eva eingeweiht war, hat sie mir geholfen, eine Wohnung zu finden. Sie hat mir die ganzen Papiere und eine falsche Identität besorgt, damit ich unerkannt hier leben kann. Und ich habe die Einbrüche begangen, um an meine Unterlagen zu kommen, wo ich auch die Formel aufgeschrieben habe, damit ich sie ergänzen konnte. Zu meinem Erstaunen hatte sie aber schon jemand vervollständigt und so konnte ich die Arzneien und die Gerätschaften besorgen, die ich brauchte um das Serum herzustellen, damit ein ich Heilmittel entwickeln konnte, das auch eurem Freund Andrew helfen würde.“ Sie schwiegen eine Weile, um das alles erst mal zu verdauen. Es klang einfach zu unglaublich um wahr zu sein. Nastasja hatte allen Ernstes eine Art Zeitmaschine entwickelt, die sie aus einer vergangenen Zeitschleife in die Zukunft holen konnte und sie lebte tatsächlich. Es war eindeutig sie. Und Eva hatte all das gewusst und darüber geschwiegen. L konnte es aber immer noch nicht ganz verstehen und fragte „Aber wieso hast du nicht Kontakt zu uns aufgenommen? Wieso hast du dich vor mir versteckt?“

„Ich wusste nicht, wie viel Zeit inzwischen vergangen war und ich hatte Angst. Ich wusste nicht, was aus dir geworden ist und ob du überhaupt am Leben warst. Es hätte ja sein können, dass gut 50 bis 60 Jahre vergangen wären. Der Hyperkubus aktiviert sich erst dann, wenn die Zeitschleife beendet wurde und der Parasit, der Elions Körper zerfrisst, wieder aktiv wird. Deshalb konnte ich auch nicht abschätzen, wann das sein würde. Ich weiß ja selbst jetzt nicht, wie viel Zeit seit damals vergangen ist und ehrlich gesagt wollte ich das auch nicht so wirklich wissen, als ich hier gelandet bin. Ich wollte mir und vor allem dir unnötigen Kummer ersparen und mich auf meine Aufgabe konzentrieren, das Projekt zu stoppen. Ich wusste einfach nicht, wie ich dir ins Gesicht sehen sollte.“

„Zwanzig Jahre…“, murmelte L und senkte den Blick. „Zwanzig Jahre sind vergangen.“ Und hier konnte Nastasja ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie schluchzte und Tränen liefen ihre Wangen hinunter als sie das hörte und man sah ihr an, wie sehr ihr das wehtat. Wäre es nach ihr gegangen, dann wäre sie viel früher zurückgekehrt. Dann hätte sie ihren Sohn aufwachsen sehen können und hätte ihn auf seinem Weg zum Erwachsenwerden begleiten können. Doch stattdessen hatte sie zwanzig Jahre verpasst und nun war aus dem kleinen fünfjährigen L ein erwachsener Mann geworden. Dieses Opfer hatte sie bringen müssen, um ihr Ziel zu erreichen, nämlich dieses Projekt zu stoppen, bevor es ein Unglück geben konnte. Auch wenn es ihr unendlich schwer gefallen war sich mit dem Gedanken anzufreunden, eventuell in eine Zeit reisen zu müssen, wo es ihre Familie längst nicht mehr gab. Sie hatte es in Kauf genommen, dennoch brach es ihr das Herz, dass ihr kleiner Sohn nun erwachsen war und sie nichts von seinem Leben mitbekommen hatte, weil sie nicht die Möglichkeit dazu hatte. Schließlich brachte sie unter heftigen Schluchzern hervor „Es tut mir Leid… ich wünschte, ich wäre schon viel früher zurückgekommen. Du… du musst mich sicherlich dafür hassen, dass ich dich weggegeben und einfach zurückgelassen habe. All die Jahre warst du so alleine und ich war nicht für dich da. Welche Mutter tut so etwas? Es tut mir alles so Leid!“ Nun erhob sich L und ging zu ihr hin. Sie so zu sehen wie sie bitterlich weinte, weil sie sich solche Vorwürfe machte, war zu viel für ihn und er umarmte sie. Sie erwiderte die Umarmung und drückte ihn fest an sich. „Ich hasse dich doch nicht dafür. Ich weiß doch, dass du mich nur beschützen wolltest. Und ich war doch nicht alleine. Watari war immer bei mir und hat wirklich sein Bestes gegeben, sich gut um mich zu kümmern.“ „Und er hat ihn auch ganz gut hingekriegt“, bemerkte Beyond nebenbei und sah zufrieden dieses Familienbild an. Aber dann sah er zu Jeremiel herüber, der seinerseits ziemlich unglücklich wirkte. Er ahnte schon, was los war und wollte ihn schon ansprechen, doch dieser erhob sich und verließ das Wohnzimmer, ohne ein Wort zu sagen. Liam folgte ihm und fing ihn auf dem Flur ab. „Was ist los? Ist es wegen deiner Mutter?“ Der Blondhaarige senkte den Blick und sah aus, als würde er noch selbst gleich Tränen vergießen. „Ich kann das nicht, Liam. Sie weiß doch nicht mal, dass es mich überhaupt jemals gegeben hat. Für sie bin ich doch ein Fremder, also wird sie für mich auch nie das Gleiche empfinden können wie L. Und wenn sie erfährt, wer ich vorher war, dann wird sie mich nur verstoßen. Darum ist es besser, wenn sie die Wahrheit nicht erfährt und ich weiterhin ein Fremder für sie bleibe.“

„So ein Unsinn“, wandte Liam energisch ein und legte einen Arm um ihn. „Nastasja ist nicht so und sie würde dich auch nicht verstoßen. Glaub mir, ich hab sie früher mal kennen gelernt und sie ist eine wirklich tolle Frau. Und wir sind doch bei dir.“ Dennoch hatte Jeremiel Angst, was man ihm aber auch nicht verdenken konnte. Aber Liams Zuspruch schien ihm doch etwas Mut zu machen und so gingen sie gemeinsam wieder zurück. L löste sich von seiner Mutter und ging zu Jeremiel hin, um ihn näher an sie heranzuführen. „Mum, das ist mein älterer eineiiger Zwillingsbruder Jeremiel. Er ist dir damals während einer Operation heimlich von Joseph Brown herausgenommen und für die Eva-Experimente benutzt worden, um seine DNA mit Evas zu kreuzen. Ich habe ihn vor kurzem kennen gelernt.“ Nastasja sagte nichts, sie sah diesen jungen Mann, der rein äußerlich überhaupt nichts mit L gemeinsam hatte. Und diese Nachricht war natürlich auch erst mal ein ziemlicher Schock für sie. Sie blieb stehen, sah Jeremiel mit einem Blick an, der fast schon entsetzt wirkte. Dann aber ging sie langsam auf ihn zu, strich ihm über die Wange und sah in seine Augen. Sie musterte ihn, als versuche sie eine tatsächliche Verwandtschaft festzustellen, dann aber lächelte sie warmherzig und gab ihm einen Kuss auf die Stirn, bevor sie auch ihn in den Arm schloss. Sie drückte ihn fest an sich und diese Geste hatte etwas sehr Mütterliches an sich. „Ich kann es kaum glauben… ich habe zwei gesunde Kinder geschenkt bekommen.“ Jeremiel konnte es kaum glauben, dass das hier wirklich passierte. Seine Mutter kannte ihn nicht, sie hatte nichts von seiner Existenz gewusst und dennoch nahm sie ihn genauso in den Arm wie L und war glücklich. Ja, sie war glücklich darüber, dass es ihn gab. Und tatsächlich sagte sie dann auch noch „Danke“. „D-danke wofür?“ „Dafür, dass du geboren wurdest.“ Es war ein so einfacher Satz, aber er hatte etwas sehr Emotionales in sich. Jeremiel wusste, dass Nastasja nicht fähig war, lebende Kinder zu gebären. Alle davor waren Fehlgeburten gewesen und erst durch Frederica konnte sie überhaupt einen lebenden Sohn zur Welt bringen, nämlich L. Und nun hatte sie noch einen zweiten Sohn. Ein größeres Geschenk konnte es kaum für sie geben und in dem Moment war er auch kein Fremder mehr. Sie hatte ihn sofort als ihren Sohn akzeptiert und das ging selbst den anderen sehr nahe. Jeremiel erwiderte die Umarmung seiner Mutter und konnte selbst die Tränen nicht zurückhalten, als er realisierte, dass er jetzt wirklich eine Mutter hatte. Er hatte sich so sehr gewünscht, seine Eltern wenigstens ein einziges Mal kennen lernen zu dürfen und nun stand seine Mutter direkt vor ihm und umarmte ihn. Das war einfach zu viel für ihn und er ließ seinen Tränen freien Lauf. Er verstand zuerst nicht, wieso er weinte, weil er doch gar nicht traurig war, aber dann erinnerte er sich an etwas: Menschen konnten auch weinen, wenn sie glücklich waren. Ja… er weinte, weil er glücklich war, seine Mutter kennen lernen zu können und weil sie ihm die gleiche Liebe schenkte wie L.
 

Nachdem sich die Aufregung langsam gelegt hatte, wollte Nastasja natürlich erst einmal wissen, wer denn die anderen waren. Liam erkannte sie sofort und grüßte ihn mit einem Faustgruß wie zwei Bro’s sich eben grüßten. „Mensch Liam, du bist aber auch wirklich keinen einzigen Tag älter geworden.“

„Das Kompliment kann ich nur erwidern.“ Sogleich begann L die anderen vorzustellen und fing bei Andrew an. „Das ist Andrew Asylum, er hat deine Konstruktionspläne zum elektrischen Gedankenschaltkreis entschlüsseln und vervollständigen können und trägt selbst einen. Der da neben ihm ist Oliver O’Brien, Mitinhaber von Vention und sein Verlobter. Ich greife hin und wieder mal auf seine Unterstützung zurück, wenn ich mit Ermittlungen zugange bin.“

„Du bist Ermittler?“

„Eine Art Detektiv. Der Knallkopf da neben mir, der eher wie ein Zwilling aussieht, ist Beyond Birthday. Er lebt bei mir und ist… nun ja… er ist mein Partner.“ Nastasja sah abwechselnd zu den beiden und dachte wohl nach. Sie aß noch etwas von ihrer Lakritze und ihr Blick hatte etwas ähnlich Forschendes und Bohrendes wie L. „Ihr seid keine kollegialen Partner, oder?“ Natürlich war das für L nicht gerade einfach, auch wenn er vor den anderen problemlos über seine Beziehung reden konnte. Aber hier ging es darum, seiner Mutter beizubringen (die gerade erfahren hatte, dass sie noch einen Sohn hatte und inzwischen zwanzig Jahre vergangen waren), dass er mit einem Mann zusammen war. Und Jeremiel übrigens auch. Natürlich war das nicht gerade einfach. L atmete tief durch und nickte. „Ja, wir sind seit ein paar Monaten zusammen. Und Jeremiel hat eine Beziehung mit Liam.“ „Das heißt, ihr seid schwul.“ Nastasja stellte diese Tatsache ein wenig überrascht fest und sah erst aus, als würde gleich irgendetwas kommen, aber sie atmete kräftig aus, fuhr sich durchs Haar und sammelte sich. „Nun, das kommt alles sehr überraschend für mich und ist auch ehrlich gesagt ziemlich viel auf einmal. Tut mir Leid, dass ich gerade keine Freudensprünge mache, versteht das bitte nicht falsch. Auch wenn ich schon ziemlich viel erlebt habe, muss ich mich kurz sammeln.“ Beyond und L tauschten kurze Blicke aus und schienen sich nicht ganz sicher zu sein, was sie jetzt tun oder sagen sollten. Sie ergriffen jeweils die Hand des anderen, als suchten sie jetzt Halt für diesen entscheidenden Augenblick. Natürlich konnte niemand erwarten, dass Nastasja so locker und begeistert reagierte wie Rumiko. Immerhin waren Jeremiel und L ihre Söhne und das war etwas völlig anderes. Aber dann, als sich Nastasja wieder gesammelt und diese Neuigkeit zumindest halbwegs verarbeitet hatte, da faltete sie die Hände und sah ihre Söhne forschend an, wobei sie sehr ernst wurde. „Eine Frage müsst ihr mir offen und ehrlich beantworten und die ist sehr wichtig für mich.“ Sie rechneten schon mit dem Schlimmsten, was ihre Mutter denn fragen würde, doch dann kam es ganz anders als befürchtet. „Seid ihr jeweils glücklich mit eurem Partner?“ „Ja“, antworteten die Lawliet-Zwillinge einstimmig und wieder schwieg die gebürtige Russin und nickte dann. Ihr ernstes Gesicht wich einem herzlichen Lächeln und gab den anderen Entwarnung. „Wisst ihr, auch wenn ich Wissenschaftlerin und Atheistin bin, so bin ich dennoch sehr gläubig. Und ich glaube fest daran, dass es egal ist, wen man liebt, solange es sich um eine einvernehmliche Sache handelt. Wenn der Herr gewollt hätte, dass es Homosexuelle, Bisexuelle, Transsexuelle und weiß der Himmel noch was nicht gäbe, dann hätte er sie auch nicht erschaffen. Und wenn ihr glücklich mit dem Menschen an eurer Seite seid und er sich auch gut um euch kümmert, dann bin ich garantiert die Letzte, die eurem Glück im Weg stehen wird.“

„Dann heißt das, du hast kein Problem damit?“

„Nun, ehrlich gesagt finde ich es schon schade, dass ich wohl keine Enkelkinder bekommen werde. Aber der Herr hat mir zwei gesunde Kinder geschenkt, obwohl ich keine hätte gebären können. Ich bin dankbar genug, dass ich euch habe und darum gönne ich euch auch euer Glück von Herzen. Aber eines sag ich euch!“ Und damit deutete sie auf Liam und Beyond, wobei ihr Blick ziemlich respekteinflößend wurde. „Wenn ihr meinen Jungs das Herz brecht, dann zieh ich euch das Fell schön verkehrt herum an. Und glaubt mir: ich bin nachtragend wie ein Elefant, was das betrifft. Niemand verarscht Nastasja Kasakowa oder ihre Familie.“ Und die Warnung war mehr als deutlich gewesen. Sie alle waren tief bewegt und beeindruckt von Nastasjas Festigkeit und der Tatsache, dass sie ohne zu zögern Jeremiel als ihren Sohn angenommen und auch noch die Liebe ihrer Söhne akzeptiert hatte und ihnen auch zugleich ihren Segen gab. Schließlich aber brauchte sie doch noch eine Weile, da das Ganze doch ziemlich viel war und sie auch selbst mit den Emotionen zu kämpfen hatten. Nastasja ließ sich erzählen, was L seit damals gemacht hatte und wie Jeremiel den Weg zu ihm gefunden hatte. Auch ließ er die unangenehmen Tatsachen nicht aus und die Russin hörte ihnen aufmerksam zu. Sie nickte und holte schließlich Getränke, wobei sie wieder Lakritze aß, für die sie schon damals eine große Schwäche gehabt hatte. „Offenbar ist viel passiert, seit ich fort war. Wie oft hat Frederica gebraucht, um die Zeitschleife zu beenden?“

„Insgesamt 58 Male. Sie… sie ist gestorben.“

„Ich weiß“, sagte Nastasja und holte ihren Rosenkranz hervor, wobei sie wieder die Hände faltete, als würde sie beten. „Wir alle wussten, wie es ausgehen wird. Aber wir waren bereit, dieses Opfer bringen, um dein Leben und auch dein späteres Glück gewährleisten zu können. Ich habe den Tesserakt gebaut weil ich wusste, dass Frederica nicht mehr da sein würde, um euch zu helfen. Und da ich Angst hatte, die Proxys würden Jagd auf dich machen, wollte ich diesen Versuch wagen. Leider war es mir nicht möglich, auch Henry mitzunehmen. Der Tesserakt ist nur auf mich eingestellt und ich musste ihn schweren Herzens zurücklassen. Und außerdem war ich mir nicht mehr sicher, wem ich noch vertrauen konnte. Wisst ihr, als ich mich mit den Proxys näher beschäftigt hatte, da konnte ich etwas sehr Interessantes in Erfahrung bringen. Und wenn die Geschichte mit Jeremiel auch so stimmt, dann ergibt sich für mich langsam aber sicher so ein ungefähres Bild. Und wie schon gesagt: ich hatte damals die Vermutung, dass der Drahtzieher hinter Projekt AIN SOPH höchstwahrscheinlich jemand aus unseren Reihen war, der am Eva-Projekt gearbeitet hat. Jeder hätte es sein können, selbst Watari oder Henry. Darum habe ich niemandem von dem Tesserakt erzählt und die Pläne vernichtet. Dass Joseph da drin steckte, war mir recht schnell klar, aber wenn das Projekt selbst nach zwanzig Jahren noch nicht aufgegeben wurde und Joseph nun tot ist, dann muss derjenige, der schon damals an den Eva-Experimenten beteiligt gewesen war, noch leben. Aber so allmählich glaube ich, da langsam durchzublicken, was da vor sich geht und was sie planen.“ Nastasja dachte nach und begann dabei ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger zu klemmen. Irgendwann aber wanderte der Zeigefinger weiter hoch zu ihrem Mund und sie begann grübelnd auf der Fingerkuppe zu kauen. Man konnte an ihren Bewegungen, ihrer Mimik und ihrer Art deutlich erkennen, von wem Jeremiel und L ihr Verhalten geerbt hatten. Schließlich aber fragte Jeremiel „Was weißt du über das Projekt und kannst du uns auch etwas über das Unborn-Phänomen sagen?“

„Klar kann ich das. Immerhin habe ich damals zusammen mit meiner besten Freundin Alice einen solchen Fall studiert und sogar schon einen Unborn gesehen.“

Das Unborn-Phänomen

Nastasja nahm einen Schluck Kaffee und wartete kurz mit der Erklärung, um zu überlegen, wo sie denn anfangen sollte zu erzählen. Dann aber schien sie einen passenden Anfang gefunden zu haben. „Als ich nach London kam, habe ich bei den Wammys gewohnt, da ich mit Wataris Tochter sehr eng befreundet war. Sie war ein paar Jahre älter als ich, aber mindestens genauso intelligent wie ihr Vater und sie war eine hervorragende Ärztin. Eines Tages hatte sie einen Fall, wo ein Schüler extreme Verhaltensstörungen aufwies und seinen Vater, seinen Bruder und drei Mitschüler ermordet hatte. Alle Symptome deuteten auf eine Persönlichkeitsstörung hin, weil er sich auch anders genannt hat und ein völlig anderes Verhalten an den Tag legte, als seine Mitschüler von ihm kannten. Daraufhin begannen wir mit der Aufnahme der Familienanamnese und es stellte sich heraus, dass der Junge von seinem Vater regelmäßig sexuell missbraucht und verprügelt worden war. Also stand der Fall fest, bis wir dann bemerkten, dass der Junge Symptome aufwies. Er hatte motorische Ausfälle, Lähmungserscheinungen, massive Gedächtnislücken, starke Kopfschmerzen und halluzinierte zwischendurch sogar. Daraufhin untersuchten wir ihn und stellten fest, dass er einen sehr aggressiven Hirntumor hatte. Also entfernten wir diesen und somit sollte sich der Zustand des Jungen eigentlich bessern. Denn Hirntumore können durchaus Symptome psychischer Krankheiten hervorrufen.“ Wieder machte die Russin eine kurze Pause und gab sich noch etwas Zucker in den Kaffee, bevor sie weitererzählte. „Aber der Zustand besserte sich nicht, im Gegenteil. Es wurde zusehends schlimmer und er begann immer seltsamer zu reden. Als ich ihn mit seinem Namen Kian McKee ansprach, sagte er einfach „Kian ist nicht hier“. Und er wiederholte immer wieder, dass er „es beenden“ müsse. Es war, als wäre er nicht er selbst und als würde er durch etwas gesteuert werden. Für die Staatsanwaltschaft stand schnell fest, dass der Junge ein Psychopath war, aber wir wollten ihn noch mal untersuchen. Und tatsächlich konnten wir etwas entdecken, das uns stutzig machte. Wir hatten uns so auf die Entfernung des Tumors konzentriert, dass wir nicht bemerkt hatten, dass sich Fremdzellen im Gehirn des Jungen befanden. Es handelte sich um die Zellen seines eineiigen Zwillings. Anstatt, dass sich dieser normal weiterentwickelt hat, verschmolzen seine Zellen mit dem seines Zwillings und setzten sich im Gehirn fest. Diese Zellen hatten weder ein Gehirn, noch irgendetwas anderes, was Intelligenz aufweisen könnte. Aber dennoch übten sie einen Einfluss auf den gesunden Zwilling aus und durch starke Emotionen und Einflüsse entwickelte sich eine Art Persönlichkeitsspaltung. Man könnte von einem ähnlichen Phänomen wie der Zellteilung sprechen: das Innere der Zellen verdoppelt sich und entwickelt sich auseinander, bis zwei einzelne Zellen entstehen. So funktionierte es auch mit Kian und diesem zweiten Ich, das er „Agony“ nannte. Mit der Zeit hat der unterentwickelte Zwilling immer mehr von Kians starken Gefühlen und Gedanken aufgenommen und eine Art eigenes Bewusstsein entwickelt. Zuerst hatte Kian in seiner Jugend Agony als einen imaginären Freund wahrgenommen, aber im Laufe der Jahre begann der andere Zwilling immer aggressiver und bösartiger zu werden. Er begann regelrecht Kians Ich zu zerstören und durch sein eigenes zu ersetzen, bis von Kian selbst kaum noch etwas übrig war. Der Zwilling war regelsecht zu einem Parasiten geworden. Er wurde quasi aus dem Wunsch heraus geboren, dass es „beendet“ werden sollte. Kian meinte damit die Übergriffe seines Vaters, aber der Zwilling konnte diesen Wunsch nicht genau zuordnen und begann dann alles beenden zu wollen. Sein Leid, seinen Hass, das Leben anderer… Es gelang uns, die Zellen des parasitären Zwillings zu entfernen und Kians Zustand zu bessern. Es dauerte einige Zeit, aber er war wieder ganz der Alte, allerdings konnte er sich nicht mehr an die Zeit erinnern, als sein Zwilling die Kontrolle über ihn hatte.“ L, Jeremiel und die anderen dachten darüber nach, als sie das hörten. Das war also das Unborn-Phänomen. Ein unterentwickelter Zwilling nistet sich noch in der Gebärmutter im Gehirn seines Zwillings ein und entwickelt irgendwann eine eigene Persönlichkeit, woraufhin er dann versucht, die Kontrolle zu übernehmen. Liam schüttelte den Kopf, als er das hörte. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so etwas auch bei Menschen gibt. Dass sich Unvergängliche in Körper einnisten, ist ja bereits bekannt, aber dass es dieses Phänomen tatsächlich unter Menschen gibt…“

„Und wenn man diesen Fall mit dem parasitären Bewusstsein vergleicht, das Andrews Seele fast zerstört hätte, dann muss es sich ebenfalls um einen solchen Unborn handeln“, schlussfolgerte L und wandte sich seiner Mutter zu. „Oder liege ich da falsch?“

