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Die Begegnung

von

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Einbruch der Nacht

Heißer Atem im Nacken.

Seisyll fuhr herum. Nichts.

Hektisch zuckte sein Blick durch die Schatten des Unterholzes, doch der einzige heiße Atem in der Umgebung war sein eigener. Und doch spürte er eine Präsenz. Die Präsenz.

Seit Tagen wurde dieses Gefühl immer stärker und stärker, doch abgesehen von den Albträumen war nichts gekommen. Es konnte nicht sein. Irgendetwas musste er übersehen.

"Quin?"

Seisyll zuckte vom plötzlichen Laut seiner eigenen Stimme zusammen. Etwas von der Spannung fiel von ihm ab, als er sich bemühte, nicht über sich selbst zu lachen. Er war so ein elender Feigling!

"Quinten!", flüsterte er in den Wald hinein.

Die Schatten regten sich, ein sanfter Wind raschelte in den Blättern, aber sonst tat sich nichts. Sein großer Bruder war nicht in der Nähe. Vielleicht wollte er ihn aber nur erschrecken... Würde ihm ähnlich sehen. Egal wie ernst die Lage war, Quin würde das ganze Heer verraten nur um Seisyll, dem sechsten der acht Brüder, ein bisschen Angst einzujagen...

Er hoffte nur, dass es nicht einer seiner anderen Brüder war, die ihm aus dem Totenreich einen Besuch abstatteten. Seisyll vertrieb den Gedanken und drehte sich wieder um. Er musste weiter. Ein letzter Blick über die Schulter verriet ihm, dass auch keine Wesen anwesend waren, die man nur aus dem Augenwinkel sehen konnte. Was war das nur...?
 

So leise wie möglich bahnte er sich seinen Weg durch Hecken und Dorngestrüpp. Will heißen: Es krachte und knackte bei jeder Bewegung. Seisyll war ein fähiger Späher, deswegen war er hier, deswegen war er immer noch am Leben, aber wenn das Gelände nicht bald leichter wurde musste er umkehren... Gerade als er sich fast dazu entschließen wollte, hörte er ein leises, zitterndes Hauchen: "Wo bist du, Seisyll...?"

Stocksteif blieb Seisyll stehen und lauschte. Woher war das gekommen?

"...Lass mich nicht allein, kleiner Bruder..."

Quin!

Seisyll hielt den Atem an und lauschte angestrengt, aber kein weiteres Geräusch war zu hören. Etwas in der Stimme seines Bruders hatte ihn noch mehr alamiert als seine Worte. Er war schwach. Er brauchte Hilfe. Aber was, wenn es eine Falle war? Die Schatten waren dicht hier im Wald.

Zügig ließ er seinen Blick über das Gestrüpp zwischen ihm und der Stimme seines Bruders schweifen. Er plante ein paar Wege, dann gab er auf. Es war unmöglich, schnell und leise zu ihm zu gelangen. Nach kurzem Zögern entschied sich Seisyll für schnell. Er wusste, dass es ein Fehler war. Er wusste auch, dass es ihn das Leben kosten könnte, wenn es ein Fehler war. Aber etwas in der Stimme seines großen Bruders jagte es ihm kalt den Rücken runter.

Eilig krachte er durchs Unterholz, duckte sich unter Zweigen weg und kletterte über einen umgestürzten Baumstamm, dann stand er am Rand einer Lichtung. Da war Quin. Sie sahen sich an.

Seisyll seufzte erleichtert. Als die Anspannung von ihm abfiel, wurde er wütend. Während er sich durch den letzten Brombeerstrauch arbeitete, zischte er ihm leise zu: "Quin, lass den Blödsinn verdammt! Du hast mir eine wahnsinnige Angst eingejagt. Ich dachte schon, dir ist was passiert! Du kannst dich ruhig darüber lustig machen, ha ha, dummer übervorsichtiger kleiner Sei... Ja, komm, tu dir keinen Zwang an, du kannst aufstehen!"

Seisyll zog die letzten Dornen einen anhänglichen Zweiges aus seinem Ärmel. Quin trieb es mal wieder viel zu weit. Zornig holte er Luft, um seinem Bruder die Meinung zu geigen.

Da geronn ihm das Blut in den Adern.

Quin lag immer noch in der Mitte der Lichtung, unbewegt. Der Kopf war zur Seite gerollt, die offenen Augen starrten zum Unterholz, durch das Seisyll sich gekämpft hatte. Hatte. Der Blick seines Bruders traf ihn nicht, sondern stierte knapp an ihm vorbei.

"...Quin?"

