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Die Begegnung

von

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Das Ende

Heute war er wieder mit Quin unterwegs. Der Edle von Asch schickte sie nicht mehr so häufig zusammen los wie zwischendurch mal, als sein Interesse für ihn und Quin erwacht war. Bisher hatte sich keine Gelegenheit ergeben, ihn zu töten. Seisyll schauderte am Rande seines Bewusstseins. Jedes mal stand er Todesängste um seinen Bruder aus. Immer wenn sie sich trennten erwartete er fast schon, dass sich sein Traum erfüllen würde. Dieser verfluchte Traum. Er hatte sich so lange erfolgreich gegen den Einfluss der Schatten gewehrt, doch dieser Traum... der hatte ihn in die Knie gezwungen...

Seisyll war sich sicher, dass Aeron in diesem Moment schon wieder einen Hinterhalt auf Quin plante. Er hatte höllische Angst, dass dieser Dämon ihn zwingen würde, Quin mit seinen eigenen Händen zu ermorden... Das könnte er nicht. Das würde er nicht aushalten. Niemals. Lieber würde er sterben. Doch nicht einmal das würde ihm gelingen... Es war eigentlich gar nicht so, dass Aeron Seisyll zwingen würde, etwas zu tun. Er tat es einfach. Mit Seisylls Körper.

Aeron... Fast kam Stolz auf, dass er diesen Namen aus dem Geist des Eindringlings erbeuten konnte. Aber die einzelnen Brocken wirkten wie achtlos weggeworfene Brotkrumen, die nichts über das Große Ganze verrieten.

Wer war Aeron? Wo kam er her? Was war sein Ziel? Würde er diesen Körper je wieder verlassen? Könnte er es überhaupt, wenn er es wollte?

Und wer waren die Schatten? War ein Alb nichts weiter als ein mächtiger Schatten? Seisyll versuchte schon seit Wochen, die Geheimnisse dieser Wesen zu ergründen. Doch immer wieder geriet er in diesen mächtigen Strudel, diesen erbarmungslosen Gegenwind, dem er nichts entgegenzusetzen hatte... Seine einzige Chance war, unbemerkt zu bleiben. Ihn in Sicherheit zu wiegen. Denn diese Schwäche hatte er schnell herausgefunden: Vielleicht galt das nicht für alle Alben, doch Aeron war sehr von sich selbst überzeugt. Es fiel Seisyll immer leichter, beschwichtigende Gedanken in Aerons Geist einzuschleusen. Als würde er trockenes Herbstlaub in die Luft werfen - einige wurden fast sicher vom Wind erfasst und in die Welt getragen, wo sie niederfallen und gefunden werden konnten.

Der Junge ist nur ein dummer Mensch, ein Bauerntrampel. Hat es der große Aeron wirklich nötig, ihn stets und ständig zu überwachen?
 

Doch auch wenn er mehr Übung hatte als am Anfang, wurde es immer schwerer den Kontakt mit der Außenwelt zu halten. Quin hatte sich von ihm abgewandt, das wusste er. Das war gut so. Je weniger er sah, desto größer war die Angst. Und die Dunkelheit wuchs stetig. Seine eigenen Augen berichteten nicht mehr nur ihm, sondern auch Aeron. Er musste sein Recht zu sehen mühsam einfordern. Seine Ohren ließen ihn nur das hören, was Aeron ihn hören lassen wollte. Einzig tasten konnte er, seine Haut und Hände blieben ihm treu. Wenn sie auch so leichtgläubig waren und die Befehle, die Aeron ihnen gab, für die von Seisyll hielten. Wahrscheinlich hatten sie gar nicht gemerkt, dass sich jemand zwischengeschaltet hatte... Vielleicht waren ihre Sinne zu einfach gestrickt, um das begreifen zu können - und solange das der Fall war, konnte sich Seisyll auf sein Empfinden von Hitze, Kälte und Berührung verlassen. Sogar Schmerz gab ihm inzwischen das gute Gefühl, noch nicht tot zu sein... Er war wahrlich verzweifelt. Ein Gefangener in seinem eigenen Körper. Ohne die Möglichkeit, an Aeron vorbei selbst zu bestimmen, was er tat oder sagte.