„Nein, du hast es ganz richtig erfasst“, antwortete die Russin und nahm sich eine Lakritzschnecke, die sie erst auseinanderrollte, bevor sie sie aß. „Die Proxys sind allesamt mit einem Unborn infiziert worden. Einer davon schon, als er noch ein Embryo in der ersten Woche war. Insgesamt gibt es sieben Proxys, von denen aber nur noch drei existieren. Sie tragen allesamt Nummern, aber ich gab ihnen damals Namen, als ich eine Bindung zu ihnen aufbaute, um mehr über das Projekt zu erfahren. Die verbliebenen Proxys sind Elion, Sheol und Sariel. Sheol wurde mit dem Unborn infiziert, als er im sechsten Monat war. Allerdings entwickelte er eine schwere Schizophrenie, wurde instabil und aggressiv. Er weist dieselben Symptome wie Kian auf, allerdings ist es zu keiner Spaltung der Persönlichkeiten gekommen. Stattdessen ist Sheols Bewusstsein mit dem seines Unborns verschmolzen, wodurch ein Ungleichgewicht zwischen den beiden herrscht. Sariel schlug auf die Behandlung überhaupt nicht an, weil sie viel zu spät mit dem Unborn infiziert wurde. Es handelt sich allerdings nicht um einen gewöhnlichen Unborn wie in Kian McKees Fall. Er ist ein mutierter Unborn, der das Potential eines Unvergänglichen hat. Wie ihr schon richtig erfasst habt, sind die Unvergänglichen parasitäre Bewusstseinsformen, die sich in fremde Körper einnisten und sie übernehmen. Sie können ihren Wirtskörper nach eigenen Vorstellungen verändern und ihn ihren Bedürfnissen anpassen. Sie müssen es sogar, wenn sie nicht altern und ihre Kräfte gebrauchen wollen. Außerdem sind menschliche Körper nicht dazu geschaffen, um eine so mächtige Seele zu tragen, ohne dabei schwere Schäden zu erleiden. Bei dem Unborn handelt es sich um ein neuartiges Bewusstsein, das sofort damit beginnt, die Seele seines Trägers zu zerstören. Er absorbiert sie sozusagen und normale Menschen wären nicht in der Lage, diesen Parasiten zu überleben oder zumindest einen vernünftigen Wirtskörper bieten zu können, weil der Unborn zu aggressiv ist. Er würde auch Schäden im Körper anrichten, sodass er sich gar nicht erst einen Körper aneignen kann. Ganz anders sieht es aber aus, wenn jemand infiziert wird, der über Genfragmente eines Unvergänglichen verfügt. Diese Träger sind in der Lage, diesen Unborn auszuhalten. Und vermutlich hatten sie vor, Jeremiel ebenfalls zu einem Proxy zu machen. Das würde zumindest erklären, wieso sie ihn so früh als Embryo rausgenommen und mit Evas Genen gekreuzt haben. Als er infiziert wurde, hat der Unborn seine Persönlichkeit weitestgehend zerstört und dabei diverse Hirnschäden angerichtet. Allerdings hat der Unborn offenbar nicht lange überlebt und ist eingegangen, sodass Jeremiel oder besser gesagt Sam Leens überleben konnte. Und als er dann von Josephs Sohn erschossen wurde, hat Eva den Schaden behoben, den der Unborn angerichtet hat und belebte ihn anschließend wieder.“ Jeremiel wurde mit einem Male kalkweiß im Gesicht als er das hörte und auch Liam und L waren erschüttert, das zu hören. „Ich bin… ein Proxy?“

„Nicht direkt“, erklärte Nastasja und versuchte ihn zu beruhigen. „Der Unborn ist verendet und wird auch nicht mehr aktiv werden. Deshalb wollte dich Joseph wahrscheinlich töten, weil du weder über die Kräfte eines Unvergänglichen verfügst, geschweige denn, dass der Unborn in dir heranwächst. Deshalb war es gut, dass Liam dich rechtzeitig in Sicherheit gebracht hat. Und außerdem sind die Leute, die euch angegriffen haben, selbst keine vollwertigen Proxys.“

„Was genau sind die Proxys dann?“

„Nun, Proxy bedeutet übersetzt „Stellvertreter“, klar soweit? Um ein vollwertiger Proxy zu werden, muss der Unborn seinen Wirt restlos zerstören und sich dann selbst dieses Körpers bemächtigen. Sheol und Sariel sind außen vor, weil der Unborn es nicht schafft, ihre Persönlichkeit gänzlich zu zerstören. Lediglich Elion wäre in der Lage, zu einem vollwertigen Proxy zu werden und ich fürchte, dass uns nicht viel Zeit bleibt, um das zu verhindern.“ Also dann waren Proxys also Träger des Unborns. Und sie wurden erst zu vollwertigen Proxys, wenn ihre eigene Persönlichkeit zerstört wurde und der Unborn die Kontrolle über seinen Wirt hatte. „Aber wozu das alles?“ fragte Andrew, der da noch nicht so den gesamten Sinn des Projekts verstand. „Wieso infiziert man Hybride mit diesem Unborn und was haben diese Proxys überhaupt vor? Was ist Projekt AIN SOPH?“

„Nun, da musste ich auch ziemlich viel verdeckt ermitteln, um das in Erfahrung zu bringen“, gab Nastasja zu und begann bedächtig auf ihrer Daumenkuppe herumzukauen. „Ich bin mir mit meiner Theorie noch nicht ganz sicher. Gerade mal zu 69,33333%, weil mir noch einige Indizien bzw. Beweise fehlen. Aber soweit ich das richtig aufgefasst habe, besteht Projekt AIN SOPH darin, eine Art Superwesen zu erschaffen. Eines, das selbst stärker ist als Liam und Eva.“ Als der Mafiaboss das hörte, musste er spöttisch lachen. Er war von den Menschen viele Verrücktheiten gewohnt, aber das schlug dem Fass ja nun wirklich den Boden aus. „Im Ernst? Das würde bedeuten, dass diese Leute versuchen, eine Art menschlichen Gott zu erschaffen.“ Er lachte zunächst darüber und auch Andrew und Oliver stimmten zuerst mit ein, doch Nastasjas Blick wurde sehr ernst und das ließ nichts Gutes erahnen. „Ihr lacht, aber es wäre die ultimative Waffe. Versteht ihr? Dieser Unborn ist ein Parasit, der sich die Seele seines Wirtes einverleibt und dadurch stärker wird. Man könnte ihn auch einen Seelenfresser nennen. Und wenn meine Vermutung zutrifft, dann haben die Proxys den Befehl, die Unvergänglichen aufzuspüren und mit dem Parasiten zu infizieren, bzw. ihre Körper zu zerstören und sich dann ihre Seelen einzuverleiben, damit der Unborn stärker werden kann. Demnach wird er auch versuchen, die Fragmente der Unvergänglichen zu töten. Das gilt also für Liams Familie, als auch für Evas. Mir wurde klar, dass L in Lebensgefahr geraten würde, wenn herauskäme, dass er Evas menschliche Wiedergeburt ist. Ich hatte Angst um sein Leben, deshalb musste ich ihn bei Watari verstecken und zusammen mit Frederica dafür sorgen, dass sie nicht auf den Gedanken kommen würden, nach ihm zu suchen. Wenn sie mich töten, dann hätten sie ihr größtes Problem aus der Welt geschafft. Ich wollte die Verantwortlichen des Projekts glauben lassen, dass ihnen keine Gefahr mehr droht, weil sie mich aus dem Weg geräumt haben und um zu verhindern, dass irgendetwas von meinem Plan mit der Zeitreise durchsickert, habe ich die Pläne des Tesserakts zerstört und nicht einmal Henry und Watari etwas davon gesagt. Ich habe Sariel und Elion den Auftrag gegeben, möglichst lange durchzuhalten und nicht zuzulassen, dass Evas Familie etwas zustößt. Zudem hat Sariel einen weiteren Plan gefasst, weshalb sie und Elion dich gebraucht haben, Andrew.“

„Mich?“ fragte der Rothaarige überrascht und sofort wanderten sämtliche Augenpaare zu ihm. Dann aber erinnerte er sich wieder daran, was Elion ihm gesagt hatte. „Ja stimmt. Elion sagte mir, ich solle ihm Sophies Wunsch geben.“

„Weißt du, was Sophies Wunsch ist?“ Ein unsicheres Achselzucken war die Antwort, woraufhin Liam erklärte „Frederica wurde aus Sophies Wunsch geboren, als Eva ihn in ihren alten Körper aufnahm und ihm ein eigenes Leben gab.“ Nastasja bestätigte dies und ergänzte „Sariel sieht deshalb genauso aus wie Frederica, weil sie ein Klon ist. Man dachte, dass sie Eva sei und wollte ihr daraufhin den Unborn einsetzen, damit es neben Elion eine weitere erfolgreiche Verschmelzung gab. Sariels Plan ist es, ihre eigene Seele mitsamt den Unborn zu zerstören und ihren Körper Frederica zu überlassen. Elion hat daraufhin Fredericas Seele, die Andrew in sich getragen hat, in sich aufgenommen, um sie hinterher auf Sariel zu übertragen. Dabei konstruierte er eine neue Seele oder besser gesagt einen nichtanatomischen Schaltkreis, um Andrew dennoch am Leben zu erhalten. Jedenfalls wäre es mit Sariels Plan möglich, Frederica wiederzubeleben.“ Das wurde ja immer besser. Nicht nur, dass Nastasja quicklebendig vor ihnen saß und ihnen so viele Geheimnisse offenbarte, die sie vor zwanzig Jahren in Erfahrung gebracht hatte, jetzt hieß es auch, dass es einen Weg geben sollte, um Frederica zurückzuholen. Irgendwie wurde die ganze Sache immer verworrener und spätestens jetzt wäre ein normaler Mensch kaum noch mitgekommen. L konnte es nicht fassen und musste noch mal nachfragen. „Es gibt wirklich eine Möglichkeit, dass wir Frederica zurückholen können?“

„Ja, allerdings läuft uns etwas die Zeit davon.“ Wieder wurde Nastasja ernst und nahm schließlich ihre Brille ab, um die Gläser zu putzen. „Elion hält leider nicht mehr lange durch. Sein Zustand war schon Besorgnis erregend gewesen, als ich ihn damals untersucht habe. Aber inzwischen müsste er schon kritisch sein. Wenn es uns nicht gelingt, ihm das Serum zu injizieren, bevor der Unborn seinen Gedankenschaltkreis zerstört hat, dann wird auch Fredericas Seele nicht mehr existieren. Darum musste ich die Einbrüche begehen, weil alles andere zu lange gedauert hätte. Außerdem habe ich Elion sehr ins Herz geschlossen und er tut mir einfach Leid, genauso wie die anderen. Er war für mich… nun ja… wie ein eigenes Kind. Er hat nie einem Lebewesen etwas tun wollen und er hat ein wirklich gutes Herz. Dass er dich infiziert hat, Andrew, war für mich selbst ein Schock. Ich kenne Elion als einen sehr sanftmütigen Menschen, der lieber selbst den Kopf hingehalten hätte, als anderen ernsthaft zu schaden. Darum denke ich, dass es eher ein Versehen gewesen sein muss als er dir eine neue Seele im Austausch für Fredericas gab und er einfach nicht mehr die Kraft hat, den Unborn zu unterdrücken.“

„Er hat mich auch um Hilfe angefleht, als die mentale Verbindung zustande gekommen ist.“ Nastasja nickte bedächtig und schien sich schon ein Bild von der Gesamtsituation machen zu können. „Verstehe. Dann besitzt er noch genügend Menschlichkeit in sich, um zumindest über diesen Weg um Hilfe zu rufen und euch nichts zu tun. Aber darauf können wir uns auch nicht verlassen. Eine Strategie muss her…“

Auch L und die anderen dachten nach und sofort wollte der Detektiv einen Vorschlag machen, doch als er sagte „Wir könnten…“, da unterbrach ihn die blondhaarige Russin auch schon sofort. „Nein, ihr haltet euch da raus. Ich mache das alleine.“

„Wie bitte?“ Das gefiel L ganz und gar nicht und es sah ganz stark nach einer Diskussion zwischen Mutter und Sohn aus. Und beide waren bereit, ihren Standpunkt bis aufs Äußerste zu verteidigen. „Das schaffst du nicht alleine und überhaupt: wir hängen alle ausnahmslos in der Sache mit drin.“

„Ich weiß, aber ich will nicht riskieren, dass die Proxys euch noch etwas antun. Sheol ist extrem gefährlich und er wird euch sofort töten, wenn er eine Chance sieht. Und Elion ist wahrscheinlich nicht mehr in der Lage, den Willen des Unborns zu unterdrücken, weshalb auch von ihm eine Gefahr ausgeht. Ich lasse nicht zu, dass sie euch etwas antun und im Gegensatz zu euch kann ich mich sehr wohl zur Wehr setzen.“

„Jetzt sei mal vernünftig, Mum. Du bist ganz alleine.“

„Das kann sein, aber ich kann für drei kämpfen. Ich trainiere schon MMA, Krav Maga und Kickboxen seit ich neun Jahre bin. Ich kenne die Stärken und Schwächen jedes einzelnen Proxys und ich bin die Einzige, die das Serum auch herstellen kann.“

„Mag ja sein, dass du Kampfsport beherrschst. Aber gemeinsam könnten wir…“

„Ich diskutiere hier nicht mit dir, junger Mann. Mein Haus, meine Regeln. Zwar mag ich momentan nur fünf Jahre älter sein als du, aber ich bin trotzdem noch deine Mutter und deshalb habe ich hier das Sagen.“ Nun war das italienische Temperament von Nastasja zum Vorschein gekommen. Sie war aufgestanden, hatte belehrend und mahnend den Zeigefinger gehoben und eine Faust in die Seite gestemmt, als wolle sie L zurechtweisen. Obwohl sie vorher noch so sanft, liebevoll und herzlich gewirkt hatte, war sie nun dominant, streng, energisch und ziemlich temperamentvoll. Da Jeremiel bemerkte, dass die beiden absolut stur in ihren Ansichten waren, versuchte er irgendwie zu vermitteln. „Diese Diskussion wird doch auch nicht weiterhelfen. Wie wäre es, wenn wir einen Kompromiss finden?“

„Nein, es gibt keinen Kompromiss. Ihr haltet euch da raus, das ist eindeutig zu gefährlich.“

„Ich bin kein kleiner Junge mehr“, protestierte L, der nun langsam richtig sauer wurde, weil es ihm überhaupt nicht passte, wie seine Mutter ihn hier gerade behandelte. „Und du kannst nicht von mir erwarten, dass ich tatenlos da sitzen werde, während du dich in Gefahr begibst und ich dich eventuell noch mal verliere.“

„Ich weiß was ich tue und ich lasse auch nicht mit mir reden. Schluss, aus, basta. Ihr wisst so gut wie nichts über die Proxys und ihr könnt euch auch nicht großartig zur Wehr setzen, wenn sie euch angreifen. Da seid ihr mir einfach nur ein Klotz am Bein.“

„Oh Dankeschön, dass ich dir ein Klotz am Bein bin, Mum.“

„Hey, jetzt komm mir nicht mit dieser Tour, Freundchen! Du weißt genau, dass ich das so nicht meine! Also hör damit auf, mir meine Worte im Mund verdrehen zu wollen und mich hier als die Böse darzustellen.“ Und dann begann sie noch etwas auf Russisch zu schimpfen, was aber niemand außer Liam und Jeremiel verstand. Und das, was sie sagte, musste wohl wirklich ziemlich heftig sein, da selbst dem Mafiaboss der Mund offen stehen blieb. Dann aber beschloss er, zumindest einen Versuch zu wagen und ging bei den beiden Streithähnen dazwischen. „Jetzt beruhigt euch doch mal. Jeremiel hat ganz Recht: Diskussionen bringen auch nichts. Nastasja, jetzt sei doch nicht so verdammt stur. Ich bin doch auch da und ich habe Jeremiel versprochen, die anderen zu beschützen. Meine Familie wird nicht zulassen, dass die Proxys ihnen etwas antun. Und versuch doch auch mal L zu verstehen. Er hat ganz Recht: er ist erwachsen und er hat in seinem Leben verdammt viele Kriminalfälle gelöst. Er hat einen Massenmörder aufhalten können, der mit einer Waffe getötet hat, für die er lediglich Namen und Gesicht brauchte. Diese Truppe hier ist zwar ein wenig durchgeknallt und chaotisch, aber sie passen aufeinander auf und haben schon viel erlebt. Glaub mir, normalerweise würde ich nicht Partei für andere ergreifen. Zumindest nicht für die meisten Menschen. Aber ich kann dir eines sagen: die Jungs sind hart im Nehmen und deine beiden Söhne sind fast genauso dickköpfig und willensstark wie du. Jetzt sei doch nicht so, sondern gib ihnen wenigstens eine Chance. Das ist ja auch eine Chance für deine Söhne, ihr Können zu beweisen und ihr kommt euch auch wieder näher. Was meinst du?“ Nastasja verschränkte die Arme und funkelte Liam mit einem warnenden und sehr Respekt einflößenden Blick an. Dann aber seufzte sie geschlagen und nickte. „Also gut. Zwar bin ich immer noch nicht so wirklich begeistert von der ganzen Sache, aber… du hast Recht. Meine Kinder sind schon längst erwachsen und da hab ich wohl nicht mehr viel zu melden. Das alles ist noch ein wenig viel für mich. Ich meine, ich habe Henry verloren, mein Sohn ist jetzt erwachsen und ich hab jetzt noch einen zweiten Sohn, der mir damals einfach weggenommen wurde. Hört mal, seid mir bitte nicht böse, aber ich muss das alles erst mal verarbeiten. Wie wäre es, wenn wir uns morgen besprechen, wie es weitergehen soll? Ihr könnt morgen um eins bei mir vorbei kommen und dann überlegen wir uns gemeinsam einen Plan. Ist das ein Angebot?“ Da sie gut verstehen konnten, dass diese ganze Situation nicht gerade einfach für Nastasja war, wollten sie sie nicht noch weiter überfordern. Das Ganze war sowieso schon schwer genug für sie. Also verabschiedeten sie sich und kehrten zurück nach Hause. Doch sie ahnten nicht, dass die Russin in Wirklichkeit ganz andere Pläne verfolgte. Denn knapp eine Stunde, nachdem die Truppe die Wohnung verlassen hatte, begann sie schnell ein paar Sachen zu packen, die sie noch brauchen würde. Nie und nimmer, schwor sie sich und packte den Koffer mit dem Serum. Nie und nimmer werde ich zulassen, dass meine Söhne oder die anderen sich in Gefahr begeben und ihnen passiert noch am Ende etwas. Ich habe mir geschworen, dieses verdammte Projekt alleine zu stoppen und niemanden mit in die Sache hineinzuziehen. Es ist schon schlimm genug, dass Henry sterben musste, obwohl er nichts damit zu tun hatte. Deshalb werde ich auch alles daran setzen, es alleine zu schaffen und die Verantwortlichen für das Projekt zu finden, bevor der absolute Worst Case eintreten kann und der Unborn noch schlimmstenfalls jegliches Leben auf der Welt auslöschen wird, wenn er mächtig genug wird und Elion vollständig zerstört hat.

Ein Plan wird geschmiedet

Da Jeremiel die Nacht lieber bei Liam verbringen wollte, kehrten L und Beyond alleine nach Hause zurück und erzählten Watari die ganze Geschichte. Zu hören, dass Nastasja wieder da war, war für den alten Mann kaum zu glauben und er sah erst danach aus, als würde er diese Nachricht nicht verkraften. Er musste sich setzen und konnte es nicht glauben. L versicherte ihm, dass es tatsächlich so war und offenbarte ihm auch die Umstände zu Nastasjas Ermordung und was wirklich dahintergesteckt hatte. Da Watari das erst mal verarbeiten musste, ließen L und Beyond ihn alleine und zogen sich nun ihrerseits ins Schlafzimmer zurück. So saßen sie auf dem Bett und der Serienmörder hatte den etwas schweigsamen Detektiv in den Arm genommen und spürte, dass dem Ärmsten wohl ziemlich viel auf der Seele lastete. Nun, im Grunde ja auch kein Wunder, immerhin hatte er seine Mutter wiedergetroffen, nachdem er sie vor zwanzig Jahren unter tragischen Umständen verloren hatte. Und Beyond machte sich auch ein wenig Sorgen, dass sich L’s Zustand wieder verschlechtern könnte. „War echt ziemlich viel heute, oder?“ L schloss die Augen und spürte Beyonds Körperwärme und seinen Herzschlag, der schon fast beruhigend wirkte. Sanft strich ihm der Serienmörder durchs Haar. „Irgendwie komme ich mir wie in einem seltsamen Traum vor“, antwortete der Detektiv schließlich und spürte, dass er leichte Kopfschmerzen hatte. „All das ist so seltsam verworren und unwirklich, dass ich mich zu fragen beginne: bin ich wirklich wach, oder schlafe ich vielleicht? All die Jahre war ich alleine und jetzt sind so viele Menschen in mein Leben getreten. Du, Rumiko und Jamie, Oliver und Andrew. Ich habe jetzt einen älteren Zwillingsbruder und nun begegne ich meiner Mutter wieder, die aus einer anderen Zeitschleife in die Zukunft gereist ist, um die Proxys aufzuhalten. Eigentlich kann das doch gar nicht passieren.“

„Ach weißt du L, mich überrascht rein gar nichts mehr. Immerhin bin ich ja mit dem Shinigami-Augenlicht zur Welt gekommen. Und spätestens seit Kira müsste auch dir klar geworden sein, dass es nun mal Dinge gibt, die nicht mit dem normalen menschlichen Verstand zu erklären sind. Natürlich verstehe ich, dass das alles noch echt viel für dich ist. Würde mir an deiner Stelle auch nicht anders ergehen. Aber keine Sorge, es ist kein Traum. Sonst müssten wir ja alle denselben Traum haben. Dann wären wir entweder in der Matrix, oder aber bei Inception.“ L sagte nichts dazu und ergriff schließlich Beyonds Arm und hielt sich an diesem fest. „Mach dir keine Sorgen, L. Ich bin ja da um dich aufzufangen. Und ich habe auch schon nachgedacht. Zwar bin ich nach wie vor ein Menschenfeind, aber ich will dich auch mehr unterstützen, wenn es dir hilft. Immerhin wird Jeremiel ja auch nicht ewig hier bleiben und da es dir offensichtlich nicht allzu gut geht, will ich dir da eben mehr unter die Arme greifen und dich auch ein Stück weit entlasten.“ Doch er merkte, dass L noch ein klein wenig skeptisch war, was das betraf. So etwas entsprach überhaupt nicht Beyonds Art und für gewöhnlich überließ er diesen „Gerechtigkeitskram“, wie er es immer nannte, lieber L. „Aber weißt du, du hast echt verdammtes Glück. Du hast Eltern, die ihr Leben riskieren, um dich zu beschützen. Deine Mutter hat unsere Liebe akzeptiert und auch mit Jeremiel hat es keine Probleme gegeben.“

„Ich weiß und ich bin ja auch sehr glücklich darüber, aber das ist einfach im Moment etwas zu viel für mich. Und ich verstehe einfach nicht, wieso sie sich so querstellen muss. Ich hab gerade erst meine Mutter wieder und ich will sie nicht schon wieder verlieren.“

„Das weiß ich doch. Aber der alte Knacker hat ja auch gesagt, dass du und dein Bruder den starken Willen und den Dickschädel von ihr geerbt habt. Da darfst du dich eben nicht wundern.“

„Mag ja sein, aber muss sie mich direkt wie einen kleinen Jungen behandeln?“ Offenbar war er immer noch angefressen, was das betraf. Beyond hörte nun auf damit, L durchs Haar zu streichen und legte stattdessen seine Arme um ihn. Natürlich war es nervig, als Erwachsener wie ein Kleinkind behandelt zu werden. Wenn ihm das passieren würde, dann würde er höchstwahrscheinlich genauso an die Decke gehen. Aber er sah das auch aus einer etwas anderen Sichtweise. „Du musst doch auch mal versuchen, deine Mutter zu verstehen. Von jetzt auf gleich überspringt sie zwanzig Jahre und sieht dich wieder. Gestern warst du für sie noch ein fünfjähriger Knirps und heute ein Erwachsener. Sie braucht noch eine Weile, um sich mit der Tatsache zurechtzufinden. Und außerdem ist da auch ziemlich viel auf sie zugekommen. Da war sie in der Situation auch recht überfordert.“

