Zum Inhalt der Seite

Die Wut der Wüste

Digimon in Afrika...
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Auf Wiedersehen

Das Geräusch der Antriebe hallte durch die Gänge… nur die Hälfte der etwa 500 Passagiere konnte schlafen. Darunter gehörte Sora leider nicht… Schlafen in Flugzeugen war für sie bis jetzt noch nie möglich gewesen. Alles rumort und lärmt, vibriert und zittert, oder die Maschine geriet öfters in Luftlöcher und machte einen Satz nach unten oder oben… klare Gründe, warum mancher in Flugzeugen nicht schlafen konnte.

Doch heute waren diese Gründe nicht wirklich ausschlaggebend dafür sein, dass sie sich nicht in die Welt der Träume begeben durfte. Vielmehr hielten ihre Gedanken die Orangehaarige davon ab… sie dachte an die Dinge, die sie vorerst nun hinter sich lassen würde. Die Distanz von ihrem früheren zu ihrem künftigen Lebensort würde Übriges tun, damit sie sich mit anderen, nur nicht mit heimischen Sachen beschäftigen konnte. Trotzdem ließen die Gedanken über Japan und Zuhause nicht los… immer noch hatte sie die Trauer, die sie zu verbergen versuchte.
 

Die Entscheidung hatte sie schon vor Längerem getroffen… noch während sie zur Schule ging. Nach dem Oberstufenabschluss stand es schon längst fest, dass sie sich ins Ausland begeben wollte. Mindestens 2 Jahre, damit es auch wirklich etwas bringt…

Doch damit setzte sie einen Mechanismus in Gang, der nahezu alles, was sie bis jetzt hier in Japan aufgebaut hatte, zerstören würde…
 

Mutter Toshiko nahm die Entscheidung ihrer Tochter nach einigen Überlegungen hin… sie wollte nur das Beste für ihre Tochter. Das Mutter-Tochter-Verhältnis hatte sich seit dem 1. Abenteuer in der Digiwelt kontinuierlich verbessert, worüber Sora ganz froh ist. Aber ganz glücklich war Toshiko nicht mit dem Plan ihrer Tochter… welche Mutter würde ihre Kinder einfach so gehen lassen? Und auch Sora selbst musste diese Hürde überwinden, was ihr überhaupt nicht leicht fiel. Sie hatte geweint, nachdem sie das „Ja“ ihrer Mutter erhört hatte…

Und noch etwas anderes war durch ihre Entscheidung zerbrochen…

Es tat ihr schon damals weh, dass es geschehen musste…
 

Tai und Sora waren schon seit Kindesalter bekanntlicherweise die besten Freunde gewesen. Beide spielten leidenschaftlich Fußball im selben Verein und taten es bis zum Abschluss, auch wenn Sora kurzzeitig sich an Tennis versuchte, dann aber schließlich doch zum Fußball zurückkehrte. Nach einem gewonnenen Entscheidungsspiel in der 2. Jugend-Bundesliga kamen die beiden sich bei der anschließenden Feier nahe und seitdem waren die beiden auch zusammen und mehr als unzertrennlich…

Scheinbar unzertrennlich…
 

Die Nachricht schlug ein wie ein Meteorit. Ihm hatte sie es erst längere Zeit, nachdem sie es ihrer Mutter gesagt hatte, mitgeteilt… erst nach den Prüfungen. Es folgte ein Tag und ein Abend, der unerträglich lang wurde, weil die beiden sich mit Fragen quälen mussten, ob die Beziehung noch einen Sinn hatte. Schließlich kamen beide zum Schluss, dass es besser wäre, dass die Beziehung eine Pause erfahren sollte…

An diesem Abend lag Sora über eine halbe Stunde in Tais Armen; auch liefen ihr mehrere Tränen über das Gesicht… Tai konnte ebenso einzelne Tränen nicht verstecken. Der einzige Lichtblick war der, dass der Braunhaarige ihr die Entscheidung nicht übel nahm.

Schließlich wollte er auch nur das Beste für sie, was Sora nicht erst seit der Beziehung weiß und weshalb sie ihm unendlich dankbar war…
 

Der Tag der Verabschiedung war ebenfalls kein allzu fröhliches Bild gewesen. Ihre Eltern hatten am Flughafen unter Tränen versucht, ihr Mut für die folgenden 2 Jahre zu machen und trösteten ihre ebenfalls weinende Tochter. Hinter den Eltern standen all ihre Freunde versammelt… manche konnte lächeln, weil sie ihre Trauer unterdrücken konnten und versuchten, zuversichtlich zu wirken. Doch die meisten konnten dies eben nicht und so flossen viele weitere Tränen…

Doch jede Trauer verging irgendwann einmal. Und dann war der Zeitpunkt gekommen, sich endgültig auf den Weg in die neue Welt zu begeben. Unter lauten Rufen und Glückwünschen verschwand Sora in den abgesperrten Bereich…
 

Und nun saß sie schon fast 11 Stunden im Flieger… bis jetzt ohne Schlaf. Sie hatte sich währenddessen schon 4 Filme, die in den Bildschirmen des Fliegers liefen, angetan, zwischenzeitig den MP3-Player angemacht und versucht, mit ruhiger Musik in einen angenehmen Schlaf zu verfallen. Doch es half nicht…

„Lange wird es hoffentlich nicht mehr dauern…“, dachte sie sich, „Der Flug sollte laut den Ansagen 12 Stunden dauern… viel bleibt da ja nicht mehr übrig…“

Als würde die Stewardess ihre Gedanken lesen können, meldete sich deren Stimme nun aus den Durchsagelautsprechern: „Meine Damen und Herren, liebe Fluggäste… in Kürze erreichen wir Ruanda…“

Neue Heimat

Es war schon Frühabend geworden, ehe das Flugzeug den Flughafen von Kigali, der Hauptstadt Ruandas, erreichte. Sora blickte aus dem Flugzeugfenster und betrachtete die Stadt von oben, während die Maschine zur Landung ansetzte. Es war zwar noch hell, aber die Sonne war schon untergegangen und aufgrund der hügeligen und waldigen Landschaft konnte die Orangehaarige nicht allzu viel erkennen. Die Stadt belegte insgesamt eine große Fläche, aber sie wirkt äußerlich sehr provinziell. Hochhäuser gab es schon mal fast gar keine, dafür jede Menge schwache bis mittlere Häuserbauten.

„Wenn das die Hauptstadt ist, dann will ich erst gar nicht wissen, wie groß… oder eher gesagt, wie klein die restlichen Städte Ruandas sind…“, dachte sich die Brünette. Sie wusste aus eigenen Recherchen im Internet, dass Kigali die einzige Stadt in Ruanda war, die sich zunehmend einen urbanen Charakter aneignete. Die meisten Bewohner Ruandas lebten jedoch nicht in Städten, sondern auf dem Land… und auch die Verstädterung nahm nur mäßig zu, was auch damit zu tun haben könnte, dass die restlichen Städte Ruandas einen eher ländlichen Charakter aufwiesen.
 

„Auf in die neue Welt“, sagte Sora zu sich selbst, als das nun gelandete Flugzeug stillstand und die Ausgangstür sich öffnete. Die Pass- und Visumkontrollen liefen schnell und unkompliziert ab, sodass die Orangehaarige sich gleich zur Gepäckausgabe begab. Sie wunderte sich über diese unnatürliche Ruhe… sie war auf einem internationalen Flughafen! Normalerweise sollte doch auf so einem Flughafen die Sau los sein, dachte sie. Aber so manche Vorortsbahnhöfe würden noch aufregender als dieser Flughafen wirken. Es wurde kaum gesprochen, die Atmosphäre wirkte sehr gedämpft.

Anscheinend musste die grausame Vergangenheit des Landes, über den Sora vielfach gelesen hatte, mehr Spuren zurückgelassen haben, als sie es sich zuerst gedacht hatte…

Nachdem Sora ihre Koffer abgeholt hatte, begab sie sich Richtung Ausgang und suchte ein Schild, wo ihr Name draufstand. Die ruandischen Gasteltern sollten sie in der Empfangshalle mit solch einem Schild empfangen. „Hoffentlich reden die mit mir jetzt nicht in ruandisch…?! Oder welche Sprache wird hier nochmal gesprochen? Ich glaube, die Sprache hieß „Kinyarwanda“ oder so ähnlich…“ Die Orangehaarige bekam auf einmal sorgenbereitende Gedanken, ein hilfloses Gefühl breitete sich in ihr aus. In einem fremden Land unterwegs, keine Ahnung über die Landessprache… das kann ja heiter werden!

Halt! Wieso schon gleich zu Beginn aufgeben? Das war doch überhaupt nicht ihre Einstellung, dachte sie, gab sich selbst einen Ruck und ging weiter vorwärts. „Das wird schon! Vielleicht hab ich ja Glück und die können auch…“
 

„Mami, schau! Könnte sie es vielleicht sein?“ Ein kleiner Junge trat auf einmal vor Soras Kofferwagen und zeigte mit dem Finger auf sie. Die Brünette stoppte abrupt; sie starrte den Jungen an, der noch nicht mal so groß war wie ihr Koffer. Der Orangehaarigen kam das etwas komisch vor. Der kleine Junge hatte gerade etwas gesagt, aber sie hatte es verstanden! Die Sprache, die der Junge gerade benutzt hatte, war eindeutig identifizierbar. Es war Englisch gewesen! Wie konnte das…

Hinter dem kleinen Jungen tauchten plötzlich 4 weitere Gestalten auf: Eine Frau und ein Mann; ein weiterer Junge, der dem vor dem Kofferwagen stehenden Jungen fast bis ins Detail glich; und dann noch ein älteres Mädchen, die sich im Teenager-Alter befand, vermutete Sora.

„Dan! Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht auf andere Leute zeigen! Das ist unhöflich!“, sagte die Frau und zog den Buben etwas zurück. Dann entdeckte Sora das Schild zwischen den Fingern der Frau, wo ihr Name draufstand. Das musste ihre Gastfamilie sein.

Der Mann kam auf sie lächelnd zu: „Entschuldige bitte diesen Vorfall. Unsere Zwillinge sind von Natur aus etwas neugierig und wild.“ Dann musterte der Mann sie etwas, ehe er fragte: „Bist du zufällig Sora Takenouchi, wie mein Sohn es… äh… vermutet?“

Sora kicherte; der Junge war wirklich süß. Sie schaute zu, wie die Mutter ihm eine Predigt hielt – diesmal aber in unverständlicher Sprache… vermutlich in der Landessprache…

Den Gastvater hatte sie aber eindeutig verstanden. Er sprach sehr gut Englisch; er musste international tätig sein. Sie antwortete ihm ebenfalls auf Englisch: „Ja… so ist es! Ich bin Sora Takenouchi, komme aus Japan und möchte nun die folgenden 2 Jahre in Ruanda verbringen! Es freut mich, Sie als meinen Gastvater kennenzulernen!“

Der Gastvater gab ihr die Hand: „Die Freude ist ganz meinerseits! Wir werden unser Möglichstes tun, damit es dir hier gut geht! Jetzt lass uns erstmal in dein neues Zuhause fahren!“
 

Während der halbstündigen Fahrt beobachtete Sora die Landschaft und die bewohnten Gebiete, an denen sie vorbeifuhren. Viele junge Männer und Jugendliche hingen auf der Straße herum, spielten oder langweilten sich. Die Orangehaarige vermutete, dass diese Burschen ohne Arbeit und ohne Ausbildung waren… davon gab es in Kigali genug. Viele hatten auch im Krieg mitgewirkt und gekämpft und sind deshalb sehr empfänglich für radikale Ideen. Vorerst blieben sie noch entwaffnet… aber die Spannung würde wohl weiterhin groß bleiben.

In der Stadt selbst sieht es teilweise sehr bedrückend aus. Einige Gebäude wiesen immer noch Einschüsse von Gewehren und Granaten auf… ein schauerlicher Anblick. Dass sich bis jetzt keiner rangemacht hatte, diese Narben im Beton zu beseitigen? …

Obwohl… vielleicht sollten sie auch als Mahnmal dienen, dachte sie…

Aber es gab auch positive Bilder. Im Laufe der Zeit waren auch viele neue Gebäude entstanden. Das verriet das Aussehen dieser neuen Bauten, die auch einen moderneren Baustil aufwiesen und sich somit von den Altbauten äußerlich unterschieden. Es lässt zumindest darauf schließen, dass das Land auf dem Weg in eine bessere Zukunft war…
 

„Wir sind da! Das ist unser Zuhause!“

Sora stieg aus dem Auto und betrachtete die Wohnung, auf die der Vater eben gezeigt hatte. Es sah doch recht vielversprechend aus: Es handelte sich um ein Reihenhaus, dass von außen her recht groß aussah. Der bauliche Zustand des Gebäudes war aber ohne Zweifel sehr gut… es musste erst gerade gebaut worden sein.

„Nochmal Glück gehabt“, dachte sich Sora, die vorhin noch den grausigen Gedanken hatte, in einem Armenviertel unterzukommen.

Drinnen erwartete sie eine angenehme Erkenntnis: Die Gastfamilie musste zum gehobenen Mittelstand gehören. Das Wohnzimmer war groß und gut ausgestattet; auch die Küche bot viele Möglichkeiten. Ein Keller war vorhanden und die Zimmer im oberen Stockwerk sahen ebenfalls ordentlich aus. Oben befand sich auch das Gästezimmer, worin die Orangehaarige es sich nun bequem machte.

„Bis jetzt hab ich echt das glückliche Los gezogen“, stellte die Orangehaarige freudig fest. Sie hatte mit dem Schlimmsten gerechnet… aber ihre größte Sorge war erst einmal ausgeräumt. Es war annähernd wie zu Hause… hier in diesem Haus konnte man gut leben, da war sie sich sicher.
 

Draußen war es bereits völlig dunkel, und alle hatten bereits zu Abend gegessen. Ob Sora fragen sollte, ob sie mal kurz nach Hause telefonieren darf? Oder ob die Familie zu Hause einen PC mit Internetanschluss hatte? Vielleicht würden die Gasteltern ihre Sorge verstehen, dass sie doch zu Hause wenigstens mal Bescheid sagen möchte, dass sie heil angekommen war. Doch dazu kam es vorerst nicht. Der Vater geleitete sie und den Rest der Familie nach dem Essen zum Sofa, wo sich alle hinsetzten. Er lächelte sie freundlich an: „Ich denke, dass es ganz gut wäre, das wir uns alle jetzt ein wenig unterhalten.“

Mit diesen Worten läutete der Vater das Gespräch ein. Zuerst stellte Sora sich genauer und ihre Heimat, denn darauf war die Gastfamilie besonders neugierig gewesen. Sie erzählte ihnen viel über Japan, Tokyo und wie es dort am Tage so zugeht. Sora erwähnte auch den Schulalltag und ihre engsten Freunde, mit denen sie bis jetzt viel erlebt hatte. Das Detail über die Digiwelt ließ sie jedoch unter den Tisch fallen; sie wusste zwar, dass die Ereignisse vor 4 Jahren in der ganzen Welt vor aller Öffentlichkeit abgelaufen waren… aber es war nicht in ihrem Interesse gewesen, dieses Thema wieder aufkochen zu lassen. Schließlich gab es überhaupt keinen Grund, sich nochmal mit der Digiwelt zu beschäftigen, weil es bis jetzt nichts gab, was sie bedrohen würde oder sie wieder ins Rampenlicht der Öffentlichkeit stellen würde.
 

Nachdem die Orangehaarige zu ihrer Person in ihren Augen genug gesagt hatte, stellte der Vater sich und den Rest der Familie vor. Es kam heraus, dass beide Elternteile bei einem ökumenischen Institut in Kigali tätig waren: „Dieses Institut setzt sich für den intensiven Dialog zwischen Christen und Muslimen hier in der Region ein. Eine lange Geschichte geht voraus, warum dieser Dialog so wichtig ist! Es gilt immer der Grundsatz, voneinander zu lernen… und dafür setzen meine Frau und ich uns ein. Wir organisieren in regelmäßigen Abständen Seminare und sonstige Veranstaltungen, wo wir auf dieses Thema zurückgreifen!“

Weiter erzählt der Vater von einer Organisation, die er selber auf ehrenamtlicher Basis betreibt: „Meine Organisation steht für Entwicklung und Bildung. Wie du sicher weißt, gehört Ruanda zu den ärmsten Ländern der Welt… und es ist für die Bevölkerung hier sehr schwer, eine bessere und schönere Zukunft zu bekommen. Ich versuche mit meiner Institution, die Menschen weiterzubringen, damit sie diese bessere Zukunft wirklich erleben können. Wir unterstützen Arme oder Obdachlose bei ihrer Ausbildung oder der Versorgung…“

Sora hörte von der anderen Seite des Sofas aus aufmerksam zu. Und je mehr der Vater erzählte, umso begeisterter nahm sie es auf. Noch nie hatte sie einen solch aufrichtigen und verantwortungsbewussten Menschen getroffen. Die Familie hatte sich eine gewaltige Aufgabe angeeignet, die wirklich für Fortschritt in diesem armen Land sorgen kann. Sie wunderte sich nicht, als der Vater davon erzählte, dass eine überwältigende Nachfrage vorherrschte und die Organisationsleitung über Personalmangel klagte.

„Da meine Organisation nur auf freiwilliger Ebene ausgeführt wird, kommen nicht so viele Leute zu uns mithelfen. Ich verstehe ja, dass die Leute auch etwas haben möchten, wenn sie etwas für andere tun. Aber anders als auf der Freiwilligenbasis kann diese Programm nicht laufen… und jetzt sprengt die Nachfrage unsere Kapazitäten…“

Der Vater machte eine Pause… und sah dann die Brünette lächelnd an: „Umso mehr freue ich mich, wenn jemand Neues als Hilfskraft dazustößt! Vielen herzlichen Dank für deine Anfrage, liebe Sora! Es ist uns eine große Ehre, dass wir jemanden von außerhalb für unsere Ideen gewinnen konnten! Das war mitunter die beste Nachricht seit Monaten!“ Er stand auf, ging zu Sora und reichte ihr die Hand. Diese nahm sie dankend an und der Vater schüttelte sie heftig. Die Orangehaarige musste lächeln; diese Überschwänglichkeit, die teilweise vor ihren Augen ablief… und auch diese Herzlichkeit, sie waren einfach überwältigend! Ob das hier als normaler Umgang gilt? Zu Hause hatte sie so etwas jedenfalls noch nie erlebt…
 

Die Gesprächsrunde ebbte langsam ab. Die Eltern erzählten Sora noch einiges über die politische Lage und der Entwicklung Ruandas in den letzten Jahren. Vieles hatte sich in den letzten Jahren zum Guten gewandelt, doch es bliebe immer sehr viel zu tun, sagte der Vater.

Jedoch vermisste Sora eine dringliche Geschichte in jenen Erzählungen… aber sie wusste nicht, ob sie danach fragen sollte. Die blutigen Ereignisse in den 90er-Jahren waren zweifellos das bisher dunkelste Kapitel in der ruandischen Geschichte… sie hatte darüber auch in vielen Quellen recherchiert. Aber es wäre sicherlich noch interessanter, die Geschichte auch aus den Augen derjenigen, die es in unmittelbarer Nähe miterlebt haben, geschildert zu bekommen…

Sie wagte einen Versuch: „Verzeihen Sie, Mister! Aber… können Sie mir noch etwas… ähm… erzählen?“ Verdammt, wie sollte sie es denn formulieren, ohne dass es zu direkt auf diese Sache zugeht?! Sie rang um den passenden Ausdruck. „Es… es gäbe da noch eines, was mich… brennend…“

Sora stoppte. Der Vater hatte die Hand gehoben, worauf sie reagiert hatte. Diese Geste zwang sie, nochmal über ihre vorlaute Frage nachzudenken… und gleich im nächsten Moment bereute sie ihre Aktion. Der alte Mann seufzte, sah auf… und begann dennoch zu sprechen: „Ich glaube zu wissen, welche Information du gerne bekommen möchtest… und ich denke, es ist auch dein Recht darüber zu erfahren…“

„Oje… was hab‘ ich mir bei dieser Frage bloß gedacht?“, dachte sie und ohrfeigte sich innerlich selber. Jetzt würden wieder jene Wunden aufklaffen, die wahrscheinlich einst geflickt worden waren… und daran war sie Schuld! Aber jetzt hatte sie die Frage schon gestellt und sie konnte es nicht mehr rückgängig machen…

Also hieß es jetzt wohl, weiter zuzuhören…

Gespannt wartete Sora auf die Antwort des Vaters…
 

„Weißt du… es ist zum Teil auch so, dass du heute mit den Problemen der Vergangenheit hier in diesem Land konfrontiert wirst… demnach…“ Wieder machte der alte Mann eine Pause. „Demnach hättest du es dir womöglich einmal mehr überlegen sollen, ob Ruanda für dich wirklich die bessere Wahl gewesen wäre oder nicht…“

Sehnsucht

„Nicht dass du es falsch verstehst, Sora… es war nicht so gemeint, dass wir dich nicht hier haben wollen… im Gegenteil! Wir freuen uns sehr über deine Anwesenheit!“

Der Vater versuchte sich zu korrigieren, aber Sora verstand schon, was er meinte. Hier in diesem Land barg immer noch eine politische Instabilität… und jene Konflikte, die in den 90er-Jahren ausgebrochen waren, könnten jederzeit ausbrechen. Aber das war ihr bei der Entscheidung ihres Auslandsaufenthaltes egal gewesen… ihr Leben hatte sie auf vieles abgehärtet. Und sie war nun mal eben eine Abenteuerlustige!

„Machen Sie sich bitte keine Vorwürfe! Es ist mir schon klar, welches Risiko ich hier mit diesem Aufenthalt eingehe! Aber ich denke, sie können beruhigt sein! Ich habe in meinem Leben viel erlebt… und bin auf einiges vorbereitet, müssen Sie wissen! Sie müssen sich keine Sorgen machen!“ Die Orangehaarige fügte außerdem hinzu: „Und bitte entschuldigen Sie meine Frage von vorhin… ich konnte nicht ahnen, dass diese Angelegenheit Sie härter trifft als ich angenommen hatte…“

Der alte Mann lächelte: „Das ist schon in Ordnung… wie gesagt, du hast ein Recht darauf zu erfahren, was geschehen war…“

Schließlich er holte innerlich tief aus, bevor er begann, zu erzählen:
 

„Weißt du, der Streit um die Macht zwischen den beiden Stämmen Hutu und Tutsi dauerte schon vor dem Massaker in den 90er-Jahren Jahrzehnte lang an. Nachdem die Hutu 1959 an die Macht kamen, gab es in dem folgenden Jahrzehnt vielfach Vertreibungen der Tutsi. Da meine Eltern ebenfalls Tutsi waren, flohen sie ins benachbarte Land Burundi. Dort kam ich 1975 zur Welt… was weiterhin in Ruanda geschah, hatte meine Eltern nicht mehr interessiert… sie hätten dort nichts mehr zu suchen, deshalb würden sie sich auch keine Gedanken darüber mehr machen…

Anfang der 90er-Jahre änderte sich aber die Haltung meines Vaters… er möchte nach Ruanda zurück. Anscheinend hatten sich die Heimwehgefühle zu sehr angestaut; ich wusste den wahren Grund nicht wirklich, weil es in meinen Augen auch keinen Grund gab, ausgerechnet in dieser Zeit nach Ruanda zurückzukehren. Wir und auch viele andere Freunde und Angehörige haben ihm davon abgeraten… er hatte es trotzdem getan…“

Mit diesem Satz verbitterte sich die Miene des Vaters. Sora schluckte… sie konnte sich schon denken, was er gleich erzählen würde… und dieser Gedanke war keine angenehme Vorstellung…

„Der Rest der Familie und ich blieben in Burundi. Bis 1994 nahmen – wie wir alle es erwartet hatten – die Spannungen zwischen Hutu und Tutsi immer mehr zu. Eine rebellische Tutsi-Armee unter dem Decknamen Ruandische Patriotische Front – kurz RPF – begann von Norden aus einen Feldzug gegen das Hutu-Regime. Die Hutu jedoch nahmen diese Aktion der RPF zum Anlass für die Verfolgung und Vertreibung der restlichen Tutsi in Ruanda. Das Attentat im April 1994 auf den ruandischen Präsidenten – der Hutu war – brachte das Fass schließlich zum Überlaufen und das große Morden begann. In den ersten Tagen fielen noch relativ wenige Tutsi zum Opfer… und mein Vater hatte sich schon längst aus dem Krisengebiet entfernt und Zuflucht gesucht. Jedoch wurde innerhalb weniger Zeit landesweit mobilisiert und die Radiosender betrieben Propaganda auf ein Höchstmaß. Mein Vater und viele andere Tutsis hatten sich in einer Schulhalle versteckt… in der Hoffnung, dass die Hutu sie nicht finden würden. Diese Hoffnung erfüllte sich leider nicht…“

Der Vater schloss die Augen und trauerte innerlich. Das konnte Sora irgendwie spüren… sie wusste zwar nicht warum, aber sie war eine Person, die sich gut in andere hineinversetzen konnte. Und sie trauerte mit… für die nahezu eine Million Opfer, die in so kurzer Zeit – 3 Monate – gefordert wurden…

„Wie du sicherlich bereits auch weißt, hatte die RPF im Juli 1994 durch ihren Sieg gegen die Hutu-Regierung und dessen Truppen den Genozid beendet. Zwar bemühte sich die neue Regierung, die sich ausschließlich aus Tutsi zusammensetzte und deren Präsident der Führer der RPF war, um eine Versöhnungspolitik… aber die blieb erst einmal aus, weil infolge weiterhin stark verbreitetes extremistisches Hutu-Gedankengut alle politischen Organisationen verboten worden waren. 2003 wurden sie zwar wieder zugelassen, doch die Spannung frisst bis heute an uns. Erst vorgestern war es im äußeren Stadtteil wieder zu Ausschreitungen zwischen Extremisten beider Lager gekommen… und wieder waren Menschen ums Leben gekommen…“ Der Vater schaute die Brünette besorgt an und fuhr fort: „Deshalb hatte ich gemeint, dass du es dir mit der Entscheidung für Ruanda vielleicht besser hättest überlegen sollen…“

Sora nickte; nun bekam sie ebenfalls ein bisschen Fracksausen. Die spannungsgeladene Luft, die sie während der Fahrt durch Kigali empfand, war also nicht ohne Grund. Sie dachte an die Männer und Jugendliche, die sie auf der Straße gesehen hatte. Viele waren wahrscheinlich im Krieg tätig gewesen und über ihre eigenen Taten traumatisiert. Sie musste also höllisch aufpassen in dieser Gegend… selbst bei aller Abenteuerlust sollte man sich nicht fahrlässig in Gefahr bringen!

Trotzdem gab sich die junge Dame gegenüber dem Gastvater stark und beruhigte ihn mit der Aussage, dass sie es verstanden habe und vorsichtig sein werde…
 

Viel weiter erzählte der Vater nicht. Die Familie kehrte ungefähr 2 Jahre nach dem Genozid freiwillig nach Ruanda zurück. Er selber hatte Glück, dass er aufgrund seiner guten Ausbildung in relativ kurzer Zeit eine Arbeitsstelle bekam und von Anfang an ein festes Einkommen innehatte. Wie ein Wunder hielt der Aufschwung in seinem Haushalt die Jahre lang an. Später, als er die Arbeitsstelle wechselte, lernte er seine spätere Frau kennen, die durch ihre feste Anstellung im Institut ebenfalls die Haushaltskasse füllen konnte…
 

Es war mittlerweile schon sehr spät geworden. Sora wunderte sich, dass sie es überhaupt noch so lange durchgehalten hatte, zumal sie schon im Flugzeug nicht schlafen konnte. Doch nun merkte sie auch, dass die Müdigkeit an ihr nagte. Sie entschuldigte sich nochmals und bedankte sich gleichzeitig für so viel Mut und Aufopferung des Gastvaters, diese grausame Geschichte aus dem Hinterkopf wieder hervorzurufen und es ihr zu erzählen. Im Bett schlief sie dann sofort ein… sie war zu müde, um nochmal über die Geschichte des Vaters nachzudenken. So fiel sie rasch in den erholsamen Schlaf, den sie noch im Flugzeug vergeblich gesucht hatte…
 

-------------------------------
 

„Bekomm ich bitte ein Autogramm? Bitte bitte bitte!!“

„Kannst du ein Foto mit mir machen?“

„Wann gibst du dein nächstes Konzert??“

„Deine Freundin ist fremdgegangen!“

Matt verzog die Grimasse: „Was?! Ich habe doch gar keine Freundin…“

So lief es nach jedem Konzert ab bei der Autogrammstunde. Wie eine Horde wildgewordener hungriger Wölfe standen die Fans „aktiv“ an… das hieß, sie drängelten sich um die Wette. Manche waren sogar so „hungrig“ und wollten über den Tisch springen. Die Security um ihn hatte sichtlich Mühe, die wildgewordenen Fans zurückzuhalten. Und wie immer flogen manchmal auch derbe Kommentare wie der Vorherige herbei…

Nach geschätzten tausend und gefühlten zehntausend Unterschriften sammelte sich die Crew und ging wieder zurück in den abgesperrten Bereich. Und es schien auch beim Zurückgehen zur Regel zu werden: Die dagebliebenen Fans schrien so Sätze wie: „Matt! Bitte geh mit mir aus!“ oder „Matt, ich liebe dich doch wirklich!“

„Sorry, aber das höre ich an jedem Tag zu jeder Zeit…“

Mit einem „RUMMS!“ flog die Tür zu.
 

„Na endlich… Feierabend“, seufzte der Blonde erschöpft, aber zufrieden. Eine braunhaarige Person stand vor ihm und grinste ihn heftig an. „Tja, Kumpel! So ist das Starleben! Kompliziert, stressig, aber auch unterhaltsam!“ Auf Matts Gesicht bildete sich ebenfalls ein Grinsen: „Wo du Recht hast, hast du Recht! Aber jetzt haben wir endlich Feierabend, Mann! Hast du noch Lust, mitzukommen… was trinken gehen?“

Der Braunhaarige nickte: „Wieso nicht? Hab ja sowieso nichts vor… bin ja seit gestern wieder Single…“

Anhören taten diese Worte sich so, als würde es ihm nichts ausmachen, aber Matt kannte seinen besten Freund zu gut, als dass er den verbitterten Unterton nicht erkennen würde. Schließlich kannten sich Tai und Sora schon, seit sie denken konnten. Dass jetzt gefühlte eine Million Kilometer die beiden trennten, stellte schon fast eine schwierige Lebenshürde für den Braunhaarigen dar. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, nahm Matt ihn kurzerhand auf das Konzert mit und gewährte ihm als VIP den Zugang zum Backstagebereich. Und das Konzert hatte ihn zum Glück ein bisschen von seiner Trauer befreit… aber wenn Matt Tai jetzt gehen lassen würde, wäre es sehr wahrscheinlich, dass er wieder in Grund und Boden versank, sobald er alleine war.

Also hieß der Plan: Abfüllen!

„Komm schon, Tai! Du brauchst jetzt einfach noch ein bisschen Spaß!“
 

Die Band mitsamt der Crew und VIP gingen in eine nahegelegene Kneipe, die sie zuvor für sich selbst reserviert hatten, damit keine aufdringlichen Fans die Feier stören konnten. Nichtsdestotrotz sammelten sich an Fenster und Tür neugierige Blicke… manche klopften an der abgeriegelten Tür lautstark. Matt winkte den Inhaber genervt her: „Mach mal die Musik lauter! Ich kann diese Klopfgeräusche nicht mehr hören!“

Tai saß da und trank sein mittlerweile drittes Bier. Er war seinem besten Freund unglaublich dankbar dafür, dass er ihm half, über diese schwierige Zeit hinwegzukommen. Trotzdem musste er immer noch an Sora denken… an sie und die schöne Zeit, die sie zusammen hatten. Die schöne Zeit begann ja nicht erst seit ihrer Beziehung, sondern schon seit Kindestagen. Er dachte an die gemeinsame Zeit in der Schule in einer Klasse… an die gemeinsamen Fußballspiele und unzähligen lustigen Trainingsstunden mit ihr…

An die gemeinsamen Abenteuer in der Digiwelt…

An den Abend, wo sie endlich in die erste Jugend-Bundesliga aufgestiegen waren, was vor allem dem Teamwork der beiden zu verdanken war…

Viele schöne Zeiten waren vergangen…

Der Braunhaarige seufzte und trank sein Bier leer. Sein bester Freund orderte daraufhin gleich ein Nächstes. Er selbst nahm das gelassen hin… solange der Blonde bezahlte…
 

Der Abend endete mit viel Gelächter und Rumgetöse nahezu aller Beteiligten dieser Party. Der Alkoholpegel war vor allem bei Tai und Matt besonders hoch; beide waren nun diejenigen, die jetzt „den Ton angaben“. Nichtsdestotrotz konnte der Teil der Crew, der sich noch selbst unter Kontrolle hatte, die beiden dazu bewegen, in das Auto einzusteigen, das sie nach Hause bringen sollte. Da das nun vorerst das letzte Konzert der Band war, bedeutete dies, dass es nun auch wirklich „nach Hause“ ging. Dem Chauffeur hatte Matt zum Glück vor der Party mitgeteilt, wo Tai wohnte; im jetzigen Zustand wäre der Blonde jedenfalls nicht mehr fähig gewesen, überhaupt noch eine zuverlässige Information rüberzubringen.

So kam man drei Stunden nach Mitternacht bei Tai zu Hause an. Dessen Schwester Kari hatte schon damit gerechnet, dass an diesem Abend ordentlich bei der Aftershowparty geballert wurde und war vorsorglich wach geblieben, während die Eltern schon schliefen. Vom Balkon aus konnte sie erkennen, dass Tai aus einem Auto stieg und so lief die Braunhaarige aus dem Haus und die Treppen des Hochhauses runter zu ihm, um ihn sicher in die eigenen vier Wände zu geleiten… nicht, dass er noch in eine andere Wohnung dieses Hochhauses im Vollsuff reinlief oder dort läutete. Dabei lächelte Kari zufrieden und dachte sich selber: „Matt hat echt ganze Arbeit geleistet!“

Trübsal

Am nächsten Morgen wachte Tai erst spät vormittags auf. In seinem Kopf brummten unzählige Stimmen, die ihn davon überzeugen wollten, noch weiter zu schlafen… doch eine sehr laute Stimme ließ das nicht zu. Diese Stimme stammte jedoch nicht aus seinem Kopf, sondern von seiner Schwester Kari, die ihn lautstark zum Aufstehen aufforderte. „Tai! Taaaaiii!! Es ist schon halb 12! Aufstehen… du verpennst sonst noch den ganzen Tag!!“ Die 15-Jährige hielt gebürtigen Abstand von ihrem Bruder… dessen Alkoholfahne war deutlich wahrzunehmen. Der Braunhaarige murmelte verschlafen: „Grmpf, der Tag kann mir eigentlich gestohlen bleiben…“ Kari grinste verschmitzt. Diese Antwort hatte sie schon erwartet, aber diesmal hielt sie eine passende Gegenantwort parat, die ungefähr so wirkte wie eine morgendliche kalte Dusche: „Wenn du meinst… dann liest du Soras Mail wohl erst später…“ Mit diesem Satz ging sie aus seinem Zimmer. Der Braunhaarige drehte sich mit dem Rücken zur Tür und zog die Decke über seinen Kopf. „Mannomann, die hat Nerven…“

Doch plötzlich klickte es in seinem Kopf. In kürzester Zeit schalteten sich alle Muskeln seines Körpers in den Aktivzustand um und Tai saß mit einem Male kerzengerade. Nahezu im Eiltempo stand er auf, zog sich Hose und T-Shirt an und rannte aus seinem Zimmer. Das Erste, was er danach sah, war seine Schwester, die sich vor Kichern kaum noch halten konnte. „Hihihi, hattest du nicht sonst immer gesagt, noch 5 Minuten? Hat ja keine 30 Sekunden gedauert!“ Tai verdrehte die Augen genervt: „Spar dir den Sarkasmus! Was ist mit Soras Mail?“ Kari grinste ihn hämisch an: „Das war nur ein kleiner morgendlicher Scherz! Hat’n ziemlich hohen Wirkungsgrad, findest du nicht?“ Mit einem Male erschlafften jegliche Muskeln des Braunhaarigen wieder zurück in den Passivzustand. Am liebsten hätte er jetzt seiner Schwester den Hals verdreht, aber seine Müdigkeit hielt ihn davon ab. Was soll’s, ans Schlafengehen war jetzt nicht mehr zu denken und er torkelte brummend und fluchend ins Bad. Kari verkniff sich einen weiteren Lachanfall und schaute ihm belustigt hinterher. Irgendwie tat er ihr schon Leid…
 

Nach dem Frühstück begab sich Tai stillschweigend in sein Zimmer zurück und schloss die Tür. Er brauchte an diesem Tag nun etwas Ruhe… und deshalb legte er sich vorerst wieder auf’s Bett zurück. Gestern hatte Matt zwar seinen Tag gerettet, indem er ihn zum Konzert mitgenommen hatte. Aber seine Ohren und seine Leber waren ihm nicht wirklich dankbar gewesen… auch das Pfeifen im Ohr hatte er immer noch.

„Alles nur, damit ich nicht an sie denke…“

Dabei konnte er das bei bestem Willen nicht von sich verlangen. Sora war nun einmal Teil seines Lebens. Die beiden waren immer füreinander da gewesen, schätzten sich sehr, halfen einander aus, spielten und lernten zusammen, spendeten sich gegenseitig Trost… die Liste könnte sich unendlich lang strecken! Viele Leute in der Schule – unter ihnen sowohl Schüler als auch Lehrer – meinten schon, die beiden seien Zwillinge… oder zumindest sonst irgendwie verwandt. Jedenfalls prophezeiten jene Leute, die ein genaues Auge auf die beiden geworfen hatten, dass da mehr laufen würde als reine Freundschaft. Und sie hatten auch Recht. Es war mehr als das gewesen… was dem Braunhaarigen erst relativ spät bewusst wurde, weil sie sich schon so lange kannten und schon immer sehr fürsorglich miteinander umgingen. Aber jeden Teenager holte das Thema Liebesbeziehung irgendwann ein… und es kam auch wirklich dazu, dass Tai sich kopfüber in seine beste Freundin verliebte. Ihm war sehr wohl bewusst, dass er damit womöglich alles auf den Kopf stellen und er die so gefestigte Freundschaft auf’s Spiel setzen würde. Er tat es trotzdem… und war überglücklich darüber, dass Sora genauso fühlte und seine Liebe erwiderte.

Diese Bilder von diesem einen Tag, an dem sie zusammenkamen, ließ Tai gedanklich mehrere Male Revue passieren. Sie waren ganze 2 Jahre zusammen gewesen… und bei diesem Gedanken wiederum wurden viele andere schöne Erinnerungen in ihm wach. Die vielen Ausflüge zu zweit, oder die unzähligen Schmusestunden… nicht zu vergessen die vielen kleinen Streitereien, die die beiden oft hatten wegen oftmals unwichtigen Dingen. Aber das war normal bei Beziehungen, und das wussten die beiden auch. Bei der Versöhnung fiel nicht allzu selten das Wort „Haarspange“, was bei den beiden ein bestimmtes Ereignis in der frühen Jugend in ihren Gedächtnissen hervorrief.

Soras Weggang bedeutete nun vorerst das Ende der sicher geglaubten Liebesbeziehung. Leider stellte sie aber auch die Liebe selber auf eine harte Bewährungsprobe. Denn durch ihre Entscheidung wurde Tai schmerzlich klar, dass Liebe nicht die höchste Priorität in Soras Leben hatte. Obwohl sie die Trägerin des Wappens der Liebe war, entschied sie sich doch gegen diese ihr zugeschriebene Eigenschaft. Zwar war ihre Absicht, Entwicklungshilfe für die ärmsten Länder der Welt zu betreiben, schon fast ein Non-plus-Ultra an Ehrenhaftigkeit. Trotzdem war das nun eine bittere Erkenntnis, die er machen musste…
 

Ein Klopfen an der Zimmertür brachte den gedankenversunkenen 18-Jährigen wieder zurück ins Bewusstsein. „Hey, Bruderherz! Darf ich reinkommen?“, ertönte Karis Stimme. Sie klang sehr besorgt, das konnte man sehr deutlich heraushören. Einen Moment überlegte der Braunhaarige, ob er sie nicht fortschicken sollte, aber es war nun mal nicht seine Art… schon erst recht nicht, wenn sie besorgt um ihn war. Also ließ er sie herein. Kari trat zögerlich in Tais Zimmer und sah ihn an. Er hielt seinen Kopf gesenkt… eigentlich schon, seitdem er tausend Gedanken über seine nunmehr Ex-Freundin hatte…

„Du bist schon seit einer Stunde alleine in deinem Zimmer…“

Ihr großer Bruder schaute erst sie ungläubig und dann die Uhr an. Sie hatte Recht: So lange hatte er schon mit den Gedanken um Sora verweilt! Es kam ihm vor, als wären nur ein paar Minuten vergangen…

„Du kannst sie nicht aus deinen Gedanken kriegen… hab ich Recht?“, meinte die Braunhaarige schließlich.

Tai seufzte und gab ein Nicken von sich: „Ach, Kari… es ist einfach… ein Jammer. Dabei will ich doch nicht die ganze Zeit an Sora denken, aber man lässt mich nicht. Mein… mein Inneres lässt mich nicht. Es ist einfach zu viel… zu viel geschehen…“

Kari setzte sich zu ihm auf’s Bett. Sie verstand ihren Bruder zu gut. Sie wusste, wie stark das Band zwischen den beiden war. Dieses Band konnte nichts… absolut gar nichts zerschneiden! Auch an geschätzten 10000 Kilometer Entfernung würde ein solches Band nicht scheitern. Aber dieses starke Band könnte jetzt das Verhängnis für die psychische Verfassung des Braunhaarigen werden.

Sie überlegte fieberhaft, wie sie ihm helfen könnte.

„Könnte Izzy nicht ein Tor zu Sora öffnen?“

Tai schüttelte den Kopf: „Kari, das ist nicht so einfach…“

„Aber bei Mimi hat es doch geklappt! Wir könnten doch von hier auf jetzt Mimi besuchen gehen! Wieso sollte es nicht bei Sora klappen?“

Tai sah seine Schwester an… sie hatte damals nur von dieser Möglichkeit, schnell von einem Platz der Erde über die Digiwelt zu einem anderen Punkt der Erde zu gelangen, mitbekommen. Jedoch wusste sie nicht, was diese Aktion technisch voraussetzte. Er selbst hatte etwas länger gebraucht, bis er verstand, warum es weiterhin schwierig bleibe, diese durchaus komfortable Möglichkeit, von einem Ort zum anderen zu reisen, vielseitig zu nutzen.

Der Braunhaarige versuchte es nun, ihr zu erläutern.

„Weißt du, Izzy braucht ganz genaue Daten über den Ort, wo die Reise hingehen soll. Jedes Tor zur Digiwelt, das auf der Erde geöffnet wird, hat spezifische Datenwerte in Form von Koordinaten. Von Mimi haben wir diese Werte, weil wir sie doch vor einem halben Jahr besucht hatten… weißt du noch?“ Seine Schwester nickte. „Da hat Davis doch kurzerhand ein Tor zur Digiwelt geöffnet und die benötigten Daten hatte Izzy auf seinem Laptop abgespeichert. Seitdem können wir problemlos zur ihr und sie zu uns gelangen.“

Kari versuchte, die Informationen zu verwerten. Begabt war sie leider nicht in diesem Gebiet… was Izzy meistens von sich gegeben hatte, war für sie gleichzusetzen mit Hieroglyphen.

Dennoch fragte sie weiter: „Und was bedeutet das jetzt für den Fall mit Sora?“

Der 18-Jährige stand auf und ging zum Zimmerfenster. Orientierungslos blickte er durch die Scheibe. „Über Soras Ort liegen uns leider keine Koordinaten vor… und Izzy kann sie auch nicht ohne Weiteres herausfinden…“

„Wieso nicht?“

„Weil dafür ein Tor zur Digiwelt geöffnet werden muss! Die Werte lassen sich nur empfangen, wenn das Tor selber aktiv und offen ist…“

„Und warum kann Sora kein Tor von dort aus öffnen?“

„Weil sie kein D3-Digivice besitzt…“

Kari schluckte. Die Frage hätte sie sich auch selber beantworten können. Bisher hatten die Digiritter nur die Möglichkeit gehabt, über die D3-Digivices die Tore zur Digiwelt von hier auf jetzt zu öffnen. Sie wusste noch, welche Umstände bestanden, als vor 4 Jahren die Gruppe Digimon auf der ganzen Welt einfangen mussten. Jede Mannschaft musste mindestens einen Digiritter der 2. Generation dabei haben, damit man überhaupt die Möglichkeit bekam, die Digimon zurück in die Digiwelt zu befördern…

Nun hatte sie verstanden, warum es schwierig bleiben würde, zu Sora zu kommen. Sie versuchte, ihrem großen Bruder dennoch Mut zu machen.

„Kopf hoch! Blas nicht so einen Trübsal! Du wirst sie doch spätestens in einem halben Jahr besuchen gehen! Da nimmst du Izzy und mich dann mit und wir werden das Problemchen lösen, okay? Jetzt mach dir nicht zu viele Gedanken! Das wird schon! Ich muss nun aber mal Hausaufgaben machen!“

Kari drückte ihrem Bruder noch ein Kuss auf die Backe, bevor sie aus dem Zimmer ging. Während sie sich entfernte, wurde Tai bewusst, dass sie Recht hatte mit ihrem Vorschlag. Dann würde wiederum das Problem der Distanz gelöst werden… über die Digiwelt zu reisen war erstens viel schneller und zweitens kostete das viel weniger… nämlich gar nichts! Nur ein paar läppische Koordinaten…

Ein paar „läppische“ Koordinaten…

Bis die zu kriegen waren, würde es noch 6 Monate dauern…
 

Wenigstens besserte der Gedanke eines vorhandenen Lösungsansatzes die Laune des grummeligen Braunhaarigen. Er würde später nochmal mit Izzy darüber sprechen…

Ach was! Er musste es jetzt tun!

Gerade wollte der Braunhaarige zum Telefon laufen, heulte es laut auf. Vater Susumu hatte das Telefon mit einer merkwürdigen Mikrofonaufnahme gespeist und eine sehr komische Mischung aus Klaviermusik und dazu improvisierten Lauten („OINK!“; „GRUNZ!“; „PUPS!“; „SCHNARCH!“ etc.) ertönte…

Tai musste sich ein Lachen verkneifen, ehe er den Hörer abhob und die leicht schwachsinnige Melodie verstummte. „Tai Yagami hier… wer spricht da?“

„Komm bitte sofort her, Tai! Wir haben ein Problem!“

Eine in Panik versetzte Stimme meldete sich am anderen Ende der Leitung. Der 18-Jährige brauchte nicht dreimal zu raten, wem die Stimme gehörte.

„Hey Izzy! Was ist denn los? Ich wollte dich gerade…“

„Frag nicht, komm einfach! Und nimm Kari auch gleich mit! Es geht um die Digiwelt!“

Klick! Damit hatte Izzy aufgelegt und Tai stand etwas perplex vor dem Telefon. „Oh nein, nicht schon wieder!“, entfuhr es ihm genervt und er ging in Karis Zimmer, um sie zu holen…

Dabei hatte der Tag schon schlimm genug begonnen…
 

-------------------------------
 

„Die starken Schwingungen dieser Interaktion nehmen nicht ab! Da baut sich was gehörig auf!“

„Was denn für eine Interaktion? Ich kann diesen Vorgang nicht auswerten, das können nur Ihre Instrumente! Sie sind doch zuständig für Analyseergebnisse und…“

„Nur die Ruhe, mein Junge! Ich habe ja nicht gesagt, dass ich das nicht längst getan habe…“

„Bitte?! Warum haben Sie dann 10 Minuten um den heißen Brei gelabert? Was ist denn jetzt überhaupt geschehen?!“

„Das ist schnell erklärt…“
 

An der Zimmertür pochte es plötzlich zweimal und sie ging auf. Vor der Tür schauten 8 Augenpaare mit einem fragenden Blick in das Zimmer hinein… und richteten sich auf den Monitorbildschirm, auf dem ein recht bekannter alter Mann zu sehen war. „Genai!“

Der Angesprochene wandte sich von der rothaarigen Person vor dem Bildschirm ab und begrüßte die beiden Ankömmlinge: „Seid gegrüßt, Digiritter! Ich bin froh, dass ihr euch schnell hier versammeln konntet! Es wartet Arbeit auf euch! Etwas Furchtbares ist passiert!“

Aus der Menge stieß Davis hervor und fragte: „Was ist denn passiert? Nach los, Izzy, sag’s schon! Was hat Genai von der neuen Gefahr berichtet?“

Izzy schüttelte den Kopf: „Das versuche ich ihm schon seit 10 Minuten zu entlocken! Aber bis jetzt hat er mir nur komplizierte Detailfetzen abgeliefert…“

„Mit solchen Fetzen konntest du doch immer am Besten arbeiten…“, meinte Yolei und musste leicht lachen.

„Hör auf mit den Scherzen, Yolei“, meldete sich nun Tai zu Wort. „Erzählen Sie uns jetzt lieber, was Sache ist, Genai!“

„Wie ihr wollt, Digiritter! Also passt gut auf:

In den letzten 4 Jahren hatte ja die Digiwelt eine durchaus friedliche Phase durchlebt und auch das Gleichgewicht der Welten blieb weitestgehend erhalten! Doch seit geraumer Zeit machen uns ungewöhnliche Störungen an den Instrumenten zu schaffen… und auch die Messgeräte schienen eine Zeit lang nicht zu funktionieren. Wir wagten einige softwaretechnische Reparaturen, die jedoch keinen Erfolg zeigten und so vergingen einige Tage. Schließlich versuchten wir es bei den Herzstücken der Maschinen selber… und kamen schließlich darauf, dass es sich um Sabotage an den Geräten handelte! Leider verstrichen bis zur Wiederinbetriebnahme weitere wertvolle Tage. Als wir die Funktionen wiederhergestellt hatten, fingen auf einmal alle Maschinen an, Alarm zu schlagen. Rasch wurde eine Analyse der Probleme durchgeführt und die Geräte spuckten folgendes Ergebnis aus…“

Genai deutete auf ein Stück Papier, auf dem eine stupid wirkende Rechenformel stand. Mehrere Zahlen und Buchstaben waren darin verstrickt und auch der Rechenweg schien sinnlos zu sein. Izzy kratzte sich verlegen den Kopf: „Ähm… tut mir Leid, Genai… aber daraus werde ich auch nicht schlau…“

Der alte Mann fuhr fort: „Das sind nur spezifische Datenwerte der Störungswelle! Dadurch war es uns zwar nicht möglich gewesen, den Ursprung der Störungswelle zu bestimmen, dafür aber die Art! Das Ergebnis ist eindeutig: Es handelt sich um ein Weltentor!“

„Als hätte ich das nicht schon befürchtet“, verdrehte Izzy die Augen, während die anderen im Raum hörbar entsetzt stöhnten. „Wo befindet sich denn das Tor, Genai? Können wir es wieder schließen?“, fragte Matt.

„Stopp! Ihr wisst ja noch nicht, um was für ein Tor es sich handelt! Und ihr wisst auch nicht, was für Gefahren sich daraus ergeben!“

„Na dann sagen Sie uns doch, um was für ein Tor es sich handelt!“, erwiderte Davis mit einer Spur Ungeduld in der Stimme, weil er allmählich verstand, weshalb Izzy von Genai so genervt war.

„Wartet… ich zeige es euch…“

Plötzlich wurde der Bildschirm schwarz. Für ein paar Sekunden starrten die Digiritter auf die dunkle Leere im Bildschirm, bis ohne Vorwarnung ein kalter Schauer zwei Personen im Raum den Rücken runter liefen. Tai bemerkte den angespannten Gesichtsausdruck von Kari… und Davis wiederum entdeckte Schweißperlen auf Kens Gesicht…

Auf einmal hörte man ein Plätschern aus den Lautsprechern.

Wenn man vom Teufel spricht…

Ein grelles Licht blendete die 18-Jährige und sie wachte auf. Noch ein bisschen benommen richtete die Brünette sich langsam auf und schaute sich um. Überall blendender Sonnenschein im Zimmer… es scheint wohl spät morgens zu sein.

Ein Blick auf die Uhr verriet aber, dass es erst 6 Uhr früh war.

„Warum ist es denn schon so hell?“, fragte sich Sora verschlafen und ließ sich wieder ins Bett zurückfallen. Sie war zwar noch müde, allerdings war bei der Helligkeit nicht mehr ans Schlafen zu denken. Der Tag war im wahrsten Sinne des Wortes angebrochen… eine Dämmerung, wie Sora es noch in Japan erlebt hatte, gab es hier praktisch nicht, weil die Sonne am Äquator ihren Weg über den Himmel viel schneller zurücklegte. So ist der rote Feuerball ohne Vorankündigung aufgegangen…

Nach ein paar Mal Hin- und Herwälzen im Bett stand Sora schließlich auf, zog sich an und machte sich fertig für’s Frühstück. Beim Hinuntergehen der Treppe hörte Sora schon Geräusche aus der Küche… sowie drei plappernde Kinder. „Die sind ja heftig aktiv morgens… ich glaub, ich müsste mir eine Scheibe von denen abschneiden…“, dachte sie sich, gähnte noch einmal herzhaft und ging in die Küche.

„Guten Morgen, Sora“, begrüßte sie der Vater, „Du bist ja auch schon wach! Das trifft sich gut, wir wollten gerade frühstücken!“
 

Auf dem Tagesplan stand heute die Besichtigung von Soras neuem Arbeitsplatz, der Gemeinde des Vaters. Darauf war die Orangehaarige am meisten gespannt, weil sie keine genauen Vorstellungen hatte, wie es dort aussehen würde. Da es eine privat organisierte Gemeinde war, vermutete sie, dass die Leute im Freien arbeiten oder weniger ansehnliche Gebäude benutzen würden. Zumindest wurde eine solche Gemeinde auch nicht vom Staat subventioniert…

Die Gemeinde befand sich am südlichen Ende der Stadt… schon fast am Fuße des Gebirgszugs. Die Fahrt dahin verlief relativ ruhig, bis sie in eine Gasse abbogen, wo die Asphaltstraße auf einmal abrupt endete und ein steiniger und durchaus holpriger Pfad begann. Als der Wagen auf diesen Pfad hinauffuhr, begann es im Auto zu rütteln und zu schütteln. Sora musste sich gut festhalten, sodass sie nicht gegen die Tür oder die Fahrerseite schlug. „Das sind die Trampelpfade von Ruanda. Die Fernverbindungsstraßen sind zwar alle im sehr guten Zustand, dafür mussten aber die Kleingassen liegenbleiben…“, bemerkte der Vater, während er mit dem Steuerrad kämpfte.
 

Vor einer Kirche stoppte der Wagen schließlich. Die Kirche sah nicht groß aus… sie war eher mickrig, aber dennoch aufgrund des Turmes und der Bauform als Kirche – also eher als eine Kapelle wahrzunehmen.

Die beiden Fahrzeuginsassen stiegen aus. „Da sind wir, Sora! Folge mir nun bitte!“, sagte der Vater und schreitete zur Tür, die er aufschloss. Als die beiden in die Kirche eintraten, stellte sich ein Bild ein, was Sora schon von außen erwartet hatte: Der Kapellensaal war spärlich ausgestattet, es gab nur wenige Bänke und Tische… manche von ihnen waren in marodem Zustand. Auf den Tischen standen einige Kerzen und aufgeschlagene Bücher.

„Das ist unsere kleine Gemeinde! Wie ich ja gestern bereits erzählt habe, wird hier alles auf freiwilliger Ebene durchgeführt und jeder leistet seinen Beitrag zu dieser ganzen Geschichte. Weil wir vom Staat finanziell nicht unterstützt werden, mussten wir unsere eigenen Ersparnisse für Lehrbücher, Bänke und Tische aufopfern… aber das ist ja für einen guten Zweck! Und die Leute danken es uns auch… wir können uns jedenfalls nicht über mangelndes Interesse beklagen. Die Menschen kommen zu uns, als hätten wir alle Lösungen für ihre Probleme…“ Der Vater seufzte lächelnd. Er durchwanderte die Kirche und stellte die Stühle, Bänke und Tische zurecht. Wenige Zeit später würde der Gemeindebetrieb wieder aufgenommen werden…

Sora schaute sich die übrigen vier Räume in der Kapelle an. Zwei davon waren mit je einer Tafel, einem Tisch und dutzender Stühle mit Klapptischen ausgestattet… das mussten Unterrichts- oder Seminarräume sein. Die Fenster waren allesamt groß angelegt, damit das Tageslicht die Räume erhellen konnte. Erst jetzt bemerkte die Orangehaarige, dass die Kapelle ohne Strom auskam; nirgendswo fand sie Beleuchtung oder Steckdosen… hier und da standen lediglich ein paar Kerzen und Öllampen herum.

In einem weiteren Raum fand sie zwei Liegen, einen großen Tisch und schließlich einen Schrank. Erst der Blick hinein verriet, dass in diesem Raum die medizinische Versorgung stattfand; der Schrank beinhaltete mehrere Behälter und Flaschen mit Medikamenten, Heilsäften oder Heilkräuter. Sie wunderte sich, warum der Vater ihr nichts davon erzählt hatte…

Schließlich warf die Brünette einen Blick in den letzten Raum… doch darin befand sich nichts… fast nichts. Denn bei genauerem Hinschauen ließ sich etwas entdecken: Eine kleine Klapptür im Boden. Bevor sie sich fragen konnte, was das zu bedeuten hatte, ertönte die Stimme des Vaters: „Das ist der Fluchtraum! Die Klapptür stellt sozusagen den Notausgang dar. Nur für den Fall, dass einmal von außen her Gefahr droht… in der heutigen Zeit muss man hier auf alles gefasst sein…“ Seine ernste Gestik wirkte etwas beängstigend. Sora lief es kalt über den Rücken herunter; sie dachte an das, was der Vater gestern über den Bürgerkrieg in den 90er-Jahren erzählt hatte. Da die Tutsis die Oberhand gewonnen hatten, waren die Hutus jetzt auf der Verliererseite. Es war sehr wahrscheinlich, dass sich bei vielen Hutus wie einst bei den Tutsis radikales Gedankengut gesammelt hatte. Die Bereitschaft zu solch einem Bürgerkrieg war jedenfalls noch lange nicht verpufft… darin konnte sie sich sicher sein. Jeder falsche Funken könnte das gereizte Fass zum Explodieren bringen…
 

Mit der Zeit trafen immer mehr Menschen in der Kirche ein, auch Kinder und ihre Eltern kamen. Nach zehn Minuten waren bereits über fünfzig Menschen in der Kirche und ihren kleinen Räumlichkeiten anwesend… und noch immer hielt der Ansturm von außen an. Sora kam aus dem Staunen darüber, wie hoch die Nachfrage nach dieser Gemeinde in der Bevölkerung war, nicht mehr heraus. Jedenfalls hatte der Vater mit dem Punkt Recht, dass seine Gemeinde sich wirklich nicht über mangelndes Interesse beklagen konnte.

Zunächst war die Orangehaarige sich etwas unsicher, ob und wie sie sich nützlich machen konnte. Der Vater schickte sie vorerst nur zum Läuten der Glocke auf den Kirchturm, da er noch nicht konkret darüber nachgedacht hatte, wie er sie in der Gemeinde einsetzen sollte. Also blieb wohl erstmal die weniger anspruchsvolle Arbeit für sie übrig.

Sora nahm sich ein Radio mit auf dem Turm, um damit die Zeit einigermaßen abwechslungsreich vertrödeln zu können. Sie freute sich dennoch, wenigstens etwas zu tun bekommen zu haben. Nachdem sie die Glocken zu Unterrichtsbeginn geläutet hatte, machte sie das Radio an. Jedoch waren die meisten Sender entweder vermutlich in Kinyarwanda oder in Französisch. Mit Mühe erwischte sie schließlich einen englischen Sender, der dazu auch noch gerade zu den Nachrichten überging:
 

„In der Hauptstadt Kigali ereigneten sich gestern Abend wieder Straßenkämpfe; vermutet wird eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen rebellischen Hutus und der zivilen Tutsi-Bevölkerung. Präsident Paul Kagame äußerte sich besorgt über die zunehmende Anzahl an Zwischenfälle solcher Art. Er forderte die Hutu zum Dialog auf und verurteilte jegliche Anwendung von Gewalt… auch wenn sie von Seiten der Tutsis kämen…“
 

Sora blickte derweil in die Stadt. Sie wirkte täuschend friedlich… von außen, von oben… aber von innen wusste man die Wahrheit. Die Atmosphäre wirkte nicht nur sehr gedämpft, es lag auch etwas in der Luft…

Und das war bestimmt nicht die Liebe…

Eher brannte sie!

Sie brannte durch die angespannte Situation zwischen den beiden Völkern.

Der Radiobericht bestätigte das, was der Vater über das jetzige Verhältnis zwischen Hutu und Tutsi erzählt hatte. Und es bestätigte auch das, worüber sie sich gerade noch Gedanken gemacht hatte: Das explosive Fass war nunmehr hochexplosiv. Vielleicht brannte sogar schon die Lunte…
 

„Und nun zu den überregionalen Nachrichten! Seit gestern Nachmittag meldet die Regierung in Burundi heftige Buschbrände im Süden des Landes, die sich schnell in Richtung Norden ausbreiten. Dabei beschrieben Zeugen die Flammen als unaufhaltbar und rasend schnell… gar von einem Phänomen. Viele kleinere Siedlungen und Häuser wurden von den Flammen erfasst und zerstört. Die Regierung vermutet Brandstiftung, schließt aber eine Selbstentzündung nicht aus…“
 

Die Brünette runzelte die Stirn. Selbstentzündung? Das Klima mochte ja schon immer sehr hin und her schwanken, aber am Äquator war das doch eher nicht der Fall. Es war zwar jetzt August und somit ein niederschlagsarmer Monat, aber die gemilderten Temperaturen müssten eigentlich dafür sorgen, dass die Büsche nicht selber Feuer fingen.

Dass die Flammen sich außerdem rasend schnell nach Norden ausbreiteten, war mehr als merkwürdig, denn Burundi wies ebenfalls eine große Gebirgskette und ein Hochplateau auf…

Und „unaufhaltbar“ hörte sich so an, als würde da eine magische Hand da tätig sein…

Als würden die Flammen von irgendjemandem dirigiert werden…
 

Aber das waren nur nebensächliche Überlegungen. Sora schaltete das Radio aus, um von diesem Thema wegzukommen und blickte stattdessen auf dem Turm umher in die weite Landschaft. Sie sah zwar nicht unbedingt wunderschön aus, aber doch durchaus ansprechend. Da die Gemeinde im Süden der Stadt lag, konnte man direkt in den südlich angrenzenden Gebirgszug blicken, auf der noch enorm große Waldflächen vorhanden waren. Viel Grün füllte ihr Augenbild… ein schöner Anblick, auch wenn das Grün stellenweise wegen einer gerodeten Kleinfläche unterbrochen wurde.

Zahlreiche Waldgebiete wurden allerdings auch für die landwirtschaftliche Nutzung komplett abgeholzt… dort sah man statt Bäume jetzt Agrarbetriebe und große Anbauflächen. Viel weiter konnte sie die Gegend jedoch nicht betrachten, da der Gebirgszug im Weg stand.

„Eigentlich wäre die vielfältige Landschaft Ruandas doch auch eine Expedition wert… vor allem der Osten Ruandas soll sehr erlebenswert sein“, dachte sich Sora und ging wieder runter in die Kirche…
 

-------------------------------
 

Der Tag verging schnell und ohne allzu viel Aufregung. Sora war bis Spätnachmittag mit weniger komplizierten Aufgaben beschäftigt; entweder sortierte sie Bücher, brachte sie von dem einen in den anderen Raum, machte und trank Kaffee oder läutete abermals die Kirchenglocke. Sie durfte sogar mal in den von Freiwilligen gegebenen Schulunterricht für die Kinder reinschnuppern… mit dem Angebot, dass sie eventuell später auch einmal eine Unterrichtstunde führen sollte, worüber die Brünette sich sehr freute.

Als um etwa halb 6 der Arbeitstag für die vielen Gemeindehelfer endete, leerte sich die Kirche in relativ kurzer Zeit. Sora und der Vater entfernten sich zuletzt und fuhren schließlich ebenfalls nach Hause. Der erste Tag erwies sich als durchaus vielversprechend für die nächste Zeit hier in Ruanda.
 

Auf der Fahrt wurde Sora wieder von ihren Gedanken über den Völkerkonflikt eingeholt, als sie an Häuser vorbeifuhren, die Einschläge oder Einschüsse aufwiesen. Ein bedrückendes Gefühl machte sich in ihr breit. Die Narben im Beton waren noch nicht beseitigt worden… wie sollten da die Narben in der Seele verheilt sein?
 

Zu Hause legte sich Sora nach dem Abendessen sofort ins Bett. Dadurch, dass sie sich erstens noch im Jetlag befand und zweitens sehr früh aufgestanden war, fühlte sie sich nun umso müder. Da der Rest der Familie ebenfalls früh schlafen ging, war die 18-Jährige froh, sich nicht unter einem Vorwand von ihnen verabschieden zu müssen. Zwar kam sie heute wieder nicht dazu, eine Nachricht nach Hause per Telefon oder E-Mail zu schicken, doch morgen war ja auch noch ein Tag.