Ratschend riss ein Dornenzweig an seinem Hosenbein, als er panisch zu seinem Bruder sprintete.

"QUINTEN!"

Kein Blut, keine Verletzungen. Die Haut war warm.

"Lass den Blödsinn!! DAS IST NICHT MEHR LUSTIG!!"

Der Kopf rollte kraftlos hin und her, als er Quin schüttelte. Die toten Augen starrten blicklos geradeaus.

"...Quinten!"
 

Da war er wieder. Der heiße Atem. So nah, dass ihn die Nüstern hätten berühren müssen.

Es war ihm egal.

Das war ein Fehler.

Seisyll spürte, wie die Präsenz in ihn schlüpfte. Anders konnte er dieses Gefühl nicht beschreiben. Etwas zog sich seinen Körper an wie ein Hemd. Immer häufiger hätte er in letzter Zeit schwören können, dass die Schatten seine Haut striffen. Jedes mal hatte er alamiert seine Wachsamkeit erhöht, jedes mal war das Gefühl verschwunden. Nun prickelte ein fremder Wille in seinen Muskeln und es war ihm egal.

Wie im Traum erhob er sich. Er starrte auf den fremd wirkenden Körper hinab. Langsam drehte er den Kopf zur Seite und traf den Blick der Bäume. Ein humorloses Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.

Natürlich. Sie waren alle gekommen.

Wer war gekommen? Seisyll konnte sich diese Frage nicht beantworten. Doch nur ein kleiner Teil von ihm fand das merkwürdig. Der Rest versuchte sich einzureden, dass das alles nur ein weiterer Albtraum war.

So sicher wie er vorhin im Wald den Atem im Nacken gespürt hatte, meinte er nun ein Lachen zu hören. Gleichzeitig war er davon überzeugt, dass seine Ohren nichts dergleichen wahrnahmen.

Ein Albtraum also. Nur wo war der Alb?



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2014-01-13T07:35:46+00:00 13.01.2014 08:35
Kommentarfieber

Guten Morgen Nellas.

Da bin ich auch mal wieder. Ich hab ein wenig getrödelt, aber was soll's? :D

Deine Beschreibung sagt wieder kurz und knapp über die Geschichte aus. Mein weiß worum es geht, bekommt noch ein paar Zusatzinfos (wobei ich gerne gewusst hätte, zu welcher größeren Handlung die Geschichte gehört) und das war es auch schon. Du bist das beste Beispiel für "Weniger ist manchmal mehr." Das finde ich gut.

Zur Geschichte:

Dein Schreibstil ist wieder einmalig klasse. Ich kann mich nur wiederholen. Auch hier hast du deine Worte wunderbar eingesetzt und kannst den Leser zum Lesen animieren. Es gibt einen roten Faden durch dein Kapitel und es ist furchtbar spannend.

Man kann alle Gefühle des Protagonisten nachvollziehen und kann dessen Angst spüren. Als ich dann auch noch von ungewöhnlichen Wesen bzw. Schatten gelesen habe, lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich bin immerhin ein echter Schisser. Für den Film "The Unborn" brauchte ich 6 Stunden (!!), weil ich ständig auf die Pause gedrückt habe. :D
Dein Kapitel habe ich aber viel schneller durchgelesen, weil es mich tatsächlich mitgerissen hat. Ich wollte wissen, was Quinten anstellt, und ob man ihn ausschellen muss.

Was mich nun besonders interessiert ist: Woran ist Quinten gestorben bzw wer hat ihn umgebracht? und Wer zur Hölle steigt da in Seisylls Körper UND Geist? (Ich denke wirklich, dass du das mit deinem vorletzten Satz gemeint hast?)
Und da ist es wieder... Der Schauer, der über meinen Rücken kriecht.

Liebe Schreibziehergrüße.
Frühlingsliebe ❤
Von: abgemeldet
2014-01-07T18:30:54+00:00 07.01.2014 19:30
~ Kommentarfieber ~

Hallo.
Deine Kurzbeschreibung verspricht mir Spannung. Da will ich doch mal schauen, ob sie es bricht oder es halten wird. ^^

Der erste Abschnitt deines Prologs ist gut ausformuliert. Der Leser erfährt einiges auf einmal, Fakten und Hintergründe, aber auch, dass es noch "mehr" gibt - Wesen zum Beispiel.
In mir weckt das Neugierde.

Will heißen: Es krachte und knackte bei jeder Bewegung.
Ein Schmunzeln kann ich mir hier nicht verkneifen. Ich mag es, wenn ein Text mit einer Prise Humor serviert wird.