„Da hast du wohl Recht…“

„Hey, jetzt nicht gleich so demotiviert klingen. Morgen sieht alles vielleicht besser aus. Immerhin haben wir sie überreden können, dass sie mit uns zusammenarbeitet. Und das ist doch die perfekte Chance, dass ihr wieder ein gutes Verhältnis zueinander aufbauen könnt. Aber ehrlich gesagt frage ich mich schon, ob das nicht vielleicht etwas schwierig sein könnte. Deine Mutter hat gesagt, dass sie fünf Jahre älter ist. Das heißt, sie müsste jetzt 30 Jahre alt sein… Das wiederum bedeutet, dass sie fast unsere Altersgruppe hat und irgendwie ist da der Gedanke doch irgendwie merkwürdig, dass sie deine Mutter ist.“ Ja, das war schon ziemlich gewöhnungsbedürftig und auch L fiel der Gedanke irgendwie schwer, dass seine Mutter jetzt nur wenige Jahre älter war als er. Sie könnte theoretisch seine große Schwester sein. Aber sie lebte, sie war da und das war die Hauptsache. „Solange sie wieder da ist, finde ich es nicht so schlimm. Allerdings ich mache mir Sorgen, dass ich sie schon wieder verlieren könnte. Ich meine, sie ist der Typ Mensch, der sich einfach ohne lange zu überlegen in Lebensgefahr begibt, um andere zu beschützen. Genauso wie du und wir wissen ja beide, wohin das geführt hat. Es reicht doch schon, wenn Hester tot ist.“

„Keine Sorge. Liam und seine beiden schrägen Vögel werden schon aufpassen, dass keiner von uns sterben wird. Und wenn wir zusammenarbeiten, können wir die Proxys schneller finden und uns eine Möglichkeit überlegen, wie wir sie finden und ihnen dieses Mittel verabreichen können.“

L hob den Blick und sah in Beyonds blutrote Augen, die auf so viele Menschen unheimlich wirkten. Aber nicht auf ihn. „Du hast dich aber auch ziemlich verändert, Beyond“, bemerkte er schließlich, lächelte und küsste ihn. Er setzte sich auf, schlang seine Arme um ihn und war froh, dass Beyond bei ihm war. „Ach echt?“ fragte der Serienmörder verwundert und runzelte die Stirn. „Wie kommst du darauf?“ „Na überleg doch mal, wie du noch vor wenigen Monaten warst. Du hast dich vehement geweigert, dich mit so etwas zu beschäftigen und hast nur geholfen, wenn ich dein Augenlicht gebraucht habe, oder wenn die Fälle bizarr und brutal genug für dich waren.“

„Hey, glaubst du dein Bruder ist der Einzige, der sich weiterentwickeln kann? Ich mag zwar manchmal ein absoluter Holzkopf sein, aber das heißt nicht, dass ich mich nicht wenigstens ein kleines bisschen für dich bessern kann.“ Damit kniff er L scherzhaft in die Wange und lachte. „Oder willst du unbedingt mein altes Ich zurück?“

„Das habe ich damit jetzt nicht unbedingt sagen wollen.“

„Das Rückgaberecht ist ohnehin schon längst abgelaufen. Weißt du, das Leben mit dir und den anderen hat mich auch irgendwie verändert. Immerhin bin ich mit dem Menschen zusammen, den ich liebe und ich habe eine liebevolle Familie. Andrew lebt und ist endlich glücklich nach all dem Kummer, den er hatte. Dein Bruder ist auch schwer in Ordnung, Rumiko unterstützt uns wo sie nur kann… das alles hatte ich nie gehabt. Meine Eltern haben sich nie so wirklich um mich gekümmert, oder überhaupt so etwas wie Liebe empfinden können. Und die Kinder haben mich wegen meiner Augen immer wie ein Monster behandelt und Angst vor mir gehabt oder mich gemobbt. Nun gut, ich hab mir das nicht gefallen lassen und…“

„Nicht gefallen lassen?“ unterbrach L ihn bei der mehr als heftigen Untertreibung. „Du hast eines der Kinder gefesselt in eine mit Würmern gefüllte Badewanne geworfen und was war mit J? Du hast ihn an den Fahnenmast gekettet, ihm eine Säge gegeben und behauptet, seine Milch wäre vergiftet und er würde nur an das Gegenmittel herankommen, wenn er sich das Bein durchsägt.“

„Wärm doch nicht diese alten Kamellen auf. Ich weiß ja selbst, dass ich zu viel Saw geguckt habe. Ich bin immer noch der Ansicht, dass es diese arroganten Schnösel nicht besser verdient haben. Aber wenn mich heute jemand so behandeln würde wie damals, würde ich nicht unbedingt mit dem Gedanken spielen, ihn von einer Horde menschenfressender Wildschweine zerfleischen zu lassen.“

„Hannibal. Du wirst auch immer unkreativer.“

„Was denn? Das kam mir gerade in den Sinn, weil ich den Film erst gestern angesehen habe!“ Sie beide mussten darüber lachen und wunderten sich, wieso sie manchmal über solch einen Blödsinn redeten. Nun ja, L’s Humor war eher trocken und meist beabsichtigte er auch gar nicht, witzig zu sein. Aber manchmal, wenn er sich gerade nicht mit Beyond zankte, dann lachten sie auch hin und wieder mal zusammen. Das machte ja auch eine Beziehung aus: wenn man einfach über irgendwelchen Unsinn reden konnte. „Manchmal frage ich mich, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn wir uns nicht begegnet wären. Ich wäre weiterhin derselbe gewesen, hätte niemals einen Menschen in mein Leben gelassen und immer nur meine Arbeit erledigt. Jeden Tag monoton immer dasselbe mit Watari an meiner Seite. Ich wäre einsam gewesen und hätte kein Leben mehr außer dem von der Figur gehabt, die ich für die Welt geworden bin. Watari wäre eines Tages nicht mehr da und ich wäre einsam geworden, unfähig auch nur einen einzigen Menschen an mich heranzulassen, weil ich vergessen habe, was es heißt, ein Mensch zu sein. Schon irgendwie ziemlich trostlos, wenn ich so darüber nachdenke, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn wir uns nicht begegnet wären. Denn eigentlich ist es ja dir zu verdanken, dass so viele Menschen inzwischen in mein Leben getreten und mir wichtig geworden sind. Dank dir haben wir Rumiko und Jamie, die uns helfend zur Seite stehen. Und wärst du nicht bei mir, dann wären Andrew und Oliver nie zusammengekommen, geschweige denn, dass dein bester Freund den Weg zu uns gefunden hätte. Mag ja sein, dass ich Evas menschliche Wiedergeburt bin und damit den Kern dieser Familie verkörpere, aber das alles wäre nicht möglich gewesen, wenn wir beide uns nicht zuerst gefunden hätten.“ Beyond dachte nach und erinnerte sich daran, wie sie alle zueinander gefunden hatten. Nun, wenn er ehrlich war, stimmte das auch ein Stück weit. Allerdings musste er auch einen kleinen Widerspruch einlegen. „Du vergisst, dass Frederica auch ihren Hauptteil dazu beigetragen hat. Und außerdem: hätte dein Bruder mich nicht angeschossen, hättest du mich doch sicherlich nicht gefunden. Demnach ist also Jeremiel derjenige, dem wir das zu verdanken haben.“

„Aber ohne die Experimente damals wäre er dazu nicht in der Lage gewesen.“

„Willst du damit etwa sagen, dass wir es allen Ernstes diesem Brown-Duo zu verdanken haben, dass wir zusammengefunden haben?“

„So scheint es wohl.“

„Oh Mann. Und schon ist die romantische Stimmung wieder weg.“

„Mag sein, dass Joseph Brown und sein Sohn viele Verbrechen begangen haben, aber Tatsache ist auch, dass ohne sie Andrew jetzt nicht hier wäre und wir beide nicht zusammen wären. Klingt zwar dumm, ist aber so.“ Trotzdem war Beyond von dieser Tatsache alles andere als begeistert und wünschte sich, dass er doch lieber die Klappe gehalten hätte. Schließlich aber atmete der BB-Mörder laut aus und hatte eine Idee: „Einigen wir uns darauf, dass es Frederica zu verdanken ist. Das klingt viel schöner.“ Und damit war L einverstanden. So lagen sie eng umschlungen da und irgendwann schliefen sie beide ein. Und obwohl die Aufregung an dem Tag doch ziemlich viel gewesen war, schlief L so tief und fest, dass ihn nichts hätte aufwecken können.
 

Am nächsten Tag trafen sich alle um kurz vor eins an der Adresse von Nastasja Kasakowa. Andrew und Oliver waren putzmunter wie immer, nur Jeremiel wirkte ein klein wenig übermüdet und hatte leichte Augenringe. Offenbar war seine Nacht nicht so ruhig verlaufen, oder aber ihm machte noch die Tatsache zu schaffen, dass er quasi der achte Proxy war. Da Rumiko und Jamie zwar Teil von Evas Familie waren, aber zwei Kinder hatten, hatte L es als das Beste angesehen, die beiden aus der ganzen Sache rauszuhalten. Alles andere war zu riskant und hätte wahrscheinlich nur zur Folge, dass sie ins Visier der Proxys gerieten. Da die Haustür offen stand, gingen sie hinein in den Hausflur hinauf in den ersten Stock, dann erreichten sie auch schon die Tür, wo zuvor auf einem Schild „Wednesday Weather“ geschrieben stand. Doch nun fehlte dieses Schild und stattdessen hing an der Tür eine Notiz mit der Aufschrift „Zu Vermieten“. Zuerst begriffen sie nicht wirklich, was das bedeuten sollte und L klopfte an. „Mum?“ rief er und als sich nichts tat, begann er zu klingeln. „Mum? Hey Mum!“ Immer noch nichts. Also brach Beyond die Tür auf und sie betraten die Wohnung. Sie durchsuchten alle Räume, fanden aber niemanden. Nastasja war gar nicht hier und so wie es aussah, war sie schon eine ganze Weile weg. L verstand das nicht und fragte sich, wieso seine Mutter nicht hier war. Sie hatten doch ausgemacht, dass sie sich um ein Uhr hier treffen und die Lage gemeinsam besprechen würden. Warum also war sie auf einmal verschwunden? Zumindest herrschte hier Ordnung und es waren auch keine Spuren eines Kampfes zu sehen. Folglich also hatten die Proxys sie nicht angegriffen. Liam wirkte nicht sonderlich überrascht und schüttelte den Kopf. „Stur wie ein Esel. Ich hab mich ehrlich gesagt schon gewundert, wieso sie so schnell nachgegeben hat. Offenbar hat sie uns nur abwimmeln wollen und ist alleine losgegangen.“

„Das gibt es ja wohl nicht“, rief L und schlug mit der Faust auf eine Kommode. „Wieso macht sie das? Sie hätte sich doch helfen lassen können.“

„So war sie schon immer. Stur wie ein Esel, mutig wie ein Löwe und entschlossen wie ein Krieger. Den Dickkopf habt ihr beiden eindeutig von ihr, wobei ich aber glaube, dass Nastasja wesentlich sturer ist. Das sieht man hier ja.“ Während Andrew und Oliver nach Hinweisen zu suchen begannen, wo Nastasja hingegangen sein könnte und L in eine Diskussion mit Liam geriet, überlegten Beyond und Jeremiel, was sie tun könnten. Denn eines stand fest: eine einzelne Person in Boston aufzuspüren, war verdammt schwer. Schließlich aber hatte Jeremiel eine Idee. „Mum wird nach den Proxys suchen. Warum locken wir diese nicht hervor, wenn sie sowieso hinter uns her sind? Wir könnten doch einen Köder schicken und…“

„Auf gar keinen Fall“, unterbrach L energisch, als er das hörte und machte eine abwehrende Handbewegung. „So etwas kommt nicht infrage!“

„Aber warum denn, wenn es doch die effektivste Methode ist, die Proxys zu finden?“

„Weil wir das schon mal gemacht haben. Nämlich als wir Sam und Clear aufspüren wollten. Das ist alles komplett eskaliert und Beyond ist dabei draufgegangen. Nein, so etwas werde ich nicht zulassen.“ Jeremiel merkte, dass das Thema wohl ein absolut rotes Tuch für L war. Nun gut, er konnte ihn verstehen, wenn er deswegen seine Vorbehalte hatte. Aber trotzdem war das doch die schnellste Methode. „Und wenn Liam dabei ist? Ich meine, er ist ein Unvergänglicher und kann mehr gegen die Proxys ausrichten als wir. Ich habe Sams Talent als Schütze und wenn Delta und Johnny ebenfalls in unmittelbarer Nähe bleiben, sollte es doch funktionieren, ohne dass etwas ernsthaft passiert.“ Doch L plagten immer noch die Horrorbilder an Beyonds Tod und den seines Bruders, als dieser beim Zusammenstoß mit Sariel zu Tode gekommen war. Er wollte nicht noch jemanden verlieren und die anderen unnötig in Gefahr bringen. Dann aber hatte er seinen Plan gefasst und wandte sich seinem Bruder zu. „Wenn wir hier die Lockvogel-Strategie anwenden, dann werde ich derjenige sein, der geht.“ Beyond und Jeremiel sahen ihn schon fast erschrocken an, denn so etwas kannten sie überhaupt nicht von L, der ja eigentlich sehr vorsichtig war und sich niemals leichtsinnig in Gefahr begab. „L, wieso willst du das tun?“

„Ich will nicht riskieren, dass ihr noch in Gefahr geratet. Beyond hab ich ohnehin ganz klar untersagt, je wieder Lockvogel zu spielen, Andrew hat für so etwas nicht die Nerven und Oliver würde ich aufgrund seiner recht unzuverlässigen Art sowieso nur ungern nehmen. Rumiko und Jamie sind komplett außen vor. Und ich habe auch schon einen Plan.“ Schließlich kamen Andrew und Oliver zurück, deren Suche erfolglos geblieben war und so erklärte der Detektiv mit den Pandaaugen, welche Strategie er sich zurechtgelegt hatte. „Es wird nur für Durcheinander sorgen, wenn wir alle losrennen. Je mehr wir sind, desto größer ist die Gefahr, die Übersicht zu verlieren und dass jemandem etwas passiert. Deshalb habe ich mir Folgendes überlegt: Oliver wird sich um die Überwachung der öffentlichen Kameras kümmern und berichten, wenn es etwas Neues gibt. Beyond hält sich im Hintergrund auf und hält nach meiner Mutter Ausschau. Es kann sein, dass sie sich wieder tarnt und deshalb werden wir auf sein Shinigami-Augenlicht angewiesen sein. Jeremiel wird bei Liam bleiben und die Augen offen halten. Er wird mich rechtzeitig warnen, wenn die Proxys auftauchen sollten. Einer von deinen Leuten sollte besser auf Rumiko und Jamie aufpassen. Ich will kein Risiko eingehen, nachdem schon Hester umgebracht wurde.“

„Okay, ich werde Delta bitten, dass er bei den Millers vorbeischaut. Er und Rumiko verstehen sich ja ohnehin sehr gut. Aber was ist mit Andrew?“

„L, bitte lass mich helfen. Wenn Elion dabei ist, dann wird er mit Sicherheit nicht versuchen, mich zu töten. Vielleicht kann ich zu ihm durchdringen und ihn überzeugen, uns zu helfen.“

„Nur unter der Bedingung, dass jemand bei dir sein wird, um dich zu beschützen.“

„Das ist kein Problem“, meldete sich Liam, der auch dafür schon die Lösung hatte. „Johnny wird schon auf ihn aufpassen.“ Damit war auch das geklärt. Dieses Mal wollte L kein Risiko eingehen, was das Leben der anderen in ernste Gefahr bringen könnte. Gerade wollten sie sich schon auf den Weg machen und ihre Pläne in die Tat umsetzen, doch da wandte sich plötzlich Jeremiel ab und ging los. Ohne ein Wort zu sagen lief er einfach davon und erst Liam konnte ihn festhalten. „Hey Jeremiel, was ist mit dir? Wo willst du hin?“ „Ich… ich spüre da etwas.“ Es war zwecklos, er hielt einfach nicht an und sein merkwürdiges Verhalten gab Rätsel auf. Beyond und L tauschten kurze Blicke aus und der Serienmörder fragte „Hat er sich nicht mindestens genauso merkwürdig verhalten, als wir mit den Proxys zu tun gehabt hatten?“

„Ich glaub schon. Liam, was hat das zu bedeuten und was ist mit ihm?“ Doch da war sich der Mafiaboss auch nicht hundertprozentig sicher. Aber er hatte eine Theorie. „Nastasja sagte, dass Jeremiel ein Proxy werden sollte. Womöglich kann er die Anwesenheit der anderen wahrnehmen und sucht instinktiv ihre Nähe.“

„Na toll… und er begibt sich wieder in Lebensgefahr.“ Liam schaffte es, den älteren Lawliet-Zwilling mit einem Schlag in den Nacken außer Gefecht zu setzen und fing ihn auf, als dieser das Bewusstsein verlor. Etwas anderes wäre einfach zu riskant. „Ich hätte nicht gedacht, dass er doch über besondere Fähigkeiten verfügt. Ich werde später mal sehen, ob ich etwas dagegen unternehmen kann, bevor er beim nächsten Mal wieder planlos losrennt und sich erneut in Gefahr begibt.“

„In dem Fall ist es besser, ihn von den Proxys fernzuhalten und dafür zu sorgen, dass er nicht wieder losrennt.“ Da sonst nicht viele Möglichkeiten übrig blieben, bot sich Oliver an, ihnen dabei zu helfen und auf Jeremiel aufzupassen. „Und wenn er abhauen sollte, binde ich ihn einfach an einem Stuhl fest.“ Während der Hacker zusammen mit Jeremiel nach Hause ging um dort alles vorzubereiten, machten sich Liam und die anderen auf den Weg, um L’s Plan in die Tat umzusetzen. Johnny und Delta wurden verständigt und wenig später kam der Unruhestifter vom Dienst dazu, der in nahezu unglaublicher Geschwindigkeit zu ihnen dazugestoßen war. Aber da er im Parcours-Running unschlagbar war, brauchte man sich auch nicht sonderlich zu wundern. Und kaum, dass er bei ihnen war, hatte er auch schon interessante Neuigkeiten. „Ich habe da von ein paar Leuten gehört, dass es nicht weit von der Longfellow Bridge wohl ziemlich turbulent zugehen soll. Zeugen wollen Gestalten in Motorradmontur über die Brücke klettern gesehen haben. Klingt verdächtig nach den Proxys. Fragt sich nur, was die dort wollen.“

„Tja, vermutlich sind sie auf den Weg zu uns. Hat man vielleicht auch eine Frau gesehen, die bei den Proxys war?“

„Das weiß ich jetzt leider nicht so direkt. Soll ich nachforschen gehen?“

„Nein, du bleibst bei uns und wirst nachher Andrew beschützen. Die Sicherheit von Evas Familie hat allerhöchste Priorität. Wir werden in Richtung Longfellow Bridge fahren und dort auf die Proxys warten. Wenn sie angreifen, werden wir sie ausschalten.“ Liam und die anderen stiegen in die Limousine ein und so ging die Fahrt in Richtung der besagten Brücke. Diese Brücke lag in der Nähe eines Parks und dort war man relativ ungestört im Gegensatz dazu, wenn sich die Proxys an der belebten Memorial Bridge aufgehalten hätten, über die auch die Autobahn führte. Aber was suchten die Proxys dort überhaupt? Galt es wieder eine Zielperson zu töten, oder waren sie vielleicht hinter Nastasja her? In dem Fall blieb nur zu hoffen, dass sie noch rechtzeitig kamen um sie zu retten.

Der zweite Angriff

Nachdem sie Oliver angerufen und ihm Bescheid gesagt hatten, wo er suchen sollte, begann er sofort sein Augenmerk auf die Umgebung der Longfellow Bridge zu richten. Da es dort keine öffentlichen Überwachungskameras gab, musste er auf die Hilfe der Satelliten zurückgreifen und konnte somit auch alles überblicken. Tatsächlich konnte er zwei Proxys ausfindig machen, die da wohl in einem Kampf verwickelt zu sein schienen. Allerdings konnte er nicht erkennen, welche Proxys es waren, da alles recht schnell und hektisch war und er die Gesichter nicht wirklich erkennen konnte. Aber zumindest waren sie auf dem richtigen Weg und hatten die Proxys gefunden. Blieb nur zu hoffen, dass auch deren Festnahme glatt über die Bühne ging. Bei zwei solchen Kampfmaschinen würde es eher schwierig werden, nachdem sie schon Liams Leute so in die Mangel genommen und Marcel getötet hatten. Mit Sicherheit würde da noch ein heftiger Kampf folgen und es blieb zu hoffen, dass es nicht so sehr eskalierte wie vor knapp zwei Monaten, als das mit Clear und Sam Leens in einer einzigen Katastrophe geendet hatte. Zwar hatten sie jetzt Liam und Johnny dabei, aber eine hundertprozentige Garantie, dass alles glatt gehen würde, war es leider nicht. Es konnte immer etwas schief gehen und es war auch möglich, dass jemand von ihnen sterben könnte. Doch das wollte L verhindern. Wenn es eine Möglichkeit gab, eine solche Katastrophe zu verhindern, dann würde er alles in seiner Macht stehende dafür tun. Er war unruhig und das merkten auch die anderen. Beyond legte einen Arm um seine Schultern und versuchte ihm ein wenig seine innere Unruhe zu nehmen. „Hey L, jetzt mach dir mal keinen Kopf. Wir schaffen das schon und wir werden deine Mutter ganz sicher finden, bevor ihr noch was ernsthaft zustößt. Und selbst wenn etwas passieren sollte, wird uns schon was einfallen.“ „Wir sind ja auch noch da“, meldete sich der Informant breit grinsend, der wie immer Spaß hatte. „Und Liam hat bisher jeden wieder zusammenflicken können.“ Na, das war zumindest ein tröstlicher Gedanke. Trotzdem fiel es L schwer, sich ein wenig zu entspannen und ruhig an die Sache heranzugehen. Er machte sich eben auch ernsthaft Sorgen um seine Mutter und hatte Angst, dass er sie schon wieder verlieren könnte so wie damals, als er nächtelang nur geweint hatte, weil er sich fragte, warum sie ihn nicht abholen kam. Schließlich parkten sie den Wagen und bezogen jeweils ihre Position. Beyond und Liam hielten sich im Hintergrund, damit der Serienmörder sich auf die Suche nach Nastasja konzentrieren konnte. Johnny blieb bei Andrew und sollte Elion tatsächlich einer der beiden Proxys sein, den Oliver auf den Satellitenbildern gesehen hatte, dann bestand die Chance, dass er mit seinem alten Freund reden und ihn zur Besinnung bringen könnte. Immerhin hatte Elion ganz gezielt Andrew angesprochen und ihn um Hilfe gebeten gehabt, da bestand zumindest die Möglichkeit, dass er auf seinen alten Freund hörte und mit sich reden ließ. Na hoffentlich gelang der Plan auch… Beyond hatte da so leise Zweifel, dass auch alles wirklich so glatt gehen würde wie L es sich vielleicht vorstellte. Wenn es um die Eva-Experimente ging, dann lief doch sowieso nie alles glatt. Es konnte immer etwas schief gehen und deshalb konnten sie nur dafür sorgen, dass die Schäden zumindest gering gehalten wurden. Zwar hatte er vor L einen ganz anderen Eindruck erweckt, aber er wollte ihn nicht noch verrückter machen und weiter irgendwelche Ängste schüren. Wenn schon L Angst um das Leben seiner Mutter hatte, dann lag es eben an ihm, stark zu sein und L den Halt zu geben, den er brauchte. Das hatte er ihm versprochen und er würde dieses Versprechen auch halten. Und vor allem würde er nicht zulassen, dass schon wieder jemand starb, der L wichtig war. Er wollte ihm nicht noch mal solch einen Kummer bereiten und ihm nächtelange Alpträume bescheren. Schlimm genug, dass er unter meinem Tod so hatte leiden müssen, dann ist auch noch Jeremiel verunglückt und Hester ist jetzt tot. Wenn das so weitergeht und L verliert seine Mutter noch einmal, dann wird er schlimmstenfalls endgültig zusammenbrechen. Und genau das werde ich mit allen Mitteln verhindern. Ich werde ihm so gut es geht helfen und ihm zur Seite stehen. Also werde ich mich an den Plan halten und aufpassen, dass das alles nicht allzu sehr eskaliert wie beim letzten Mal. Wenn es wirklich einen Gott gibt, dann kann er doch nicht ein solches Arschloch sein und schon wieder jemanden aus unserer Mitte reißen. Liam sah sich um und sein Blick verfinsterte sich. „Ich kann Nastasja wahrnehmen. Sie ist nicht weit von hier…“ „Ach echt?“ fragte Beyond und begann sich nun ebenfalls umzusehen, doch durch die Bäume war das nicht gerade einfach und so konnte er kaum etwas erkennen. „Und kannst du auch wahrnehmen wie es ihr geht?“ „Sie scheint in einem Kampf verwickelt zu sein. Die beiden Proxys sind bei ihr und wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, muss es sich um Elion und Sheol handeln.“ Sheol? Etwa dieser Verrückte, den Nastasja als den wohl unberechenbarsten und gefährlichsten Proxy bezeichnet hatte? Oje, wenn das wirklich so war, dann konnte das noch echt heiter werden. Blieb nur zu hoffen, dass Nastasja noch ein klein wenig durchhielt und Elion nicht auch noch solche Probleme machte. „Wir sollten nachsehen gehen, wenn es nicht allzu weit entfernt ist. Johnny wird doch sicherlich auf zwei Leute aufpassen können.“ Doch Liam ging noch nicht los, denn irgendetwas beschäftigte ihn. Als Unvergänglicher war er fähig, jede Art von Lebensform zu spüren und zu erkennen. Und er erkannte ganz genau, dass da zwei Proxys bei Nastasja waren. Aber… da waren noch zwei weitere. Und genau das störte ihn gewaltig. Es hieß doch, dass es bloß drei Proxys gab. Wieso also war jetzt auch noch ein vierter dabei? Hatte sich Nastasja womöglich geirrt? Auf jeden Fall war einer dieser beiden sehr stark. Um genau zu sein hielt er mit dem Level eines Unvergänglichen mit und das war sehr beunruhigend. Es war wohl das Beste, wenn er L Bescheid gab und die Lockvogel-Aktion vorzeitig abbrach. Wenn der vierte Proxy so stark war wie er einschätzte, würde er selbst noch so seine Schwierigkeiten mit ihm haben. Und den anderen konnte er ja wohl schlecht abverlangen, dass sie sich mit diesem Gegner anlegten. Das wäre glatter Selbstmord und in der Situation war es am besten, wenn er sich alleine darum kümmerte. Also ging er zu L hin und erklärte ihm die Situation. „Ein vierter Proxy ist in der Nähe?“