Erschöpft und gähnend fiel sie in einen wohligen Schlaf…
 


 


 

… nur um nach noch nicht einmal gefühlten 30 Minuten Schlaf wieder geweckt zu werden. Sora blinzelte scheu; es war draußen noch absolut dunkel… kein Wunder, dass es ihr wie 30 Minuten Schlaf vorkamen… aber ein lautes, nahezu ohrenbetäubendes Geräusch zwang sie, wach zu werden war. Einen Moment später hörte sie draußen zusätzlich zum Geheul durcheinander schreiende Menschen, die anscheinend über die Straßen herliefen. Was sie riefen, verstand die 18-Jährige wiederum nicht…

Die Orangehaarige blickte auf die Uhr: Es war 1 Uhr nachts! „Was zum Teufel geht hier vor?! Ich habe nirgendswo gehört oder gelesen, dass hier ein Konzert stattfinden soll… noch dazu mitten in der Nacht“, murrte Sora müde vor sich hin und lief zum Fenster, um nach dem Rechten zu sehen…

Sie öffnete es und blickte raus. Durch die Straßenbeleuchtung erkannte sie ein wildes Getümmel auf den Straßen in Kigali. Viele Menschen liefen im Eiltempo über den Straßen, durch die Gassen… oder schlossen sich in ihren Häusern ein. Aber von einem Live-Konzert nichts zu sehen. Im Übrigen realisierte die Brünette jetzt erst, dass es sich bei dem Geräusch um Sirenen aus dem Regierungsgebäude handelte… also war es ein Alarm. Aber warum?? War etwa der Bürgerkrieg schon früher ausgebrochen, als sie dachte? Es hörte sich aber nicht danach an… zumindest hörte sie keine Schüsse oder dergleichen…

Plötzlich bemerkte sie, wie auf einmal die eine Hälfte der Stadt aufleuchtete… sie wurde von irgendeinem Licht erfasst. Sie drehte sich zu dem Ursprung des Lichtes…

Im nächsten Moment wünschte sie sich, dass sie lieber nicht gewusst hätte, was der Grund dieser Erhellung war…
 

Dort im Süden, wo sie zu Tage noch große grüne Wälder vorfand, entdeckte sie nun eine Wand aus Feuer. Die dort befindlichen Bäume brannten lichterloh und zerfielen in der Glut zu Asche. Auch die leeren, gerodeten Flächen, wurden von der Feuerwand verschluckt. Die Flammen breiteten sich so immer mehr in Richtung Stadtgebiet aus.

„Oh nein!“, brach die Orangehaarige in Panik aus; sie musste den Rest der Familie sofort wecken. Sie wandte sich vom Fenster ab und lief zur Tür…

Doch mit einem Male erstarrte die 18-Jährige… ein fieses Lachen legte sich über das Sirenengeräusch. Es war ein Lachen, was teuflischer klang als jedes andere… und dieses Lachen hatte außerdem einen Gruselfaktor hoch 3, bei dem jedem Menschen angst und bange wurde. Sora fing an zu zittern; sie fühlte sich durch das Teufelsgelächter wie durchgeschüttelt, als wäre sie gerade zu viel Free-Fall-Tower gefahren.

Unter die Angst mischte sich aber auch eine Spur Aufmerksamkeit… dieses Lachen war ihr nicht neu gewesen; sie hatte es schon einmal gehört, sie kannte es irgendwoher! Zuerst wunderte sie sich darüber, aber ihr Verstand und ihr Gedächtnis reagierten sofort. Sie versuchte, sich an so ein Lachen zu erinnern…

Bevor sie es jedoch identifizieren konnte, verstummte dieses… und der Sirenenalarm regierte wieder die Luft über der Stadt. Und mit dem Verschwinden der lachenden Stimme verschwand auch plötzlich Soras Zittern. Die Angst blieb dennoch in ihr stecken. Sollte sie einen Blick nach draußen wagen? Es könnte gefährlich sein… und sie hatte wie gesagt Angst davor…

Doch dann würde ihr zumindest vielleicht klar werden, wer gerade so schauerlich gelacht hatte…
 

Ohne Vorwarnung ertönte das nervengefrierende Lachen abermals, und wieder fühlte sich die Brünette wie durch den Fleischwolf gedreht. Doch ihre Angst verschwand urplötzlich, denn ihr wurde klar, wem die Stimme vermutlich gehörte. Eine derart unheimliche Stimme war sie schon mehreren Malen begegnet… aber an dieses erinnerte sie sich im Gegensatz zu vielen anderen noch recht gut. Mit leisen Schritten schlich sie sich wieder ans Fenster zurück und schaute nach draußen in Richtung Gebirge, wo das Feuer wütete…

Das Feuer hatte die ersten Häuser schon erreicht und brannte sich weiter stadteinwärts. Doch ihr Blick richtete sich nicht auf die Flammen, die dort wüteten, wo sie sich gestern noch befand. Vielmehr achtete sie auf eine Silhouette, die über den Flammen auf dem Berg schwebte. Der Umriss dieser Silhouette sah so aus wie der eines großwüchsigen Phantoms aus Fantasiebüchern…

Und besser wäre es auch gewesen, wenn es Fantasie geblieben wäre… Sora erkannte im nächsten Moment nämlich, wer da über dem Feuer schwebte.
 

„Oh nein… wenn man vom Teufel spricht…“, flüsterte die 18-Jährige entsetzt und stürmte aus dem Zimmer.
 

------------------------------------------------------
 

Preisfrage: Um wen handelt es sich?^^

Wer's meint, zu wissen: ENS an mich! Ich finde, ich habe genug Details dafür rausgerückt... zum Teil auch im letzten Kapitel! ;)

Und wer die richtige Lösung weiß, müsste eigentlich auch wissen, was für'n Tor ich im letzten Kapitel meinte! xD

Unkraut vergeht nicht

Noch immer heulten die Alarmsirenen der Stadt und auf den Straßen herrschte das reinste Chaos. Unzählige Autos fuhren umher, Menschen rannten durch die Gassen und blockierten so die Hauptstraßen. Es wurde gerufen, geschrien und gewunken, doch ein zu großes Durcheinander und die große Angst vor dem, was bevorstand, verhinderte ein koordiniertes Vorgehen der Zivilbevölkerung. Jeder versuchte, sich selber und das, was zu retten war, zu retten…

Währenddessen begann das Feuer, sich in mehreren Richtungen auszubreiten. Nachdem es die Waldflächen hinter sich gebracht hatte, schlugen die ersten Flammen gegen die Häuserwände der südlichsten Siedlung Kigalis. Zwar zerfielen die Wände und Mauern aus Beton nicht und sie hielten der Glut stand, doch aus einem unbekannten Grund konnte das Feuer trotzdem über die Wände drängen und sich weiter in Richtung Norden verbreiten. Es war so, als würden die Flammen eine Art Intelligenz aufweisen und als ließen sie sich von keinem Hindernis aufhalten.
 

Sora rannte panikerfüllt aus ihrem Zimmer… und wäre fast mit dem Gastvater zusammengestoßen. Der Vater und die Mutter waren beide schon wach… die Kinder waren seit dem Sirenengeräusch vor Angst in das Zimmer der Eltern gelaufen.

„Kannst du auch nicht schlafen? Ich frage mich, weswegen die so einen Aufruhr wegen eines Waldbrandes machen…“, grummelte der Vater hörbar genervt. An sich hatte er ja Recht… doch Sora war unendlich dankbar dafür, dass der Alarm heulte. Sonst wäre sie nicht aufgewacht und würde am nächsten Tag wahrscheinlich nicht mehr leben…

„Wir müssen sofort hier raus! Das große Feuer in der Stadt… es breitet sich aus! Und es kommt direkt auf uns zu!“ Ihre Angst in der Stimme war deutlich zu hören. Der Vater blickte sie schockiert, aber zugleich etwas fragend an: „Wie meinst du das, Sora? Das Feuer befindet sich doch im südlichsten Teil der Stadt… unser Haus steht im Westen. Und zurzeit herrscht Windstille. Wieso sollte das Feuer sich in unsere Richtung ausbreiten?“

Wie sollte sie das nur erklären? Die Brünette dachte über eine Antwort nach; sollte sie es der irritierten Gastfamilie schildern, was nun passierte? Sollte sie erklären, was es mit Digimon auf sich hatte… dass jetzt Digimon wieder in die reale Welt eingedrungen waren und dass das Feuer kein natürliches Feuer war?

Doch ihre Skepsis überwog… Sora hielt es für unwahrscheinlich, dass ihre Gasteltern die Umstände verstehen würden. Bei den Ereignissen vor 4 Jahren, als Digimon in der ganzen Welt eingedrungen waren, hielten sich außerdem in Afrika keine Digimon auf… also konnte die Familie mit dem Begriff höchstwahrscheinlich nichts anfangen. Jetzt es ihnen zu erklären, war ohnehin viel zu kompliziert und zeitaufwändig, so viel Zeit hatten sie nicht!

„Wir müssen uns trotzdem in Sicherheit bringen! Das Feuer breitet sich rasend schnell aus! Ich weiß nicht, in welche Richtung… aber wir sollten Vorkehrungen leisten!“ Das war das Nächstbeste, was der Brünette einfiel… und es leuchtete auch ein. Der Vater nickte; auch wenn er nicht verstand, weshalb die Orangehaarige sich so große Sorgen machte, so fand er ihren Vorschlag, Sicherheitsvorkehrungen zu leisten, vernünftig – gerade, weil er eigentlich auch so dachte: Für alle Fälle gerüstet sein…

Alle zogen sich in Windeseile an und der Vater geleitete seine Frau, die Kinder und Sora runter in das Erdgeschoss. „Hier in dem Haus werden wir nicht sicher sein! Wir haben hier keinen Keller, wo man sich eventuell verstecken und schützen könnte! Aber in der Nähe unserer Garage gibt es einen Zufluchtsort, da sollten wir sicher sein!“
 

Hektisch liefen Sora und die Gastfamilie mit Haussandalen nach draußen auf die Straße. Die Garage befand sich ein Stückchen weiter weg von dem Häuserblock, was bedeutete, dass sie auf ein kurzes Stück offenes Geländer mussten. Sora blieb erst einmal stehen, um durchzuatmen. „Hoffentlich entdeckt er uns nicht…“, flüsterte sie zitternd und begab sich mit der Familie auf den Weg.

Doch die Garage erreichten alle ohne weitere Probleme. Der Vater lief etwas weiter dahinter und bückte sich zum Boden hin. Er tastete den Grasboden soweit ab, bis er fündig wurde: Eine kleine Luke. Die Orangehaarige musste recht staunen; nach der Klapptür in der Kirche jetzt diese Luke, die wahrscheinlich ebenfalls zu einem Versteck führte. „Gut, dass er an alles immer denkt…“, meinte Sora gedanklich zu sich selbst…

Zuerst stiegen der Vater, dann die Kinder und die Mutter ein.

Als Sora bereit für den Abgang war, erwärmte sich plötzlich die Luft um sie herum spürbar. Sie sah zum Haus hin und musste laut aufschreien. Das Feuer hatte das Grundstück der Gastfamilie erreicht; es brannte sich erst in die Wohnung rein…

Und dann aus der Wohnung raus…

Die Orangehaarige huschte schnell durch die Öffnung und war gerade dabei, die Luke zu schließen, als plötzlich wieder das unheimliche Lachen ertönte. Ihre Arme gefroren zu Stein und sie schaute gezwungenermaßen zur Wohnung, ohne es zu wollen. Über den Häuserblock erhob sich das Wesen, das sie vorher auf dem Berg gesehen hatte.

Bei dem Wesen handelte sich um ein Digimon.

Sora keuchte panikerfüllt.

„Oh nein… Deemon!“
 

-------------------------------
 

Erst ein Plätschern…

Und dann war ein Tropfen…

Dann das Wasser…

……

Und schließlich war das Meer…

………

…………

Ein dunkles Meer…

Das Meer der Dunkelheit.
 

„Das ist doch nicht möglich!“ Die Gruppe vor dem Bildschirm war fassungslos. Die meisten hatten mit einem Tor zur Digiwelt gerechnet und keinesfalls mit dem Tor zum Meer der Dunkelheit. Doch Genai offenbarte ihnen die dunkle Realität: Auf dem Monitor war die dunkle Flüssigkeit und der Leuchtturm von einst zu sehen.

Unter den Digirittern waren zwei, die enorm gegen die Angst ankämpften, die sich bei Gegenwart dieses Meeres in ihnen bildete. Kari versuchte mit aller Kraft, das Zittern zu unterdrücken… und Ken versuchte gedanklich, sich mit der Furcht vor dem Meer abzufinden. Auch bei einer anderen Person sammelten sich trübe Gedanken; die 16-jährige Yolei machte einen schockerfüllten Eindruck. Sie war damals von Kari und Ken mit in die Welt des dunklen Meeres gezogen worden. Die Erinnerungen an dieses Erlebnis knabberten an ihrem Selbstbewusstsein.
 

Tai indes beobachtete seine jüngere Schwester weiter. Er wusste von Karis Umständen und verstand nun auch, warum Kari so angespannt war. Das Meer der Dunkelheit hatte sie einst zweimal angezogen… und sie hatte jedes Mal bittere Erfahrungen mitnehmen müssen. Als Blackwargreymon vor 4 Jahren das Tor zur Digiwelt und das Tor zur Meer der Dunkelheit in halb Tokyo versiegelte, wurde Kari nicht mehr weiter von dem Meer beeinflusst… und Tai war heilfroh, dass seiner jüngere Schwester solche Erlebnisse in Zukunft erspart blieben. Doch nun würde es wieder soweit sein, glaubte der Braunhaarige. Zumindest plätscherte das dunkle Nass einfach so auf Izzys Monitor herum…

Kari regte sich immer noch nicht, als das Bild des dunklen Meeres über dem Bildschirm huschte. Sie erinnerte sich ungern an dieses Erlebnis zurück… jedes Mal, wenn sie mit dem Meer der Dunkelheit konfrontiert wurde, hatte sie lauter trübe Gedanken im Kopf gehabt. Zwar war das schon einige Jahre her und jetzt war sie mit der Zeit reifer geworden, doch Unkraut vergeht nicht… das musste Kari nun realisieren.

Ken verband mit dem Meer noch etwas, was weit über Karis Geschichte hinausging. Er wurde zudem viel früher als die Braunhaarige in diese mysteriöse Welt hingezogen. Dort hatte sich sein Digivice umgeformt… in das schwarze Digivice. In dem Digivice war sozusagen eine DNA der Parallelwelt abgespeichert worden… und deshalb war es Ken als einziger der Gruppe auch möglich gewesen, ein Tor zum Meer der Dunkelheit zu öffnen.

Aus einem guten Grund machte der Schwarzhaarige jedoch keinen Gebrauch davon: Dieses Meer erinnerte ihn zu sehr an seine Vergangenheit… wo er noch als Digimonkaiser Unheil über die Digiwelt verbreitete. Er konnte sich jetzt sicher, dass er genug für diese schrecklichen Taten gebüßt hatte… das hatten ihm alle Digiritter versichert; sie waren sowieso über die Tatsache, dass Ken sich ihnen im Kampf gegen die dunklen Mächte angeschlossen hatte, froh genug.

Doch Unkraut vergeht nicht!

So plagten auch Ken wieder diese quälenden Bilder der Vergangenheit…
 

Doch so schnell, wie das Meer auf dem Bildschirm sich ausbreitete, verschwand es auch wieder. Stattdessen kam wieder das faltenreiche Gesicht von Genai zum Vorschein. Der plapperte in seiner gewohnt lässigen Art weiter: „Tja, das ist bei der Analyse herausgekommen! Wie gesagt befindet sich dieses offene Tor in eurer Welt… womit wir beim zweiten Problem wären!“ Izzy nickte; das zweite Problem war aus dem ersten logisch heraus zu folgern. Wenn das Tor zur Meer der Dunkelheit offen war, dann konnte praktisch jeder Gefangene in dieser Welt wieder mühelos in die reale Welt gelangen. Und ein Gefangener war kein einfacher Jemand: Die Gruppe der zweiten Digiritter-Generation hatte damals vor 4 Jahren die noch einzig verbleibende Persönlichkeit, die die Macht der Dunkelheit verkörperte, in dieser Meereswelt eingeschlossen. Eigentlich war es im Sinne der Digiritter, jede einzelne Verkörperung der Macht der Dunkelheit auszulöschen. Diesen Weg waren vor allem die Digiritter der ersten Generation gegangen… angefangen bei Devimon, über Myotismon, Piedmon… bis zu Apocalymon. Und nachdem Apocalymon besiegt wurde, glaubten die Digiritter auch, alle Mächte der Finsternis ausgelöscht zu haben. Doch vor 4 Jahren tauchte ein Digimon im Westendviertel auf, das den Digirittern weit überlegen war und es zu besiegen unmöglich schien. Damals verbannten sie das Digimon ans Meer der Dunkelheit… und bis dato schien es dort auch zu bleiben.

Aber nun stand das Tor für die Freiheit dieses Digimons breit offen. Und das auch noch in der realen Welt…

Izzy machte die Frage kurz: „Deemon?“

Genai nickte.
 

Davis seufzte niedergeschlagen: „Oh nein, das hat uns ja jetzt echt gefehlt! Ich dachte, wir wären den Mistkerl ein für allemal los…“ Ken stimmte ihm zu: „Dachte ich auch, aber anscheinend hat Deemon eine Möglichkeit gefunden, aus seinem Gefängnis wieder auszubrechen… und nun schleicht er wieder in unserer Welt herum.“ Cody wirkte sehr verzweifelt: „Aber was sollen wir jetzt denn machen? Gegen Deemon zu kämpfen würde doch nichts bringen! Das haben wir doch schon vor 4 Jahren schon versucht… es würde heute garantiert auch keinen Unterschied machen!“ Der 13-Jährige schüttelte den Kopf.

„Kopf hoch!“, meinte Davis, „Es gibt bestimmt einen Weg, den Kerl loszuwerden…“

Yolei jedoch hob ein anderes Problem hervor: „Loszuwerden ist keine langfristig sichere Lösung! Auch wenn wir wieder eine Parallelwelt finden würden, wohin wir Deemon verbannen können, gibt das leider noch keine Garantie dafür, dass er auch dort eingesperrt bleibt! Früher oder später wird es wieder ausbrechen und dann würde das Ganze wieder von vorne losgehen…“

Tai führte Yoleis Satz nüchtern weiter: „Also wäre unsere einzige sichere Lösung wohl die, dass wir Deemon besiegen…“

Yolei nickte: „Genau… und damit fangen die Probleme an…“

Cody stimmte ihr zu: „Eben… wir konnten Deemon damals nicht besiegen. Zwar sind wir heute an Erfahrung reicher, doch ob das reicht, um Deemon zu schlagen, weiß keiner…“

Matt grübelte nach: „Aber wie alle anderen Mächte der Finsternis muss auch Deemon eine Schwachstelle haben! Und vielleicht haben wir die noch nicht herausgefunden…“

Ken setzte eine nachdenkliche Miene auf: „Das stimmt… aber damals haben wir alles Erdenkliche gegen ihn unternommen. Sogar mit vereinter Kraft konnten unsere Digimon ihm nichts anhaben… es schien schier unmöglich zu sein…“
 

Tai ging vor den Monitor. Auf seinem Gesicht war deutlich die Spur von Entschlossenheit zu lesen. „Und selbst wenn’s unmöglich wäre, das schreckt einen Digiritter auch noch nicht ab! Wir müssen alles einsetzen, was in unserem Arsenal verfügbar ist! Wir müssen es einfach versuchen… es führt kein Weg daran vorbei!“ Der Braunhaarige redete wieder in einem Ton, der unverkennbar als Anführerton zu identifizieren war. Auch wenn er die Rolle des Anführers auf Davis größtenteils übertragen hatte, hieß es noch lange nicht, dass er nicht mehr das Sagen hätte.

Auch Matt stimmte den Aussagen seines besten Freundes zu: „Es hat zwar vor 4 Jahren nicht geklappt, Deemon zu besiegen… das ist uns sehr wohl bewusst! Aber es muss euch auch durchaus bewusst sein, dass wir Älteren damals nicht mit unseren Digimon eingreifen konnten! Vielleicht haben wir eine Chance, wenn wir diesmal mit der gesamten Kraft zweier Digiritter-Generationen gegen Deemon antreten!“

Diese Aussage hatte Sinn…

Diese Aussage machte auch Sinn!

Klar! Das Detail, das Matt gerade ansprach, war bei den meisten völlig in den Hintergrund getreten. Sie hatten damals schon mit vereinter Kraft gekämpft… allerdings nur mit vereinter Kraft einer Generation. Die Digimon von Tai, Matt, Sora, Izzy, Mimi und Joe hatten jedoch im Kampf gefehlt und konnten denen von Davis, Ken, Yolei, Cody, T.K. und Kari nicht helfen.

Jetzt würde sich aber das Blatt wenden können, wenn auch Tai und Co beim Kampf mitwirken würden. Immerhin hatten der Braunhaarige und dessen bester Freund die Möglichkeit, ihre Digimon auf das Mega-Level digitieren zu lassen. In der Theorie würden Wargreymon und Metalgarurumon Deemon im Kampf durchaus Paroli bieten können…

Vielleicht würden sie es ja mithilfe von Imperialdramon sogar besiegen können…

Schnell erwachte wieder der Mut in denen, die gerade noch einen Kampf für sinnlos hielten. Davis stimmte mit ein: „Du hast Recht, Matt! Gemeinsam haben wir eine Chance! Wir werden Deemon besiegen, da bin ich mir sicher!“ „Jetzt wo du das ansprichst… ich muss zugeben, dass ich daran nicht gedacht habe“, rieb sich Cody am Kopf. Auch Yoleis Miene hellte sich auf: „Oh Mann… und ich dachte gerade schon, es wäre diesmal wirklich das Ende gewesen…“

„Stellt sich jetzt nur eine ganz andere Frage…“, warf Izzy ein. Alle im Raum blickten ihn irritiert an. „Was meinst du damit, Izzy?“, stellte Kari die hinfällige Frage.

Der Rothaarige erwiderte ernst zurück:

„Wir wissen gar nicht, wo auf der Welt sich dieses Tor überhaupt befindet!“

Vom Regen in die Traufe

„Wieso hast du gezögert, als du die Luke schließen wolltest? War da oben noch irgendetwas?“

Der Vater blickte die Orangehaarige besorgt an. Sora zitterte immer noch am ganzen Leib. Deemon könnte sie entdeckt haben, als sie gerade am Schließen der Luke war. Sie konnte sich zwar nach der Starre wieder fangen, aber knapp war es auf jeden Fall gewesen. Falls Deemon Sora bemerkt hatte, war es aus… sowohl für sie als auch für die Familie… sie hoffte mit eisernem Willen, dass es nicht so war.

Noch immer grollte es in dem feuchten Versteck; das Feuer musste dort oben heftigst wüten. Und außerdem glaubte die 18-Jährige, dass Deemon da oben alles um sich herum verwüstete, was wohl den großen Rest des Lärms ausmachte. Was hatte er ausgerechnet hier zu suchen?? Sie dachte, er wäre für immer ans Meer der Dunkelheit verbannt worden. Zumindest hatten Davis und die anderen doch berichtet, dass sie Deemon in dieses Gefängnis eingesperrt hätten. Aber anscheinend konnte er wieder daraus entkommen… sonst wäre er nicht hier. Und nun würde das Teufelsdigimon sich an den Menschen rächen wollen. Das würde erklären, warum er die Stadt jetzt angriff. Vermutlich waren die Brände in Burundi, die das Radio gestern Morgen noch gemeldet hatte, auch sein Werk gewesen. Deemon war jedenfalls mit seiner Attacke imstande, alles niederzubrennen, was ihm in den Weg kommt…

Aber warum unbedingt hier??

War etwa das Tor zum Meer der Dunkelheit hier irgendwo in Afrika geöffnet worden?

Wenn ja, wo liegt es? Wie konnte es sich öffnen? Oder wer hatte es geöffnet?
 

Sora, die Eltern und die Kinder verbrachten ganze 10 Minuten in dem erdigen Raum. Es mag wenig klingen, jedoch kam es den Angehörigen unendlich lange vor… viel zu lange. Jede Minute, die man in Furcht verstreichen ließ, fühlte sich mindestens viermal so lang an. Und mit jeder Minute wuchs die Angst ins Unermessliche an. Man könnte beinahe daran sterben…
 

Das Grollen verschwand aber plötzlich mit einem Male; es war draußen unangenehm ruhig geworden. Außer den Alarmsirenen hörte man nichts mehr.

Sora atmete erleichtert auf… das müsste heißen, dass Deemon weg und dass das Feuer weitergezogen war. Der Vater stieg die Leiter zur Luke hoch und öffnete diese vorsichtig. Zuerst stieg ihm ein widerlicher Geruch in die Nase; das Gras neben der Luke war total verbrannt. Aber das Feuer war komischerweise weg…

Als der alte Mann sein Haus betrachtete, klappte ihm die Kinnlade runter: Es war völlig unversehrt. Zwar hatte die Hitze seine Hauswand teilweise geschwärzt, aber zumindest standen seine 4 Wände noch. Er holte seine Frau und die Kinder aus dem Versteck.

Als Sora nach oben gelangte, schaute diese sich noch mal in alle Richtungen um…

Nichts war! Deemon war verschwunden. Dann waren sie nun also wirklich in Sicherheit.

Der Vater bemerkte ihr Verhalten und hakte nach: „Stimmt etwas nicht?“ Sora schüttelte den Kopf: „Nein… nein, es ist nichts… ich hab… ich hab nur mal geprüft, ob ich nicht geträumt habe oder so…“ Der alte Mann seufzte: „Leider nicht… obwohl ich es mir gewünscht hätte, dass es so wäre!“

Für’s Erste waren sie soweit noch einmal davongekommen… aber Sora musste dringend die anderen zu Hilfe holen! Deemon stellte eine große Gefahr für das Gleichgewicht der Welten dar. Dass er hier in der realen Welt jetzt frei Unheil anrichtete, war ohnehin schon schlimm genug!
 

Als die Familie in das Haus wieder eintrat, bot sich abermals ein überraschender Anblick an: Alles stand noch auf seinem Platz. Der Fernseher, das Sofa… sogar dem Holzschrank war nichts passiert. Das Feuer musste wohl erst gar nicht in das Wohnzimmer eingedrungen sein… aber Sora hatte definitiv gesehen, dass die Flammen sich durch das Haus bahnten. Die Wucht, mit der das Feuer durch das Fenster oben herausgeschossen kam, hatte sie darauf schließen lassen, dass vom Mobiliar des Hauses nicht mehr viel übrig geblieben sein müsste…

Aber unter diesen Umständen würde wohl keine Feuerwehr ihr Glauben schenken…
 

Unmittelbar kurz nach dem Betreten des Hauses stieg auf einmal ein Geruch in Soras Nase… und es roch ziemlich unangenehm. Der Geruch ließ stark schließen auf…

Rauch!

Die Orangehaarige schaute sich um; kein offenes Feuer weit und breit zu sehen. Sie lief nach oben… und entdeckte im oberen Geschoss schwarzgebrannte Wände… genauso wie die Hauswände draußen. Und außerdem stank es hier enorm nach Verbranntem. Die Brünette stürmte in ihr Zimmer… und stoppte abrupt nach dem Betreten des Raumes. Sie sah, wie ihr Bett ins sich zusammen gefallen war und noch ein Stück Asche qualmte… der Schreibtisch und der Stuhl existierten nicht mehr. Genauso wie der Schrank, der quasi in seine Einzelteile zerlegt worden war.

Ihr Blick wanderte weiter zum Fenster… es war offen! Mit Schreck bemerkte sie, dass sie in all ihrer Panik vergessen hatte, es zu schließen! So konnte das Feuer ungehindert in ihr Zimmer eindringen und alles auslöschen, auf was es traf. So hatte sie sich auch nicht geirrt, dass das Feuer im Haus gewütet hatte. Es hatte sehr wohl gewütet… in ihrem Zimmer, weil da das Fenster offen war! Und im Bad, wo Sora ein nunmehr zerstörtes Fenster vorfand; vermutlich war es davor schräg gekippt und das Feuer hatte es unter dem Druck der Hitze zerspringen lassen. Unten im Wohnzimmer und in der Küche waren alle Fenster zu, weshalb das Feuer sich nicht dorthin bewegt hatte.
 

Sie wollte sich gerade selber hart ohrfeigen…

Da fiel ihr Blick auf etwas, was so aussah wie schwarze Schlacke… bis ihr klar wurde, dass es sich um ihren Rucksack handelte – oder besser gesagt, was davon noch übrig war. Mit einer bösen Vorahnung riss sie den müden Rest der Tasche auf…

„NEIN!“
 

-------------------------------
 

In Tokyo war es indes Abend geworden. Alle Digiritter waren bereits wieder daheim, weil Izzy die Runde aufgelöst hatte, um selber mit Genai an den Untersuchungen zu arbeiten, wo sich das Tor zur Meer der Dunkelheit in der realen Welt nun geöffnet haben könnte. Die beiden hockten jetzt vor meterlangen Quellcodes und analysierten jeden Fetzen… es konnte überall ein Hinweis stecken. Nur war der Zeitaufwand für so eine Aktion enorm hoch, sodass es jetzt nichts weiter brachte, über die nächsten Vorhaben zu diskutieren. Solange das Tor noch nicht gefunden war, konnten die Digiritter jedenfalls kaum was unternehmen…
 

Tai und Kari saßen vor dem heimischen PC und überprüften die E-Mails. Leider hatte Sora sich immer noch nicht gemeldet, was bei Tai etwas Unmut auslöste. Schließlich hatte sie ihm hoch und heilig versprochen, sich zu melden, sobald sie in Ruanda ankam. Dass jetzt nach ungefähr 60 Stunden sich immer noch nichts im virtuellen Postfach befand, war etwas faul.

„Mach dir keine Sorgen, Tai! Denk doch nur dran, dass sie erst einmal sich einrichten und sich an die neue Gegend gewöhnen muss! Außerdem muss sie doch auch schlafen… von Japan nach Ruanda fliegt man mit der Zeit, also wird sie sicher hundemüde sein, wenn sie ankommt…“, meinte Kari zuversichtlich, um ihren Bruder etwas zu beruhigen.

Der Braunhaarige war sich nicht sicher; seit zweieinhalb Tagen hat seine nunmehr Exfreundin nichts von sich hören lassen. Bis jetzt müsste dort in Ruanda zumindest ein voller Tag vergangen sein… da hätte Sora doch genug Zeit gehabt, um sich wenigstens mal zu Hause zu melden. Jedoch hatte selbst Soras Mutter keinen Anruf erhalten, was auch bei ihr Beunruhigung auslöste…

E-Mail hin, E-Mail her; Izzy wollte, dass Tai Sora und Kari T.K. über die bedauerlichen Umstände berichten. Also ergriff die beiden die Initiative und so sendeten sie Sora und T.K. jeweils eine Mail mit allen Details. Tai fügte in der Mail für Sora außerdem hinzu, dass er sie womöglich schon in näherer Zeit besuchen wird, da für den Kampf gegen Deemon wirklich alle Digiritter gebraucht wurden.

Trotz dieser ernsten Nachricht konnte der Braunhaarige sich einen Absatz nicht verkneifen, in dem er der Brünette schilderte, dass die beiden womöglich die gescheitert geglaubte Beziehung wieder aufnehmen könnten, da Tai, Kari und Izzy bei der Gelegenheit die Koordinaten zu Soras Unterkunft feststellen und abspeichern könnten. Zumindest etwas Positives müssten die beiden doch aus dem schlimmen Vorfall bezüglich des offenen Tores ziehen…
 

„Hm, das war’s! Was soll ich denn jetzt als Grußwort schreiben? In Liebe? Grüße? Oder doch was anderes?“, dachte Tai einen Moment nach, ehe er sich entschied für…

„Hey Tai, was schreibst du da noch? Ich dachte, du hättest schon alles Wichtige getippt!“

Der 18-Jährige erschrak; seine Schwester hatte mal wieder gelunzt. Er wedelte herum und bemerkte nicht, dass er mit einer Hand auf die Enter-Taste gekommen war…

„Nichts nichts… oh Mann, jetzt sei doch nicht so ungeduldig, Kari! Ich schicke sie ja jetzt gleich ab!“, antwortete Tai genervt.

„Gut okay, ich dachte schon, du treibst da wieder Liebesspielchen…“, sagte Kari und wandte sich wieder vom Bildschirm ab.

„Pah! Wenn die wüsste…“, dachte Tai für sich und drehte sich wieder um. Doch ihn erwartete eine unangenehme Überraschung…

„Was zum… wo ist die Mail? Ich hab sie doch nicht etwa schon…“

Doch, hatte er! Die Enter-Taste hatte nämlich das Senden der E-Mail ausgelöst. Jetzt stand eine nette Bestätigung auf dem Bildschirm, dass die E-Mail erfolgreich abgesendet wurde. Dabei hatte er sich noch nicht final für das abschließendes Grußwort entschieden und völlig voreilig etwas eingetippt, was er lieber nochmal hätte überdenken wollen…

„Oh nein! Dieser Tag ist wirklich zum Haareraufen!!“
 

-------------------------------
 

Es roch nach verbranntem Metall, als Sora in die Tasche hineinschaute. In ihrem D-Terminal – oder eher gesagt, in dem traurigen Rest ihres D-Terminals brutzelte und knackste es. Das Display war total mit Ruß bedeckt und die kleine Antenne war erst gar nicht mehr vorhanden. Das Plastik, das die elektronische Schaltplatine innen schützen sollte, war an den meisten Stellen geschmolzen; die kleine Schaltplatine kam zum Vorschein und ließ eine Rauchfahne aus sich heraus, da die Elektronik durch die Hitze zerstört wurde und nun verrückt spielte.

Der Anblick des zerstörten D-Terminals versetzte Sora einen gehörigen Schock. Ausgerechnet in dieser Notfallsituation hatte es ihr D-Terminal erwischt. Zwar konnte sie mit dem D-Terminal keine Nachrichten an ihre Freunde schreiben; dafür war die Reichweite zu den anderen D-Terminals zu groß und die kleinen handlichen Nachrichtensender verfügten über ein eigenes Netzwerk, das jedoch nicht zu anderen globalen Netzwerken, wie z.B. dem Internet, kompatibel war. Seit Kurzem war Izzy jedoch auf eine sehr hilfreiche Funktion des D-Terminals gestoßen, die es erlaubt, ein Notrufsignal in Form eines Impulses auszusenden, das stark genug war, um alle D-Terminals auf der Welt zu erreichen…

Diese Funktion hätte in diesem Fall eigentlich nun ihre Premiere gehabt…

Doch dieser Plan war nun im wahrsten Sinne des Wortes in Rauch aufgegangen…
 

Ihr D-Terminal war nun nicht mehr zu gebrauchen… doch wo war…

STOPP!

Die Brünette bekam plötzlich abermals Fracksausen. Aus einem ganz bestimmten Grund lief ein kalter Schauer über den Rücken. Bevor sie selber einen weiteren Gedanken äußern konnte, griff sie reflexartig an ihren Hosengürtel…

Und sie wurde fündig…

Eine innere Wärme durchströmte Sora und ließ ihre Gänsehaut verschwinden; das Digivice war noch heil an ihrem Gürtel befestigt. Zumindest dieses kleine Gerät existierte noch und die Orangehaarige war heilfroh darüber. Sie wollte sich erst gar nicht ausmalen, was sein würde, wenn dieses wichtige – vielleicht sogar wichtigste Werkzeug im Kampf gegen die Macht der Dunkelheit zerstört wäre…
 

Irgendwie musste Sora aber nun ihre Freunde so schnell wie möglich kontaktieren. Internet schien die Familie nicht zu haben… sie hatte jedenfalls keinen PC im Haushalt und keine Anlage, die so aussah wie ein Internetmodem oder Ähnliches, gefunden. Die einfachste Möglichkeit blieb aber immer noch das Telefon… und diese Möglichkeit war auch die schnellste! Auch wenn es vielleicht teuer für ihre Gastfamilie werden würde, musste die Brünette sofort nach Japan telefonieren und ihre Freunde alarmieren! Die ganze Welt war schließlich in Gefahr und auch das Gleichgewicht der Welten drohte durch Deemon aus den Fugen zu geraten…
 

Sora wollte gerade nach unten zum Telefon laufen, als sie noch im Obergeschoss ungewollt stoppte; ein heftiges Krachen erklang im Erdgeschoss. Das Geräusch hörte sich so an, als wäre etwas ganz hart auf den Boden geknallt.

„Was war das?“, dachte sie sich und ging die Treppen hinunter, um nach dem Rechten zu sehen…

Da spürte Sora plötzlich einen heftigen Schmerz auf ihrer oberen Kopfhälfte und sackte bewusstlos zusammen. Das einzige, was sie noch wahrnahm, waren laute Stimmen und Schreie… ehe alles um sie herum schwarz wurde.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Ein dumpfer Knall ließ Sora wieder zu Bewusstsein kommen. Das Erste, was sie wahrnahm, waren ihre Hände… und etwas Kratziges drum herum. Sie versuchte, ihre Hände auseinander zu bewegen, scheiterte jedoch vergeblich an dem Widerstand des kratzigen Etwas. Sie musste nicht lange nachdenken: Schnüre. Ihr war klar, dass sie gefesselt war… und das nicht nur an den Händen, sondern auch an den Beinen. „Was zum Henker…“, fluchte sie leise und sperrte zunächst ihre Ohren auf.

Ein brummendes Geräusch zog sich durch ihre zwei Lauscher. Es war eindeutig zu identifizieren mit dem eines Fahrzeugmotors. Sie lag auf einem Wagen… vermutlich hinten auf der Ablage eines Kleintransporters, da sie einen starken Fahrtwind spürte. Zusätzlich hörte sie noch die kalte Nachtluft an ihr laut vorbeirauschen… zwei Zeichen dafür, dass der Wagen mit hoher Geschwindigkeit fuhr.

Wieder knallte es dumpf… und Soras Körper machte einen kleinen Satz nach oben und fiel gleich wieder auf die metallene Oberfläche zurück; der Dreck, der überall auf der Oberfläche lag, wurde aufgeschleudert und verteilte sich neu. Es war eine Bodenrinne gewesen, die der Wagen mit zu hoher Geschwindigkeit durchfuhr und weshalb es laut krachte. „Die haben’s ja anscheinend ganz schön eilig…“

Sie versuchte, sich auf den Rücken zu legen und schaute hoch; es war immer noch nachts. Oben konnte sie einen dunklen, sternenklaren Himmel erblicken. Lange konnte sie nicht bewusstlos gewesen sein, sonst wäre es schon längst wieder hell geworden… die Erkenntnis zog die Brünette, nachdem sie am ersten Tag hier in Ruanda um 6 Uhr morgens von der Sonne überrascht wurde.

Wieder ihren Blick auf die Ablage des Kleintransporters gerichtet, entdeckte Sora alle Angehörigen ihrer Gastfamilie. Sie lagen quer verteilt und ebenfalls gefesselt auf der Ablagefläche des Kleintransporters… Vater, Mutter und die drei Kinder. Sie waren alle immer noch bewusstlos. Beim Vater konnte sie trotz der Dunkelheit einige blaue Flecke auf dem Gesicht ausmachen; der Mutter und den Kindern wurden ihre Münder jeweils mit einem Tuch fest zugebunden. Ihre Schreie waren es wohl, was die Orangehaarige im Haus der Familie als Letztes wahrgenommen hatte, ehe sie das Bewusstsein verlor. Hier wurde mit übler Härte vorgegangen, obwohl sie immer noch nicht begriffen hatte, was das Ganze sollte. Zuerst Deemons Wüten in der Stadt, und jetzt dieser urplötzliche Überfall. Ob es Deemons Handlanger waren, die sie im Haus angegriffen haben? Oder waren es doch menschliche Entführer? Keines konnte sie richtig ausschließen, da sie schließlich seit Arukenimon und Mummymon wusste, dass auch Digimon Auto fahren konnten…
 

Mitten in ihren Gedanken wurde Sora aber plötzlich von ihrer Trauer wieder eingeholt. Sie hatte einst an einen ruhigen und schönen Aufenthalt in Ruanda gedacht, wo sie viel über das Leben, die Sitten und Bräuche der Bevölkerung hier erfahren und lernen wollte. Aber stattdessen würde nun alles wieder in ein einziges Chaos ausbrechen… jetzt, wo Deemon aufgetaucht war, war die Welt sowieso nicht mehr weit davon entfernt. Dass sie und ihre Gastfamilie jetzt auch noch verschleppt wurden, machte die Sache nicht besser. Falls die Entführer sich als Digimon entpuppen, würde es nun auch ihre Schuld sein, dass sie unschuldige Menschen mit in Gefahr gezogen hatte…

Ironischerweise kam der Orangehaarigen diese Situation bekannt vor. Sie erinnerte sich; sie war früher schon einmal entführt worden. Wie hätte sie auch dieses Ereignis vergessen können?! Damals hatte Datamon sie und Biyomon in Etemons Pyramide verschleppt…

Und wäre da nicht eine gewisse Person gewesen, wäre sie jetzt womöglich schon längst nicht mehr am Leben…
 

Damit war Sora wieder bei jener Persönlichkeit angelangt, wegen der sie im letzten halben Jahr eine gedankliche Krise durchlebt hatte. Nicht, weil es mit der Beziehung nicht gut lief, sondern eher darum, dass sie wusste, dass diese Beziehung bald keine Chance mehr haben würde. Sora liebte Tai sehr, aber es war nicht in ihrem Sinne, die Liebe über alles andere im Leben zu stellen. Und so musste sie einen Schlussstrich ziehen und fortgehen… und ihn zurücklassen…

Doch jetzt wünschte sie sich nichts Sehnlicheres als ihn zurück. Tai hatte ihr früher in allen brenzligen oder unglücklichen Situationen rausgeholfen. Das könnte sie jetzt auch gut gebrauchen… aber leider war der Braunhaarige diesmal nicht in greifbarer Nähe, sondern ganze Kontinente von ihr entfernt. Er wusste noch nicht mal, dass sie sich hier in allerhöchster Gefahr befand.

Warum sollte sie also Hilfe von ihm erwarten…

Und so versank die Brünette in ihrer Trauer und regte sich nicht mehr weiter…


 

Erst als der Wagen plötzlich anhielt und der Motor abgestellt wurde, wachten ihre sieben Sinne wieder aus der Starre auf. Die Türen öffneten sich und man hörte Fußstapfen, bis Sora zwei große schlaksige Kerle vor sich erblickte. Beide trugen Masken und waren mit jeweils einer Handfeuerpistole und Machete bewaffnet.

„Also sind es menschliche Entführer“, dachte Sora und machte sich auf das Schlimmste gefasst. Die beiden Männer widmeten sich den Gefangenen auf der Ablage und tauschten sich dabei aus… in unverständlichem Kauderwelsch, wahrscheinlich in der Landessprache Kinyarwanda. Dann marschierte einer von ihnen wieder zurück in den Fahrerraum. Zuerst wusste Sora nicht wieso, doch dann merkte sie plötzlich, dass der Boden unter ihr sich bewegte… und sie plötzlich drohte, abzurutschen. Sie versuchte, durch Verlagerung der Körperlast der Abrutschgefahr standzuhalten, doch es klappte nicht. Sie und die restlichen Gefangenen rutschen von der Ablage herunter und fielen ziemlich unsanft auf den Asphalt. Sora war mit dem linken Ellbogen aufgekommen, der jetzt heftig schmerzte. Wahrscheinlich befand sich da jetzt eine Platzwunde. Sie verzog das Gesicht und blickte hoch zum Fahrzeug: Die Ablage hatte sich gekippt. Das war anscheinend der Mann im Fahrerraum gewesen. „Die haben ja echt ‘ne feine Art, ihre Gefangenen zu behandeln…“, brummte sie in Gedanken und versuchte, ihren Schmerz zu unterdrücken.

Die beiden Männer gingen zu den auf dem Boden liegenden Gefesselten. Der Vater, die Mutter und die Kinder waren mittlerweile durch den Sturz wieder zu Bewusstsein gekommen; der Vater schaute die beiden Entführer misstrauisch an, die Mutter blickte ängstlich umher und die beiden Kinder wimmerten leise. Zu Soras Erstaunen nahmen sie allen die Fesseln ab… jedoch wurde ihr im nächsten Moment auch klar warum: Sie hatten nur keine Lust, alle sechs in die nächstgelegene Wellblechhütte zu tragen, sondern ließen sie lieber selber gehen. Gewaltsam wurden die 6 Gefangenen in die Hütte geschubst, gescheucht und darin eingesperrt…
 

„Da sitzen wir ja schön in der Patsche…“, murmelte Sora leise. Die Mutter und die Kinder haben sich in eine Ecke verkrochen und hielten sich ganz fest aneinander. Auch die Brünette setzte sich hin. Sie betrachtete ihren linken Ellbogen; er war rot, aber wenigstens befand sich da keine Wunde… das hätte sie jetzt überhaupt nicht gebraucht.

Sora senkte den Kopf; sie wünschte sich jetzt, dass sie nur nicht hierhergekommen wäre. Hätte sie auf den Rat anderer gehört und lieber eingesehen, dass es hier immer noch sehr gefährlich war… hätte sie lieber irgendetwas anderes machen sollen und sich nicht so sehr von ihrem Ehrgeiz leiten lassen…

Hätte sie die Beziehung zu Tai nicht aufgegeben… sie wäre jetzt immer noch glücklich gewesen…
 

„Sora…“

Die Angesprochene schaute auf; der Vater war zu ihr rübergekommen und hatte sich ebenfalls neben ihr hingesetzt. Die Brünette regte sich nicht.

„Es tut mir Leid, dass du jetzt nun in diese unschöne Situation geraten bist…“

Sora nickte stumm; das war leider kein Trost in diesem Moment. Aber sie konnte niemandem die Schuld geben… absolut keinem. Eher war das der unglückliche Zufall, dass durch Deemons Auftauchen eine Kette von Ereignissen ausgelöst wurde…

Das konnte doch nicht Zufall sein! Deemons Auftauchen musste einen Grund haben. Und außerdem gingen ihr mehrere Fragen bezüglich der Verschleppung durch den Kopf. Sie versuchte, die Gedanken zu ordnen. Da es sich um menschliche Kidnapper handelte, konnte die Entführung nicht auf Anweisung von dem Teufelsdigimon stammen. Aber wieso wurden sie denn dann verschleppt?

Sie fragte den Vater, der neben ihr immer noch stumm saß: „Wissen Sie, was es mit dieser Entführung auf sich hat?“

Der Vater schüttelte den Kopf, erwiderte aber zugleich mit leiser Stimmer: „Nein… aber ich glaube, dass diese Aktion keinen tieferen Grund hat. Eher scheint mir das ein einfacher Raubüberfall zu sein… mit anschließender Geiselnahme. Sowas wird hier oft praktiziert… vor allem bei großen Tumulten wie vorhin. Da werden die Plünderergruppen verständlicherweise ziemlich aktiv; sie brechen in die Häuser ein und nehmen alles Kostbare mit. Fast immer kidnappen die Ganoven auch die verbliebenen Menschen im Haus, um dann zusätzlich auch noch Lösegeld fordern zu können. Da die Staatsregierung nicht so kooperativ ist, kommt dann das Geld meistens aus der Tasche der Angehörigen… sofern sie über solche oftmals immense Summen verfügen…“

Sora seufzte; sie schien hier doppeltes Pech zu haben. Also doch alles nur Zufall? Sie glaubte seit der Digiwelt eigentlich nicht mehr an Zufälle. Aber in dem Moment wusste sie keine richtige Antwort. Und auch der Vater konnte ihr keine zufriedenstellende Antwort geben.

Sie konnte derzeit nichts weiter machen.

Sie konnte nur hoffen.

Hoffen darauf, dass ein Wunder geschehen würde…
 

-------------------------------
 

Tosende Wellen rauschten und schwappten über die dunklen Sandstrände. Die Gegend wirkte durch den grauen Himmel und der tristen Atmosphäre schon düster genug, aber der dichte Nebel setzte noch einen oben drauf. Passend zum grauen Himmel wurde die gesamte Landschaft von einem Grauton überzogen und dieses Grau ließ keiner anderen Farbe eine Chance. Das Meer, auf das sich der Strand zubewegte, schien sich ins Endlose auszuweiten. Der Strand wurde hinten von einer hohen Steinmauer, rechts und links von Wäldern begrenzt. Auf der rechten Seite verlief außerdem noch ein Stück bewaldetes Land mit einem Gehweg bis hinauf auf’s Meer.

Am Ende dieses Pfades lagen mehrere große Felsbrocken wahllos übereinander auf einem Haufen. Der Boden, auf dem die Felsen lagen, war jedoch keine Erde, sondern eine steinige Plattform.

Hier hatte einst ein Leuchtturm gestanden…

Jener Leuchtturm war damals das Symbol dieses Meeres gewesen. Es gab ihm das Flair, das es heute besitzt. Der Leuchtturm strahlte genauso jenes aus, was diesem Gewässer seinen Namen gab.

Dunkelheit.
 

Die Wellen auf dem Meer bewegten sich zunächst rasend auf den Strand zu. Doch plötzlich strömten sie in alle Richtungen. Die Geschwindigkeit der Wellen nahm deutlich zu und an einer Stelle konnte man einen Fixpunkt ausmachen, an welchem sich das Wasser aufschäumte und sich in Form von Wellen von dem Fixpunkt stieß.

An dieser Stelle erhob sich ein riesiges Wesen aus dem Gewässer, dessen Form zuerst an einen Alien erinnern könnte. Doch hinter seinem Rücken erschienen außerdem noch zahlreiche tentakelartige Greifarme, die um dessen Schulter hingen. Mit seinen drachenartigen Flügeln wirkte es noch pompöser, als es bereits war. Zusammen mit seinen rot leuchtenden Augen strahlte es eine enorme Unheimlichkeit aus.
 

Ein lautes Grollen erfüllte die Luft. Das Wasser schwappte nur dahin, kein einziger Fleck im Meer befand sich noch im Ruhezustand. Das monströse Irgendwas kam dem dunklen Strand näher, stoppte aber noch kurz davor im Wasser. Auf dem Sand bildete sich plötzlich ein dunkles Loch, dessen Durchmesser immer größer wurde. Jedoch schien der Sand nicht hineinfallen zu wollen…

Stattdessen kam etwas aus dem Loch heraus. Ein phantomartiges Wesen, das jenem Ungeheuer, welches noch im Wasser stand, von der Form her ähnelte, jedoch eine Kutte trug und erheblich kleiner gewachsen war. Es schwebte ein paar Zentimeter über dem Sand und bewegte sich auf’s Meer – genauer gesagt, auf das große Ungeheuer zu.
 

„Ihr habt gerufen, Meister?“

Die rot leuchtenden Augen des Monstrums richteten sich nach unten zu jenem, der gerade die Frage gestellt hatte.

„Wie sieht’s aus? Habt ihr schon irgendwas gefunden?“, dröhnte es mit lauter Stimme, dass man ein Echo vernehmen konnte.

„Leider noch nicht, Meister! Die Menschenwelt ist groß… dort die neun Artefakte zu finden, gestaltet sich mehr als schwierig. Zumal wir noch nicht einmal wissen, wo sie sich genau befinden…“

„In der Ruhe liegt die Kraft! Ich will zwar nicht ewig warten, dennoch sollten wir Geduld aufbringen für die Suche! Diese Artefakte laufen mir ja schließlich nicht weg! Aber je schneller, desto besser… sowohl für mich als auch für dich!“ Ein höhnisches Lachen lag in der tiefen unheimlichen Stimme.

„Ich verstehe, Meister…“

Die riesengroßen Flügeln des Ungeheuers weiteten sich und zogen sich wieder zusammen. Der dadurch entstandene Wind fegte das Wasser in alle Richtungen weg. Auch der Nebel wich zur Seite.

„Wie werdet ihr weiter vorgehen?“

„Meine Truppen müssten inzwischen in allen Kontinenten der menschlichen Welt eingetroffen sein! Dort werden sie jeden einzelnen Fleck auf der Erde abgrasen und so hoffentlich auf etwas stoßen. Ich selber bin im südlichsten Kontinent der Menschenwelt tätig.“

„In Ordnung, dann sollte es nicht mehr so lange dauern…“

„Ich bin mir sicher, dass Ihr nicht mehr so lange darauf warten müsst, Meister! Wenn Ihr die neun Artefakte erst einmal habt, könnt Ihr sie für die Entfachung der Macht der Dunkelheit nutzen, Meister. Dann wird sie beide Welten bedecken und beherrschen… unsere Macht wird ins Unermessliche wachsen!“

Diese Aussage schien das Oberhaupt zu befriedigen. Seine roten Augen weiteten sich und leuchteten nun noch heftiger.

„Womit wir dann nicht mehr zu schlagen wären!“
 

Das Wasser um den Riesen, das sich seit seinem Erscheinen wieder allmählich beruhigt hatte, fing nun wieder an zu schäumen. Das Monster entfernte sich vom Strand und versank langsam wieder unter den tosenden Wellen des Meeres. Dort, wo es verschwand, bildete sich ein heftiger Strudel, der die Flüssigkeit in die dunkle Tiefe zog. Auch das kleinere Wesen am Strand verschwand in dem dunklen Loch, aus dem jener vorher gekommen war.

Zurück blieb ein aufgewühltes Meer, von dem bei diesem Anblick nicht vorzustellen wäre, dass dieses Gewässer früher zu jeder Zeit absolut ruhig und friedlich blieb und niemals stürmisch brauste. Doch mit der Zeit hatte sich auch hier alles verändert…
 

-------------------------------
 

Ein lautes Geratter konnte man aus der Wohnung der Izumis hören. Unter diesen anhaltenden Geräuschen war es keinem Nachbarshund möglich, draußen im Freien seinen alltäglichen Mittagsschlaf zu halten und so verkroch sich das Haustier des Nachbarn zurück ins Haus. Die Quelle des Geratters war – wie nicht anders zu erwarten – das Zimmer des Computergenienachwuchses. Die Laptoptastatur gab beim Tippen ein deutlich hörbares Geräusch von sich… und Izzy glitt mit seinen zehn Fingern so schnell über die Tastatur, dass man kaum noch mitkommen konnte, wie er die einzelnen Tasten berührte und hinunterdrückte. Im Normalfall war sowas bei ihm nicht zu beobachten, doch wenn er wie jetzt beim Programmieren war, wuchs die Zahl der Tasten auf ein Maximum, die er pro Minute anschlug.

Auf dem Bildschirm zogen sich endlos viele Zeilen… voll mit Zahlen, Buchstaben, Abkürzungen und Symbolen. Es handelte sich um den Quellcode des Programms, mit der Izzy erfolgreich den Austrittsort in der realen Welt von der Digiwelt aus durch Koordinateneingabe punktgenau bestimmen konnte. Bei der schier unendlichen Länge des Quellcodes schien es schon fast wie ein Wunder, dass das Programm reibungslos funktionierte… aber wenn Izzy voll in seinem Element war, konnte sich so leicht kein Fehler reinschleichen.

Die Software war an sich frei von jeglichen Fehlern, weshalb man sie ohne Bedenken nutzen konnte. Jedoch war sie bis jetzt nur auf Izzys Laptop beschränkt nutzbar und nicht auf andere Plattformen übertragbar. Nun versuchte der rothaarige Computerfreak seit ungefähr 3 Stunden, den Quellcode zu erweitern, um die Software transferbereit zu machen. Schließlich sollten die Digiritter nicht immer auf seinen Laptop angewiesen sein, sondern dieses Programm an jedem PC verwenden können.

Vielleicht war sogar auch eine Möglichkeit drin, dieses Programm in das D-Terminal abzuspeichern. Damit wären die Digiritter zu jeder Zeit mobil, von einem Ort zum anderen reisen zu können…
 

Plötzlich hielt der Rothaarige inne. Wie kam er denn gerade so plötzlich mit seinen Gedanken auf das D-Terminal? Normalerweise blieben seine Gedanken bei der Programmierung immer beim PC…

In dem Moment nahm er erst dieses leise Piepen aus seinem Rucksack wahr. Izzy brauchte nicht lang zum Nachdenken: Es war sein D-Terminal gewesen, von dem das Geräusch kam. Eigentlich hatte er noch nie den Fall gehabt, dass sein D-Terminal ununterbrochen piepte, doch er wusste, was dieses Signal bedeutete. Schnell kramte der Rothaarige das D-Terminal aus seinem Rucksack heraus und betrachtete eilig das kleine Display.

Spätestens seit dem Piepen war dem 17-Jährigen klar, dass dies nichts Gutes bedeuten konnte. Als er auf seinem Display zwei Meldungen entdeckte, musste er sich doch erstmal ganze fünf Sekunden lang wundern.

Zwei Notrufe auf einmal?

Der dritte Notruf

„Da ist doch was faul!“, polterte der braunhaarige 18-Jährige inmitten der Runde.

„Tai, beruhige dich!“, versuchte Matt, seinen besten Freund zu besänftigen. Der Braunhaarige war sichtlich angespannt; seit mehreren Tagen hatte er nichts von Sora gehört und nun war bei ihm anscheinend der Faden gerissen. Eigentlich hatten sie sich bei Izzy versammelt, weil zwei Notrufe bei dem Rothaarigen eingegangen waren. Doch Izzy hatte sich noch unter der Dusche befunden, als seine Mutter die 8 Ankömmlinge einließ, und Yolei hatte voller Ungeduld die Frage gestellt, ob sich die Orangehaarige endlich gemeldet hätte. Und nachdem alle Anwesenden verneint hatten, wuchs die Ungeduld auch in Tai noch mehr…

„Das sind jetzt nunmehr schon 3 Tage! In dieser Zeit müsste Sora doch sich endlich zurechtgefunden und Zeit gefunden haben, daheim einmal Bescheid zu geben, dass es ihr gut geht…“

„Ihr wird es bestimmt gut gehen! Vielleicht ist es nur ziemlich als schwer, in Ruanda an einen PC mit Internetanschluss zu kommen…“, erklärte sich Matt Soras Nichtmelden.

„Aber sie hat noch nicht einmal angerufen! An einen PC nicht zu kommen, erscheint mir ja noch plausibel… aber an ein Telefon… !!“

„Tai!“, mahnte Kari ihren Bruder zur Besonnenheit.
 

„Hey, was ist denn hier los?“ Izzy kam aus seinem Schlafzimmer, nachdem er sich fertig angezogen hatte. Er hatte sich scheinbar beeilt; merkte man doch, dass er noch nicht mal dazu kam, seine Haare anständig zu trocknen und sich jetzt Wasser an seinen vorderen Haarspitzen sammelte und hinunter tropfte. „Tobt hier grad ein Stierkampf oder wieso werden eure Gespräche immer lauter?“

Tai wollte gerade losbrüllen, doch seine Schwester stopfte zugleich seinen Mund mit einem Keks, sodass der Braunhaarige vorerst einmal Ruhe gab. Yolei schilderte dem Rothaarigen die Lage: „Es geht um Sora. Wir machen uns langsam Sorgen; sie hat sich immer noch nicht zu Hause gemeldet, geschweige denn bei uns! Immerhin warten wir schon seit 3 Tagen auf eine Nachricht… und Tai rastet grad langsam aus…“

„Hm, ich hätte da vielleicht schon was…“

Die anderen stutzten. „Wie meinst du das, Izzy?“, fragte Kari.

„Erklär ich euch gleich! Aber anderes hat erstmal Vorrang!“ Der Rothaarige schaute in die Runde: „Ihr habt doch sicher auch die beiden Notrufsignale von Mimi und T.K. vor ein paar Stunden bekommen, oder?“

Alle nickten.

„Ich denke, ich brauche euch die Lage dann nicht weiter erklären! Eigentlich können diese Notrufe nur bedeuten, dass es wieder Schwierigkeiten gibt und Digimon in Amerika und Australien aufgetaucht sind. Wir müssen jetzt schnellstens Pläne erarbeiten, was wir als Nächstes unternehmen. Unter der Dusche hab ich mal überlegt, wie wir vorgehen könnten…“

Davis musste leicht lachen: „Oh Mann, wenn du schon unter der Dusche nicht von der Arbeit abrückst…“

„Ach halt die Klappe!“, reagierte der Rothaarige leicht gereizt und Davis schreckte zurück. Danach fuhr das Computergenie fort: „Ich finde, das Beste wäre, wenn wir uns in zwei Gruppen aufteilen und die zwei Gruppen sich jeweils nach Amerika beziehungsweise nach Australien begeben…“

„Izzy!“ Joe musste einhaken, weil er sichtlich irritiert war von Izzys Vorgehen. Normalerweise analysierte dieser immer zuerst die Lage, bevor er konkret Pläne erarbeitet und sie dann ausführt. Dass er diesmal sofort zur Tagesordnung überging, war ziemlich ungewohnt. „Findest du nicht, dass wir den Fall analysieren sollten? Ich meine, zwei Notrufe zur selben Zeit… bedeutet das nicht, dass die Gefahren in beiden Kontinenten zur gleichen Zeit ausgebrochen? Ich finde das ziemlich seltsam…“

Izzy winkte ab: „Joe, du hast zwar Recht und ich hege den gleichen Verdacht, dass beide Fälle etwas miteinander zu tun haben. Aber wir dürfen jetzt keine Zeit mehr verlieren, Mimi und T.K. erwarten unsere Hilfe!“

Joe nickte. Und die Blicke der anderen wirkten nun ebenfalls entschlossener. Auch Tai stimmte dem Vorgehen Izzys zu, obwohl er jetzt schon gerne sofort gewusst hätte, was der Rothaarige damit meinte, dass er bezüglich Sora etwas weiß…
 

Izzy bemerkte den Blick des Braunhaarigen… und reagierte prompt: „Da ich nicht die Autorität besitze, die zwei Gruppen einzuteilen, macht das mal jemand anders… Davis, du bist doch der geborene Anführer! Du wirst das schon regeln…“

„Wie sprichst du mit mir?“ Der 15-Jährige wurde mit dieser Verantwortung geradezu überfallen. „Ich soll…? Aber…“

„Nichts aber! Mach jetzt einfach, schließlich bist du wirklich ein Anführer! Tais Erbe! Wozu trägst du denn sonst noch seine Fliegerbrille?“, spornte Ken seinen besten Freund an.

Davis war zwar immer noch völlig von der Rolle, willigte aber schließlich ein. „Okay, überredet…“

„Gut! Jetzt zu euch beiden…“ Izzy meinte damit Tai und Kari. „Ihr kommt erstmal mit mir mit!“

„HEY!“ Davis verzog das Gesicht und funkelte Izzy böse an: „Was machst du? Ich wollte gerade Kari in meine Gruppe einteilen!“

„Tut mir Leid, die ist schon für ein anderes Unternehmen reserviert!“, winkte Izzy ab und verschwand mit den beiden Genannten in seinem Zimmer.

Alle Restlichen, die noch im Computerraum standen, blickten sich gegenseitig fragend an. Was für ein anderes Unternehmen?`
 

„Izzy, was soll denn das? Was meinst du mit…“

„Immer mit der Ruhe, Tai! Ich beantworte dir eine Frage nach der anderen! Es geht um Sora!“

Sofort hielt Tai inne. Bei dem Namen schalteten sich alle Sinne des Braunhaarigen auf die höchste Aufmerksamkeitsstufe. Er konnte schon seit einigen Minuten nicht mehr darauf warten, dass Izzy jetzt endlich mit dieser für ihn unheimlich wichtigen Information rausrückte.

„Passt auf! Genai hat mir gestern gemeldet, dass sich innerhalb unseres D-Terminal-Netzwerks die Fehlermeldungen gehäuft haben. Anscheinend gibt es Probleme bei der Lokalisierung eines D-Terminals. Normalerweise sind die Geräte immer mit dem Netzwerkserver verbunden, der sich in der Digiwelt bei Genai befindet… und der Server kontrolliert auch in ständigen Abschnitten die Verbindung, in dem sie einen Anfrageimpuls versendet und die D-Terminals im Hintergrund wiederum mit einem Antwortimpuls reagieren. Gestern jedoch fing das Ereignisprotokoll des Servers an, Fehlermeldungen auszuspucken mit dem Hinweis, dass Soras D-Terminal nicht auf die Anfragen des Servers reagiert hätte…“

Kari schaute den Rothaarigen etwas ratlos an. Sie hatte zwar nur die Hälfte von dem Geblubber, das Izzy gerade von sich gab, verstanden. Jedoch glaubte sie, dass dies nichts Gutes bedeuten konnte. „Und was bedeutet das jetzt?“

Izzy redete weiter: „Das heißt, dass irgendwas faul ist! Denn das D-Terminal-Netzwerk funktioniert einwandfrei, wie ihr ja sehen könnt! Wir können weiterhin Nachrichten senden, Notrufe schicken und empfangen… es gibt keinen Grund zu behaupten, dass das System programmiertechnische Schwachstellen hat.“

„Aber wieso kann man denn Soras D-Terminal nicht mehr empfangen? Hat ihr Gerät vielleicht einen Schaden abbekommen?“, fragte Tai, der im Gegensatz zu seiner Schwester sehr wohl Izzys Erklärung folgen konnte.