Wenn die Geschichten stimmten, dann konnte man einen Schatten loswerden, indem man über ein Feuer sprang. Je größer das Feuer und je zentraler der Sprung, desto besser. Doch wie sollte er das machen, wenn seine Beine ihn nicht hören konnten? Seisyll war schon oft so weit gewesen, Aeron bewegungsunfähig zu machen. Ihn zu zwingen, in die Flammen zu starren. Aber da hörte es auf... sobald er das Gefühl hatte, endlich wieder einen Muskel erreicht zu haben, hatte Aeron ihn im Handumdrehen unterdrückt. Seisyll wusste auch, woran das lag. Er konzentrierte sich so sehr auf seine Botschaften an seine Füße, dass er ganz vergaß, Aeron in Schach zu halten. Aber wie sollte er sich auf das eine konzentrieren, ohne das andere zu vernachlässigen?
 

Heute war ein kühler Tag, aber die steigende Sonne hatte bereits große Kraft. Wenn sie Seisyll erreichte, war es ihr ein Leichtes, die nasse Kälte der Tau- und Regentropfen zu trocknen, die er von dornigem Laub und Unterholz striff.

Seisyll wagte sich vor und riskierte einen Blick. Quin war noch bei ihm. Für einen kurzen Moment sah er seinen Rücken ganz dicht vor ihm. Viel zu dicht.

Panisch brach Seisyll in Aerons Geist ein, der den seinen besetzt hielt. Er musste seine Absichten lesen, koste es was es wolle! Mit dem festen Vorsatz, diesmal unter keinen Umständen nachzugeben, drang Seisyll immer weiter vor. Das Leben seines Bruders hing vielleicht davon ab. Das Leben seines einzig verbleibenden Bruders. Sicher waren sie auch vor Aerons Übernahme so weit davon entfernt die besten Freunde zu sein wie die Sterne vom Erdboden, aber sie waren trotzdem Brüder. Brüder, die zusammen aufwuchsen...

Ehe es sich Seisyll versah, fand er sich in seinen Erinnerungen wieder. In den Tiefen seines eigenen Geistes. Wie hatte Aeron das nur angestellt?!

Verzweifelt bäumte sich Seisyll ein weiteres mal auf. Er musste einfach wissen, ob er gerade kurz davor stand, seinen eigenen Bruder umzubringen!

Seisyll hörte Aeron lachen. Dann sah er den Wald.
 

Ungläubig sah Seisyll sich um.

War das echt? Nein, sicher war es eine Illusion. Aeron ließ ihn sehen und hören, was er wollte. Und riechen. Und... fühlen. Er fühlte den Wind, der durch die Äste drang. Als er mit der Hand über sein Gesicht strich, da spürte er die Berührung. Es war echt. Mit Sicherheit und eindeutig echt.

Seisyll horchte in sich hinein. Keine Spur von Aeron. Das konnte nicht sein. Hatte er ihn verlassen? Einfach so?

Das konnte nicht sein. Nicht so.

Die Schatten des Waldes tanzten im Wind. Er wusste selbst nicht wie er sich so sicher sein konnte, aber er wusste, dass keiner davon Aeron war oder unter seinem Einfluss stand. Bei seinem Versuch, ein Tier zu entdecken, das ein Opfer des Alben geworden war, fiel sein Blick auf das Messer in seiner Hand.

Es war blutig.
 

"QUINTEEEEEEEEEEEEN!!"

Blind stürzte Seisyll in die erstbeste Richtung los. Das konnte nicht sein! Das durfte nicht sein!

Von verborgenen Ritzen und Fugen seines Geistes aus, die nicht einmal er selbst kannte, fühlte er Aerons Spott. Er war noch da. Natürlich war er noch da. Das wäre ja auch zu schön gewesen um wahr zu sein.

Er wollte ihm zeigen, was er getan hatte. Deswegen hatte er Sei die Kontrolle gegeben.

Abrupt bremste Seisyll ab und stürzte sich in die Tiefen seines Geistes. Wie ein Falke im Sturzflug machte er Jagd auf den Eindringling, der sich zurückgezogen hatte. Sein Körper fiel wie ein Sack Mehl zu Boden. Aerons Lachen stockte. Schmerz durchzuckte Seisyll, als sein Kopf auf einer Wurzel aufschlug. Doch das durfte ihn nicht ablenken. Diesmal nicht. Aeron hatte immer noch nicht begriffen, was passierte. Die Überraschung war immer noch auf Seisylls Seite.