„Ja und er ist fast genauso stark wie ich und Eva. Und wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, muss es sich um den Anführer handeln. Höchstwahrscheinlich ist es diese „Mutter“. Jedenfalls scheint er auch die anderen zu befehligen.“

„So ein Mist. Wenn er auf meine Mutter trifft, wird die wohl kaum eine Chance haben, oder?“

„Ich fürchte, so sieht es aus. Deshalb schlage ich vor, dass ich mich um den Anführer kümmere, Johnny hält die anderen Proxys im Schach und ihr bringt Nastasja in Sicherheit. Wir werden euch den Rücken freihalten.“

„Yeah“, rief Johnny und grinste breit, woraufhin er sich Schlagringe anlegte. „Mischen wir den Laden mal so richtig auf.“ Liam entfernte sich von der Gruppe, um den vierten Proxy zu finden, während Johnny mit dem Rest der Gruppe losging, um Nastasja zu finden. Irgendwie beschlich L ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache. Wenn jetzt wirklich der Anführer der Proxys hier war und dieser genauso stark war wie Liam, dann könnte das noch ziemlich düster aussehen. „Meinst du, es könnte Probleme geben, Johnny?“

„Wenn der Anführer tatsächlich die ganze Gruppe unter seiner Kontrolle hat, dann vermutlich ja. Immerhin hat sich doch selbst diese Sariel, die euch ja eigentlich helfen will, nicht gegen dessen Willen durchsetzen können. So wie ich das einschätze, ist der Anführer oder die „Mutter“ der derzeitige Hauptwirt des Unborns und die Proxys tragen sozusagen Ableger in ihrem Körper, wodurch sie sich steuern lassen. Zwar besitzen sie wohl noch einen eigenen Willen, aber wenn der Anführer was sagt, gehorchen sie bedingungslos. Also muss man mit allem rechnen. Passt deshalb lieber auf und nehmt am besten das hier.“ Johnny reichte ihnen je ein Messer und erklärte „Schusswaffen sind eher unpraktisch und bei jenen, die über unsere Kräfte verfügen, sowieso total nutzlos. Passt auf eure Rückendeckung auf und macht bloß keinen Unsinn, kapiert?“ Johnny beschleunigte seine Schritte merklich und es fiel ihnen schwer, mit seinem Tempo mitzuhalten. Schließlich aber hörten sie Lärm und sahen auch schon zwei Gestalten, die jemanden angriffen. Es waren Elion und Sheol, die es auf Nastasja abgesehen hatten. Erbarmungslos schlugen sie mit ihren Klingen nach der Russin, die sich verbissen zur Wehr setzte und sich als hartnäckiger Gegner erwies. Jeden Angriff parierte sie und stieß sie zurück, um die Möglichkeit zu haben, kurz Luft zu holen. Obwohl man es ihr nicht so direkt ansah, so schien sie tatsächlich nicht gelogen zu haben als sie sagte, dass sie für drei Männer kämpfen könnte. Ihre Kampfkunst zeugte wirklich von einem Profi und wenn sich L richtig erinnerte, hatte seine Mutter schon mal eine Meisterschaft in Mixes Martial Arts gewonnen. Tatsächlich konnte sie mit den beiden mithalten, doch kaum dass der eine am Boden lag, da griff auch schon der nächste wieder an. Man sah auch, dass sie schon ziemlich aus der Puste war und einige Schläge hatte einstecken müssen. Am Arm hatte sie eine tiefe Schnittwunde und noch einige andere Verletzungen, die ihr zu schaffen machten. L ergriff so langsam die Angst um seine Mutter und er wollte schon Johnny etwas zurufen, doch dieser war schon unterwegs und reagierte blitzschnell. Aus der Innenseite seines Mantels, den er so gut wie nie ablegte, zog er mehrere Messer und warf sie auf die Proxys. Zwei davon trafen Sheol in die Brust, eine Elion in den Arm und in die Seite. Diese dadurch entstandene kurze Benommenheit nutzte Johnny geschickt aus, um Sheol zu packen, der Nastasja gerade mit seiner Klinge den Kopf abschlagen wollte und schleuderte ihn zu Boden, woraufhin er ihm mit solch einer Wucht in den Brustkorb trat, dass es sämtliche Rippen hätte brechen müssen. „So Freundchen, jetzt ist Schluss mit lustig. Jetzt reiß ich dir eigenhändig deinen scheiß Proxy-Arsch auf!“ Doch Sheol lachte nur, zog das Messer aus seiner Brust und rammte es Johnny ins Bein, um sich zu befreien und stieß den Unvergänglichen von sich. „Cry sagt, dass wir euch den Arsch aufreißen. Wir haben den Befehl, jeden von euch zu töten und da Mutter dabei ist, werden wir ganz gewiss nicht versagen. Schon bald wird Ain Soph erwachen und daran könnt ihr nichts ändern.“ Nachdem er Johnny das Messer noch ein Mal ins Bein rammte, schaffte er es, sich zu befreien und als er wieder auf die Beine kam, wischte er sich ein Blutrinnsal aus dem Mundwinkel. „Und ich werde endlich zu einem vollwertigen Proxy werden, damit ich Mutter stolz machen kann. Ich werde ihr beweisen, dass ich der Träger sein werde. Dann werde ich endlich nicht mehr diese verdammten Stimmen in meinem Kopf hören.“

„Mir doch egal, wie viele Stimmen da in deinem Oberstübchen Kaffeekränzchen halten. Meinetwegen kannst du dich auch in eine Klapse einweisen lassen, aber wenn mir eines gegen den Strich geht, dann solche Freaks wie du die meinen, sie könnten in meiner Stadt tun und lassen, was sie wollen. Wegen euch haben wir schon genug Ärger gehabt und das zahl ich euch beiden heim!“ Johnny und Sheol gerieten in einen heftigen Kampf, Elion selbst zog die Messer aus seinem Körper heraus und wollte wieder auf Nastasja zugehen, doch da eilte Andrew auf ihn zu und rief „Elion, warte!“ Tatsächlich hielt dieser inne, als er das hörte und wandte sich um. Er sah Andrew an, sein Gesicht blieb starr und ausdruckslos. In seiner Hand hielt er immer noch das Kurzschwert, mit welchem er Nastasja attackiert hatte und an dem noch Blut klebte. Er ließ die Waffe langsam sinken und rührte sich nicht. Zögernd kam Andrew näher da er wohl sicher war, dass Elion ihm nichts tun würde. Und tatsächlich machte sein alter Freund überhaupt keine Anstalten, ihm etwas anzutun. Doch als sie sich gegenüber standen und Andrew ihm seine Hände auf die Schultern legen wollte, da ging Nastasja urplötzlich dazwischen und stellte sich zwischen die beiden. Der rothaarige Engländer begriff erst gar nicht, was da geschah. Er spürte nur, wie Nastasjas Ellebogen ihn zurückstieß und das nächste was er sah, war Blut. Etwas Glänzendes schaute da aus ihrem Rücken und ihr Shirt färbte sich mit einem Male rot. Erst einen Augenblick später begriff er, dass Elions Klinge ihren Körper durchbohrt hatte. Andrew blieb wie erstarrt stehen und konnte nicht fassen, was da passiert war. Elion… er hatte tatsächlich versucht, ihn zu töten? Aber wieso? War inzwischen der letzte Rest seiner Menschlichkeit zerstört worden? War es schon zu spät für ihn?

Schreie waren zu hören. Als L das sah, wollte er zu seiner Mutter eilen und ihr helfen, doch die Russin blieb felsenfest stehen, hielt Elions Hand fest umklammert, die das Kurzschwert hielt und rief „Bleibt weg!“ Blut floss unablässig aus ihrer Wunde und ihren Mundwinkeln und doch loderte die wilde Entschlossenheit in ihren Augen. Sie atmete schwer und litt starke Schmerzen, dennoch schaffte sie es, sich auf den Beinen zu halten und was sie vorhatte, konnte man nur erahnen. Aber eines stand fest: sie wollte nicht aufgeben und würde weiterkämpfen, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Und dafür war sie bereit, die Schmerzen zu ignorieren und weiterzumachen. Etwas anderes hätte ihr Dickkopf und ihr starker Wille gar nicht zugelassen. Sie drängte mit aller Kraft den Proxy zurück, noch während die Klinge in ihrem Körper steckte. Eine ungeheure Willenskraft trieb sie an und schließlich stieß sie ihn gegen das Geländer, welches sie vom Wasser knapp fünf bis zehn Meter unter ihnen trennte. „So leicht gebe ich nicht auf, hast du verstanden?“ brachte sie leicht röchelnd hervor und drückte Elion mit ihrem ganzen Körpereinsatz gegen das Geländer um ihm seine Bewegungsfreiheit weitestgehend einzuschränken. Selbst auf das Risiko hin, dass sich die Klinge nur noch tiefer in ihren Körper bohrte und sie umso mehr Blut verlor. Als sie ihn nun soweit festgenagelt hatte, holte sie eine Spritze hervor und sah ihm in die Augen. „Ich habe es dir versprochen, dass ich nicht zulasse, dass sie dich zu einem Monster machen. Ich liebe dich wie mein eigenes Kind und deshalb werde ich dich beschützen, insbesondere vor ihm…“ Damit wollte sie ihm die Spritze geben, doch da hielt Elion ihre Hand mit seiner anderen fest und hinderte sie daran. Nastasja versuchte zwar dagegen anzukämpfen, doch in ihrem Zustand hatte sie nicht mehr genügend Kraft dafür. Und ihre andere Hand war ebenfalls blockiert, was blieb denn da noch übrig? Da es sonst nichts brachte, verpasste sie ihm eine heftige Kopfnuss und stieß ihm dann die Nadel in den Arm. Sie schaffte es noch, ihm das Serum zu injizieren, bevor Elion ihr einen Schlag ins Gesicht verpassen und sich befreien konnte. Er zog die Klinge aus ihrem Körper und wollte damit wieder angreifen, doch in einem letzten Kraftakt schaffte es die schwerverletzte Russin, dem Schlag auszuweichen und Elion mit einem so heftigen Tritt in den Brustkorb zu treffen, dass er übers Geländer stürzte und ins Wasser fiel. Keuchend hielt sich Nastasja am Geländer fest, presste eine Hand auf ihre Wunde, dann brach sie zusammen. Beyond, Andrew und L waren sofort bei ihr. „Mum“, rief der Detektiv und war als Erster bei ihr. Er war völlig durch den Wind, als er sie so sah und hatte seine Beherrschung sowie auch seine ruhige Art gänzlich verloren. Seine Mutter in so einer Verfassung zu sehen, ließ diese alten tief vergrabenen Kindheitsängste wieder hochkommen, die ihn damals so sehr gequält hatten. Die Angst davor, seine Mutter für immer zu verlieren. Er nahm ihre blutverschmierte Hand, während Beyond irgendwie versuchte, die Blutung zu stoppen. Es sah wirklich schlimm aus und wenn sie nicht schnellstens in ein Krankenhaus kam, würde sie sterben. „Halte durch, Mum. Wir werden Hilfe holen.“ Einen Moment lang schien die Russin noch weggetreten zu sein, doch als sie L sah, da musste sie lächeln. Sie strich ihm sanft über die Wange und hatte Tränen in den Augenwinkeln. „Es ist wirklich verrückt“, murmelte sie und betrachtete mit einem schon fast traurigen Blick seine Augen. Tränen liefen ihre Wangen hinunter und vermischten sich mit ihrem Blut. „Es ist genauso wie damals, als ich mir bei der Meisterschaft den Kopf verletzt habe und im Krankenhaus mit einem Schädel-Hirn-Trauma aufgewacht bin. Da hat dein Vater auch meine Hand gehalten und mich mit demselben Blick angesehen…“

„Mum, du darfst jetzt nicht sprechen, hörst du? Ich lass nicht zu, dass ich dich schon wieder verliere, klar?“ Damit wandte er sich an Beyond, der wirklich sein Möglichstes tat, um diese Blutung zu stoppen, doch es sah nicht allzu gut aus. Schließlich aber kam Andrew eine Idee. „Liam und Johnny können doch wahrscheinlich etwas tun. Wartet kurz.“ Damit rannte er zu dem Informanten hin, der immer noch mit Sheol zugange war und sichtlich Mühe hatte, diesen Wahnsinnigen irgendwie abzuschütteln. „Johnny, kannst du die Verletzung bei Nastasja zurücksetzen?“

„Würde ich gerne, wenn ich diesen durchgeknallten Freak endlich mal für eine Sekunde lang auf Abstand halten könnte.“ Ohne lange zu zögern warf sich Andrew in einem passenden Augenblick auf Sheol, konnte ihm das Kurzschwert aus der Hand drehen und ihn zu Boden reißen. Zum Glück hatte Oliver ihm mal ein paar Tricks beigebracht, wie er sich gegen Angreifer zur Wehr setzen konnte wenn es mal zum Ernstfall kommen sollte. Und nachdem es ihm auch dank Nastasjas Mittel auch wieder bestens ging, konnte er auch durchaus den Mut aufbringen, einen Gegner wie Sheol zu Boden zu ringen, wenn dadurch Leben gerettet werden könnten. Andrew schaffte es, den Proxy auf dem Boden festzunageln und drückte ihn mit seinem ganzen Gewicht nach unten, dann wandte er sich Johnny zu. „Mach schnell, ich halt ihn hier solange fest.“ Der Informant nickte und eilte zu den anderen. Schon von weitem sah er, dass es echt übel aussah und jetzt dringend Hilfe nötig war. Er schob L und Beyond beiseite und sah sich das genauer an. Dabei konnte er sich ein ungläubiges Schmunzeln nicht verkneifen. „Mein lieber Scholli, dich hat’s aber böse erwischt, meine Liebe. Was musst du auch immer die einsame Heldin spielen, die am Ende immer draufgeht?“

„Hey, ich such’s mir ja nicht unbedingt aus“, gab sie zurück und klang dabei ein klein wenig unwirsch. „Und so konnte ich Elion wenigstens das Serum verabreichen, bevor es endgültig zu spät war. Sag mal, kannst du ihn noch spüren?“

„Du solltest dir lieber erst einmal Sorgen um deine Person machen. Immerhin bist du hier doch gerade diejenige, die momentan kurz vorm Abnippeln ist. Er treibt gerade stromabwärts und die Aura des Unborns wird auch immer schwächer. Und jetzt Schnauze halten, damit ich mich konzentrieren kann.“ Damit drückte der Informant eine Hand auf ihre Wunde, was natürlich höllisch wehtat, sodass die Russin die Zähne zusammenbeißen musste. Sie verzog vor Schmerz das Gesicht und während Johnny ihr seine Hand auf die Verletzung drückte, konnten sie alle beobachten, wie sich das Blut auf der Kleidung langsam zurückzog. Es war, als würde es quasi aufgesaugt werden und auch das Blut an ihren Händen verschwand, als würde es einfach ausbleichen oder sich verflüchtigen. Auf Johnnys Stirn begannen sich Schweißperlen zu bilden und schließlich nahm er seine Hand wieder weg. Und tatsächlich war die Wunde verschwunden. Selbst das Shirt sah aus wie neu, als hätte es all diese Angriffe nicht gegeben. Ein wenig erschöpft stand Johnny auf und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. „So, das war’s. Und du hast jetzt Sendepause, Missy. Ich geh jetzt mal aufräumen und du bleibst da. Dein Körper braucht noch ne ganze Weile, bis er sich davon erholt hat.“ Damit eilte der Unvergängliche wieder zurück zu Andrew, der nun doch erheblich Mühe hatte, den wie wild tobenden Sheol weiterhin unten zu halten. „Okay Rotschopf, ab jetzt übernehme wieder ich. Du gehst wieder zurück zu den anderen.“

Rückkehr nach Hause

Liam war der Aura des vierten Proxys gefolgt und erreichte nach einiger Zeit einen großen Platz, wo er sah, wie ein groß gewachsener maskierter Proxy Sariel an der Kehle gepackt hielt und gegen einen Baum drückte. Sariels Blick war leer und der Unvergängliche spürte sofort, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte. „Wenn das nicht Araphel ist“, sagte der Anführer, dessen Stimme elektronisch verzerrt klang und ließ Sariel los. Diese fiel zu Boden und blieb dort reglos liegen. Liam fixierte den Anführer mit seinem Blick und bemerkte, dass er als Einziger keine Nummer hatte. Eine ungeheure Kraft ging von ihm aus und was auch da immer in diesem Körper steckte, es war nichts Menschliches. Offenbar hatte der Unborn seinen Wirtskörper schon vollständig übernommen und die Seele des Besitzers schon gänzlich zerstört. „Woher kennst du meinen wahren Namen und was hast du mit Sariel gemacht?“ „Du meinst Proxy-07? Nun, gemacht habe ich mit ihr gar nichts. Sie hat sich selbst zerstört, als ich ihr befohlen habe, Nastasja Kasakowa zu töten. Es ist schon erstaunlich, dass sie es tatsächlich geschafft hat, ihrem vorbestimmten Tod zu entkommen. Aber sie wird das Schicksal dieser Welt auch nicht ändern.“ Sariel hatte sich selbst zerstört? Deshalb konnte er sie nicht mehr spüren. Nun, er konnte sich später um sie kümmern. Jetzt galt es erst einmal, den Anführer auszuschalten und vorher noch ein paar Fragen beantwortet zu bekommen. „Welches Schicksal meinst du? Wer bist du und was hast du vor? Und überhaupt: woher kennst du meinen wahren Namen?“ „Ich bin sozusagen der Alpha-Proxy“, erklärte der Maskierte. „Näher gesagt bin ich der Verkünder ihrer Worte: Ain Soph. Und deshalb kenne ich auch eure wahren Namen und wer ihr wirklich seid. Ich bin hier, weil ich endgültig das Schicksal dieser Welt und all ihrer Bewohner endgültig besiegeln werde. Ain Soph wird sich erheben und diese Welt voller Elend, Unaufrichtigkeit, Faulheit und Egoismus zerstören und aus den Trümmern ein neues Paradies erschaffen.“ Doch so wirklich beeindruckt zeigte sich der Unvergängliche nicht. Stattdessen verzog er verächtlich die Mundwinkel und lachte herablassend. „Das ist schon seit Kira nicht mehr neu. Und auf Trittbrettfahrer habe ich ohnehin keine Lust. Ich mach dich einfach kalt du Spinner und dann hat sich die Sache.“

„Du machst es dir ja sehr einfach, mein Freund. Dabei hast du keine Ahnung, mit wem du es zu tun hast.“

„Mit einem Größenwahnsinnigen, der unter Gottkomplex leidet. Glaub mir, ich habe im Laufe der Jahrhunderte genug Leute getroffen, die mindestens genauso einen Unsinn geredet haben.“ Doch der Alpha-Proxy hielt an seiner Überzeugung fest und lachte nun selbst kühl, was aber durch die Stimmenverzerrung sehr bizarr klang. Und dass er lachte, gefiel Liam auch nicht sonderlich. „Aber das zeigt auch, dass Eva dich schon immer aus allem rausgehalten hat, obwohl sie doch ironischerweise deine jüngere Schwester ist. Du weißt also nichts über deine Herkunft. Nun gut, dann werde ich es dir erklären: Am Anfang gab es zwei Bewusstseinsformen, vollkommen und ewig und erhaben über alles Denken und jegliche der Form der Existenz und Nichtexistenz. Ajin Gamur und Ain Soph… Das Ur-Nichts und das Ur-Licht. Du und Eva, ihr seid nur Schöpfungen und ein Teil des Ganzen und Unendlichen. Es wird Zeit, dass alles wieder zu seinem Ursprung zurückkehrt und damit wieder zum Teil des Ur-Lichts wird. Und dazu werden die Fragmente von Ain Soph wieder zusammengeführt. Alles Leben wird zu seinem Ursprung zurückkehren und ich werde Ains endgültige Rückkehr einleiten, damit alles wieder von Neuen beginnen kann.“ Wie bitte? Er war von einer dieser beiden, die sich Ajin Gamur und Ain Soph nannten, erschaffen worden? Und Eva hatte von alldem gewusst und ihm das einfach verschwiegen? Wieso nur? Nun, er würde sie noch in aller Ruhe darüber ausfragen, aber erst einmal galt es den Alpha-Proxy zu töten, damit der Schwachsinn ein Ende hatte. Liam wollte schon angreifen, doch da spürte er etwas. Elions Position entfernte sich und der Unborn in ihn wurde langsam schwächer. Offenbar war es Nastasja gelungen, ihm das Serum zu spritzen. Und damit war die wichtigste Schachfigur dieses Projekts weg. Er zeigte sich sichtlich zufrieden darüber und lächelte. „Tja, sieht so aus, als wäre euer Favorit unbrauchbar geworden.“ Doch der Alpha-Proxy sagte nichts. Es war auch schwer zu sagen, ob er nun verärgert war, oder ob es ihn gar nicht störte. Aber dann holte Liam sein Messer hervor und griff an. Worte waren genug gewechselt worden, jetzt wollte er endlich Taten sprechen lassen und diesen Alpha-Proxy töten, damit dieses bescheuerte Projekt endlich gestoppt wurde. Doch sein Gegner parierte den Angriff mühelos und es entstand ein heftiger Kampf, in dessen Verlauf Liam so langsam erkannte, dass sein Gegner extrem stark war. Aber dann, als der Alpha-Proxy ihn mit einem Tritt gegen den Baum geschleudert hatte, steckte er seine Waffe wieder ein und wandte sich um. „Es ist noch zu früh. Aber beim nächsten Mal werdet ihr nicht so einfach davonkommen.“ Damit wollte er gehen, doch Liam eilte ihm hinterher und wollte ihn aufhalten. In dem Moment warf der Proxy eine Tränengasbombe und sogleich verschwand er auch spurlos, sodass Liam ihn nicht mehr wahrnehmen konnte. Verdammt, wie zum Teufel schaffte er das bloß, von einer Sekunde zur anderen zu verschwinden? Na was soll’s, Suchen half jetzt auch nichts. Am besten ging er zu den anderen zurück, um nach dem Rechten zu sehen. Er wandte sich zu Sariel, die leblos auf dem Boden lag und legte eine Hand auf ihre Stirn. Aber es war nichts zu machen. Es existierte nichts Lebendiges mehr in ihr. Unfassbar, dass sie einfach ihre eigene Seele zerstört hat. Wie verzweifelt muss sie gewesen sein, um das zu tun? Ich will mir gar nicht vorstellen, was diese Menschen ihr angetan haben, dass sie sich freiwillig dazu entschlossen hat, ihre eigene Seele zu zerstören. Liam hob sie auf und nahm sie auf seinen Rücken. Zurücklassen konnte er sie jedenfalls nicht. Soweit er Nastasjas Bericht richtig zugehört hatte, war das Teil von Sariels Plan, um Frederica wieder zurückzuholen. Sie würde ihre Seele zerstören und Frederica ihren Körper überlassen. Allerdings bräuchten sie dafür auch Elion, der Fredericas Seele noch in sich trug. Fragte sich nur, wohin er verschwunden war. Na hoffentlich ging es den anderen gut, aber da Johnny ja bei ihnen war, machte er sich recht wenig Sorgen. Als er zu den anderen kam, hatte sein Informant Sheol auf dem Boden festgenagelt, während Beyond ihm eine Spritze gab. Der Proxy schrie und tobte wie ein Wahnsinniger, doch er wurde zusehends schwächer und als das ganze Mittel injiziert war, verdrehten sich seine Augen und er verlor das Bewusstsein. Johnny wartete noch einen Moment um sicherzugehen, dass das keine Finte war, aber dann ging er von ihm herunter. „Ich glaub, der ist hinüber…“ Liam ging zu Nastasja hin, die mit dem Rücken gegen das Geländer lehnte und ziemlich fertig aussah. Mit Sicherheit hatte sie es mal wieder komplett übertrieben. „Hey, wie geht es euch?“ „Wunderbar“, antwortete die Russin und lächelte müde. „Wir haben Elion und Sheol das Mittel gespritzt und wir leben alle noch.“