„Dass Soras D-Terminal sich nicht mehr meldet, kann eigentlich nur 3 mögliche Gründe haben! Erstens: Es liegt Sabotage vor, wodurch das Gerät unbrauchbar gemacht wurde. Zweitens: Es befindet sich eine digitale Anomalie in der unmittelbaren Gegend von Sora, die die Funktionen des D-Terminals stören könnte. Oder drittens, was die radikalere Variante von Ersteres wäre: Soras D-Terminal existiert nicht mehr…“

Die 2 Geschwister schauten das Computergenie ungläubig an. Eine bittere Pille mussten die beiden gerade schlucken, als sie Izzys Vermutungen zur Kenntnis nahmen. Tai wollte das noch nicht so leicht glauben: „Bist du sicher, ob es nicht irgendwas anderes sein könnte als das, was du gerade geschildert hast? Könnte es nicht einfach ein kleiner Defekt eines Bauteils sein oder…“

Izzy schüttelte den Kopf: „Leider bin ich mir ziemlich sicher, dass nur die drei Gründe, die ich eben genannt habe, zutreffen können. Wir besitzen unsere Geräte ja schon seit mehreren Jahren, und sie haben immer weiterhin funktioniert… wieso sollten sie jetzt plötzlich den Geist aufgeben? Außerdem hatte Genai mir gesagt, dass er mir einen reibungslosen Betrieb der D-Terminals auf mindestens 15 Jahre garantieren könne. Und auf sein Wort vertraue ich!“

Die beiden Geschwister nickten leicht. „Aber wie finden wir nun die tatsächliche Ursache für diese Fehlermeldungen heraus?“, fragte Kari.

„Das ist das, worüber ich mit euch reden möchte. Denn egal, welcher der drei Gründe für das Nichtreagieren von Soras D-Terminal zutrifft, als Folgekonsequenz ist ganz sicher: Es bedeutet Gefahr! Wenn Sabotage vorliegen sollte, dann können sich nur welche mit ihren schmutzigen Fingern drangemacht haben, die sich mit dem Gerät auskennen! Und das können nur Digimon sein! Und was es bedeutet, wenn eine digitale Anomalie vorliegt oder Soras D-Terminal nicht mehr existiert, brauche ich euch hoffentlich nicht mehr darstellen!“ Izzy pausierte kurz und blickte Tai und Kari an; die beiden erwiderten seinen Blick mit Sorge und wirkten zugleich schockiert. „Ums besser zu beschreiben: Wir haben es hier quasi mit einem dritten Notruf zu tun!“

Tai und Kari schauten sich einander an und fassten sich innerlich ans Herz. Sie beide hatten dieses Gefühl schon länger im Bauch gehabt, dass irgendetwas nicht stimmte. Nun konnten sie sich ausmalen, warum Sora sich bis jetzt noch nicht gemeldet hatte… und mussten zugleich die niederschmetternde Nachricht erfahren, dass Sora sich gerade womöglich in höchster Gefahr befand.

Tai fühlte sich mies; warum hatte er Sora gehen lassen? Wäre er doch hart geblieben und hätte er darauf bestanden, dass sie hierbleiben solle. Sie wussten doch schließlich beide, dass es in Ruanda ohnehin nicht sehr sicher war… jetzt war es aber zu spät. Sie war nun fort… und wer weiß, wie es ihr jetzt erging…
 

Izzy schaute Tai an: „Und nun meine Frage: Was schlägst du vor, was sollen wir jetzt tun? Du bist immer noch der Anführer unserer Generation…“

Tai schritt langsam zum Fenster. Der 18-Jährige schaute jedoch nicht hinaus, sondern er schloss seine Augen. Was sollte er jetzt machen? Was wäre denn jetzt die treffendste Entscheidung in dieser Situation? Sein nächster Wille war der, sofort nach Ruanda aufzubrechen und nach dem Rechten zu schauen. Aber er hatte früher gelernt, nicht immer sofort von hier auf jetzt loszustürmen und das zu machen, was er für richtig hielt. Diese Einstellung hatte ihm früher mehr als oft Schwierigkeiten bereitet. Nun hatte er aber die Lehren daraus gezogen; Tai würde nie mehr übereilige Entscheidungen treffen, sondern davor immer planen und genau überlegen…

Izzy und Kari schauten ihm erwartungsvoll hinterher. Beide erwarteten nun einen Vorschlag aus dem Munde des Digiritter-Oberhauptes. Sie vertrauten immer noch auf den Braunhaarigen; er schließlich blieb in den letzten Jahren die führende treibende Kraft, die die Gruppe der Digiritter zusammenhielt. Und außerdem hatte Tai jene Ausstrahlung eines Anführers, wie es auch sein musste und wie sie kein anderer hatte. Zwar war die Gruppe durch ihn auch oft in brenzlige Situationen gebracht worden, aber damals waren sie alle noch klein und dachten nicht so viel über das nach, was sie taten. Nun waren genug Jahre vergangen, um reifer und erwachsener geworden zu sein. So auch Tai.

Also: Wenn nicht er die richtige Entscheidung fallen sollte, wer denn dann?

So warteten der Rot- und die Braunhaarige gespannt auf seine Reaktion… die alsbald auch kam…
 

Der Braunhaarige öffnete seine Augen; soeben hatte er einen Entschluss gefasst!

„Wir werden das Nötige tun, um uns Klarheit zu verschaffen; wir werden auf eigener Faust herausfinden, wie es Sora nun geht…“ Er drehte sich zu Izzy Kari und schaute die beiden mit einer ernsten Miene an: „Wir werden eine dritte Gruppe bilden! Izzy, Kari, packt eure Sachen! Afrika wartet auf uns!“

Aufbruch

Es war draußen schon seit Langem dunkel. Auf den Straßen war es überwiegend ruhig und eigentlich sollten alle Menschen in Japan jetzt tief und fest schlafen; immerhin war es bereits 3 Uhr nachts.

Dennoch hatten sich – fast alle Digiritter der ersten und zweiten Generation in dieser Nacht versammelt, um gemeinsam in die Digiwelt aufzubrechen. Da standen nun Tai, Matt, Izzy, Joe, Kari, Davis, Ken, Yolei und Cody… an einem Ort, der einem Teil der neun Jugendlichen viel bedeutet…

Die Gruppe hatte sich von den Erwachsenen unter dem Vorwand verabschiedet, ein paar Tage auf der Berghütte zu verbringen, wo einst das erste Abenteuer begann. So konnte man nun hoffentlich ohne Probleme die Pläne, die die Gruppe am gestrigen Tage in Izzys Zimmer erarbeitet hatte, in die Tat umsetzen.

Nun sollte also ein weiteres Abenteuer folgen…
 

„Ich freu mich schon, Veemon endlich wiederzusehen!“, frohlockte Davis.

„Mal schauen, ob er sich genauso freut, dich wieder ertragen zu müssen…“, meinte Yolei und kicherte leicht.

„Das musst du grad sagen!“, erwiderte Davis mit einem teuflischen Grinsen, „Wer war denn in unserer Gruppe immer das Nervenbündel gewesen, das alle ertragen mussten, heee?!“

„Komm her! Dir verpass ich eine, du… duuu…“, rief Yolei und wollte gerade auf den Braunhaarigen losgehen.

„AUFHÖREN!“, brüllte Tai… allerdings nur mit halber Stimme, da er durch seine Müdigkeit noch ziemlich benommen da stand. „Ihr habt echt zu viel geschlafen! Richtet eure Wachsamkeit lieber auf das, was nun bevorsteht! Jetzt kommt!“ Der 18-Jährige gähnte noch einmal herzhaft, ehe er wieder Richtung Gruppe davon schritt.
 

Izzy hatte sich hingehockt und tippte auf der Tastatur herum. Im Gegensatz zu den anderen war er hellwach und bereitete nun den Sprung in die Digiwelt vor. Dort sollten erst einmal alle Digimonpartner zusammengetrommelt werden, ehe sich die Digiritter in die drei Gruppen aufteilen würden, die gestern gebildet wurden.

Davis, Ken und Yolei werden nach Amerika zu Mimi geschickt; Matt, Joe und Cody werden nach Australien zu T.K. aufbrechen; schließlich bleiben noch Tai, Kari und Izzy übrig, die nach Afrika gehen werden, um Sora zu unterstützen.

Nach einer Weile lächelte der Rothaarige auf: „Wir wären dann soweit! Das Tor ist offen und wir können nun aufbrechen!“ Er stellte einen Flachbildschirm auf einen Stein, der hell aufleuchtete.

Alle Anwesenden nickten. „Dann mal los, Digiritter!“, rief Yolei ihren allseits bewährten Schlachtruf. Der Monitor leuchtete mit einem Male noch heller auf als bisher; ein greller Lichtblitz und ein Summen folgten… und schon waren alle neun Jugendlichen verschwunden.
 

-------------------------------
 

Die Digiwelt hatte in den Jahren über, nachdem Malomyotismon besiegt worden war, eine völlig friedliche Phase durchlebt. Mit der Zeit erholte sich die digitale Parallelwelt von den Strapazen, die sie durch die dunklen Mächte Jahre zuvor erfahren hatte und blühte nun in allen möglichen Farben auf. In der Stadt des ewigen Anfangs herrschte zudem Hochbetrieb… die Babys brauchten einfach die Zeit, um zu schlüpfen beziehungsweise sich zu entwickeln. Und in den übrigen Regionen und Gebieten taten die Digimon das, was sie für ihre Bestimmung hielten. So betrieb Digitamamon weiterhin sein Restaurant; Leomon und Ogremon lieferten sich unaufhörlich Duelle, ohne dass bisher einer von ihnen nennenswert zu Schaden kam; Chipmon und Sukamon trieben Schabernack oder stibitzten Essen aus den Lagern; und Monzaemon unterhielt Tag für Tag die Digimon in der Spielzeugstadt…

Doch momentan war – wie in der normalen Welt – Nacht und alles hatte sich zur Ruhe gelegt… außer den Bakemons, die mal wieder wie in jeder Nacht ihr Ritual auf dem Friedhof abhielten.

Aber noch ein paar Gestalten, die sich unweit des Sees aufhielten, wo Gabumon erstmals die Digitation zu Garurumon vollzog, waren wach. Oder versuchten zumindest, sich gegenseitig wach zu halten…
 

Gähnend reckte sich Agumon und starrte den Fernseher an, um den sich alle zwölf Digimonpartner ebenfalls versammelt hatten.

„Das dauert ja ewig“, bemerkte Veemon mit einem müden Ton.

„Die kommen bestimmt gleich… so war’s doch abgemacht, oder?“, meinte Gabumon.

„Ja… nur Sora, T.K. und Mimi kommen nicht. Aber zu ihnen werden wir danach gehen…“, stellte Tentomon klar und zog fragende Blicke auf sich.

„Wieso?“

„Warum sind die drei nicht dabei?“

„Werden wir sie etwa besuchen gehen oder was haben wir vor?“, fragte Armadillomon, der sich schwer tat, seine Augen offen zu halten.

„Nein, es gibt Arbeit für uns! Wenn du aufmerksamer wärst, würdest du keine so dummen Fragen stellen…“, wies Gatomon ihn zurecht.

„Kann ich was dafür, dass Tai und die anderen so eine undigimonartige Uhrzeit aussuchen?“, murmelte Armadillomon etwas beleidigt und wollte gerade es sich auf dem Boden bequemer machen, als plötzlich der Fernseher sich anschaltete.

Die Wachsamkeit der Digimon erhöhte sich schlagartig. Alle gingen einen Schritt zurück, ehe der Fernsehbildschirm hell aufleuchtete und ein summendes Geräusch von sich gab…

Mit einem grellen Aufleuchten und einem lauten Plumps waren die 9 Jugendlichen, auf die sich die Digimon so gefreut haben, erschienen…

Genauer gesagt lagen sie alle auf einem Haufen…
 

„TAI! TAI!“ Agumons Stimme füllte die Gegend; er war der Erste, der sich aus der Starre gelöst hatte und auf den braunhaarigen Wuschelkopf zulief. Dieser befreite sich genauso aus dem entstandenen Knotenhaufen und schloss das Dinodigimon in eine feste Umarmung. Auch die restlichen Digimon eilten auf ihre jeweiligen Partner zu und die Freude über das Wiedersehen war groß…

Nur Biyomon, Patamon und Palmon schauten etwas traurig in die Runde, was auch nicht ohne Weiteres an den Jugendlichen vorbei glitt. Doch Mitleid half jetzt am Wenigsten, also ging es sofort wieder zur Tagesordnung über; Izzy schilderte den Digimon die Lage und weihte sie in den Plan ein, der nun ausgeführt werden sollte. Die wenigsten Digimon verstanden den Plan sofort, aber das war ihnen förmlich egal, weil die digitalen Wesen weniger auf das Nachdenken, sondern meist auf vier Dinge im Leben fokussiert waren: Essen, Trinken, Schlafen und Kämpfen. Doch als die 3 ohne Partner verbliebenen Digimon hörten, dass Mimi, T.K. und Sora sich wahrscheinlich in Gefahr befanden, mischten sich besorgte Blicke in ihren Gesichtern.

Umso mehr drängten die 3 Digimon jetzt darauf, dass man ihren Partnern jetzt hilft.
 

„Wir wären dann soweit zur Teleportation!“, meldete Izzy, nachdem er den Laptop mit dem Fernseher angeschlossen und die Software gestartet hatte. Nacheinander verschwanden die einzelnen Digiritter und ihre Partner in dem Bildschirm; erst waren Davis, Ken und Yolei mit Veemon, Wormmon, Hawkmon und Palmon nach Amerika geschickt worden; danach kamen Matt, Joe und Cody mit Gabumon, Gomamon, Armadillomon und Patamon dran, die sich nach Australien begaben.

Nun blieben noch Tai, Kari und Izzy übrig, deren Digimon nun erwartungsvoll auf den immer noch leuchtenden Fernseher schauten.

„Tja…“, meinte Izzy, „Jetzt heißt es Daumen drücken, Leute…“

„Was ist los, Izzy? Ist irgendwas nicht in Ordnung?“, fragte Kari.

„Jetzt wird’s spannend… wie ihr ja selber wisst, liegen mir keine Koordinaten von Soras Ort vor. Soll heißen, ich kann nur die Basiskoordinate des afrikanischen Kontinents eingeben und der Rest sind Zufallswerte…“

„Ähm… Zufallswerte? Das heißt doch nicht etwa, dass wir an jedem möglichen Ort in Afrika landen können, oder?“

Izzy nickte steif: „Doch… alle Möglichkeiten gibt es. Wir können im Urwald landen; oder in der Wüste; oder in einem See; oder, oder, oder…“

Kari fühlte sich etwas unwohl: „Ist das nicht zu gefährlich? Wir könnten sofort angegriffen werden…“

Tai legte eine Hand auf die Schulter seiner Schwester: „Wir haben doch unsere Digimon! Im Notfall können sie eingreifen und uns vor Gefahren bewahren…“

„Genau!“, nickte Agumon freudig.

Die Braunhaarige wusste nicht so recht, war jedoch nun auch bereit für den Transfer. „Dann leg mal los, Izzy…“

Izzy sah Tai nochmal an, bevor er dann sich dem Laptop widmete, erst die Koordinate Afrikas eingab und dann per Tastendruck Zufallswerte generierte, die sich auf die übrigen Eingabefelder verteilten. Nun wurden alle Werte in den Fernseher eingeschleust und es dauerte nicht lange, bis der Fernseher reagierte und hell aufleuchtete.

Gleich würden sie ja sehen, in welcher Gegend sie stranden werden…

Der Rothaarige trennte den Laptop vom Fernseher und klemmte es zwischen seine Arme. „Es ist soweit! Auf geht’s!“

Abermals mit einem grellen Lichtblitz verschwanden nun die restlichen Anwesenden im Fernseher. Ein anschließendes „Klick“ ertönte und der Bildschirm wurde wieder völlig schwarz…

Als wäre nichts gewesen…
 

-------------------------------
 

*KRACH!*

Mit einem lauten Knall wurde die Tür der Wellblechhütte aufgestoßen. Die Gefangenen, die gerade noch auf dem ungemütlichen Boden lagen und friedlich schliefen, schreckten auf und saßen nun alle auf ihrem Allerwertesten. Noch immer benommen vom plötzlichen Radau sahen Sora und die Gastfamilie zu denen, die nun an der Tür standen. Es waren wieder die Kidnapper, jedoch erschienen sie diesmal zu viert.

Einer von Ihnen ging zum Vater, packte ihn am Kragen, hielt ihm ein Messer drohend an der Kehle und redete auf ihn ein, was die Orangehaarige wiederum nicht verstand. Sie schaute nur beängstigt zu den vier Entführern, die allesamt Masken auf hatten.

Die Szene, von der Sora nur herzlich wenig erfahren wollte, dauerte noch eine ganze Weile. Als der eine Mann das Messer wieder zurückzog und den Vater losließ, fiel Sora innerlich ein Stein vom Herzen. Zwei der Entführer hoben jedoch die Handfeuerwaffe und wiesen den Vater und dessen Familie an, nach draußen zu gehen. Die drei Kinder schauten angsterfüllt auf und wollten erst sich gar nicht bewegen, bis die Mutter sie alle an der Hand nahm und mit ihnen aus der Hütte ging.

„Was das jetzt wohl wird? Hoffentlich tun die Kerle ihnen nichts…“, dachte sich Sora und wartete noch auf das Schicksal, was nun ihr ereilen würde. Schließlich kamen die anderen 2 Entführer auf sie zu und packten sie an beiden Armen. Sora, überrumpelt und gleichzeitig sich wehrend, wurde wieder gefesselt und gewaltsam aus der Hütte getrieben.

Draußen sah sie den Transporter von gestern… und daneben ein weiteres Fahrzeug: Ein Auto, das sogar ziemlich nobel aussah. „Die müssen ja echt schon viele Opfer haben, wenn sie sich so ‘ne Karre sich anschaffen können…“, dachte sich die Orangehaarige. Doch gleich darauf war ihre Aufmerksamkeit auf den Vater gerichtet, der lautstark auf den einen Kidnapper einredete. Dieser wiederum schüttelte immer nur den Kopf und stellte sich taub. Als der Vater zum dritten Mal anlief, richtete der maskierte Mann genervt seine Waffe auf ihn. Der Vater verstummte mit einem Male; danach schaute er Sora sorgevoll an. Sie verstand nicht, warum… erfuhr es aber nicht allzu später, als sie sah, dass die ganze Gastfamilie auf den Transporter gescheucht und anschließend wieder einmal gefesselt wurde. Schließlich stiegen die 2 Männer ein und das Fahrzeug fuhr weg.

Ohne sie…
 

„Und was ist jetzt mit mir?“ Mit diesen Gedanken bekam die 18-Jährige Fracksausen. Was sollte das? Wieso ließ man sie hier mit den zwei anderen alleine? Ganz anscheinend hatte der Vater vorher mit dem Kerl über sie geredet… trotzdem konnte sie nicht deuten, worum es genau ging. Hatten die Entführer etwa noch andere Interessen an ihr? Sie wagte sich nicht vorzustellen, was für Interessen…

„Los, ab in den Wagen da!“ Einer der Entführer forderte sie auf, in den Wagen einzusteigen. „Aha, einer der Englisch sprechen kann…“, dachte sich die 18-Jährige; sie würde ihn früher oder später noch zur Rede stellen, was das soll…

Widerwillig stieg sie hinten ein und blieb vorerst stumm. Das Fahrzeug setzte sich Sekunden später mit den beiden Kidnappern in Bewegung und fuhr weiter in östlicher Richtung…
 

„Was haben Sie mit mir vor?“, stellte Sora nun die längst überfällige Frage und beugte sich etwas vor. Mittlerweile platzte der Kopf der Orangehaarigen vor Fragen.

„Ganz ruhig, Kleine…“, meinte der Mann auf dem Beifahrersitz in fließendem Englisch und zündete sich eine Zigarette an. „Dir wird erstmal nichts geschehen, solange du nicht versuchst, selber zu fliehen oder dummes Zeug anzustellen…“

„Aber was ist jetzt mit den anderen? Was ist mit meiner Gastfamilie?“

„Die werden jetzt gerade heimgebracht von unseren Partnern. Anscheinend ist dein Gastvater wohl bereit, die von uns geforderte Summe zu zahlen…“

Das machte immer noch keinen Sinn. Sie bohrte weiter nach: „Und wieso nehmen Sie mich jetzt noch mit, wenn er bereit ist, Lösegeld zu zahlen?“

Der Mann grinste hämisch. „Das ist wohl dein Pech, meine Liebe. Nur selten gerät uns jemand von außerhalb wie du in den Beutesack. Das müssen wir ausnutzen… die japanische Regierung wäre sicherlich zu mehr Lösegeld bereit als unsere korrupten und armseligen Bürofritzen! Findest du nicht?“, stellte er klar und lachte sich schlapp.

„Ach… daher weht der Wind…“, seufzte Sora niedergeschlagen und ließ sich zurück in den Sitz fallen.
 

Sie schien wie vom Pech verfolgt zu sein; bis jetzt jagte eine Katastrophe die andere. Erst erschien Deemon; dann wurde ihr D-Terminal zerstört; schließlich wurde sie Opfer einer Entführung; und jetzt, wo endlich Licht am Ende des Tunnels hätte sein können, musste sie feststellen, dass es ein entgegenkommender Zug war. Sie machte sich derweil kaum noch Hoffnung auf Rettung… wer sollte sie denn jetzt schon noch suchen? Niemand… auch nicht Tai…

Bedrückt schaute sie aus dem Wagenfenster hinaus in die noch dämmernde Umgebung. Sie fuhren immer weiter ohne Stopp gen Osten… das hieß, irgendwann müssten sie in der Nähe vom Kagera-Nationalpark sein. Das war jener Park, über den Sora gestern auf dem Kapellenturm noch sich Gedanken gemacht hatte. Eigentlich sollte die Gegend sehr dünn besiedelt sein, wie sie oft über die östliche Region Ruandas gelesen hatte. Aber zählte nicht Ruanda zu den am dichtesten bevölkerten Ländern Afrikas? Zumindest der Nationalpark müsste doch dutzende von Polizeistationen aufweisen… irgendwie musste Sora doch auf sich aufmerksam machen.

„Wenn ich doch zu meinem Orientierungssinn doch wenigstens genauso die Fähigkeit hätte, einen Notruf zu senden“, dachte die 18-Jährige verzweifelt.
 

„Hey! Sieh dir das mal an…“

Sora blickte neugierig auf. Der Fahrer hatte gerade seinen Komplizen angesprochen und deutete auf irgendwas, was sich vor ihnen befand. Die Orangehaarige richtete sich mühsam auf und versuchte, dem Blick des Fahrers zu folgen. Sie entdeckte erstmal nichts, als sie durch die Windschutzscheibe nach vorne schaute…

Erst als sie ihren Blick auf die Straße konzentrierte, merkte sie, dass da irgendetwas nicht stimmte: Ein riesiges schwarzes Loch machte sich auf der Fahrbahn breit.

Sie kannte dieses Phänomen. Vor vier Jahren hatte jemand auf diese Weise sein Erscheinen angekündigt. Sie ahnte schon, wer nun aus dem Loch herauskommen würde… und fluchte gleichzeitig innerlich: „Den wollte ich jetzt nun auch nicht rufen…“

Der Wagen vollzog eine Vollbremsung; mit Müh und Not… und Hilfe von ihren Beinen, die sie gegen den Beifahrersitz gerichtet hatte, konnte sich Sora auf dem Rückfahrersitz halten.

Vor ihnen auf der Straße stand nun jemand in einer Kutte.
 

„Deemon…“, dachte sich die hinten Sitzende…

„Was macht denn der auf einmal hier?“, rief der Fahrer aufgebracht und hupte mehrere Male. „Fahr einfach weiter; der wird schon den Weg frei machen!“, spornte ihn sein Komplize an. Dieser nickte zustimmend, gab daraufhin Gas und raste auf das immer noch still stehende Digimon zu.

Nur noch wenige Meter trennten das Auto und Deemon voneinander…

… als plötzlich das Auto einen Satz nach hoch oben machte. Und es blieb still in der Luft stehen. Man hörte aber weiterhin das Durchdrehen der Räder…

Deemon grinste unter seiner Kapuze.

„Kneif mich! Fliegen wir jetzt etwa?! Ich hab Höhenangst!“, hörte Sora den Beifahrer schreien. Sie selber kämpfte ebenfalls mit der Angst, die jedoch mehr dem Digimon galt. Irgendwas sagte ihr, dass sein Auftauchen nicht ohne Grund war…

Plötzlich öffnete sich von Geisterhand die Tür neben ihr; dann kippte der Wagen seitlich in der Luft, sodass die Orangehaarige aus dem Fahrzeug fiel und gen Boden stürzte. Sie machte sich schon auf den schmerzhaften Aufprall gefasst…

… der jedoch ausblieb.

Stattdessen schwebte sie leicht über dem Asphalt.

Sora blickte zu Deemon; sie konnte zwar keine Gestik durch seine Kapuze erkennen, doch sie vermutete ein teuflisches Grinsen.

Ihre Befürchtung schien sich zu bestätigen.

„Wen haben wir denn da? Ein Digiritter, nicht wahr?“

Es fliegt was durch die Luft…

Sydney war schon immer eine belebte Stadt gewesen. Nicht nur, dass sie die Hauptstadt eines australischen Bundesstaates darstellte; sie war gleichzeitig die größte Stadt überhaupt auf dem australischen Kontinent. Die Stadt blieb ein Standpunkt des Handels, des Tourismus‘, der Kultur und auch des Lebens. Scharen von neugierigen und reiselustigen Menschen zogen durch jeden Winkel der Stadt, die Vielfalt der Sehenswürdigkeiten raubten ihnen den Atem. Zahlreiche Kulturangebote, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Zentrums rundeten das touristische Angebot der Stadt ab.
 

Doch heute war alles anders. Der Royal Botanic Garden, der größte unter den 3 großen Botanischen Gärten der Stadt, wurde von der Polizei abgeriegelt. Der Grund war leicht zu erkennen: Dutzende fledermausartige Geschöpfe tummelten sich zwischen den Büschen und Bäumen herum, angeführt von einem wiederum menschenartigen Wesen, das für ein paar Beobachter so etwa wie eine übertrieben kostümierte Punklady aussah.

Die Polizei versuchte indes, mit Warnschüssen und Tränengas gegen die Eindringlinge vorzugehen, scheiterte jedoch immer daran, dass diesen Viechern das Tränengas überhaupt nichts ausmachte oder sie selber die Gesetzeshüter angriffen. Als der Kommissar sah, dass immer mehr seiner Männer verletzt wurden, griff er durch: „Das bringt nichts, sie scheinen sich nicht abwimmeln zu lassen. Da hilft jetzt nur noch grobe Gewalt!“ Mit diesen Worten griff er ans Funkgerät und orderte eine Spezialeinheit herbei…
 

Währenddessen beobachteten vier aufmerksame Augenpaare die Situation.

„Was machen die denn da?“

„Keine Ahnung, aber sie scheinen in dem Garten irgendwas zu suchen.“

„Und so wie’s aussieht, konnte die Polizei sie wohl nicht daran hindern, den halben Garten zu verwüsten. Das sieht ja furchtbar aus!“

„Oje, wir müssen doch irgendwas tun gegen diese Plage!“

„Ja, aber nur was? Lady-Devimon ist auf dem Ultra-Level, und leider ist uns die Fähigkeit momentan nicht gegeben, auf das Ultra-Level zu digitieren!“

„Nun, aber zumindest könnten wir die Vilemon beseitigen! Wenn es stimmen sollte, dass die Digimon etwas im Botanischen Garten suchen sollten, dann wird sich Lady-Devimon erst mal zurückziehen müssen, um neue Gehilfen zu holen! Alleine wird sie jedenfalls wohl kaum die Suche fortsetzen wollen… was meint ihr?“

„Mhh… gute Idee, T.K.! Also dann mal los!“

Die 4 Jugendlichen drehten sich um und betrachteten die vier Digimon an, die vor ihnen standen… und die zu allem bereit waren.

„Es kann losgehen! Seid ihr soweit?“
 

„Chef, die Eindringlinge fliegen aus! Sie verlassen den Garten!“

Der Kommissar blickte seinen Beamten ungläubig an und musste beobachten, wie Lady-Devimon und die Vilemon davonflogen. Der Park war mittlerweile ziemlich zugerichtet; die Mehrzahl der Bäume existierten nicht mehr, die Blumenbeete hatten sich alle aufgelöst und der größte Teil des Grüns verschwand… fast überall war nur noch verbrannte Erde vorzufinden.

„Oh nein, wie soll ich das nur dem Bürgermeister erklären!?“, fluchte der Kommissar, doch gleichzeitig fiel ihm ein weiterer Beamte ins Wort: „Herr Kommissar! Die Viecher nehmen Kurs auf das Opernhaus zu!“

Auf einmal wurde sein Kopf heiß. Auf das Opernhaus?!? Das bedeutendste Kulturgut Sydneys! Nicht auszudenken, was diese Unwesen daraus anrichten würden…

Er zögerte keinen Augenblick: „Alle Mann sofort zum Opernhaus! Waffen laden und feuerbereit halten! Die Spezialeinheit soll sich sofort dahin und dann auf Gefechtsstation begeben! Wenn sie auch nur den Anschein vermitteln, das Opernhaus anzugreifen, dann knallen wir sie ab!“

Mit diesen Worten rannte er zu seinem Auto. Polizeisirenen und quietschende Reifen ertönten, bevor die Polizei den zerstörten botanischen Garten verließ.
 

„Da ist unser Ziel!“

Lady-Devimon stoppte in der Luft und die Vilemon umkreisten das Opernhaus. Sie waren bereit.

„Auf mein Kommando… Feu… was?“

Gerade wollten die Vilemon angreifen, da schoss ohne jede Vorankündigung ein Lichtstrahl in deren Bahn; ein Dutzend Vilemon verpuffte. Der Rest der Digimon schleuderte die Attacken vor Schreck irgendwohin, nur nicht gegen das Opernhaus.

Lady-Devimon drehte sich um… und erblickte Angemon in der Luft, dessen rechte Faust noch hell leuchtete. Auch erschienen Ikkakumon im Wasser, Garurumon und Digmon neben dem Gebäude der Philharmonie.

Das böse Digimon grinste daraufhin fies: „Sieh an, die Weltenretterbande! Auf euch habe ich schon gewartet!“

„Schön, aber unser Dankeschön hast du leider noch nicht verdient!“, konterte Matt, der sich mit Joe, Cody und T.K. ebenfalls neben dem Gebäude aufhielt. „Los, greift an! Wir zählen auf euch!“

Der Kampf hatte begonnen…
 

-------------------------------
 

Zu schön, um wieder aufzustehen – würde man sich doch sicherlich denken… gerade nachdem man ziemlich unsanft gefallen war. So erging es Tai, nachdem er jetzt auf einem Stück Erde lag. Komisch, irgendwie fühlte sich die Gegend vertraut an. Der Braunhaarige hatte seine Augen zwar nicht lange aufhalten können, aber es kam ihm wie sein Zuhause vor.

Er ließ aber diesen Gedanken nach kurzer Zeit wieder gehen… momentan wollte er sich einfach nur entspannen…

„Tai! Ich weiß ja, dass du müde bist, aber wir müssen jetzt sofort hier raus!“

Die Stimme seiner Schwester ertönte in seinen Ohren… wie ungefähr an jedem Morgen, wenn er mal wieder verschlief.

„Mhh… was ist denn? Sind wir etwa schon da?“

„Schon seit 5 Minuten, du Schlafbeule! Wir sind in Afrika!“

Tai öffnete verschlafen die Augen und richtete sich ruckartig auf; sie waren schon in Afrika? Warum fühlte sich Afrika genauso an wie jedes andere Land, wo ein gemäßigtes Klima herrschte? Er hatte bisher nur zwei Wörter mit dem Kontinent Afrika verbunden: „Heiß“ und „Wüste“. Heiß war es hier aber nicht gerade…

Es war schließlich immer noch dunkel, und heiß konnte es im Dunklen nur selten sein. In der Nähe entdeckte er seine Schwester; Izzy lag noch etwas benommen auf dem Boden; und die Digimon schliefen anscheinend noch. Der Braunhaarige blickte sich um… und erkannte, warum ihm der Ort so vertraut vorkam: Sie waren in einem Stadion auf einem noch nicht fertiggestellten Fußballfeld gelandet. Der komplette Rasen fehlte noch… stattdessen war die reinste Baustelle zu erkennen. Und auch sonst sah das Stadion so aus, als würde es gerade renoviert werden…

Er überlegte nicht lange nach und hegte bereits eine durchaus zutreffende Vermutung: Sie konnten tatsächlich in Afrika gelandet sein, genauer gesagt in Südafrika… das Land, das sich gerade auf die Fußball-Weltmeisterschaft vorbereitete. Alle größeren Stadien befanden sich für diese Veranstaltung allesamt im Umbau… so wie dieses hier.
 

„Wo sind wir hier?“, hörte Tai nun auch Izzys leicht verschlafene Stimme.

„Weiß ich nicht… aber anscheinend in einem in Bau befindlichen Fußballstadion“, stellte Kari fest.

„Wir sind in Johannesburg…“, kam es prompt aus Tais Mund.

Die beiden anderen blickten ihn fragend an. „Woher weißt du denn das nun wieder?“

„Fußballerinstinkt!“, grinste Tai, „Mehreres spricht dafür, dass wir uns im FNB-Stadion befinden, dem größten Stadion Afrikas…“

Izzy, Kari und die Digimon blickten sich um… und erkannten ebenso die gewaltige Größe, die dieses Stadion nach dem Umbau besitzen würde. Jedenfalls fehlte nicht mehr viel… Tai schätzte, dass bereits ungefähr 70% des Stadions fertig umgebaut war.

„Wieso bist du dir so sicher, dass wir in diesem besagten… ähm… wie hieß das Stadion nochmal?“, fragte Kari ihren Bruder etwas ratlos.

„Abgekürzt heißt es Soccer City. Sicher bin ich mir allerdings auch nicht zu 100%. Kann ich mir erst sein, wenn wir von außen aus mal die Fassade des Stadions anschauen…“

„Das sollte nicht nötig sein…“

Die beiden Geschwister drehten sich zu Izzy um. Der hatte mal wieder sein Gerät angeschaltet und tüftelte da gerade an irgendwas…

Tai schaute neugierig auf dem Bildschirm. Er erkannte zunächst nur Programmcodezeilen, doch plötzlich öffnete sich ein neues Fenster auf dem Desktop…

Eine Landkarte…

Mit einem roten Pfeil, der auf einer Stelle der Karte zeigte.
 

„Du hast Recht, Tai! Wir befinden uns wirklich in Johannesburg“, stellte Izzy erstaunt fest.

„Sag ich doch“, erwiderte Tai mit einem Siegesgrinsen, während Kari ihn leicht lächelnd und kopfschüttelnd anschaute.

Mittlerweile waren die Digimon aufgewacht und gesellten sich zu den drei Jugendlichen. Ratlos blickten sie den Bildschirm an.

„Was machst du da, Izzy?“, fragte Tentomon.

„Mal sehen, Südafrika liegt leider ganz im Süden… und Ruanda irgendwo in der Mitte des Kontinents. Ich lasse mal die Route berechnen…“

„Klingt ja nicht wirklich so, als ob wir in Soras Nähe gelandet wären…“, meinte Kari etwas bestürzt.

„Nicht wirklich… aber das sollte das geringste Problem sein, denke ich…“, antwortete Izzy mit einer Spur Zuversichtlichkeit in seinem Gesicht.

„Das hoffe ich auch… denn wir haben jetzt ganz andere Probleme…“

Izzy stockte. „Wie bitte? Was denn für Probleme, Tai?“

„Die da drüben…“

Der Braunhaarige deutete auf zwei Gestalten in der Ferne, die auf die 3 Jugendlichen und ihre Digimon zuliefen. Man konnte unter dem noch relativ dunklen Himmel kaum was erkennen, doch diese Männer trugen irgendwas an der Seitentasche…

Tai vermutete nichts Gutes und blickte noch genauer hin…
 

Schusswaffen!

„Das sind Wachen!“, rief Tai.

Die anderen blickten entsetzt zu den Silhouetten.

„Oh nein! Und was machen wir jetzt?“, fragte Agumon.

„Weglaufen ist zu riskant, sie haben Schusswaffen bei sich! Sie könnten auf uns schießen, wenn wir flüchten“, meinte der 18-Jährige nachdenkend.

„Aber wir müssen doch schleunigst hier weg! Sora erwartet doch unsere Hilfe!“, entgegnete das aufgeregte Biyomon. Es konnte sichtlich kaum erwarten, ihre Partnerin nach Jahren endlich wiederzusehen.

Währenddessen kamen die Gestalten immer näher.

„Du hast ja Recht, Biyomon! Also bleibt uns nur noch eine letzte Möglichkeit!“

„Ähm, du meinst doch nicht etwa unsere Digimon – oder, Tai?“, fragte Izzy etwas skeptisch.

„Doch, mein Lieber! Dass die Menschen die Digimon jetzt zu Gesicht bekommen, macht doch keinen Unterschied mehr! Deemon wird früher oder später dafür sorgen, dass wieder überall auf der Welt Digimon unterwegs sind! Los, lass Tentomon digitieren, damit wir hier abhauen können!“
 

„Keine Bewegung!“, rief einer der Beamten in Englisch, die Waffe bereithaltend. „Was habt ihr Kinder hier verloren? Auf der Stelle werdet ihr jetzt mitkommen!“

„Tut uns Leid, aber wir haben noch eine Mission zu erfüllen!“, erwiderte Tai leicht gewitzt.

„Keine Mätzchen, du Wicht!“

„Tentomon?“, rief Izzy und blickte sein Digimon an, das nur nickte.

Ein plötzliches Licht erfüllte das dunkle Stadion.

« Tentomon digitiert zu – Kabuterimon! »

Die zwei Beamten schreckten erwartungsgemäß zurück, fielen auf den Boden und ließen die Waffen fallen, als das eben noch kleine Tentomon sich in der Größe seines Champion-Levels präsentierte. „HILFE! EIN MONSTER!“

„Los, alle auf Kabuterimon! Wir haben keine Zeit zu verlieren!“, rief Tai den anderen zu, die sich das nicht zweimal sagen ließen.

Mit den Digirittern und den anderen Digimon auf dem Rücken flog Kabuterimon in den immer noch mattdunklen Himmel. Für’s Erste schienen sie einer Gefahr davongekommen zu sein…

Kurz darauf ertönten jedoch Schussgeräusche. „Kopf einziehen!“, rief Kabuterimon und versuchte, seine Fluggeschwindigkeit zu erhöhen. Die Schüsse der Beamten hallten drohend in der Luft. Fast hatten die Digiritter jedoch eine für das Zielen unmögliche Höhe erreicht…

„Autsch!“

„Was ist, Kabuterimon?“, fragte der Rothaarige.

„Ich glaube, sie haben mich erwischt, Izzy! Am rechten Flügel! Ich kann nicht mehr lange durchhalten… ich muss irgendwo notlanden!“

Auch das noch…

„Meinst du, du schaffst es, noch in eine etwas sicherere Gegend zu fliegen?“

„Ich hoffe es jedenfalls…“
 

-------------------------------
 

„ALPTRAUMSCHOCK!“

Die Attacken der ungefähr zwei Dutzend Vilemon rasten auf die Digimon der Digiritter zu. An Garurumon scheiterten die Attacken jedoch, weil dieser den gefährlichen Energiestrahlen mit ein paar einfachen Sprüngen auswich; Angemon neutralisierte die bösartigen Attacken mit seiner eigenen; Digmon bohrte sich unter die Erde; und Ikkakumon tauchte einfach ins Wasser ab.

Angemon nutzte indes die Unaufmerksamkeit einiger Vilemon aus und feuerte hinter ihnen eine weitere Attacke ab:

„KRAFT DES LICHTES!“

Ein weiteres Dutzend an Vilemon verschwand von der Gefechtsfläche.

Lady-Devimon schaute indes verdutzt rüber. Sie erwartete damit, dass die Digimon der Jugendlichen auch irgendwann sie angriffen. Jedoch schienen diese indessen nur auf die Vilemon fixiert zu sein. „Die wollen mich wohl verarschen, oder?“

Die bösartige Digimonlady flog plötzlich auf Augenhöhe mit Angemon und griff es mit ihrem Krallenarm an. Dieser konnte nicht rechtzeitig ausweichen und steckte nun in dem unangenehmen Griff von Lady-Devimon.

„Angemon!“, rief T.K. vom Ufer aus.

„Wir müssen ihm helfen! Ikkakumon, greif Lady-Devimon an!“, rief Joe zu seinem Digimon.

„HARPUNE!“

Eine einzelnes Geschoss tauchte aus dem Wasser auf und raste auf Lady-Devimon zu, die gerade zu beschäftigt war mit Angemon. Die Attacke zeigte Wirkung: Das bösartige Digimon wurde von der Harpune getroffen und ließ Angemon los. Dieser flog davon… ganz zum Wunder Lady-Devimons, die verdutzt schaute, da sie sich auf eine Gegenattacke des Engeldigimons vorbereitet hatte.

Das aber knöpfte sich die restlichen Vilemon vor… zusammen mit Garurumon, Digmon und Ikkakumon.

„GEWALTIGES FEUER!“

„GOLDSTURM!“

„HARPUNE!“

„KRAFT DES LICHTES!“

Alle übrigen Vilemon lösten sich unter der Wucht der Attacken in Luft auf.

„Und jetzt zu dir, Lady-Devimon!“, rief Matt. „Greift alle zusammen an!“

Gerade wollten die Digimon ihre jeweiligen Attacken abfeuern…
 

Da wurden sie jäh durch ein herbei schallendes Megaphon abgelenkt.

„Feuert aus allen Rohren, Männer!!“, hörte man einen alten Mann laut schreien.

Sekunden später ratterten unzählige Maschinengewehre und –pistolen. Die Polizei und die Spezialeinheit griffen von der anderen Ufernseite und von der Sydney-Harbour-Bridge an. Unzählige Geschosse flogen auf die Digimon zu.

Angemon flog unter dem Kugelgewitter davon; Ikkakumon tauchte wieder ab; Garurumon und Digmon verschwanden hinter dem Opernhaus.

Matt und die anderen hielten sich hinter einem Busch versteckt und beobachteten Lady-Devimon, die immer noch in der Luft schwebte. Zunächst waren die vier Jugendlichen im Glauben, dass die Kugeln sowieso an ihr abprallten…

Doch nicht viel später bemerkten sie, dass das bösartige Digimon dem brutalen Dauerbeschuss ebenfalls nicht standhielt. Es schleuderte eine Dunkelheit-Attacke gegen die Brücke, doch die dunkle Welle flaute durch die noch relativ weite Entfernung zur Brücke schon sehr schnell ab… ganz zu schweigen von den Fledermäusen, die vollständig von den Geschossen erfasst wurden und leblos ins Meer fielen.

Lady-Devimon fluchte noch einmal laut auf, als es unter einem lauten Zischen und einem grellen Lichtblitz verschwand.
 

Das Feuer verstummte. Mit einem Male was es bedrückend still geworden. Die vier Digiritter hockten immer noch im Gebüsch. Mittlerweile waren auch Gabumon, Patamon und Armadillomon, die zurückdigitiert waren, im Versteck angekommen. T.K. sah Matt an: „Wo ist Lady-Devimon hin?“

Sein Bruder erwiderte mit ratloser Miene: „Weiß ich nicht… vielleicht wieder zurück in die Digiwelt?“

„Ist jetzt auch egal“, lenkte Joe ein, „Wir sollten ebenfalls schleunigst verschwinden und unsere Digimon in Sicherheit bringen! Sonst kommen die Sicherheitskräfte noch auf die Idee, uns einzusperren… IKKAKUMON!“

Das Meeresdigimon tauchte mit lautem Schäumen auf. Alle vier Digiritter und die drei Digimon sprangen auf Ikkakumons Kopf. „Los, bring uns hier weg! Am Besten in Richtung offenes Meer!“

Den Worten seines Partners folgend, schwamm Ikkakumon langsam davon. Den ersten Kampf hatten sie anscheinend gewonnen… obgleich ungewollte „Hilfe“ kam…

Doch es blieben einige Fragen in der Luft hängen…
 

-------------------------------
 

„Hoffentlich stürzen wir nicht ab“, befürchtete Agumon, der hilflos hin und her schaute.

„Und ich kann euch leider nicht helfen, obwohl ich gerne würde…“, gab Biyomon niedergeschlagen von sich.

„Leider… ich wünschte auch, Sora wäre hier“, erwiderte Tai mit genauso abgeknickter Miene. Er vermisste sie… und zusätzlich machte er sich nun genauso wie Biyomon wahnsinnige Sorgen um sie. Hoffentlich ging es ihr gut…

„Gibt’s hier keinen Ort, wo man sich verstecken könnte?“, fragte Kari Izzy.

„Ich erkenne hier nichts in der Dunkelheit… mhh, doch! Vielleicht dort… da ist ein kleiner Wald“, meinte der Rothaarige und zeigte auf eine Stelle unter ihnen.

„Sieht sicher aus… und vor allem unbewohnt“, meinte Tai.

„Ich schlage vor, wir halten uns dort eine Weile auf“, meinte Izzy, „Wir müssen sowieso mal schauen, in welche Richtung wir geflogen sind. Außerdem kann sich Kabuterimon dort erholen!“

Gesagt, getan! Kabuterimon landete am besagten Ort und die Digiritter stiegen von dem Insektendigimon herab. Kurz darauf digitierte es zu Tentomon zurück… und erst jetzt sah man, dass auf seiner rechten Panzerhälfte ein Stück fehlte.

Izzy schaute sein Digimon erschrocken an: „Tut’s arg weh, Tentomon?“

„Halb so schlimm“, meinte Tentomon lässig, „Das sieht heftiger aus, als es ist! Nach ein paar Stunden sollte das wieder von selbst verheilt sein…“

„Na, wenn das so ist“, erwiderte Izzy erleichtert und setzte sich erst einmal auf den Boden hin. Tai und Kari nahmen aus ihren Rucksäcken etwas zu Essen und zu Trinken heraus und die Digimon saßen nur da und warteten darauf, dass die beiden Geschwister ihnen etwas zu Essen abgaben.

Währenddessen kramte Izzy wieder seinen Laptop hervor und rief die Karte wieder auf. Der rote Pfeil war immer noch da… nur dass er sich diesmal auf einer anderen Position befand.
 

„Sehr gut, Tentomon! Du bist in die richtige Richtung geflogen! Wir befinden uns unweit der Grenze zu Botswana!“

„Wer ist Botswana?“, fragte Tentomon neugierig.

Izzy musste leicht kichern; die Digimon hatten in der Vergangenheit desöfteren solche Fragen gestellt, wenn es um etwas in der Menschenwelt ging.

„Das ist der Name eines afrikanischen Landes, Tentomon!“

„Achso“, sagte das verdutzte Digimon und hörte weiter zu.

„Wir sollten uns jetzt nur entscheiden, über welches Gebiet wir fliegen wollen… über Botswana oder über Simbabwe…“

„Simbabwe? Ist es nicht das Land, von dessen Präsident man desöfteren liest und hört, dass er gerne Diktator spielt?“, erwiderte Kari.

„Weiß nicht… kann schon sein… wieso fragst du?“, entgegnete Izzy.

„Weil ich dieses Thema schon einmal im Unterricht durchgenommen hatte. Dieser Mugabe, soviel ich über diesen Kerl gelesen habe, ist mir nicht geheuer. Ihm werden massive Gewalt- und Repressionsakten gegen die Opposition im Land vorgeworfen!“, erklärte die Braunhaarige.

„Naja… wenigstens nicht unser Problem“, meinte Tai und gähnte mal wieder herzhaft. „Ist es nicht egal, durch welches Gebiet wir fliegen?“

„Nicht unbedingt… in Botswana herrscht nämlich Halbwüstenklima; in Simbabwe ein subtropisches Klima! Was ist dir lieber, Tai?“, fragte Izzy in der Manier einer rhetorischen Fragestellung.

Der Braunhaarige überlegte nicht lange: „Lieber Simbabwe…“

„Was hast du denn nur gegen Wüsten, Tai?“, gab Agumon kopfschüttelnd und mit vollem Mund von sich.

„Dacht ich mir schon“, grinste Izzy und tippte weiter auf der Tastatur rum.

„Unglaublich! Kabuterimon hat schon fast 30 Kilometer zurückgelegt…“

Tai und Kari staunten nicht schlecht. In noch nicht mal 10 Minuten.

„Du hattest ja echt ein Mordstempo drauf gehabt, Tentomon!“

„Danke“, erwiderte das Digimon gewitzt.

„Ist ja super!“, meinte Tai. „Wie lange dauert’s noch bis Ruanda? Oder besser gefragt: Wie viele Kilometer bleiben noch übrig?“

„Moment, ich schau mal nach… ähm… etwa 2650 Kilometer!“

Für diese Antwort erntete der Rothaarige entsetzte Blicke von den restlichen Anwesenden, vor allem von Tentomon. Und sie alle waren nahe dran, ohnmächtig umzufallen…

Geheimnisse

„Das geht mir jetzt entschieden zu weit! Entweder du erklärst mir jetzt auf der Stelle, was das Ganze soll, oder…“

„Oder was, Digiritter? Du willst mir doch nicht etwa drohen, oder? In 500 Metern Höhe?“

In der Tat… 500 Meter Höhe waren nicht ohne. Zumindest, wenn man wie Sora keinen Boden unter den Füßen hatte. Deemon und seine Helfer, 2 Phantomon und mehrere Bakemon, hielten die Orangehaarige in einer schwebenden schwarzen Kugel gefangen und waren nun unterwegs… wohin, wussten nur sie.

Trotz der Drohung Deemons platzte der 18-Jährigen langsam der Kragen. Seitdem sie in diesen Schlamassel reingeritten war, konnte sie von keinem eine Antwort erhalten, der etwas Klarheit in die ganze Sache bringen und ihren allzu berechtigte Wissendurst löschen würde. „Ich tappe schon seit mehreren Tagen im Dunkeln rum und werde mit tausend Rätseln konfrontiert! Wäre es nicht nur zu fair, wenn du mir wenigstens sagst, was du mit mir vorhast?!“

„Das wirst du schon noch früh genug erfahren! Und jetzt gib endlich Ruhe, sonst lasse ich die schwarze Kugel verschwinden und dir überlasse ich dann den freien Fall!“

Mutig konterte Sora weiter: „Das ist mir relativ egal! Es wird mit mir doch sowieso auf gleicher Weise enden, wenn ich wieder Boden unter den Füßen bekomme!“ Sie erschrak bei diesen Worten gleichzeitig über ihr Verhalten. Sie benahm sich schon fast wie Mimi in früheren Zeiten. Doch dieser Gedanke schmerzte gleichzeitig so sehr, dass ihr fast Tränen aus den Augen liefen. Wie sehr Sora sie gerade jetzt doch vermisste und ihre Hilfe gebrauchen könnte…
 

„Hmm… da ist was dran…“

Deemon stoppte in der Luft. Die Phantomon und Bakemon schauten ihren Vorgesetzten irritiert an. Das Teufelsdigimon wandte sich der Gefangenen in der schwarzen Kugel zu.

„Pass auf! Da du – wie du schon selber sagtest – ohnehin jetzt die letzten Stunden deines Lebens verbringen wirst, werde ich dir die Güte geben, dich in unseren überaus teuflischen und narrensicheren Plan einzuweihen…“

Während die anfänglichen Worte des Digimons die Orangehaarige noch etwas in Schock versetzten, fing sich Sora nur kurz danach schon wieder und die Angst wurde plötzlich zu Neugier… vorerst. „Na, wenigstens sterbe ich im Klaren über allem…“, seufzte sie.

„Ich denke, es wäre angebracht, von ganz vorne auszuholen! Vor 4 Jahren, als ich den Kampf gegen euch und eure Digimon verlor und ihr mich ans Meer der Dunkelheit verbannt habt, schienen alle Wege für mich erst mal ins Nichts zu führen. Ich verbrachte mehrere Jahre damit, ein Tor zurück zur Digiwelt zu finden, aber jeder Weg scheiterte daran, weil jegliche Verbindungen der Digiwelt mit dem dunklen Meer gekappt wurden. Die Tore zu den anderen Welten brachten mir persönlich nichts, weil sie mir ebenfalls keinen Zugang zu eurer oder der Digiwelt ermöglichten. Alles war vergebens… da plötzlich tauchte ein totgeglaubter Freund auf: Dragomon, der Meister höchstpersönlich!“

Sora runzelte die Stirn; sie hatte keine Ahnung, wer Dragomon war. Sie war diesem Digimon noch nie begegnet… und was war mit „Der Meister“? Hat Deemon etwa einen Vorgesetzten? Interessant, was man so vor dem Tod noch alles erfährt…

Deemon blickte die 18-Jährige an. „Deinem nachdenklichen Gesichtsausdruck zu folgern meine ich, dass du mit Dragomon noch keine Bekanntschaft früher gemacht hattest. Ich sage dir nur so viel: Er ist der Schlüssel dafür, warum ich jetzt wieder hier in eure Welt gelandet bin! Nur er hat so viel Ahnung über das schwarze Meer… nur er kennt die Falltüren und Schleichwege aus dieser Welt… und nur er kennt auch die unzähligen Möglichkeiten, die dieses Meer als Ausgangspunkt für einen Feldzug der dunklen Mächte gegen das Gute bietet!“

Sora war entsetzt: „Ist es das, was du vorhast, Deemon?“

Ein hässliches Lachen entfuhr dem Digimon: „Schön! Dann brauch dir ja nichts mehr erklären!“ Mit diesen Worten wandte er sich von der Kugel ab und befahl seinen Helfern, die Kugel wieder in Bewegung zu bringen.
 

Die Antwort des Teufelsdigimons war aber immer noch total unbefriedigend für die Brünette. Die dicken Löcher in ihrem Verstand blieben.

„Du hast mir ein paar Sachen noch nicht gesagt!“

Deemon stoppte erneut; er war gerade dabei gewesen, den Weg in der Luft fortzusetzen… und beinahe wäre er schon fast in der Luft gestolpert. Die schwarze Kugel blieb nach einer plötzlichen Vollbremsung wieder still in der Luft hängen.

„Was ist denn jetzt schon wieder?“, fragte das Digimon entnervt.

„Warum ausgerechnet hier? Warum bist du plötzlich hier in Afrika aufgetaucht? Und woher wusstest du, dass ich hier bin?!“ Die 18-Jährige versuchte mit aller Kraft, ruhig zu bleiben, da sie mit Angst den Moment erwartete, in der die schwarze Kugel verschwinden würde.

Deemon seufzte: „Du bist echt eine Nervensäge… ich habe keinen Grund, dir das zu verraten! Aber von mir aus, da du sowieso in weniger als 24 Stunden sterben wirst…“

Wieder lief es der Orangehaarigen eiskalt den Rücken runter, als sie das hören musste.

„Es hat einen ganz speziellen Grund, warum ich hier in Afrika aufgetaucht bin! Vielleicht weißt du ja, dass das dunkle Meer die schlechten und dunklen Gedanken und Gefühle der Menschen beherbergt und aufnimmt! Wenn du schlau bist, zählst du jetzt eins und eins zusammen…“

Eins und eins zusammen? Die schlechten und dunklen Gedanken und Gefühle der Menschen… diese Vermutung hörte sie nicht zum ersten Mal. Aber jetzt war sie ja sogar nicht mehr länger nur eine Theorie, sondern ein Fakt! Also hat dieses Meer wirklich diese Funktion, wie Ken sie bereits schon vor 4 Jahren vermutet hatte.

Aber wie soll das denn alles auf Afrika passen? Sora überlegte fieberhaft; eins plus eins ergibt…

Mit einem Male begriff es die Brünette; ihr ging der Kronleuchter auf. Es war eigentlich eine simple Antwort: Afrika war definitiv ein Kontinent der Entwicklungsländer… und die ärmsten Länder der Welt waren auf diesem Kontinent vertreten. In vielen dieser Länder herrschte oder hatte Bürgerkrieg geherrscht; außerdem waren in genauso vielen Ländern korrupte Regierungen an der Machtposition, die nicht wirklich nach den Interessen der Zivilbevölkerung handelte. Nicht zu vergessen ist dieser Kontinent einer Vielzahl von Epidemien ausgesetzt, die die Bevölkerung heimsucht. Kein Wunder also: Den meisten Menschen ging es dort richtig schlecht. Sie hatten keine Hoffnung auf Besserung der Lage und lebten ständig in Angst. Sie waren oftmals der Willkür der Herrschenden ausgesetzt

Und sie lebten ständig mit den schwarzen Gedanken im Kopf…

Afrika war dem schwarzen Meer am Nächsten gewesen…
 

Soras Gesichtsmiene klärte sich auf und sie sah zu Deemon. Dessen roten Augen verengten sich; er grinste zufrieden, was die Orangehaarige nicht sah.

„Du bist wohl auf des Rätsels Lösung gekommen, nicht wahr? Die Menschen in Afrika sind selber Schuld, dass sie ausgerechnet hier in diesem Kontinent die Grenze zum Meer der Dunkelheit geschwächt haben. So war es ein Leichtes, sie zu durchdringen… und das wird nun der gesamten Welt zum Verhängnis!“ Deemon lachte auf; Sora hatte sich mittlerweile an sein schauerartiges Lachen gewöhnt und blickte das Digimon immer noch erwartungsvoll an. „Und was ist jetzt mit mir?“

„Was dich betrifft, Digiritter: Du bist leider in die Sache einfach reingeschlittert! Bemerkt hatte ich dich schon in der Stadt, ich musste mich dort noch leider auf mein Feuerchen konzentrieren! Meine Leute haben dich danach zu Hause leider nicht mehr erwischt… aus welchem Grund auch immer. Aber dass du so dumm warst, nach diesem Zeitpunkt draußen noch frei herumzulaufen, enttäuscht mich!“

Klatsch! Das hatte gesessen! Das war definitiv nicht die Antwort gewesen, die Sora hören wollte. Sie hatte erhofft, dass es einen speziellen Grund gab, dass Deemon sie hier gefunden hatte… sie wollte es nicht wahrhaben. Aber so wie es aussah, war also wirklich alles nur Zufall gewesen. Deemon hatte keine Ahnung davon gehabt, dass sich Sora zurzeit in Afrika befand. Er war aus anderen, ihr immer noch unbekannten Gründen hier. Und sie hatte das Pech, von ihm bemerkt zu werden.

Wäre doch diese blöde Entführerbande bloß nicht gewesen! Dann hätte sie von hier auf jetzt die Digiritter um Hilfe gerufen und wenigstens könnte sie dann noch in der Hoffnung verweilen, dass sie jemand retten würde…

Aber wie soll sie diese Hoffnung unter diesen Umständen denn nur hegen? Das war doch sinnlos… so viel Pech, wie sie ohnehin schon gehabt hatte…

Schlimmer konnte es echt nicht mehr werden…
 

„Du siehst echt niedergeschlagen aus“, lachte Deemon die Brünette aus, „Ich mache dir zum Schluss noch einen Trostpreis: Weil du so schlau bist, verrate ich dir noch ein Geheimnis. Dragomon weiß, dass es auf der Erde ebenfalls wie in der Digiwelt Objekte existieren, die das Gleichgewicht der realen Welt bewahren. Die sind auf den sieben Kontinenten verteilt und zudem auch noch versteckt. Er hat uns befohlen, sie zu finden. Das ist unter anderem der Grund, warum ich hier in Afrika bin. Meine Leute sind quer auf der Welt verteilt. Wenn wir erst einmal alle Artefakte gefunden haben, werden wir diese ans Meer der Dunkelheit bringen. Dort machen wir uns diese Dinger dann zunutze…“

Das Digimon stieß abermals einen Lacher aus, den Sora jedoch ignorierte. „Wenigstens das verrät er mir noch…“, dachte sie sich, ehe sie nun gänzlich klein gab.

Deemon und seine Truppe setzten den Weg fort. Sora sagte währenddessen kein einziges Wort mehr, sondern verharrte in ihrer Trauerstarre weiter…

Sie hatte ihr Selbstvertrauen in diesen Momenten verloren.
 

-------------------------------
 

Ununterbrochen hallte das Rattern der Maschinen durch die Räume. Mehrere hundert Großrechner und Drucker arbeiteten 24 Stunden am Tag. Die Drucker spien wiederum Graphen, Tabellen oder andere mathematische Daten, die für Laien absolut unverständlich waren. Aber das, was die einen für nicht entzifferbares Kauderwelsch hielten, könnte für andere der Schlüssel aller Lösungen sein…

Im großen Hauptraum, wo die meisten Rechner stationiert waren, bedienten nur etwa ein Dutzend Mitarbeiter die Konsolen. Sie alle trugen weiße Kapuzenumhänge und waren allem Anschein nach auch nicht gesprächig. Vielleicht möchte jeder einfach nur nicht gestört werden; vielleicht erforderten die Informationen, die aus den Druckern entsprangen, so viel Aufmerksamkeit, dass eine Gesprächsrunde erst gar nicht zustande kommen sollte; oder vielleicht wollten alle auch einfach nur unerkannt bleiben…

Zumindest das Argument, unerkannt bleiben zu wollen, könnte gelten; alle Maschinen waren tief unter der Erde versteckt. Nur die Wenigsten wussten, wie man in dieses Hauptrechnerzentrum gelangen konnte. Das war auch gut so, denn dieses Hauptrechnerzentrum war so eine Art Basis für eine wichtige Institution.

Eine sehr wichtige Institution…

Vielleicht sogar die Wichtigste von allen, die es gibt…

Die Institution der Gefahrenerkennung und der Gefahrenabwehr in der Digiwelt…
 

Nach Jahren der Suche um Möglichkeiten waren endlich Wege gefunden worden, um solch eine Art von Frühwarnsystem zu installieren. Natürlich mussten alle Operationen und Pläne streng geheim gehalten werden, damit die Mächte der Dunkelheit nichts davon mitbekommen konnten. Auf höchstem Anspruch ausgelegt war das Ziel dieses Projekts: Man wollte durch dieses Frühwarnsystem die Digiwelt in ewigem Frieden bewahren. Gegen mögliche Konflikte, Bedrohungen und Gefahren sollte präventiv, aber friedlich und – wenn möglich – im Hintergrund vorgegangen werden, sodass diese erst gar nicht dazu kommen, sich zu präsentieren.

Es war riskant gewesen, die Vorbereitungen und Vorarbeiten gänzlich im Hintergrund des Geschehens auszuführen. Aber es hatte geklappt… und so wurde jene, oben genannte Institution gegründet. In den letzten Jahren schien es die Mühe auch wert gewesen zu sein, denn mehrere vorhersehbare Kriege zwischen Digimon wurden friedlich verhindert und auch die Macht der Dunkelheit konnte man erfolgreich abwehren und im Keim ersticken. Doch erst vor ein paar Tagen bemerkte man Beschädigungen an den Instrumenten und Maschinen, die die Funktion der Gefahrenerkennung garantieren sollten. Um genauer zu sagen, bemerkte man die Schäden zu spät, denn als diese behoben wurden, war die Gefahr schon existent… das Tor zum Meer der Dunkelheit in der realen Welt hatte sich geöffnet!

Seitdem ging man in der Zentrale davon aus, dass die Beschädigungen an den Maschinen von bösgesinnten Digimon verursacht worden waren… und dementsprechend vermutete man, dass der Standort dieser Institution nicht länger geheim war. Die Konsequenz: Man ließ den Standort wechseln… mit aller Geheimhaltung, die aufgeboten werden konnte.
 

Ein lautes Knarzen schob sich über die Geräusche der tickenden Rechner. Die alte marode Tür glitt auf und herein kam ein alter, kleiner Mann. Mit einem neugierigen Blick spazierte er hinein; die Mitarbeiter in diesem Raum beachteten ihn nicht, sondern fuhren mit ihrer Arbeit fort. Das war anscheinend schon zur Gewohnheit geworden. Und dennoch würde man sich zumindest als Fremder ziemlich unwohl fühlen in dieser unheimlichen Stille… trotz der Anwesenheit vieler Menschen…

Waren das hier alle auch Menschen? Das konnte keiner so genau sagen…

Auch dieser kleine, alte Mann musste sich früher von seinen Schützlingen die Frage gefallen lassen, ob er Mensch, Digimon oder sonst was war. Die Frage konnte er nicht beantworten… auch nicht für sich selber.

Optisch wurde Genai eindeutig als Mensch wahrgenommen… seine körperliche Form und sein Aussehen sprachen so ziemlich dafür. Allerdings gaben ein paar seiner Eigenschaften ziemliche Rätsel auf… und da er sich eigentlich noch nie wirklich zu seiner eigenen Person geäußert hatte, tappten die Digiritter in der Frage über seine Identität auch weiter im Dunkeln.

Zum Beispiel könnte man sich die Frage um den Prozess seiner Alterung stellen. Im ersten Abenteuer war er derjenige gewesen, der sich solche Wörter wie „alter Opa“ oder „Schwafelgreis“ gefallen lassen musste. In der Tat wirkte Genai sehr alt und redete oftmals ziemlich wild drauf los. Das weckte in den Digirittern am Anfang nicht gerade die Sympathie… und auch am Ende des Abenteuers hatten sich einige noch die Frage gestellt, ob man ihn lieber mögen oder doch hassen sollte.

Im zweiten Abenteuer jedoch begegneten alle Digiritter Genai in einer Form, auf den die vorhin genannten Beschreibungen nicht mal im Geringsten zutreffen würden. Er sah jung aus und wirkte in Höchstform. Und er beschränkte sich bei allen Dialogen auf das Nötigste… auf jeden Fall war er in der Form von Anfang an sympathisch gewesen.

Dass Genai jetzt wieder so aussah und sich zudem genauso verhielt wie im ersten Abenteuer, konnte sich keiner erklären. Das sollte wohl sein Geheimnis bleiben; womöglich hatte er einfach nur mal wieder Lust, älter werden zu wollen…

Jedoch kümmerte das Tai und Co wenig. Für sie war wichtig, dass Genai weiterhin die erste Instanz der Digiritter für Ratschläge und Informationsbeschaffung bildete. Und das tat er zu jeder Zeit… sowohl in jung als auch in alt.
 