Zu den Namen muss ich ja nichts mehr sagen. Ich bin neugierig, wie es weitergeht - und höre mir jetzt erstmal das Lied zum Kapitel an. Es ist etwas aufdringlicher, als ich erwartet hätte. In meinem Kopf macht sich immer Blair Witch Project breit, glaube ich.
Wie dem auch sei. Ich habe, wiedermal, nichts zu beanstanden. Ein tolles erstes Kapitel. Ich mag deinen Schreibstil und ich finde, du hast ein Händchen für Pointen. Zumindest finde ich hier den letzten Satz sehr treffend.

Liebe Schreibziehergrüße,
abgemeldet
Von:  konohayuki
2014-01-04T17:32:00+00:00 04.01.2014 18:32
~Kommentarfieber~

Guten Abend,

ich freue mich ja immer ein bisschen, wenn ich auf einen der Links klicke und dahinter eine Geschichte von dir steckt. Da erwartet mich auf jeden Fall etwas interessantes zu lesen.

Was mir hier irgendwie fehlt, wäre eine kurze Zusammenfassung der Geschichte, nur so ein kleines Summary. Oder zumindest eine kleine Leseprobe, damit ich so ungefähr ein Bild davon habe, worum es hier gehen wird. Die Genreeinteilung lässt zwar einzelnes vermuten, aber ich denke, das würde die Aufmachung vielleicht doch etwas ansprechender machen.

Die Musik passt für mich sehr gut zum Kapitel, da läuft es einem richtig schaurig den Rücken runter. Und von der abwartenden Atmosphäre des Liedes drängt sich einem direkt der Gedanke auf, dass es sich hier um den Prolog zu etwas größerem handelt.
Ich muss auch wieder anmerken, dass ich deine verwendeten Namen wirklich toll finde. "Seisyll" hat's mir allein von der Schreibweise irgendwie angetan.

>Egal wie ernst die Lage war, Quin würde das ganze Heer verraten nur um Seisyll, dem sechsten der acht Brüder, ein bisschen Angst einzujagen...<
Schon irgendwo ein unverantwortlicher Bruder, dieser Quin. Ich finde es toll, wie du es schaffst, mit so kleinen Gesten und Einschüben deinen Charakteren Leben zu verleihen und klar zu machen, wie die Brüder zueinander stehen.

>So leise wie möglich bahnte er sich seinen Weg durch Hecken und Dorngestrüpp. Will heißen: Es krachte und knackte bei jeder Bewegung.<
Ich mag diesen Humor. Leise und krachen sowie knacken gehen halt eigentlich nicht zusammen. Herrlich, wie du hier mit der Sprache spielst.

>Seisyll spürte, wie die Präsenz in ihn schlüpfte. Anders konnte er dieses Gefühl nicht beschreiben.<
Eine gruselige Vorstellung. Und wow, du hast die Essenz des Liedes für dieses Kapitel einfach grandios eingefangen. Toll geschrieben. Wirklich.

> Er starrte auf den Körper hinab.<
Hier hätte ich mir noch den Zusatz "seines Bruders" gewünscht, dann hätte es für mich noch ein wenig runder geklungen.

Sehr stimmiger, toller und packender Einstieg in die Geschichte, ich will wissen wie es weitergeht. Klasse geschrieben und wirklich was zu mäkeln habe ich nicht. Beim Kommentarfieber solche Geschichten zu finden ist toll.

Liebe Schreibziehergrüße,

konohayuki
Antwort von:  Nellas
07.01.2014 01:29
Danke, freut mich zu hören ^-^

Bei der Zusammenfassung habe ich mich jetzt wirklich schwer getan. "Worum geht es eigentlich?" sollte doch keine so schwierige Frage bei einer Geschichte sein, die man selbst geschrieben hat...

:-) "Seisyll" mag ich auch, danke. Ist auch zur Abwechslung kein ausgedachter Name. Ich wollte Nummern als Namen für die acht Brüder, aber die lateinischen Formen "Quintus" und "Sextus" klangen so römisch. "Quinten" ist die dänische Variante und "Seisyll" die walisische...

>> > Er starrte auf den Körper hinab.<
>> Hier hätte ich mir noch den Zusatz "seines Bruders" gewünscht, dann hätte es für mich noch ein wenig runder geklungen.

Es ist jetzt ein "fremd wirkender Körper". Ist das auch runder? Wenn ich "seines Bruders" schreiben würde, dann wüsste man an der Stelle zweifelsfrei, wer da gerade denkt.

Vielen Dank, freut mich dass dir so viele Details gefallen ^-^


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