„Ja und hätte Johnny nicht seine Kräfte eingesetzt, wärst du garantiert gestorben, Mum.“

„Ernsthaft, du klingst ja schon fast wie Henry…“, gab sie schmollend zurück und wollte aufstehen, doch da verzog sie das Gesicht vor Schmerz und man sah ihr an, dass sie dafür nicht die Kraft hatte. „So ein Mist“, brachte sie hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. „Das versaut mir aber auch wirklich den ganzen Tag.“

„Lass es doch sein, Mum. Komm, wir helfen dir.“ Doch sie weigerte sich hartnäckig und beteuerte immer wieder, dass es ihr gut ging, aber kaum, dass sie alleine aufstehen wollte, gaben ihre Beine auch schon wieder nach. Liam seufzte und schüttelte den Kopf, als er das sah. „Ernsthaft, warum musst du immer nur so verdammt stur sein? Wenn du schwer verletzt warst, wird dein Körper so oder so noch ein paar Tage brauchen, bis er wieder fit genug ist. So, Sariel hätte ich jetzt dabei, was sollen wir deiner Meinung nach jetzt mit Sheol anstellen?“ Nastasja blickte zu dem bewusstlosen Proxy herüber und wieder hatte ihr Blick etwas Trauriges. „Wenn ich mich nicht um ihn kümmere, ist er ganz alleine. Ins Institut kann er nicht mehr zurück und ich bin die einzige Bezugsperson, die er hat. Ich will mich um ihn kümmern.“ Als L das hörte, konnte er das erst nicht glauben und verstand es auch nicht so wirklich. „Mum, er ist ein Proxy und er hat versucht, dich umzubringen.“

„Hey junger Mann, soweit ich mich erinnere, hat Beyond doch auch erst versucht gehabt, dich zu töten und trotzdem seid ihr jetzt ein Paar. Sheol und Elion sind auch wie Kinder für mich und was soll denn sonst mit Sheol passieren? Jetzt, da der Unborn zerstört ist und sich sein Gedankenschaltkreis normalisieren wird, wäre er ganz alleine und ich kann nicht zulassen, dass sie ihn wieder für irgendwelche Experimente missbrauchen. Er konnte doch nichts dafür, dass er so war. Sie haben ihn dazu gezwungen, ihn manipuliert und ihn genauso wie Sariel und Elion grausam gefoltert. Glaubt mir, was diese Mistkerle mit ihnen angestellt haben, war wirklich grausam. Teilweise haben sie sich in Gruppen an ihnen vergangen und sie dabei so schwer verletzt, dass sie daran gestorben sind. Das Leben dieser Proxys hatte nichts als Tod, Gewalt und Schmerzen zu bieten und ehrlich gesagt waren sie ja noch recht bei Verstand, als wir sie angetroffen haben. Ich will ihnen helfen und ihnen die Liebe und Fürsorge geben, die sie nie hatten.“

„Und was ist mit Elion? Wo ist er?“

„Er ist über das Geländer gefallen, aber er wird das sicher überleben. Da er schon so früh mit dem Unborn infiziert wurde, wird ein Teil von ihm immer noch diese Kräfte besitzen. Aber bei Sheol wird es wohl nicht so aussehen. Da er recht spät infiziert wurde, wird er womöglich ein ganz normaler Mensch werden. Zumindest hoffe ich es… Deshalb dürfen wir ihn doch nicht zurücklassen.“ Beyond betrachtete Nastasja schweigend und erkannte so langsam, dass L wirklich nach seiner Mutter kam. Sie war genauso hartnäckig und ließ sich nicht davon abbringen, jenen zu helfen, die Hilfe brauchten. Selbst wenn diese sehr gefährlich waren. Ihre Liebe und ihr Mitgefühl waren einfach stärker. Liam sah auch ein, dass es zwecklos war, gegen Nastasjas Entschluss zu protestieren. Schließlich wandte er sich Johnny zu und fragte „Und wie geht es dir soweit?“ „Na wie soll’s mir schon gehen? So schnell kriegt man mich nicht klein, da muss dieser Freak schon früher aufstehen.“

„Okay, dann wirst du Sariel tragen.“ Damit nahm der Informant die leblose siebte Proxy auf seinem Rücken, während Liam Nastasja trug. Sie hatten wirklich Glück gehabt, dass alles so gut verlaufen war und es keine Verluste in ihren Reihen gab. Und selbst Nastasja war am Leben. Blieb nur zu hoffen, dass sie nicht ganz so viel Ärger machen würde. Sie war ja eigentlich eine wunderbare Person, aber so verdammt stur, dass sie auf fast niemanden hörte. Während Johnny Sariel trug und Liam die völlig erschöpfte Nastasja auf seinem Rücken schleppte, brachten L und Beyond den bewusstlosen Sheol zum Wagen. „Was genau ist eigentlich jetzt mit ihm?“

„Er wird vermutlich ein oder zwei Tage ohne Bewusstsein bleiben, da sich sein Gedankenschaltkreis normalisiert. Vermutlich wird es noch Wochen brauchen, bis er vollständig wiederhergestellt ist, aber nach meiner Theorie wird er dann hoffentlich auch von seiner Krankheit geheilt sein, die durch den Unborn verursacht wurde. Es ist auch möglich, dass er nach seinem Erwachen ein komplett anderer Mensch sein wird als vorher. Zumindest will ich das hoffen, auch für sein Wohl.“ Dann würde das heißen, es würde bei ihm so sein wie bei Jeremiel. Auch er war aufgewacht und war dann ein anderer Mensch. Und im Laufe der Wochen hatte er auch immer mehr Menschlichkeit dazugewonnen. „Dann wird bei ihm also der gleiche Heilungsprozess stattfinden wie bei meinem Bruder?“

„Ich denke schon. Ich habe mich lange genug mit dem Gedankenschaltkreis beschäftigt und hart daran gearbeitet, ein Mittel zu finden, um den Proxys zu helfen. Es tut mir von Herzen weh, dass ich Sariel, Nathaniel, Raphael, Maria und Noah nicht retten konnte. Aber ich hatte ehrlich gesagt dran gezweifelt, ob es mir überhaupt gelingen würde, Sheol zu retten. Sariel hatte ohnehin nicht vorgehabt, gerettet zu werden. Egal wie oft ich auch versucht habe, ihr Mut zu machen und ihr diese Idee auszureden, sie war fest entschlossen, sich zu opfern damit Frederica zurückkommen kann. Wenn wir das Projekt gänzlich stoppen wollen, werden wir jede Hilfe brauchen und Tatsache ist, dass Frederica eine wichtige Figur ist. Sariel hat für sich selbst einfach keinen Grund mehr gesehen, weiterzuleben. Ihr Tod war das Einzige, was sie sich noch gewünscht hat und ich denke, wenn jemand so viel gelitten hat und auch immer noch leidet, dann darf man ihn auch nicht zum Leben zwingen.“ Trotzdem konnte man deutlich heraushören, dass Nastasja dennoch darunter litt, dass sie Sariel nicht hatte retten können. Es war auch wirklich grausam, dass so etwas überhaupt passieren musste. „Ich frage mich manchmal ernsthaft, was bei euch Menschen nicht stimmt“, sagte Liam nach einer Weile. „Ich meine, ihr quält und tötet euresgleichen um Möglichkeit zu finden, nur noch mehr Leben zu zerstören. Ich lebe schon seit Jahrtausenden unter euch und werde dennoch nie schlau aus euch.“

„Glaub mir Liam, ich versteh die Menschen genauso wenig“, erklärte die Russin niedergeschlagen und legte ihren Kopf auf seiner Schulter ab. Sie sah aus, als würde sie gleich das Bewusstsein verlieren, aber sie versuchte noch dagegen anzukämpfen und wach zu bleiben. Als sie den Wagen erreichten, stiegen sie ein und fuhren zu Liams Anwesen. Sie wollten zuerst Nastasja sicherheitshalber untersuchen lassen und Sheol zur Beobachtung da behalten, damit Liam ihn besser bewachen konnte, falls er doch noch Probleme machen sollte. Sie riefen auch schon Oliver an um ihm Bescheid zu sagen, dass alles gut verlaufen war, aber so wie sich herausstellte, war dieser schon dort, um zusammen mit Jeremiel auf sie zu warten. Gleich schon als sie das Anwesen erreichten und aus dem Wagen stiegen, kam der Hacker ihnen entgegen, wobei er auch den älteren Lawliet-Zwilling gleich mit im Schlepptau hatte. Er wirkte ja noch recht gut gelaunt, doch als er Sheol sah, da war er nun doch ziemlich irritiert. „Äh hallo Leute. Sagt mal, wen habt ihr denn da mitgebracht?“

„Das ist Sheol.“

„Sheol?“ rief der Ire ungläubig und verstand erst nicht, wieso sie ihn einfach so mitgebracht hatten, ohne ihn zu fesseln. Doch da erklärte auch schon Nastasja „Ich hab ihm das Serum gespritzt und er ist nicht mehr gefährlich.“ Die 30-jährige Russin wollte schon alleine aussteigen und weitergehen, doch das erwies sich als keine sonderlich gute Idee, denn ihre Beine versagten den Dienst und Oliver fing sie auf. Schließlich nahm Liam sie wieder auf den Arm. „Ich habe dir doch gesagt, du solltest das sein lassen. Die Zeitrücksetzung deiner Verletzung hat auch für deinen Körper enorme Anstrengungen bedeutet und deshalb fehlt dir jetzt auch die Kraft. Deshalb solltest du dich auch schonen.“

„Ich hab schon Schlimmeres überlebt“, meckerte sie und zog eine Schmollmiene. „Und ich bin doch kein Pflegefall.“

„Mum, jetzt stell dich nicht so an. Liam weiß, was er tut.“

„Genau, du solltest endlich mal damit aufhören, dich so anzustellen.“

„Na toll, jetzt fallen mir meine Söhne auch noch in den Rücken.“ Beyond konnte einfach nicht anders, als amüsiert darüber zu lachen. Dieses bockige Verhalten war haargenau das Gleiche, wie L es immer an den Tag legte. Als hätten sie quasi eine weibliche Version von ihm. „Ich schätze mal, du hast deinen Charakter echt von deiner Mutter, L.“

„Scheint so… Und Jeremiel hat da wohl eher mehr von Vater geerbt. Er hat nie so viel diskutiert oder sich so angestellt wie Mum.“

„Das habe ich gehört, junger Mann!“ rief die Russin in einem strengen Ton und zeigte dabei schon fast drohend mit dem Zeigefinger auf ihn. „Noch so ein Wort und das gibt noch Ärger!“ „Was willst du schon machen? Mir Hausarrest geben oder mir das Taschengeld kürzen? Das will ich sehen.“ Nun konnte sich auch Jeremiel ein amüsiertes Schmunzeln nicht verkneifen. Die beiden waren wirklich wie aus einer Sitcom mit ihrer Zankerei. Aber wenn zwei Menschen so derart stur waren und auch noch denselben Charakter hatten, dann war es eben vorauszusehen, dass so was dabei rauskam. Jeremiel selbst war froh, dass er da nicht ganz so schlimm war und offenbar doch eher nach seinem Vater kam, der ja eindeutig ruhiger war. Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum er so gut mit L harmonierte und sich auch nicht ständig mit Beyond zankte. Während Andrew bei Oliver blieb um ihm von den Geschehnissen im Park zu erzählen, steuerten Liam und die anderen die Untersuchungsräume an, um Nastasja, Sariel und Sheol zu untersuchen. Was Nastasja betraf, so ging es ihr körperlich hervorragend. Allerdings hatte sie eine etwas niedrige Körpertemperatur und auch ihr Herzschlag war langsamer als sonst. Dasselbe galt auch für ihren Puls. Aber Liam konnte den besorgten L beruhigen. „So etwas kann vorkommen, wenn dem Körper für die Zurücksetzung so viel Energie genommen wird. Ich würde sie aber dennoch gerne eine Nacht hier behalten. Nur um auch hundertprozentig sicher zu gehen.“

„Nein“, protestierte Nastasja und setzte sich sofort wieder auf. „Es geht mir gut und ich bin auch kein Pflegefall. Ich komme alleine zurecht.“

„Und wo willst du denn hin? Du hast immerhin deine Wohnung gekündigt.“

„Ich miete eine neue an und werde mich dann um Sheol kümmern.“ Doch Liam drückte sie entschieden wieder auf die Liege zurück und ließ da auch nicht mit sich reden. „Jetzt sei doch mal vernünftig, Nastasja. Du kannst kaum laufen und als Humanbiologin müsstest du doch selbst wissen, dass du dich besser schonen solltest. Mach dir keine Sorgen, ich werde mich um Sheol kümmern. Ich sage dir das auch als Arzt: du brauchst für heute Bettruhe. Eigentlich bräuchtest du sie für die nächsten zwei Tage, aber so wie ich dich kenne, bist du schon morgen wieder auf den Beinen. Es ist alles in Ordnung, kapiert? Wir haben getan was wir konnten und obwohl der Anführer der Proxys entkommen konnte, so geht zumindest keine Gefahr mehr von den Proxys selbst aus. Elion und Sheol konnten durch Serum gestoppt werden und Sariel ist tot. Deshalb besteht für dich jetzt auch kein Grund, deine Gesundheit schon wieder aufs Spiel zu setzen.“ Nastasja wirkte zwar immer noch ein wenig unzufrieden, aber sie gab sich dennoch geschlagen. Liam untersuchte als nächstes Sheol genauer. Dieser hatte mehrere schwere Verletzungen, die der Unvergängliche noch verschließen musste. Da er gerade nicht wirklich die Konzentration für eine Operation aufbringen konnte, setzte er auch hier eine Zurücksetzung ein. Zumindest konnte er somit sichergehen, dass Sheol auch wirklich keinen Ärger machte. Der würde für eine ganze Weile komplett lahm liegen. Als nächstes baute er eine mentale Verbindung auf, indem er seine Stirn auf die des Bewusstlosen legte um festzustellen, ob der Parasit auch wirklich restlos zerstört war. Tatsächlich konnte er keine Anomalien spüren und so wie es aussah, schienen auch Sheols Kräfte zu schwinden. Und damit würden sich seine Verletzungen auch nicht mehr zurücksetzen. Nun in dem Fall würde er sich auch viel einfacher töten lassen. Blieb nur die Frage offen, wie es wohl bei Elion aussehen würde, wenn das Serum auch bei ihm den letzten Rest des Unborns zerstörte, der seine Seele absorbieren wollte. Liam entschied, ihn erst mal für drei bis vier Tage hier zu behalten und dann zu entscheiden, wie es weitergehen sollte. Was Sariel betraf, so gab es für sie eigentlich keine Hoffnung mehr. Es waren nur noch die lebenswichtigen Hirnfunktionen aktiv, doch der Rest von ihr war tot. Sie war für immer fort.

Mutter und Sohn

Am Abend, als die anderen heimgekehrt waren, ging Jeremiel, der die Nacht bei Liam verbringen wollte, in den Anbau um seine Mutter zu besuchen. Bisher hatte er noch nicht die Chance gehabt, mit ihr näher ins Gespräch zu kommen und obwohl er auch ein kleines bisschen Angst davor hatte, so hatte Liam ihm auch Mut gemacht. Als er die Patientenzimmer erreichte, fand er das Bett seiner Mutter leer vor, woraufhin er sie suchen musste. Er fand sie bei Sariel, die an lebenserhaltenden Maschinen angeschlossen war. Die Russin hielt ihren Rosenkranz in ihren gefalteten Händen, kniete am Bett und schien zu beten. Er blieb an der Tür stehen und hörte, wie seine Mutter leise auf Russisch murmelte „Herr, bitte führe diese arme gequälte Seele in dein Reich und schenke ihr die Liebe und das Glück, welche diesem verlorenen Kind niemals zuteil wurde. Schenke ihr Trost und schließ sie in deine liebevollen Arme, auf dass Sariel das Glück findet, was sie in dieser Welt nicht finden konnte. Nimm ihr all das Leid und den Kummer, welches ihre Seele gepeinigt hat und halte deine schützenden Hände über sie und die anderen. Schütze du auch meine beiden Söhne und diese wunderbaren Menschen, die sie so liebevoll aufgenommen haben und schenke ihnen die Kraft, damit sie niemals von ihrem Weg abkommen.“ Jeremiel hatte noch nie an einen Gott geglaubt, aber dieses Gebet berührte ihn doch sehr. Vor allem weil seine Mutter auch ihn in ihr Gebet einschloss. Als sich Nastasja erhob und Sariel einen Kuss auf die Stirn gab, da wandte sie sich zur Tür und schien schon längst geahnt zu haben, dass Jeremiel an der Tür gestanden hatte. Sie lächelte warmherzig und fragte „Kann ich dir irgendwie helfen?“ Durch das Gebet völlig aus dem Konzept gebracht, wusste Jeremiel gar nicht, was er antworten sollte und geriet schon beinahe ins Stammeln. Er war unsicher ob er überhaupt hereinkommen sollte und es war ihm schon peinlich genug, dass er sie beim Beten belauscht hatte. „Tut mir Leid“, sagte er und wich ein wenig verlegen ihrem Blick aus. Erst jetzt spürte er, wie furchtbar nervös er eigentlich war und sein Herz raste wie verrückt. „Ich wollte dich nicht beim Beten stören.“

„Nicht schlimm. Und Russisch versteht hier sowieso kaum ein Mensch.“

„Nun, ich spreche schon Russisch.“

„Echt?“ fragte Nastasja und war sichtlich erstaunt und begann ab diesem Zeitpunkt nur noch Russisch mit Jeremiel zu reden. „Wo hast du das denn gelernt?“ „Ich weiß es nicht. Ich denke einfach, dass sich Sam Leens mit Sprachen beschäftigt hat. Jedenfalls kann ich auch Deutsch und ein wenig Latein, aber das war es auch schon.“

„Ist doch auch was. Ich finde es wirklich schön, mich endlich mal mit jemandem auch mal wieder in meiner Muttersprache unterhalten zu können. Hier in Amerika Russen anzutreffen oder in England ist relativ selten. Aber lass uns doch woanders ganz in Ruhe weiterreden, was hältst du davon? Dann haben wir zwei die Chance, uns besser kennen zu lernen.“ Da Nastasja sichtlich Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten, stützte Jeremiel sie und brachte sie zurück in ihr Zimmer. Auf die Frage, wie sie es denn überhaupt geschafft hatte, in Sariels Zimmer zu gelangen, da antwortete sie nur „Eiserner Wille und eine kleine Spur von Masochismus“, woraufhin sie herzlich lachen musste. „Ich weiß ja selbst, dass es absolut ungesund ist, wenn ich einfach so aufstehe und herumlaufe, aber ich wollte doch wenigstens von Sariel Abschied nehmen und für sie beten.“

„Watari sagte, dass du jeden Abend gebetet hast.“

„Ja. Für meine Familie und die Proxys, welche in dieses grausame Leben hineingedrängt wurden. Weißt du, ich habe mich immer bemüht, redlich zu sein und alles zu tun um anderen zu helfen. Aber manchmal zweifle ich wirklich daran, ob ich das Richtige tue, oder ob ich nicht Schuld an allem bin. Natürlich weiß ich, dass ich selbst nur in eine Verschwörung hineingeraten und benutzt worden bin. Womöglich hat die ganze Sache schon angefangen, als ich mich noch gar nicht mit den Gedankenschaltkreisen beschäftigt habe. Doch obwohl ich das weiß, denke ich, dass ich vielleicht auch ein Stück weit daran Schuld bin, dass Frederica tot ist und du ganz alleine in dieser Welt warst und niemals eine Familie hattest.“ Nastasja setzte sich auf ihr Bett und wirkte ziemlich erschöpft. Sie nahm eine Tüte Lakritz, öffnete sie und bot auch Jeremiel was an. Er nahm das Angebot gern an und setzte sich neben seine Mutter hin. „Du hast keine Schuld daran, dass ich nicht bei euch aufwachsen konnte. Immerhin hast du ja nicht mal gewusst, dass du mit Zwillingen schwanger warst und Joseph Brown hat dich hintergangen. Natürlich war ich traurig als ich erfuhr, dass meine Eltern schon lange tot waren, aber ich war froh, dass ich wenigstens L hatte und als du plötzlich da warst, da hatte ich zuerst Angst gehabt.“

„Wovor denn? Bin ich denn so unheimlich oder wirke ich wegen meinem Temperament so bedrohlich? Glaub mir, ich bin zwar manchmal ziemlich laut und schlagfertig, aber ich kann auch ganz lieb sein.“

„Nein, das ist es nicht. Ich hatte einfach Angst, dass du vielleicht auf Distanz gehst, weil ich für dich ein Fremder bin.“ Nastasja sah ihn sprachlos an und man hätte meinen können, sie wäre erschrocken darüber, was Jeremiel gesagt hatte. Aber dann umarmte sie ihn und sagte „So ein Unsinn. Du bist mein Sohn und deshalb bist du auch kein Fremder für mich.“ Als sie sich wieder von ihm löste, da fiel ihr etwas auf. Nämlich eine Kette, die er unter seinem Hemd trug. Neugierig fischte sie die Kette hervor und fand ihren Rosenkranz oder besser gesagt war es der Rosenkranz von ihrem verstorbenen Ich aus dieser Zeit. „Watari hat ihn aufgehoben und mir dann gegeben“, erklärte er. „Er meinte dass es gerechter wäre, wenn ich ihn bekomme, weil ich dich ja nie kennen lernen konnte.“

„Schon verrückt das alles“, murmelte sie und betrachtete das kleine silberne Kreuz. „Der Rosenkranz ist ein Erbstück meiner Mutter. Sie war sehr streng katholisch und hat vor ihrer Auswanderung nach St. Petersburg in Sizilien gelebt. Kurz nach meiner Geburt ist sie verstorben und mein Vater fiel der sowjetischen Regierung zum Opfer, weil man ihn verdächtigte, er sei ein Spion der Opposition. Ich bin daraufhin im Waisenhaus aufgewachsen und der Rosenkranz ist das einzige Erinnerungsstück. Ich habe nicht einmal Fotos von ihnen, deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass es nicht gerade schön für dich war, als du alleine warst.“ Nastasja versteckte den Rosenkranz, den Jeremiel unter dem Hemd trug, wieder darunter und richtete ihm dann ein wenig den Kragen. „Es stimmt schon, dass ich sehr religiös bin, auch wenn sich das mit meinem Beruf schlecht vereinen lässt. Aber es ist nicht so, dass ich unbedingt glaube, dass Adam und Eva die ersten Menschen waren, oder dass die Welt in sieben Tagen erschaffen wurde. Ich glaube einfach daran, dass uns für alles Leid, was uns in diesem Leben zugemutet wird, im nächsten Leben Gutes widerfährt und wir dasselbe nicht noch mal durchmachen müssen. Und außerdem glaube ich daran, dass wir für unsere guten Taten belohnt werden und dass jeder Mensch eine Chance verdient. Zumindest wenn er seine Taten aufrichtig bereut.“