„Geht’s gut, Genai?“

Für eine Sekunde ließen diese Worte jeden Kapuzenträger in diesem Raum erstarren; gab es hier doch schließlich nach Stunden unheimlicher Stille jemanden, der wieder sprach. Doch unverzüglich ging es dann auch weiter mit der Arbeit.

„Danke, Yukari… kann nicht klagen!“ Genai ging auf den jungen Mann zu, der seine Kapuze abgenommen hatte. Er war einer von wenigen, die zur Gruppe von Genais Assistenten zählten und in früheren Zeiten bei brenzligen Situationen – wie etwa der Digimon-Invasion in der realen Welt vor vier Jahren – auch aktiv eingegriffen haben.

Sie arbeiteten alle schon seit Tagen unermüdlich an der Lokalisierung des Tors zum Meer der Dunkelheit in der realen Welt. Mittlerweile wussten Genai und seine Helfer alle von den Digirittern, dass sowohl in Australien als auch in Amerika Digimon aufgetaucht waren und dort ihr Unwesen trieben. Anscheinend waren dort die Tore zur Digiwelt wieder geöffnet worden… es sah verdächtig organisiert aus. Es könnte durchaus eine Verbindung zu der Sache mit dem offenen Tor zum Meer der Dunkelheit geben…

„Wie sieht’s aus? Habt ihr das Tor zum schwarzen Meer gefunden?“, fragte Genai.

„Leider noch nicht, Genai! Dieses verdammte Tor lässt sich nicht mit herkömmlichen Algorithmen lokalisieren! Wir brauchen eine neuen Ansatz!“

„Welche Methoden habt ihr denn bisher verwendet?“

„Das Herausfinden der Torkoordinaten ist nicht möglich, da diese Methode nur bei Toren zwischen der digitalen und realen Welt funktioniert. Wir haben dann noch ein Programm gestartet, das sich auf die Suche nach Toren zu fremden Welten konzentriert, jedoch ist dieses Programm anscheinend sabotiert worden; es stürzt immer mit unerklärlichen Fehlermeldungen ab. Schließlich haben wir noch den Computer mit der primitiven Methode, mögliche und wahrscheinliche Standorte des Tores aufzulisten, auf die Suche geschickt… eigentlich überflüssig, weil diese Methode so gut wie nutzlos ist. Aber wir wollten alle Möglichkeiten durchgehen. Mehr haben wir nicht…“

„Hmm…“ Genai murmelte und dachte nach. Das waren keine guten Nachrichten; schließlich rannte die Zeit gegen sie. Je länger dieses Tor zum Meer der Dunkelheit offen blieb, desto größer war die Gefahr, dass aus der dunklen Welt noch mehr Kreaturen in die reale Welt entsprangen, die das Gleichgewicht der Welten zu kippen drohten. Deemon gehört eindeutig zu dieser Sparte, aber man wusste außerdem nicht, wer noch in einer Kiste mit Deemon stecken könnte. Keiner wusste genau über dieses dunkle Meer Bescheid… es gab zurzeit nur eine Theorie, die vermutet, dass diese Welt die dunklen Gefühle der Menschen verkörperte. Aber somit wäre die weitere Vermutung, dass sich die dunklen Mächte dort wie zu Hause fühlen würden, nicht unangebracht…

Und genau deshalb musste das Tor auch so schnell wie nur möglich geschlossen werden!
 

-------------------------------
 

Hoch in der Luft über der Trockensavanne von Simbabwe überblickten Tai, Izzy und Kari die Landschaft. Trotz der weniger heißen Temperaturen sah es hier in der nicht bewohnten Gegend sehr trist aus; verdorrtes Gras, viel trockene Erde, ein paar kleine, komisch geformte Bäume und das war’s gewesen.

„Ziemlich fade hier… findest du nicht, Kabuterimon?“, meinte Izzy auf dem Rücken seines fliegenden Digimons.

„Naja, wo du Recht hast, hast du Recht. Aber solche Gegenden gibt’s auch in der Digiwelt genug von…“

„Wenigstens ist es jetzt noch nicht so heiß am Morgen. Hoffentlich kommen wir am Nachmittag in eine etwas gemäßigte Zone…“

„Wie lange muss ich denn noch fliegen?“

„Mal schauen…“ Izzy rief die Landkarte in seinem Laptop auf und durchsuchte diese nach geeigneten Landeplätzen. „Nach ungefähr 30 Minuten sollten wir am Karibasee ankommen… das ist die Grenze zu Sambia. Dort müssten wir unbemerkt im Unterholz landen und rasten können.“

„Na dann, auf dahin!“, sagte Kabuterimon und flog weiter.
 

Alle Beteiligten saßen ruhig auf Kabuterimons Rücken und genossen den Flug, der bisher ruhig und angenehm verlaufen war. Das änderte sich auch nicht, bis Kari jedoch auf einmal einen dichten Nebel bemerkte, der sich um sie bildete. Sie hatte auf einmal ein komisches Gefühl im Bauch. Ihr war schon fast übel… ob das wohl an der Höhe lag, in der sie gerade flogen? Sie blickte scheu nach unten, stellte aber erleichtert fest, dass der Abstand zur Erde nicht allzu groß war… sie hatte doch noch nie Flugangst gehabt. Dafür hatten schließlich auch die Flugstunden, die sie früher mit Nefertimon und Angewomon absolviert hatte, dazu beigetragen.

Plötzlich begann sich, Karis Augenbild der Landschaft unter ihnen zu ändern. Eigentlich sollte da unten doch festes Land sein. Aber stattdessen sah sie da unten etwas anderes… irgendwas schob sich jetzt darüber…

Ihr war so, als ob sie nun über ein Gewässer fliegen würden…

Ein ziemlich großes Gewässer sogar…
 

„Kari, was ist?“

Die Braunhaarige erschrak. Die Stimme ihres Bruders hatte sie in die Gegenwart zurückgeholt. Sie sah Tai direkt in die Augen.

„Was hast du denn? Du sahst gerade ziemlich abwesend aus…“

„Mhh…“ Sie wusste selber nicht, was das gerade gewesen war. Zu schnell verging der Moment, ehe sie realisieren konnte, was geschah. „Ähm… Tai? Können wir nicht etwas… schneller fliegen? Ich glaube… die Pause am See bräuchte ich dringend…“

Tai entsetzte diese Aussage förmlich; er stellte keine weiteren Fragen und rief zu dem Rothaarigen: „Izzy! Ich glaub, Kari geht’s nicht so gut! Kannst du Kabuterimon bitten, etwas schneller zu fliegen?“

Izzy verwunderte diese Aussage etwas, aber er willigte sofort ein. Kabuterimon beschleunigte seinen Flug und flog mit nun rasender Geschwindigkeit über die simbabwische Landschaft. Nun war die Ruhe abrupt verschwunden… der Fahrtwind blies allen heftig ins Gesicht.

Gatomon schaute besorgt zu ihrer Partnerin. „Geht’s dir nicht gut?“

„Ich weiß es nicht…“, murmelte die 15-Jährige. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Irgendwie kam ihr die Situation bekannt vor… irgendwie aber auch nicht.

Es wäre aber wohl vorerst besser, wenn sie diese Gegend jetzt schnellstens verlassen würden…
 

-------------------------------
 

„Hier ist Endstation für dich!“

Mit einem Male platzte die schwarze Kugel und die 18-Jährige fiel vor Schreck schreiend hinunter. Sora richtete ihren Blick auf die Erde… und sah danach etwas erleichtert, dass sie auf ein Gewässer stürzte. Nach ein paar Sekunden freien Falls klatschte sie schmerzhaft im Wasser auf und landete tief, ehe sie wieder die Kontrolle über ihren Körper erlangte und nach oben schwamm.

Im Trockenen angelangt, hörte sie zunächst die Stimme Deemons: „Viel Spaß noch da draußen! Grüß mir die Löwen!“ Mit diesen Worten flogen die Digimon davon.

„Na toll, und ich dachte, er würde sich die Finger an mir schmutzig machen…“, seufzte die Orangehaarige und schaute sich um. Die Landschaft sah nicht gerade einladend aus… wo war sie denn jetzt bloß wieder gelandet?

Ein kleiner Lichtblick

„Sucht! Macht schneller! Es muss hier irgendwo sein!“

„Chef, so eine Pyramide zu durchsuchen gestaltet sich mehr als schwierig… schließlich müssen wir tausend dieser Felsbrocken abgrasen…“

„Wirst du wohl aufhören zu jammern!? Sonst sorge ich persönlich dafür, dass du für den heutigen Tag kein Essen mehr bekommst! Und wir haben erst 3 Uhr morgens!“
 

Ein großes Gebilde, das so aussah wie ein wiederauferstandenes Skelett, dirigierte mit seinem Stab eine Horde tummelnder kleiner Winzlinge, die sich durch die Oberfläche der Pyramide bohrten und an anderen Stellen wieder hervorkamen. Seit ungefähr 3 Stunden waren sie nun daran interessiert, jeden einzelnen inneren Winkel der Pyramide zu durchkämmen. Die Dunkelheit der Nacht erlaubte ihnen dabei eine ungestörte Suche… in der Hoffnung, auch auf das Gesuchte zu stoßen…

Die erfüllte sich jedoch auch nicht nach weiteren 3 Stunden. Und auch der Schutz der Nacht schien sich langsam aufzulösen.

Dafür sah die Pyramide nun aus wie ein Schweizer Käse.

„Chef… tut uns Leid, aber da war nichts zu finden! Wir müssen es in der nächsten Nacht nochmal probieren.“

Die große dunkle Gestalt brummte. Er war zwar sichtlich unzufrieden mit dem Ergebnis, aber der anbrechende Tag zwang ihn, die Suche abzubrechen.

„Eher wart ihr zu unfähig, mal gründlicher und schneller die Arbeit zu erledigen! Aber na gut… da mir Deemon persönlich die Nachricht des großen Meisters mitgeteilt hatte, dass wir uns alle Zeit der Welt lassen können, gewähr ich euch diesmal Gnade! Morgen Nacht gehen wir wieder an die Arbeit… und wehe ihr findet morgen wieder nichts!“

„Und was ist mit den Spuren, die wir an der Pyramide hinterlassen haben, Skullsatamon?“

„Lasst den Steinklotz mal so stehen… bin mal gespannt, wie die Naivlinge der Menschenwelt darauf reagieren! Jedenfalls kann das nur lustig für uns werden!“

Ein lautes Zischen und ein greller Lichtblitz erfüllten den Vorplatz der Pyramide. Und mit ihm verschwanden das Geistdigimon und seine Dutzend Helfer.
 

-------------------------------
 

In Manhattan sollte man abends besser nicht einfach so frei herumlaufen. Es gab Schlägerbanden, Straßengangs und sonstige Gründe, die davon abrieten, Spaziergänge dort um diese Uhrzeit zu unternehmen. Das wusste inzwischen jeder, der in New York lebte… und auch von auswärts kommende Menschen waren sich darüber im Klaren…

Eine davon hieß Mimi Tachikawa…
 

Obwohl sie von der oben genannten Tatsache Bescheid wusste, musste sie heute Abend dennoch in diesen Stadtteil von New York nach dem Rechten sehen. Es waren wieder Digimon in die reale Welt eingedrungen, die in Manhattan selbst die wildesten Straßenmeuterer in Angst und Schrecken versetzten. Die Rothaarige hatte am gestrigen Tag erleben müssen, wie an der Freiheitsstatue urplötzlich ein Marinedevimon aus dem Wasser schoss und die Menschen in der Umgebung verschreckte. Sofort hatte sie das D-Terminal herausgepackt und einen Notruf ausgelöst…

Und so war sie jetzt nun zum Glück nicht alleine…
 

„HILFE! GEISTER!“

Auf einer Hauptstraße ergriffen mehrere Menschengruppen die Flucht… zwei Sekunden später konnte man auch sehen, warum. Mehrere Bakemon schwebten in der Luft herum und schienen die Menschen zu verfolgen. Viele umkreisten aber auch die Gebäude und drangen in die dunklen Seitengassen ein.

Eine Seitengasse wurde aber plötzlich von grellem Licht erfüllt…

« Palmon digitiert zu – Togemon! »

Und schließlich stolzierte aus dieser Seitengasse ein Riesenkaktus mit zwei Boxerhandschuhe heraus. Die Bakemon schreckten zurück.

„NADELFEUER!“ Dutzende der Geistdigimon wurden aus der Luft gefischt und fielen auf den Asphalt der Straße. Dennoch blieben immer noch viele von denen übrig.

„GEISTERKRALLE!“

Zahlreiche dunkle Klauen schnellten auf Togemon zu und brachten es auch durch die Summe der Attacken sofort zu Fall. Einige der Klauen wichen jedoch reflexartig zurück; Togemons Stacheln bereiteten keinen wirklich schönen Empfang.

„Togemon! Alles in Ordnung?“ Mimi lief auf ihren Digimonpartner zu.

„Pass auf!“

Eines der Bakemon bemerkte die heranstürmende Digiritterin und schickte ihr eine Geisterkralle entgegen. Die Brünette realisierte das erst, als es bereits zu spät war. Die Attacke brachte auch sie sofort zu Boden und die Klaue fing an, sie im Anschluss zu würgen.

„Lass mich sofort los, du widerliches Ding!“ Mimi kämpfte und strampelte, doch der Würgegriff der Klaue ließ nicht locker. Wenn ihr jetzt nicht sofort geholfen würde, dann…
 

„V-LASER!“

Die Gegend leuchtete orange auf und im nächsten Moment verpuffte die Kralle in kleinste Partikel. Das Bakemon, das Mimi angegriffen hatte, war nicht mehr da.

„Mimi, alles in Ordnung?“, hörte die Rothaarige Davis rufen.

„Alles okay, danke dir!“, erwiderte sie mit Freude, dass die Gruppe genau im richtigen Moment eingegriffen hatte. Hinter X-Veemon tauchten schließlich Ken mit Stingmon und Yolei mit Aquilamon auf. Sie waren vorhin noch an der Freiheitsstatue sich umschauen, während Mimi mit Palmon zurückblieb und in der Stadt Gegner auflauerte.

„Was machen die ganzen Bakemon hier?“, fragte Yolei.

„Keine Ahnung, ist doch auch egal!“, meinte Davis, „Die gehören nicht hierher! Wir sollten sie jetzt mit voller Härte zurück in die Digiwelt befördern!“

„Aber sieht es nicht komisch aus, dass die die ganzen Gebäude umkreisen? Ich glaube, sie interessieren sich für etwas… sie suchen etwas!“, sagte Ken und beobachtete eine Gruppe der Geistdigimon in der Luft. In der Tat: Sie schauten die ganze Zeit mit einem prüfenden Blick sich in der Gegend um, drangen in die Gebäude ein und waren überall präsent… in der Luft, auf dem Boden, in Müllcontainern, Abfalleimern und leeren Seitengassen. Für die Menschen schienen sie sich nicht zu interessieren…

„Stimmt tatsächlich, ich glaube du hast Recht, Ken!“, gab auch Davis zu. Doch seine Meinung änderte sich dadurch nicht: „Umso mehr müssen wir sie am Suchen hindern, denn wenn sie das Gesuchte finden, kann das für uns nur Nachteil sein, oder?“

Mimi nickte: „Da hat Davis hat Recht! Wir müssen die Bakemon zurückschlagen!“

„Dann mal los, Digiritter!“, setzte Yolei mit ihrem Schlachtruf den Startschuss.
 

„V-LASER!“

„KRINGELLASER!“

„LETZTER STICH!“

„NADELFEUER!“

Auch wenn die Bakemon eindeutig in der Mehrzahl waren, blieben sie für einen Kampf viel zu uneffektiv. Im Gegensatz dazu beförderten X-Veemon, Stingmon, Aquilamon und Togemon die Geistdigimon schmerzhaft und in kürzester Zeit auf den Boden der Tatsachen zurück, bis kein einziger von ihnen mehr kampffähig war. Doch anstatt die Bande völlig auszuräuchern, schickten die Digiritter sie vorerst in die Digiwelt zurück. Dort konnten sie weniger Schaden anrichten.

„Ich glaube, wir sollten jetzt auch lieber verschwinden… sonst müssen wir für die tausend zerstörte Fenster und Scheiben Rede und Antwort stehen…“, sagte Yolei und betrachtete sich das Ausmaß der Schäden an. So ein Kampf erforderte eben Tribut.

„Ähm… ich will dir ja nicht widersprechen aber…“

Ein horrend-tiefes Gebrüll erfüllte die Luft und ließ die Gruppe zusammenschrecken. Davis wusste bereits, von wem das Gebrüll kam. Er war gerade dabei gewesen, Yolei auf die neue Gefahr aufmerksam zu machen, die sich am Ende der Hauptstraße angekündigt hatte. „Aber ich fürchte, wir sind mit unserer Arbeit noch lange nicht fertig!“

„IIIIIIIHHH!!!!!“, schrien Yolei und Mimi unisono auf. Das Monster, was vor ihnen erschien, war enorm groß… und für ihre Begriffe ziemlich ekelerregend.
 

--- Marinedevimon

--- Level: Ultra

--- Meeres Digimon

--- Typus: Virus

--- Attacken: Böser Wind, Teufelswasser
 

-------------------------------
 

Eine riesengroße Einöde erstreckte sich vor Soras Augen. Nachdem sie mühselig aus dem salzigen Wasser geklettert war, überblickte sie die Gegend und stellte fest, dass es kaum einen Unterschied ausmachte, die Sehrichtung zu ändern; alles sah nahezu gleich aus. Sanddünen erstreckten sich reihenweise und die Landschaft vor ihr war fast völlig frei von Bäumen. Nur am Ufer des Sees wuchs etwas Gestrüpp.

Die 18-Jährige war überfordert. Sie wusste erstens überhaupt nicht, wo sie sich befand; zweitens hatte sie kaum Orientierung und drittens machte sie sich schon gar keine Hoffnungen mehr, lebend aus dieser Misere herauszukommen. Schon jetzt fühlte sie einen heimtückischen Feind an ihrer Haut nagen: Die Hitze! Gefühlte 300 Grad Celsius brannten sich in ihre Arme… das ganze Wasser, was sie durch ihr unfreiwilliges Bad in ihrer Kleidung hatte, war ebenfalls in kürzester Zeit verdunstet.

„Ich glaube, ich sollte doch erstmal zurück ins Wasser gehen…“

Sora drehte sich zurück und wollte gerade schnurtracks wieder ins Nasse springen, als sie abrupt stoppte. Sie war anscheinend nicht alleine hier; aus dem Wasser kamen ein paar dunkle Geschöpfe heraus, die die Orangehaarige erstmal genauer betrachtete. Erst dachte sie, dass es wieder bösartige Digimon wären, die aus dem Nichts auftauchen würden.

Doch das, um was es sich da wirklich handelte, war auch um keinen Deut besser…

„IIEKS! KROKODILE!“

Sie nahm ihre Beine in die Hände und lief davon. Entlang des Seeufers rennend, hüpfte sie mehrmals in die Luft, um nicht über Steine oder Sonstigem zu stolpern. Sie blickte an den Rand; überall waren Krokodile wahrzunehmen. Die meisten jedoch waren in der Nachmittagssonne am Dösen; und die wenigen wachen Genossen ignorierten die Orangehaarige.
 

Erst ein paar Minuten später kam Sora unter einem etwas größeren Baum zum Stoppen. Keuchend lehnte sie sich an den Baumstamm.

„Wo zum Teufel bin ich hier bloß gelandet?“

Die Frage war eigentlich so unmöglich zu beantworten. In Afrika war sie zwar vermutlich immer noch, doch noch genauer konnte sie die Lage nun auch nicht mehr bestimmen. Es machte keinen Sinn, sich weiter darüber den Kopf zu zerbrechen…

Ohnehin hatte sie kaum noch Willenskraft dafür, aus diesem Alptraum herauszukommen. Viel zu sehr war sie gekränkt davon, dass das Schicksal es nicht gut mit ihr meinte. In den letzten Stunden hätte sie am liebsten alles über Bord geworfen… ganze drei Mal wurde sie symbolisch geohrfeigt.

Sie hatte sich auf den Sand hingelegt; der große Baum spendete Schatten und senkte die Umgebungstemperatur spürbar.

„Wenigstens ein kleiner Lichtblick zum Schluss…“

Unkontrolliert fielen ihre Augen immer und immer mehr zu…
 

Noch immer weinend starrte sie in sein Gesicht. Ihre Augen waren schon total gerötet, und der Braunhaarige wischte ihr ein paar Tränen vom Gesicht. Sie hatte sich nun endlich wieder etwas beruhigt.

„Geht’s dir nun etwas besser?“

Die Brünette nickte stumm… sie sah sich das T-Shirt von ihrem Freund an: Völlig durchnässt. Sie hatte bestimmt eine halbe Stunde darin gelegen.

„Mach dir keine Sorgen, das ist das geringste Problem“, lächelte der Braunhaarige und richtete sich wieder etwas auf.

Sie bewunderte, dass er jetzt noch ein Lächeln zustande gebracht hatte. Obwohl sie ihn schon ihr ganzes Leben lang kannte, überraschte er sie immer wieder auf’s Neue.

Eine unheimliche Stille lag nun in der Luft. Die beiden in dem Raum schauten sich eine ganze Weile lang an; draußen war es dunkel und der Regen klatschte laut auf der Fensterscheibe…
 

„Wie soll es denn mit uns weitergehen?“, durchbrach Sora die Stille.

Tai nahm ihre Hände; sie fühlten sich so warm an. Eigentlich wollte er ihre warmen Hände immer an seiner Seite spüren… wollte sie nicht gehen lassen. Sie waren jetzt schon fast 2 Jahre zusammen… und das wollte sie jetzt einfach so aufgeben?

Seine eine Hälfte verneinte diese Frage stark. Schon allein ihr Anblick sprach ganze Bänder: Sie liebte ihn immer noch, das spürte er sehr deutlich. Und diese Liebe würde zerbrechen, wenn er sie jetzt loslassen würde.

Doch seine bessere Hälfte riet ihm, ihren Weg gehen zu lassen. Er hatte sie noch nie an ihren Vorhaben gehindert, nur damit er selber davon profitieren könnte… und damit würde er auch heute nicht anfangen! Er vertraute voll auf Sora… er war sich beinahe schon sicher, dass die Liebe auch durch diese Zeit nicht zerbrechen könne.
 

Ein unangenehmes Kribbeln ließ Sora langsam wieder zu Bewusstsein kommen. Sie hielt die Augen noch geschlossen und griff instinktiv nach ihrem Rücken… es juckte dort an einer Stelle erheblich. Sie tastete ihren Rücken ab…

Bis sie auf etwas stieß! Mit einem wirbelartigen Reflex sprang Sora auf und zog das Gefühlte von ihrem Rücken. Eine Natter hatte es sich hinter ihr gemütlich gemacht, während sie schlief. Erleichtert stieß sie einen Atem aus. „Zum Glück ist die harmlos…“

Doch noch weiter hier zu verweilen traute sie sich nicht. Immerhin könnte es beim nächsten Mal eine Giftschlange oder sogar ein Krokodil sein, die sie von hinten überraschen könnten. So viel Glück hatte sie die letzten Tage jedenfalls nicht gehabt…
 

Gedankenverloren setzte Sora den Weg am Ufer fort… wo immer der Weg auch hinführen sollte. Es würde nichts bringen, darüber nachzudenken…

Sie warf einen Blick in die Weite, wurde jedoch nur von einer ausgetrockneten Einöde beziehungsweise dem nicht enden wollenden See enttäuscht…

Doch plötzlich fiel ihr etwas auf… und sie fragte sich selber, warum sie es nicht schon vorher bemerkt hatte. Ein See schien es nicht zu sein… eher war es ein Fluss, denn das Wasser bewegte sich unentwegt in eine Richtung, wenn auch relativ langsam. Aber ein Fluss, der durch die Wüste fließt?

Sie dachte scharf nach… und hatte nach einer kleinen Weile eine Vermutung.

„Der Nil…“

Der Nil? War sie denn jetzt in Ägypten? Wenn es sich um den Fluss tatsächlich um den Nil handelte…? Mit keinem anderen Land verband sie diesen Fluss mehr. Dazu passte es, dass an beiden Ufern des Gewässers eine scheinbar unendliche Sandwüste zu sehen war.

Aber gibt es in Wüsten nicht auch andere Flüsse, die noch nicht ausgetrocknet sind? Das könnte ja auch zutreffen…
 

Wie dem auch sei, immerhin hatte Sora nun einen Anhaltspunkt, der eigentlich nur Gutes versprechen konnte. Sie wusste aus der Schule, dass der Großteil der Bevölkerung Ägyptens außerhalb der ägyptischen Großstädte am Nil lebte. Sie hoffte darauf, bald ein Dorf oder eine Stadt vorfinden zu können. Dann könnte sie endlich nach Hause telefonieren, den anderen von der neuen Gefahr berichten und sie zu Hilfe holen.

Und selbst, wenn dieser Fluss nicht der Nil wäre: Ein Fluss bleibt ein Fluss, und Wasser bedeutete bekanntlich Leben. Irgendwo musste sie Leben finden…

Hoffentlich menschliches Leben…

War das die Hoffnung, das sich in Sora wieder aufzukeimen versuchte?

Sie blieb skeptisch und setzte ihren Fußmarsch fort…
 

Doch schon nach etwa 10 Minuten war Sora so ziemlich am Ende. Sie war einfach zu sehr ausgepowert: In der letzten Nacht hatte sie keine Minute Schlaf gefunden und die Entführer plus Deemon hatten ihr über eine lange Zeit zugesetzt. Sie brauchte unbedingt einen Rastplatz… und zwar einen sicheren, denn nochmal würde sie nicht auf diesem gemeingefährlichen Terrain im Freien nächtigen. „Na toll, da hab ich den Salat“, keuchte die Orangehaarige auf und drohte, kraftlos auf den Boden zu fallen.

Die Augen der Orangehaarigen richteten sich nach vorne… sie erblickte ein kleines Häuschen. Es entpuppte sich als eine kleine Fischerhütte. Sie sah ziemlich alt aus. Ob sie noch benutzt wurde? „Vielleicht ist ja jemand drin…“, dachte sie und schlurfte sich mit letzter Kraft zur Hütte. Erwartungsvoll klopfte sie an die morsche Tür. Doch niemand reagierte auf ihr Klopfen…

Was sollte sie jetzt machen? Zwischenzeitlich war es etwas kühler geworden, es dämmerte bereits. An Weitergehen war nicht zu denken, sie war fix und alle und brauchte unbedingt einen Unterschlupf zum Ausruhen. Also öffnete sie die Tür selbst und ging rein.
 

Drinnen stellte Sora fest, dass der Schuppen so leer war wie ihr Kräftereservoir. Daraus ließ sich schließen, dass niemand mehr diese Hütte benutzte. „Naja, wenigstens hab ich für die Nacht vier halbwegs sichere Wände um mich!“ Sie schloss die Tür wieder und versuchte, es sich auf dem sandigen Boden so bequem wie möglich zu machen. Kaum lag die Brünette auf dem Boden, da fielen ihre Augen zu und sie schlief völlig erschöpft ein.
 

-------------------------------
 

„Aber wir sind an einer heißen Spur dran…“

„Erklär mir das bitte, Iliya!“

„Wir haben bisher nur bruchteilhaft brauchbare Ergebnisse herausfiltern können… und die meisten Ergebnisfragmente lassen sich nicht wirklich zusammenfügen…“

„Aber wir haben zumindest ein Puzzleteil, das unsere Suche erheblich erleichtern wird!“, meldete sich ein anderer Assistent zu Wort.

„Und was wäre dieses Puzzleteil, Yukari?“

„Schau dir das mal an…“

Nun erhellte sich einer der vielen Rechnerbildschirme. Man sah darauf mehrere Zahlen in Reih und Glied und schwarz auf weiß stehen. Abgetrennt wurde jede Zahlenreihe durch eine Leerzeile, dann kam die nächste Kombination von Zahlen.

„Das sind unsere Resultate, die der Computer ausspuckte, als wir ihn auf die Suche nach wahrscheinlichen Standorten des Tores schickten. Zuerst hatten wir gedacht, dass das reine Zeitverschwendung wäre, weil diese Methode sich früher eher selten als nützlich erwiesen hatte…“

„Jetzt genießen wir wohl diesen seltenen Moment.“

Eine Landkarte der Erde erschien. Und eine kleine Fläche auf der Landkarte wurde rot eingefärbt. „Das Tor! Es muss dort sein!“
 

-------------------------------
 

„MEGAHORN!“

Aquilamon versuchte, das Marinedevimon direkt mit der Megahorn-Attacke anzugreifen… doch die Attacke zeigte keine Wirkung. Stattdessen bekam Aquilamon eine von Marinedevimons Tentakeln schmerzhaft zu spüren und wurde zurückgeschleudert. Es digitierte zurück zu Hawkmon.

„Oh nein, Hawkmon!“, schrie Yolei auf und lief zu ihrem Digimon.

„Verdammter Mist!“, rief Davis, „Gibt es denn keine Möglichkeit, dieses blöde Vieh aufzuhalten?!“

„Es ist zu stark! Es ist auf dem Ultra-Level!“, bemerkte Mimi.

„DAVIS! KEN!“ Die beiden Angesprochenen richteten ihre Blicke auf Yolei. „Ihr müsst versuchen, X-Veemon und Stingmon zu einer DNA-Digitation zu verhelfen!“

Die beiden Jungs blickten gegenseitig sich an. „Meinst du, wir kriegen es hin? Immerhin haben wir schon lange keine solche Digitation hinbekommen…“, schaute Ken seinen besten Freund fragend an.

„Vielleicht wird es ja klappen! Wir müssen es versuchen!“, meinte Davis und hielt sein Digivice hoch. Ken tat dasselbe.

« X-Veemon – Stingmon – DNA-Digitation zuuu – Paildramon! »

„Paildramon? Ich sehe aber kein Paildramon!“, stellte Davis ernüchtert fest. Ken musste ihm enttäuscht zustimmen. X-Veemon und Stingmon waren beide noch in derselben Form an derselben Stelle wie vorhin zu sehen.

„Oh nein! Wieso klappt das nicht?“

„Das ist jetzt egal! Wir sollten uns lieber Gedanken machen, was wir jetzt tun sollten!“, rief Mimi. Ängstlich blickte sie Marinedevimon entgegen, das immer näher kam und durch dessen Schritte der Boden immer mehr bebte.

Ken dachte kurz nach: „Wir müssen versuchen, es von der Stadt wegzubekommen! Es würde hier viel zu viel Schaden anrichten… im Meer kann es rumtoben, wie es will!“

„Hmm keine schlechte Idee…“

„X-Veemon und Stingmon! Greift es an und lockt es zurück ins Meer!“, rief Davis zu den Digimon.

Die Digimon taten das, was Ihnen gesagt wurde und griffen Marinedevimon zusammen an. Zwar richteten sie dadurch keinen nennenswerten Schaden bei dem Meeresdigimon an, aber immerhin hatten sie die volle Aufmerksamkeit des Gegners auf sich gezogen.

Eine pechschwarze Flamme jagte aus Marinedevimons Mund heraus und schoss auf die beiden Partnerdigimon zu, die jedoch schnell ausweichen konnten. Sie flogen auf das Meer zu. „Komm schon, fang uns doch!“
 

Marinedevimon jedoch machte keine Anstalten, die beiden Digimon zu verfolgen. Stattdessen kehrte es wieder zu der Route zurück, die es vorher in Angriff genommen hatte und stolzierte in großen Schritten weiter.

„Was soll das? Wieso geht es jetzt wieder in Richtung Stadt?!“, fluchte Davis.

„Seht mal, da will es anscheinend hin!“, meinte Mimi entsetzt und deutete auf ein naheliegendes Gebäude…

Ein Krankenhaus!

Die vier Digiritter sahen sich fassungslos an.

Das erste Artefakt

„Da ist der Karibasee!“

„Na endlich, ich kann nicht mehr…“

Kabuterimon setzte zur Landung an und blickte runter auf die Erde, die immer noch mehrere hundert Meter tiefer lag. „Hier ist ja gar kein Gestrüpp! Wo soll ich denn jetzt unbemerkt runterkommen?“

Diese Aussage verwunderte Izzy etwas. Er hatte damit gerechnet, dass die Vegetation am Karibasee reichlich war. Er schaute nun ebenfalls runter…

Der Rothaarige erstarrte. „Wo ist denn das Grün hin?“ Statt eines Grüns kam nur eine gelbbraune Einöde in sein Sichtfeld. „Wir müssen uns das näher ansehen!“, sagte Izzy zu seinem Digimon, das den Sinkflug beschleunigte.
 

Unten angekommen stiegen die drei Digiritter von Kabuterimon ab. „Ruh dich etwas aus, Kabuterimon! Wir machen eine kurze Pause und dann fliegen wir weiter!“, meinte Izzy zu seinem Digimonpartner.

Tai, Kari, Agumon und Gatomon betrachteten die Gegend. Sie sah nicht sehr einladend aus, die beiden konnten vor sich nur ausgetrocknete Erde und viele abgeknickte bzw. verdorrter Baumstämme erkennen. Tai zog Izzy zu sich: „Was geht hier vor, Izzy? Ich dachte, du hättest gesagt, dass es am See zumindest Flora und Fauna gibt! Ich entdecke hier aber noch nicht mal einen Regenwurm und stattdessen eine Menge vertrockneter Baumstämme…“ Der Braunhaarige sah sich einen der vielen Baumstämme näher an. Ein merkwürdiger Geruch gelangte in seine Nase. „Zudem riechen sie noch verkohlt!“

„Es muss hier einen Brand gegeben haben!“

Als wäre Agumons Aussage ein Signal gewesen, blickten alle Beteiligten auf den Boden… und wurden prompt in ihrem Gefühl bestätigt:

Verbrannte Erde.
 

„Was denkst du, Izzy?“, fragte Kari den Rothaarigen.

„Also ich finde es seltsam! Hier herrscht gemäßigtes Klima, was eine Selbstentzündung ausschließt! Es muss Brandstiftung sein!“

„Du meinst, die ganze Gegend wurde niedergebrannt? Aber warum?“

„Keine Ahnung! Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es hier eine halbwegs reiche Flora und Fauna gegeben hat! Bei der Landung hab ich aber weit und breit keinen grünen Fleck mehr gesehen… das muss ein riesiges Feuer gewesen sein! Eine ganze Fläche wurde restlos ausgelöscht!“

„Oje…“, meinte Tai und sah sich die Landschaft an. Hier sollten also vorher Gras, hohe Bäume, exotische Pflanzen gewesen sein und unzählige Wildtiere gelebt haben? Jetzt war es kaum noch vorstellbar, dass sowas an dieser Stelle einmal existiert hatte. Dieser Anblick der leeren Öde war kaum zu ertragen. Ein trauriges Gefühl machte sich in ihm breit… wie konnte das nur geschehen?

„Wir sollten lieber hier verschwinden und weiterfliegen!“, brach es plötzlich aus Tai heraus. Izzy, Kari, Agumon und Gatomon schauten zu dem Braunhaarigen hin. Kari bemerkte einen traurigen Ton in der Sprache ihres Bruders, den sie eher selten von ihm zu hören bekam.

Alle stimmten Tais Vorschlag stumm zu. Nachdem sich Kabuterimon etwas erholt hatte, flog es mit der Gruppe davon. Izzy zerbrach sich noch während des Fluges den Kopf. Irgendwie war ihm das nicht geheuer…
 

-------------------------------
 

Am nächsten Morgen wachte Sora mit der beruhigenden Erkenntnis auf, noch zu leben. Ihr Rücken schmerzte zwar, und ihre Haare waren voller Sand. Trotzdem war sie froh, diese Nacht irgendwie überstanden zu haben. Sie setzte sich auf und strich ein paar Mal durch ihre Haare, damit der Sand nicht länger daran klebte. Draußen war es längst hell, durch den kleinen Spalt unter der Tür kamen ein paar Sonnenstrahlen durch, die den Raum ein wenig erhellten.
 

Sora fühlte sich etwas seltsam. Sie hatte diese Nacht geträumt – von einer Szene, die ihr unglaublich vertraut vorkam. Sie hatte sogar das Gefühl, dass dieser „Traum“ in ihrem realen Leben wirklich vorgekommen war. Die Brünette versuchte sich zu erinnern… ihr war noch etwas schwindlig. Ein dunkles Zimmer… und Donner, Blitz und Regen…

Und in dieser Szene war sie nicht alleine gewesen. Eine Person, die in ihrem Leben eine große Rolle gespielt hat, war dabei. Sora dachte noch intensiver nach: War es… war es wirklich er?
 

„Wie es auch weitergehen wird, eines verspreche ich dir: Ich werde immer zu dir halten! Und ich werde immer an dich denken! …“
 

Es fiel ihr wieder ein. Sie hatte von dem Abend geträumt, wo sie schweren Herzens entschieden hatte, die Beziehung zu ihm ruhen zu lassen, damit sie unbelastet ihren Ruanda-Aufenthalt absolvieren konnte. An diesem Abend hatte sie sozusagen den Anfang vom Ende eingeleitet.

Es war also wirklich er. Sie versuchte, sich weiter zu erinnern…
 

„Ich werde immer für dich da sein und…“
 

Hatte Tai dies gesagt? Er würde immer zu ihr halten? Immer an sie denken? Und auch immer für sie da sein?

Aber warum war er dann nicht hier?
 

„ … und wenn es sein muss zu, dir kommen und dich beschützen! …“
 

Er… ist hier?
 

„Du hast mein Wort darauf!“
 

Benommen wiederholte Sora murmelnd diese Sätze nochmals und nochmals. „Tai würde also kommen und – mich beschützen, wenn es sein muss?“

Plötzlich spürte sie eine innere Wärme in ihrem Körper hochkommen. Sora wusste nicht, was es war… war es Hoffnung? War es Zuversicht? Sie kannte dieses Gefühl schon fast nicht mehr. Das war auch kein Wunder, denn mit ihr hatte es das Schicksal in den letzten Stunden gar nicht gut gemeint. Sie wurde so oft vom Pech heimgesucht, dass sie schon kaum Hoffnung und Zuversicht mehr in sich besaß.

Doch wenn sie sich auf jemandem verlassen konnte – und das konnte sie bisher immer! – dann war es Tai! Was er versprach, hielt er ausnahmslos!
 

Er ist mit Sicherheit schon hier in Afrika gelandet und auf der Suche nach ihr!
 

Beflügelt von diesem Gedanken stand Sora auf, schüttelte sich den restlichen Sand vom Körper ab und machte die Tür auf. Schon beim Anfassen der Türklinke bemerkte sie eine ungeheure Wärme: Die Sonne muss schon länger aufgegangen sein und hatte die Hüttenwände bereits aufgeheizt. Sie öffnete langsam die Tür und musste sofort ihre Augen schließen, da sie von der Helligkeit geradezu überfallen wurde. Langsam machte die Orangehaarige ihre Augen wieder auf und blickte um sich. Sie entdeckte den Fluss und die restliche Einöde von gestern vor sich.

„Schöner wäre es gewesen, wenn das hier alles nur ein böser Traum ist“, dachte die Brünette und seufzte tief. Wo sollte sie jetzt hingehen? Sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt machen sollte. Sollte sie vielleicht darauf warten, dass Tai oder ein anderer Mensch hier irgendwann eintrifft? Diesen Gedanken verwarf sie sofort, denn sie hatte gestern schon festgestellt, dass die Hütte alt und total leer war… sie wurde also schon lange nicht mehr benutzt. Die einzigen Geschöpfe, die hier in dieser Gegend unterwegs waren, waren Krokodile, Schlangen und womöglich sogar auch Löwen. An den Spuren im Sand war jedenfalls zu erkennen, dass sie nicht alleine war und womöglich in der nächsten Nacht übel überrascht werden konnte. Deswegen wäre ein Weitergehen wohl sinnvoller…
 

Überrascht hielt Sora inne. Hatte sie nicht gerade über Spuren nachgedacht? Sie senkte den Kopf und blickte den Sand an: Es waren tatsächlich Spuren darin zu sehen – Fußspuren! Sie spürte plötzlich, wie ihr Herz einen Hüpfer machte und ging – ohne weiter nachzudenken und unbeeindruckt von der brennenden Sonne – den Spuren nach. Sie machte sich nun noch größere Hoffnungen als zuvor. War Tai vielleicht schon in der Nähe?
 

-------------------------------
 

Knapp 30 Minuten waren Tai, Izzy und Kari seit dem kurzen Halt am Karibasee wieder unterwegs gewesen. Auf der weiteren Flugroute beobachteten die drei Digiritter, wie nach und nach wieder Grünfläche unter ihnen zu sehen war. Das beunruhigende Gelbbraun von verdörrter Erde und verbrannten Wäldern war so wieder rasch verschwunden. Dafür brannte zur Mittagszeit nun was anderes auf den Köpfen…

„Es ist verdammt heiß geworden!“, meinte Tai und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Stimmt, da hilft auch der Flugwind nicht so viel“, stöhnte sein Digimon auf.

„Haltet durch Leute, wir sind bald da!“

„Wo sind wir dann da, Izzy?“, fragte Gatomon und blickte um sich. „Meinst du, bald werden wir wieder auf eine Stadt stoßen? Ich hab bis jetzt wirklich nur Erde, Gestrüpp, Seen oder Wüsten gesehen…“

„Genau, bald erreichen wir Lusaka, die Hauptstadt Sambias!“

„Sambia? Das heißt wir haben Simbabwe schon überquert?“, fragte Kari neugierig.

„Ja, das haben wir. Es dürfte noch ungefähr 5 Minuten dauern!“

„Na dann…“
 

Kari fasste sich an den Kopf. Irgendwie ging es ihr wieder besser. Sie fragte sich, was das für ein permanent komisches Gefühl war, als sie über Simbabwe flogen. Seitdem sie den Karibasee überquert hatten, war dieses komische Gefühl jedoch wieder verschwunden. Aber irgendwas stimmte nicht…

„Kari, was hast du?“ Gatomon blickte aufgeregt zu ihrem Partner hoch und musterte sie: „Stimmt irgendwas nicht?“ Kari erschrak, fing sich danach jedoch wieder: „Nein, Gatomon. Alles bestens…“ Die Braunhaarige dachte kurz darüber nach, ob sie es den anderen doch nicht erzählen sollte, doch sie verwarf diesen Gedanken wieder schnell. Schließlich kann sie es später auch erzählen, und solange ihr es gut ging, musste sie nicht noch mehr Probleme bereiten als ohnehin schon genug vorhanden waren.
 

Es gab jedoch noch ein anderes, nicht zu unterschätzendes Problem. Kari wandte sich an ihren Bruder:

„Tai…“

„Kari, was ist?“

„Ich weiß nicht ob dir das aufgefallen war, aber…“

In diesem Moment hörte man ein deutliches und fieses Knurren aus dem Bauch des Braunhaarigen.

„… aber es ist Mittagszeit!“, vollendete seine Schwester lächelnd ihren Satz und lief rot an, als sich auch ihr Magen lautstark beschwerte.

Tai grinste etwas bedröppelt: „Jetzt, wo du’s sagst, merk‘ ich’s auch...“

„Wir sollten uns in Lusaka nach etwas Essbarem umschauen!“, mischte sich auch Izzy mit ein, „Vielleicht finden wir ja ein Restaurant oder Ähnliches!“

„AU JA!“, riefen die Digimon unisono.

„Da vorne! Ich glaube, ich sehe Häuser!“, meinte Izzy, „Ich glaube, das ist Lusaka!“
 

Lusaka war die Hauptstadt Sambias, und die Stadt besaß auch alle Eigenschaften, die man sich unter der Bezeichnung „Hauptstadt“ vorstellen konnte. Sie hat über 1,4 Millionen Einwohner, ist recht modern ausgerichtet und deswegen auch eine der am schnellsten wachsenden Städte in ganz Afrika. Wie alle zentralen Städte hat auch Lusaka einen Flughafen. Zwar flog dieser nicht alle Städte der Welt an, aber man konnte zum Beispiel London in 10 Stunden Flugzeit erreichen.

Die Digiritter und ihre Digimon hatten jedoch was anderes vor. Unbemerkt auf festen Boden angekommen machten sich die Ankömmlinge sofort auf die Suche nach einem Restaurant. Der unerbittliche Hunger trieb sie durch die Gassen und Plazas.

„Da ist was! Ich glaub, das ist… hmpf!“, rief Agumon, der jedoch von Tai unsanft zurechtgewiesen wurde. „Agumon, sei still! Wir sind hier doch nicht mehr unter uns und auch nicht in der Digiwelt! Ihr müsst euch unauffällig verhalten… so wie Plüschtiere! Ihr wisst schon!“

„Ich glaub aber, Agumon hat Recht, Tai! Sieh nur, da vorne!“

Tatsächlich, an der Ecke der Straße prangte ein großes Schild mit der Aufschrift „Bella Italia“ und Italien-Fahne. Beim bloßen Anblick des Schildes lief schon allen Beteiligten das Wasser im Mund zusammen. „Los, das Essen wartet auf uns!“ Gemeinsam stürmten sie das Restaurant.
 

-------------------------------
 

„Ach du liebe Güte… wo bin ich denn hier?“

Sora verfolgte schon seit einer halben Ewigkeit unermüdlich die Spur. Allein ihrer Kondition, welche sie sich durch das viele Fußballspielen antrainiert hatte, war es zu verdanken, dass sie nicht schon längst in sich zusammengesunken war. Die Spur endete in einem Bungalowkomplex, der bewohnt war. Die Orangehaarige konnte es nicht fassen: Hier waren tatsächlich Menschen! Jetzt konnte sie endlich Hilfe rufen und gerettet werden! Angetrieben von diesem Gedanken rannte sie in das Bungalowdorf hinein.
 

Dort angekommen, wurde sie von den Einheimischen erst einmal fragend und kritisch beäugt. Doch ohne darauf zu reagieren, wandte sich Sora an die am nächsten stehende Person: „Entschuldigen Sie, können Sie mir helfen?? Ich irre schon seit Tagen in der Gegend herum und brauche dringend Hilfe!! Und außerdem befindet sich die Welt in großer Gefahr, ich muss sofort Kontakt zu meinen Freunden aufnehmen!!!! Haben Sie ein Telefon oder einen Computer oder… ???“ Sora sah den Mann an, den sie gerade vollgequasselt hatte; dieser blickte sie mit fragender und verstörter Miene an und hob die Augenbrauen. Schließlich zuckte er die Achseln und wandte sich ab.

Die Brünette stöhnte auf: „Oh Mann, er versteht mich nicht!“ Sie versuchte es bei den anderen Einwohnern, jedoch konnten diese ebenso wenig mit ihrem Geblubber anfangen. Das einzige, was diese Einheimischen verstanden, war wohl vielleicht Arabisch… nur hatte Sora in ihrem bisherigen Leben nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendet, diese Sprache zu erlernen. Jetzt wünschte sie sich, dass ihr das früher mal eingefallen wäre. Etwas hilflos torkelte sie durch den ganzen Komplex und versuchte immer wieder, mit den Bewohnern zu kommunizieren. Doch keiner konnte sie verstehen, selbst mit Pantomime konnte die Brünette nicht erklären, dass sie ein Telefon bzw. einen Computer brauchte. „Anscheinend leben die hier wohl noch wie im Mittelalter“, dachte Sora seufzend und resignierte. Sie lehnte sich gegen eine Bungalowwand an und dachte nach. Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen.

Dieser Komplex kann doch nicht völlig von der Außenwelt abgeschnitten sein. Am besten wäre es, auf Besucher oder Ähnliches zu warten. Dann konnte sie vielleicht schon auf ein Telefon zugreifen…
 

Plötzlich machte sich an ihrer Taille etwas bemerkbar… es juckte! Sofort griff Sora an die Stelle und befürchtete, dass wieder irgendein kleines - womöglich giftiges Tier dorthin gelangt war. Doch was sie zu fassen bekam, war nichts Lebendiges. Es war ihr Digivice, das anfing zu vibrieren. Sora stutzte: Was sollte das? Warum reagiert es? Sie blickte auf das Display und sah dort einen Punkt aufleuchten. Sora blieb wie erstarrt stehen. „Ist das Tai?“
 

-------------------------------
 

„Ich kann nicht mehr!“

„Oh Mann, ich hab sooo viel gegessen!“

„Ein Bissen noch und ich platze!“
 

Tai, Izzy und Kari waren völlig erschöpft vom vielen Essen. Sie saßen schon gar nicht mehr, eher lagen sie in ihren Stühlen. „Mein Bauch ist kugelrund, ich kann kaum noch gehen…“, stöhnte Agumon, das unter dem Tisch auf dem Boden lag.

„Kellner, bezahlen bitte!“, meldete Tai der Bedienung, doch Izzy zuckte dabei zusammen. Wie sollten sie denn bezahlen? An diese Kleinigkeit hatte er überhaupt nicht gedacht. Der Rothaarige bezweifelte, dass man hier mit japanischen Yen bezahlen konnte. „Hey Kari! Weißt du, welche Währung hier im Umlauf ist?“ Kari stutzte und antwortete achselzuckend: „Nee, keine Ahnung… aber ich glaube, keine Yen.“ Tai, der alles mitgehört hatte, erschrak und lief rot an: „Oje, dann könnten wir ein Problem gleich haben.“ Die Digimon schauten Tai dumm an: „Was soll das heißen? Müssen wir kämpfen?“
 

„Die Rechnung, mein Herr. Das wären dann 166400 Sambische Kwacha, bitte!“ Der Kellner ließ ein Büchlein mit der Quittung zurück und ging wieder fort. Die drei Digiritter schauten sich an. Kari staunte nicht schlecht: „Wieviel sind denn bitteschön 166400 Sambische Kwacha umgerechnet? Das klingt ja, als hätten wir ein Göttermenü verspeist.“ „Keine Ahnung! Ich weiß nur, dass auf uns einige Jahre Gefängnis warten könnten, wenn wir nicht bald schleunigst verschwinden!“ „Ich wäre dafür, dass wir ihnen einfach etwas von unserer Währung in das Büchlein legen. Wenn wir Glück haben, finden sie das nicht so schnell heraus“, meinte Izzy und zog mehrere Geldscheine aus seinem Portmonee. Tai und Kari taten dasselbe, nahmen ihre Digimon mit und gingen aus dem Restaurant - mit dem permanenten Gefühl, ihren Fluchttrieb unterdrücken zu müssen.

Draußen auf offener Straße atmeten die Digiritter einmal kräftig durch. Noch schien niemand aus dem Restaurant bemerkt zu haben, dass sie mit der falschen Währung bezahlt haben. „Da haben wir wohl noch einmal Schwein gehabt…“

„HEY, IHR DA! STEHENBLEIBEN!“ Die drei und ihre Digimon zuckten zusammen. Tai reagierte sofort: „Nicht umdrehen! Nehmt eure Beine in die Hände und lauft!!“
 

-------------------------------
 

Sora wischte sich Schweißperlen von der Stirn. Das Digivice hatte nicht aufgehört zu piepen und zu vibrieren, seit dieser Punkt auf dem Display erschienen ist. Laut dem kleinen Gerät war das Ziel nun direkt vor ihr. Die Brünette sah sich ihr „Ziel“ an: Sie stand vor einer dieser vielen Bungalows, die sich äußerlich nicht von den anderen unterschied. Dafür klopfte nun ihr Herz noch mehr als sonst und sie ging auf die Hütte zu, bis sie durch die Tür ging und in einen großen dunklen Raum gelangte. Sie konnte gerade so erkennen, dass sie in einem Gebetsraum war und der Raum dementsprechend eingerichtet war. Sie wusste zwar noch nicht, an welcher Religion sich dieser Raum orientierte; die Einrichtung des Raumes ließ aber stark vermuten, dass es der Islam war. Das Digivice reagierte immer noch und Sora blickte sich um, aber sie entdeckte nichts Auffälliges… und leider auch nichts Menschliches.

Die Orangehaarige beschloss, den gesamten Raum abzuklappern und ging die Wände des Raumes entlang. Anfangs tat sich nichts, doch plötzlich bemerkte Sora, wie ein an der Wand hängendes Bild schwach aufleuchtete. Sora hielt die Luft an und ging näher, das Bild wurde dadurch immer heller und heller. Als sie schon fast das Bild mit ihren Händen greifen konnte, schoss aus ihrem Digivice ein dünner Lichtstrahl auf das Bild. Dieser entfachte einen tausendfach größeren Lichtstrahl, der den Raum erfüllte und Sora blendete. Sie schrie auf: „Was passiert da?!“
 

-------------------------------
 

„Haben wir sie abgehängt?“

„Nein, sie sind immer noch dicht hinter uns, Tai!“

„Dann legt einen Zahn zu, sonst kriegen sie uns noch!“

Izzy und die Digimon stöhnten auf: „Das sagst du so leicht, wir haben zu viel gegessen!“

Tai sah hinter sich und bemerkte, wie der Kellner, der sie vorher bedient hatte, und seine Kollegschaft sie verfolgten und immer näher kamen. „So ein Mist“, dachte Tai, „Das hilft wohl nichts, die Digimon müssen digitieren…“

„Tai, was ist das?“

Überrascht von Karis plötzlicher Frage bemerkte Tai im Himmel einen weißen Fleck, der anfänglich leicht schimmerte, jedoch immer heller wurde. Plötzlich erfüllte sich die Luft mit Licht und ein Strahl schoss auf eines der Digimon. Die Digiritter, die Digimon und ihre Verfolger wurden zurückgeworfen. Tai, Izzy und Kari richteten sich wieder mühsam auf und bemerkten, wie Biyomon von dem Strahl erfasst wurde und hell aufleuchtete.

« Biyomon digitiert zu – Birdramon! »

Ein großer Vogel erhob sich aus der Menge in die Luft und kreischte laut auf. Tai und die anderen konnten noch nicht richtig realisieren, was gerade geschehen war. Wieso war Biyomon plötzlich digitiert?

Tai fing sich als Erster, schüttelte sich kurz und schrie: „Schnell, wir müssen von hier verschwinden! BIRDRAMON!“ Das Vogeldigimon reagierte und stieg nochmals herab, sodass die Digiritter und ihre Digimon auf dessen Krallen klettern konnten. Danach flog es wieder hoch in den Himmel und ließ versteinerte Gesichter von den vielen Passanten und den Restaurantarbeitern zurück.
 

Hoch oben schnauften alle einmal tief durch. Izzy fand als Erstes wieder seine Worte: „Habt ihr eine Ahnung, wieso Biyomon plötzlich digitiert ist?“

„Nein, aber eigentlich kann es nur bedeuten, dass Sora in der Nähe ist“, meinte Kari.

„Das stimmt, aber wo war sie denn? Biyomon konnte früher nur digitieren, wenn Sora in unmittelbarer Nähe war. Doch vorhin hab ich sie nicht gesehen…“, grübelte Tai und runzelte die Stirn.

Birdramon mischte sich in das Gespräch ein: „Nein, das war sie nicht! Das hätte ich gemerkt. Aber ich kann spüren, wo sie ist…“ Tai und Izzy blickten Birdramon verwundert an. „Im Ernst? Du kannst spüren, wo Sora ist? Weißt du etwa, wo sie sich genau befindet? “ „Nicht wirklich, aber ich spüre zumindest, in welche Richtung ich fliegen muss, damit wir zu Sora gelangen!“

Unverzüglich bat Tai: „Dann bring uns bitte schnell zu ihr!“
 

-------------------------------
 

Marinedevimon stampfte unaufhaltsam Richtung Krankenhaus, Stromleitungen wurden unter funkensprühendem Knistern durchtrennt und Autos wurden zerstampft. Yolei und Hawkmon waren bereits zum Krankenhaus geeilt und halfen mit, die Patienten zu evakuieren. Doch es waren viel zu viele, und Marinedevimon kam näher und näher. Es wurde zwar immer wieder kurzzeitig aufgehalten, weil sich X-Veemon, Stingmon und Togemon in den Weg warfen. Doch sie kamen nicht gegen das Ultra-Digimon an, sondern wurden nur ständig aus dem Weg geräumt. „Verdammt, können wir denn nichts tun?!“, rief Davis wutentbrannt und musste hilflos mit ansehen, wie Marinedevimon X-Veemon eine Breitseite mit der Tentakel verpasste.

„Ihr müsst es nochmal versuchen, Davis und Ken! Ihr müsst an euch und an die DNA-Digitation glauben!“, meinte Mimi zu den beiden Jungs. „Bisher stand das Glück immer auf unserer Seite, wenn wir wollten!“

„Davis, ich finde Mimi hat Recht! Wir versuchen es nochmal, okay?“, pflichtete Ken ihr bei und Davis nickte. Beide richteten ihr Digivice gen ihre Partnerdigimon. Plötzlich leuchtete die Gegend auf und die Nacht wurde kurzzeitig zum Tag.

« X-Veemon – Stingmon – DNA-Digitation zuuu – Paildramon! »

Diesmal erschien Paildramon tatsächlich aus einer Lichtflut vor den Digirittern, die aus dem Staunen nicht herauskamen. „Juchuu! Sie haben es geschafft!“, brach Davis in Freude aus. Doch plötzlich geschah noch etwas Seltsames: Auch Togemon wurde von einem gewaltigen Licht erfasst und leuchtete hell auf.

« Togemon Ultra-Digitation zu – Lilymon! »

Davis und Ken blickten ratlos das Kobolddigimon an, dass auf einmal vor ihnen herflog. „Hääh? Warum ist denn auch Togemon digitiert? Das war doch nicht unser Verdienst, oder?“

„Nein Davis, war es nicht…“, antwortete Mimi, die ebenfalls keine Ahnung hatte, wie Togemon die Ultra-Digitation schaffen konnte. „Aber das ist jetzt egal! Wir müssen Marinedevimon aufhalten, bevor es das Krankenhaus erreicht hat! Lilymon!“

„Genau, sie hat Recht, Davis! Paildramon!“

„Schon unterwegs!“, riefen die Partnerdigimon unisono.
 

Lilymon und Paildramon kamen Marinedevimon näher, das weiter auf das Krankenhaus trottete und die beiden nicht bemerkte. Lilymon heckte einen Plan aus: „Sein gesamter Rücken ist durch die Tentakel geschützt. Wir müssen es an seiner wunden Stelle am Bauch erwischen! Ich lenke die Tentakel auf mich und du musst seinen Schwachpunkt attackieren, Paildramon!“ „Gut, so machen wir’s!“

Lilymon holte zur Attacke aus: „BLUMENKANONE!“

Das Geschoss traf Marinedevimon am Rücken, das unter der Wucht der Attacke zusammenzuckte und abrupt stehen blieb. Es drehte sich um und bemerkte Lilymon. Eine Tentakel raste auf das Kobolddigimon zu, das jedoch geschickt auswich. Lilymon feuerte immer weiter ihre Attacken auf Marinedevimon ab, bis sie das Digimon dazu trieb, alle vier Tentakel für die Jagd nach ihr zu benutzen. „JETZT, PAILDRAMON!“

Wie aus dem Nichts erschien Paildramon vor Marinedevimon. Das böse Digimon bemerkte es zwar sofort, konnte die Tentakel jedoch nicht so schnell zurückholen.

„DESPERADORAKETEN!“

Die Geschosse aus den beiden Maschinengewehren an Paildramons Hüfte bohrten sich durch den ungeschützten Bereich von Marinedevimon, dass durch die Attacke besiegt und pulverisiert wurde.

Die Digiritter jubelten: „Geschafft!“
 

Nachdem die Digimon wieder zurück auf ihr Rookie-Level digitiert waren und alle Patienten ins Krankenhaus zurückgebracht wurden, machten sich Davis und die drei anderen Digiritter Gedanken über die Frage, warum die Digimon gerade wieder auf das Ultra-Level digitieren konnten. „Also, wenn ich ehrlich bin“, fing Davis an, „habe ich nichts wesentlich anders gemacht als beim ersten Versuch, die DNA-Digitation aufzurufen!“ „Vielleicht hast du ja dieses Mal viel mehr an dich geglaubt“, meinte Ken. Mimi war jedoch anderer Meinung: „Ich glaube, die Ultra-Digitation haben wir jemandem zu verdanken, den wir nicht kennen. Schließlich ist ja auch Togemon digitiert, obwohl ich nichts unternommen habe, um Togemon zur Ultra-Digitation zu bewegen.“ Die Rothaarige schilderte ihre Sichtweise, wie plötzlich ein alles blendender Strahl vom Himmel flog und die drei Partnerdigimon traf. Dieses Ereignis war ihr nicht neu, denn vor 4 Jahren hatte sie so etwas schon einmal erlebt, als die Energiekugel des Azulongmon aktiviert wurde und ein Energiestrahl auch Palmon in den U.S.A. traf. Davis und Ken erinnerten sich ebenfalls daran, wie ein Energiestrahl Paildramon erfasste und es zu Imperialdramon digitieren ließ. Yolei bestätigte anschließend Mimis Sicht der Dinge, denn auch sie hatte vom Krankenhaus aus beobachtet, wie aus dem Nichts ein Lichtstrahl vom Himmel herab geschossen kam.

„Wir sollten das Ganze alles Izzy berichten, und zwar sofort!“, meinte Yolei und erhielt von allen Beteiligten Zustimmung.
 

-------------------------------
 

Sora saß immer noch auf ihrem Allerwertesten. Die Brünette war regelrecht perplex über das, was gerade geschehen war. Der Raum hatte sich mittlerweile wieder abgedunkelt und Sora blickte zurück zu der Stelle, wo das Bild hing. Es war nicht mehr da! Ein Staunen machte sich auf ihrem Gesicht breit. Das Bild hatte sich wohl in Luft aufgelöst, als der Lichtstrahl heraus schoss…

Plötzlich bemerkte Sora Türgeräusche und machte eine 180°-Drehung. Ein Mensch stand an der offenen Tür und hatte anscheinend das lichtreiche Ereignis mit angesehen. Das Licht von draußen blendete Sora, dennoch konnte sie einen Kapuzenumhang erkennen, der ihr merkwürdigerweise bekannt vorkam. Jedenfalls sah dieser Unbekannte nicht wie die restlichen Einwohner aus, es musste jemand Externes sein.

Sora wusste nicht, was sie tun sollte und blieb auf dem Boden sitzen. Der Kapuzenträger stand immer noch an derselben Stelle und musterte die Orangehaarige neugierig. Unerwartet entfuhr es ihm: „Du bist ein Digiritter, habe ich Recht?“ Sora blieb der Atem stecken.

Der Sarkophag in der Pyramide

Sora starrte den Kapuzenträger an. Diese Person wusste, dass sie ein Digiritter war! „Wer sind Sie?“, fragte Sora unsicher. „Gehören Sie zu den Guten oder zu den Bösen?“ Der Kapuzenträger lachte leicht: „Oh, ich dachte du würdest dich an uns noch erinnern…“ Die Person nahm die Kapuze ab. Sora keuchte auf: „Genai??“

Vor ihr stand ein junger, gut aussehender Herr mit braunen gegelten Haaren, gekleidet in einem grau-weißen Kapuzenumhang. Das Gesicht war eindeutig mit dem von Genai zu identifizieren, den sie vor 4 Jahren quasi neu kennengelernt hatten. Nun erinnerte sich auch Sora wieder, woher sie dieses Kleidungsstück kannte. Doch was sollte Genai ausgerechnet hier machen? Noch dazu völlig alleine?

Bevor sie diese Fragen stellen konnte, wurde sie korrigiert: „Nein, ich bin nicht Genai, sondern einer seiner Assistenten. Mein Name ist Kai, du musst Sora sein, oder?“

Die Brünette nickte stumm. Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Eigentlich war sie sehr froh darüber, dass Kai und nicht wieder Deemon oder einer seiner Handlanger erschienen waren. Zumindest war jemand da, der ihr helfen konnte. Aber andererseits hätte sie lieber noch jemand anderes herbeigewünscht…

„Wie ich sehe, hast du gerade eines der Artefakte aktiviert, die sich hier auf der Erde befinden!“, fuhr Kai fort. „Äh, was?“, stammelte Sora. Das Bild soll also ein Artefakt gewesen sein, von denen Deemon erzählt hatte? War das die Kraft, die Deemon und sein Vorgesetzter unbedingt in ihren Besitz bringen wollten? „Das war also ein… äh… Artefakt?“ Kai nickte: „Ja, das muss eines gewesen sein! Der Lichtstrahl, den du vorhin ausgelöst hattest, war pure Energie gewesen… ich habe sie sehr deutlich gespürt. Sie hat sich quer über die Erde verteilt. Ich weiß nicht, wohin diese Energie gegangen ist, aber das ist auch nicht so wichtig. Hauptsache ist, dass sie freigesetzt wurde.“

Sora räusperte sich: „Ähm, könnten Sie mir sagen, was es mit diesen Artefakten auf sich hat?“

„Natürlich, kein Problem! Du erinnerst dich doch sicher an die Heiligen Steine in der Digiwelt, oder? Diese Steine waren dazu da, um die Digiwelt im Gleichgewicht zu halten und deren Stabilität zu sichern. Dieselbe Funktion auf der Erde übernehmen die von uns genannten Artefakte. Allerdings erscheinen sie nicht ganz so auffällig wie drüben in der Digiwelt. Sie sind hier auf der Erde gut versteckt und getarnt, häufig handelt es sich bei den Artefakten um gewöhnliche Alltagsgegenstände. Sie können nur von einem Spezialgerät oder von Wesen aufgespürt werden, die solche Energiewellen wahrnehmen können…“ Mit diesen Worten verwies Kai auf Soras Digivice: „Dein Digivice scheint eines von diesen Geräten zu sein!“

„Und wieso hat sich das Bild danach aufgelöst?“

„Das wissen wir noch nicht genau. Vielleicht hat es seine Funktion als Artefakt nun erfüllt und wird nicht mehr gebraucht. Wir müssen das noch genauer analysieren, bevor wir konkrete Schlussfolgerungen ziehen.“

Die 18-Jährige stieß einen Atem aus. „Hoffentlich ist das nicht zum Nachteil für uns, dass das Artefakt nicht mehr existiert…“

Kai widersprach: „Ich glaube nicht, dass das von Nachteil ist. Zumindest hat die Dunkelheit keinen Nutzen von der Energie des Artefakts gehabt, und das ist schon mal gut.“ Er ging auf Sora zu: „Ich glaube, mit deiner Hilfe könnten wir noch mehr Artefakte aufspüren! Wenn wir sie vor Deemon und Co finden und aktivieren können, dann wären wir ihnen einen Schritt voraus.“

Sora hob eine Augenbraue: „Sie wissen also schon Bescheid über… ?“

„Mir entgeht nichts! Und jetzt komm, wir dürfen keine Zeit verlieren!“

Kai spurtete aus dem Raum. Sora folgte ihm zuerst zögernd, aber dann gab sich die Orangehaarige einen Ruck und lief ebenfalls nach draußen.
 