Aeron floh, spät aber doch. Wie ein Windhund heftete sich Seisyll an seine Fersen, immer mit dem Eindruck ihn fast erreicht zu haben, aber nicht ganz. Bis er es einfach beschloss:

HAB' ICH DICH.

Wie mit den Fängen eines Wolfes grub er sich in Aerons Präsenz, zerriss sie mit den schärfsten Krallen die er sich vorstellen konnte, zermalmte sie unter den schwersten Mühlsteinen, die er in seiner Erinnerung finden konnte. Er hatte Aeron. Und er ließ ihn bezahlen.

Nun endlich offenbarten sich die Geheimnisse dieser finsteren Persönlichkeit. Eins nach dem anderen zog, riss und zerrte Seisyll aus Aeron heraus.

Er war ein Nachtalb, ein Dunkelelf, wie manche sagten. Aeron Cúchulainn. Ein Späher des Königs der Schatten in den Drachenbergen. Vorbei an den Drachen streckten sie ihre finsteren Finger nach den Ländern der Menschen aus. Der Krieg machte es ihnen leicht, schnell zu reisen und sich zu vermehren. Die Schatten waren körperlos, sie konnten die Gedanken überschatten, aber nicht beherrschen. Ein Alb dagegen hatte einen Körper. Der Aerons ruhte zwischen den Leichen des Gemetzels, das die Hauptarmee zerschlagen hatte.

Seisyll versuchte nicht daran zu denken, dass irgendwo unter ihnen auch die Zwillinge lagen... Er grub weiter.

Je länger die Toten einfach achtlos verwesend herumlagen und nicht bestattet wurden, desto stärker wurde die Quelle der Macht. Der Abdruck der schrecklichen Ereignisse prägte sich tief in diesen Ort und nährte die Schatten. Die wiederum hegten und pflegten Aerons Körper, solange sich sein Geist als Albdruck auf Wanderschaft befand. So konnte er die Form eines Schattens annehmen, doch anders als diese konnte er einen Körper wirklich beherrschen. Ein Schatten musste das erst lernen, indem er in ein Neugeborenes schlüpfte, bevor sich dessen Seele darin festgesetzt hatte. Nur wenige schafften das ohne die Unterstützung eines Alben, der zuerst den Willen brach und die Seele schwächte, bevor der Schatten sein Glück versuchte.

Seisyll schauderte und fuhr mit neuer Kraft fort, Aeron in Stücke zu zerfetzen.

Nicht alle Dunkelelfen waren Alben. Sie waren Menschen wie jeder andere auch, die erst von einem Schatten besessen werden mussten. Wenn die ursprüngliche Seele des Körpers ganz verloren oder im Schatten aufgegangen war, dann durfte er sich einen Alben nennen. Das ging am leichtesten, wenn die Seele noch nicht entwickelt war, wie bei einem Kind. Aeron war einer der wenigen Schatten, die sich einen bereits herangewachsenen Menschen vereinnahmt hatten. Cúchulainn war in Aeron aufgegangen. Sein düsteres Wesen, das immer nur das Schlechteste in der Welt gesehen hatte, überließ Aeron aus freien Stücken das Kommando und griff immer seltener ein, weil er immer mehr wie Aeron zu denken begann. Bis sie eines Tages zu einer Person verschmolzen waren. Aeron Cúchulainn war geboren.

Seisyll würde sich hüten, er würde er selbst bleiben. Koste es, was es wolle.

Bei Quin würde das niemals funktionieren. Der war viel zu gutmütig, viel zu optimistisch. Ihn könnte man nie dazu bringen mitzuhelfen, die Menschenwelt in einen Teil des Schattenreiches zu verwandeln. Wo Menschen von Alben regiert wurden und Schatten ihnen keine Ruhe ließen... Die Späher sähten Neid, Misstrauen und Streit, um den Weg zu bereiten. Sie nisteten sich auf Schlachtfeldern und intriganten Königshäusern ein, immer darauf bedacht, dunkle Zeiten heraufzubeschwören, in denen die Schatten im Überfluss und in Frieden leben konnten. Und der einzige Lichtblick in diesem Feldzug war das Häufchen Deserteure, die unter Gilbert von Buchenwald zu neuer Stärke fanden und Tag für Tag dem Feind entkamen und sich der Heimat näherten...