„Dann glaubst du nicht an die Hölle?“

„Doch schon, aber ich habe eine andere Auffassung davon. Ich denke dass die Hölle nur ein vorübergehender Ort ist, wo man für jene Verbreche büßt, die man begangen hat, bis einem diese vergeben wurden. Also halte ich die Hölle eigentlich für das Fegefeuer. Aber weißt du, wir können ja auch mal über etwas anderes sprechen. Ich wollte nämlich unbedingt mehr über dich erfahren. Erzähl doch mal was du so gerne machst.“ Nun, Jeremiel brauchte eine Weile, um eine angemessene Antwort geben zu können, denn er wusste nicht so ganz, was seine Mutter alles hören wollte. Aber dann begann er einfach zu erzählen, dass er gerne Rätsel löste und sich mit allem gerne beschäftigte, was irgendwie mit Emotionen zu tun hatte. Dass er gerne Süßes und Scharfes aß und dass er es überhaupt nicht mochte, wenn Beyond seine Späße mit L zu weit trieb. Und dann musste er natürlich auch von seinem etwas peinlichen Kapitel erzählen, als er sich betrunken hatte und wie er sich da wie ein bockiger und quengeliger Sechsjähriger verhalten hatte. Nastasja konnte sich ein Lachen natürlich nicht verkneifen und klopfte ihm schließlich auf die Schulter. „Dein Vater war jedes Mal genauso schlimm, wenn er getrunken hatte. Nur hat er dann immer Panikstimmung gemacht und vom Weltuntergang geredet. Ich weiß noch als wir Silvester gefeiert hatten, da war ich gerade 20 Jahre alt geworden. Er hat zu tief ins Glas geschaut und die ganze Zeit gerufen „Die Russen kommen! Versteckt eure Sachen und bringt euch in Sicherheit. Die Russen sind da. Der Weltuntergang ist nahe.“ Wir haben uns kaum noch eingekriegt und das Beste war, dass er versucht hat, 8703 mit einer Karotte zu multiplizieren. Also was eure mangelhafte Trinkfestigkeit angeht, die habt ihr eindeutig von eurem Vater. Und den Dickschädel von mir. Was diese Liebe zu Süßigkeiten angeht, da scheint ihr das auch von mir zu haben. Ich geb zu, ich könnte für Lakritz sterben, genauso wie für Prjanik. Aber mit L war das schon damals immer schlimm gewesen. Ich hab um die Süßwarenregale immer einen Riesenbogen machen müssen, wenn wir einkaufen gegangen sind. Du kannst dir nicht vorstellen, wie dein Bruder gequengelt hat. Teilweise hat er den ganzen Laden zusammengebrüllt, weil ich ihm keine Süßigkeiten gekauft habe.“ Jeremiel musste sich das bildlich vorstellen, wie ein kleiner L sich so aufführte, wenn er seinen Willen nicht bekam. Und er konnte sich das sogar ziemlich gut vorstellen. „Nun, er isst auch heute ziemlich viel Süßkram. Aber Rumiko, Beyonds Adoptivschwester, bringt ab und zu mal was vorbei, weil sie meint, er müsse sich gesünder ernähren.“

„Watari ist in vielerlei Hinsicht einfach zu nachsichtig und war schon damals nicht der Konsequenteste gewesen. Nun ja, jetzt ist es auch zu spät. Und solange er…“ Nastasja sprach nicht zu Ende, sondern begann stattdessen lauthals zu kreischen. Sie klammerte sich an Jeremiel fest, hatte die Augen vor Entsetzen geweitet und schrie wie am Spieß „Mach sie weg, mach sie weg. Um Gottes Willen MACH SIE WEEEEEEG!!!!!“ Der 25-jährige war völlig überrumpelt und wusste gar nicht, was jetzt los war, als er dann den Übeltäter sah, der seine Mutter so in Panik versetzt hatte: eine Spinne. Sie seilte sich gerade von einem Faden am Fenster ab und ließ sich auf die Fensterbank nieder. Nun gut, sie war nicht sonderlich groß und es handelte sich allerhöchstens nur um eine harmlose Hausspinne, die sich hineinverirrt hatte. Aber allein ihr Anblick genügte, dass Nastasja völlig hysterisch wurde und aufsprang, als wäre die Spinne so groß wie ein Fußball. Jeremiel stand auf, nahm die Spinne auf seine Hand, woraufhin er das Fenster öffnete und die Spinne (die sich wahrscheinlich genauso über das Gekreische gewundert hatte) in die Freiheit entließ. Daraufhin schloss er das Fenster wieder und wandte sich seiner Mutter zu, die immer noch komplett aufgekratzt war. „Ist… ist sie weg?“

„Ja. Aber sag mal, was regst du dich wegen einer Spinne auf?“

„Halloho! Das Vieh hat acht Augen und acht Beine. Welcher normale Gott erschafft denn bitteschön so eine Monstrosität? Ich hasse Spinnen und Ungeziefer. Da krieg ich jedes Mal gleich einen Anfall…“

„Aber beschäftigst du dich nicht mit Biologie?“

„Humanbiologie! Das hat mit Menschen zu tun aber nicht mit solch abartigen Kreaturen, die mehr Augen und Beine haben als eigentlich nötig! Ich traue keinem Tier über den Weg, das mehr als vier Beine hat oder dessen Bezeichnung mit einem „W“ anfängt und mit einem „urm“ aufhört.“ Okay, offenbar hatte seine Mutter ganz eindeutig etwas gegen Ungeziefer. Naja, eigentlich nicht verwunderlich. Viele Menschen empfanden Ekel oder Angst vor Spinnen und Insekten und das galt für seine Mutter offenbar auch so. Nun, sie war ja auch nur ein Mensch mit ihren eigenen Macken. „Wieso hast du denn so eine Angst vor Insekten?“ „Das liegt bei mir in der Kindheit. Das Waisenhaus, wo ich aufgewachsen bin, war ziemlich heruntergekommen und es herrschten dort teilweise schlimme Zustände. Eines Tages bin ich beim Fangenspielen durch den maroden Fußboden gekracht und im Keller gelandet. Dort war es stockfinster und dort befand sich auch wahrscheinlich eine Art Nest. Jedenfalls waren dort überall Taranteln und Ungeziefer. Und für ein siebenjähriges Mädchen ist das nicht gerade eine schöne Erfahrung. Ich hab seitdem eine verdammt große Angst vor diesen Monstern.“ Nun, in dem Fall war ihre Angst ja auch mehr als verständlich. Trotzdem fiel es ihm schwer zu verstehen, wie Menschen vor solch kleinen Tierchen eine dermaßen große Angst haben konnten. Das war ja wie mit diesem Bild von dem Elefanten, der sich vor einer kleinen Maus fürchtete. Schließlich gesellte er sich wieder zu seiner Mutter, die sich inzwischen wieder beruhigt hatte und sichtlich froh war, die Gefahr wieder losgeworden zu sein. Erleichtert atmete sie auf und konnte dann nicht anders, als über sich selbst zu lachen. „Mensch war das peinlich. Henry hat sich immer halbtot gelacht, wenn ich Panik geschoben habe. Zum Glück hast du keine Angst, sonst wäre das noch echt problematisch geworden.“ Nun, zumindest nahm sie ihre Phobie mit Humor. Schließlich aßen sie die Tüte Lakritz leer und sogleich holte Nastasja zwei Dosen Dr. Pepper heraus und gab eine davon Jeremiel. „Ist zwar nichts Alkoholisches, aber immerhin besser als gar nichts. Weißt du, ich habe mir da mal was überlegt: wie wäre es, wenn wir zwei Hübschen mal einfach was zusammen unternehmen und uns so näher kennen lernen? Und wenn die Leute uns sehen, können wir denen ja sagen, ich wäre deine Freundin.“

„Gerne. An was hättest du so gedacht?“

„Na, ich wollte mir Boston mal näher ansehen. Vergiss nicht, ich bin durch den Zeitsprung von jetzt auf gleich hier gelandet und hab wirklich keine Ahnung von der Stadt. So eine kleine Sightseeingtour wäre sicher ganz interessant und so werde ich eben auch meine neue Heimat besser kennen lernen.“

„Du bleibst hier in Boston?“

„Natürlich, wo soll ich denn sonst hin? In Russland habe ich keine Verwandten oder Freunde und da mein Mann tot ist, habe ich auch in England nichts mehr, was mich dorthin zurückziehen würde. Meine jetzige Familie lebt hier in Boston und da ich mich ohnehin um Sheol kümmern will und auch Elion wahrscheinlich bald zurückkommen wird, werde ich deshalb hier bleiben. Oder was hast du geglaubt?“ Unsicher zuckte der 25-jährige mit den Achseln und murmelte „Nun, ich war mir nicht sicher, ob du jetzt für immer hier bleibst, oder ob du nicht vielleicht wieder zurückreisen musst… in die Vergangenheit meine ich.“ Nastasja leerte die Dose auf ex und drückte sie in ihrer Hand mühelos zusammen. „Wenn ich aus dieser Zeit in die Zukunft gereist wäre, dann wäre das so. Immerhin würde das sonst erhebliche Probleme geben. Du weißt schon: dieser ganze Raumzeit-Kontinuum-Quatsch eben. Aber da ich aus einer anderen Zeitschleife stamme, die keine Zukunft hat, existieren quasi zwei Nastasjas in dieser Welt. Streng genommen könnte man sogar sagen, dass ich aus einer Art Paralleluniversum stammen könnte. Deshalb ist es auch kein Problem, wenn ich dauerhaft hier bleibe. Und leider ist es auch so, dass der Hyperkubus nur ein einziges Mal funktioniert. Die Energie, die in seinem Kern gespeichert war, ist fast vollständig aufgebraucht worden und um diese wieder aufzuladen, bräuchten wir Evas Kraft. Es ist auch besser so, wenn er nicht mehr funktioniert, so kann er wenigstens nicht als Waffe missbraucht werden. Er war ja nur dazu da, damit ich in eure Zeit reisen und die Proxys aufhalten konnte. Und es hat ja auch funktioniert, also hat sich der ganze Aufwand gelohnt. Das Schöne ist, dass ich jetzt die Möglichkeit habe, dich besser kennen zu lernen und für dich und L da zu sein, wenn ihr mich braucht. Tja und ich muss erst mal versuchen, mich in dieser Zeit und in dieser Umgebung zurechtzufinden.“

„Mach dir da mal keine Sorgen. Wir werden dir schon helfen. L und die anderen haben genug Möglichkeiten und ich denke, wir werden schon eine Lösung finden.“ Sie saßen den ganzen Abend zusammen und redeten über alles Mögliche. Insbesondere Nastasja hatte genug Geschichten von L zu erzählen, als er noch ein Baby war oder was er alles angestellt hatte, als er noch klein war. Und natürlich erzählte sie auch, wie sie und Henry Lawliet zusammengekommen waren. „Eigentlich ist das Ganze echt witzig. Wir waren schon eine Zeit lang ineinander verliebt gewesen, aber ich dachte, er wäre mit Alice zusammen und er hat sich nicht getraut, mich anzusprechen. Ich hab nämlich alle anderen abblitzen lassen, die mich um ein Date gebeten haben. Zwei Jahre ging das so. Damals war ich 17 Jahre alt und habe bei den Wammys gewohnt und Alice war meine beste Freundin. Sie hat Henry schließlich ins Sportstudio geschickt, wo ich gerade beim Training war mit der Absicht, dass wir beide endlich ins Gespräch kamen. Tja, wir sind nach dem Training was trinken gegangen und dann haben wir die auch die Nacht zusammen verbracht. Und seitdem waren wir zusammen. Alice hat uns quasi verkuppelt. Wir drei waren ein unschlagbares Trio. Ich war die mit den Fäusten und dem Dickschädel, Henry war eher der Ausgewogene und Alice war das Genie. Nun gut, wir drei waren die Jüngsten an der Uni, aber Alice hatte schon immer so eine Ausstrahlung von einem Genie und sie besaß auch wirklich Klasse. Während ich Männer im Ring verdroschen habe, die gut und gerne zehn Jahre älter waren, hat sie über ihren Büchern gesessen und Bach oder Mozart gehört. So verschieden wie wir waren, war wirklich keine andere Clique. Aber wir haben immer zusammengehalten. Umso größer war dann der Schock für Henry und mich, als Alice nach der Silvesterfeier mit dem Auto verunglückt ist. Auf uns hatte sie immer gewirkt, als wäre sie wie eine englische Adlige. Sie war bildschön, hat manchmal ein wenig kühl auf andere gewirkt, aber in meinen Augen war sie schon fast perfekt. Ich war manchmal echt neidisch auf sie. Das Einzige, was mich manchmal an ihr genervt hat, war ihre gehobene Art. Sie wirkte manchmal etwas verklemmt auf mich, aber sie war eben eine Wammy und die waren schon immer dafür bekannt, dass sie dem guten Ruf der Engländer alle Ehre machen.“

„Hast du ihr mal gesagt, dass du neidisch auf sie bist?“

„Klar, nämlich als ich während einer Party schon zwei Gläser Wodka intus hatte. Das Zeug kann ich eh wie Wasser trinken. Als ich ihr gesagt habe, dass ich sie für ihre fast schon perfekte Art beneide, da sagte sie „Es gibt keinen Grund, neidisch auf mich zu sein. Glaub mir, es ist ein Fluch so wie ich zu sein. Ich wünsche mir manchmal, mehr so wie du zu sein und die Kraft zu haben, noch an das Gute in der Welt zu glauben.“ Nun ja, ich hatte manchmal irgendwie das Gefühl, dass Alice ein klein wenig unglücklich war, weil viele sie wegen ihrer vornehmen Art und ihrem Aussehen für hochnäsig und arrogant gehalten haben. Da hatte sie außer mir und Henry kaum Freunde, nur sehr viele Neider und das hat Watari damals nie gemerkt. Aber es ist schon eine gewisse Ironie gewesen. Ich hab sie für ihre Schönheit, ihre Eleganz und ihre Ausstrahlung beneidet und sie mich für meinen eisernen Willen. Alice und ich waren schon immer komplett verschieden gewesen. Selbst vom Aussehen her.“ Hierbei begann sie Jeremiel nachdenklich durchs Haar zu streichen und sein blondes Haar zu betrachten. „Selbst du und dein Bruder seht euch nicht ähnlich. L kommt ja gänzlich nach seinem Vater, aber du… hey, wir beide haben fast dasselbe blond und fast dieselben blauen Augen. Wenn das mal kein Zeichen ist, oder?“ Und damit gab sie ihm einen Kuss auf die Stirn. Sie blieben noch eine ganze Weile im Zimmer, bis Nastasja langsam doch die Müdigkeit übermannte und Jeremiel sich für heute von ihr verabschiedete. Bevor er aber ging, sagte sie noch „Das mit dem gemeinsamen Tag steht aber auf jeden Fall. Allerdings solltest du an deinem Russisch noch ein wenig feilen. Bei dir klingt das noch etwas zu sehr durch die Nase.“ „Ich werde mir mehr Mühe geben“, versprach er und wünschte ihr noch eine gute Nacht. Als er auf den Flur hinaustrat, sah er dort schon Liam an der Wand gelehnt stehen, der offenbar schon eine Weile wartete. Er hatte die Arme verschränkt und wirkte ein wenig nachdenklich, aber als er dann Jeremiel sah, da lächelte er zufrieden und legte einen Arm um ihn. „Na, was habe ich denn gesagt? Deine Mutter ist zwar schräg, aber ein wunderbarer Mensch. Und sie liebt dich sehr.“ Der 25-jährige brachte kein Wort hervor. Tränen sammelten sich in seinen Augen und er konnte sie auch nicht zurückhalten. Tröstend nahm Liam ihn in den Arm. „Hey, ist schon gut. Lass es ruhig raus.“ Und Jeremiel klammerte sich an den Unvergänglichen und konnte seine Gefühle einfach nicht mehr unter Kontrolle halten. Er war so überglücklich, dass er eine so wunderbare Mutter hatte, dass er gar nicht anders konnte als zu weinen.

Ajin Gamur und Ain Soph

Am nächsten Tag traf sich die gesamte Gruppe in Liams Anwesen, um über die neuesten Erkenntnisse zu sprechen. Eigentlich hatte der Mafiaboss Nastasja angeraten, sich noch zu schonen, aber die war schon um sechs Uhr in der Früh aufgestanden und machte Liegestütze. Zwar war sie noch ein klein wenig angeschlagen, aber ihr Dickschädel war stärker gewesen und so trafen sie sich schließlich in Liams Büro, wo der Unvergängliche ihnen von seinem Gespräch mit dem Alpha-Proxy erzählte und was dieser ihm gesagt hatte, wobei auch die Namen Ajin Gamur und Ain Soph fielen. Dies warf natürlich einige Fragen auf, weshalb alle Augenpaare auf Nastasja gerichtet wurden. Die Russin nahm ihre Brille ab und begann ihre Gläser zu putzen. „Nun, es gibt da tatsächlich etwas, was ich euch noch nicht erzählt habe. Ich habe es ehrlich gesagt absichtlich verschwiegen weil ich nicht wollte, dass ihr euch verstärkt um die Proxys kümmert. Ich gebe zu, dass das nicht gerade in Ordnung von mir war, aber ich wollte das alleine durchziehen.“

Naja, man konnte nachvollziehen, wieso sie das getan hatte und so verzieh man ihr das auch. Aber nun wollten sie endlich die Antworten haben und um das Ganze einfacher zu gestalten, nahm sich die Russin einen schwarzen Filzstift und ein Stück Papier, um es besser zu veranschaulichen. „Was die Unvergänglichen angeht, so existiert die Theorie, dass Eva und Araphel selbst nur Schöpfungen sind und dass es eine Hierarchie gibt. Diese Theorie basiert auf der kabbalistischen Lehre, die sehr viele Parallelen aufweist zu dem, was wir über die Unvergänglichen wissen. An alleroberster Stelle steht Ajin Gamur, das Ur-Nichts. Es ist, wie der Name schon vermuten lässt, das Nichts und man geht davon aus, dass das Ur-Licht „Ain Soph“ quasi eine Selbstschöpfung war. Diese beiden Formen sind sowohl der Inbegriff der Vollkommenheit als auch der Ewigkeit. Sie sind über alles erhaben und liegen fern des menschlichen Begreifens. Aus Ajin Gamur und Ain Soph wurde ein Wesen erschaffen, das sowohl die Unendlichkeit, als auch die Endlichkeit in sich vereint und quasi das Bindeglied zwischen diesen beiden höchsten Formen und unserer Welt darstellt. Dieses Wesen wird auch als Sefira bezeichnet. Ursprünglich war es ein einziges Wesen, das sich aber dann in zwei eigenständige Formen teilte. Nämlich Araphel und Eva. Unter ihnen sind die anderen Unvergänglichen, die von ihnen erschaffen wurden. Nämlich Asmodeus, Mammon, Kazab, Frederica, Sophie und die anderen. So sieht also die Vorstellung der Menschen aus.“

„Schön und gut“, sagte Liam, der sich das Ganze schon recht gut vorstellen konnte, da es auch nach seinem Ermessen Sinn machte. „Aber was hat es mit dem Unborn auf sich?“

Hier musste sich Nastasja erst einmal überlegen, wie sie es am besten erklären konnte. „Nun, ich habe da so meine Theorien. Wenn Sophie, Dimitrij, Chasov und die anderen Fragmente von Eva sind, genauso wie Delta, Marcel und Johnny ebenso ein Teil deiner Selbst sind, dann gehe ich von folgender Theorie aus: Du und Eva, ihr seid nicht die Einzigen, die von diesen zwei höchsten Existenzformen erschaffen worden sind. Dieser Unborn könnte den „Willen“ von Ain Soph verkörpern, der alles wieder zum Ursprung zurückführen will. Denn Ain Soph und Ajin Gamur selbst besitzen keinen eigenen Willen. Folglich können sie also weder die Zerstörung, noch die Schöpfung gewollt haben. Nehmen wir einfach mal das Beispiel, dass dies alles hier nur der Traum eines höheren Wesens ist. Es ist nicht greifbar und obwohl es außerhalb dieser vergänglichen Welt existiert, ist es dennoch ein Teil davon. Da es selbst nicht in diesem Traum existieren kann, erschafft es sich Traumavatare, die verschiedene Persönlichkeiten verkörpern. Eva ist diejenige, die sich eine eigene Familie wünscht und diese auch beschützen will. Sie hat weniger Hemmungen, ihre Kräfte einzusetzen und Liam hingegen hat mehr Interesse, sich den Menschen anzupassen und nach ihren Regeln zu leben. Zumindest auf seine Weise. Folglich also wollen beide in dieser Welt leben und diesen Traum aufrechterhalten. Aber was ist, wenn es einen weiteren Traumavatar gibt, der genau das Gegenteil will, nämlich dass dieser Traum endet? Wo Licht ist, da wird auch immer Schatten sein. Deshalb wäre es doch nur logisch, wenn dieser Unborn Ain Sophs Willen verkörpert, alles Leben zu seinem Ursprung zurückzuführen. Und dazu muss es einfach nur alles Leben in sich aufnehmen und wieder eins mit Ain Soph werden.“

„Warte mal, warte mal“, rief Oliver und machte dabei stoppende Gesten mit seinen Händen. „Du sagtest gerade, dieser Unborn will alles Leben in sich aufnehmen?“

„Ja.“

„Das würde ja bedeuten…“

„Dass der Unborn es nicht nur auf die Unvergänglichen, sondern auf jede Lebensform in dieser Welt abgesehen hat“, ergänzte L und wurde kalkweiß im Gesicht als er erkannte, welche Ausmaßen dieses Projekt wirklich hatte. Er hatte ja mit einigem gerechnet, aber nicht damit, dass das alles noch auf eine Apokalypse zusteuern würde. Als wäre Kira nicht schon schlimm genug gewesen, jetzt wollte ein Unborn auch noch alles Leben auslöschen. Beyond schüttelte seinerseits verständnislos den Kopf und fragte „Wieso wollen diese Leute, die den Unborn da heranwachsen lassen, so etwas tatsächlich wollen? Immerhin laufen die doch selbst Gefahr, von ihm getötet zu werden.“

„Deshalb wurden auch die Proxys geschaffen. Da der jetzige Alpha-Proxy nicht in der Lage ist, die ganze Macht des Unborns aushalten zu können, brauchten sie einen Hybriden und das waren Elion, Sheol und Sariel. Elion war der Einzige, weil er der leibliche Sohn des Alpha-Proxys ist und schon während seiner Zeugung infiziert wurde. Wenn sein Gedankenschaltkreis vollständig zerstört worden wäre, dann hätte der Unborn zu einer extremen Gefahr werden können. Er wäre noch mächtiger als jetzt, wo er im Körper des Alpha-Proxys lebt. Und da der Unborn einen menschlichen Wirt braucht, glauben diese Leute eben, dass sie Kontrolle über den Unborn ausüben könnten, wenn sie die Mittel haben, ihn im Schach halten zu können. Er wäre die ultimative Waffe.“ Das war ziemlich harter Tobak und sie waren auch wirklich froh, dass sie es wenigstens geschafft hatten, Elion das Mittel zu verabreichen, um den Prozess zu stoppen. Aber ein Gedanke beschäftigte L noch. „Könnten die Verantwortlichen des Projektes Elion womöglich wieder für ihre Zwecke benutzen und ihm erneut diesen Unborn einsetzen?“