-------------------------------
 

Der Flugwind war mit dem von vorhin nicht zu vergleichen. Tai und die anderen mussten sich an Birdramons Fußkralle ungeheuer festhalten, denn das Vogeldigimon war mit rasender Geschwindigkeit unterwegs - mindestens dreimal so schnell wie Kabuterimon. So entschlossen wie Birdramon flog, schien es anscheinend wirklich genau zu wissen, wo sich Sora zurzeit befand. Das hofften zumindest die anderen…
 

„Izzy, weißt du wo wir gerade sind?“, rief Tai zu seinem rothaarigen Freund rüber.

„Nein, ich habe jetzt auch überhaupt keine Möglichkeit, auf meinen Laptop zuzugreifen! Er würde nur weggeweht werden…“

„Meinst du nicht, es wäre besser mal anzuhalten, um die Lage zu checken?“

„Sekunde, da piept was…“

Izzy hielt sich mit einer Hand fest, steckte die andere Hand in seine Seitentasche und nahm das D-Terminal mühsam hervor. Er hatte zwei Nachrichten erhalten. Unbeirrt vom starken Wind las Izzy die Mails durch.

„Na sowas, die sind von Yolei und Matt!“

„Was schreiben sie denn? Haben sie Erfolg gehabt?“, mischte sich nun auch Kari in das Gespräch ein, während sie sich mit zwei Händen an Tai festhielt.

„Kann man schon sagen. Aber sie schreiben außerdem, dass wohl ein greller Lichtstrahl vom Himmel herab auf ihre Digimon fiel und diese dann plötzlich ultra-digitieren konnten. Außerdem konnten die Digimon von Davis und Ken plus T.K. und Cody die DNA-Digitation vollziehen. Marinedevimon und Lady-Devimon haben sie dadurch kinderleicht erledigen können.“

„Ein Lichtstrahl, sagst du?“, bemerkte Tai erstaunt, „Sowas haben wir doch vorhin in Sambia auch erlebt!“

„Meinst du, die Fälle haben miteinander zu tun?“, fragte Kari den Rothaarigen.

„Gut möglich, ich bin mir noch nicht sicher! Aber es wäre schließlich eine Erklärung, warum Biyomon plötzlich digitieren konnte, ohne dass Sora in der Nähe war…“
 

Izzy versuchte die Infos zusammenzusetzen, um tiefer hinter dieses Geheimnis zu kommen. Der Lichtstrahl, der Biyomon digitieren ließ, war also nicht nur in Afrika, sondern auch in den U.S.A. und Australien erschienen. Dieser Strahl musste aber einen Ursprung haben, und der Rothaarige vermutete, dass sich Birdramon auf dieses zubewegte. Nicht mehr lange, und sie werden also sehen, wer diesen Energiestrahl ausgelöst hatte.

Sein Blick glitt nach unten - und plötzlich hörte er auf, über das Vorherige nachzudenken. Schon wieder füllte sich sein Augenbild mit einer gelbbraunen Farbe.

„Verbrannte Erde…“, murmelte Izzy.
 

-------------------------------
 

„Nimm meine Hand!“

„Äh… wie bitte?!“

„Sora, du musst meine Hand nehmen, damit du nicht verloren gehst!“

Die 18-Jährige starrte Kai und seine ausgestreckte Hand ungläubig an und räusperte sich: „Oh… ähm, es geht schon… ich kann schon selber auf mich aufpassen. Ich werde schon nicht verloren gehen…“

Kai schüttelte den Kopf: „Ich meine damit, dass wir jetzt einen Dimensionssprung machen werden. Wenn du dich nicht an mir festhälst, gehst du bei dem Sprung verloren!“

Soras Gesicht lief rot an. „A-achso… tut mir Leid, ich hab‘ das falsch verstanden.“

Kai grinste schief: „Keine Ursache! Und jetzt bereitmachen zum Sprung!“

„Wo springen wir denn hin?“

„Nach Kairo! Ich habe mitbekommen, dass in der letzten Nacht ein paar von den Alptraumsoldaten ihr Unwesen dort getrieben haben. Sie scheinen nach einem weiteren Artefakt zu suchen!“

Nachdem Sora Kais Hand genommen hatte, begann unmittelbar darauf die Umgebung sich mit Lichtblitzen zu füllen und die Luft knisterte förmlich. Plötzlich lief Kai los und zerrte Sora hinter sich her, bis sie selber Kais Laufgeschwindigkeit aufnehmen konnte. Während sie lief, hatte sie ein sehr befremdendes Gefühl; sie kannte diesen Typen nicht einmal 10 Minuten und jetzt hatte sie schon seine Hand genommen. „Verzeih mir bitte, Tai!“, dachte sie und blickte weiter nach vorne. Ein grelles Licht erschien vor ihnen, Sora machte die Augen instinktiv zu und rannte gegen es. Ein explosionsartiges Geräusch ertönte, während Sora die Augen weiter zuhielt.
 

„Wir sind da! Nun mach schon deine Augen wieder auf, Sora!“

Die Orangehaarige öffnete ungläubig die Augen - so schnell und so einfach waren sie schon da? Das grenzte ja an Zauberei. „Wie hast du das überhaupt geschafft, so schnell und punktgenau den Ort zu wechseln?“

„Das zu erklären, würde zu lange dauern. Aber das ist im Moment auch nicht wichtig. Was du da vor dir siehst, ist wichtiger!“

Sora blinzelte und erkannte die Gegend: Sie erblickte eine der drei Pyramiden von Gizeh vor sich. Es war früher immer ein Traum von ihr gewesen, diesen riesigen Bauwerken einmal so nahe stehen zu können, wie sie es jetzt endlich tat. Bisher kannte sie die Pyramiden nur aus Schulbüchern, Bilderalben oder Erzählungen von Freunden. Aber selbst daraus konnte man niemals erahnen, wie riesig eine Pyramide in Wirklichkeit war. Sie hatte früher eine Mini-Pyramide zum Spielen geschenkt bekommen, aber beim Anblick der realen Pyramide kam sie sich selbst wie ein kleines Spielzeug vor. „Wahnsinn!“, entfuhr es Sora und ihre Augen fingen an zu glitzern.
 

„Los, wir gehen näher ran!“, meinte Kai und holte Sora damit wieder aus ihrer Begeisterung zurück. Sie folgte ihm, ohne den Blick von der größten der drei Pyramiden zu lassen. Ihr fiel nämlich nach einer Weile auf, dass diese Pyramide lauter schwarze erkennbare Punkte hatte. Zuerst dachte die Brünette, dass sie nur was im Auge hatte oder die heiße Luft ihr Augenbild trübte. Aber je näher sie kam, desto eindeutiger wurde ihr Eindruck, dass diese Punkte in Wirklichkeit unzählige Durchbohrungen waren. Bestätigt wurde sie dadurch, dass sie mehr und mehr Pyramidenbruchstücke rundherum auf dem sandigen Boden fand.

Wie konnte das sein? Die Pyramiden gelten als Weltkulturerbe, zudem sind sie das einzige erhaltene von den sieben Weltwundern der Antike. Sie zu durchbohren stellte ein fürchterliches Verbrechen dar. „Haben die darin Öl gefunden oder wieso??“, rätselte Sora und lief mit Kai genau auf diese Pyramide zu.
 

In unmittelbarer Nähe angekommen instruierte Kai die 18-Jährige. Es gab bei dieser Pyramide, deren Name die Cheops-Pyramide war, mehrere große Grabkammern, die heute zum Teil auch öffentlich zugänglich sind. Die Königsgrabkammer zum Beispiel befand sich am Ende der sogenannten Großen Galerie, die man heutzutage als Tourist betreten und besichtigen konnte. Es gab jedoch auch nicht öffentlich zugängliche Orte, darunter viele unterirdische Grabkammern. In einer von denen vermutete Genais Schützling die Quelle der Energiesignaturen, die von der Cheops-Pyramide ausging. Er hatte einen geheimen Gang ausfindig gemacht, die genau zu den unterirdischen Kammern führte.

„Wir haben nicht mehr viel Zeit! Es dämmert bereits, und ich glaube, Deemons Soldaten kommen bald wieder!“

Sora schluckte. Diesen Namen wollte sie nicht hören, und schon gar nicht wollte sie dieses Digimon wiedersehen. So schnell jedenfalls noch nicht.

„Wo ist denn dieser Geheimgang?“, stellte sie die längst überfällige Frage.

Kai schaute sich um, bis er sicher war, dass niemand sie beobachtete. Dann ging er zur Pyramide und schob kräftig gegen einen der riesigen Steinblöcke, bis dieser sich nach innen bewegte. Unmittelbar darauf rumorte es heftig, die Erde unter den beiden bebte schlagartig. Sora sah, wie plötzlich ein Stück des Steinbodens sich öffnete und der darauf liegende Sand in das entstandene Loch fiel.

„Schnell, rein da!“ Kai sprang in das Loch. Sora riss sich zusammen und kletterte ebenfalls durch die Öffnung nach unten.

So schnell sich der Eingang zu dem geheimen Pfad geöffnet hatte, so schnell verschloss er sich auch wieder.
 

-------------------------------
 

Tai, Izzy, Kari und ihre Digimon waren nun schon seit mehr als einer Stunde unterwegs. Birdramon flog mit einer unglaublichen Geschwindigkeit weiter und hatte bis jetzt keine einzige Rast eingelegt; das Digimon wollte unbedingt Sora wiedersehen. Tai hatte keine Anstalten gemacht, eine Pause zu fordern, aber zumindest Izzy hätte gerne eine Gelegenheit wahrgenommen um zu schauen, wo sie sich jetzt genau befinden. Aber das konnte er noch, wenn sie angekommen waren… und er vertraute darauf, dass Birdramon die richtige Spur verfolgen würde.

Mittlerweile hatte sich die Landschaft auch stark verändert: Statt Wald und Sträuchern befand sich nunmehr eine große Sand- und Felswüste unter ihnen.
 

Birdramons Stimme ließ die Aufmerksamkeit aller erwecken: „Wir sind da! Da vorne - ich bin mir sicher, dass dort die Energie, die ich in mir aufgenommen habe, hergekommen sein muss!“ Izzy sondierte die Umgebung. Zunächst fiel ihm in dieser Wüstenregion nichts Markantes auf, bis er plötzlich einen großen Fluss bemerkte, auf den sie zusteuerten. Izzys Kenntnisse über Afrika waren beschränkt, aber er vermutete, dass das der Nil war. Wenn das so war, dann bedeutete das aber auch, dass sie Ruanda überflogen hatten, was den Rothaarigen stutzig machte. Dieser Sache würde er nachgehen, sobald sie wieder festen Boden unter ihren Füßen hatten.

Das Vogeldigimon startete den Sinkflug und landete direkt am Rande eines Bungalowkomplexes. Die drei Digiritter und ihre Digimon hüpften auf den sandigen Boden und streckten sich erst einmal. „Tut das gut, wieder festen Boden unter sich zu haben“, gähnte Tai herzhaft. Während Kari über ihren Bruder kicherte, hatte Izzy schon seinen Laptop wieder angemacht und die Weltkarte aufgerufen. Tentomon beobachtete dabei, wie ein gelber Punkt darauf auf der Karte erschien.
 

„Birdramon, bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“, fragte der Rothaarige das Digimon. Tai und Kari schauten fragend zu Izzy rüber: „Wieso fragst du? Stimmt was nicht?“ Izzy setzte sein typisches Grübelgesicht auf: „Mein Computer zeigt an, dass wir uns momentan im Sudan befinden, dieser Bungalowkomplex ist anscheinend ein nubisches Dorf. Aber das heißt, dass wir über Ruanda hinweggeflogen und jetzt viel weiter im Norden Afrikas sind - sogar ziemlich nahe an der ägyptischen Grenze.“

Tai und Kari schauten etwas hilflos, als Izzy diese Nachricht verkündete. Sie waren an Soras eigentlichem Wohnort vorbeigeflogen? Aber wieso? Sie waren doch hier, um Sora zu helfen, und nicht um irgendwelche Lichter und ihre Quellen zu jagen.

„Birdramon!“ Tai warf dem Vogeldigimon einen prüfenden Blick zu. „Kannst du mir erklären, wieso wir an Soras eigentlichem Wohnort vorbeigeflogen sind?“

Birdramon rechtfertigte sich: „Die Energie, durch die ich digitiert bin, stammt aus diesem Bungalowkomplex! Ich habe beim Digitieren eindeutig Soras Kraft gespürt, sie muss hier sein!“

Kari schritt auf ihren Bruder zu: „Sollten wir den Komplex nicht mal durchsuchen? Vielleicht versteckt Sora sich noch hier und wir finden sie!“ Tai wusste auch nicht weiter als einzuwilligen. Vielleicht stimmte es ja und sie war wirklich noch hier. „In Ordnung, sehen wir uns ein bisschen um!“
 

-------------------------------
 

Mit einer Fackel in der Hand durchleuchtete Kai eine unterirdische Galerie. Sora stand nun endlich wieder gerade; der geheime unterirdische Tunnelgang war schmal und die Decke so tief gewesen, dass sie ständig in gekrümmter Haltung gehen musste. Zudem fühlte er sich ewig lang an, als wolle er niemals enden. Sie wusste nicht, wie lange es bis hierher gedauert hatte; angefühlt hatte es sich wie eine Stunde und mehr.

Doch nun schienen sie am Ziel angekommen zu sein - zumindest fast. Kai sah sich die Galerie an und stellte fest, dass sie unversehrt war. „Hier waren die Alptraumsoldaten anscheinend noch nicht gewesen. Das ist unsere Chance! Hol dein Digivice heraus und lass es nach dem Artefakt suchen, es muss hier in einer dieser Kammern sein!“ Sora tat wie ihr gesagt, nahm ihr Digivice hervor und richtete es gegen die Galerie. Unmittelbar darauf fing das kleine Gerät plötzlich an zu vibrieren und ein Signalton ertönte. Sora bemerkte ein schwaches Aufleuchten in der hinteren Galerie. „Ich glaube, wir haben es gefunden“, meinte sie und zeigte auf eine Kammer links hinten, von wo das Leuchten herkam. Ohne zu zögern liefen die beiden darauf zu; die Lichtstärke nahm zu, je näher sie kamen.

Dort angekommen, blieben sie am Eingang zur Kammer stehen. Das Leuchten kam von einem Sarkophag, der mitten im Raum stand und jetzt hell wie ein Kronleuchter schien. „Da ist es, das Artefakt!“, sagte Kai begeistert.

„Das seh‘ ich doch selber“, bemerkte Sora spitzfindig und wollte weiterreden, doch sie kam nicht dazu. Urplötzlich reagierte ihr Digivice in ihrer Hand und schoss einen dünnen Lichtstrahl heraus, welches den Sarkophag traf. Ein weißer Lichtblitz verhinderte, dass sich die beiden dieses Spektakel mit ansehen konnten…
 

-------------------------------
 

„Tut mir Leid, Birdramon. Wir haben Sora da drin nicht gefunden“, sagte Kari in einem traurigen, aber auch erschöpften Tonfall. „Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Sora hier war…“, meinte das Vogeldigimon halb jammernd und wirkte niedergeschlagen. Tai nickte nur stumm; er wollte Birdramon keinen Vorwurf machen, obwohl er es gerne würde. „Wir haben wirklich jeden Winkel durchkämmt, den wir durchkämmen konnten. Und wir haben nach ihr gerufen. Aber es gab keine Reaktion von ihr“, stellte der Braunhaarige fest. Er zweifelte langsam daran, dass Birdramon wusste, wo sich Sora wirklich befindet. Verdammt, er musste unbedingt zu ihr, sie braucht sofort Hilfe!
 

„Was machen wir jetzt? Es wird dunkel!“, bemerkte Gatomon und gähnte leicht.

„Wir sind auch etwas müde“, stimmten die beiden anderen Rookie-Digimon Gatomon zu.

Kari schlug vor: „Meint ihr, dass wir bei einen der Einwohner eine Bleibe finden?“

„Vielleicht, wir können sie ja mal fragen…“

Tai wandte sich von der Gruppe ab; ihm gefiel das alles gar nicht. Die anderen denken nur ans Essen und Schlafen! Er hatte Wichtigeres zu tun, als sich hinzulegen und abzuwarten, bis es wieder Tag wird! Bei Nacht konnten sie schließlich genauso weitersuchen! Möglicherweise ist es morgen auch schon zu spät, dann könnte Sora sonst irgendwo sein - oder schlimmer, sie würde…

Der 18-Jährige verwarf den furchtbaren Gedanken und blickte verzweifelt in den dämmernden Himmel. Hoffentlich war Sora noch am Leben. Es war doch nicht schon zu spät, oder? Er wünschte sich, dass sie jetzt ein Zeichen geben könnte…
 

„TAI! SIEH NUR, HINTER DIR!“

Plötzlich bemerkte Tai, wie die Gegend heller wurde; auf Karis Schrei hin drehte er sich um und bemerkte, wie ein kometartiger Strahl vom Himmel auf die Gruppe zugeschossen kam. Bevor er reagieren konnte, schlug der Strahl wie eine Bombe ein und hüllte alles in Licht. „Nicht schon wieder!“, schrie der Braunhaarige und versuchte, die Augen aufzumachen. Er bemerkte, wie Birdramon sich inmitten des Lichtstrahls befand und sich abermals verwandelte. « Birdramon Ultra-Digitation zu – Garudamon! »

Das Licht verschwand wieder, hervor trat das riesige Vogeldigimon. Die Digiritter und ihre Digimon schauten ungläubig hinauf. „Das gibt’s nicht…“, entfuhr es Izzy. „Es ist schon wieder digitiert!“, japste Tai und suchte instinktiv sofort die Gegend ab. War Sora vielleicht doch in der Nähe?

Kari schaute ebenfalls zu Garudamon hoch. Sie bemerkte dabei, wie sich am Himmel ein einzelner dünner Lichtstrahl bildete und wie ein Regenbogen um die Landschaft schlängelte. „Schaut doch mal, da oben! Was ist das?“

Izzy bemerkte den Lichtstrahl ebenfalls. „Was hat das zu bedeuten?“
 

Garudamon bückte sich: „Kommt alle zu mir! Ich bin sicher, dass Sora auch diesen Strahl ausgelöst hat! Ich werde euch so schnell wie möglich dahin bringen!“

Tai blickte das Digimon daraufhin skeptisch an: „Bist du dir da wirklich sicher?!“

„Tai, lass das! Glaubst du etwa, Garudamon halluziniert?“, entgegnete ihm seine Schwester leicht entrüstet.

„Ich werd‘ zumindest dieses Gefühl nicht los!“, redete Tai offen Klartext.

„Stell dich nicht so an! Vergiss nicht, dass Garudamon Soras Digimon ist! Unsere Digimon sind mit uns mehr verbunden als du denkst! Es gibt keinen Grund, daran plötzlich zu zweifeln! Und jetzt komm endlich!“ Kari warf ihm einen bösen Blick zu mit der unmissverständlichen Botschaft, dass die Diskussion hiermit beendet ist.

Tai wusste nicht, wie ihm war. So hatte Kari noch nie mit ihm geredet. Hatte er sich gerade von seiner jüngeren Schwester zurechtweisen lassen? Normalerweise war es doch immer er, der diese Rolle bekleidete. Aber mittlerweile war sie 15 Jahre alt und kein kleines Kind; sie brauchte niemanden mehr, der ihr immer auf die Finger schauen muss. Sie regelte selbst ihr Leben; ab und zu kam sie sogar mal auf die Idee, ihrer Meinung ungehemmt und ungeschönt frei Luft zu lassen - so wie in diesem Fall…

Und Tai gestand sich auch ein, dass sie ja Recht hatte: Die Digimon sind mit ihren Partnern mehr verbunden als alles Erdenkliche, was sie sich vorstellen konnten. Schließlich hatte er es früher oft erlebt, dass die Digimon imstande waren, Gefühle von ihren Partnern zu lesen - sogar tief verborgene Gefühle. Es war für ihn allerdings schwierig zugeben zu müssen, dass Biyomon Sora noch besser kannte als er - obwohl er mit der Orangehaarige zusammen gewesen war im Gegensatz zu dem Digimon sie seit Kindheit kannte und.

War es etwa sogar Eifersucht, der ihn zu den Zweifeln trieb? Das passte doch überhaupt nicht zu ihm…
 

„Tai, kommst du jetzt oder willst du hierbleiben?“, rief Agumon zu seinem Partner und hüpfte auf Garudamons Hände.

Der Braunhaarige blinzelte und fiel aus der Schockstarre. „Ich komme schon…“

Garudamon erhob sich und flog instinktiv in eine Richtung. Auf dem Ultra-Level war es noch schneller als vorhin auf dem Champion-Level, und so blies ein noch heftiger Flugwind allen entgegen.

Kari schaute zu ihrem Bruder, er sah etwas durcheinander aus. So komisch wie vorhin hatte er sich noch nie verhalten…
 

-------------------------------
 

Sora betrachtete die Stelle, wo der Sarkophag lag - wo er gelegen hatte. Jetzt war er verschwunden; es ist also genau dasselbe passiert wie vorhin im Bungalow. „Sieht so aus, als hättest du es geschafft. Die Energie hat sich wieder rund um den Globus verteilt.“ „Wieso bist du dir so sicher?“, fragte die Brünette. „Naja, vorhin im Bungalow hatten wir dasselbe Ereignis mit denselben Vorgangsschemata gehabt. Wieso sollte es jetzt anders sein?“, erwiderte Kai und ging zurück zum Tunnelgang. Sora folgte ihm stumm. „Wir sollten jetzt verschwinden, bevor…“
 

Ein unsanftes Geräusch ließ die Galerie erschüttern. Sora und Kai drehten sich erschrocken um. Mehrere Digimon waren durch die Decke der hinteren Galerie gebrochen und landeten in dem Raum.

Sora erkannte eines von ihnen: „Oh nein, das ist Skullsatamon!“
 

--- Skullsatamon

--- Level: Ultra

--- Skelettdigimon

--- Typus: Virus

--- Attacke: Nagelknochen
 

Das böse Digimon grinste: „Sieh mal einer an! Ich glaube, ich muss das Artefakt nicht mehr finden. Der Meister wird mit mir schon zufrieden sein, wenn ich euch erledige!“ Seine Gefolge hinter ihm lachte hämisch auf.

„Schnell weg hier!“, rief Kai und eilte mit der Fackel durch den Tunnel. Sora ließ sich das nicht zweimal sagen und rannte hinterher.

Skullsatamon bewegte sich jedoch rasend schnell auf sie zu. Es zischte: „Nagelknochen!“ Sora drehte sich um und sah, wie das Digimon die Attacke aus seinem Stab abfeuerte… aber nicht auf sie. Stattdessen traf der Blitz die vordere Decke, unter der Kai lief. Die Decke stürzte ein; das Licht erlosch sofort.

„NEIN!“

Wieder verschleppt

Mittlerweile war es erstaunlich schnell dunkel geworden. Garudamon flog davon unbeeindruckt weiter und orientierte sich dabei am dünnen Lichtstrahl im Himmel. Keine halbe Stunde später, nachdem es vom Bungalowkomplex aufgebrochen war, war die Quelle des Lichtstrahls sichtbar. Von Weitem fiel den Digirittern auf, dass das Licht von einer Stelle aus in die Luft schoss - als würde das Licht eine Art „Wurzel“ haben.

Kari blickte erstaunt nach vorne. „Wo sind wir hier überhaupt?“

„Weiß nicht… seht mal! Das Licht kommt anscheinend von diesem Ding da!“ Tai deutete auf ein Bauwerk, das immer größer ins Sichtfeld kam und die Form eines Dreiecks annahm. Nachdem sie noch näher kamen, erkannte er es schließlich: „Das ist eine Pyramide! Wir müssen uns in Ägypten befinden!“ Nun sahen alle Beteiligten, wie aus der Spitze der Pyramide der Lichtstrahl nach oben schoss und sich im Himmel quer verteilte.

„Was?! Das ist unglaublich, wir haben damit den afrikanischen Kontinent einmal von Süden bis Norden überquert!“, stellte Izzy erstaunt fest.

„Über solche Details kannst du uns später noch berichten! Los, wir müssen sofort Sora suchen!“, sagte Tai entschlossen.
 

Einen Moment später landete Garudamon direkt vor der Pyramide und digitierte zu Biyomon zurück. Das kleine Vogeldigimon war sichtlich erschöpft vom vielen Fliegen und legte sich kurz hin. Izzy hatte derweil seinen Laptop wieder angeschaltet. Er überlegte fieberhaft, wie er die Suche nach Sora mit technischer Hilfe erleichtern konnte.

Doch ein Piepen riss ihn aus den Gedanken. „IZZY! Sieh nur, mein Digivice reagiert!“, rief Tai zu seinem rothaarigen Freund rüber, der sofort angespurtet kam. „Hier leuchtet ein Punkt auf dem Display - genau in Richtung der Pyramide. Da muss jemand… Sora muss da drinnen sein!“ Der Rothaarige sah sich das alles an und überlegte: „Ja, das sehe ich auch. Das heißt, wir müssen jetzt einen Weg da rein finden. Fragt sich nur, wo wir…“

„TAI, KARI, IZZY! Kommt her, wir haben was entdeckt!“. Die Digiritter hörten plötzlich die Stimmen ihrer Digimon um die Ecke der Pyramide. Sie liefen um die Ecke herum… und stoppten abrupt. Die Digimon standen vor einem riesigen Loch in der Pyramide, durch das ein Auto gepasst hätte. Es führte tief ins Innere des Bauwerks.

„Was meinst du, Tai? Sollen wir reingehen?“, fragte Agumon.

„Auf jeden Fall! Sora braucht unsere Hilfe so schnell wie möglich!“

Seine jüngere Schwester kam auf das Dino-Digimon zu: „Agumon, kannst du die Fackel hier anzünden?“

„Klar, komm her…“

Izzy staunte: „Wo hast du die denn aufgetrieben?“

Die Braunhaarige antwortete: „Die hing da drinnen, in dem Gang dort…“

„Was?!“

Agumon zündete die Fackel an. Die Flamme loderte hell auf und erleuchtete das Lochinnere. Jetzt erkannte auch der Rothaarige, dass am Ende des Loches sich ein schmaler Gang befand.
 

„Gehen wir rein!“, sagte Tai und nahm sein Digivice hervor: „Mit dem Ding hier werden wir sie schon…“

Das Dino-Digimon schaute seinen Partner fragend an. Der Braunhaarige hatte mitten im Satz abgebrochen. Erstarrt blickte dieser auf sein Digivice.

Der Punkt und das Piepen waren verschwunden. „Wieso ist da jetzt auf einmal nichts mehr?!“ Tai klopfte auf seinem kleinen Gerät herum, doch es tat sich nichts. Das Signal war urplötzlich weg, und die Digiritter hatten nun keinen Orientierungspunkt mehr.

„Hey Tai, glaubst du auch dasselbe wie ich?“, warf das Computergenie ein.

Der Braunhaarige erwiderte seinen Blick fragend: „Was meinst du? Glaubst du etwa…“

„Ja, ich glaube das ist eine Falle! Wir sollten auf Nummer sicher gehen und Vorkehrungen treffen! Kari, ich brauche deine Hilfe!“

Die Angesprochene hob die Schultern. „Bei was denn, Izzy? Wie kann ich dir helfen?“

„Ich brauche die Torkoordinaten von dieser Stelle! Für den Fall, dass wir uns in der Pyramide verirren sollten, können wir immerhin durch Öffnen der Tore wieder an die Oberfläche gelangen. Aber dazu brauche ich nun ein offenes Tor", sagte Izzy und zwinkerte ihr zu.

„Super Idee!“ Kari öffnete sogleich ein Tor zur Digiwelt und Izzy speicherte die Koordinaten auf seinem Laptop. „Das war’s! Jetzt sind wir hoffentlich für alles gewappnet! Auf geht’s!“
 

Die Gruppe nahm den Weg in die Pyramide auf. Der Pfad, den sie betraten, war pechschwarz und nicht sehr einladend. Die Fackel spendete zwar etwas Helligkeit, doch das reichte gerade aus, um die unmittelbare Umgebung zu sehen. Hinten und vorne herrschte die Finsternis, was die Sache unangenehm machte. Man konnte nicht wissen, ob sich bösartige Digimon in ihren Rücken geschlichen hatten oder vorne Gegner auf sie warten würden. Tai hatte kein gutes Gefühl, seitdem Izzy ihm gesagt hatte, dass das hier eventuell eine Falle sein könnte. Wenn das stimmen sollte, liefen sie nun direkt hinein. Sie könnten aus dem Nichts angegriffen werden. Der Gang war schmal und bot so gut wie keine Ausweichmöglichkeiten. Zudem musste die Flamme der Fackel unbedingt erhalten bleiben. In der völligen Dunkelheit hätten sie nicht den Hauch einer Chance gegen ihre Gegner.

Alle Beteiligten versuchten, die Nervosität zu unterdrücken und gingen weiter. Eine unheimliche Stille lag in der Luft, die nichts Gutes verhieß. Tai, Izzy und Kari vermieden jeglichen Wortaustausch - oder eher, sie konnten nichts sagen. Die Dunkelheit raubte ihnen die Stimme. Auch die Digimon wagten es nicht, die Stille zu unterbrechen. Sie ließen es sich zwar äußerlich nicht anmerken, aber sie kämpften mit der Angst.
 

Plötzlich stoppte Kari auf dem Weg. Gatomon, das vor ihr lief, bemerkte die plötzliche Abwesenheit ihres Partners und unterbrach die Stille: „Kari, was hast du?“ Auch die anderen schauten auf die Angesprochene, die jedoch nicht reagierte. Stattdessen weiteten sich ihre Augen. Ihr war schon beim Betreten des Ganges unwohl gewesen, doch nun mischte sich ein noch unwohleres Gefühl darunter.

„Kari, was ist??“ Tai zog seine Schwester vor sich und blickte ihr in die Augen. Plötzlich fiel ihm auf, dass sich ihre Pupillen stark vergrößert hatten und von ihrer rötlichen Iris schon fast nichts mehr zu sehen war. Stattdessen wurde das schwarze Runde in ihren Augen noch größer. Dieses Schwarze drohte, ihr ganzes Auge auszufüllen…
 

PATSCH!
 

Alle Beteiligten blickten erschrocken zu Tai. Der Braunhaarige hatte gerade instinktiv seiner Schwester eine Ohrfeige verpasst. Kari wirkte benommen und fasste sich an die Wange. Tai schaute sie an, ihre Augen sahen wieder normal aus. „Alles okay?“

Kari blickte ihren Bruder an: „Ich… glaube schon…“ Auf einmal bemerkte sie wieder dieses Gefühl. Es kam ihr unheimlich bekannt vor, sie hatte es erst kürzlich gespürt…

Es war auf dem Flug über Simbabwe.

„Da ist irgendwas…“, meinte die Braunhaarige angsterfüllt.

„Was? Wo, Kari??“, fragte Gatomon und alle blickten wild umher.

„Die Dunkelheit… sie ist irgendwo da hinten!“ Dieser Satz ließ das Katzendigimon aufhorchen. Kari hatte schon sehr oft über die Dunkelheit geredet - und immer wenn sie das getan hatte… dann hatte sie doch immer das eine gemeint…

„Kari, ich versteh dich ja, dass du Angst vor der Dunkelheit hast, aber wir sind doch bei dir…“, versuchte Tai, seine Schwester zu beruhigen, was ihm auch gelang. Er legte ihr seine Hand um die Schulter. „Komm jetzt, wir müssen weiter!“ Kari nickte vorsichtig und setzte mit allen anderen den Weg fort. Sie musste es ihnen bald sagen! Vielleicht würde sie schon bald nicht mehr in der Lage dazu sein, es ihnen zu sagen…
 

-------------------------------
 

Dunkelheit umgab sie. Ein bedrohliches Grollen ließ den Boden vibrieren und ein entfernter, tiefer, glockenähnlicher Klang verursachte unheimliche Schwingungen. Ein kalter Luftzug blies ihr ins Gesicht und sie wachte langsam auf. Ihr Körper war nahezu taub und mit unzähligen Sandkörnern und Steinchen übersät. Als dann alle ihre Nerven wieder zum Leben erwachten, spürte sie einen brennenden Schmerz. Sie fühlte sich wie durch den Fleischwolf gedreht, jeder Körperteil tat weh und drohte abzusterben.

Sie öffnete ihre Augen vorsichtig und betrachtete die Gegend - immer noch liegend und nicht in der Lage, aufzustehen. Es war stockdunkel, man konnte keinen Fleck erkennen. Mühsam richtete sie sich auf, wo war sie überhaupt? Und wie war sie hierhergekommen?
 

Eine dröhnende Stimme erfüllte die Luft und hallte mehrfach nach.

„Geh jetzt! Ich werde mich um sie kümmern!“

Ein weit entferntes Zischen ertönte. Danach hörte man nichts mehr sonderbares, stattdessen legte sich das unangenehme Grollen wieder über ihre Membrane. Sie blickte in die Richtung, von wo die Geräusche her kamen und erkannte ein schwaches Schimmern von Helligkeit. Sie versuchte darauf zuzusteuern, doch sie krümmte sich zunächst. Woher kamen verdammt nochmal diese unglaublichen Schmerzen?? Am liebsten wollte sie schreien, doch selbst dazu hatte sie keine Kraft. Den Schmerz ertragend quälte sie sich dem matten Licht entgegen. Beim Näherkommen erkannte sie erst, dass sie sich in einem unterirdischen Tunnel befand und es sich bei dem matten Licht um das Tunnelende handelte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam sie auch draußen an. Der Schmerz, so stechend er anfangs war, wurde langsam schwächer. Eine große Nebelwand erschien vor ihren Augen, durch den sie nicht hindurch sehen konnte. Akustisch nahm sie jedoch neben dem dumpfen Grollen nun auch ein Rauschen wahr. Sie ging weiter und spürte, wie sie mit einem Mal auf einen weicheren Boden trat als vorher. Sie schaute nach unten und entdeckte…

Sand unter ihren Füßen…
 

Ein tiefer Gongschlag erklang und sie horchte auf. Wie auf Befehl lichtete sich der Nebel und hervor kamen ein rauschendes Meer und eine Landschaft, die tot und grau erschien. Sie bemerkte, dass auch die restliche Umgebung total farblos und abgestorben aussah. Wo war sie hier… und wieso? Was machte sie hier und wer hat sie überhaupt hierher gebracht??

Eine tiefe brummende Stimme ließ sie zusammenzucken. „Sieh an! Unser Gast ist aufgewacht…“ Es war dieselbe dröhnende Stimme wie vorhin.

Sie bekam es mit der Angst zu tun. „Wer… wer spricht da?“

„Sei gegrüßt! Ich darf dich herzlich willkommen heißen - am Meer der Dunkelheit!“

Meer der Dunkelheit? War das der Name dieses Ortes? Sie hatte ihn doch schon mal irgendwoher gehört…

„Darf ich mich vorstellen… ich bin Dragomon! Meine Untertanen haben dich betäubt und hierher zu mir gebracht! Betrachte es als eine großzügige Geste von mir, dass du noch am Leben bist, Digiritter!“

Also wurde sie schon wieder verschleppt?! Das durfte doch nicht wahr sein, so langsam hatte sie genug davon, ständig entführt zu werden! Sie suchte die Umgebung ab, konnte jedoch niemanden in ihrer Nähe erkennen. Die Stimme schien von überall zu kommen. Vorsichtig fragte sie zurück: „Dann bist du doch… ein Digimon… oder nicht?“

„Doch, das bin ich! Genauer gesagt sehe ich mich aber als einen Gott!“

Auch das noch. Es schien so, als wäre sie wieder auf einen Größenwahnsinnigen gestoßen…

„Ich bin zwar ein Digimon, habe aber nie in der Digiwelt gelebt. Seit ich denken kann, war dieses Meer mein Zuhause gewesen. Es war eine Welt, die zu mir passte und die mir gehorchte. Es machte mich stark und gab mir die Energie, die ich in der Digiwelt nie hätte bekommen können.“

Sie machte instinktiv einen Schritt zurück, die Stimme schien näher zu kommen.

„Leider kamt ihr Digiritter mir in die Quere und habt meine Macht nicht entfalten lassen. Ich musste einige Rückschläge einstecken und mit ansehen, wie ihr meine Pläne immer wieder durchkreuzt habt.“

Sie hob die Augenbrauen und verstand langsam. „Dann steckst du also hinter all den Vorkommnissen von vor 7 und 4 Jahren?“

„Sehr richtig! Die ganze Macht der Dunkelheit ist von mir ausgegangen! Ich habe doch gesagt, ich bin ein Gott! Mit meinen Kreaturen hatte ich den Plan, die Menschenwelt und die Digiwelt zusammen mit dem Meer der Dunkelheit zu verbinden und daraus eine einzige Welt der Dunkelheit zu erschaffen, die ich dann beherrscht hätte!“

Diesen Satz kannte sie, sie hatte ihn von einem ihrer Gegner gehört. „Aber das wollte doch Myotismon auch machen, wieso…“

„Er war einer meiner Soldaten gewesen… einer meiner besten. Sie führten unbewusst meinen Befehl aus, mich selber kannten sie alle gar nicht. Ein Gott zeigt sich nicht einfach so!“

„Dann gehören also Piedmon, Apocalymon und die anderen auch zu deinen Soldaten?“

„Du bist schlauer, als ich dachte! Ja, aber sie haben leider alle versagt! Und deswegen habe ich wieder einige Zeit in meine Planung investiert.“

Die Stimme wurde noch lauter, als sie ohnehin schon war. Plötzlich begann das Meer heftige Wellen zu schlagen. Mit einem Male war in dem Gewässer Unruhe entstanden.

„Nochmal wird mir sowas nicht mehr passieren! Mein jetziger Feldzug ist im vollen Gange! Eine Invasion der Erde durch meine Soldaten steht kurz bevor!“ Ein dunkles und verheerendes Lachen folgte und ihr wurde ganz zittrig.

„Und ihr Digiritter könnt dieses Mal nichts dagegen tun!“
 

-------------------------------
 

Tai und die anderen liefen noch eine ganze Weile in dem Gang weiter. Für sie war es eine unendlich lange Qual, ständig der Furcht ausgesetzt zu sein, dass jederzeit ein Angriff oder ein Hinterhalt bevorstehen konnte. Und auch die neuerliche Sache mit Kari ließ ihnen keine Ruhe. Tai biss sich auf die Zähne zusammen. Es konnte doch nicht mehr lange bis zum Ende dieses Ganges dauern!

Plötzlich blieb Tai, der als Vorderster voraus ging, stehen. Ein weiteres großes Loch tauchte vor ihnen auf. Es führte steil nach unten und sah nicht natürlich, sondern mit Gewalt aufgebrochen aus. Agumon schickte eine Kleine Flamme durch das Loch, welche die Umgebung für einen kurzen Moment erleuchtete. Die Gruppe erkannte, dass das Loch sehr tief war und in einen Raum führte, worauf sie beschlossen, nach unten zu klettern. Es dauerte mehrere Minuten, bis Tai abspringen konnte und wieder auf festem Boden landete. Die anderen kamen nach und nach ebenfalls an. Tai richtete die Fackel in die Höhe und blickte sich um. Aber er erkannte nur wenig, die Flamme war zu klein. Zu allem Überfluss war die Fackel fast abgebrannt.

Doch glücklicherweise hatte er eine Lösung an den Wänden gefunden. Er wandte sich an sein Digimon: „Hey Agumon, da hängen lauter Fackel an den Wänden! Kannst du sie bitte alle entzünden?“ Darum ließ sich das Digimon nicht zweimal bitten und schickte mehrere Kleine Flammen los. Einen Augenblick später brannten ein halbes Dutzend Fackeln im Raum - und jetzt erkannten die Digiritter, wo sie waren.

„Eine Galerie!“, entfuhr es Izzy und blickte sich in dem mittelgroßen Raum um, der zahlreiche Nebenräume links und rechts hatte.

Biyomon meldete sich zu Wort: „Ich glaube, die Energie kam von diesem Ort! Ich kann noch eine gewisse Restenergie spüren.“ Auch die anderen Digimon bestätigten Biyomons Vermutung. „Dann muss Sora hier irgendwo sein. Suchen wir…“
 

Plötzlich hörten sie einen gellenden Schrei, der durch das Echo tausendfach im Raum zu hören war: „TAI!! TAI!!!! BITTE HILF MIR!“ Zuerst dachte Tai, dass es die Stimme von Sora gewesen wäre. Aber in Wirklichkeit war es seine jüngere Schwester, die verzweifelt nach ihrem großen Bruder gerufen hatte. Der Angesprochene wedelte herum… und sah, wie sich seine Schwester auf dem Boden gekrümmt hatte und am ganzen Leib zitterte. Sofort rannte er zu ihr.

„KARI! Was ist mit dir? Hast du dir wehgetan, oder…“

„Die Dunkelheit! Sie ruft wieder nach mir!!“, schrie die Braunhaarige und klammerte sich an ihren Bruder. „Bitte hilf mir, ich will nicht… !!!“

Tai hielt seine Schwester fest, die vor Angst wimmerte. Er wusste aber nicht, was er machen sollte. Er hatte aus Erzählungen von T.K. gehört, dass sie schon öfters mit der Dunkelheit konfrontiert wurde und an einen Ort gezogen wurde, welches sich das Meer der Dunkelheit nannte. Aber wie sie jedes Mal dahin gekommen war, wusste keiner - und wie man das verhindern konnte, konnte erst recht niemand sagen.

Plötzlich bemerkte der 18-Jährige, wie ein dichter Nebel in dem Raum aufzog - und zur gleichen Zeit fingen seine Freunde in dem Raum zu rufen: „Tai! Kari! Was ist mit euch?“

Der Braunhaarige blickte verwundert zurück: „Was soll denn mit uns sein?“ Der Nebel wurde immer dicker und hüllte sie ein.

„Verdammt, Izzy! Sie lösen sich auf, was sollen wir tun?“, hörte Tai Agumon noch fluchen, bevor der Nebel so dicht wurde, dass er seine Freunde und die Digimon nicht mehr erkennen konnte.
 

„Agumon! Izzy!! Wo seid ihr?“ Der Braunhaarige blickte umher, konnte aber nichts erkennen. Izzy und die Digimon waren plötzlich mit einem Male verschwunden. Es musste irgendwas mit diesem Nebel zu tun haben, dachte Tai und war sich fast sicher, dass es die Falle sein musste, von der Izzy gesprochen hatte.

Es war plötzlich totenstill gewesen. Allein seine Schwester, die sich immer noch an ihn klammerte und den Kopf gesenkt hielt, unterbrach die Stille: „Es… es tut mir Leid, Tai! Es ruft… es ruft wieder nach mir… und ich hab dich mit… reingezogen…“, flüsterte sie.

Tai verstand nur Bahnhof: „Wie bitte? Wieso reingezogen? Wusstest du etwa von der Falle? Und was ruft denn nach dir?“

Kari hob ihren Kopf und blickte ihrem Bruder entgegen. Der Braunhaarige zuckte zusammen: Wieder waren ihre Pupillen dick geschwollen und ihre Augen beinahe nur noch schwarz. Doch bevor Tai darauf reagieren konnte, wurde ihm unvermittelt schwindelig. Das einzige, was er noch wahrnahm, war die leise Stimme seiner Schwester.

„Nein Tai, das ist keine Falle. Es ist… das Meer der Dunkelheit…“
 

Eine ganze Weile hielt der Braunhaarige die Augen geschlossen, bis plötzlich die Stille wich und er ein tiefes Grollen wahrnehmen konnte. Er öffnete die Augen und bemerkte, wie der Nebel verschwunden war und sich ein riesiger dunkler Ozean vor ihm erstreckte.

„Wir sind da!“, hörte er plötzlich von hinten und sah, wie Kari unerwartet aufrecht hinter ihm stand. Sie ging zu ihrem Bruder und ließ sich von ihm in die Arme nehmen. „Das Meer hat mich wieder gerufen…“

Der 18-Jährige stieß einen leisen Atem aus. Das also war das Meer der Dunkelheit, das Kari so oft angezogen hatte. An sich war an diesem Meer doch nichts Besonderes, dachte er. Der Farbton der gesamten Umgebung war halt etwas grau, aber sonst doch alles völlig normal. Wieso hatte Kari ständig Angst davor? Vor einer Stunde war er noch der Meinung gewesen, dass sie richtig selbstbewusst und furchtlos geworden ist… aber dieses Meer schien ihr so sehr zuzusetzen, dass es sie vorhin in ein Häufchen Elend verwandelt hatte.

„Tai… sieh mal!“, meinte Kari vorsichtig und hob den Finger in Richtung des Sandstrandes. „Da ist jemand!“ Ihr großer Bruder schaute zuerst sie fragend an und dann in die Richtung, in die ihr Finger zeigte. Da war tatsächlich die Silhouette einer Person zu erkennen…

Ihm verschlug es beinahe die Sprache. „Ich glaub’s nicht! Das ist Sora!!“

Der letzte Meister der Dunkelheit

„Was willst du dann von mir? Mich etwa umbringen? Solche Drohungen habe ich die letzten Tage schon oft genug bekommen!“

„Keineswegs, ich hab was viel besseres mit dir vor! Mein Fußvolk hier braucht dringend eine Braut, mit der sie ihre Nachkommen sichern können!“

Ihr wurde mit einem Male übel. Ein Horrorszenario machte sich in ihrem Kopf breit. Die Stimme lachte böse auf: „Kannst du dir vorstellen, wer diese Braut sein wird?! Hä-hä!“
 

„SORA!“

Eine Stimme riss die Brünette aus den Gedanken, wofür sie schon dankbar genug war. Diese Stimme, die gerade gerufen hatte, war ihr so seltsam vertraut gewesen… vertrauter als alles andere. Sie drehte sich um - und sah…

„Oh mein Gott… TAI!!!“

Ihre Augen funkelten und auf ihrem Gesicht war pure Erleichterung zu lesen. Der Braunhaarige sprang mit seiner Schwester von einer entfernten Klippe auf den darunter liegenden Sand runter und lief mit Höchsttempo auf die Orangehaarige zu, Kari konnte ihm kaum folgen. Sora rannte ihm ebenfalls entgegen. Sie erkannte nun seine Gesichtsmimik, die ebenfalls eine Riesenfreude ausstrahlte… es war wirklich Tai! Beide liefen sich in die Arme und drückten sich innig aneinander. Sora wollte ihn gar nicht mehr loslassen, ihr kullerten Freudentränen aus den Augen.

„Ich hab dich so vermisst, Tai!“

„Und ich hab schon gedacht, ich sehe dich nie mehr…“, erwiderte der Braunhaarige.

Kari lief zu den beiden und sah sich das alles an. Sie wollte sich freuen für seinen Bruder… und eigentlich freute sie sich auch. Aber irgendwie konnte sie das wiederum nicht zum Vorschein bringen. Was war mit ihr los? Sie fühlte sich so seltsam geschwächt…

„Wie kommst du überhaupt hierher, Sora?“

Die Angesprochene löste langsam die Umarmung und schaute in sein Gesicht, wobei sie die Tränen immer noch nicht unterdrücken konnte. Sie schüttelte leicht den Kopf: „Ich weiß es nicht… das einzige, an was ich mich erinnern kann war, dass wir in der Pyramide ein Artefakt aktiviert haben und danach angegriffen wurden…“

„Ein Artefakt?“, fragte Tai. Er wusste nicht, was sie damit meinte.
 

„Na, wen haben wir dann da? Ich sehe, du hast Besuch bekommen!“ Die dröhnende Stimme Dragomons meldete sich wieder. Tai schaute verwirrt umher, diese Stimme hatte etwas Bedrohliches an sich. „Wer ist da?“

„Na na! Etwas Höflichkeit wäre angemessen, schließlich bin ich euer Gastgeber in dieser Welt!“

„Gastgeber?“ Tai verstand kein Wort und war komplett verunsichert. Er entdeckte niemanden in der Umgebung und hatte insgeheim das Gefühl, dass sich jemand ihnen näherte. Er schaute Sora an: „Hast du eine Ahnung, wer das ist?“

„Tai… es ist ein Digimon, es nennt sich Dragomon oder so. Und es ist für alles verantwortlich, was in den letzten sieben Jahren in der Digiwelt geschehen ist.“

„Du hast also schon mit ihm geredet?“

Sora nickte. „Aber ich habe ihn bis jetzt noch nicht gesehen. Er hat mit mir auch nur verdeckt gesprochen. Hast du ihn denn vorhin gar nicht gehört?“

Tai verstummte und fing an zu überlegen. Als er und Kari Sora entdeckt hatten, sah sie so aus, als würde sie mit jemandem ein Gespräch führen. Aber er hatte akustisch zumindest überhaupt niemand anderen wahrgenommen.

„Nein, überhaupt nicht! Aber jetzt höre ich ihn plötzlich… wie ist das möglich?“

„Ist jetzt auch egal“, erwiderte Sora mit flüsterndem Ton, „Wir müssen schleunigst von hier weg! Wie seid ihr überhaupt hergekommen? Und wo sind die anderen?“

Tai und Kari seufzten. „Keine Ahnung, wir wissen es auch nicht…“
 

„Hier wird nicht getuschelt!“, erschallte es aus allen Richtungen, worauf alle drei zusammenzuckten. „Es hat sowieso keinen Sinn, etwas vor mir verbergen zu wollen! Ich bekomme nämlich alles mit! Ihr müsst wissen, ich kann eure Gedanken lesen!“

Tai, Sora und Kari warfen sich leicht entsetzte, aber auch zweifelnde Blicke zu.

„Ihr solltet mich nicht unterschätzen! Ich weiß viel mehr, als ihr denken könnt… aber vor allem viel mehr, als euch lieb ist! Taichi Yagami… wenn du wüsstest, was zum Beispiel deine ach so liebe Freundin dir vorgegaukelt hat…“

„WAS?!“ Tai sprang auf und warf böse Blicke in die Luft.

„Du hörst richtig! Deine liebe Sora Takenouchi ist nicht nach Afrika geflogen, um anderen zu helfen… nein, nein! Ich weiß es: Sie wollte einfach nur weg von dir!“

„Das ist doch totaler Quatsch!!“, rief der Braunhaarige in die Luft.

Sora und Kari schauten den 18-Jährigen verwundert an: „Tai, mit wem redest du denn da?“

„Das ist keine Lüge, das ist die Wahrheit! Du willst einfach nur nicht zugeben, dass ich über alles in der Welt Bescheid weiß! Ich bin derjenige, der die Realität - so dunkel sie auch ist - allen eröffnen kann! Du musst dich ihr stellen! Es bringt nichts, ein ewiger Traumtänzer zu sein!“

„Du redest doch wirres Zeug!“

Tai wies diese schweren Vorwürfe gegen seine nunmehr Ex-Freundin ab. Wie konnte dieser Schuft behaupten, dass Sora, die er von klein auf kannte und mit der er so viele schöne Sachen erlebt hatte, ihm Böses wollte!? Das war völlig aus der Luft gegriffen und überhaupt nicht wahr!

„Das werden wir ja noch sehen! Du versteckst dich nur vor deinen wahren Gefühlen!“

Er fühlte sich im nächsten Moment jedoch etwas seltsam. Innerlich schienen diese Worte eine schwere Wunde in ihm aufklaffen zu lassen. Sora hatte ihn doch nicht einfach verlassen, sondern sie hatte einen sehr guten Grund dazu gehabt… oder? Stimmte das wirklich? Der Braunhaarige wunderte sich leicht, warum er das überhaupt hinterfragte.

„Deine sture Haltung bringt nichts! Du musst realisieren, dass eure Beziehung von Anfang an keine Chance gehabt hatte! Sie hatte nur ein Alibi gebraucht, um es für sie leichter zu machen, herauszukommen…“

Hatte Dragomon wirklich Recht? Hatte Sora ihn nur unter einem Vorwand verlassen? So kannte er sie doch gar nicht - und er wollte es auch weiterhin nicht glauben. Aber das würde zumindest erklären, warum sie sich gegen ihn entschieden hatte und aus Japan weg wollte. Sie trug zwar das Wappen der Liebe, aber das musste noch lange nichts heißen. Sie hätte auch mit jedem anderen Jungen zusammen sein können…

Vielleicht wollte sie nach den 2 Jahren wirklich nicht mehr mit ihm zusammen sein…

„Merkst du es langsam?“
 

Sora beobachtete Tai, er hatte vorher ein paar Mal scheinbar unkontrolliert Sätze in die Luft gerufen. Doch sie sah und hörte niemanden, mit dem sich der Braunhaarige hätte unterhalten können. Stattdessen bemerkte die Brünette, wie sein Gesicht immer blasser und nachdenklicher wurde und Schweißperlen auf seiner Stirn sich bildeten. Zusätzlich hielt er die Hände am Kopf, was er nur bisher nur tat, wenn er unter irgendetwas gelitten hatte.

Ein paar weitere stille Minuten vergingen, und sie machte sich immer mehr Sorgen um ihn, je weiter die Zeit stumm fort schritt…

„Sora…“

Sie erstarrte. Tai hatte gerade ihren Namen genannt - in einem Ton, den man als sehr ernst bezeichnen konnte.

„Wieso bist du damals weggegangen?“

Die Brünette schaute überrascht. Das hatte sie ihm doch damals so ausführlich wie möglich geschildert. Er konnte es doch unmöglich vergessen haben.

„Tai, das habe ich dir doch gesagt… ich wollte etwas Neues kennenlernen, viel Neues erleben und einfach raus aus Japan ins Ausland. Afrika ist ein Kontinent, der mich viel interessiert hat und den ich unbedingt näher kennenlernen wollte. Hast du das schon vergessen?“

Der Braunhaarige regte sich nicht. Er schien zugehört zu haben, aber sein Blick verfinsterte sich zunehmend. Sora fragte sich, warum…

„Hat es was mit mir zu tun gehabt?“, fragte Tai mit nahezu emotionsloser Stimme.

„Was??“ Sora blickte ihn erschrocken an. Mit dieser Frage hatte sie überhaupt nicht gerechnet. „Wieso fragst du? Natürlich nicht! Diesen Plan hatte ich schon viel länger im Kopf gehabt…“

„Und wieso hast du mir nie davon was verraten?“ So langsam füllte sich Tais Stimme, allerdings mit einer Spur Verärgerung.

Die Orangehaarige wusste nicht, was sie sagen sollte. „Weil ich mir nie sicher war mit meinem Plan und…“

„ALSO DOCH!“

Sora wich zurück. Der Braunhaarige schaute sie mit einem verachtenden Blick an. Sie bekam langsam Angst, so finster hatte er sich vor ihr noch nie benommen.

Kari trat vor und versuchte, ihren Bruder zurückzuhalten: „Tai, was ist mit dir los? Hör jetzt auf, so rumzubrüllen!“

„LASS MICH!“ Tai schob seine jüngere Schwester unsanft beiseite und sein Blick fiel wieder zurück auf die Orangehaarige. „Wir waren zwei Jahre zusammen, hatten so viel Schönes erlebt! Wir hatten uns auch immer gut verstanden, kaum Streitereien gehabt und die wenigen Probleme, die wir hatten, immer lösen können - alles war prima! Und dann hast du einfach so alles weggeworfen - unsere gemeinsamen Pläne… unsere Beziehung, MICH!“

Sora traute sich nicht zu rühren. Sie glaubte nicht, was sie da gerade zu hören bekam. „Nein Tai, das stimmt doch alles nicht!“

„DOCH! Natürlich, wieso hättest du dich sonst von mir trennen wollen? Ich habe dir alles gegeben… war immer für dich da und habe alles für dich getan! Aber anscheinend war ich dir nicht gut genug und du bist gegangen! Du hast mich geopfert! Du hast mich nicht wirklich geliebt!“

„Nein!“ Der 18-Jährigen standen Tränen in den Augen. „Bitte Tai, was ist mit dir los? Ich habe dich doch geliebt, ich verstehe nicht warum du alles jetzt infrage stellst…“

„Dafür verstehe ich nun, dass ich mich in dir getäuscht habe! Du hast mich nichts weiter als ausgenutzt! Du bist das Allerletzte, du bist ein Miststück!!“

Sora sank in sich zusammen. Tai hatte sie gerade auf das Übelste beschimpft. Sie wollte nicht glauben, was sie gerade aus seinem Mund gehört hatte. Es musste ein Alptraum sein…

In diesem Moment merkte sie, wie etwas in ihr zu Stein gefror…
 

-------------------------------
 

Die Spitze der Cheops-Pyramide leuchtete immer noch so hell wie ein Stern. Es erleuchtete die ganze Gegend, die nachts normalerweise sonst in völliger Dunkelheit getaucht war. Selbst die Sphinx konnte man gut erkennen, für ein Touristenfoto hätte man keine Sondereinstellungen an der Kamera vornehmen müssen, um ein schönes erkennbares Bild zu schießen.

Plötzlich bebte der Boden leicht und im nächsten Augenblick schien es so, als würde der Boden an einer Stelle explodieren. Eine riesige Staubwolke entwickelte sich, im nächsten Moment schoss ein riesiges insektenartiges Wesen heraus und landete in nächster Nähe zur Pyramide. Sand und Felsenstücke wurden durch die Luft gewirbelt.
 

„Sehr gut, Kabuterimon! Endlich sind wir wieder an der Oberfläche!“

„Und was machen wir jetzt, Izzy?“ Agumon, Biyomon, Gatomon und der Rothaarige hüpften von Kabuterimon herab, das wieder zu Tentomon zurück digitierte.

„Wir müssen die anderen rufen! Vor allem Ken!“

„Wieso denn gerade ihn?“, fragte das pinkfarbene Vogeldigimon.

„Weil er der einzige von uns ist, der ein Tor zur Meer der Dunkelheit öffnen kann! Wenn es stimmt, was Gatomon glaubt, dann müssten sich Tai und Kari dort befinden! Und auch Sora könnte wahrscheinlich dort sein…“

Izzy öffnete sein D-Terminal, startete den Nachrichtendienst und wollte eine Nachricht an Matt, Davis und die anderen schreiben. Jedoch erschien eine Fehlermeldung auf dem Display.

„Synchronisation mit Netzwerk fehlgeschlagen!“, stöhnte Izzy. Ihm war entfallen, dass die D-Terminals auf so große Entfernungen nicht funktionierten.
 

Dann hilft nur noch eins, dachte er und griff zu seinem Mobiltelefon. Er wählte zuerst Matts Handynummer und hoffte inständig, dass er ohne Zögern ranging - ein Auslandsgespräch war schließlich für beide sehr kostspielig. Glücklicherweise nahm der Blonde sofort ab und Izzy konnte ihn instruieren. Sie mussten auf der Stelle in die Digiwelt reisen und von dort aus ein Tor zur realen Welt mit den Kairo-Koordinaten öffnen, die der Rothaarige vor Eindringen in die Pyramide abgespeichert hatte. Bevor die Digiritter von Tokio aus aufgebrochen waren, hatte Izzy nämlich allen D-Terminals eine finale Version seines Teleportierprogramms installiert; somit waren alle Digiritter mit diesem Programm ausgestattet und brauchten nur noch die Koordinatenwerte eingeben, um von einem Ort zum anderen zu springen. Das Computergenie hatte zwar verschwiegen, dass das Programm in seiner portablen Version noch nie getestet wurde. Aber er war sich sicher, dass es reibungslos funktionierte.

Alsbald erhielt Matt vom Rothaarigen die Koordinaten und T.K. öffnete von seinem Wohnort aus ein Tor zur Digiwelt. Schließlich telefonierte Izzy mit Ken und auch er wusste sofort Bescheid.
 

Nachdem Izzy die Telefonate beendet hatte, startete er seinen Laptop und tat das, worin er am Schlechtesten war: Er wartete. Für den Rothaarigen, der enorm aktiv war und innerhalb von kürzester Zeit ganze Programme schreiben konnte, fühlte sich jede einzelne Minute schon wie eine Ewigkeit an. Zuerst geschah eine Weile lang nichts, und Izzy befürchtete, dass in seinem Programm doch ein Fehler steckte oder irgendetwas schief gelaufen war. Doch alsbald leuchtete der Bildschirm hell auf. Der 17-Jährige legte seinen Laptop auf den Boden und trat instinktiv einen Schritt zurück. Ein greller Lichtblitz schoss aus dem Bildschirm hervor. Im nächsten Moment standen Matt, T.K., Joe und Cody und ihre Digimon vor ihm.

Izzy fiel ein Stein vom Herzen. Seine Modifikationen an dem Programm hatten funktioniert! „Willkommen in Kairo!“

„Danke“, erwiderte Matt, „Sieht ja so aus, als wären wir die Erst… UMPF!“

Bevor der Blonde seinen Satz beenden konnte, spürte er einen heftigen Druck gegen seinen Rücken. Davis flog wie aus heiterem Himmel auf ihn drauf. Das Computergenie musste etwas geschockt anschauen, wie Davis, Ken, Yolei und Mimi mitsamt ihren Digimon nur ein paar Sekunden später ankamen und alle Ankömmlinge nun teilweise verknotet auf dem Boden lagen.

„Na los, geh endlich runter von mir, Davis!“, zischte Matt, als er sich nach einigen Sekunden Benommenheit wieder gefangen hatte.

Auch die anderen standen nach dieser unsanften Landung wieder auf und schüttelten sich den Sand von der Kleidung.

Izzy hielt sich nicht lange mit Begrüßungen auf: „Wir haben keine Zeit zu verlieren! Ken, wärst du so nett?“
 

-------------------------------
 

Seine Augen waren total schwarz. Eine dunkle Substanz schien immer mehr von ihm Besitz zu ergreifen und sie erteilte ihm unterschwellig Anweisungen, gegen die er sich nicht wehren konnte. Er hatte gerade gemerkt, wie er seiner früheren Freundin Untreue und Egoismus vorgeworfen, sie beschimpft und als Miststück beleidigt hatte - er hatte es wirklich getan. Warum wusste er nicht genau, aber von ihm selbst aus ging das bestimmt nicht. Eigentlich konnte er selber nicht glauben, was er da gerade von sich gegeben hatte. Er wollte das doch gar nicht…
 

Kari stand daneben und musste ansehen, wie Tai seine ehemalige Freundin minutenlang angeschrien hat. Sie wollte was dagegen tun… sie wollte ihren Bruder in die Schranken weisen und auch Sora trösten. Aber irgendwie konnte sie nicht, sie kam sich wie versteinert vor. Jedes Mal, wenn sie an diesen Ort kam, fühlte sie sich schwach und hilflos. Sora war mittlerweile auf die Knie gefallen und hielt den Kopf gesenkt. Sie weinte bitterlich, Tränen flossen und kullerten auf den dunklen Sandboden.
 

Der Braunhaarige sah, wie an Soras Wangen einzelne Tränen herabliefen. Ihm wurde bei diesem Anblick mulmig… und anders. Was war mit ihm los? Wieso berührten ihn diese Tränen so sehr?

„Sehr gut hast du das gemacht! Du hast es ihr schön gegeben, das hat sie sich aber auch verdient!“ Eine dunkle Stimme meldete sich in seinem Inneren. Tai stimmte verbittert zu. Aber wer zum Teufel redete gerade auf ihn ein? Diese Dunkelheit, die von irgendwoher kam - hatte sie ihm befohlen, diese schrecklichen Worte zu sagen?

Er war doch nicht so… er war doch eigentlich kein Ungeheuer! Oder war er das doch? Nachdem er sich dabei ertappte, Sora zutiefst verletzt zu haben, fühlte er sich innerlich sehr mies und gleichzeitig war es ihm irgendwie egal. Damals hatte er sich schließlich auch sehr verletzt gefühlt, sie hatte ihn einfach verlassen…

Nein, das hatte sie nicht! Sie wollte nur ins Ausland, um wertvolle Erfahrungen für das Leben zu sammeln. Nach zwei Jahren wäre sie wieder zurückgekommen und dann hätten beide wieder zusammenfinden können…

Wäre sie wirklich wieder zurückgekommen?? Das konnte er doch nicht glauben. Sie wäre auch nach zwei Jahren sicherlich dort geblieben - und würde nicht nach Japan zurück wollen. Sie würde ihn sitzen lassen…
 

Hätte Sora ihn jemals sitzen gelassen?
 