Es verriet viel über Aerons Zustand, dass er diesen kurzen Moment der Unachtsamkeit nicht nutzte. Seisyll ließ von den Tiefen ab und suchte in den äußeren Hüllen nach Erinnerungen an die letzten Minuten. Hier drin musste man sich anstrengen, um das Zeitgefühl nicht zu verlieren. Eine Stunde musste er zurückgehen, um den Ursprung des Blutes an seinem Messer zu finden.
 

Seisyll ließ alles stehen und liegen.

Aeron entschlüpfte ihm und übernahm wieder die Kontrolle. Doch die Erinnerung, die Sei gefunden hatte, hatte er festhalten können.

Es war ganz schnell gegangen. Er hatte nicht leiden müssen. Aber er hatte lange genug gelebt, dass Aeron ihm mit Seisylls Stimme hatte erklären können, wie überfällig das war. Dass er fast schon zugelassen hätte, dass etwas wie brüderliche Zuneigung ihn aufhielt. Dass nun nichts mehr zwischen ihm und seinem Ziel stand:

Heerführer Gilbert von Buchenwald.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  konohayuki
2014-01-25T20:26:11+00:00 25.01.2014 21:26
~Kommentarfieber~

Und schon geht die Geschichte zu Ende. Schade eigentlich, ich hätte gerne noch mehr aus dem Universum gelesen. Aber da ich da ja schon eine weitere Geschichte entdeckt habe, die in dort spielt, werde ich da auch gleich nochmal vorbeischauen ;)

>Der Junge ist nur ein dummer Mensch, ein Bauerntrampel. Hat es der große Aeron wirklich nötig, ihn stets und ständig zu überwachen?<
Seisyll wehrt sich also gegen Aeron, der ihn besessen hat. Und das auf eine sehr interessante Weise. Statt aktiv Widerstand zu leisten tut er es im passiven Sinne. Normalerweise begegnen mir bei Besessenen immer diejenigen, die sich dann aktiv wehren, aber das Szenario hier gefällt mir dann doch besser.

Uh, bei dem Ende wünsche ich mir doch glatt eine Fortsetzung. Da bieten sich so viele Möglichkeiten. Aber auch Rückblicke wären denkbar. Wie abgemeldet fände ich es interessant, mehr über die Welt zu erfahren.

Eine in sich runde Geschichte, die mir definitiv Lesevergnügen bereitet hat.

Liebe Schreibziehergrüße,

konohayuki
Von: abgemeldet
2014-01-14T14:54:10+00:00 14.01.2014 15:54
~ Kommentarfieber ~

Und der letzte Kommentar für diese Runde. Für dich. Kaum zu glauben, dass die Geschichte schon mit diesem Kapitel endet. Mal abwarten, ob sich alle offenen Fragen klären.
Die Musik zu hören habe ich, wie du bemerkt hast, aufgegeben. Einfach, weil Musik auf jeden anders wirken kann. Zwar trifft dies auch auf Texte zu, aber da kann man sich zumindest auf das Offensichtliche beschränken.

Der Kreis schließt sich. Ich mag es, wie der Anfang der Geschichte das Ende darstellt. Dass alles sich zusammenfügt zu einem Ganzen. Ja, jetzt habe ich begriffen.
Technisch habe ich natürlich nichts zu meckern. Dein Stil ist und bleibt gut zu lesen. Und jetzt, da alles an seinen Platz gerückt ist, kann ich mich mit dem Gedanken beschäftigen, was in dieser Welt sonst noch vor sich geht.
Wieso hat ausgerechnet ein Dunkelelf dieses von ihm benannte Ziel? Es sind einige Fragen, die man sich zu der Welt und den Menschen deiner Geschichte stellen kann. Was wurde aus den anderen Brüdern? Warum sind die Acht sowas Besonderes?

Es war mir ein Vergnügen, diese kurze Geschichte zu lesen.

Liebe Schreibziehergrüße,
abgemeldet


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