„Nein, das ist ausgeschlossen“, erklärte Nastasja und schien felsenfest überzeugt zu sein. „Um einen geeigneten Wirt für den Unborn zu erschaffen, muss dieser so früh wie möglich infiziert werden. Darum werden immer Embryos für diese Experimente benutzt: weil sie sich noch im Entwicklungsstadium befinden. Wenn ich es richtig einschätze, muss ein Embryo bereits innerhalb der ersten zwei Wochen infiziert werden, danach wird der Unbornableger entweder verenden, oder es wird der gewünschte Effekt ausbleiben. Keiner von uns könnte zu einem Proxy werden. Allein schon deshalb nicht, weil unsere Körper normal menschlich sind und nur Hybride ihn aushalten könnten. Rein theoretisch könnte Jeremiel vielleicht einer werden, aber er ist zu alt dafür. Außerdem ist er sowieso vollkommen uninteressant für den Alpha-Proxy, weil er über keinerlei Fähigkeiten eines Unvergänglichen verfügt. Ich vermute, er wird eine neue Reihe von Proxys heranzüchten. So schnell wird er das Projekt nicht aufgeben. Und deshalb müssen wir uns überlegen, wie wir den Alpha-Proxy aufspüren können, wenn er seine Präsenz selbst vor Liam und Eva verbergen kann.“ Als sie das Thema ansprach, fiel Liam sogleich etwas ein, was er Nastasja noch unbedingt fragen wollte. „Jeremiel hat sich jedes Mal sehr seltsam verhalten, wenn sich die Proxys in der Nähe aufgehalten haben. Er sagte, er könne sie spüren und ist einfach losgelaufen. Kann es sein, dass er vielleicht doch über Fähigkeiten verfügt, die die eines normalen Menschen übersteigen?“

„Ist das so?“ fragte die Humanbiologin und blickte ihren Sohn forschend an. Dieser zögerte kurz und sagte „Ja. Ich hatte da so ein ganz merkwürdiges Gefühl aber ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Es ist, als würde eine Art Magnet mich dorthin ziehen.“ Nastasja lehnte sich gegen den Schreibtisch und legte ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, wobei sie nachdachte. „Es kann durchaus möglich sein, dass er über diesen Ortungssinn verfügt. Tatsächlich sollen die Proxys in der Lage sein, sich gegenseitig wahrzunehmen und ihre Positionen zu orten. Deshalb können sie sich nie aus den Augen verlieren. Hast du auch eine Stimme in deinem Kopf gehört, die dir irgendetwas gesagt oder befohlen hat?“ Jeremiel dachte kurz nach und schüttelte schließlich den Kopf. „Nein, eine Stimme hab ich nicht wahrgenommen. Es war nur dieses komische Gefühl.“

„Vielleicht ist es besser, wenn wir ein paar Untersuchungen vornehmen, damit ich feststellen kann, wie weit deine DNA noch verändert ist und ob es möglich ist, dass verspätet Fähigkeiten auftreten können, die denen eines Unvergänglichen entsprechen. Wenn es nur ein Ortungssinn ist, dann besteht eigentlich kein Grund, unnötig Panik zu schieben. Das Serum, das ich entwickelt habe, ist sehr stark und kann ähnlich aggressiv wirken wie der Unborn. Deshalb will ich es dir nicht leichtfertig spritzen, wenn der Ortungssinn das einzige Problem bei dir ist. Da der Unborn in deinem Körper verendet ist, können dich andere Proxys ohnehin nicht aufspüren. Vielleicht aber könnte man deine Fähigkeit nutzen, um den Alpha-Proxy zu finden, wenn es tatsächlich klappen sollte. Aber das können wir später noch in aller Ruhe besprechen. Wichtig ist erst einmal, dass wir sehen, wie das Mittel bei Sheol anschlägt. Eine Idee von mir wäre nämlich: wenn das Serum Elion und Sheol tatsächlich heilen kann, dann könnten wir es auch beim Alpha-Proxy anwenden. Somit wäre die Wurzel des Übels bekämpft.“

„Wie genau funktioniert es eigentlich?“ wollte Liam nun wissen, der seinerseits sehr neugierig war, mehr darüber zu erfahren. Nastasja holte ein kleines Fläschchen heraus, in der eine Flüssigkeit schwamm, die leicht gelblich schimmerte. „Nun, es funktioniert vom Prinzip her wie ein Antikörper. Er greift gezielt das parasitäre Bewusstsein an und zersetzt dieses. Danach regt es die zerstörten Zellen an, wieder in den Ursprungszustand zurückzukehren. Das heißt, der beschädigte Gedankenschaltkreis wird vollständig wiederhergestellt. Allerdings kann ich nicht genau abschätzen, was es mit dem Körper selbst anstellen wird. Das wird sich bei Sheol und Elion ja noch herausstellen. Zugegeben, das gibt so ein bisschen den bitteren Beigeschmack, dass die beiden quasi Versuchskaninchen waren, aber die Umstände waren eben leider gesondert und erforderten schnelles Handeln.“ Da das Meiste besprochen war und Nastasja noch an Jeremiel einige Untersuchungen durchführen wollte, kehrten die anderen nach Hause zurück.
 

Als L und Beyond wieder zuhause waren, wartete schon Rumiko mit den Zwillingen und unterhielt sich gerade mit Watari. Sie grüßte die beiden mit einer herzlichen Umarmung und fragte natürlich sofort nach. „Und? Wie ist es gelaufen?“ Die beiden hatten es als das Beste angesehen, Rumiko und Jamie erst mal nichts zu erzählen und sie komplett aus der ganzen Sache rauszuhalten, um sie zu beschützen. Und nun, da die Sache eben vorbei war, brannte die Musiklehrerin und Vollblut-Fujoshi eben darauf, alles über die letzten Ereignisse zu erfahren. Natürlich erzählten L und Beyond ihr alles im Detail. Angefangen von den Einbrüchen, über die Identität der Einbrecherin und ihre Ziele und die Konfrontation mit den Proxys und was Projekt AIN SOPH war. Rumiko hörte aufmerksam zu und schwieg die meiste Zeit. Aber als sie hörte, dass die Einbrecherin L’s Mutter war, die aus einer vergangenen Zeitschleife in die Zukunft gereist war, da klappte ihr die Kinnlade auf und sie glotzte die beiden ungläubig an. „Ihr wollt mich jetzt wohl veralbern, oder? Sind wir hier in einem Science-Fiction gelandet oder wie?“

„Es ist mit Evas Hilfe gelungen, eine Art Teleporter zu konstruieren, der L’s Mutter zu uns bringen konnte. Allerdings funktioniert das nur ein Mal, so wie sie uns das erklärt hat und da sie aus einer Zeitschleife stammt, die keine Zukunft hat, muss sie auch nicht zurückkehren. Was wir aber machen müssen wäre, ihr ein wenig unter die Arme zu greifen, damit sie hier in Boston Fuß fassen kann. Wir haben zum Glück schon mit Oliver gesprochen und er wird sich darum kümmern. Auch will er ihr eine neue Identität geben, da die alte ihr nicht ganz zugesagt hat und diese auch nicht zu hundert Prozent abgedeckt war. Sie will sich jetzt Natascha Lawliet nennen.“

„Wieso Natascha?“

„Weil das Mum’s Spitzname war, weil damals die meisten Schwierigkeiten hatten, sich ihren Namen zu merken. Und so hat sie jetzt auch unseren Familiennamen. Sie regt sich ja immer noch über ihren Decknamen Wednesday Weather auf und hat sich immer wieder gefragt, wie Eltern ihre Kinder nur so nennen können. Dabei hat sie ja wohl nicht daran gedacht, dass mein Name gerade mal aus einem einzigen Buchstaben besteht…“ Ja toll, dachte Beyond und sagte dazu nichts. Was soll ich da erst über meinen Namen denken? Manchmal hatte ich ja auch das Gefühl, dass sich meine Eltern keine großartige Mühe gegeben haben. Rumiko zuckte nur mit den Achseln und erklärte „Ungewöhnliche Namen zeugen oft von ungewöhnlichen Menschen und so hebt man ja auch aus der Masse ab. Ich war sowieso immer dagegen, meinen Kindern irgendwelche Trendnamen zu geben. Aber ehrlich gesagt würde ich deine Mutter schon gerne kennen lernen. Vielleicht kommt sie mal demnächst zu Besuch vorbei. Ich hab da übrigens auch schon eine Idee, wie wir ihr im beruflichen Sinne helfen können.“ Nun, da ließ sich L nicht zwei Mal bitten und war natürlich gespannt, was Rumiko für eine Idee hatte. Und die Idee hatte tatsächlich was. „Ich habe noch zu einer ehemaligen Professorin an der Harvard Universität guten Kontakt, da ihr Sohn auch bei mir im Kurs ist. Und sie sagte mir, dass wohl händeringend nach einer Lehrkraft für Medizin und Humanbiologie gesucht wird. Ich könnte deine Mutter empfehlen, wenn sie interessiert wäre. So könnte sie wieder in ihr Fachgebiet einsteigen und sie würde hier in Boston arbeiten.“

„Rumiko, du bist echt nicht mit Gold aufzuwiegen!“ Die Halbjapanerin freute sich natürlich, dass sie helfen konnte und so blieb sie noch eine Weile, um sich auch den Rest des Berichts anzuhören. Und als sie erfahren hatte, was aus den Proxys geworden war, da fragte sie auch sofort „Und was ist mit Elion, der ja in den Fluss gestürzt ist? Was passiert mit ihm?“

„Mum meinte, dass er von alleine zu uns kommen würde und Eva wird dafür sorgen, dass er nichts mehr von Dr. Brown oder den anderen zu befürchten hat. Liam lässt derzeit noch nach ihm suchen aber so wie es aussieht, ist er verschwunden. Was Sheol betrifft, der wird wohl noch eine Weile brauchen um aufzuwachen. Danach wird sich herausstellen, ob er noch eine Gefahr darstellt oder nicht.“

„Und wie geht es deinem Bruder? Er verbringt ja jetzt immer mehr Zeit bei Liam und dass deine Mutter da ist, muss doch für ihn eine ganz schöne Aufregung gewesen sein.“ L musste sich zurückerinnern, als Jeremiel fluchtartig das Wohnzimmer verlassen hatte, als sie mit Nastasja ins Gespräch gekommen waren und wie Liam ihm Mut machen musste, weil der Ärmste einfach nur Angst hatte. Aber es hatte sich ja zum Glück zum Guten gewandt und so wie er mitgekriegt hatte, schienen sich die beiden gut zu verstehen. „Er hatte zuerst Angst gehabt, sie würde ihn nicht als Sohn anerkennen, aber sie hat ihn direkt ins Herz geschlossen und gestern haben sich die beiden auch ziemlich lange unterhalten. Sie will mit ihm auch mal einen Tag verbringen, damit sie sich näher kennen lernen können.“

„Du scheinst ja hingegen mit deiner Mutter ständig anzuecken, mein Lieber“, stichelte Beyond und gab ihm einen Stoß mit dem Ellebogen in die Seite, wobei er amüsiert grinste. „Wie war das noch mal? „Ich mag ja jetzt gerade mal fünf Jahre älter sein als du, aber ich bin immer noch deine Mutter. Also achte gefälligst auf deinen Ton, junger Mann.““ Und Beyond ahmte Nastasja so überzeugend nach, dass Rumiko laut lachen musste und selbst ihre beiden Kinder waren von Beyonds kleiner Schauspielkunst so begeistert, dass sie selbst lachten und ihn mit ihren großen Augen ansahen. L hingegen war da nicht wirklich zum Lachen zumute und wirkte eher ziemlich beleidigt. „Jedenfalls ist die charakteristische Ähnlichkeit bei den beiden unmöglich zu übersehen. Ernsthaft Rumi, wenn du die beiden nebeneinander siehst, dann wirst du denken, die beiden sind Geschwister.“ Damit wandte sich der BB-Mörder wieder dem Detektiv mit den Pandaaugen zu, der immer noch ziemlich schmollte und kniff ihn scherzhaft in die Wange. „Naja, dein Bruder scheint ja wohl eher nach deinem Vater zu kommen, so wie deine Mutter gesagt hat. Wahrscheinlich versteht ihr beiden euch deshalb so gut.“

„Noch ein Wort und es wird gleich zappenduster für dich.“

„Oje, da ist aber jemand eingeschnappt…“ Damit schnappte sich L eines der Sofakissen und knallte es Beyond direkt ins Gesicht. Rumiko sah sich das an und machte sich gar nicht erst die Mühe, dazwischen zu gehen. Bei den beiden Streithähnen war doch eh Hopfen und Malz verloren. So sah sie schweigend mit an, wie sich die beiden die Sofakissen um die Ohren hauten, dann sah sie zu der kleinen Eden, die gar nicht mehr aus dem Lachen herauskam. „Ja, darüber kann man eigentlich nur noch lachen.“ Sie ließ die beiden Streitenden noch eine Weile weitermachen, bis sie dann endlich dazwischen ging und alles mal wieder ins Lot brachte. Schließlich, als es langsam Abend wurde, verabschiedete sie sich, da sie noch das Abendessen kochen musste und die Zwillinge ins Bett gebracht werden mussten. An der Tür redete sie noch kurz ein paar Worte mit Watari und ging dann. Schließlich ließen sich Beyond und L erschöpft auf die Couch fallen und seufzten beide. „Ernsthaft, irgendwie hab ich das Gefühl, als hätte ich die ganze Nacht nicht richtig geschlafen. Ich bin total müde und ausgelaugt.“

„Geht mir auch so. Wird womöglich daran liegen, weil so langsam der Stress nachlässt. Wir hatten ja alle Angst gehabt, dass bei dieser Aktion etwas schief gehen könnte.“

„Aber wie du siehst, ist alles gut gegangen. Ich lebe, Andy lebt und deine Mutter auch, obwohl die ja fast draufgegangen wäre.“ Ja. Wäre Johnny nicht da gewesen, dann hätte sie das nicht überlebt. L hatte wirklich große Angst gehabt, dass er seine Mutter wieder verlieren würde, nachdem sie sich erst vorgestern wieder begegnet waren. Müde lehnte sich der Detektiv an Beyonds Schulter an. Dieser legte einen Arm um ihn und wirkte selbst, als würde er jeden Moment gleich einschlafen. Sie waren vollkommen erschöpft und hatten beide eine unruhige Nacht verbracht. L hatte aus Sorge um seine Mutter nicht ein Auge zumachen können und Beyond fühlte ja natürlich mit ihm und war deshalb auch wach geblieben, um für ihn da sein zu können. „Aber weißt du L, ich finde deine Mutter echt bewundernswert. Ich meine, sie hatte da ein Schwert in der Brust stecken und trotzdem hat sie nicht aufgegeben und weitergekämpft. Entweder ist sie verdammt stark, oder aber sie ist absolut verrückt.“

„Sie ist sowohl stark, als auch verrückt. Sie sieht Verletzungen und Schmerzen für sich selbst als Mittel an, um über sich hinauszuwachsen. Schon damals war sie der Ansicht gewesen, dass ein vernünftiger Mensch seinen Körper auf den gleichen Level halten muss wie seinen Geist. Und da sie schon immer ein sehr energiegeladener Mensch war und solche Arten der Herausforderung liebt, lebt sie auch ein Stück weit für den Kampfsport.“

„Wenn diese Regel für alle gelten würde, dann müssten sämtliche Akademiker Bodybuilder sein. Und stell dir mal einen Nerd mit der Figur von Schwarzenegger in seinen besten Jahren vor. Hey! Stell dir mal vor, ich würde so aussehen.“

Nein danke, das muss ich wirklich nicht haben…“

„Ach komm. Als ob du nicht darauf stehen würdest, wenn ich ein paar Muskeln mehr hätte.“

„Damit du mich beim Sex noch kräftiger anpackst als ohnehin schon? Nein danke!“

„Schön zu hören, dass du mich auch so liebst, mein kleines Pandabärchen. Und ich liebe dich natürlich auch so wie du bist. Muskeln würden dir auch nicht sonderlich stehen.“ Und damit drückte Beyond ihm einen zärtlichen und liebevollen Kuss auf die Wange.

Familienzuwachs

Es vergingen knapp drei Tage, in denen Nastasja nichts von sich hören ließ. Dann aber klingelte eines Tages überraschend an der Tür und als Watari aufmachen ging, da überkam ihn erst einmal der Schreck als da jemand vor ihm stand, der da eigentlich nicht vor ihm stehen sollte. Zuerst glaubte er noch an einen Traum, aber da stand wirklich Nastasja vor ihm. Und sie wirkte so jung und hübsch wie damals, bevor sie getötet worden war. Dem alten Mann kamen die Tränen und er konnte es nicht fassen. „Nastasja, dass ich dich noch einmal sehen darf…“ Er war überwältigt von seinen Gefühlen und schloss sie in den Arm. Sie erwiderte die Umarmung und war auch selbst froh, ihn zu sehen. „Schön, dich wiederzusehen. Mensch, du hast dich aber gut gehalten. Vielen Dank, dass du all die Jahre auf L aufgepasst und dich so gut um ihn gekümmert hast.“ Damit lösten sie sich und sogleich legte die Russin ihren Zeigefinger auf die Lippen, wobei sie ihm verschmitzt zuzwinkerte. „Ich will die anderen überraschen. Also sag jetzt nichts, okay? Ich erkläre alles gleich.“ Watari nickte und steuerte das Wohnzimmer an, wo L und Jeremiel gerade Schach gegeneinander spielten, während Beyond gerade ein Glas Marmelade aß und den beiden zuschaute. Die beiden Lawliet-Zwillinge waren so sehr in ihre Schachpartie vertieft, dass sie rein gar nichts um sich herum bemerkten. Und auch auf Wataris Worte reagierten sie nicht, woraufhin sich Nastasja einer lauten Gaströte bediente, welche die beiden Brüder erschrocken zusammenzucken ließ, dass sie fast die Figuren umwarfen. „Mum, was soll das denn?“ rief L genervt und wandte sich zu ihr um, doch die Russin wirkte mindestens genauso angefressen und verschränkte die Arme. „Was kann ich denn dafür, dass ihr rein gar nichts mitkriegt? Ernsthaft, ihr seid genauso schlimm wie euer Vater. Den musste ich auch jedes Mal auf diese Weise aufscheuchen, weil er sonst rein gar nichts mehr mitgekriegt hätte! Ich bin eigentlich hier, weil ich eine Überraschung dabei habe.“ „Eine Überraschung?“ fragte Jeremiel neugierig, der bei weitem nicht so sauer auf die Aktion seiner Mutter reagierte wie sein jüngerer Bruder. Die Russin nickte und wandte sich zur Tür. „Okay, du kannst reinkommen. Nur keine Angst!“ Zuerst wunderten sie sich, wer das wohl sein könnte und als dann ein Junge hereinkam, der nicht älter als 15 oder 16 Jahre war (oder vielleicht auch etwas jünger) und rotes Haar und goldgelbe Augen hatte, da wussten sie erst mal nicht, wer das denn sein sollte. L runzelte die Stirn und fragte „Und wer ist das?“, Jeremiel hingegen legte ein wenig den Kopf zur Seite und betrachtete den Jungen, der einen etwas nervösen Eindruck machte und ziemlich aufgeregt wirkte. Zugegeben, er erkannte den Jungen nicht wirklich, aber dann beschlich ihn da so ein Gefühl und so fragte er „Ist das etwa… Sheol?“ Nastasja nickte und legte eine Hand auf die Schulter des Jungen, der dem Proxy eigentlich überhaupt nicht mehr ähnlich sah. Nun gut, die Frisur war gleich geblieben, aber ansonsten schien er ein vollkommen anderer Mensch geworden zu sein. L musste zwei Mal hinsehen und konnte es dennoch nicht glauben. Sheol war doch blond und hatte ein rotes und ein blaues Auge gehabt, zudem war er auch größer gewesen und hatte etwas älter gewirkt. Wie zum Teufel konnte er sich denn nur so verändert haben? Nastasja erklärte es ihnen. „Das Serum hat offenbar mehr verändert, als eigentlich beabsichtigt war. Und da er erst im sechsten Monat infiziert worden war, konnte sein Körper wieder die Erscheinung annehmen, die er gehabt hätte, wenn er als normaler Mensch aufgewachsen wäre. Also darf ich euch vorstellen? Das ist Sheol Lawliet, mein Adoptivsohn.“

„Hallo Leute, schön euch kennen zu lernen!“ grüßte er gut gelaunt und lächelte, wirkte aber dennoch ein klein wenig nervös. L und Beyond sahen sich vollkommen verwundert an, denn sie hatten ja mit einigem gerechnet, aber nicht damit, dass Sheol derart verändert aussehen würde. Und sogleich fragte der Serienmörder auch „Ist er kleiner geworden?“ Nastasja nickte erklärte „Ja, um ganze fünfzehn Zentimeter. War leider auch ein äußerst schmerzhafter Prozess für ihn und ich hab auch erst ziemlich dumm geguckt, als er plötzlich mit 1,60m Größe und roten Haaren vor mir stand und mich „Mum“ nannte. Aber ihr müsst doch zugeben, dass er herzallerliebst aussieht.“ Damit wuschelte sie ihm durchs Haar, was Sheol aber wohl nicht ganz so gefiel und er versuchte sich da irgendwie wegzuducken. „Mum, ich bin doch kein kleines Kind!“

„Kannst du dich an irgendetwas erinnern?“ fragte Jeremiel, der als erster diese Überraschung verarbeitet hatte. Sheol richtete erst mal wieder seine Haare, die Nastasja durcheinandergebracht hatte und erklärte „Ehrlich gesagt erinnere ich mich nicht sehr gut. Ich weiß nur, dass ich an einem ziemlich dunklen Ort gelebt habe und dass es nirgendwo Fenster gab. Und immer, wenn ich mich zu erinnern versuche, bekomme ich Angst. Aber ich weiß, dass Mum mich und meinen Bruder Elion oft besuchen kam und dass Sariel auch oft kam, um mit mir zu reden. Und ich kann mich an Stimmen erinnern, die ständig in meinem Kopf auf mich eingeredet haben, dass ich irgendetwas machen soll. Aber jetzt… jetzt höre ich sie nicht mehr.“

„Er kann sich an die letzten zwanzig Jahre überhaupt nicht mehr erinnern“, erklärte Nastasja und legte wieder eine Hand auf Sheols Schulter. „Und ehrlich gesagt ist das auch ganz gut so, wenn er sich nicht erinnert, was dort alles geschehen ist.“ Sheol ging nun näher zu den drei hin, betrachtete neugierig das Schachbrett und begann dann kurzerhand die Figuren zu ziehen. Und nach knapp drei Zügen hatte er L’s König Schachmatt gesetzt. „Das nennt man wohl Schachmatt, oder?“ L musste genauer hinsehen, aber tatsächlich. Dieser Bengel hatte ihn tatsächlich geschlagen. Beyond selbst, der bislang fast nie eine Partie gegen seinen ehemaligen Erzfeind gewinnen konnte, grinste natürlich und hatte sichtlich Spaß. „Da siehst du es: jetzt ist es nicht mehr nur der alte Tattergreis, der dich haushoch schlägt. Jetzt schafft das sogar der Knirps hier.“

„Das war Glück, weil Jeremiel vorgearbeitet hat“, grummelte L, der eben ein schlechter Verlierer war. Sheol zuckte nur mit den Achseln und meinte „Wir könnten auch von vorn anfangen und dann sehen, ob es Glück war.“

„Ja L, versuch’s doch mal. Dann können wir ja sehen, ob dich der Zwerg schlagen kann.“