Ein lautes Zischen erfüllte die Luft. Sora und Kari schauten auf, Tai blieb jedoch wie versteinert sitzen. Die beiden Mädchen sahen, wie an der Klippe zum Sandstrand die Luft an einer Stelle zerschnitten wurde und sich ein Raum auftat, woraus ein greller Lichtblitz schoss. Sora versuchte, die Tränen zu unterdrücken, rieb sich die Augen und starrte gegen das Licht. Sie konnte mit Mühe erkennen, dass dutzende Silhouetten aus dem Raum hervorkamen und unsanft auf dem Boden gelandet waren. Die Gestalten kamen ihr sehr bekannt vor. Eines stach ihr besonders in die Augen.

„Verdammt, können die Landungen nicht sanfter sein? Das ist schon die zweite Bruchlandung innerhalb 5 Minuten!“, maulte Davis und kämpfte sich aus dem Haufen heraus, der aus Menschen und Digimon bestand.

„Jammer nicht rum, Davis! Schließlich geht’s uns allen so“, gab T.K. entspannt zurück und stand langsam auf. Er blickte um sich: Dieser Grauton, der sich über die gesamte Landschaft zog, widerte ihn an. Er war bisher ein einziges Mal am Meer der Dunkelheit gewesen, und er wünschte sich, dass es dabei geblieben wäre. Damals war er wegen ihr da gewesen - um ihr zu helfen und sie zu beschützen, was ihm auch gelang.

Heute würde er dasselbe tun! Er würde sie wiederfinden und zurückbringen!
 

„Biyomon!“

Eine bekannte Stimme riss die Ankömmlinge aus der Benommenheit und sie blickten in Meeresrichtung, von wo jemand auf sie zugerannt kam. Das angesprochene Digimon erkannte die Stimme sofort und flog erwartungsvoll auf die Gestalt zu. „Sora, bist du das?! Sooora!!“

Schließlich bemerkten die restlichen Digiritter, dass es tatsächlich Sora war. Biyomon flog direkt in die Arme ihrer Partnerin, welche sich sofort um das Vogeldigimon schlossen. Sora fing wieder an zu weinen, diesmal vor Freude. „Ich bin so froh! Ich hab schon geglaubt, ich würde dich nie mehr wiedersehen…“

Die anderen liefen ebenfalls freudig zu der 18-Jährigen. Zahlreiche Fragen drängten sich in ihre Köpfe. „Sora, was machst du denn hier? Wie bist du hierhergekommen?“, fing T.K. an zu fragen.

Die Orangehaarige, die immer noch Biyomon in den Armen hielt, schüttelte den Kopf. „Ich weiß es selbst nicht… ich wurde in der Pyramide von Digimon angegriffen und war danach hier wieder aufgewacht“, antwortete sie leise.

Izzy kam hervor: „Du warst also doch in der Pyramide gewesen? Was hast du denn da gemacht?“

T.K. ging dazwischen: „Dafür haben wir keine Zeit! Weißt du vielleicht, wo Tai und Kari sind?“

Soras Miene änderte sich, als sie den Namen des Braunhaarigen hörte. Stumm wendete sie ihren Blick in Richtung des Meeres. Die anderen folgten ihrem Blick und erkannten zwei weitere Gestalten - eine auf dem Sand sitzend, und eine direkt daneben stehend. Agumon und Gatomon zögerten keine Sekunde und liefen darauf zu, Matt und T.K. folgten ihnen. Mimi musterte vorsichtig Soras Gesicht, in der sie eine tiefe Traurigkeit feststellte. „Was hast du denn, Sora? Freust du dich denn nicht, ihn zu sehen?“
 

„Kari!“

Die Angesprochene hob ihren Kopf. Sie schaute auf und bemerkte, dass T.K. auf sie zulief. „T.K.! Wie schön, dich zu sehen!“, rief sie freudig zurück und umarmte den 15-Jährigen innig. T.K. war heilfroh, dass er sie noch lebend gefunden hatte.

Nachdem Kari die Umarmung gelöst hatte, schaute sie T.K. verzweifelt an. „Bitte hilf mir, ich weiß nicht, was mit Tai los ist!“

„Was ist denn passiert?“, fragte dieser und nahm Tais Gestalt erst jetzt wahr, die zusammengekauert auf dem Sand sitzen blieb und die anderen scheinbar nicht bemerkte.

Derweil trafen auch Matt und Gabumon bei Tai und Kari ein. „Was ist denn mit ihm geschehen?“ Der Blonde warf Kari fragende Blicke zu, die sie leicht verzweifelt achselzuckend beantwortete. Er musterte seinen besten Freund und versuchte ihn zum Aufstehen zu bewegen. Als er keine Reaktion vernahm, nahm er den rechten Arm des Braunhaarigen und zog ihn hoch - oder eher, er versuchte es mit aller Kraft. Aber er konnte den Arm keinen Millimeter bewegen, und sonst rührte sich Tais Körper auch nicht. Er war wie aus Beton.

Gabumon trat an seinen Partner ran: „Matt… ich kann mir nicht helfen! Aber irgendwie kommt mir das sehr bekannt vor!“

„Was meinst du damit?“

Das Digimon zeigte auf Tai: „Merkst du nicht, dass etwas ihn umhüllt?“

Der Blonde sah sich seinen besten Freund genau an - und erkannte, was Gabumon meinte. Tais Körper wurde von einer dünnen schwarzen Schicht umgeben, die nur bei genauem Hinsehen erkennbar wurde.

In der Tat kam ihm das bekannt vor. „Das hab ich doch schon mal gesehen… genau! Vor 7 Jahren war mir sowas Ähnliches auch passiert!“, bestätigte Matt die Vermutung seines Digimons. „Er ist von der Dunkelheit befallen!“

Auch T.K. erkannte das Phänomen: „Ich glaub du hast Recht! Wir müssen ihn davon befreien! Aber wie?“

„Das überlass mal mir!“
 

Sora schaute Mimi gar nicht an, sondern starrte weiter auf den Boden - als würde sie sich für etwas schämen.

„Was ist denn mit dir los, Sora? Wieso bist du so traurig?“, hakte Mimi weiter nach.

„Ach, es ist nichts, Mimi…“, versuchte Sora das Thema abzuhaken.

Mimi ließ nicht locker: „Sora, du bist ganz schlecht im Lügen! Sag schon, was ist passiert?“

„Ich sag doch, es ist nichts!“, antwortete die Brünette nun energischer, worauf ihre Freundin einen Schritt zurück tat.

Yolei kam zu den beiden rüber. „Hey Sora, immer mit der Ruhe! Was ist mit dir los?“

„Was mit mir los ist?“ Sora wurde wütend. „Mit mir ist los, dass ich mich damals in einen furchtbaren Hanswurst verliebt hatte!! Das ist los!“

Mimi und Yolei und Biyomon starrten Sora verstört an. „Das kann doch nicht dein Ernst sein, oder?!?“

„DOCH, IST ES!“ Die Orangehaarige wurde fuchsteufelswild. So hatten die anderen sie noch nie zu Gesicht bekommen. „ER IST EIN SCHUFT! EIN VERDAMMTER VOLLIDIOT IST ER!!“

„Aber Sora…“
 

Plötzlich ertönte ein unschönes Geräusch in der Nähe, worauf Mimi und Yolei sich umdrehten. Sie sahen plötzlich, wie eine Gestalt aufstand und sich auf einen anderen warf.

„Tai, lass das! Was machst du da?“, hörten sie Agumon schreien.

Der Braunhaarige hatte von Matt einen Kinnhaken verpasst bekommen und wachte aus seiner Starre auf. Wie vom Teufel getrieben hatte er sich auf Matt gestürzt und ihn umgeworfen. „Sag mal, spinnst du?!?“

Der Blonde lächelte nur: „Na, endlich aufgewacht?“

Tai erwiderte gehässig: „Du hättest mich auch einfach weiter nachdenken lassen können!“

„Ach, nachdenken? Das war doch nie deine Stärke gewesen!“, witzelte Matt. „Über was denkst du denn eigentlich nach?“

„Das geht dich gar nichts an! Was macht ihr hier überhaupt?“

„Na, was denkst du denn? Wir haben dich sehr vermisst!“

„Als ob mich jemand vermisst hätte! Mich vermisst doch absolut niemand!“, winkte Tai ab und wollte sich wieder hinsetzen.

Also gut, dachte sich Matt. Zumindest hatte er ihn jetzt zum Sprechen gebracht. Er musste ihn aber unbedingt davon abhalten, sich wieder hinzusetzen.

Matt packte Tai am Kragen und redete auf ihn ein: „Tai, das ist nicht richtig! Glaubst du wirklich, ich lasse meinen besten Freund einfach so in der Dunkelheit versauen??“

Der Braunhaarige blickte ihn verwundert an. In der Dunkelheit versauen? Was meinte er damit? Etwa diese dunkle Substanz, die von ihm Besitz ergriffen hatte?

„Hör nicht auf ihn, das sind doch leere Worte! Er ist auch nur einer von denen, die dich in die Irre führen wollen!“

Da! Da war wieder diese Stimme, die ihn seit einer ganzen Weile kommandierte. War das die Dunkelheit?

Als Nächstes hörte er jedoch wieder die fordernde Stimme seines besten Freundes: „Tai, du bist von der Dunkelheit befallen worden! Du hast haufenweise negative Gedanken in dir angesammelt und drohst in ihnen zu versinken! Du musst dagegen ankämpfen, alter Junge!“

Was sagte er da? Dagegen ankämpfen?

„Nein! Er versucht dich nur, auf den falschen Weg zu bringen! Er will dir damit nur die Sicht auf die Wahrheit versperren!“, hörte Tai wieder diese Stimme.

„Vertreibe die Dunkelheit von dir! Wirf die negativen Gedanken weg!!“

Tai hörte diesen Ruf von Matt mehrmals in sich nachhallen. Hatte er wirklich so viele negativen Gedanken in sich? Das kann schon sein, schließlich haben diese ihn dazu gebracht, schlecht über Sora nachzudenken und sie zu beschimpfen. Eigentlich hatte er Sora immer vertraut und sich auch auf sie verlassen können…

Warum jetzt auf einmal nicht? Er hatte im Prinzip keinen Grund, ihr jetzt plötzlich nicht zu vertrauen. Er ließ sich nur einreden, dass sie ihm Böses wollte.

Das hatte ihm nur die Dunkelheit eingeflüstert…
 

Er versuchte, gedanklich die Dunkelheit zu verdrängen. „Lass mich in Ruhe…“

Doch er schaffte es nicht. „Vergiss es! Das bringt nichts, sich gegen die Wahrheit zu wehren! Du würdest dich nur verstecken…“

„Halt endlich den Mund… !“

„Aha, soso. Willst du ewig dich vor der Wahrheit verstecken und den Versager spielen?“

„DAS IST NICHT DIE WAHRHEIT!“
 

Die letzten Worte platzten förmlich aus Tai heraus, sodass Matt, T.K. und Kari aufschreckten. Matt schaute den Braunhaarigen verdutzt an: „Was machst du da? Mit wem hast du denn da gesprochen?“

Tai schaute den Blonden verwirrt an und bemerkte gleichzeitig, wie sein Sichtfeld sich aufhellte. Wo vorher hinter Matt nur ein dunkler Hintergrund zu sehen war, erblickte er nun T.K., Kari, Agumon, Gabumon und Gatomon.

Matts Digimon zeigte auf Tai: „Sieh mal, Matt! Diese Schwarze Hülle hat ihn verlassen! Seine Augen sind wieder ganz klar!“

„Wovon redet ihr?“ Der Braunhaarige stand auf und blickte die drei Digiritter ratlos an.

„Du hast haufenweise Selbstgespräche geführt, hast du das nicht bemerkt?“, fragte seine Schwester ihn.

„Das waren doch keine Selbstgespräche! Jemand hat die ganze Zeit zu mir gesprochen… habt ihr das etwa nicht gehört?“

Die anderen schüttelten den Kopf und der 18-Jährige wirkte noch ratloser als vorher.
 

„Wie schade, fast hätte ich es geschafft! Aber das macht auch nichts mehr, es ist ohnehin eine Frage der Zeit, bis ich euch alle erledigt habe!“

Wieder erfüllte sich die Luft mit der Stimme, die dröhnend nachhallte. Alle Digiritter zuckten zusammen und schauten auf.

„Da! Das ist diese Stimme, die die ganze Zeit mit mir geredet hat! Hört ihr sie jetzt?“, wandte sich Tai an seine Freunde, die dieses Mal nickten.

„Wer bist du?!“, rief T.K. irgendwohin und blickte um sich. Es war keiner zu sehen. Plötzlich erfüllte sich die Luft mit Rauschen und alle Digiritter und ihre Digimon schauten in Richtung Meer. Das vorher noch ruhige Wasser schäumte sich mit einem Male auf und Wellen schlugen nun auf den Strand auf. Tai, Kari, Matt, T.K. rannten zurück in Richtung Klippe zu Davis und den anderen, damit sie nicht von den Wellen getroffen wurden. Die Wellen wurden größer und schneller, plötzlich schoss in weiterer Entfernung eine Wasserfontäne aus dem Meer.

Als das hochgeschossene Wasser wieder herab fiel, erschien ein riesiges Wesen dahinter. Mimi stieß einen hochfrequentierten Schrei aus, da es für sie ein ekelerregender Anblick war. Das Wesen hatte einen großen Kopf, an dem seine Nase und sein Maul mit riesigen spitzen Zähnen herab hingen. An seiner Schulter waren zahlreiche tentakelartige Greifarme angebracht, die über der Schulter hingen. Seine Arme und Beine bestanden vollständig aus zusammengebunden Tentakeln. Zusätzlich hatte es noch zwei drachenartige Flügel an seinem Rücken. Seine Augen leuchteten funkelnd rot.

„EIN SEEUNGEHEUER!!“, schrie auch Yolei auf und versteckte sich hinter Ken, der überrascht von ihrer Reaktion rot anlief. Dennoch teilte er ebenso Yoleis Gefühl für Ästhetik: Das Wesen - ob Digimon oder was auch immer es war - sah schrecklich und furchterregend aus.

„Was ist das denn für ein Vieh?“, riefen Tai, Davis, Matt und Ken unisono.

Izzy klappte seinen Laptop auf und startete den Digimon-Analyzer.
 

--- Dragomon

--- Level: Ultra

--- Meeres Digimon

--- Typus: Virus

--- Attacken: Höllenregen & Verbotene Hoffnung
 

„Es ist ein Digimon! Es heißt Dragomon und ist auf dem Ultra-Level!“, meinte Izzy zu den anderen. Tai schaute zu dem von Mimi genannten Seeungeheuer rüber, das sich auf die Digiritter zubewegte. In ihm kochte die Wut. Er war sauer über die Tatsache, dass er sich fast von einem Digimon hätte reinlegen lassen. „Agumon, mach dich bereit!“, rief er und zog sein Digivice hervor.

Alle anderen traten hervor und taten es ihm nach.

Alle - nur Sora nicht…
 

« Agumon digitiert zu – Greymon! »

« Gabumon digitiert zu – Garurumon! »

« Tentomon digitiert zu – Kabuterimon! »

« Palmon digitiert zu – Togemon! »

« Gomamon digitiert zu – Ikkakumon! »

« Patamon digitiert zu – Angemon! »

« Veemon digitiert zu – X-Veemon! »

« Hawkmon digitiert zu – Aquilamon! »

« Armadillomon digitiert zu – Ankylomon! »

« Wormmon digitiert zu – Stingmon! »
 

Die digitierten Digimon standen vor ihren Partnern und begannen Dragomon anzugreifen, das weiter mit ungedrosseltem Tempo aus dem Meer kam. Unzählige Raketengeschosse, Feuer-und Energiebälle flogen in Richtung des Ungeheuers und schlugen ein. Eine große Explosion ertönte, und alle dachten, dass sie den Feind besiegt hätten. Doch als die Sicht wieder klar wurde, erschien Dragomon völlig unversehrt an selber Stelle. Die Attacken schienen dem bösen Meeresdigimon nichts auszumachen. Er bewegte sich immer noch ungehindert weiter. „Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass ihr gegen mich eine Chance habt, oder?!“

Davis raufte sich die Haare: „Das kann doch nicht sein! Selbst wenn es auf dem Ultra-Level ist, müssten doch zwölf Champion-Digimon reichen, um es platt zu machen!“

„Sie müssen nochmal digitieren!“, meinte Cody, „Mittlerweile müsste es doch allen möglich sein, auf das Ultra-Level zu digitieren, oder?“

Ken stimmte Cody zu: „Das stimmt, vorhin haben sie es geschafft! Wir müssen es versuchen! Davis, DNA-Digitation!“
 

Tai fiel indes etwas auf. Davis hatte gerade von zwölf Digimon geredet, er entdeckte aber nur elf, die sich im Kampf beteiligten… es fehlte ein Digimon! Birdramon war nirgends zu sehen! Wo war Sora abgeblieben? Der Braunhaarige suchte die Gegend ab und entdeckte sie weiter entfernt auf dem Boden sitzend. Biyomon stand neben ihr und redete scheinbar auf sie ein. Tai zögerte nicht lange und lief zu ihr.

„Sora, was hast du? Steh auf!“

Sie rührte sich aber nicht und hielt ihren Kopf gesenkt.

„Sie sitzt schon eine ganze Weile so da und spricht kein einziges Wort mit mir!“, klagte das Vogeldigimon. Tai rüttelte an ihren Schultern, jedoch kam weiterhin keine Reaktion. Er hatte das jedoch auch nicht erwartet. Ihm war dieser dünne dunkle Schleier aufgefallen, der um ihren Körper kreiste. Die Dunkelheit hatte auch sie befallen, und der Braunhaarige wusste zu gut warum. Vor wenigen Momenten hatte er noch auf ihren Gefühle rumgetrampelt und sie mit unschönen Worten verprügelt.

Er musste sie wieder aufrichten.

„Sora… hey Sora, ich bin’s… Tai! Ich… ich möchte mich…“

Ein zischender Ton unterbrach ihn: „Lass mich in Ruhe!“

„Aber Sora, ich…“

Plötzlich hob die Orangehaarige ihren Kopf und Tai wich zurück. In ihrem Gesicht war pure Wut zu sehen und ihre Augen waren total schwarz. „Halt‘ die Klappe! Ich will nichts mehr von dir hören!“
 

„TAI!“

Ein Ruf von der Ferne erreichte den Braunhaarigen und er drehte sich um. Matt, Izzy, T.K. und Kari kamen auf ihn zugelaufen. „Was ist denn?“

„Unsere Digimon können nicht auf das Ultra-Level digitieren! Irgendwie klappt es nicht!“, meinte Kari zu Tai, der schockiert zurückblickte. Das bedeutete, dass die Digimon diesen Kampf nicht gewinnen konnten. Die Attacken aller Digimon konnten jetzt schon Dragomon nicht mal einen Kratzer zufügen. „Aber warum können sie denn nicht digitieren?“

„Warum das nicht klappt, wissen wir nicht! Vorhin hat es jedenfalls funktioniert!“, antwortete Matt und trat den Sand vor den Füßen weg.

„Ich vermute, dass wir in dieser Welt nicht genug Energie zusammenbekommen für die Ultra-Digitation. Es könnte sein, dass die Dunkelheit die Digimon an der Digitation hindert…“

„Ich hoffe mal, dass du ausnahmsweise Unrecht hast. Denn sonst hätten wir ein gewaltiges Problem!“, sagte Tai zu Izzy und sah sich den Kampf an. Die Digimon feuerten weiterhin eine Attacke nach der anderen auf Dragomon ab, konnten jedoch nichts gegen ihn ausrichten.

„So, das reicht!“ Dragomon baute sich vor den Digimon auf. „Ihr habt nun die Gelegenheit, meine Macht kennenzulernen! VERBOTENE HOFFNUNG!“ Es hob seine tentakelartigen Arme in die Höhe und sammelte Energie zusammen. Man sah, wie sich die Energie in der Luft zusammenfügte und sich danach wieder aufteilte - in unzählige Formen, die dem eines Dreizacks glichen. Die Digiritter und ihre Digimon hatten kein gutes Gefühl und machten sich auf Dragomons Angriff gefasst.

Als bereits mehrere dieser Energieformen sich gebildet hatten, wedelte das böse Meeresdigimon seine Arme in Richtung der Digimon… und die Dreizackformen schossen mit rasender Geschwindigkeit in Richtung Greymon und den anderen. „Oh mein Gott!“, riefen Mimi und Yolei jäh, „Weicht aus!!!“

Doch zu spät. Die Digimon waren zu langsam und konnten nicht mehr ausweichen. Jedes der Dreizacke erwischte sie und durchbohrte ihre Körper, um danach mit einem lauten Knall zu explodieren. Alle Digimon wurden durch die Luft geschleudert und fielen wieder herab. Sie lagen quer über den Strand verteilt auf dem Sand… schwerverletzt, quasi leblos und völlig unfähig, noch zu kämpfen. Die Digiritter waren entsetzt.
 

Dragomon grinste zufrieden, seine Augen funkelten noch röter und furchteinflößender. „Das wäre erledigt! Und jetzt zu euch, Digiritter!“ Er schritt aus dem Meer und erreichte den trockenen Sandstrand. „Ihr könnt euer letztes Gebet sprechen, denn ich werde euch gleich vernichten! Ihr könnt mir nicht mehr entkommen!“

Tai fluchte lautstark, die Digimon konnten nicht mehr kämpfen und die Gruppe beschützen. Das konnte doch nicht sein, dachte er. Dragomon hatte sie mühelos mit einer einzigen Attacke erledigt. Jetzt war der Feind dabei, ihn und die anderen gleich in den Tod zu schicken. Der Braunhaarige suchte fieberhaft nach einem Ausweg. Er musste irgendeine Möglichkeit finden, die anderen aus dieser Situation herauszubringen. Bisher hatte das Glück den Digirittern immer beigestanden, sie fanden immer eine Lösung! Und das würde auch dieses Mal so sein!

Hoffte er…
 

Doch so sehr Tai sich auch anstrengte, ihm fiel nichts ein. Würden er und die anderen wieder zurück in die reale Welt flüchten - sofern ihnen das überhaupt gelingen würde - müssten sie ihre Digimon hier lassen. Und das konnte keiner von ihnen tun! Wenn, dann würden sie eher mit ihnen gemeinsam untergehen…

Es gab also keinen Ausweg. Es war aus.

Mit diesem Gedanken kniete Tai sich hin und betrachtete Sora, die den Kopf wieder gesenkt und die Hände auf den Sand gelegt hatte. Sie schien wohl nicht wahrgenommen zu haben, dass der Feind dabei war, sie alle umzubringen. Vielleicht war es auch besser so, wenn die 18-jährige Brünette den nahenden Tod nicht bemerken würde. Es würde kurz und schmerzlos werden…

Aber er musste ihr noch was sagen… unbedingt! Zitternd legte Tai seine Hände auf die von Sora und nahm sie. „Sora, ich muss dir etwas sagen…“ Sora versuchte, ihre Hand wegzuziehen, aber Tai hielt sie fest. „Und ich bitte dich zuzuhören, denn das wird wohl das Letzte sein, was du von mir zu hören bekommst…“

Er merkte, wie seine Exfreundin ein wenig zusammenzuckte, aber sich sonst nicht rührte. „Ich weiß nicht, was vorhin in mir gefahren war. Ich habe Sachen gesagt, die ich hätte niemals sagen dürfen und üble Beleidigungen losgelassen. Ich weiß, es ist schon zu spät für eine Entschuldigung, aber ich möchte es trotzdem versuchen, Sora.“ Er holte tief Luft und fuhr fort: „Seit du aus Japan weg warst, habe ich jeden Tag an dich gedacht. Ich hatte mehrere Stunden in stillen Räumen verbracht, um in unseren schönen Zeiten zu schwelgen. Ich wollte dich eigentlich nie gehen lassen, habe es aber doch getan, weil ich dir nie im Weg stehen wollte… das hatte ich mir geschworen! Aber heute ist mir klar, dass ich dich niemals hätte gehen lassen dürfen! Dann würdest du jetzt auch nicht in diesem Schlamassel stecken!“

Sora hob langsam den Kopf. Sie sah, wie Tai seinen Kopf nach unten zum Boden hin gesenkt hatte und weiter redete. Irgendwie konnte sie erkennen, dass winzige Wassertropfen von seinem Gesicht auf den Sand herabfielen.

„Ich habe dich wahnsinnig vermisst, Sora! Und ich habe mir unendlich viele Sorgen gemacht, als ich nach deinem Abflug nichts mehr von dir gehört hatte! Ich hatte dir versprochen, dass ich immer für dich da sein werde - und hatte gedacht, dieses Versprechen auch immer halten zu können! Aber ich habe es nicht geschafft… ich habe verdammt noch mal versagt…“

Plötzlich spürte Tai, wie die Hände von Sora seine fest drückten. Er hob den Kopf und bemerkte, dass Sora ihn ansah. Zuerst war seine Sicht schwammig und der 18-Jährige wischte sich die Tränen beiseite. Danach blickte er direkt in ihre Augen und erkannte das Karmesinrot wieder. Es war wunderschön und er merkte, wie er sich darin verlor. Es waren genau diese bezaubernde Augen, was Sora so einzigartig machte und worin sich der Braunhaarige vor zwei Jahren ausweglos verliebt hatte.

Die Dunkelheit darin war nun verschwunden.

Er hörte Sora zu ihm flüstern: „Nein, Tai… das hast du nicht…“
 

Dragomon hob seine tentakelartigen Arme. „Das war’s, es ist aus! Euer Ende naht!“, lachte er und sammelte wieder Energie für seine Attacke.

Auf einmal fing Sora an zu leuchten. Zuerst matt, dann plötzlich so dermaßen hell, dass das böse Meeresdigimon den Prozess unterbrechen und die Arme vor das Gesicht halten musste. Tai, der immer noch neben ihr kniete, schreckte auf: „Sora, was ist mit dir?“

„Seht mal, mit Biyomon geschieht was!“, rief plötzlich Mimi, worauf alle Digiritter das Vogeldigimon anblickten. Biyomon fing ebenfalls an zu leuchten. Es verwandelte sich.
 

« Biyomon digitiert zu – Birdramon! »

« Birdramon Ultra-Digitation zu – Garudamon! »
 

Es war mit einem Male auf das Ultra-Level digitiert und leuchtete immer noch wie ein Stern. Das Licht, das von dem riesigen Digimon nun ausging, war blendend grell und erleuchtete den gesamten Strand. Plötzlich verselbstständigte sich das Licht und schoss nach oben durch die dunklen Wolken in den Himmel. Von dort kam es in aufgeteilter Form wieder zurück zum Strand und hüllte die anderen, verletzten Partnerdigimon ein. Auch sie schienen sich zu verwandeln…
 

« Greymon Ultra-Digitation zu – Metalgreymon! »

« Garurumon Ultra-Digitation zu – Weregarurumon! »

« Kabuterimon Ultra-Digitation zu – Megakabuterimon! »

« Togemon Ultra-Digitation zu – Lilymon! »

« Ikkakumon Ultra-Digitation zu – Zudomon! »

« X-Veemon – Stingmon – DNA-Digitation zu – Paildramon! »

« Aquilamon – Gatomon – DNA-Digitation zu – Silphymon! »

« Ankylomon – Angemon – DNA-Digitation zu – Shakkoumon! »
 

Die Digiritter trauten ihren Augen nicht, als sie ihre Partnerdigimon vor ihnen im schimmernden Licht auf dem Ultra-Level erblickten. Alle Wunden, die sie vorher hatten, waren wie durch ein Wunder von selbst verheilt. Sie standen alle wieder und waren kampfbereit. Dragomon hielt sich weiterhin die Arme vor das Gesicht und zog sich ins Meer zurück. Das grelle Licht tat ihm anscheinend nicht gut…

Sora, die immer noch hell leuchtete, war mittlerweile aufgestanden. Die Orangehaarige trat hervor und rief in Richtung Garudamon: „Los, Angriff!“ Die anderen stimmten ihr zu und taten dasselbe: „Ihr habt Sora gehört! Attacke!!“

Die Digimon gehorchten und feuerten ihre Attacken zusammen auf Dragomon ab, das weiter durch das Licht geblendet war. Es schien sich nicht wehren zu können…

„Wow, das nenn‘ ich eine Show!“, jubelte Davis freudig, als er sah, wie die Attacken einzuschlagen schienen.

Unerwartet jedoch setzte sich das dunkle Meer in Bewegung und brodelte sichtbar.

„HÖLLENREGEN!“

Plötzlich schossen unzählige Wasserstrahlen heraus und zielten auf die Attacken von Garudamon und den anderen. Mehrere, zum Teil gewaltige Explosionen ließen den Boden erbeben, eine gewaltige Druckwelle fegte über den Strand und riss die Digiritter von den Beinen. Auch das Meer wurde durch die Explosionen aufgewirbelt und es entstanden riesige Wellen, die sich in alle Richtungen fortbewegten. Eine raste auf den Strand zu, wo sich die Gruppe befand.

„Garudamon!! Hilf uns!“, schrie Sora aus vollem Leib.

„FLÜGELKLINGE!“

Garudamon feuerte seine Attacke direkt auf die Welle ab, die sich sofort auflöste. Das Wasser wurde zurück in Richtung Meer geschleudert, wo sich auch Dragomon befand. Er entfernte sich immer weiter und man konnte nur noch seine rot funkelnden Augen erkennen.

„Das heben wir uns für ein anderes Mal auf! Aber glaubt nicht, ihr hättet die geringste Chance gegen mich! Das war nur eine Kostprobe meiner wahren Macht!“

Man hörte es noch mehrmals lachen. Kurz darauf war es verschwunden.
 

Die Digiritter atmeten tief durch. Ihnen wurde mit diesem Moment bewusst, wie knapp dieser Kampf ausgegangen war - und sie hatten ihn eigentlich auch gar nicht gewonnen. Aber zumindest hatten sie eine verheerende Niederlage abwenden können und waren dem Tod somit nochmal entkommen. Diese furchtbare Erfahrung mussten sie zwar schon in ihren Abenteuern von früher ein paar Mal machen, aber dieses Mal war das Gefühl noch viel schlimmer. Keiner wollte sich ausmalen, wie es wohl wäre, wenn es diese wundersame Wendung mit Sora nicht gegeben hätte…

Plötzlich hörten alle ein lautes Plumpsen. Tai drehte sich um und sah aus nächster Nähe, wie Sora auf dem Boden zusammengeklappt war und aufgehört hatte zu leuchten. „Oh nein, Sora!“, schrie er entsetzt und nahm sie in die Arme. Er spürte sie heftig atmen, sie war noch bei Bewusstsein. Die Orangehaarige öffnete kurz darauf wieder ihre Augen und sah ihn an. Sie lächelte. „Keine Sorge, es war nur etwas anstrengend…“

Tai nickte. Er merkte jetzt, wie froh er war, dass die Dunkelheit Sora verlassen hatte und sie die Gruppe mit ihrem Einsatz - oder wie man das von vorhin auch immer nennen mochte - gerettet hatte. Die Fragen nach dem Warum und Wie waren ihm momentan alle völlig egal. Er war einfach nur glücklich.

„Tai, ich will hier weg…“, hörte er sie im nächsten Moment sagen. Ihre Stimme krächzte, sie war offensichtlich völlig ausgepowert. Ohne zu zögern wandte sich der Braunhaarige an die Gruppe und schlug vor, wieder in die reale Welt zurückzukehren. Alle waren sofort einverstanden, keiner wollte sich noch länger hier in der dunklen Welt aufhalten. Und so marschierten alle Digiritter und ihre Digimon zurück Richtung Weltentor, das sich immer noch offen bei den Klippen befand.

Eine neue Invasion

Ein sternenklarer Himmel bot sich den Digirittern und ihren Digimon, als sie aus der Pyramide wieder an die Oberfläche kamen. Das Licht, das von der Pyramidenspitze ausging, war nun verschwunden… und der Rest der sandigen Gegend war wieder in völlige Dunkelheit getaucht.

„Endlich wieder frische Luft“, freute sich Cody und streckte sich etwas.

Alle Beteiligten nickten zustimmend. Sie fühlten sich seit Eintritt in die reale Welt wieder deutlich wohler. Nur Sora, die immer noch von Tai gehalten wurde, schien sich keinen Deut besser zu fühlen. Biyomon blickte ihren Partner sorgenvoll an. „Kannst du noch, Sora?“

„Ich glaube schon“, flüsterte sie, „Aber ich bin hundemüde!“

Tai reagierte umgehend darauf und wandte sich an die Gruppe: „Hey Leute, wie wäre es, wenn wir uns einen gemütlichen Platz zum Schlafen suchen?“

„Hm…“ Izzy sah sich die Gegend an. „Hier gibt’s nur Sand und Stein, das wird schwierig!“

„Wir könnten doch in der Pyramide übernachten!“, schlug Matt vor und zeigte auf das riesige Loch, das immer noch da war. „Dort können wir uns zumindest vor Neugierigen verstecken!“

„In Ordnung“, stimmte Tai zu. „Aber zur Sicherheit muss jemand Wache halten! Wenn niemand was dagegen hat, bin ich der Erste!“
 

-------------------------------
 

„Das war eine Schnapsidee, Tai!“

„Hör auf rumzujammern, Agumon!“

Das Dino-Digimon gähnte herzhaft und konnte kaum noch stehen. Es hätte lieber vorher noch eine Runde geschlafen, bevor es mit der Wache dran war.

„Sag mal, Agumon - “

Ein wenig erschrocken hielt das Digimon den Atem an. „Was ist?“

„Weißt du vielleicht, was mit mir vorhin passiert war? Ich meine, hab ich mich wirklich arg daneben benommen?“

Agumon grübelte und grübelte, konnte aber nicht antworten.

„Ist schon gut“, meinte Tai, als der kleine Dino mehrere Sekunden lang noch stumm blieb.

„Tut mir Leid, Tai“, versuchte das Digimon sich zu entschuldigen.

„Das braucht dir nicht Leid zu tun. Ich bin froh, dass es nochmal gut gegangen ist…“

Das Digimon stimmte dem zu, es konnte mittlerweile seine Augen kaum noch offen halten. Es versuchte sich wach zu halten… stattdessen gähnte es aber nochmals laut.

„Agumon, geh ruhig und leg dich schlafen.“ Tai hatte anscheinend bemerkt, dass sein Digimonpartner bald im Stehen zu schlafen schien. „Ich schaff das schon alleine!“

Agumon wollte eigentlich widersprechen, aber der unbedingte Drang nach Schlaf hinderte ihn daran. Zu schwer lag die Müdigkeit auf seinen Schultern und wenn es jetzt nicht schlafen ging, würden es seine Muskeln irgendwann von selbst tun. Also ging es in die Pyramide rein und fand ein gemütliches Plätzchen neben dem schlafenden Joe („RONFI-CHRAAAAH!“). Kaum lag es auf den Boden, fiel es in das Land der Träume…

… und bemerkte nicht, wie jemand leise an ihm vorbeiging…
 

-------------------------------
 

„Wie es auch weitergehen wird, eines verspreche ich dir: Ich werde immer zu dir halten! Und ich werde immer an dich denken! Ich werde immer für dich da sein und wenn es sein muss zu, dir kommen und dich beschützen! Du hast mein Wort darauf!“
 

Dieses Versprechen hallte seit dem Abend, in der sich Sora und Tai getrennt hatten, ständig in dem Kopf des Braunhaarigen nach… jeden Tag! Aber mit jedem weiteren vergangenen Tag - und auch seitdem er wusste, dass die 18-Jährige sich in Gefahr befand - hatte er das Gefühl gehabt, dieses Versprechen nicht halten zu können. War es etwa dieses Gefühl, was ihn so zermürbte? Tai versuchte, seine Gedanken zu ordnen…
 

Plötzlich hörte er Schritte hinter sich. „Agumon, du brauchst nicht wieder herzukommen! Du solltest lieber schlafen, damit…“

„Ich bin aber nicht mehr müde!“

Bei der Antwort zuckte der 18-Jährige zusammen, das war nicht die Stimme seines Digimons. Sondern es war die Stimme des Mädchens, über die er bisher jeden Tag nachdenken musste. „Sora, was machst du hier? Es ist noch zu früh, und außerdem sollte Davis mich doch ablösen!“

„Ich konnte nicht mehr schlafen“, flüsterte die Orangehaarige und gesellte sich zu ihm. Sie setzte sich neben dem Jungen hin und schaute nach oben. Tai blieb stumm; er wusste nicht mehr, was er weiter sagen sollte. Er war sich unsicher, wie Sora reagieren würde… immerhin hatte er sie vor wenigen Stunden zutiefst verletzt. Sie konnte ihm doch unmöglich einfach so verziehen haben… ?

Als sie noch zusammen waren, gab es neben den kleineren Zankereien auch Streitfälle, wo Tai von Sora tagelang nichts zu hören bekam und keines Blickes gewürdigt wurde, bis dieser sich entschuldigt hatte. Das erfolgte oft nicht so schnell, da sich beide gerne stur wie Böcke verhielten. Man kam so nicht weiter, bis eben einer von beiden nachgab… und das war eigentlich immer er gewesen. Doch selbst dann war es noch nicht zu Ende; manchmal war Sora so dermaßen beleidigt, dass sie erst schwach wurde, wenn Tai in die Schatzkiste griff. Das konnten etwa ein Strauß voller roter Rosen sein; oder ein Überraschungsdinner zu zweit; oder eine gemeinsame Shoppingtour, wobei er sich damit seine Bestrafung quasi selber organisiert hatte; oder oder oder …

Und dieses Mal verzieh sie ihm einfach so?

Er blieb weiter sprachlos sitzen und versuchte ihrem Blick zu folgen. Sie schaute sich den klaren Sternenhimmel an. Der Anblick war wirklich sehr schön…
 

„Weißt du noch, wann wir das letzte Mal gemeinsam den Sternenhimmel begutachtet haben?“, fing Sora an, die Stille zu durchbrechen.

Tai sah sie fragend an, sie schaute immer noch nach oben und genoss es sichtlich. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie es das letzte Mal getan hatten… es war offensichtlich schon so ewig her, dass er das vergessen hatte. War es vielleicht damals, als die beiden zum Fujiyama gereist waren und dort eine Nacht im Freien verbracht hatten? Oder etwa bei dem Zeltausflug in der Nähe des Sommercamps, von wo sie das erste Mal in die Digiwelt gelangt waren?

Der Junge blieb die Antwort schuldig und sah Sora verzweifelt an. Sollte er ihr sagen, dass er es vergessen hatte? Was würde sie von ihm denken? Würde sie ihm eine klatschen?
 

Sora schien seinen verzweifelten Blick nicht zu bemerken und schaute immer noch mit halb geöffneten Augen in den Himmel. Sie genoss das Gefühl, endlich wieder in der Geborgenheit ihrer Freunde zu sein. In den letzten Tagen hatte sie einen einsamen Todeskampf durchstehen müssen, und ihre Physis war durch die vielen Entführungen und Ängste sehr geschwächt. Sie war heilfroh, dass es nun hoffentlich zu Ende war; länger hätte sie es vermutlich auch nicht mehr ausgehalten.

Die Brünette schloss ihre Augen und murmelte noch: „Egal wann es war, es war zu lange her!“

Tai reagierte verwundert, als sie ihren Kopf auf seine Schulter fallen ließ; sie war wieder eingeschlafen. Er musste lächeln, als sie ihren Satz beendet hatte; sie wusste anscheinend genauso wenig, wann sie das letzte Mal die Sterne beobachtet hatten.

Wieso hatte sie ihn so etwas überhaupt gefragt?

Vielleicht wollte sie ihm damit sagen, dass sie froh war, ihn wieder bei sich zu haben…
 

-------------------------------
 

„Taaaaiii! Los, wach auf!“

Wie jeden Morgen bellte seine Schwester ihm die gleichen Worte ins Ohr, und wie immer regte sich der Braunhaarige zuerst gar nicht. Doch anstatt weiter penetrant zu schreien griff Kari diesmal zur Extremvariante und leerte eine halbe Wasserflasche über den Kopf ihres Bruders, der völlig erschrocken aus der Benommenheit gerissen wurde und um Fassung rang. „Was soll der Blödsinn?!! Ich bin hundemüde, schließlich hast du nicht draußen Wache während der Nacht schieben müssen!“ Er warf seiner Schwester einen bitterbösen Blick zu, den sie aber gekonnt ignorierte.

„Wir haben Besuch! Du bist der Einzige, der noch fehlt! Also steh endlich auf und beeil dich!“, meinte sie nur und lief wieder aus der Pyramide.

„Besuch??“, murmelte der Braunhaarige halb fragend und halb fluchend, zog sich an und ging ebenfalls nach draußen… wo ihn eine Überraschung erwartete. „Genai??“

Vor ihnen stand eine mittelgroß gewachsene Person in einem grauweißen Umhang mit einer Kapuze, die er jetzt gerade abgenommen hatte.

„Nein Tai, das ist nicht Genai“, korrigierte ihn Sora. „Das ist Kai. Er war derjenige, der mich in diesem Bungalowdorf gefunden und zur Pyramide begleitet hatte.“

Der Angesprochene nickte und lächelte: „Freut mich, dass ihr es geschafft habt, Sora zu befreien! Ich hatte befürchtet, wir würden uns nicht mehr sehen!“

Die Brünette wurde leicht rot: „Ähm, ja…“ Tai, der neben ihr stand, sah sich das ganze Schauspiel leicht irritiert an, reagierte aber sonst nicht.

Izzy wandte sich an Kai: „Sie haben gesagt, Sie hätten Informationen für uns?“

Kai nickte: „Ja! Ihr wisst ja sicher, dass überall auf der Welt Digimon aufgetaucht sind! Wir haben angenommen, dass sie nach den Artefakten gesucht haben.“

Mimi und Yolei sahen sich an. Das würde die Aktion der Bakemon in New York erklären, wo sie Gassen durchkämmten und fieberhaft nach etwas zu suchen schienen.

„Aber mittlerweile wissen wir, dass sie in Wirklichkeit eigentlich nur eine Ablenkung dargestellt haben! Sie sollten von einer Invasion ablenken, die hier in Afrika begonnen hat.“

„Eine Invasion?!“, platzte es aus Tai heraus.

„Erinnert ihr euch noch an das offene Tor zum Meer der Dunkelheit, wovon Genai erzählt hat?“, fragte Kai in die Runde, woraufhin alle nickten. „Wir haben den Standort des Tores nun lokalisiert! Es ist hier in Afrika! Es liegt in Simbabwe, bei den Victoria Falls!“

Kai ließ auf Izzys Laptop eine Landkarte von Afrika erscheinen, worauf ein roter Punkt an einer Stelle recht weit unten blinkte. Kari blinzelte, als sie das gehört hatte; sie verstand nun, warum sie sich damals beim Flug über Simbabwe auf Kabuterimons Rücken unglaublich seltsam gefühlt hatte. Das offene Tor hatte diese Verzerrungen der Welten ausgelöst, auf die Kari in der Nähe empfindlich zu reagieren schien.

„Durch dieses Tor soll eine Armada von Alptraumsoldaten in eure Welt gelangen und Dunkelheit darüber bringen. Es müssen mittlerweile schon tausende von bösartigen Digimon eingedrungen sein, die sich über die Kontinente verteilt haben“, fuhr Kai fort.

„Stimmt!“, pflichtete Matt ihm bei. „Wir haben in Australien einige davon erledigen müssen!“

Cody weitete die Augen: „Oje, und was machen wir jetzt? Wir können doch unmöglich an allen Orten gleichzeitig kämpfen!“

Davis und Tai schauten sich an. Sie teilten Codys berechtigte Sorge, dass es einfach zu viele Gegner an zu vielen Orten gleichzeitig waren.

„Keine Sorge!“, meinte Kai. „Ihr wisst ja, es gibt noch viele andere Digiritter in der Welt! Sie sind alle wieder aktiv geworden und dabei, die Alptraumsoldaten zurückzudrängen. Und wir aus Genais Team arbeiten fieberhaft daran, das Tor zum Meer der Dunkelheit von der Digiwelt aus irgendwie schließen zu können!“

„Puh, da fällt mir ein Stein vom Herzen“, sagte Yolei erleichtert und stieß leise die Luft aus.

„Dann ist für uns die Aufgabe klar!“, meinte Davis und sah die Gruppe an. „Wir sollten uns auf die Invasion hier in Afrika konzentrieren und zum dunklen Tor vorstoßen. Dort angekommen, müssen wir es irgendwie versuchen zu schließen.“

Tai stimmte ihm zu: „Genau! Wir müssen uns nach Simbabwe durchkämpfen! Es werden uns garantiert einige Alptraumsoldaten über den Weg laufen, wir müssen sie stoppen!“

„Das ist noch nicht alles, Tai!“, unterbrach ihn der Kapuzenträger. „Ihr habt noch eine andere Aufgabe, nämlich die Artefakte zu finden und zu aktivieren.“

Der Wuschelkopf verstand nur Bahnhof: „Ich höre das Wort nun zum zweiten Mal, was sind denn die Artefakte? Können Sie uns vielleicht mal darüber aufklären?“

Kai begann sogleich darüber zu erzählen, was es mit den Artefakten und deren Aufgabe, das Gleichgewicht der realen Welt zu erhalten, auf sich hatte. Angeblich sollen mindestens neun Artefakte existieren, doch ob es bei der Zahl blieb, wusste niemand so recht - es könnte auch durchaus mehr Artefakte geben. Jedenfalls waren nun zwei davon „aktiviert“ worden, das heißt ihre Energie wurde in freien Umlauf gesetzt. Diese Energie hatten anscheinend die Digimonpartner in sich aufgenommen, weswegen sie nun auf das Ultra-Level digitieren konnten.

„Aha!“, blickte Tai erstaunt zu den Digimon rüber, die nur mit fragenden Blicken reagierten. „Das erklärt natürlich einiges…“

„Aber wieso haben die Ultra- und die DNA-Digitationen dann am Meer der Dunkelheit anfangs nicht geklappt?“, hakte Cody nach.

Izzy antwortete: „Ich denke, das liegt an der Macht der Dunkelheit, die in jener Welt besonders stark im Umlauf ist. Sie scheint auch unsere Kraft zu mindern. Das könnte der Grund sein, warum unsere Digimon gegen Dragomon nichts ausrichten konnten, obwohl es - in Anführungszeichen - nur auf dem Ultra-Level ist. Meiner Meinung nach hätten elf Champion-Digimon normalerweise locker ausgereicht, um ein Ultra-Digimon zu erledigen. Aber selbst, als unsere Digimon alle ultra-digitierten, konnten wir es nicht vernichten.“

Joe sah ihn ungläubig an: „Was willst du damit sagen? Soll das heißen, unser Kampf ist aussichtslos?“

Der Rothaarige schüttelte den Kopf: „Nein, das meine ich nicht!“ Er sah zu den anderen und schilderte ihnen seinen Plan: „Ich denke, wir müssen uns sofort auf die Suche nach den Artefakten machen, damit unsere Digimon weiter digitieren. Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, wo alle unsere Digimon auf das Mega-Level digitieren können. Erst dann können wir uns Dragomon stellen und ihn hoffentlich auch besiegen.“

Izzy wunderte sich über das „hoffentlich“. Er spürte eine gewisse Unsicherheit in ihm, denn über Dragomon waren überhaupt keine Informationen vorhanden. Auch Genai konnte ihm über den neuen Feind nichts sagen, was die Sache nicht besser machte. Das Einzige, was er wusste war, dass der Gegner momentan übermächtig war und sie Hilfe brauchten.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Sora und sah die anderen an.

„Ich glaube, das Beste wird sein, wenn wir entlang des Nils Richtung Süden marschieren“, antwortete Izzy und zeigte danach auf die Stadt. „Wir müssen alle bösartigen Digimon aus Afrika vertreiben! In Kairo beginnt unsere Mission!“
 

-------------------------------
 

Nachdem die Digiritter und ihre Digimon sich von Kai verabschiedet hatten, machten sie sich auf den Weg in die Stadt hinein. Es war noch spätmorgens und auf den Straßen herrschte reger Verkehr. Tai und die anderen liefen eine große Allee recht lange Zeit runter; viele Menschen, an denen sie vorbeiliefen, starrten die Digimon rätselnd und misstrauisch an, verhielten sich sonst aber recht ruhig. Der Braunhaarige fragte sich, warum die Leute so lässig blieben. Vielleicht schienen sie zu glauben, dass es verkleidete Menschen wären. Oder die Menschen haben sich sogar an die Existenz der Digimon gewöhnt. Keiner wusste so richtig die Antwort, aber jedenfalls haben sie darauf verzichtet, die Digimon zu verstecken. Erstens weil die Digimon längst nicht mehr unbekannt waren, zweitens weil es ohnehin später zu vielen ernsten Kämpfen kommen würde, die von der ganzen Welt beobachtet wurden, und drittens weil sie sich den Stress ersparen wollten.

Nachdem die Gruppe an das Ende der Allee gelangte, sich danach durch unzählige kleine Gassen gekämpft und sich dabei zwei Mal verlaufen hatte, erreichten alle schließlich das Nilufer. Inzwischen war es schon spätvormittags geworden und die Sonne brannte sich langsam unangenehm in die Haut ein. Mimi sank zu Boden: „Ich kann nicht mehr!“ Joe kicherte leicht: „Manche Dinge ändern sich ja nie!“ Die Neu-Amerikanerin warf ihm einen bösen Blick zu: „Na und, ich hab doch Recht! Sieh dir mal die anderen an!“ Das konnte sie mit gutem Gewissen sagen, denn auch die anderen Digiritter saßen nun auf dem erdigen Boden. Nur Tai, Sora, Davis und T.K. konnten noch aufrecht stehen - da schien sich der Sport auszuzahlen. Jedenfalls gab der Älteste der Gruppe ihr Recht und schlug eine Pause vor, die alle dankbar annahmen.
 

Während sich viele der Digiritter und ihre Digimon über ihre Essensvorräte hermachten, saßen Sora und Izzy unter einer Palme und starrten eisern auf den Bildschirm von Izzys Laptop. Der Rothaarige hatte eine Route auf der Landkarte gekennzeichnet, die die Gruppe nehmen sollte. Sie sah zuerst vor, von Kairo aus immer den Nil entlang über den Sudan und Uganda bis nach Ruanda vorzustoßen. Izzy ging so Soras ausdrücklichem Wunsch nach, zunächst zu ihrer Gastfamilie zu gelangen, die sich bestimmt schon panische Sorgen gemacht hatten. Die darauffolgende Route verlief dann laut Plan durch Burundi, Kongo und Sambia, bis sie bei den Victoria Falls auf das offene Tor stoßen würden. Izzy glaubte zwar, dass sie ihre Pläne möglicherweise ändern müssten, da erstens die Invasion sich schon in andere Gebiete Afrikas begeben hätte können und zweitens die Artefakte noch gesucht werden müssten, die sich möglicherweise in völlig anderen Gebieten befinden. Trotzdem beließ das Computergenie es erst einmal bei diesem Plan. Bis sie in Ruanda ankommen würden, blieb noch eine Menge Zeit zum Nachdenken übrig.

Apropos Nachdenken, vielleicht konnte Sora ihm noch einige seiner offenen Fragen beantworten. Er wandte sich an sie:

„Sora, Tai hat mir erzählt, dass du schon eine ganze Weile am Meer der Dunkelheit gewesen warst, als sie dich gefunden hatten. Stimmt das?“

Die Orangehaarige nickte. „Was ist denn damit?“

„Ich würde gerne mehr über Dragomon wissen. Momentan haben wir überhaupt keine Ahnung, was es genau ist und was es genau vorhat. Es scheint übermächtig zu sein, und wir müssen der Sache auf den Grund gehen, warum das so ist! Nur so haben wir vielleicht eine Chance, es zu besiegen!“

Sora dachte nach. Sie hatte mit Dragomon geredet, und er hat einiges von sich preisgegeben. Ob das Izzy weiterhelfen würde?

Sie räusperte sich: „Mhh, also ich habe mich kurz mit ihm unterhalten, bis Tai kam.“

Als Izzy das hörte, richtete er sich auf und sperrte seine Ohren auf.

„Anscheinend ist Dragomon der Herrscher über das Meer der Dunkelheit. Alle Vorfälle von vor vier und sieben Jahren hatten ihren Ursprung in Dragomon gehabt, das vor hatte, seine Macht auf die anderen Welten auszudehnen. Myotismon, Apocalymon und alle anderen Meister der Dunkelheit waren in Wirklichkeit seine Soldaten gewesen, die seinen Befehl unterschwellig ausgeführt hatten. Dragomon wollte genau das, was Myotismon uns vor Jahren preisgegeben hatte: Er wollte unsere Welt mit der Digiwelt und dem Meer der Dunkelheit zu einer einzigen Welt der Finsternis formen und sich zu dessen Herrscher krönen.“

Izzy hörte aufmerksam zu. Sein Kopf arbeitete dabei wie eine Festplatte, die gleichzeitig Daten lesen und schreiben konnte: Er nahm Soras Geschichte auf und versuchte dabei, sie in sein vorhandenes Wissen einzugliedern. Auf diesem Gebiet konnte ihm bis heute keiner Konkurrenz machen; es war schier unglaublich, wie er das schaffte.

„Er sieht sich wie eine Art Gott. Er hat angeblich nie in der Digiwelt, sondern schon immer am Meer der Dunkelheit gelebt. Diese Welt gehorchte und passte zu ihm, und vor allem bekam er dort die Energie, die er in der Digiwelt nie bekommen hätte.“

„WAS?!“

Sora stockte und sah Izzy an; seine Augen hatten sich geweitet. „Was hast du, Izzy?“

Die Gesichtszüge des Rothaarigen entspannten sich wieder. Ihm ging ein Kronleuchter auf: Dragomon konnte am dunklen Meer mit der Macht der Dunkelheit völlig frei umgehen - noch freier, als es zum Beispiel in der Digiwelt möglich war. Das erklärte auch, warum er auf dem Ultra-Level problemlos allen anderen Digimon überlegen war. Er erinnerte sich daran, wie alle Ultra-Digimon angriffen und er mit einer einzigen Attacke die Angriffe von Metalgreymon und Co neutralisieren konnte. Aber selbst diese Erklärung reichte Izzy noch nicht! Die Macht der Dunkelheit konnte doch nicht so dermaßen mächtig sein; wenn es so wäre, hätte Dragomon sie schon vorher mit einem Wisch endgültig erledigen können. Es musste noch einen anderen Grund geben. Aber welchen?

„Izzy, was ist denn los? Du siehst so komisch aus!“

„Äh, was?“ Das Computergenie wurde von Sora aus den Gedanken geholt und sah ihren fragenden Blick. Er fing sich wieder und erzählte der Orangehaarigen von seinen Überlegungen, ohne aber auf seine offene Frage einzugehen. Er schwor sich, dass er das irgendwann herausfinden würde…
 

Ein explosionsartiges Geräusch ertönte plötzlich und aus einem flussabwärts entfernteren Gebäude flogen Steinbrocken und Schutt heraus, begleitet von einer riesigen Rauchwolke. Alle blickten erschrocken in die Richtung.

„Was ist denn da passiert?“, stellte Mimi die überfällige Frage. Tai nahm sein Teleskop hervor und richtete es auf das Gebäude. Er sah, wie aus der riesigen Wolke zwei große Gestalten heraussprangen und Dutzende kleinerer Silhouetten ihnen folgten. Mit der Ruhe war es nun vorbei. Menschen schrien und starrten entsetzt in Richtung des Gebäudes. „Das müssen wir uns genauer ansehen“, rief Tai. „Matt, Izzy, T.K. & Kari, wir brauchen schnelle Transportmöglichkeiten.“ Die Angesprochenen nickten und holten ihr Digivice hervor.
 

« Gabumon digitiert zu – Garurumon! »

« Tentomon digitiert zu – Kabuterimon! »
 

T.K. sah Patamon an, überlegte kurz und nahm auch sein D-Terminal in die Hand. Kari sah ihm nach und tat dasselbe.

„Digiarmorei der Hoffnung erstrahle!“

„Digiarmorei des Lichtes erstrahle!“
 

« Patamon Armor-Digitation zu – Pegasusmon, Strahl der Hoffnung! »

« Gatomon Armor-Digitation zu – Nefertimon, Glanz des Lichtes! »
 

Sie stiegen verteilt auf die Digimon und flogen in Richtung der Rauchwolke. Nach kurzer Zeit sahen sie das betroffene Gebäude. Es war ein neoklassisches, in verblichenem Rot gehaltenes Bauwerk, wo sich die Explosion ereignet hatte. „Das ist doch das Ägyptische Museum von Kairo!“, rief Ken aus.

„Aber was war da passiert?“, fragte sich Davis. „Gab’s da einen Überfall?“

„Vielleicht“, meinte Tai. „Schau mal, wer da ist!“

Davis schaute genauer hin und wusste im nächsten Moment, was Tai meinte. Eine große Zahl an Bakemon und eine ebenso große Menge von Vilemon erhoben sich hinter dem Gebäude und schwirrten in der Luft.

„Das muss ein Suchtrupp sein!“, entfuhr es dem 15-Jährigen. „In New York haben wir auch eine Menge von diesen Digimon gesehen. Sie müssen auf der Suche nach Artefakten sein!“

„Dann müssen wir sie dran hindern!“, rief Ken. „Das Museum ist voll von einzigartigen und unbezahlbaren Schätzen der ägyptischen Geschichte! Die Digimon dürfen das Gebäude auf keinen Fall verwüsten!“
 

Nach einem kurzen Sprintflug stiegen die Digiritter von ihren Digimon herab und konnten das Ägyptische Museum direkt vor ihnen auf der anderen Seite des Nils erblicken. Ein riesiges Loch war in der Wand zu sehen, woraus Rauch aufstieg. Die Bakemon und Vilemon schwebten in der Luft und blickten in Richtung des Museums; sie sahen so aus, als würden sie jederzeit das Museum in Schutt und Asche legen könnten. T.K. sah Pegasusmon fordernd an, das nur nickte und davonflog. Nefertimon tat dasselbe: „Überlasst das ruhig uns! Wir werden schon mit ihnen fertig!“ Sie flogen auf die Feinde zu, die die beiden anfliegenden Digimon bemerkten und attackierten. Mit schnellen und geschickten Bewegungen wichen Pegasusmon und Nefertimon den Attacken aus.

„SILBERFUNKEN!“

„ROSETTASTEIN!“

T.K. & Kari jubelten, als sie sahen, wie viele der bösen Digimon abstürzten und auf den Boden fielen. Auch der Rest der Gruppe stimmte mit in den Jubel ein - bis plötzlich ohne Vorankündigung zwei Energiestrahlen nacheinander Pegasusmon und Nefertimon trafen und die beiden Partnerdigimon ebenfalls auf den Boden fielen. „Was ist da los? Von woher kamen diese Attacken?“

Sekunden später traten zwei Digimon aus dem Hintergrund hervor, die aus der Ferne kaum zu erkennen waren. Tai zückte sein Fernrohr und entdeckte zwei alte Bekannte. Doch dem Braunhaarigen fiel die untypisch schwarze Fellfärbung der beiden auf. Er gab Izzy sein Digivice, welcher es an seinen Laptop anschloss.
 

--- Ogremon

--- Level: Champion

--- Böses Digimon

--- Typus: Virus

--- Attacke: Kaiserfaust
 

--- Blackleomon

--- Level: Champion

--- Tier Digimon

--- Typus: Virus

--- Attacke: Schwarze Königsfaust
 

Joe staunte nicht schlecht: „Die beiden? Aber wieso arbeiten sie jetzt zusammen? Und warum sehen die so komisch schwarz aus!“ Izzy dachte kurz nach. Er mutmaßte, dass diese beiden Digimon von Dragomon aus der dunklen Welt geschickt wurden und deswegen die dunkle Färbung hatten. „Das müssen Alptraumsoldaten sein!“

T.K. meldete sich zu Wort: „Wir müssen was tun, sonst bringen sie Pegasusmon und Nefertimon noch um!“

Matt und Izzy schickten ihre Digimon in den Kampf. Mit einem Satz sprang Garurumon über den riesigen Fluss; Kabuterimon flog auf die beiden Feinde zu, die nebeneinander standen. „STROMSCHLAG!“

„KAISERFAUST!“

„SCHWARZE KÖNIGSFAUST!“

Im nächsten Moment sah man einen grellen Lichtblitz, der den Platz einhüllte. Als wieder etwas zu erkennen war, entdeckte Izzy Kabuterimon halb liegend und angeschlagen auf dem Boden. Auf der anderen Seite standen die beiden dunkelhäutigen Digimon aufrecht und scheinbar unverletzt immer noch an Ort und Stelle. „Wie ist das möglich?“, rätselte er und wirkte erstarrt. Ihn beschäftigte weniger die Tatsache, dass zwei Digimon gegen eins natürlich stärker waren. Aber warum die beiden völlig unversehrt schienen und Kabuterimon dafür halb erledigt war - zumal Kabuterimons eigene Attacke es noch vor dem völligen K.o. gerettet haben schien - bereitete dem Rothaarigen Kopfzerbrechen.

„Garurumon! Greif an!“, rief Matt so laut er konnte.

„GEWALTIGES FEUER!“

Eine riesige Flamme raste auf Blackleomon zu. Es wich geschickt aus und rannte danach auf das Partnerdigimon zu. Mit einer Hand packte es am Schwanz und wirbelte es durch die Luft. Das böse Digimon schleuderte Garurumon mit einem gezielten Wurf auf Kabuterimon.

„Verdammt! Das gibt’s doch nicht!“, fluchte Matt, während sich Izzy das Ganze ebenfalls schockiert und gleichzeitig nachdenkend ansah. Wie konnte Blackleomon so stark sein und Garurumon mit dieser Leichtigkeit besiegen? Er wusste nicht genau warum, aber er hatte eine starke Vermutung, die er den anderen nicht vorenthalten wollte. „Leute! Ich glaube, die schwarzen Digimon sind stärker, als ihr eigentliches Level vorgibt! Das haben wir gestern bei Dragomon doch selbst gesehen! Unter seinem Einfluss bekommen diese Digimon mehr Power!“

Blackleomon und Ogremon schritten auf die beiden liegenden Digimon zu und holten zum letzten Schlag aus, als sie plötzlich von etwas hinten getroffen wurden. Diese Attacken richteten zwar nichts aus, aber zumindest stoppten sie die beiden schwarzen Digimon vor ihrer nächsten Tat. Die Digiritter sahen in die Luft und bemerkten, wie Pegasusmon und Nefertimon sich wieder in die Lüfte erhoben haben.

„Matt! Wir müssen die beiden auf das Ultra-Level digitieren lassen! Sonst haben sie keine Chance!“, meinte Izzy, woraufhin der Blonde nickte.

Garurumon und Kabuterimon standen wieder langsam auf und waren bereit.
 

« Garurumon Ultra-Digitation zu – Weregarurumon! »

« Kabuterimon Ultra-Digitation zu – Megakabuterimon! »
 

Megakabuterimon flog wieder hoch und griff Ogremon aus der Luft an. „HORNSCHLAG!“ Der Energieblitz schlug ein, doch Ogremon war durch einen Sprung bereits ausgewichen. „KAISERFAUST!“ Die Attacke raste auf das große Insektendigimon zu und schlug mit einer mittleren Explosion ein, was das Digimon etwas zurückwarf.

Weregarurumon und Blackleomon griffen sich derweil mit Fäusten und Tritten an. Sie versuchten es auch mit ihren Attacken oder sprangen hoch und starteten Angriffe aus der Luft, doch jeder Versuch verpuffte wirkungslos. Auf dem Papier hätte Weregarurumon den Kampf längst für sich entscheiden müssen, doch in der Realität kämpften beide Digimon praktisch auf dem gleichen Level.

Das Computergenie beobachtete den Kampf aus der Ferne und fühlte sich in seiner Theorie bestätigt. Schwarze Digimon verfügten anscheinend über mehr Kraft als herkömmliche Digimon auf demselben Level. Das machte die Sache leider nicht besser.

„Matt!“ Davis, Ken und ihre Digimon kamen auf ihn zu. „Sollen wir dir helfen?“

Der Blonde war sich zunächst unsicher und sah sich den Kampf nochmal an, dann stimmte er anschließend zu. Es ging wohl nicht anders; die Digimon verschwendeten derzeit nur ihre Energie und würden den Kampf sogar noch verlieren, wenn ihre Kraft langsam schwinden würde.
 

„WOLFSKRALLE!“

„SCHWARZE KÖNIGSFAUST!“

Die Attacken neutralisierten sich gegenseitig in Form eines grellen Lichtblitzes. Mit einer schnellen Zickzack-Bewegung steuerte Blackleomon auf Weregarurumon zu, welcher von der Schnelligkeit leicht irritiert wurde. Das nutzte das böse Digimon aus und setzte einen platzierten Tritt gegen den Brustbereich des Ultra-Digimons, welcher durch die Wucht nach hinten gegen die Museumswand flog. Blackleomon sprang in die Höhe und holte mit seiner Faust aus, die dunkelrot glühte. Weregarurumon blinzelte benommen, es konnte nicht mehr rechtzeitig reagieren! Blackleomons Attacke würde ihn voll treffen…

„DESPERADORAKETEN!“

Unzählige Geschosse schlugen in die dunkel gefärbte Haut von Blackleomon ein und rissen das Digimon in Stücke; es löste sich in Datenstaub auf. Weregarurumon erwachte aus der Benommenheit und sah Paildramon in der Luft schwebend; dessen Geschütze an den Hüften glühten silbern.

Das Tierdigimon hob die Hand: „Danke, Paildramon!“

„Keine Ursache! Jetzt sollten wir Megakabuterimon aber helfen!“, antwortete das Drachendigimon und sah den beiden Kämpfenden zu. Megakabuterimon hatte gerade versucht, Ogremon mit seinem Horn zu rammen, verfehlte es aber. Stattdessen bekam das Insektendigimon seine Keule zu spüren, die aber keine ernsthaften Schäden hinterließ. Plötzlich spürte das böse Digimon, wie sich acht seidene Fäden um seinen Körper schlangen und ihn fesselten; Paildramon hatte seine Klauen ausgefahren. Mit einem Schwung schleuderte Paildramon Ogremon in die Luft und beförderte es zugleich wieder mit einem harten Aufprall auf den Boden. „Jetzt, Megakabuterimon!“

„HORNSCHLAG!“

Diesmal verfehlte der Energieblitz sein Ziel nicht und schlug mit einer riesigen Explosion dort ein, wo er auch einschlagen sollte. Von Ogremon war nichts mehr zu sehen, es war besiegt.
 

-------------------------------
 

„Die Invasion scheint schon voll im Gange zu sein! Sie haben es schon bis hierher geschafft! Das bedeutet, sie sind bereits quer über Afrika verteilt!“

Tai sprach das aus, was alle befürchtet haben. Die Anwesenheit der Alptraumsoldaten hier in dieser Gegend bedeutete, dass sie nicht mehr so viel Zeit hatten. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die neue Invasion die ganze Erde überrennen würde.

„Wir müssen sie zurückdrängen! Sie dürfen nicht die Übermacht gewinnen!“, rief Davis.

„Aber wie stellst du dir das vor? Wir hatten jetzt schon Schwierigkeiten mit schwarzen Digimon auf dem Champion-Level! Ich will nicht wissen, wann uns die ersten Alptraumsoldaten auf dem Ultra- oder Mega-Level begegnen!“, wandte Cody besorgt ein.

„Das stimmt, Cody!“, sagte Joe und nickte. „Deswegen ist es jetzt noch wichtiger, die Artefakte zu finden! Sie werden uns die Kraft geben, die notwendig ist!“

„Er hat Recht!“, meinte auch Izzy. „Die Artefakte werden uns dabei helfen, zu gewinnen!“

Yolei schaute die Gruppe an: „Worauf warten wir dann noch, Digiritter? Auf geht’s!“
 

So verließen die Digiritter und ihre Digimon Kairo und begaben sich auf dem Weg entlang des Nils Richtung Süden.

Der Assuan-Staudamm (Teil 1)

Unzählige Explosionen erschütterten den nördlichen Teil der Stadt Assuan. Die städtischen Sirenen heulten am helllichten Tag laut auf, doch der Alarm ging durch das Geräusch der Explosionen vollständig unter. Viele kleinere Gebäude brachen vollständig auseinander, von größeren Gebäuden fielen meterdicke Betonteile herab. Massen an Menschen rannten auf den Straßen um ihr Leben, als plötzlich ein Geschoss mitten auf einer großen Plaza einschlug und die Gegend herum in einen riesigen Feuerball einhüllte.

Diejenigen, die noch lebten, rannten verzweifelt weiter. Sie wussten nicht, was mit ihnen geschah - ob sie gerade vor dem Jüngsten Gericht standen, oder ob eine Welle von Terroranschlägen die Stadt heimsuchte, oder ob ein Erdbeben die Region erschütterte.
 

Im südlichen Teil der Stadt mussten vier Augen mit ansehen, wie Feuerbälle scheinbar vom Himmel auf Assuan herab regneten. Es sah so aus, als wäre die Stadt einem gezielten Kometeneinschlag ausgesetzt. Doch diese vier Augen kannten die wahre Antwort, denn diese Geschosse wurden von zwei riesigen fliegenden Geschöpfen abgefeuert.

„Wir müssen doch irgendetwas tun!“

„Tut mir Leid, Elias! Ich kann nichts gegen sie ausrichten, das sind beides Ultra-Digimon! Ich bin zu schwach… und ich bin ein Meeresdigimon! Auf dem Land und in der Luft bin ich völlig hilflos!“

Der Junge fluchte leise. „Wir brauchen unbedingt Hilfe!“

Sein Digimon schaute ihn besorgt an. „Was machen wir jetzt…?“

Elias dachte eine Weile nach, während weitere Explosionen im Norden zu hören waren. Schließlich meinte er: „Wir müssen zum Damm! Wir müssen unbedingt den Staudamm beschützen!“
 

-------------------------------
 

Cody genoss die ruhige Fahrt. Er konnte sich überaus glücklich schätzen, nicht unter der brütenden Sonne leiden zu müssen wie die anderen. Sie hatten nicht das Glück ein Digimon zu haben, das unter Wasser schwimmen und dabei noch einen Passagier befördern konnte. Submarimons Propeller erzeugte bislang das einzige Geräusch, das Cody wahrnehmen konnte. Der 13-Jährige suchte trotzdem konzentriert die Gegend im Fluss ab - fand aber bislang nichts Bösartiges. Bislang war das Meeresdigimon lediglich darum bemüht, Schiffen auszuweichen und strömungsschwache Wege zu finden, da sie gegen den Strom schwammen.

„Schade, dass das Nilwasser so trüb ist. Das wäre sonst vielleicht einfacher gewesen, die Gegend zu prüfen“, unterbrach Submarimon die Stille.

„Ach was“, kommentierte Cody gelassen. „Genießen wir lieber die Ruhe! Besser es passiert nichts Schlimmes! Hey, vielleicht treffen wir ja auf ein paar Nilpferde oder so!“

„Hä? Was ist ein Nilpferd? Ist das ein Digimon?“

„Nee, kein Digimon! Das ist ein Tier, das aussieht wie eine Kuh und auch genauso dick ist. Aber es kann schwimmen und tauchen!“

„Aha“, sagte Submarimon in einem gleichgültigen Ton. „Ist es gefährlich?“

Cody zuckte die Achseln: „Keine Ahnung - ich glaub nicht…“
 

-------------------------------
 

„Wieso muss ich eigentlich immer derjenige sein, der euch fliegen muss?“

„Tut mir Leid, Kabuterimon! Du hast nun mal einen schönen großen Rücken, wo wir alle draufpassen! Und außerdem hilft dir ja Aquilamon. So sparen wir am effektivsten unsere Energie, falls es zu einem Kampf kommen sollte“, erklärte Izzy seinem Digimon den unkomfortablen Umstand.

„Na toll“, seufzte das Insektendigimon enttäuscht. „Ich will aber auch mitkämpfen!“

Der Rothaarige ignorierte den Seufzer und wandte sich wieder seinem Laptop. Die elektronische Landkarte war immer noch auf dem Bildschirm und er hatte sein GPS aktiviert, sodass nun ein blinkender Punkt ihren aktuellen Aufenthaltsort anzeigte. Sie hatten vor wenigen Minuten die für Touristen beliebte Stadt Luxor überflogen und waren nun auf dem Weg Richtung ägyptisch-sudanischer Grenze. Bisher waren ihnen keine feindlichen Digimon begegnet oder aufgefallen, was beruhigend war.

Tai, der auf Kabuterimon mitgeflogen war, holte das D-Terminal raus und funkte Matt an, der auf Aquilamon saß: „Irgendwas Verdächtiges?“

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Nein, überhaupt nichts. Auch bei Cody unten ist alles ruhig. Außer Fische und Krokodile hat er nichts Bösartiges entdeckt, hatte er gemailt.“

Der Braunhaarige schloss sein D-Terminal. „Na prima! Das scheint ja ein ruhiger Tag zu werden!“

„Meinst du? Die Strecke ist doch noch lang, wir haben Ägypten noch nicht mal verlassen! Und der Tag ist lange nicht zu Ende!“, meinte Joe.

„Wir sollten uns beeilen!“, pflichtete Sora ihm bei und schaute besorgt in die Weite. Sie wollte so schnell wie möglich nach Ruanda zurück und nach ihrer Gastfamilie schauen. Sie wusste noch nicht mal, ob sie wieder in Sicherheit waren; das letzte Mal, wo sie die beiden Erwachsenen und die drei Kinder zu Gesicht bekommen hatte, war bei dem Überfall und der anschließenden Geiselnahme. Hoffentlich ging es ihnen gut…
 

„Hmmm…“

Izzy vernahm Kabuterimons nachdenklichen Laut und hakte nach: „Was ist denn?“

„Ich höre mehrere dumpfe Geräusche - und sie werden immer lauter. Klingen wie - Explosionen…“

„Was?“ Tai stand auf und holte sein Teleskop heraus. Während er durch sein Fernrohr blickte, vernahm auch er das leise dumpfe Geräusch aus der Ferne. Er suchte die Gegend ab und entdeckte zunächst nur Wüste und Sand, bis er plötzlich mehrere Rauchfahnen bemerkte. Sie schienen von einer bewohnten Gegend zu kommen. Und dann, ohne Vorankündigung ertönte ein lauter Knall… und eine riesige Wolke aus Feuer und Rauch stieg genau dort vom Boden auf.

„Was war das??“, fragte Kari verängstigt, während Gatomon sie festhielt.

„Das war eine riesige Explosion! Sie kommt von der Stadt dort, das müssen wir überprüfen!“, meinte Tai und holte sein D-Terminal heraus. Izzy reagierte auch und wies Kabuterimon an, schneller zu fliegen. Dieser unterdrückte ein Stöhnen und beschleunigte den Flug.
 

-------------------------------
 

„Tai hat irgendwas entdeckt! Wir müssen schneller schwimmen!“

„In Ordnung, Cody. Aber darf ich dir was mitteilen?“

Cody runzelte die Stirn: „Was ist denn, Submarimon?“

„Die Strömung ist mit einem Male heftiger geworden. Ich kann jetzt nur noch mit Mühe dagegenhalten, aber sie scheint noch stärker zu werden!“

Das waren keine guten Nachrichten. Er überlegte fieberhaft, was sie machen sollten. Doch bevor er irgendwas sagen konnte, machte Submarimon einen plötzlichen Ruck seitwärts. Cody stieß mit dem Kopf gegen die Scheibe. „Hey, was ist los??“

Ungeachtet der Frage schwamm das Meeresdigimon mit aller Kraft Richtung Ufer, schoss dort mit Schwung aus dem Wasser und landete auf dem harten Uferstein. Wieder knallte der Kopf des 13-Jährigen gegen das Glas. Benommen öffnete Cody die Augen und benötigte eine Weile, damit sie sich an das Sonnenlicht gewöhnen konnten. Und gleich darauf sah er den Grund, warum Submarimon sich so beeilt hatte: Die Strömung war tatsächlich gewaltiger geworden - viel gewaltiger! Eine riesige Flutwelle hätte sie beinahe erfasst und mitgerissen, wäre Submarimon nicht schnell ausgewichen.

Cody war erstaunt. „Ich wusste nicht, dass der Nil hier so schnell fließt!“

Sein Partnerdigimon, das mittlerweile zu Armadillomon zurückdigitiert war, fragte aufgeregt: „Was machen wir jetzt, Cody? Ich kann hier nicht weiterschwimmen, das ist zu gefährlich!“

In diesem Moment knallte etwas dumpf hinter ihnen und sie drehten sich um. Sie waren am Ufer einer Stadt gelandet - oder besser gesagt: was davon übrig war. Entsetzt starrte er auf den Überreste der Stadt. Überall stieg Rauch auf, Häuser brannten, Explosionen erschütterten die Umgebung. Die Stadt glich einem Schlachtfeld, Cody kam sich vor wie in einem Kriegsfilm. Ihn beschlich ein Gefühl der Angst. „Wo… wo sind wir denn hier gelandet? Das ist ja… furchtbar…“ Er merkte, wie seine Stimme zitterte.
 

„Alles okay bei dir?“

Eine Stimme ließ Cody innehalten und er drehte sich nach rechts, von wo die Stimme herkam. Sie gehörte einem Jungen, der nicht viel älter aussah als er selbst. Er war dunkelhäutig und eher klein gewachsen, dennoch etwas größer als Cody. Er sprach Englisch, was der 13-Jährige zwar noch nicht vollständig beherrschte, aber zumindest konnte er sich verständigen.

„Wer bist du?“, fragte Cody unsicher.

„Ich heiße Elias! Du hast ein Digimon bei dir, oder?“

Cody war überrascht; damit hatte er nicht gerechnet. Erst jetzt erblickte er das kleine Gerät, das er in der Hand hielt: Ein Digivice!

„Ja! Das ist Armadillomon, ich heiße Cody! Du bist auch ein Digiritter, stimmt’s?“

Der Junge nickte und lächelte ihn an. Cody versuchte, das Lächeln zu erwidern, doch die Atmosphäre hinderte ihn daran; immer noch waren Geräusche von Explosionen und lodernden Flammen zu hören. „Kannst du mir vielleicht sagen, was hier passiert ist?“

Elias nickte, machte eine kurze Pause und fing an zu erzählen: „Also, das hier war mal der nördliche Teil der Stadt Assuan! Bis ungefähr vor einer Stunde stand er noch, doch dann sind zwei Digimon aus dem Nichts aufgetaucht, haben den Stadtteil bombardiert und dem Erdboden gleichgemacht. Danach sind sie zum Staudamm geflogen und haben auch dort angefangen, ihn zu beschädigen…“

Elias zeigte in Richtung flussaufwärts - auf ein großes Gebilde im Fernen. Cody dachte zuerst, dass es ein Berg oder auch eine Pyramide war, was sich vor ihnen erstreckte. Es war verdammt riesig… das sollte ein Staudamm sein?

„Das ist der Assuan-Staudamm. Hinter ihm gibt es noch einen Damm, der älter ist als dieser, den du vor dir siehst. Der Stausee hinter diesen Dämmen zählt zu den größten auf der Erde, er wird auch der Nassersee genannt. Die Fläche des Nassersees wird auf über 5000 Quadratkilometer geschätzt.“

Cody konnte sich unter der Zahl nichts Genaues vorstellen, aber er war sich sicher, dass es eine gigantische Fläche sein musste… und alles gefüllt mit Wasser! Irre…
 

Elias‘ Miene verfinsterte sich plötzlich auf einmal. „Es wird eine Katastrophe geben, wenn der Damm zerstört wird! Deswegen sind Mantaraymon und ich zum neuen Damm geeilt, wo die Digimon ihr Unwesen getrieben haben. Wir haben die Schäden daran notdürftig repariert, sodass nach der ersten Flutwelle der Wasseraustritt vorerst gestoppt ist. Glücklicherweise sind unsere Feinde danach verschwunden…“

Cody wusste nun Bescheid. Daher kam die Flutwelle, die sie mitten auf der Fahrt überrascht hatte. „Mantaraymon? Was ist denn das für ein Digimon?“

„Mantaraymon ist auch ein Meeresdigimon“, meldete sich Armadillomon zu Wort.

„Genau“, stimmte Elias zu. „Es ist mein Digimonpartner. Du kannst es dir wie ein Rochen vorstellen. Es ist gerade noch beim Damm, um Wache zu schieben.“

„Wir sollten ihm helfen!“, meinte Armadillomon.

„Du hast Recht! Wer weiß, ob die Digimon wieder zurückkommen, wenn sie bemerken, dass nicht alles nach Plan funktioniert hat! Elias, wir sollten schnell zum Damm!“

Der dunkelhäutige Junge nickte und lief los, Cody und Armadillomon folgten ihm. Doch auf halbem Weg dahin spürten sie plötzlich ein heftiges Vibrieren des Bodens…
 

-------------------------------
 

„Hey Leute, Cody hat gemailt! Er war bereits in der Stadt und ist nun unterwegs zu einem Staudamm!“, rief Yolei zu den anderen.

„Hat er rausgefunden, wer für die Zerstörung verantwortlich war?“, fragte T.K. nach.

„Ja, er hat einen ägyptischen Digiritter getroffen. Der hat ihm erzählt, dass zwei Ultra-Digimon den nördlichen Stadtteil von Aswan - oder wie immer die Stadt auch heißt, bombardiert haben.“

„Hmm…“ Ken überlegte eine Weile, bis er Bescheid wusste. Cody tat jetzt das einzig Richtige! „Wir müssen uns beeilen und auch zum Staudamm fliegen!“

„Wieso die Eile, Ken?“, hakte Davis nach.

„Wenn der Name der Stadt stimmt, muss es sich bei dem Staudamm um den berühmten Assuan-Staudamm handeln! Sein Stausee dahinter ist der drittgrößte der Erde und über 500 Kilometer lang! Wenn unsere Feinde es schaffen, diesen Damm zu zerstören, dann wird die ganze ägyptische Nilregion überschwemmt und zerstört werden!“

Den Digirittern blieb der Atem im Hals stecken. Das Horrorszenario einer Jahrtausendflut, wo sämtliche Dörfer, Städte und auch Kairo vom Nilhochwasser mitgerissen würden, jagte ihnen eine Gänsehaut ein. Das mussten sie mit aller Macht verhindern!

„Seht mal! Da vorne ist irgendwas…“. Yolei reagierte verwundert auf Aquilamons Aussage und schaute nach vorne. Sie sah, wie zwei schlangenartige Gebilde aus der Ferne angeflogen kamen und auf den Damm zusteuerten. „Was sind denn das für Viecher? Sind das Digimon?“

T.K. trat hervor und sah sich die beiden genauer an. Er konnte zwar aus der Ferne nicht viel erkennen, dennoch hatte er das unweigerliche Gefühl, den beiden schon mal begegnet zu sein…

„Ich glaube, du hast Recht Ken! Wir sollten uns wirklich…“

Ein Piepen unterbrach T.K. im Satz, und es war nicht nur ein Piepen. Alle Digiritter kramten verwirrt nach ihren D-Terminals, wovon die Signale kamen. Das rote Lichtlein oben rechts blinkte.

„Ein Notruf von Cody! Da muss was passiert sein in der Stadt!“, stellte T.K. fest.

„Aber wir müssen doch zum Damm! Wenn mit dem was passiert, dann ist Ägypten verloren!“, meinte Davis verzweifelt.

„Wir müssen uns aufteilen!“, sagte Matt und wandte sich an Yolei. „Schick‘ Izzy eine Nachricht, dass sie zum Damm fliegen sollen! Wir fliegen nach Assuan und sehen dort nach dem Rechten!“

Yolei nickte. Nicht mehr lange und dann mussten sie wieder kämpfen…
 

-------------------------------
 

Ein erneutes Klingeln ließ Tai aufmerksam werden und seine Hand griff wieder in die rechte Jackentasche. Nachdem vorhin das D-Terminal auf das Notrufsignal von Cody reagiert hatte, empfing es diesmal eine Nachricht - von Matt! Er hatte nicht viel geschrieben, nur dass Tais Gruppe zum Damm fliegen und ihn bewachen soll.

„Hä? Wir sollen den Damm beschützen? Ich dachte, Cody braucht in der Stadt unsere Hilfe…“

„Tai, da kommt was auf uns zu!“, unterbrach Agumon sein Gemurmel und schielte in die Luft. Tai folgte dem Blick des Dino-Digimons - es hatte Recht, da kamen zwei Silhouetten mit hoher Geschwindigkeit heran gedüst…

Mit zu hoher Geschwindigkeit! „KABUTERIMON! AUSWEICHEN…“

Eine Explosion und mehrere Schreie übertönten urplötzlich seine Worte und der Braunhaarige kippte zur Seite. Kabuterimon wurde von einem Geschoss getroffen und trudelte mitsamt der Gruppe in den Abgrund. „Festhalten! Ich versuche, wieder die Kurve zu kriegen!“, rief das Insektendigimon. Tai hielt sich so gut es ging an Kabuterimon fest - und mit der anderen Hand hielt er…

Er erstarrte. Die andere Hand war frei, er griff ins Nichts…

„TAI!!“

Der Hilferuf seiner Schwester war die logische Konsequenz. Tai und Gatomon sahen entsetzt in Karis Richtung; sie war abgerutscht und fiel von Kabuterimon herunter in die Tiefe!

„Überlass sie mir, Tai!“, hörte er Sora hinter sich rufen und unmittelbar danach leuchtete es hinter ihm auf.
 

« Biyomon digitiert zu - Birdramon! »
 

Das große Vogeldigimon ging in den Sturzflug und fing Kari mit einer Kralle auf. Erleichtert stießen Tai und Gatomon nacheinander einen Atem aus, als Joe sich zu Wort meldete: „Was war das für eine Explosion gewesen?“

„Irgendwas hat uns getroffen! Aber was?“

„Ich kann es dir sagen, Tai!“, sagte Izzy und zeigte auf zwei Gestalten in der Luft. Es waren wieder zwei alte Bekannte.
 

--- Megadramon

--- Level: Ultra

--- Böses Drachen Digimon

--- Typus: Virus

--- Attacke: Drachenwind
 

--- Gigadramon

--- Level: Ultra

--- Cyborg Digimon

--- Typus: Virus

--- Attacke: Horrorwind
 

„Die kennen wir doch! Sie haben schon damals vor sieben Jahren eine ganze Stadt in die Luft gejagt!“, rief Sora aus.

„Sieh mal an, Bruder! Die Digiritter!”, hörten sie Megadramon sagen. Gigadramons Antwort ließ nicht auf sich warten: „Haha, das wird Meister Deemon gefallen, wenn wir die erledigen!“

„Ihr wart es, die die Stadt bombardiert haben! Gebt ihr’s zu?“, fluchte Tai und ballte die Faust zusammen.

„Ja, und wir schämen uns nicht dafür! Sollen wir es dir beweisen?“

Megadramon lachte einmal laut auf und feuerte dann aus seinem rechten Geschütz Raketen auf den Damm ab. Mehrere Explosionen folgten. Nachdem sich der Rauch etwas verzog, konnte man sehen, wie aus einem kleinen Stück des Damms Wasser herausschoss. Die Digiritter reagierten entsetzt auf das Geschehene.

„Wir müssen den Wasserausbruch sofort stoppen! Sonst geschieht hier noch was ganz Furchtbares!“, meinte Joe. „Kabuterimon, setz uns in der Nähe des Damms ab! Wir müssen sofort handeln!“
 

-------------------------------
 

Scheinbar waren alle Bewohner aus der Stadt geflohen, Assuan glich nun einer Geisterstadt. Das laute Dröhnen der Motoren war mittlerweile das einzige, was auf den Straßen zu hören war. Von Menschen war gar nichts zu sehen, stattdessen zogen zahlreiche roboterartigen Maschinen und panzerartigen Geschöpfe in Formation durch die Straßen; sie schienen ziellos zu patrouillieren.

Cody, Elias und Armadillomon hielten sich in einem höheren Gebäude versteckt. Sie beobachteten von oben die Straßen und konnten ein paar Digimonarten ausmachen. Es handelte sich bei der Patrouille um dutzende Guardromon, Mekanorimon und Tankmon. Sie trugen keine schwarze Färbung, was darauf schließen könnte, dass es nur Handlanger waren. Trotzdem wäre es sinnlos gewesen, sich ihnen zu stellen; es waren einfach zu viele von denen unterwegs. Sie hatten deswegen einen Notruf über das D-Terminal abgesendet, aber bis jetzt war noch niemand zur Hilfe gekommen…
 

Plötzlich hörten die drei, wie auf einmal draußen das Feuer eröffnet wurde. Unmittelbar darauf tauchte ein Leuchten auf.

„GEWITTERKLINGE!“

Ein Lichtblitz fegte durch die Straße und dann hörte man Metall auf Metall krachen. Cody wagte den Blick nach draußen: Zahlreiche Guardromon lagen knirschend über einen Haufen. Aus der Ferne konnte er Raidramon erkennen, der angelaufen kam; Davis, Ken und Wormmon saßen auf seinem Rücken. Dicht hinter ihm kamen auch Garurumon und auf ihm Matt angelaufen. Kurz darauf konnte er auch Aquilamon in der Luft und auf dessen Rücken Yolei, T.K., Mimi sehen - gefolgt von Angemon und Lilymon. „Super, Hilfe ist da! Wir können jetzt aus unserem Versteck kommen, Elias!“

Draußen auf der Straße begrüßten sich alle Digiritter; Elias stellte sich nochmals vor und brachte auch die anderen auf den neusten Stand der Dinge.

„Die Guardromon und die anderen patrouillieren?“, fragte Ken.

„Weshalb patrouillieren sie denn? Die wollen bestimmt doch nicht die Stadt beschützen!“, meinte Davis.

„Nein“, wandte Matt ein. „Das haben wir doch schon ein paar Mal gesehen - in Sydney und in New York! Ich denke, sie suchen nach etwas!“

„Nach einem Artefakt, meinst du?“

„Genau, Cody! Hier ist wahrscheinlich irgendwo ein Artefakt versteckt…“

„Hm, dann sollten wir es vor ihnen finden…“

„Wir haben aber jetzt keine Zeit um irgendwas zu suchen“, unterbrach Elias das Gespräch. „Viel wichtiger ist jetzt, dass wir die Stadt von den Digimon säubern und…“
 

Elias konnte jedoch seinen Satz nicht beenden, denn die Erde fing abermals zu beben an und ein verstärktes Geräusch von ratternden Motoren kam näher. Plötzlich stießen aus allen Seitengassen Tankmon heraus, vor den Digirittern bildete sich eine zusätzliche Front von Mekanorimon. Auch hinter ihnen hörten sie ein Klicken und sie drehten sich um: Die Guardromon waren wieder aufgestanden und hielten ihre Granaten schussbereit hoch.

Davis war stinksauer über ihren Leichtsinn, nicht auf die Umgebung zu geachtet zu haben… der Feind hatte sie jetzt umzingelt. „Ich fürchte, wir müssen jetzt erstmal unseren eigenen Hintern retten!“

„Zurück ins Gebäude!“, bellte Matt und auf seinen Ruf stürmten alle durch den Gebäudeeingang.

„FERNLICHTER!“

„GRANATE!“

„HYPERKANONE!“

Die Attacken rasten auf die Digiritter zu. Lilymon, Raidramon, Garurumon und Angemon feuerten vom Eingang aus ihre Attacken ab, um den Angriff abzuwehren. Eine donnernde Explosion folgte, die Druckwelle erfasste die Digimon, Davis und die anderen und schleuderte sie mehrere Meter in das Gebäude rein gegen eine Gebäudewand. Mit Mühe richteten sich die Digiritter stöhnend wieder auf… und sahen, wie ihre Digimon zurück auf ihr Rookie-Level digitiert waren. Ehe sie die Lage realisieren konnten, ertönte draußen eine weitere Explosion und ließ das Gebäude erzittern. Staub und Steinbrocken fielen von der Decke herab.

„Das Gebäude kann jeden Moment einstürzen! Es ist viel zu gefährlich, hierzubleiben!“, meinte Matt und schützte sich vor herabfallenden Schutt.

„Los, Cody! Lass mich digitieren!“, rief Armadillomon. Cody nickte und nahm sein D-Terminal und das Digivice zur Hand. „Digiarmorei des Wissens erstrahle!“

Sekunden später erschien Digmon und bohrte ein Loch durch die Wand, wodurch alle nach draußen gelangen konnten. Nur einen Augenblick später stürzte der Raum ein, wo sie sich gerade eben noch aufgehalten hatten. Eine gewaltige Staubwolke schoss aus dem Gebäude hervor und machte sich breit. Danach kehrte ein unerwarteter Moment der Ruhe ein…
 

T.K. atmete tief durch. „Das war ja ganz schön knapp gewesen! Aber was sollen wir jetzt machen? Es sind einfach viel zu viele Feinden, gegen so eine Übermacht haben wir keine Chance!“

„Gibt es denn wirklich keinen Weg, sie zu besiegen?“, warf Davis ein und hustete kräftig.

„Ich glaube, wir müssen sie nicht besiegen…“

Für diese Aussage erntete Cody fragende Blicke der sieben anderen Digiritter. Der 13-Jährige versuchte es ihnen zu erklären: „Habt ihr das nicht bemerkt? Diese Digimon haben keine schwarze Färbung, und es gibt keinerlei Zeichen, dass sie von der Macht der Dunkelheit besessen wären. Ich habe schon vorhin überlegt, dass es lediglich Sklaven sind, die hier ihre Arbeit verrichten müssen.“

Davis, Matt, Yolei, T.K., Mimi, Ken und Elias nickten, Cody hatte Recht! Das bedeutete, dass sie ihre Strategie ändern mussten.

„Dann müssen wir die Digimon eigentlich nur in die Digiwelt zurückschicken, oder?“, beendete Mimi den Gedanken.

„Das müsste funktionieren! Elias, hast du hier irgendwo Zugriff auf einen Computer?“

„Ja, mein Zuhause ist ganz in der Nähe, da steht mein Laptop. Folgt mir!“, meinte der dunkelhäutige Digiritter und lief los.
 

Nach einem kurzen Spurt durch mehrere Nebenstraßen - glücklicherweise ohne Zwischenfall - kamen die acht Digiritter wieder auf einer größeren Hauptstraße an. Elias zeigte auf ein kleines Reihenhaus auf der anderen Straßenseite. „In dem Haus dort ist unsere Wohnung! Wir müssen da rüber!“

Im selben Moment klapperte der Boden erneut und alle wichen reflexartig zurück. Eine Reihe von Tankmon fuhr laut scheppernd an ihnen vorbei. Auf der anderen Straßenseite patrouillierte eine Gruppe von Guardromon und marschierte in die andere Richtung. Den Digirittern war spätestens jetzt klar, dass es unmöglich war, ungesehen zu Elias‘ Haus zu gelangen.

„Also gut, es wird Zeit, unsere Power zu bündeln!“, meinte T.K. und alle wussten, was er meinte. „Cody, Elias! Wir werden die Digimon ablenken, während ihr den Laptop holt! Beeilt euch!“ Die beiden jungen Digiritter nickten, und kurz darauf brachten die Digivices die Straße zum Leuchten.
 

« X-Veemon – Stingmon – DNA-Digitation zu – Paildramon! »

« Ankylomon – Angemon – DNA-Digitation zu – Shakkoumon! »

« Hawkmon Armor-Digitation zu – Halsemon, Flügel der Liebe! »

« Togemon Ultra-Digitation zu – Lilymon! »

« Garurumon Ultra-Digitation zu – Weregarurumon! »
 

Die 5 Partner-Digimon erschienen auf der Hauptstraße und erregten die volle Aufmerksamkeit der Maschinen-Digimon. Eigentlich waren ihre Gegner nur Champion-Digimon, aber sie waren einfach zu viele. Deswegen war es besser, auf das Ultra-Level zu digitieren; Shakkoumon konnte sehr viele Attacken einstecken, es war enorm robust; Paildramon, Lilymon und Halsemon konnten aus der Luft angreifen, was gegenüber Bodentruppen ein großer Vorteil war; Weregarurumon war ein Nahkämpfer und konnte im engen Raum viel effektiver agieren als die Tankmon und Guardromon.

Während die ersten Kampfgeräusche zu hören waren, rannten Cody und Elias rüber in das Haus. Bei Elias Wohnung handelte es sich um eine kleine enge 3-Zimmer-Wohnung, die sehr überschaubar war. Es gab zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, eine spärlich eingerichtete Küche und Bad. Cody entdeckte einen Bilderrahmen, worauf Elias mit zwei ebenfalls dunkelhäutigen Erwachsenen, seinen Eltern zu sehen war; er sah jedoch kein weiteres Kind auf dem Bild. Das bedeutete, dass Elias wohl ein Einzelkind war - genauso wie er! Ziemlich unüblich in Afrika, wie der 13-Jährige fand…

„Da haben wir ihn!“, sagte Elias und kam wieder aus seinem Zimmer heraus. Unter seinem linken Arm hielt er seinen Laptop.

„Super, jetzt raus hier! Wir müssen sofort eingreifen!“

Cody und Elias liefen aus dem Haus und sahen, wie Paildramon und Lilymon ständig Granaten ausweichen mussten und Halsemon einen Lichtkringel nach dem anderen abfeuerte, um den Gegner zur Ruhe zu bringen… doch es rückten immer mehr feindliche Digimon nach. Anscheinend wusste nun die ganze Patrouille in Assuan Bescheid, dass die Digiritter sich hier befanden. Von Weregarurumon war nichts zu sehen; lediglich plötzlich aus dem Getümmel in die Luft geschleuderte Digimon wiesen darauf hin, dass es noch kämpfte. Shakkoumon war einem Dauerbeschuss der Tankmon ausgesetzt, doch noch stand das riesige Mutant-Digimon und wischte ein Tankmon nach dem anderen aus dem Weg.

Matt entdeckte die beiden jungen Digiritter und rannte zu ihnen: „Los, öffnet das Tor! Lange halten unsere Digimon das nicht mehr aus!“

Elias öffnete seinen Laptop, gestartet war er bereits schon und Cody hielt sein D3-Digivice entgegen, um das Tor zu öffnen. Aus dem Bildschirm schoss ein grelles Licht hervor, das alle Beteiligten blendete. Ein riesiger Sog erfasste die zahlreichen gegnerischen Digimon und zog sie alle in den Bildschirm. Kurz darauf wurde es still und das Licht war verschwunden.
 

„Ist ja krass!“, merkte Elias an. „Sind die Digimon jetzt wirklich wieder zurück in der Digiwelt?“

„Ja, das war nochmal gut gegangen!“, bestätigte Cody seine Frage.

„Das war’s aber noch nicht!“, meinte der dunkelhäutige Digiritter und zeigte auf den entfernten Staudamm. Es waren kleinere rot glühende Punkte in der Luft und mehrere dumpfe Geräusche wahrzunehmen.

Matt stimmte zu: „Tai und die anderen sind bestimmt auch schon bereits am Kämpfen! Wir müssen uns beeilen und zum Damm!“

Der Assuan-Staudamm (Teil 2)

„FLUCH DER KÖNIGIN!“

Es war zwar keine originelle Idee, aber zumindest eine, von der Kari wusste dass sie funktionieren würde. Nefertimon feuerte Marmorsteine auf das Loch im Damm ab, verstopfte es und stoppte damit den Wasseraustritt.

Tai und die anderen hielten sich am Ende des Damms auf, das oberhalb auf einem Berg neben der Stadt lag. Metalgreymon, Garudamon und Megakabuterimon machten sich zum Kampf bereit und flogen den beiden Feinden entgegen.

„FLÜGELKLINGE!“

Die Flügelklinge jagte auf Megadramon zu, doch ein Hieb mit dessen rechten Arm ließ die Attacke zerplatzen. „Sowas kann uns doch nicht beeindrucken, ihr Kasper!“, lachte es auf und wehrte anschließend Metalgreymons Gigaschlag mit seinem peitschenartigen Schwanz ab. Die zwei Raketen stürzten ins Wasser und lösten eine riesige Fontäne aus. „DRACHENWIND!“ Megadramons Geschütze öffneten sich und schossen wieder Granaten auf den Damm ab. Nefertimon kam angeflogen und feuerte ihre eigene Attacke gegen die Geschosse ab: „ROSETTASTEIN!“

„HORRORWIND!“ Plötzlich spürte Metalgreymon, wie ein stechender Schmerz durch ihn fuhr und eine gewaltige Druckwelle von hinten erfasste. Das Metalldigimon verlor das Gleichgewicht und stürzte über dem See ab; dabei sah es Gigadramon hinter sich, wie dessen Geschützarme noch rauchten… bevor es anschließend zu seiner Rookie-Form zurückdigitierte. Agumon klatschte hart auf dem Wasser auf und versank im See.

„Oh nein! Agumon!!“, rief Tai und war dabei, sich ohne Rücksicht auf Verluste ins Wasser zu stürzen. Joe konnte ihn jedoch davon abhalten, schickte Gomamon nach vorne und ließ es im Wasser digitieren. Nach einigen Sekunden tauchte Ikkakumon mit dem Dino-Digimon auf dem Kopf auf. Tai nahm sein Digimon herab und musterte es besorgt; es war ohnmächtig geworden, es konnte nicht mehr weiterkämpfen!
 

„Verdammt, unsere Gegner sind zu stark!“, meinte Izzy. Er musste mit ansehen, wie Garudamon und Megakabuterimon ständig von Granatgeschossen getroffen und zurückgeworfen wurden. Ihre Körper waren zu groß und zu breit gewachsen. Sie boten dadurch eine enorme Trefferfläche an, während ihre Gegner nicht nur schmal gewachsen, sondern auch höllisch schnell waren.

Der Rothaarige verstand innerhalb von Sekunden, was den Kampf gegen diese alten und doch so neuen Gegner schwierig machte. Ihre Feinde waren nicht mehr nur durch eisernen Siegeswillen und bloße Stärke zu besiegen. Es reichte nicht mehr aus, ein oder mehrere Digimon in den Kampf zu schicken, die auf dem Papier genauso stark oder auf demselben Level waren wie die Feinde. Dragomons Geschöpfe waren so oder so viel stärker als normale Digimon ihrer Rasse - und anscheinend noch viel schlauer und gerissener als sie dachten.

Eigentlich waren sie so einem Digimon vor 4 Jahren schon einmal begegnet: Skullsatamon. Es war zwar nur auf dem Ultra-Level gewesen; trotzdem konnte es alle Partnerdigimon auf demselben Level problemlos erledigen und sogar Imperialdramon zunächst neutralisieren, ehe es doch von ihm erledigt wurde. Damals war das zunächst noch ein Einzelfall gewesen, aber nun mussten sie wohl gegen Scharen von solchen Digimon kämpfen.

Sie mussten ihre Strategie ändern; sie durften sich in ihrer Taktik nicht mehr nur auf das Level der Feinde beschränken. Jetzt mussten sie noch andere Faktoren mit einbeziehen… wie Schnelligkeit, Reflexe, Konstitution und Ausdauer. In ihrem Fall bedeutete es, dass sie Digimon in den Kampf schicken mussten, die Megadramon und Gigadramon in Sachen Schnelligkeit, Reflexe, Lufthoheit und Schusskraft Paroli bieten konnten. Nur so könnten sie eine Chance haben…

„DRACHENWIND!“

Plötzlich ertönte eine zweite Explosion in der Luft und das zweite Partnerdigimon digitierte zurück und stürzte ab. Diesmal war es Biyomon, das direkt in Soras Armen landete. Die Orangehaarige reagierte geschockt.

„HORNSCHLAG!“

Megakabuterimon feuerte seine Attacke auf Megadramon ab, doch das Drachen-Digimon wich geschickt aus. Izzy raufte sich verzweifelt die Haare; das brachte nichts! Sie hatten so keine Chance! Sie brauchten Paildramon und Silphymon im Kampf, nur so konnten sie gewinnen!

„Hey Bruder, wir dürfen den Damm nicht vergessen!“, rief plötzlich Megadramon zu seinem Pendant. Der reagierte mit einem lauten Pfiff - und kurz darauf vibrierte die Erde. Am Fuß und auf mittlerer Höhe des Damms tauchten eine Reihe Tankmon auf, die in Reih und Glied formiert standen und schussbereit waren.

Sora und Kari entdeckten die neue Bedrohung. „Verdammt, wir müssen sie aufhalten, bevor…“

Zu spät! Die Tankmon feuerten ihre Hyperkanonen ab und dutzende Granaten rasten auf den Damm zu. Diese Feuerkraft wird den Damm pulverisieren, Ägypten wäre verloren!
 

Aus dem Nichts schossen zwei orangerote Laserstrahlen hervor und neutralisierten die Geschosse der Tankmon mit einem Schlag. Die zwei weiblichen Digiritter blickten erstaunt und doch auch erleichtert in die Richtung, woher der Strahl kam. Neben dem Damm schwebte Shakkoumon in der Luft, seine zwei Augen glühten noch orangefarben.

„Super, da sind T.K. und die anderen!“, rief Kari freudig und sah, wie Paildramon, Lilymon und Aquilamon mit den anderen auf den Rücken erschienen. Plötzlich ging von dem Vogel-Digimon ein blendendes Licht aus… und verschwand kurz darauf wieder. Doch auch die Tankmon waren weg, die vorher noch am Fuß des Damms standen.

„Super! Sie haben die Digimon wieder zurück in die Digiwelt befördert!“ Izzy stellte mit Erleichterung fest, dass die anderen nun endlich eingetroffen waren. Er lief zu Kari rüber und erklärte ihr, dass sie mit Yolei unbedingt eine DNA-Digitation auslösen musste, was sie auch prompt tat.

Silphymon erschien, stieg mit Lilimon und den zwei anderen DNA-digitierten Digimon in die Höhe und sie begannen Megadramon und Gigadramon zu viert anzugreifen. Doch immer wieder gelang es den beiden Gegnern, auszuweichen und in ihrem Rücken ihre Attacken abzufeuern. Shakkoumon, bereits durch den vorherigen Kampf geschwächt, digitierte unter der Wucht der Explosionen zurück; Armadillomon und Patamon fielen ebenso wie Agumon zuvor in den See und wurden von Ikkakumon herausgefischt.

„Sollen wir die beiden nicht einfach auch in die Digiwelt zurückschicken?“

„Nein Elias, das geht nicht! Das sind keine normalen Digimon; sondern es sind bösartige Wesen der Dunkelheit, die wir mit allen Mitteln bekämpfen und besiegen müssen!“, meinte T.K.

„Aber sie haben doch keine schwarze Färbung, wieso sollen sie dann Wesen der Dunkelheit sein?“, fragte Cody.

„Sie brauchen keine schwarze Färbung, weil sie schon von Grund auf bösartig genug sind!“, erklärte Izzy knapp und hob den Kopf. Oben tobte ein erbitterter Kampf zwischen Paildramon, Silphymon, Lilymon und Megakabuterimon und den beiden feindlichen Digimon. „Ihr müsst euren Kopf benutzen!“, rief der Rothaarige zu den Digimon hoch. „Eure Gegner sind mit allen Wassern gewaschen, ihr müsst versuchen sie auszutricksen!“

Tai, der sich immer noch um Agumon kümmerte, stellte sich fragend neben seinem Kumpel: „Hä? Wie kommst du denn darauf?“

„Merkst du das denn nicht, Tai? Unsere Gegner sind unseren Digimon überlegen, aber nicht weil sie besonders stark sind! Sondern sie steigen mit einem konkreten Plan in den Kampf ein. Und wir müssen uns dagegen wehren und einen Gegenplan erarbeiten!“

Tai verstand, was sein rothaariger Freund meinte. Er fühlte sich wie in das Fußball-Trainingslager versetzt und erinnerte sich an das Entscheidungsspiel um den Aufstieg in die 1. Jugend-Bundesliga. Der Gegner hatte die beste Abwehr der Liga aufzubieten gehabt und nie mehr als zwei Gegentore in einem Spiel zugelassen. Aber mit einem speziellen Plan konnten Tai und Sora die Abwehr dreimal entscheidend austricksen.

Nun mussten sie an jeden Kampf ebenso mit einem speziellen Plan herangehen, die jetzigen Gegner würden sich nicht mehr mit bloßer Stärke besiegen lassen. Es hatte sich schon beim Kampf in Kairo angedeutet gehabt; nun realisierte Tai, dass ihre zukünftigen Kämpfe wohl alle so schwierig sein würden.
 

„LAVAKUGEL!“

Die glühend heiße Attacke traf Megadramons linkes Geschütz und ließ es schmelzen. Das feindliche Digimon knurrte verärgert: „Das wirst du mir büßen!“ Es versuchte, mit seinem langen peitschenartigen Schwanz Silphymon zu treffen, wedelte jedoch ins Leere. „Gigadramon, hol Verstärkung! Ich halte sie hier in Schach!“ Der Angesprochene nickte und flog davon. Megakabuterimon versuchte ihm hinterher zu fliegen, doch es war zu schnell und das Insektendigimon verlor es aus den Augen.

„Wohin fliegt es? Und warum lässt es seinen Partner alleine?“, fragte sich Cody.

„Das ist egal, wir haben jetzt eine gute Gelegenheit, Megadramon zu vernichten! Ich finde, wir sollten das machen, bevor Gigadramon wieder zurückkommt!“

„Davis hat Recht! Los, Attacke!“, rief Izzy. Doch Megadramon zog sich zurück und flog vom Damm weg, die Partnerdigimon verfolgten es. Silphymon gelang es auch, Megadramon einzuholen und am Schwanz zu packen. Mit wedelnden Bewegungen versuchte das Drachen-Digimon sich zu befreien, schaffte es aber nicht und wurde von Silphymon nach unten, dem sandigen Erdboden entgegen geschleudert. Eine riesige Sandwolke entstand, als Megadramon hart aufschlug. Es war für den Moment wehrlos. „Macht es fertig!“, riefen die Digiritter vom Damm aus.

„LAVAKUGEL!“

„HORNSCHLAG!“

„BLUMENKANONE!“

„DESPERADORAKETEN!“

Die Energie der Attacken entlud sich in einer riesigen Explosion und hüllte die Stelle in Form eines riesigen Feuerballs ein. Das anschließend zufriedenstellende Geräusch von pulverisierendem Datenstaub ertönte.
 

„Seht mal, Gigadramon kommt zurück!“, rief Joe und beobachtete, wie das Cyborg-Digimon wieder in der Luft auftauchte. Es hatte anscheinend sehr schlechte Laune.

„Ihr habt es wirklich gewagt, meinen Bruder zu töten!“, rief es sauer. „Das kommt euch teuer zu stehen! Kommt heraus, meine Sklaven!“

Dieses Mal bebte der Boden nicht, aber stattdessen wurde der See unruhiger. Wellen bildeten sich, bis daraus dutzende Digimon hervortraten.
 

--- Ebidramon

--- Level: Champion

--- Meeres Digimon

--- Typus: Datei

--- Attacke: Doppelschere
 

--- Shellmon

--- Level: Champion

--- Meeres Digimon

--- Typus: Datei

--- Attacke: Wasserwerfer
 

--- Gesomon

--- Level: Champion

--- Weichtier Digimon

--- Typus: Virus

--- Attacke: Koralle
 

Cody und Joe kratzten sich am Kopf. „Dieser Bande sind wir doch schon mal begegnet, oder?“

„Stimmt Joe, und jetzt wissen wir auch, wie wir sie verjagen können, ohne dass es zu einem Kampf kommt!“, frohlockte Cody und lief auf das Ufer zu. Ikkakumon und Armadillomon standen dort bereits und redeten auf die zahlreichen Digimon ein. T.K., Elias und Joe kamen hinzu und lauschten belustigt, wie die beiden Partnerdigimon ein Seafood-Gericht nach dem anderen aufzählten und die Gegner damit in Angst und Schrecken versetzten. Schnurtracks tauchte ein Digimon nach dem anderen ab und flüchtete.

„Ihr Versager! Wo wollt ihr hin? Bleibt gefälligst hier und kämpft!“, schrie Gigadramon voller Zorn. Doch es hatte keine Zeit, sich weiter darüber aufzuregen. Paildramon und die anderen drei Ultra-Digimon kamen zurück und griffen wieder an.

T.K. bemerkte: „Wir müssen die Digimon aber unbedingt noch einfangen! Sie dürfen auf keinen Fall hierbleiben!“

„Das übernehme ich!“, meinte Elias, woraufhin ihn alle ein wenig irritiert anschauten. Er rief zum See hinaus: „Mantaraymon! Komm zu mir!“

Nach einigen Momenten bemerkten die Digiritter Luftblasen im Wasser und sahen, wie ein rochenartiges Wesen aus dem Wasser auftauchte.
 

--- Mantaraymon

--- Level: Armor

--- Meeres Digimon

--- Typus: Serum

--- Attacken: Lähmender Schock & Rochentorpedo
 

Das Digimon freute sich sichtlich: „Elias! Du bist gesund, wie schön! Und wie ich sehe, hast du Freunde gefunden, die uns helfen!“

„Ja, sie haben uns gerettet!“, erwiderte Elias genauso erleichtert. „Aber wir haben noch was zu tun! Du musst alle Digimon in dem Stausee unschädlich machen!“

„Klar, überhaupt kein Problem!“, antwortete sein Partnerdigimon und tauchte ab.

Cody kam zu Elias rüber: „Erklärst du mir, was dein Digimon jetzt macht?“

„Er wird jedem Digimon einen elektrischen Schlag verpassen, wodurch sie bewusstlos werden. Du wirst sehen, in Kürze werden die Digimon oben auftauchen.“

„Aber es sind doch so viele Gegner, und es können einige schon weggeschwommen sein!“

„Keine Sorge, Mantaraymon ist unter Wasser verdammt schnell und nicht so leicht zu fassen!“

Während Elias sprach, tauchte schon das erste Digimon auf der Wasseroberfläche auf; es war ein Ebidramon. Cody und die anderen sahen erstaunt rüber, wie Sekunden später ein zweites Ebidramon auftauchte. Nach weniger als 5 Minuten lagen alle eingedrungenen Digimon mit dem Rücken auf der Wasseroberfläche. Izzy zögerte nicht lange, öffnete seinen Laptop und ließ Cody erneut das Tor zu Digiwelt öffnen. Ein grelles Licht, ein kräftiger Sog und die Digimon auf dem Wasser waren verschwunden.

Tai wandte seinen Blick zurück zu den kämpfenden Digimon. „So, und jetzt müssen wir uns nur noch um Gigadramon kümmern…“
 

Doch plötzlich schien das Seewasser abermals zum Leben zu erwachen und im nächsten Moment tauchte ein riesiges schlangenartiges Wesen mit einem Drachenkopf auf. Es war wieder ein Digimon, und auch ein sehr wohl bekanntes.
 

--- Megaseadramon

--- Level: Ultra

--- Meeres Digimon

--- Typus: Datei

--- Attacke: Lichtspeer
 

Die Digiritter starrten Megaseadramon entsetzt an. „Oje, was macht das Digimon denn hier?“, rief Mimi.

„Ich glaube nicht, dass es uns helfen will…“, mutmaßte Joe und trat vom Ufer zurück.

„Also gut, dann wird sich Mantaraymon darum kümmern…“

Eine Hand griff an Elias‘ Schulter und der Junge musste kurz innehalten. Cody sah ihn ernst an und zeigte auf Megaseadramon: „Dein Digimon hätte keine Chance, das ist ein Ultra-Level-Digimon!“

„Hey, seht mal Leute!“, rief Sora plötzlich. „Was macht denn Megaseadramon da?“

Die anderen sahen fragend zu dem riesigen Meeres-Digimon rüber. Es tauchte wieder ab und schwamm scheinbar zu der Stelle, wo Paildramon und die anderen gegen Gigadramon kämpften. Sie hatten es trotz numerischer Überlegenheit immer noch nicht geschafft, das Cyborg-Digimon zu besiegen.

Plötzlich schoss Megaseadramon dort aus dem Wasser heraus und feuerte seinen Lichtspeer gegen Gigadramon ab. Die Attacke traf den überraschten Feind mit voller Wucht im Rücken und explodierte anschließend; Gigadramon war danach verschwunden. Der Gegner war besiegt, die Bedrohung nun vollständig abgewendet.
 

Die Digiritter hatten den kurzen Prozess staunend beobachtet. Nachdem ihre zurückdigitierten Digimon wieder zur Gruppe gestoßen waren, fingen sie an zu grübeln.

„Versteh‘ das einer! Megaseadramon hat uns also doch geholfen…“, sagte Joe und revidierte seine Aussage von vorhin.

„Aber wieso…“

Ein plötzlicher Ruf aus der Ferne unterbrach die Digiritter in ihren Gedanken. Sora horchte dabei überrascht auf… sie hatte das komische Gefühl, ihren Namen gehört zu haben. Ein zweiter, unmittelbar nachfolgender Ruf bestätigte ihre Vermutung: Da rief tatsächlich jemand ihren Namen. Die 18-Jährige suchte die Richtung ab, von der der Ruf kam - und entdeckte die Silhouette eines Mädchens auf sich zulaufen. Von der Ferne konnte sie noch nicht sehen, wer es war. Doch als sie nahe genug kam und Sora das Mädchen erkannte, blieb ihr fast ein Kloß im Hals stecken.
 

Es war Maria, die ältere Tochter ihrer Gasteltern in Ruanda!

„Das gibt’s doch nicht!!“, rief Sora mit Tränen in den Augen, lief auf das Mädchen zu und umarmte sie stürmisch. Die anderen Digiritter schauten sich das Schauspiel ratlos an. Als die beiden sich nach einer Weile wieder lösten, wollte Sora schon losfragen - was mit ihren Gasteltern jetzt war, ob es ihnen gut ging und sie wieder in Sicherheit waren. Doch ihr Blick fiel auf das kleine Gerät, was Maria in der Hand hielt - es war ein Digivice.

Maria bemerkte ihren Blick und lächelte kurz: „Das Digimon da ist mein Partner. Es hat mir geholfen, dich zu finden! Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist - ich hatte schon fast befürchtet, dich nie wieder zu sehen.“ Sora freute sich sehr über ihre Worte und wollte etwas erwidern. Doch Marias Lächeln verschwand wieder abrupt: „Wir brauchen unbedingt deine Hilfe, Sora! Seit du verschwunden bist, ist in Kigali ein Mensch mit einem Digimon aufgetaucht und hat einen neuen Bürgerkrieg zwischen Hutu und Tutsi verursacht! Wir haben schon versucht, die beiden Lager zu beruhigen und das Digimon zu besiegen, aber es ist selbst für Megaseadramon zu stark! Jetzt wird in der Stadt heftig gekämpft und es gibt jetzt schon viele Tote!“

Diese Worte lösten einen schrillen Alarm in Sora und den anderen aus, die zugehört hatten. Das durfte nicht sein! In Sora bildeten sich wieder die Horrorvisionen von einst zusammen, die sie bei den Erzählungen des Gastvaters bekommen hatte. Und auch die anderen stellten sich nur das Schlimmste vor: Menschen würden auf Menschen losgehen und sich gegenseitig niedermetzeln. Die ganze Stadt würde im totalen Krieg versinken. Aber das wirklich Unbegreifbare war, dass ausgerechnet ein Mensch mit einem Digimon diesen Bürgerkrieg ausgelöst hatte - müsste das nicht heißen, dass ein Digiritter daran schuld war?

Sora fand ihre Worte zuerst wieder: „Dann müssen wir jetzt unbedingt nach Ruanda! Und zwar sofort! Bevor noch was Schlimmeres passiert, als es ohnehin schon ist!“ Ihre Stimme klang zitternd und panisch.
 

Maria winkte Megaseadramon herbei, welches ans Ufer schwamm und alle Digiritter und ihre Digimon aufsteigen ließ. Bevor jedoch Cody aufstieg, wandte er sich an Elias. Er lächelte: „Es hat mich sehr gefreut, dich kennenzulernen! Ich hoffe wir sehen uns bald wieder!“ Er gab dem dunkelhäutigen Digiritter die Hand.

„Ich muss euch sehr danken, ihr habt uns gerettet! Ohne euch wäre eine Katastrophe entstanden! Wir werden jetzt auf diese Gegend aufpassen. Viel Erfolg euch bei eurer weiteren Mission!“

Cody nickte und stieg auf dem Meeresdigimon auf. Auf Marias Ruf flog es plötzlich aus dem Wasser hoch in die Lüfte und eilends in Richtung Süden davon. Das Digimon hatte eine irre schnelle Geschwindigkeit drauf, noch schneller als Kabuterimon und Garudamon. Es müsste nicht lange dauern, bis sie in Ruanda ankommen würden.

Cody lächelte noch eine ganze Weile seit Abflug. Wenn ich mit der Schule fertig bin, werde ich genauso wie Sora hierher nach Afrika fliegen, dachte der 14-Jährige und genoss diesen Gedanken während des Fluges.
 

Sora saß mit Maria recht weit vorne am Kopf von Megaseadramon und wünschte sich gerade nichts weiter als so schnell wie möglich in Kigali anzukommen, um wieder Frieden in die Stadt zu bringen. Marias Geschichte hörte sich schrecklich an, und die Orangehaarige wollte sie am liebsten nicht glauben. Aber sie wusste selber, dass Maria keinen Grund zum Scherzen hatte…

Sora blickte zu Maria rüber und dachte sich nichts weiter, bis sie auf einmal ihren misstrauischen Blick bemerkte. „Was hast du denn?“, fragte sie die Tochter ihres Gastvaters direkt.

Maria zog sie etwas weiter zu sich heran: „Wer ist das?“ Sora wusste zunächst nicht, wen sie meinte und versuchte ihrem Blick zu folgen. Sie blieb an einer Person hängen, die sie sehr gut kannte.

„Das ist Tai, ein sehr sehr guter Freund von mir!“ Mit dieser Aussage überraschte sie sich selbst etwas; wieso nur „ein sehr sehr guter Freund“?

„Bist du dir sicher, dass er wirklich ein Freund ist?“

Diese Frage von Maria verwirrte Sora ziemlich. Was sollte diese alberne Frage? „Natürlich bin ich mir sicher! Ich war schließlich mal mit ihm zusammen!“ Auch hier hielt sie überrascht inne; waren sie das nicht immer noch bzw. wieder? „Wieso fragst du das?“

Marias Blick verschärfte sich und Sora reagierte darauf noch verwirrter. „Weil ich glaube, ihn zu kennen! Er sieht genauso aus wie der Typ, der in Kigali aufgetaucht ist und den Bürgerkrieg angezettelt hat!“

Der schwarze Doppelgänger (Teil 1)

Ein großer Stein flog auf die Windschutzscheibe eines Autos zu und brachte sie mit einem lauten Klirren zu Bruch. Brennende Mülltonnen und haufenweise Patronenhülsen lagen auf den Straßen rum, die von Explosionskratern gezeichnet waren.

In Kigali war die Nacht eingebrochen, und immer noch war die Stadt nicht zur Ruhe gekommen. Ein riesiger Aufstand tobte im Osten der Stadt und zog weiter in Richtung Süden. Man hörte Schüsse und Explosionen; Glasscheiben wurden zerstört, Autos wurden angezündet, Schreie von Menschen übertönten manchmal den lautstarken Zug der Rebellen. Plötzlich erhob sich ein großes dunkles Wesen in die Luft, ließ eine große schwarzrote Energiekugel über seinen Kopf erscheinen und schleuderte sie auf eine große Villa vor sich. Das Gebäude zerplatzte sofort mit einem ohrenbetäubenden Knall und das ganze Grundstück wurde eingehüllt unter einer riesigen Wolke aus Rauch, Feuer und Staub. Am Ende blieben ein paar brennende Häuserreste und ein riesengroßer Krater übrig, dessen Durchmesser mindestens 30 Meter lang war.

Unter der jubelnden Menge der Rebellen trat ein Mensch hervor und sah sich zufrieden das Ergebnis seines Digimonpartners an. Ein atemberaubender Anblick, wie es sich förmlich nach Kämpfe und Zerstörung sehnte. Nicht mehr lange und er würde die ganze Stadt in seiner Gewalt haben. Und das Beste war, dass ein großer Teil der Einwohner ihn und sein Digimon für Götter hielten. Sie gehorchten ihm bedingungslos, was seinen Plan gehörig erleichterte. Schade, dass der andere große Teil der Einwohner sich ihm und seinen Rebellen widersetzten. Wie dumm von ihnen, dann mussten sie halt eben leiden…

Er wandte sich von der brennenden Ruine ab und rief in die Menge: „Los, wir ziehen weiter!“ Seine Rebellen signalisierten ihm mit erhobenen Fäusten und lauten Schlachtrufen, dass sie ihm gehorchten.
 

-------------------------------
 

„Hast du das gesehen?“, keuchte Dan.

„Das war eine riesige Explosion!“, meinte sein jüngerer Zwillingsbruder Will und rieb sich die Augen. Zu zweit standen sie zuhause auf dem Glockenturm der kleinen Kapelle, in welcher ihre Eltern immer Veranstaltungen des ökumenischen Instituts abhielten. Sie mussten mit ansehen, wie die halbe Weststadt lichterloh brannte und nun auch im Süden ein riesiger Explosionspilz sich vom Boden in die Luft erhob. Es waren von überall her Schussgeräusche zu hören; Hutu und Tutsi lieferten sich in der Stadtmitte erbitterte Straßenkämpfe. Die Eltern hatten die Kinder in die Kapelle gebracht, da sie etwas abseits lag und die Kämpfe sich nicht in diese Gegend ausdehnen sollten. Danach waren sie jedoch wieder zurück zur Wohnung gefahren und seitdem hatten die Zwillinge nichts mehr von ihnen gehört…

Plötzlich sahen sie, wie zwei Gestalten in der Nähe auftauchten und sich auf die Kapelle zubewegten. Nach kurzer Zeit erkannten Dan und Will, um wen es sich handelte; auch wenn es nicht ihre Eltern waren, freuten sie sich zumindest ein wenig.

„Da ist Andromon!“, rief Dan und lief die Turmtreppe runter.

„Ja, und Knightmon ist auch bei ihm“, stimmte Will zu und folgte seinem Bruder.

Die beiden Zwillinge hatten ihre Digimon losgeschickt, um nach ihren Eltern zu suchen, nachdem sie schon längere Zeit nichts mehr von ihnen gehört hatten. Jedoch hatten die Partnerdigimon der beiden keine guten Neuigkeiten: Sie konnten nirgends ihre Eltern finden, auch nicht im Haus.

„Und was jetzt?“, fragte Will und stotterte sichtlich. Er hatte Angst. Er hatte Angst davor, dass seine Eltern gefangen genommen wurden oder sogar jetzt nicht mehr leben würden. Und er hatte besonders Angst vor dem Krieg. Will fühlte sich überhaupt nicht dazu bereit, in den Kampf zu ziehen… schon gar nicht als 5-Jähriger! Das Leben hatte für ihn noch nicht einmal richtig angefangen und nun sollte er schon kämpfen?!

Sein Zwillingsbruder Dan war es dagegen schon - zumindest glaubte Will das. Dan war schon immer der Mutigere von den beiden, er scheute sich beispielsweise nicht davor, fremde Leute einfach anzusprechen - so wie er es bei Sora am Flughafen getan hatte. Manchmal bewunderte Will ihn für seinen Mut. Aber würde sein Mut auch ausreichen für das alles, was ihnen jetzt möglicherweise bevorsteht?

„Wo bleibt Maria bloß? Sie ist jetzt schon fast einen ganzen Tag weg!“, meinte Dan und kickte gegen die Wand.

Will schaute auf; er hatte Maria beinahe vergessen. Seine um 5 Jahre ältere Schwester hatte sich frühmorgens auf die Suche nach Hilfe gemacht, und nun war es beinahe Mitternacht. Hoffentlich war ihr nichts zugestoßen…
 

„Hey, da kommt irgendwas“, meinte plötzlich Andromon und die beiden Kinder plus ihre Digimonpartner drehten sich um. Einen Wimpernschlag später erschienen ihre ältere Schwester und Megaseadramon in ihrem Sichtfeld. „Super! Da ist ja Maria!“, freuten sich die Zwillinge.

Das Meeres Digimon stoppte kurz vor der Kapelle in der Luft und ließ seine „Fahrgäste“ aussteigen. Dan und Will liefen den Ankömmlingen entgegen. „Maria! Schön, dass du wieder da bist!“

Die ältere Schwester nickte den beiden zu: „Ja, ich freue mich auch! Ich habe euch hier jemanden mitgebracht!“

Die Zwillinge schauten fragend zu Maria und dann zu den Personen, die hinter ihr von Megaseadramon herab hüpften. Die Augen der beiden blieben plötzlich an einem orangehaarigen Mädchen hängen. „Sora!“

Die Angesprochene lächelte: „Lange nicht gesehen!“

Dan und Will wollten gerade freudestrahlend auf die 18-Jährige zulaufen, als ein plötzliches Licht die Gegend kurz erhellte. Kurz darauf ertönte ein dumpfer Knall.

„Was war das?“, fragte sich Sora.

„Das sind die Hutus und die Tutsis! Sie kämpfen gegeneinander!“, klärte sie Maria auf.

„Dann haben wir keine Zeit zu verlieren! Wir müssen sofort einschreiten!“, meinte Sora und wollte loslaufen…

„Warte!“ Eine Hand auf ihrer Schulter hinderte sie aber daran. Tai stand hinter ihr und sah sie ernst an. „Was sollen wir denn jetzt machen? Meinst du nicht, wir sollten einen Plan haben, bevor wir uns ins Chaos stürzen?“

„Tai!“ Sora reagierte etwas gereizt. Sie schien sehr ungeduldig zu sein. „Hier geht es um Hunderte von Menschenleben! Jede Sekunde, die wir mit Grübeln verplempern, ist zu viel! Lass mich also bitte los!“

„Aber Sora…“

Izzy schritt ein: „Am besten ist es, wir teilen uns auf!“

„Gut! Ich komme mit!“, meinte Kari.

„Wir auch!“, meldeten sich auch Davis, Ken und Yolei.

„Ihr braucht doch einen Einheimischen an eurer Seite!“, warf Maria ein. „Ich begleite euch. Die Tutsis würden sonst denken, dass ihr Feind wärt!“

Tai seufzte und willigte schließlich auch ein.

„Schreibt mir, wenn ihr Hilfe brauchen solltet!“, sagte Izzy. Tai, Sora und Agumon hoben auf Birdramon in die Lüfte ab; Maria folgte ihnen auf Megaseadramon; Yolei, Kari und Gatomon hockten auf Aquilamons Rücken und starteten ebenfalls; Davis, Ken und Wormmon ritten auf Raidramon. Alle nahmen Kurs in Richtung Stadtmitte.
 

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Cody in die Runde. Übrig blieben noch er, Matt, T.K., Izzy, Joe, Mimi und die Zwillinge.