„Ich bin kein Zwerg, nur weil ich jetzt 15cm kleiner bin!“

„Trotzdem wirkst du mit der kümmerlichen Größe irgendwie niedlich…“

„Mum!“

„Beyond, hör auf ihn zu ärgern. Für seine Größe kann man nichts. Aber dass er niedlich aussieht, kann ich leider nicht abstreiten.“ Sheol stöhnte auf und schlug sich die Hand vor die Stirn. Dass er jetzt auch noch zu hören bekam, dass er „niedlich“ aussah, war natürlich ein absoluter Genickschuss für ihn. Mensch, Jungs in seinem Alter sahen ganz gewiss nicht niedlich aus und diese Körpergröße hatte er ganz sicher nicht gewollt. Natürlich hatte er schon direkt nachgefragt, ob es irgendeine Wunderdroge gab, die einen größer machte, aber nein. Seine Adoptivmutter hatte gesagt, dass es erstens keine solchen Wundermittel gäbe und zweitens ließen sich nicht alle Probleme mit Medikamenten lösen. „Und was genau hast du jetzt mit ihm vor?“ fragte L schließlich und überging Beyonds Stichelei bezüglich Sheols Körpergröße und wandte sich an seine Mutter. Und ihr Blick verriet, dass sie sich schon Gedanken gemacht hatte. „Nun, da er offensichtlich menschlich geworden ist, wird er natürlich genauso leben müssen wie alle anderen Kinder. Deshalb wird er auch zur Schule gehen.“

„Darauf kann ich verzichten…“

„Du gehst zur Schule, junger Mann und damit basta. Oliver war schon so nett und hat alles für dich geregelt, damit es keine Probleme gibt. Glaub bloß nicht, dass du eine Extrawurst kriegst!“ Alles Beschweren und Protestieren half nichts. Nastasja hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass Sheol auf die High School ging und ein vernünftiges Leben führte. „Es reicht ja schon, wenn meine Söhne keine richtigen Schulabschlüsse haben. Jeremiel mache ich ja keinen Vorwurf aber du L, du hättest doch zumindest studieren können.“

„Müssen wir das hier jetzt vor den anderen ausdiskutieren?“

„Ich sag es ja nur. Schön und gut dass ihr alle hochbegabt seid, aber streng genommen sind Beyond und Rumiko die Einzigen, die auch wirklich studiert haben und Rumiko und ihr Mann sind die Einzigen mit einem richtigen Job. Bei Oliver bin ich mir nicht mal sicher, als was er überhaupt arbeitet, wenn er überhaupt arbeiten geht…“ Sheol warf L einen mitfühlenden Blick zu und verzog die Mundwinkel zu einem Scheiße-gelaufen-oder?-Lächeln. „Manchmal ist es echt hart mit ihr, ne?“ „Das habe ich gehört!“ Und damit zog Nastasja ihm am Ohr. „Und glaub mir, meine Ohren funktionieren sehr gut!“

„Steht das nicht irgendwo in der Verfassung, dass man das Recht auf freie Meinungsäußerung hat?“

„Nicht da, wo ich aufgewachsen bin.“ Watari kam schließlich mit dem Tee. Da Sheol mit so etwas gar nichts anfangen konnte, begnügte er sich mit einer Limonade. Als sie nun so zusammen saßen, erzählte Nastasja von den Untersuchungen und was diese bei Sheol und Jeremiel ergeben hatten. „Also was Jeremiel angeht, so scheint er lediglich über den Ortungssinn zu verfügen und weist ansonsten keine Anomalien auf. Deshalb würde ich es gerne so lassen wie es ist und ihm nicht das Serum spritzen. Was Sheol betrifft, so hat es viel besser angeschlagen, als ich zuerst erwartet habe. Nicht nur die Farbe seiner Haare hat sich verändert, auch die externen Nervenstränge sind abgestorben, sodass er auch kein Schmerzempfinden mehr in seinen Haaren hat. Und auch die Zirbeldrüse hat sich wieder zurückgebildet.“

„Irgendwie klingt das ziemlich eklig…“, murmelte Sheol als er das hörte, doch seine Adoptivmutter lachte nur und erklärte „Die Zirbeldrüse ist für die Alterung zuständig. Jedenfalls haben wir ihn gründlich untersucht und festgestellt, dass sich auch sämtliche Hirnverkrümmungen und –veränderungen zurückgebildet haben. Das Einzige, was Sheol womöglich für den Rest seines Lebens zurückbehalten wird ist… aaaaaaah!!!“ Ohne jegliche Vorwarnung begann Nastasja laut zu kreischen und klammerte sich an Watari fest und reagierte völlig hysterisch. Sie schrie wie am Spieß und rief immer wieder „Mach sie weg, mach sie weg!!!“ Es dauerte aber, bis man die Ursache für ihr Gekreische gefunden hatte und das war eine Schnake, die sich durch das offene Fenster hineinverirrt hatte und nun seelenruhig durch die Gegend schwirrte. Für Beyond und die anderen nichts Dramatisches, aber für Nastasja der absolute Horror und man hätte meinen können, das Tier wäre glatt so groß wie ein Kinderkopf. Sie konnte sich gar nicht mehr einkriegen und würde es wohl auch nicht, bis das Monstrum endlich weg war. Sheol machte sich als Erster ans Werk und als sich das Tier auf den Tisch niedergelassen hatte, schlug er mit der Faust darauf. In dem Moment krachte auch der Tisch zusammen und alles andere fiel ebenfalls runter. Erschrocken wich er zurück und man sah ihm an, dass er das so nicht beabsichtigt hatte. Beyond starrte den Tisch, den der Junge zu Kleinholz verarbeitet hatte, mit offenem Mund an und wandte sich an Nastasja, die von der Bescherung auch nicht so ganz begeistert war. „Mit was fütterst du den Knirps denn? Mit Steroiden?“

„Das ist das kleine Problemchen, auf das ich ansprechen wollte…“ Sie begannen nun gemeinsam damit, das Chaos zu beseitigen, das Sheol versehentlich angerichtet hatte und dabei erklärte die Russin das Ganze. Wie sich herausstellte, hatte das Serum Sheols Aussehen verändert und auch sein Körper war weitestgehend wieder normal menschlich, allerdings hatte es nicht alles beheben können. Tatsächlich wies Sheol eine extrem hohe Ausdauer und Belastbarkeit auf und war in der Lage, kurzfristig seine physischen Kräfte drastisch zu erhöhen, da sein Hirn immer noch eine deutlich höhere Leistung erzielte. Dadurch wurden die Muskeln kurzfristig sehr stark angeregt und auch mehr Adrenalin ausgeschüttet als bei normalen Menschen. „Er kann zwar einiges aushalten, aber wenn die Belastung zu groß wird, kann er körperliche Schäden davontragen. Knochenbrüche, Muskel- und Sehnenrisse oder auch Blutungen. Deshalb muss er noch lernen, das besser unter Kontrolle zu bekommen und mehr auf sich selbst zu achten.“

„Tut mir Leid wegen dem Tisch“, sagte der etwas klein geratene Junge und ihm war anzusehen, dass ihm das wirklich leid tat. „Das war ein Versehen. Ich wollte doch nur das Vieh platt machen damit Mum nicht mehr so herumkreischen muss.“

„Kein Problem“, erwiderte der Serienmörder und begann nun die Trümmer des Tisches wegzuräumen. „L und ich haben auch schon mal die Couch geschrottet, als wir es ein bisschen zu wild ge…“ „Musst du das hier vor meiner Mutter, meinem älteren Zwillingsbruder und meinem jetzigen Adoptivbruder erzählen? Als ob dieser Vorfall nicht schon peinlich genug wäre!“ Sheol sah abwechselnd zu den beiden und brauchte einen Moment um zu realisieren, auf was Beyond da ansprechen wollte. Und als er es dann geschnallt hatte, da verzog er das Gesicht und rief „Nee, ich will lieber keine Details hören, sonst wird mir noch schlecht…“ Und sofort fing er sich einen strafenden Klaps auf den Rücken ein, woraufhin Nastasja sich hinkniete um die heruntergefallenen Schachfiguren aufzusammeln. „Es ist nun wirklich nichts falsch daran, wenn zwei Männer zusammen sind, Sheol.“

„Ich sag ja auch nichts dagegen, aber trotzdem muss ich keine Details wissen.“ Na dann wird er mit Rumiko ja noch seinen Spaß haben, wenn die wieder mit ihrem Yaoi-Fimmel ankommt. In dem Fall wird der Zwerg noch Kopfkino haben, bis er aus der Pubertät raus ist. Nachdem das Chaos beseitigt worden war, kamen Rumiko und Jamie zu Besuch vorbei, die die Zwillinge wie immer mit dabei hatten. Sogleich grüßten sie den Neuzuwachs der Familie, indem Rumiko Nastasja eine freundschaftliche Umarmung gab und natürlich auch nicht widerstehen konnte zu bemerken, dass Sheol irgendwie niedlich aussah. Tatsächlich war der Ärmste mit seinen mickrigen 1,60m jetzt der Kleinste und wirkte eigentlich sogar noch jünger als 16 Jahre, was ihn sichtlich nervte. Schließlich aber widmete sich Nastasjas persönliches Augenmerk besonders auf die zwei Monate alten Zwillinge. Ja da blühte ihr Mutterherz auf und sie war völlig hingerissen von den zwei. „Mein Gott sind die süß!“ rief sie und musste dann natürlich mit dem kleinen Faith reden, der fröhlich gluckste und seine Händchen nach ihr ausstreckte. „Sind das eineiige Zwillinge?“ „Ja, unsere Tochter heißt Eden und unser Sohn Faith. Faith ist knapp drei Minuten älter.“

„Das ist ja aber auch sehr selten, dass eineiige Zwillinge verschiedene Geschlechter entwickeln. Aber meinen herzlichsten Glückwunsch zu diesen zwei kleinen Engelchen. Ach Mensch das erinnert mich daran, als ich L damals das erste Mal im Arm gehalten hatte als er auf der Welt war. Es war zwar eine unglaubliche Tortur gewesen und ich hab mich ernsthaft gefragt, welche normale Frau ein Kind so zur Welt bringen soll, aber wenn man ein so süßes kleines Baby im Arm hält, dann ist das sofort wieder vergessen.“

„Ja das stimmt.“

„Ruby hat bei der Geburt der Kleinen das ganze Zimmer zusammengeschrieen und auf Japanisch irgendetwas gesagt, von dem ich glaube, dass sie geflucht hat.“ Als die Russin das hörte, musste sie lachen und erzählte, dass es bei ihr nicht anders gewesen war, als sie L zur Welt gebracht hatte. Nur mit dem Unterschied, dass sie die Hand ihres Mannes so zusammengedrückt hatte, dass er sich eine Verstauchung zugezogen hatte und sie gut fünf Tage nicht mehr richtig bewegen konnte. Im Wohnzimmer wurde es langsam richtig lebhaft und für Sheol, der mit diesen ganzen Gesprächsthemen nicht wirklich etwas anfangen konnte, langsam etwas zu anstrengend. Also zog er sich in die Küche zurück, wo es zum Glück ruhiger war und sogleich legte er den Kopf auf der Tischplatte ab. Er war immer ziemlich erledigt und wusste nicht mal wieso. Sein Kopf schmerzte noch etwas und dieses ganze Durcheinander und dieser Lärm waren noch etwas viel für ihn. Und wahrscheinlich würde es auch noch eine Weile dauern. Zwar erinnerte er sich an kaum etwas aus seiner Vergangenheit, aber er wusste, dass er vorher nicht wirklich viel unter Menschen gewesen und deshalb auch so etwas nicht gewohnt war. Und er war auch echt nervös gewesen als Nastasja ihm sagte, sie würde ihn der Familie als neues Mitglied vorstellen. Nachdem er aufgeschnappt hatte, wie sie auf Jeremiel reagiert hatten, da hatte er zuerst richtig Schiss gehabt und sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Aber seine Adoptivmutter hatte stattdessen ihren eigenen Dickkopf durchgesetzt und ihm auch versprochen, für ihn da zu sein. Und glücklicherweise war alles gut gelaufen. L und Beyond hatten ihn akzeptiert und es hatte auch kein Theater gegeben. Offenbar hat Mum doch Recht und meine geringe Körpergröße gibt tatsächlich Bonuspunkte. So ein Scheiß, warum nur musste ich denn bitteschön um ganze 15cm einschrumpfen? Na hoffentlich krieg ich noch mal irgendwie einen verspäteten Wachstumsschub oder so. Warum müssen die anderen auch alle so verdammt groß sein? Als ob Liam mit seinen zwei Metern nicht schon riesig wäre, nein selbst diese Rumiko ist so verdammt groß. Was auch immer die nehmen, ich will auch was davon haben. Hoffentlich wirkt das Serum nicht nach und ich schrumpfe hinterher noch zu einem Siebenjährigen herunter… „Ziemlich laut da drüben, oder?“ Sheol blickte auf und sah, dass es L war, der wohl nachsehen wollte, ob alles in Ordnung war. Er setzte sich auf die Bank gegenüber von ihm hin und nahm wie immer seine gewohnte Sitzhaltung ein. „Ich habe auch erst eine Zeit lang gebraucht, um mich an diesen Zustand zu gewöhnen. Die Jahre davor war ich auch recht alleine und habe nicht viel mit Menschen zu tun gehabt und wenn, dann war es immer geschäftlich gewesen.“

„Ich komme mit dem Lärm noch nicht so gut klar. Wenn alle so durcheinander sprechen, dann hab ich das Gefühl, unruhig zu werden und ich kriege dann so einen komischen Juckreiz. Mum meinte, dass das noch eine alte Angewohnheit wäre und der Juckreiz psychosomatisch bedingt ist. Sie sagte auch, dass das bald nachlassen würde, aber ehrlich gesagt habe ich da so meine Zweifel.“ Sheol stützte seinen Kopf auf der Handfläche ab und versuchte den Juckreiz an seinem Hals zu ignorieren. Er würde schon bald weggehen, trotzdem war es sehr unangenehm. Fast schon wie ein Mückenstich. „Keine Sorge, das bessert sich wirklich. Jeremiel war in einer ähnlichen Lage und hat enorme Schwierigkeiten gehabt, Gefühle zu verstehen. Aber inzwischen kommt er sehr gut zurecht und ist nicht mehr wiederzuerkennen. Setz dich einfach nicht zu sehr unter Druck und lass den Dingen ihre Zeit.“

„Du klingst echt wie Mum. Ehrlich gesagt hatte ich ziemlich Schiss gehabt, herzukommen nachdem ich von Delta und Johnny aufgeschnappt habe, was los war als Jeremiel hier vor der Tür stand. Ich dachte zuerst, Beyond würde mir auch noch versuchen, den Kopf abzureißen.“

„Das waren ja auch ganz andere Umstände“, erklärte L und begann nun damit, einen Zuckerwürfelturm zu bauen. „Zuvor war Jeremiel ein sehr gefährlicher Mensch gewesen, der insbesondere Beyond schlimme Dinge angetan hat, unter denen er auch sehr gelitten hat. Aber da wir dich kaum kennen und auch wissen, dass du zu all diesen Sachen gezwungen wurdest, können wir dir auch auf einer ganz anderen Ebene begegnen. Außerdem haben wir schon mit Jeremiel die Erfahrung gemacht, dass er danach ein viel besserer Mensch war und er wunderbar in die Familie integriert werden konnte.“

„Ja schön und gut, aber…“ Hierbei senkte Sheol den Blick und wirkte ein wenig bedrückt. „Ich… ich bin Schuld, dass deine Eltern getötet wurden. Joseph Brown und diese „Mutter“ haben mir aufgetragen, euch zu töten. Ich kann mich zwar nicht an alles erinnern, aber da waren Stimmen in meinem Kopf, die mir gesagt haben, ich solle das tun. Ich habe sehr viele Menschen getötet und insbesondere Elion und Sariel schlimme Dinge angetan.“

„Dafür kannst du nichts“, sagte L und nahm von der Spitze des Turmes einen Zuckerwürfel und schob sich diesen in den Mund. „Der Alpha-Proxy besitzt die Macht, die anderen Proxys zu befehligen und dass du wegen diesem Unborn in deinem Körper unter Schizophrenie gelitten hast, wissen wir alle. Sie haben dich jahrelang gefoltert und eingesperrt, da macht dir keiner einen Vorwurf, dass du das nicht mehr ausgehalten hast. Wenn Mum dir keine Vorwürfe macht, dass du sie und Dad getötet hast, dann mache dir genauso wenig Vorwürfe. Und glaub mir, diese Familie ist eh schon ein total bunter Haufen. Da macht es auch keinen Unterschied, wer oder was du bist. Ein Bekannter pflegte zu sagen „Es sind nicht unsere Fähigkeiten, unsere Herkunft oder die Umstände unserer Geburt, die uns sagen, wer wir wirklich sind. Es sind allein die Entscheidungen, die wir treffen.“ Ich mag zwar mit Liams Geschäftsmethoden nicht so wirklich übereinstimmen, aber in der Hinsicht hat er ganz eindeutig Recht. Und da Mum offenbar davon überzeugt ist, dass mit dir alles wieder in Ordnung ist, werden wir natürlich helfen und dieser Entscheidung auch nicht im Weg stehen. Zwar ist das alles noch eine recht neue Situation für mich, aber ich denke, dass ich mich an den Gedanken ganz gut gewöhnen kann, einen Adoptivbruder zu haben. Wenn sich der Trubel nachher gelegt hat, dann können wir gerne mal eine Partie Schach spielen. Aber nur, wenn du mir den Tisch heil lässt.“

„Klar, kann ich gerne machen… großer Bruder.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Da meine Prologs oft Rückblenden aus der Vergangenheit sind und viele mit Frederica oder Andrew zu tun hatten, wollte ich unbedingt mal zeigen, wie die Beziehung zwischen L’s und Jeremiels Eltern begann. Und dabei wollte ich auch zeigen, wie Nastasja in ihren jungen Jahren so war, bevor Henry in ihr Leben trag: temperamentvoll, sehr willensstark, extrem dickköpfig und eigenwillig. Ein absolutes Original, das kaum einer zähmen kann. Außer vielleicht der ruhige und etwas schüchterne Henry, der später in der Lage war, Nastasja ein wenig mehr zur Ruhe zu bringen. Die beiden sind ein süßes Paar und ich liebe vor allem Nastasja. Vor allem mag ich ihre Denkweisen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Idee mit dem Unborn-Phänomen stammt aus einer Creepypasta, die ich mal angefangen, aber nie fertig geschrieben hatte. Das war die Geschichte von Kian McKee. Inspiriert wurde ich dabei von einer Dr. House Folge, in der ein Junge von Außerirdischen halluziniert und Schuld daran war ein unterentwickelter Zwilling in seinem Gehirn. Und da es tatsächlich Parasiten gibt, die ihren Wirt steuern können, baute ich die Idee weiter aus. Es fehlte nur noch ein Name. Als ich dann Myuu’s selbst komponierten Song „Unborn’s Lullaby“ hörte, war die Idee fertig und sie hatte genug Potential, um auch in die Last Desire Reihe aufgenommen zu werden. Denn es existieren ja auch sehr viele Parallelen zu den Unvergänglichen!

Ach ja, ich liebe Nastasja, hab ich das schon gesagt? Ich liebe ihre herzensgute aber dennoch auch sehr temperamentvolle und sture Art. Ihre liebevolle Seite hab ich von früheren Death Note FFs übernommen, wo statt Nastasja Alice Wammy die „Mutter“ für L, Beyond und Andrew war. Sie opferte schließlich ihr Leben, um die drei zu beschützen, indem sie Selbstmord beging. Auch Nastasja ist in der Hinsicht sehr selbstlos und lässt sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen wenn sie glaubt, dadurch Leben beschützen zu können. Ihr Temperament hingegen stammt ein klein wenig von Christine Cunnings, ebenfalls eine Creepypasta Figur, die auch gerne mal die Fäuste sprechen lässt und eine absolute Draufgängerin ist. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Namen Ain Soph und Ajin Gamur sowie die Idee mit den Sefirot (bitte nicht mit Sephiroth aus FFVII verwechseln!!!) stammen tatsächlich aus der kabbalistischen Lehre. Ehrlich gesagt finde ich diese Vorstellung von einem Gotteswesen viel besser nachzuvollziehen als in allen anderen Religionen. Ain Soph und Ajin Gamur können genauso gut als Zustand angesehen werden und nicht als ein Wesen, das spricht und denkt. Demnach wäre zum Beispiel der Gott, an den wir Christen glauben, selbst nur von einem höheren Wesen erschaffen worden, das jenseits unseres Fassungsvermögens gibt. Also ist Gott dann auch nur ein „Bindeglied“ zwischen der Unendlichkeit und unserer vergänglichen und beschränkten Welt. Ehrlich gesagt gefällt mir diese Theorie viel eher und da sich das auch so gut mit den Unvergänglichen vereinbaren ließ, habe ich mich da mal mehr im Internet schlau gemacht und mehr über diese Lehre recherchiert. Ich hoffe, ich hab es für euch verständlich genug beschrieben. Das Ganze ist eben ziemlich kompliziert. Wer Fragen hat, kann sie gerne in einem Kommentar stellen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ja, die Familie hat nun neuen Zuwachs bekommen. Sheol ist nun offiziell ein Mitglied der Familie Lawliet und damit könnte man von einem Happy End sprechen. Alle sind glücklich bis an ihr Lebensende und L schafft es, den bösen Alpha-Proxy aufzuhalten. Blabla, alle haben sich lieb und fertig. Zumindest wäre da so, wenn es da nicht noch ein Problem gäbe: Elion ist verschwunden und sie brauchen ihn, um Frederica wiederzubeleben! Deshalb wird im nächsten Teil Elions weiterer Verlauf beschrieben und wer sein Retter sein wird, der ihn aus dem Fluss gezogen hat.

Ich hoffe, euch hat der neunte Teil gefallen und ihr seid mir nicht böse, dass ich Sheols Aussehen geändert und ihn nicht „getötet“ habe, nachdem er vor 20 Jahren L’s und Jeremiels Eltern umgebracht hat. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (23)
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Von:  San-Jul
2014-12-20T13:02:32+00:00 20.12.2014 14:02
Oh, wie süß, eine große Familie. Schön, dass Sheol und Elion wieder "menschlich" sind. Es ist schade, das sariel gestorben ist. Aber das Nastasja da ist, war echt eine geniale Idee.
Lg San- Jul
Antwort von:  Sky-
20.12.2014 14:21
Oh dankeschön-^^-
Nun, was Elion betrifft... ob der tatsächlich wieder vollständig menschlich geworden ist, findet man im nächsten Teil raus. Aber freut mich, dass dir die Idee gefallen hat.
Von:  pri_fairy
2014-12-03T21:56:48+00:00 03.12.2014 22:56
schönes Kapitel !:)
es werden wirklich immer mehr Mitglieder in dieser Familie !*-* das ist so schön :)
zu sehen wie sie sich alle verändern durch und mit den anderen :)
Antwort von:  Sky-
03.12.2014 22:58
Oh ja und Sheol wird auch nicht der letzte sein. Das wird noch mal ne richtige Großfamilie -^^-
Von:  pri_fairy
2014-12-03T21:44:33+00:00 03.12.2014 22:44
super Kapitel aber auch recht kompliziert !:)
da hast du sicher viel Arbeit rein gesteckt :)
Antwort von:  Sky-
03.12.2014 22:49
Aber es lohnt sich auch. Ich will doch der Death Note Serie gerecht werden, die ist doch an sich schon kompliziert genug ;-)
Von: abgemeldet
2014-12-03T19:34:09+00:00 03.12.2014 20:34
Wow ein schönes Kapitel ^-^
Von: abgemeldet
2014-12-03T19:16:17+00:00 03.12.2014 20:16
Das Kapitel war klasse :3
Von:  pri_fairy
2014-12-03T15:08:40+00:00 03.12.2014 16:08
oh was für ein süßes Kapitel!^^
ich freu mich so für Jeremiel !:)
Von: abgemeldet
2014-12-03T15:05:26+00:00 03.12.2014 16:05
Ein wunderbares Kapitel^^
Von:  pri_fairy
2014-12-03T14:57:21+00:00 03.12.2014 15:57
Schönes Kapitel !:)
Antwort von:  pri_fairy
03.12.2014 15:58
auch wenn Sie jetzt gestorben ist :(
Von:  pri_fairy
2014-12-03T14:56:53+00:00 03.12.2014 15:56
cooles Kapitel :)
ich hatte richtig Angst das sie jetzt auch noch stirb :/
Von: abgemeldet
2014-12-02T18:46:22+00:00 02.12.2014 19:46
Ein klasse Kapitel.
nur Schade um Sariel =( das ist schon traurig. *sad*
Hoffentlich gibt es noch ein happy End.


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