„Wir müssen noch unsere Eltern finden!“, wandte Will ein. „Seit sie uns hierher gebracht hatten, haben wir nichts mehr von ihnen gehört. Auch unsere Digimon konnten sie nicht finden.“

Matt schritt auf die drei Kinder zu: „Sagt mal, wisst ihr zufällig mehr über diesen Typen, der die Menge aufeinander gehetzt hat? Ihr hattet gemeint, er hätte ein Digimon bei sich gehabt - aber das würde ja bedeuten, dass er ein Digiritter ist!“

Die drei Kinder schauten sich an und schüttelten den Kopf. „Wir wissen nicht viel über ihn, außer dass sein Digimon unheimlich stark ist! Selbst unsere Partner konnten nichts gegen ihn ausrichten, auch zusammen nicht!“

Izzy keuchte: „Aber eure Digimon sind doch schon alle auf dem Ultra-Level! Soll das etwa heißen…“

Die Kinder nickten - und allen in der Runde blieb der Atem stecken.
 

-------------------------------
 

Tai saß wortlos auf Birdramon und schaute unruhig zu Sora. Sie war wie ausgewechselt, seit sie in Ruanda angekommen waren - im negativen Sinne, denn ihm fiel auf, wie sie ungeduldig und drängend, nahezu panisch auf alles reagierte. Eigentlich müsste er sie verstehen, denn hier tobte ein Bürgerkrieg - und sie hatte Recht, dass tausende von Menschenleben in Gefahr waren.

Aber dem Braunhaarigen gingen immer wieder die Aussagen von Izzy durch den Kopf:
 

„Merkst du das denn nicht, Tai? Unsere Gegner sind unseren Digimon überlegen, aber nicht weil sie besonders stark sind! Sondern sie steigen mit einem konkreten Plan in den Kampf ein. Und wir müssen uns dagegen wehren und einen Gegenplan erarbeiten!“
 

Es war gefährlich, sich einfach so ins Getümmel zu stürzen. Und er hatte vorhin auch versucht, es Sora klarzumachen. Aber sie hatte ihn einfach im Wort unterbrochen… und nun waren sie ohne konkreten Plan auf dem Weg zum Brandherd. Hoffentlich würde das gut gehen…
 

Ein riesiger Knall ertönte plötzlich, woraufhin die beiden erschrocken zusammenzuckten und im nächsten Moment sahen sie, wie unter ihnen in einem Haus Feuer ausbrach. Schreie und weitere Detonationen waren danach zu hören, auf einmal mischten sich Schussgeräusche hinein. Es wurde unten anscheinend heftig gekämpft.

Auf den Straßen gingen immer wieder Bomben hoch und mehrere Autos brannten lichterloh. Viele der Kämpfer haben sich in Häusern verschanzt und feuerten von dort aus.

In einer Gasse beobachten sie jedoch, wie zwei gegnerischen Gruppen mit Nahkampfwaffen aufeinander losgingen. Sie waren keine 100 Meter mehr entfernt.

„Wir müssen runterfliegen, sofort!“

„Warte doch!“, warnte Tai sie. „Was hast du vor?“

„Wir müssen sie davon abhalten zu kämpfen!“

„Das ist lebensgefährlich, Sora!!“

„Und was schlägst du stattdessen vor?!?“

Tai schaute Sora besorgt an; sie schien völlig die Nerven zu verlieren. Vermutlich hatte sie in ihrer kurzen Aufenthaltszeit hier schon einiges erlebt. Sie hatte ihm noch in Japan einmal davon erzählt, wie instabil hier die Lage vor wenigen Jahren gewesen war.

„Da runterzufliegen und mit ihnen zu reden bringt doch gar nichts! Sie würden uns nicht verstehen! Und außerdem könnten sie auf dich schießen! Wir müssen erstmal einen Plan aushecken, wie wir sie stoppen!“, versuchte Tai, sie zu beruhigen.

„Ich weiß schon, was wir machen werden…“, war ihre knappe Antwort, worauf sie ein Stirnrunzeln von Tai erntete.

Im nächsten Moment kamen Maria und ihr Digimon auf gleicher Höhe mit Birdramon. Sora winkte ihr zu: „Maria, wir müssen sie unbedingt aufhalten!“

Die Angesprochene sprang von ihrem Digimon ab und landete auf Birdramons rechter Kralle neben Sora. „Ja okay, aber ihr kommt bitte mit runter! Ihr und eure Digimon müsst mir Rückendeckung geben!“

„Wieso unsere Digimon?“

„Sie halten die Digimon wohl für übermächtige Geschöpfe. Das wird uns helfen, die beiden Lager zu beruhigen…“
 

„LICHTSPEER!“

Megaseadramon feuerte seine Attacke hoch in die Luft und brachte die ganze Gegend zum Erleuchten. Abrupt stoppten jegliche Schussgeräusche in der Gegend und es wurde plötzlich still. Die zwei Lager, die aufeinander losgehen wollten, blieben stehen und sahen nach oben. Über ihnen entdeckten sie das riesengroße Meeres Digimon, dessen Kopf hell glänzte.

Maria, Tai, Sora und Agumon sprangen von Birdramon herab. Maria hob die Arme. Sie begann auf Ruandisch zu reden; Sora konnte nur mutmaßen, dass sie die beiden Seiten dazu aufforderte, mit dem Kämpfen aufzuhören.

Die eine Seite regte sich nicht und staunte weiterhin über Megaseadramon, das weiterhin in der Luft zu stehen schien. Plötzlich setzte sich die andere Lagerfront in Bewegung und zog sich zurück.

„Die hauen ab…“, stellte Tai fest.

„Wenigstens haben wir jetzt vorerst Ruhe…“, erwiderte Maria nüchtern. Sie schritt auf die Leute zu, die geblieben sind und nun den Blick auf sie richteten. Einer der Kämpfer erkannte sie und freute sich sichtlich über ihr Erscheinen.

Sora verstand: Bei den Leuten handelte es sich wahrscheinlich um Tutsis, denn ihre Gastfamilie gehörte ebenfalls zu dem Bevölkerungsstamm. Das bedeutete, dass die anderen Rebellen, die sich gerade zurückgezogen hatten, anscheinend Hutus waren. Diese beiden Lager kämpften nun wieder gegeneinander, doch diesmal schien es etwas Endgültiges zu haben. Die 18-Jährige wurde das Gefühl nicht los, dass es diesmal einen Gewinner und einen Verlierer geben würde - nichts dazwischen, nichts Verhandelbares. Was sollte sie jetzt nur tun? Wie konnte sie bloß erreichen, dass diese beiden Stämme, die doch nach all den Jahren wieder friedlich zusammenleben konnten, aufhören sich gegenseitig zu bekämpfen?
 

„Darf ich euch vorstellen?“

Maria war mit den Tutsis zu Tai und Sora gekommen. „Das sind meine Freunde! Wir kennen uns alle zwar nicht so gut, aber wir sind alle Tutsi. Wir behandeln uns wie Brüder und Schwester.“

Sora lächelte matt: „Das ist ja schön und gut… aber was ist mit den Hutu? Ich meine, ihr habt doch jahrelang mit ihnen kein Problem gehabt. Wieso kämpfen deine Freunde wieder gegen sie?“

Einer der Kämpfer trat hervor; er sah sehr muskulös und trainiert aus. „Eigentlich wollen wir nicht gegen sie kämpfen, aber sie zwingen uns dazu! Vor ein paar Tagen fingen sie an, uns grundlos anzugreifen. Seitdem trauen wir uns nicht mehr ohne Waffen auf die Straße und verschanzen uns eher in den Häusern. Leider erobern sie immer mehr Viertel der Stadt, rücken bedrohlich vor und sind grausam in ihren Taten. Deswegen müssen wir sie aufhalten! Sonst töten sie uns noch alle…“

„Aber es muss doch irgendeine Möglichkeit geben, diesen Kampf ohne Blutvergießen zu beenden! Es muss doch eine Lösung geben!“, meinte Sora…

Ohne Vorwarnung kam ein zweiter Tutsi hervor und zeigte auf Tai. Sein Blick verschärfte sich. „Du da! Du bist doch derjenige, der die Hutu gegen uns aufgehetzt hast, oder?“

Der Braunhaarige fiel aus allen Wolken: „Was?!? Wovon reden Sie? Ich soll…“

„Tu nicht so! Du siehst genauso aus wie der Typ, das weiß ich ganz genau!“, rief derselbe noch lauter und sah den 18-Jährigen noch schärfer an. Der Beschuldigte wusste nicht, was er tun sollte und wich instinktiv ein wenig zurück…

Maria schritt plötzlich dazwischen und wies den Ankläger zurecht: „Er ist es nicht! Er war die ganze Zeit woanders gewesen. Ich hab es genau gesehen…“

„Bist du sicher?“, fragte wieder der erste Tutsi.

„Ganz sicher!“, erwiderte Maria. „Ich war zuerst auch ein wenig skeptisch, aber dann hat meine Freundin hier mich überzeugt. Und ihr vertraue ich…“
 

„Wo bleiben eigentlich die anderen?“, fragte Sora Tai, der nur ein Achselzucken von sich gab.

„Weiß ich doch nicht. Du wolltest ja unbedingt so schnell hierher, wahrscheinlich haben sie uns auf dem Weg verloren…“

Die Brünette sah ihn entrüstet an: „Was soll denn das bitte heißen? Bin ich etwa schuld daran?“

„Das habe ich nicht behauptet, aber wenn du das so sagst…“, antwortete der Braunhaarige gereizt zurück.

„Ach lass mich doch in Ruhe!“

Maria schritt zwischen den beiden und beendete den kleinen Streit: „Gehen wir sie doch suchen. Sie dürften nicht weit sein…“

„BLAUER DONNERSCHLAG!“

Ein Zischen erfüllte plötzlich die Luft und eine Barrikade unweit von ihnen zersprang unter der Wucht von Raidramons Attacke. Davis und Ken ritten ihnen mit großer Geschwindigkeit entgegen.

„Da sind sie ja…“, freute sich Tai - der aber innerhalb weniger Momente verstand, warum die beiden es so eilig hatten. Mit einem Male nahm der Geräuschpegel zu und hinter den Neuankömmlingen erschien eine Horde aufgebrachter Menschen. Sie waren bewaffnet.

„Wir müssen fliehen! Sie wollen uns angreifen!!“, rief Davis ihnen zu.

Tai zögerte keine Sekunde, doch Sora hielt ihn am Arm fest. „Sieh nur, die Tutsis!“

Der Braunhaarige sah, wie sich die Tutsis kampfbereit machten und der bevorstehenden Schlacht stellten. „Wir müssen sie unbedingt aufhalten!“, rief die 18-Jährige verängstigt.

„Das geht nicht! Wir müssen hier verschwinden, sonst werden wir auch noch einen Kopf kürzer gemacht, Sora!“, rief Tai zurück.

Maria kam zu den beiden: „Keine Sorge, überlasst das mir!“ Sie winkte Megaseadramon zu: „Verjag sie!“ Das Digimon wusste Bescheid und bereitete sich vor, seine Attacke abermals in die Luft zu feuern…

Doch urplötzlich hörten alle Beteiligten, wie sich über das Geräusch der aufgebrachten Hutu-Mobs ein lautes Geheul legte. Hinten den Rebellen erhob sich eine Silhouette, die eine Kriegergestalt hatte und schoss mit einer unfassbaren Geschwindigkeit auf Megaseadramon zu.

„DRACHENKILLER!“

Das Wesen verpasste dem Meeres Digimon einen kräftigen Hieb, welches daraufhin sofort schmerzerfüllt abstürzte, etliche kleine Häuser unter sich zertrümmerte und eine gigantische Staubwolke verursachte. Die Erde bebte und alle in der Umgebung sanken zu Boden. Maria schrie auf: „Oh nein! Megaseadramon!!“

„Was war das?!“, hakte Tai nach und sah zu dem Wesen auf, das gerade Marias Digimon zu Boden gebracht hatte. Seine Augen weiteten sich, als er es erkannte. „Das gibt es nicht…“
 

--- Blackwargreymon

--- Level: Mega

--- Drachen Digimon

--- Typus: Unbekannt

--- Attacke: Schwarze Planetenkraft
 

„Das kann nicht sein! Wie kommt es wieder hierher?“

Eine bekannte Stimme gab sich zu erkennen: „Aha, sieh mal einer an! Wurde auch Zeit, dass die feige Bande sich zeigt!“

Tai, Sora und Maria reagierten und schauten auf ein nahegelegenes Dach eines kleinen Hauses, von wo der Satz kam. Zweien verschlug es die Sprache, Maria jedoch rief: „Da ist der Typ! Das ist er!“

Tai stammelte vor sich hin. Das war doch nicht möglich. „Das - das - bin ja ich!“

Der Braunhaarige blickte den Menschen auf dem Dach steinerstarrt an. Er hatte Recht: Sein Gegenüber glich ihm wie aus einem Guss. Das Aussehen war komplett gleich und auch körperlich war er ein Spiegelbild des 18-Jährigen. Nur einen Unterschied konnte er trotz der mittleren Dunkelheit noch erkennen: Die Haar- und Hautfarbe seines Doppelgängers war pechschwarz - genauso wie die bösartigen Digimon, denen sie bis hierhin begegnet waren. War es etwa auch ein Soldat von Dragomon?

Tai erwachte aus seiner Starre, schüttelte sich kurz und rief zu seinem Ebenbild: „Wer bist du?!“

Der rätselhafte Mensch lachte höhnisch auf: „Wer ich bin? Sag mal, hast du Tomaten auf den Augen? Ich bin Tai!“

„Das ist nicht wahr! Hier auf dieser Welt gibt es nur einen Tai! Und der bin ich! Hast du das verstanden!?“, schrie der 18-Jährige aufbrausend zurück.

Wieder entfuhr es seinem Doppelgänger ein hämisches Lachen: „Du hast ja keine Ahnung - und trotzdem gebe ich dir Recht! Hier auf dieser Welt darf es nur einen Tai geben!“ Sein Blick schärfte sich: „Und der werde ich sein! Das wirst du noch früh genug erfahren!“ Er rief zu der aufgebrachten Hutu-Schar: „Attacke, meine Brüder!“

Die Hutus schrien auf, setzten sich in Bewegung und rannten bedrohlich auf die Digiritter zu.

„Tai! Wir müssen sofort hier weg!“, rief Davis, der mit Raidramon zu ihm und Sora kommen wollte. Doch ein weiterer Schrei, der einem Schlachtruf gleichkam, ließ auch die Tutsi-Front in Bewegung setzen.

Die beiden verfeindeten Gruppen kamen sich erbarmungslos näher. Gleich würden sie kämpfen und es konnte für alle Beteiligten sehr gefährlich werden. Tai stand auf, schaute sich um und zog die beiden Mädchen mit sich in das nächstgelegene Haus.
 

Die Lage war aussichtslos eskaliert. Zunächst hörte man nur das Gebrüll der beiden Lager, doch später mischten sich auch die Schreie von Gefallenen hinzu. Keiner der anwesenden Digiritter vermochte sich vorstellen, was da gerade geschah.

Sora und Maria lehnten sich gegen eine Wand und schauten verängstigt umher. Davis und Ken tauchten am Eingang auf und liefen zu ihnen. Tai bemerkte, dass die Digimon der beiden nicht bei ihnen waren.

„DESPERADORAKTEN!“

„SCHWARZE PLANETENKRAFT!“

Eine ohrenbetäubende Explosion war zu hören. Das Gebäude, in dem sie sich befanden, wurde in seinen Grundfesten erschüttert. Die Mädchen schrien auf und Tai wurde durch die plötzliche Eruption auf den Boden geworfen.

„Seid ihr in Ordnung?“

„Es geht schon“, hustete Davis kräftig. „Wir müssen hier schnellstens weg! Paildramon kann Blackwargreymon nicht mehr länger in Schach halten, und hier ist es viel zu gefährlich!“

Tai wandte sich an Agumon: „Meinst du, du schaffst es, auf’s Mega-Level zu digitieren?“

Das Dino-Digimon schaute unsicher zu dem Braunhaarigen, strengte sich dann ein paar Mal an, aber setzte sich ein paar Momente später erschöpft auf den Boden: „Nein, es klappt nicht. Ich kann nicht zu Wargreymon digitieren…“

Tai fluchte kurz. Draußen waren immer noch Schreie und Kampfgeräusche zu hören. Wie sollten sie diesen Kampf gewinnen, wenn keins ihrer Digimon auf das Mega-Level digitieren konnte? Es musste eine Lösung geben - und die musste er mit Izzy erarbeiten.
 

Eine weitere Explosion erschütterte das Gebäude, diesmal zersplitterte die Wand eines anderen Raumes. Nachdem die darauffolgende Staubwolke entwichen war, entdeckte Tai ein riesiges Loch. In diesem Loch standen zwei Personen, die alle nur zu gut kannten.

„Kari! Yolei!“

„Hier steckt ihr also!“, sagte Yolei und lief durch das Loch.

„Wir müssen schleunigst zurück zu den anderen! Hier können wir nicht bleiben…“, meinte Kari und forderte alle zum Aufstehen auf.

Die anderen nickten, standen auf und liefen auf das Loch zu - nur Sora kauerte immer noch verängstigt an derselben Stelle. Tai bemerkte dies und versuchte, sie heraufzuziehen - doch er hätte ihr nur den Arm abgerissen, wenn er noch stärker gezogen hätte. Also bückte er sich runter: „Hey Sora, was hast du denn? Geht’s dir nicht gut?“

Nun schaute Sora zu ihm auf, und ihr Gesichtsausdruck rief seine Besorgnis in ihm hervor. Sie hatte Tränen in den Augen, die ihr schon längst über die Wangen liefen. Sie schluchzte: „Ich… ich habe… versagt - ich… ich habe… es nicht geschafft - sie bringen sich… alle… um…“

„Unsinn!“, versuchte Tai, ihr Mut zu machen. „Wir können es immer noch schaffen! Wir müssen jetzt aber zurück, um einen Plan zu erarbeiten, damit…“

„Es ist zu spät… sie… sie kämpfen bereits… sie bringen sich alle um… es ist… zu spät…“, kam es nur weiter aus ihr heraus. Danach vergrub sie ihr Gesicht.

Tai war verzweifelt und schaute zum Loch, wo Kari auf ihn wartete. Er winkte sie zu sich. Zusammen hoben die beiden Sora wieder auf die Beine, trugen jeweils einen ihrer Arme und schritten durch das Loch hinaus. Sie waren in einer kleinen dunklen Gasse gelandet.

„LAVAKUGEL!“

Ein Lichtblitz hellte die Gasse kurz auf. In der Luft kämpften Silphymon und Paildramon gegen Blackwargreymon. Sie feuerten unentwegt auf das schwarze Digimon, jedoch schienen ihre Attacken nichts zu bewirken.

„Wir müssen ihnen irgendwie helfen, alleine schaffen sie das nicht!“, meinte Tai und sah Agumon ernst an. „Tun wir das, was uns gerade zur Verfügung steht! Also los, Ultra-Digitation!“
 

« Agumon digitiert zu – Greymon! »

« Greymon Ultra-Digitation zu – Metalgreymon! »
 

Biyomon schaute besorgt zu ihrer Partnerin: „Lass mich bitte digitieren! Sonst wird alles nur schlimmer!“

Die Orangehaarige regte sich und sah das Vogeldigimon unentschlossen an. Schließlich willigte sie ein und griff nach ihrem Digivice.
 

« Biyomon digitiert zu – Birdramon! »

« Birdramon Ultra-Digitation zu – Garudamon! »
 

Die beiden Ultra-Digimon erschienen in der Luft und machten sich auf den Weg in den Kampf. Tai war sich nicht sicher, ob das eine gute Idee war, zwei Digimon mit solch riesigen Größen in den Kampf gegen Blackwargreymon zu schicken. Es war klein gewachsen, unheimlich schnell und verdammt stark. Aber vielleicht würde die bloße Anzahl an Gegner dem schwarzen Drachendigimon zum Verhängnis werden, hoffte der Braunhaarige.

„Hauen wir hier ab!“, meinte Yolei und lief die Gasse hinunter. Die anderen folgten ihr und verließen den Kampfbereich.

„Weißt du denn, wo es langgeht?“, fragte Ken.

„Wir haben uns herangeschlichen, als wir Blackwargreymon gesehen haben. Über diesen Weg müssten wir wieder zurück in das Gebiet kommen, wo die anderen auf uns warten…“, meinte sie und bog in die nächste Gasse links ab. Die anderen Digiritter hatten Mühen, ihr zu folgen. Immer wieder blitzte es auf und Explosionen waren zu hören.

„Und was wird aus unseren Digimon, Yolei?“, fragte Tai.

„Denen haben wir gesagt, dass sie Blackwargreymon fünf Minuten lang in Schach halten und sich dann zurückziehen sollen!“

„Du meinst, wenn sie das noch können!“, seufzte Davis und lief weiter - bis er plötzlich abrupt stoppte. Die anderen taten ihm das gleich, denn aus den Gassen vor ihnen strömten plötzlich Dutzende bewaffneter Menschen heraus.

„Oh nein!“, stöhnte Kari. „Rebellen! Zu welcher Gruppe gehören sie, Maria?“

„Jedenfalls nicht zu den Tutsis“, meinte die junge Digiritterin mit einer bösen Vorahnung.

Ein Gelächter schallte über den Digirittern herab. „Na endlich, hab ich euch nun gefunden!“ Tai schaute auf; er erkannte seinen schwarzen Doppelgänger, der auf einem Häuserdach stand. Dieser zögerte keine Sekunde weiter: „Auf sie! Holt sie euch!“

Die Rebellen zückten ihre Waffen und liefen brüllend auf die Digiritter zu. Tai und die anderen machten sofort kehrt und rannten zurück. Sie waren derzeit total wehrlos; ihre Digimon waren in dem Kampf gegen Blackwargreymon verwickelt und sie hatten keine Waffen bei sich. Also blieb nur die Flucht…

Immerhin waren Metalgreymon und Garudamon aufgrund ihrer Größe gut aus der Ferne zu erkennen. Tai und Yolei liefen voraus und versuchten, die Digimon herzurufen. Davis und Ken rannten ihnen hinterher. Kari und Sora waren die Hintersten, während die Rebellen unaufhaltsam sie einholten. Die beiden Mädchen waren zu langsam…

Plötzlich spürte Sora, wie der Boden, auf dem sie trat, plötzlich nachgab. Unter ihrem Fuß entstand ein Loch, sie stolperte und fiel schreiend zu Boden. Kari hielt an und versuchte ihr hoch zu helfen, doch in diesem Moment sprangen zwei Rebellen den beiden in den Rücken und hielten sie fest.

Tai, Yolei, Davis und Ken stoppten und mussten entsetzt ansehen, wie die Rebellen Sora und Kari schlugen und überwältigten. „SORA! KARI! NEIN!!“ Tai wollte sich seine Schwester und seine Ex-Freundin zurückholen, Davis und Ken hielten ihn mühevoll fest. „Tai, bitte! Du darfst ihnen nicht auch noch in die Hände fallen“, versuchte Davis auf ihn einzureden.

„LASST SIE FREI, VERDAMMT NOCHMAL!! …“, schrie der Braunhaarige in seiner Verzweiflung und versuchte sich loszureißen, während er ansehen musste, wie die beiden Mädchen verschleppt wurden.

Wiederum ertönte die Stimme seines schwarzen Doppelgängers von den Dächern: „Worauf wartet ihr? Schnappt euch die anderen! Lasst sie nicht entkommen!“

Die nachrückenden Rebellen machten unverzüglich wieder Jagd nach den restlichen vier Digirittern. Ihnen blieb nichts übrig als weiter zu laufen. Davis zerrte Tai mit sich, während dieser weiter fluchte und schrie. „Hilf mir mal, Ken! Ich kann ihn bald nicht mehr halten!“
 

„GIGASCHLAG!“

„FLÜGELKLINGE!“

„DESPERADORAKETEN!“

„LAVAKUGEL!“

„SCHWARZE PLANETENKRAFT!“

Die folgende Explosion hätte man wahrscheinlich noch hunderte von Kilometern weiter wahrgenommen. Über Kigali entstand eine riesige Sonne, die die ganze Stadt und vermutlich auch ganz Ruanda erleuchtete. Erst nach mehreren Sekunden wurde der Feuerball schwächer, verpuffte schließlich und hinterließ die Stadt im Dunkeln.

Tai blinzelte und wachte langsam aus seiner Benommenheit auf. Er lag auf dem Boden - genauso wie die anderen Digiritter auch. Etwas weiter entfernt sah er die Hutu-Rebellen, die genauso reglos auf der Straße lagen. Die Druckwelle der Explosion hatte vorhin alle Beteiligten mit einem Male von den Füßen gerissen.

Der Braunhaarige rappelte sich wieder auf und versuchte die anderen aufzuwecken: „Hey Leute, wacht schnell auf! Wir müssen weiter, bevor…“

Doch er musste innehalten. Denn sein Blick fiel auf die kleinen Geschöpfe, die plötzlich aus der Luft ungebremst auf den Boden fielen und hart aufklatschten.

„Oh nein! AGUMON!“ Tai lief sofort auf sein Digimon zu und musterte ihn besorgt; es atmete zwar noch, war aber verletzt und nur noch halb bei Bewusstsein. Neben Agumon lagen noch Biyomon, Veemon, Wormmon, Hawkmon und Gatomon auf dem Boden - ebenso verletzt und fast ohnmächtig. Die anderen Digiritter waren mittlerweile auch wieder aufgewacht und gingen mit entsetzten Gesichtern zu ihren Digimon.

„Es tut mir Leid, Tai - aber wir haben keine Chance gegen Blackwargreymon…“, keuchte Agumon heraus.

Der 18-Jährige nahm die Nachricht mit Fassung auf. Die Situation sah nicht gut aus für sie: Erst erscheint ein Möchtegern-Doppelgänger mit einem Mega-Level-Digimonpartner und greift sie an; dann werden noch seine beiden Liebsten entführt und diese schwebten nun in Lebensgefahr. Er musste irgendetwas tun, aber was…

Unmittelbar über ihm hörte er ein leises Knurren. Der Braunhaarige sah hoch und erblickte Blackwargreymon schwebend über den Dächern. Sein schwarzer Doppelgänger war nicht weit von ihm entfernt. Dieser grinste schamlos, was Tai trotz der Entfernung sehen konnte und in ihm die Wut aufkochen ließ.

Plötzlich hörte er Schrittgeräusche und drehte sich um; die Rebellen waren wieder auf den Beinen, hatten die Waffen gezückt und kamen langsam auf sie zu. Die Digiritter nahmen ihre Digimon in die Arme und wichen zurück. Sie wurden jedoch bereits schnell umzingelt und konnten nicht mehr fliehen. Tai und die anderen spürten hinter sich eine Häuserwand, an die sie gedrängt wurden. Die Hutus kamen immer näher…
 

Ein unerwartetes Vibrieren des Bodens lenkte die Aufmerksamkeit der Hutus plötzlich auf sich - und im nächsten Moment gab der Boden unter den Rebellen nach; ein riesiges Erdloch verschluckte die ganze Hutu-Schar. Die Digiritter, vor denen sich eine große Erdspalte auftat, blickten rätselnd umher.

„Was war das?“, fragte sich Tais böses Double auf dem Dach - da sah er, wie sein Digimon plötzlich von einem Bumerang-artigen Geschoss hinten getroffen wurde und einen Satz nach vorne machte. Von weitem nahm er ein anderes Digimon wahr, das wie ein Roboter aussah und unten auf der großen Hauptstraße emporblickte. Es war Andromon.

„Davis! Tai!“

Die Stimme von Matt holte die Digiritter aus ihrer Trance. Tai bemerkte, wie sein bester Freund mit seinem jüngeren Bruder T.K., Cody, Izzy und den zwei Zwillingen Dan und Will vor ihm auftauchten.

„Verschwinden wir hier, solange wir können!“

„Wie habt ihr uns bloß gefunden? Und woher kommt dieses plötzliche Erdloch?“, fragte Yolei verwundert.

„An den Kampfgeräuschen konnte man ziemlich gut erkennen, wo ihr gerade wart. Und bedankt euch bei Digmon, dass ihr nicht gefangengenommen wurdet“, meinte Cody und zeigte auf sein Digimon, das hinter ihm auftauchte.

„Bedanken könnt ihr euch noch später! Schnell, machen wir, dass wir hier wegkommen!“, rief Izzy. Hinter ihm in der Luft erschienen nun Megakabuterimon, Lilymon und Megaseadramon. Maria freute sich sichtlich, ihr Digimon wiederzusehen und winkte es herbei. „Los, klettern wir auf Megaseadramon und fliegen weg!“

Die anderen zögerten keine Sekunde und liefen auf das riesige Digimon zu, das auf der großen Hauptstraße „geparkt“ hatte.

„Blackwargreymon! Mach sie fertig und…“

„GARURUKICK!“

Eine breite Energiesichel steuerte auf den schwarzen Doppelgänger zu, der gerade dran war, sein Digimon auf die Digiritter zu hetzen. Er sprang vom Gebäude herab; der folgende Einschlag der Attacke zerstörte einen Teil des Daches, auf dem er sich noch vorhin befunden hatte.

„Sehr gut, Weregarurumon!“, rief Matt zu seinem Digimon, das auf einem anderen Häuserdach stand. „Und jetzt hauen wir endlich hier ab!“

Die Digiritter, mittlerweile alle auf Megaseadramon geklettert, stiegen mit dem Meeresdigimon in die Lüfte und schwirrten davon.

„Hinterher, Blackwargreymon!“, hörten sie Tais schwarzen Doppelgänger rufen. Sein Digimon gehorchte und nahm die Verfolgung auf.

„HORNSCHLAG!“

„BLUMENKANONE!“

„KRAFT DES LICHTES!“

„SPIRALSCHWERT!“

Von der Vielzahl der Attacken bildete sich eine zweite Sonne über Kigali, die zwar nicht so groß wie die erste, aber zumindest effektiv genug war, um das schwarze Drachendigimon aufzuhalten. Nachdem auch dieser Feuerball erlosch, kehrte die Dunkelheit wieder ein. Die Digiritter waren entkommen.
 

Tais schwarzes Double blickte der dunklen Nacht entgegen; auf seinem Gesicht bildete sich ein teuflisches Grinsen: „Dann eben nicht dieses Mal! Aber beim nächsten Kampf werdet ihr es noch bedauern, jemals geboren worden zu sein! Und das werden meine zwei hübschen Mädchen am ehesten zu spüren bekommen!“

Der schwarze Doppelgänger (Teil 2)

Kigali erlebte bereits seine fünfte Nacht ohne Ruhe, Schüsse und Explosionen waren hier und da zu vernehmen. Die anfangs hart umkämpfte Stadtmitte gehörte bereits den Hutus und von dort aus drängten sie in die restlichen Stadtgebiete vor. Die Tutsis waren zwar zahlreich, jedoch nicht so gut organisiert - von daher waren die Hutus ihnen strategisch überlegen und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie die ganze Stadt für sich einnehmen würden.

Niemand wusste, wieviele Menschen diesem neuen Bürgerkrieg bereits zum Opfer gefallen waren, doch es handelte sich definitiv um eine Zahl im vierstelligen Bereich. Der Osten der Stadt - ein Stadtteil, wo besonders viele Tutsis lebten - ist mittlerweile fast total zerbombt worden; auch der Süden glich teilweise einer rauchenden Ruinenlandschaft.
 

Im Osten der Stadt hatten die Hutus ihre Basis in der Nähe des Flughafens errichtet, von dort wurden alle Operationen dirigiert. Auch ein eigenes provisorisches Gefangenenlager wurde dort errichtet, nachdem man versucht hatte, durch Gefangennahme ranghoher Tutsis - wie unter anderem den ruandischen Präsidenten Paul Kagame - den Stamm in die Knie zu zwingen.

In dieses Gefängnis wurden nun zwei weitere Gefangene eingeliefert. Sie waren beide gefesselt, immer noch bewusstlos und wurden auf Tragen transportiert. Die dunklen Gänge wurden nur durch kleine Glühbirnen spärlich beleuchtet, rechts und links standen mehrere bewaffnete Wachmänner, deren scharfen Augen nichts entging.
 

Währenddessen unterhielten sich im Nebenzimmer zwei raue Gestalten…
 

„Sie ist es wirklich! Willst du damit etwa sagen, dass ich halluziniere?!“

„Aber ich bin mir ganz sicher, dass sie so gut wie tot war!“

„Diese Digiritter sollte man nicht unterschätzen. So leicht sind die nicht kleinzukriegen!“

„Und wieso hast du sie nicht sofort erledigt, als du sie gefunden hast?“

„Ich hatte gehofft, dass sie mir nützlich sein würde, die Artefakte zu finden, nach denen sich unser Meister so sehr sehnt. Aber ich konnte ja nicht ahnen, dass sich die Kraft in nichts und wieder nichts sofort auflöst!“

Ein genervtes Brummen unterbrach das Gespräch kurz. „Die Artefakte können jetzt erst einmal warten! Was machen wir jetzt mit den beiden?“

„Vorerst nichts! Das sind zwei perfekte Lockvögel, die anderen Digiritter werden früher oder später einen Angriff auf das Gefängnis starten. Da können wir sie in einen schönen Hinterhalt locken…“

„Gut, ich hole Verstärkung! Achte mir ja darauf, dass diese orangehaarige Digiritterin nicht noch einmal entwischt. Die scheint ja alles zu überleben…“

Mit einem plötzlichen Zischen verschwand einer der Gestalten von der Fläche und der andere verließ den Raum auf konventioneller Weise durch die Hintertür…
 

Eine unsanfte Landung riss Sora ins Bewusstsein zurück und sie erblickte auf dem Boden liegend unscharf zwei maskierte Männer, die bereits wieder den Raum verließen und die Tür von außen verschlossen. Die Orangehaarige blickte um sich: Sie wurden in einem Raum eingesperrt, der bis auf einen winzigen Lüftungsschacht und eine Lampe mit sonst nichts ausgestattet war. Das Licht der Lampe war spärlich und flackerte leicht, Möbel und Fenster gab es schon mal gar nicht.

Wenigstens waren sie so gütig und haben sie nicht gefesselt im Raum gelassen, dachte sie sich…

Ein leichtes Stöhnen hinter ihr ließ die Orangehaarige umdrehen, und sie fasste sich zunächst erschrocken ans Herz. Kari lag leicht benommen hinter ihr, doch die Hutus hatten ihr schwer zugesetzt. An Kopf, beiden Armen und Beine waren mehrere kleine Wunden und blaue Flecken zu erkennen. In dieser Verfassung sah Kari einfach schrecklich aus, die Kerle wussten anscheinend keine Manieren gegenüber Frauen zu haben.

Die Augen der Braunhaarigen öffneten sich langsam und sie kam wieder zu sich. Sie erblickte der Ältere vor sich: „Sora - was ist passiert?“

Die Angesprochene ging zu der 15-Jährigen und deutete ihr zunächst an, liegen zu bleiben. „Weiß ich selbst nicht genau, aber so wie’s aussieht - mal wieder verschleppt!“, meinte sie dann mit halber Stimme. Sora bemerkte selber, dass sie so seltsam emotionslos und gelassen blieb. Wahrscheinlich hatte sie sich an diesen Zustand gewöhnt, ständig entführt zu werden. „Und wer weiß, ob wir dieses Mal auch lebend wieder hier rauskommen…“
 

-------------------------------
 

Eine seltsame Ruhe herrschte im Untergeschoss der Kapelle, wo sich die Digiritter aufhielten. Tai, Izzy, T.K. und Cody waren in den Fluchttunnel gestiegen, eine Fackel und das Licht von Izzys Laptop beleuchteten den dunklen Raum schwach.

Genai hatte durch die Daten, die Karis D-Terminal ständig an den Hauptrechner übermittelte, ausgemacht, dass die beiden Mädchen zum Flughafen gebracht wurden. Diese Information gab er sofort an Izzy weiter, und seitdem sich die Digiritter zurückgezogen hatten, vergingen mehr als zwei Stunden, in denen der Rotschopf und die anderen mehrere Pläne zum Befreien der zwei Geiseln schmiedeten und sich auf die bevorstehende Operation vorbereiteten. Jedoch bedeutete das genauso, dass die Feinde zwei Stunden Zeit hatten, ihre Truppen zu sammeln und weiter in die Stadt vorzudringen. Außerdem könnten sie Sora und Kari in der Zeit etwas angetan haben… sie könnten sogar schon tot sein, was Tai rasend machte. Sie hatten nicht mehr viel Zeit übrig, um eine drohende Katastrophe abzuwenden…

Der 18-Jährige schaute ungeduldig hin und her: „Was ist, Izzy? Können wir loslegen?“

Zu seiner Verwunderung bejahte Izzy seine Frage ausnahmsweise einmal: „Wir können anfangen! Ich habe den Laptop jetzt so eingerichtet, dass er durch ein Relais immer mit dem Datenempfänger, der in der Kapelle liegt und uns mit GPS-Daten versorgt, verbunden ist. Das heißt: Selbst unter der Erde wissen genau, wo wir uns befinden…“

T.K. und die anderen blickten auf den Bildschirm, wo eine große Geländekarte eingeblendet wurde - und auf dem ein blauer Punkt erschien. Sie brauchten nicht einmal fragen um zu wissen, dass dieser Punkt ihren derzeitigen Standort markierte.

„Der Fluchttunnel führt ungefähr zur östlichen Bergsiedlung von Kigali, das ist unweit vom Flughafen entfernt“, meinte Izzy und zeigte auf den besagten Teil der Karte.

„Von dort aus müssen wir uns wohl an der Oberfläche weiter zum Flughafen abtasten…“

Cody schüttelte den Kopf: „Ich glaube nicht, dass wir das müssen! Wir können uns doch einen weiteren Tunnel bis zum Flughafen graben…“

Tai antwortete mit einem Stirnrunzeln: „Du erwartest doch nicht, dass wir mit bloßen Händen buddeln, oder?!“

„Wir doch nicht“, erwiderte der 13-Jährige tadelnd und schaute zu seinem Digimonpartner rüber, „Aber das wird Armadillomon in Form von Digmon für uns übernehmen!“

Das Säugetier-Digimon blinzelte und freute sich nur mäßig: „Oh Mann, wieder Arbeit…“
 

Plötzlich spürten alle Beteiligten einen unangenehmen Luftzug. Tai und Izzy merkten, wie ihnen förmlich kalt im Nacken wurden und schauten sich fragend an. „Dieses Gefühl kommt mir bekannt vor“, meinte der Braunhaarige. „Mir auch“, bestätigte Izzy seine Vermutung und kletterte die Leiter hoch, die zurück zur Kapelle führte. Oben angekommen bemerkte der Rothaarige, wie Matt und Davis draußen standen und starr in Richtung Stadt blickten. „Was ist los?“, wollte er wissen und kam zu ihnen.

„Siehst du auch, was ich sehe?“, meinte Matt mit halb offenen Kinnladen.

Izzy folgte dem Blick - und musste innehalten. Über Kigali breitete sich eine Art schwarzes Loch aus, das immer größer wurde. Nur den Lichtern, die aus der Stadt drangen, war es zu verdanken, dass sie dieses schwarze Loch inmitten der dunklen Nacht erkennen konnten. Er wusste bereits, um was es sich handelte.

„Das Tor…“

„Was für ein Tor?“, fragte Davis und wusste nicht, wovon der 17-Jährige sprach.

„Das Tor zum Meer der Dunkelheit“, vollendete sein blonder Nebenmann. Unlängst wussten nun alle Digiritter, mit welcher Nebenwirkung sich das dunkle Meer ankündigte.

„Warum öffnen die denn hier ein…“

Davis unterbrach sich selbst, nachdem er sah, dass aus dem schwarzen Loch dunkle Gestalten herausströmten und irgendwo in der Stadtmitte landeten. Nun konnte er sich die Antwort selbst ausmalen: „Alptraumsoldaten!“

„Dragomon schickt Verstärkung! Wir müssen irgendwas tun…“, meinte Matt.

„Und was wird aus unserer eigentlichen Operation?“, merkte Tai etwas ungeduldig an, nachdem er auch aus dem Tunnel geklettert kam.

„Kein Problem, Kumpel!“ Matt kam ihm entgegen: „Wir teilen uns auf! Du, Izzy, T.K. und Cody, ihr geht mit Gatomon, Biyomon und euren Digimon die beiden Mädels retten! Der Rest fliegt in die Stadt und wird dort aufräumen! Nebenbei sorgen wir so für ein bisschen Ablenkung; mit etwas Glück werden die glauben, dass alle Digiritter sich in der Stadt aufhalten!“

Tai war sich nicht sicher, ob das klappen würde - aber immerhin klang der Vorschlag von seinem besten Freund logisch und durchdacht. Er nickte: „Also gut, dann machen wir’s so! Aber passt bitte auf euch auf!“

„Ihr ebenso!“, meinte sein blonder Freund und lief mit Davis eiligst zu den anderen Digirittern, die unweit von ihnen standen und das Gespräch mitbekommen zu haben schienen.

Tai schaute sich an, wie sich Matt, Mimi, Joe, Yolei, Davis, Ken, Maria, Dan und Will mitsamt ihren Digimon auf den Weg in die Stadtmitte machten… mitten hinein in die Höhle des Löwen und ohne Wissen darüber, wieviele Feinde sie dort erwarteten. Er war sich sicher, dass seine Aufgabe, Sora und Kari zu befreien, lange nicht so gefährlich war wie die von seinem besten Freund, zusammen mit den anderen Digirittern die Feinde in Schach zu halten…

Der Braunhaarige atmete einmal tief ein und wandte sich zurück an Izzy: „Los, wir starten!“
 

-------------------------------
 

„Kari, was hast du?

Sora bemerkte, wie sich die Augen ihres Gegenübers verengten und sie im Gesicht leicht blass wurde. Doch glücklicherweise war die 15-Jährige noch bei vollem Bewusstsein.

„Ich… spüre etwas, spürst du das nicht auch?“

„Doch“, gab Sora zu. Ihr kam dieses Gefühl auch sehr bekannt vor.

„Ich glaube, das Tor hat sich wieder geöffnet…“, meinte die Jüngere und schaute sich nervös um.

„Meinst du, sie bringen uns wieder dorthin?“

Die Orangehaarige fragte sich, warum sie solche Fragen plötzlich stellte. Aber sie war nicht alleine, vielleicht spürte sie deswegen so eine angenehme Redelust.

„Nein, das glaube ich nicht - das Tor ist irgendwo weit draußen. Wenn es irgendwo hier neben uns wäre, würde ich wohl gar nicht mehr klar denken können…“, antwortete die 15-Jährige mit einem matten Lächeln. Sora konnte es gar nicht glauben, dass sie in dieser Situation noch lächeln konnte. Es war irgendwie komisch; anscheinend kannte sie die Schwester ihres Ex-Freundes wohl schlechter als sie angenommen hatte. „Ja, ich glaube du hast Recht.“ Sie versuchte, auch ein Lächeln zustande zu bringen…
 

Im schwachen Licht war nicht zu erkennen, wie groß der Gefangenentrakt wirklich war. Allerdings schien es draußen in eine Art Halle zu führen, denn man konnte zu allen Geräuschen, die produziert wurden, einen relativ langen Nachhall hören; ab und zu tropfte Wasser von der Decke auf den Boden; Schritte ertönten und Türe quietschten. Doch Personen waren in dieser Dunkelheit keine zu sehen. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, Lichter zu installieren. Alles wirkte ein wenig provisorisch…
 

„Sora, warum bist du eigentlich von zuhause weggegangen?“

Die plötzliche Frage von Kari ließ Sora aufhorchen. Mit so einer Frage hatte sie nicht gerechnet; weswegen wollte sie das wissen?

Sie antwortete locker darauf: „Ich wollte etwas Neues erleben - etwas machen, was nicht viele machen würden. Deswegen bin ich hierhergekommen nach Ruanda…“

„Warst du denn nicht zufrieden mit deiner Situation in Tokyo? Du hattest dort doch alles, um glücklich und erfolgreich sein zu können…“

Die 18-Jährige scheute sich nicht, ihr auf diese durchaus direkten Fragen Antworten zu geben: „Kari, mir ist durchaus bewusst, dass ich ein glückliches Leben hätte führen können. Aber die wenigsten wissen, dass ich sehr abenteuerlustig und offen für neue Erfahrungen bin. Mit den Jahren bin ich einfach sehr satt geworden von der Umgebung in Japan. Jeder Tag lief ab wie der letzte, es wurde mir nichts mehr Neues geboten. Ich will nicht sagen, dass das ein schlechtes Leben war - aber irgendwie hatte ich einfach das Gefühl, dass ich einen Wechsel in irgendeiner Art gebraucht hatte…“

„Verstehe…“

Kari hatte ihr gespannt zugehört. An sich kannte sie ja eigentlich schon die Gründe; ihr Bruder hatte es ihr schon oft genug erzählt, warum sich Sora für einen Tapetenwechsel entschieden hatte. Und dennoch glaubte sie, ihr noch mehr entlocken zu können, wenn sie unter Frauen waren…

„Tai konnte manchmal echt nervig sein, nachdem du hierher gezogen warst. In den ersten Tagen war er einfach unerträglich.“

Nun musste Sora auch lächeln. Es tat irgendwie gut, über ihn zu reden…

„Er war neben meiner Mutter so ziemlich der Einzige, der mich verstanden hatte. Soweit ich mich erinnern kann, hatte er nie auch nur ein Wort gegen meine Pläne gesagt…“

Die Braunhaarige nickte: „Wobei er es gerne getan hätte… du glaubst nicht, wie oft ich mir von ihm anhören musste, dass er dich nie hätte gehen lassen dürfen.“

Diese Aussage von Kari überraschte die Orangehaarige dann doch etwas: „Wirklich?“

„Ja“, antwortete sie knapp, „Was bedeutete, dass er dich wirklich sehr geliebt hat. Und was er immer noch tut, glaube ich…“

Sora seufzte resignierend. An sich stand sie immer noch hinter ihrem Plan, in Ruanda etwas Neues in ihrem Leben aufzubauen. Doch die letzten Tage hatten ihr so dermaßen zugesetzt, dass sie sich oft gewünscht hätte, in die Vergangenheit zu reisen und ihre Entscheidungen für diesen Auslandsaufenthalt umkehren zu können. Sie wusste auch nicht mehr, ob sie sich noch für ein Verbleiben entscheiden würde, sollten sie auch dieses Mal alles heil überstehen und den Gegner besiegen. Dass die Tage über zudem ihre Gefühle um Tai wieder hochkamen, deutete sie zumindest nicht als Signal dafür, noch länger hier bleiben zu wollen.

Sora wollte das Thema vorerst abhaken, sie war derzeit noch sehr durcheinander. Und bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, mussten sie sowieso erstmal befreit werden. Aber wie konnten sie zwischendurch auf andere Gedanken kommen?
 

Da fiel der Orangehaarigen etwas ein…

„Sag mal Kari, wie steht es jetzt eigentlich um dich und T.K.?“

Die 15-Jährige reagierte etwas entsetzt: „Aber Sora… was soll denn zwischen T.K. und mir sein?!“

Sora lachte etwas: „Ach Kari, es ist ja nicht so, dass ich nichts aus eurem Haus mitbekomme! Tai hatte mir erzählt, dass du desöfteren schlechte Laune hattest, als T.K. vor einem halben Jahr nach Australien gegangen ist…“

„Aber das hatte doch nichts mit ihm zu tun gehabt…“, versuchte Kari sich zu rechtfertigen. Sie wurde etwas rot, was Sora bemerkte und leicht amüsierte.

„Schon gut, so hatte ich das nicht gemeint!“, versuchte sie die Jüngere zu beruhigen, ohne von ihrer Linie abzuweichen. „Aber jetzt mal im Ernst: Empfindest du was für ihn? Ihr hattet in der Vergangenheit so viel gemeinsam unternommen.“

Kari schaute verlegen; wäre es jetzt nicht Sora gewesen, würde sie wahrscheinlich auf die Frage ewig schweigen. „Wieso willst du das wissen?“

„Ich habe einfach ein Gespür für sowas, und außerdem ist es nicht so, dass ich mich für mein Umfeld nicht interessiere“, zwinkerte sie der Braunhaarigen zu, die daraufhin lächelnd das Gesicht abwandte.

Zögernd begann sie zu erzählen: „Um ehrlich zu sein - war ich auch nicht diejenige gewesen, die auf ihn zugegangen war. Erinnerst du noch an die Abschiedsparty, die er bei sich daheim gab?“

Die 18-Jährige nickte.

„Damals waren wir schon sehr gut befreundet, und ich hab mit ihm an dem Abend viel geredet. Irgendwann kamen wir auf das Thema Liebe - unter anderem hatten wir auch über euch beide geredet…“

Sora spürte, wie sie leicht rot wurde. Sie wusste selber, dass Tai und sie als Traum- und sogar Vorzeigepaar in aller Munde waren.

„T.K. hatte dann gesagt, dass er auch sehr gerne eine Freundin haben würde und dass er dich und Tai dafür beneidet hatte. Plötzlich hatte er mich gefragt, ob ich auch so denke…“

„Und?“, hakte Sora neugierig nach.

„Ich hatte ihm gesagt, dass ich euch zwar auch sehr beneidet hatte… aber mit meinem jetzigen Leben trotzdem sehr glücklich war. Dann hatte er aber gefragt, ob ich nicht trotzdem fühle, ob mir was fehlt im Leben… tja…“

Kari machte eine kleine Pause und fuhr dann fort.

„… im Folgenden hat er mir erzählt, dass er früher immer dachte, wir wären nur beste Freunde, weil wir nicht ineinander verliebt wären. Das zu denken, ist für ihn heute die größte Ausrede gewesen auf seine wirklichen Gefühle. Er wusste es nur nicht genau zu deuten, und deswegen hatte er mich gefragt, ob er mich küssen dürfte…“

„Und, und??“ Sora wurde immer aufgeregter. Im Folgenden bemerkte sie, wie das Rot ihres Gegenübers immer intensiver wurde.

„Naja, ich hatte es ihm erlaubt - und er hat mich geküsst. Das war für den Moment sehr seltsam…“

„Wie habt ihr darauf reagiert?“

„Naja…“, unterbrach sie sich selbst, ehe sie fortfuhr: „Er hatte danach immer noch sehr ratlos gewirkt. Er meinte dann selbst, dass es ein Fehler war zu glauben, dass er nach dem Kuss sich über seine Gefühle klar werden könnte…“

„Wie naiv“, kicherte die Orangehaarige.

„Naiv? Wieso?“

„Ach Kari, wer ohne Kuss nicht über seine eigenen Gefühle Bescheid weiß, wird es auch mit Kuss nicht wissen! Ein Kuss steht für den Ausdruck der eigenen Gefühle, aber wenn die von vornherein nicht vorhanden sind…“

Kari nickte, Sora hatte vollkommen Recht. Die Braunhaarige hatte ihr verschwiegen, dass sie im Prinzip genauso wie T.K. dachte und auch sie nach einem Kuss Klarheit über ihre eigenen Gefühle haben könnte. Allerdings war das auch bei ihr nicht der Fall gewesen… und nun wurde sie von Sora eines Besseren belehrt.

Die Jüngere erzählte weiter: „Jedenfalls ist dann zwischen uns nicht mehr viel passiert. Aber ich weiß nicht, diese Szene blieb mir noch wochenlang im Kopf - auch nachdem er schon weg war. Ich weiß es nicht…“

Sora hörte aufmerksam zu und musste innerlich selber zurück an ihre Vergangenheit mit Tai denken. Es war verrückt, zwischen ihr und Tai, und Kari und T.K. gab es so viele Parallelen!

„Soll ich dir mal was verraten?“

Kari schaute die Orangehaarige fragend an und bejahte.

„Ich glaube es ist genauso naiv zu sagen, dass Mann und Frau im ganzen Leben immer nur beste Freunde sein können, nur weil man früher nicht ineinander verliebt war. Doch je älter man wird, desto mehr holt einen das Thema Liebe ein - und man fängt auch an, anders über das zu denken, was man früher mal gesagt hatte…“

Die Braunhaarige hörte zu und wusste immer mehr, worauf sie hinaus wollte.

„Schau dir mal meine Zeit mit Tai an; wir beide sind das beste Beispiel für dieses Thema“, lachte die 18-Jährige leicht. „Wir beide hatten unglaublich viel gemeinsam unternommen, waren immer füreinander da, hatten ständig dem anderen aus der Patsche geholfen und uns gegenseitig gut ergänzt…“ - sie seufzte leicht - „Aber wir hatten einen Fehler gemacht: Als wir noch jung waren hatten wir beschlossen, beste Freunde zu bleiben - nur weil wir damals noch sagen konnten, dass wir nicht ineinander verliebt waren. Das hat uns beide eine ewige Zeit lang gehemmt…“

„Du also auch, Sora?“, fragte Kari ungläubig. Sie wusste von den Erzählungen ihres Bruders, dass er sich lange Zeit mit Gefühlen herumgeplagt hatte, die nicht sein durften. Er wollte die Freundschaft nicht auf’s Spiel setzen, doch irgendwann konnte er sich nicht mehr verstellen.

„Ja Kari, ich habe darunter gelitten, weil ich Tai so sehr gemocht hatte, dass ich mir recht früh über meine Gefühle klar wurde - und er ja eigentlich auch. Aber wir konnten monate-, vielleicht sogar jahrelang beide irgendwie nicht die Lanze brechen… bis er sich nach unserem Aufstieg in die Bundesliga einen Ruck gegeben hatte. Du glaubst nicht, wie mir dann der ganze Rucksack voll Steine abgefallen war…“

Kari sah, wie Sora vor Freude lächelte. Sie meinte sogar einen leichten feuchten Fleck unter ihren Augen zu erkennen…

„War es also nicht vielleicht doch falsch, das aufzugeben und Japan zu verlassen?“, meinte dann die 15-Jährige und sah die Brünette an. Soras Mimik veränderte sich abrupt, plötzlich sah sie nachdenklich und auch etwas traurig aus. Die Freudenträne kullerte schnell von ihrem Gesicht runter und sie wischte diese mit der Hand weg.

Kari fügte noch hinzu: „Ich hatte irgendwo mal gelesen, dass die Liebe die höchste Stufe der Weltsicht darstellt und als die Lösung und Überhöhung der menschlichen Existenz gesehen wird. Stimmt das, Sora?“

Die Angesprochene schwieg weiter; was Kari nicht wusste war, dass Sora von dieser Ansicht noch nie was gehört hatte. Ironischerweise war sie eigentlich die Trägerin des Wappen der Liebe, aber die um 3 Jahre jüngere Kari schien in diesem Fall mehr über das Thema zu wissen als sie.

Sora schaute die Braunhaarige ratlos an. Mittlerweile war sie wieder völlig verwirrt, sie wusste keine angemessene Antwort auf die Frage der der 15-Jährigen. Mühsam richtete sie sich auf und blickte orientierungslos in die Dunkelheit draußen. „Ach Kari, ich weiß es nicht…“
 

-------------------------------
 

Eine mittlere Explosion erschütterte ein mehrstöckiges Wohngebäude in seinen Grundfesten. Im Erdgeschoss wütete eine Horde wildgewordener Numemon und Sukamon - oder eher schwarze Wesen, die wie diese aussahen. Sie schmissen mit Rauchgranaten und Stinkbomben um sich und vertrieben so die verbliebenen Bewohner, die bis jetzt noch nicht fliehen wollten, auf übelriechende Art und Weise.

„NADELFEUER!“

Ein Hagel von Kaktuspfeilen brachte eine Schar von Numemon zum Platzen. Togemon war plötzlich von der Seite aufgetaucht und schlug die überlebenden schwarzen Digimon zur Seite. Einige Sukamon fingen an, mit Kot um sich zu schmeißen; das Pflanzendigimon wiederum beantwortete den Angriff mit einem zweiten Nadelfeuer, was auch die restlichen Feinde besiegte.

„Super gemacht, Togemon!“, rief Mimi vom Gebäudeeingang aus. „Matt, ich kümmer mich um die Einwohner hier! Sobald ich fertig bin, komme ich nach!“

„Alles klar!“, nickte Matt und lief mit Weregarurumon weiter in Richtung Stadtmitte. Sie kamen dem schwarzen Loch immer näher, welches weiterhin im Himmel oben zu hängen schien. „Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben, dieses verdammte Tor zu schließen…“

„Vorsicht Matt!!“

Ein urplötzlicher Schubser riss Matt von den Füßen und das nächste, was er wahrnahm, war ein gleißend heller Energiestrahl, der an ihm vorbeizischte. Sein Herz raste. „Danke Weregarurumon… was war denn das?“ Er schaute sich um und entdeckte am Ende der Straße ein Digimon, welches wie ein Pferd mit Menschenkopf aussah - und erkannte es. „Centarumon!“

„SOLARSTRAHL!“

Abermals raste ein Energiestrahl durch die Straßen. Weregarurumon stand auf, nahm Matt mit einem Griff an sich und sprang in die Höhe. Einen Moment später schlug der Energiestrahl dort ein, wo sich die beiden gerade eben noch befanden.

„Halt dich gut fest, Matt!“

Das Tierdigimon begann, von Dach zu Dach zu hüpfen. Hinter sich hörten die beiden, wie die Attacken von Centarumon einschlugen und jede Menge Schutt von den Dächern herunterflog.

„Setz mich irgendwo ab!“, rief Matt zu seinem Digimon. „Dann kannst du gegen ihn kämpfen, bevor er noch das ganze Viertel zerstört!“

„Ich hab eine bessere Idee!“, entgegnete Weregarurumon und sprang mit einem Satz wieder in die Luft, bevor ein weiterer Solarstrahl hinter ihnen einschlug. Es landete auf einem Dach… direkt über Centarumon, welches nach ihm suchte. „Hier oben bin ich, du Vollidiot! Na los, schieß doch!“, provozierte ihn das Tierdigimon.

Centarumon reagierte und feuerte seine Attacke auf Weregarurumon ab, das aber sofort wieder wegsprang. Die Attacke schlug an der oberen Gebäudewand ein und mehrere größere Trümmer flogen auf Centarumon herunter. Überrascht von der Situation reagierte es nicht schnell genug, wurde von den Gebäudetrümmern erfasst und begraben.

Weregarurumon landete vor den Trümmerteilen auf dem Boden. Vorsichtig ließ er Matt herab. „Was meinst du, reicht das?“

„Vorerst ja… auch wenn wir es nicht vernichtet haben, glaube ich. Aber wir müssen uns noch um die anderen Teile der Stadt kümmern!“
 

Plötzlich erhellte sich die Gegend, und im nächsten Moment hörten die beiden Partner eine Explosion, die von oben kam. Über ihnen erblickten sie auf einmal Megaseadramon, wie es mit hoher Geschwindigkeit vorbeiflog und scheinbar ein kleines anderes Wesen verfolgte. Doch im nächsten Moment mussten die beiden sich selbst korrigieren, denn sie sahen von diesem kleinen Wesen unzählige Exemplare, die im Himmel scheinbar koordiniert umherflogen und so kaum zu greifen waren.

Matt sah zu seinem Partner rüber: „Was sind das für Dinger? Digimon?“

„Ja - und ich glaube, die anderen brauchen unsere Hilfe! Lass uns schnell gehen!“

Der Blonde nickte, ließ sich von seinem Digimon wieder in den Arm nehmen und hielt sich so gut es ging an ihm fest. Mit einem weiteren Satz war Weregarurumon in der Dunkelheit oben verschwunden, die mittlerweile von zahlreichen Lichtblitzen kurz durchdrungen wurde.
 

-------------------------------
 

Tai schaute sich die Wand vor ihm an, an die er gerade eben angelangt war. Hier ging der Tunnel nicht weiter, anscheinend waren sie am Ende angelangt.

„So, hier müssen wir uns den Weg selber graben…“, meinte Izzy.

„Und weißt du auch in welche Richtung?“, fragte der 18-Jährige ihn skeptisch und schaute sich um. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der Tunnel so dermaßen lang sein würde und hatte nun die Orientierung total verloren.

„Warte einen Moment, ich muss den Laptop ausrichten…“ Izzy fuhr den Computer herum und wartete, bis der GPS-Pfeil auf seinem Gerät endlich die gewünschte Richtung anzeigte. „Hier!“

„Großartig!“, entfuhr es Cody. „Jetzt zeig uns mal, was du kannst, Digmon!“

„Na bravo, meine armen Hände…“, seufzte das Insektendigimon und fing an, mit seinen 3 kleinen Bohrern einen eigenen Tunnel zu graben.

„Los, vorwärts! Bis zum Gefängnis ist es noch ein Stück!“, meinte Izzy und verschwand mit Cody und Tentomon in dem Tunnel. Tai, T.K. und die Digimon folgten ihnen.
 

Die ganze Zeit lang bis hierhin herrschte eine unangenehme Ruhe zwischen den Digirittern; die Digimon schauten oftmals scheu zu ihren Partnern herauf, nur um danach sich gegenseitig ratlos anzublicken und zu schweigen. Sie merkten, wie die Konzentration auf die bevorstehende Operation sie hemmte, irgendwelche - womöglich falschen Wörter zu verlieren. Von Biyomon und Gatomon konnten sie sowieso keine Gesprächigkeit erwarten; sie waren mit ihren Gedanken ganz bei ihren Partnern und sahen seit ihrer Entführung ständig so aus, als würden sie jeden Moment vor Sorge sterben können. Stattdessen waren sie nun schon seit einer halben Stunde wortlos in diesem dunklen und engen Tunnel unterwegs. Man hörte nur noch Digmons mittellaute Bohrer arbeiten…

„Wie weit ist es denn noch?“, fragte Patamon, der auf T.K.‘s Kopf saß und als Erster die Stille durchbrach; Agumon und Tentomon zuckten erschrocken kurz zusammen, waren aber dennoch sehr dankbar für Patamons verbalen Vorstoß.

„Ich weiß nicht…“, antwortete T.K. Er hatte mit einem Ton gesprochen, den man als sorgenvoll interpretieren konnte.

„Ich würde gerne wissen, was wir dann tun, wenn wir dort sind“, fragte sich Cody. Auch er freute sich darüber, dass jemand diese unerträgliche Stille untereinander brach.

Izzy setzte sein typisches Nachdenkgesicht auf: „Hm ja, was schlägst du vor, Tai?“

Der Angesprochene reagierte etwas überrascht, dass sein Name fiel. „Wieso ich? Bisher bist du doch immer derjenige gewesen, der die Pläne für uns erarbeitet hatte, oder?“

„Ja schon“, antwortete der Rothaarige, „Aber du bist unser Anführer, du entscheidest doch, wie wir vorgehen! Außerdem geht es hier nicht um irgendjemanden… sondern es geht um deine… äähm… deine Liebsten… oder?“

Izzy musste sich räuspern, doch der Braunhaarige nahm ihm das nicht übel, dass er die beiden so bezeichnet hatte. Kari und Sora waren die wichtigsten Personen in seinem Leben, da machte er keinen Hehl draus. Und das wussten eigentlich auch alle.

„Ja, aber was hilft mir das, wenn ich nicht genau weiß, wo wir landen, wo sich Kari und Sora befinden und an wievielen Wachen wir vorbei müssen! Vor allem brauchen wir nicht zuletzt einen sicheren Fluchtweg!“

Der 17-Jährige erschrak, dass Tai schon über so vieles bereits nachgedacht zu haben schien. Er hatte sich in dieser Hinsicht wirklich komplett verändert; er war nun viel rücksichtsvoller und - wenn man so will, vorsichtiger geworden. Aber bei dem, um was es hier ging, war es eigentlich kein Wunder. Der Rothaarige rechnete damit, dass Tai eigentlich schon genau wusste, was er tun würde. Und er würde ihn dabei unterstützen…
 

Also stellte seine Pläne vor:

„Wir haben mehrere Möglichkeiten, was unseren Ankunftsort betrifft. Entweder, wir tauchen irgendwo in der Nähe von dem Gebäude wieder an der Oberfläche auf - der Vorteil hierbei ist, dass wir relativ sicher und unbemerkt weiter agieren können - allerdings müsste ich noch einen geeigneten Auftauchort finden, man darf uns nicht bemerken; oder die zweite Möglichkeit ist, dass wir uns mitten in die tiefsten Untergeschosse des Flughafengebäudes bohren und dort unsere Suche beginnen - Vorteil hier ist, dass wir sehr rasch in der Nähe unserer beiden Freunde sind und genauso schnell von dort verschwinden können…“

Tai dachte über beide Optionen nach. Die Vorteile waren ihm klar, und er tendierte nach Izzys Vorstellung eindeutig zur zweiten Möglichkeit. Der Nachteil hier war ihm aber auch bewusst - nämlich, dass sie mitten in feindliches Gebiet einfallen würden, ohne zu wissen, wieviele Wachen in Wirklichkeit dort stationiert waren. Wenn sie Glück hatten, könnten sie unbemerkt bis zu den beiden Entführten vordringen - danach würde wahrscheinlich eine wilde Flucht folgen.

Doch trotzdem entschied sich Tai für die zweite Option. „Wir haben keine Zeit zu verlieren! Wir dringen direkt ins Gebäude vor und überraschen sie dort! Dann müssen die sich erstmal sammeln - wenn wir Glück haben, sind wir bis dahin schon entkommen! Das ist unser vorrangiges Ziel, oder Izzy?“

Der Angesprochene nickte zustimmend: „Ja, du hast Recht! Ich denke auch, das ist die bessere Option!“

„Dann mal los!“, meinte Tai und marschierte schnurtracks weiter. Die anderen sahen ihm nach und dann zu Izzy. Der reagierte nur mit einem verschmitzten Lächeln und meinte dann: „Er benimmt sich eben wie ein geborener Anführer…“
 

-------------------------------
 

Die Luft über Kigali glich nun einem heftig tobenden Gewitter. Unzählige Blitze schossen in verschiedensten Richtungen; manche trafen sogar Gebäude, ohne aber Schäden an ihnen anzurichten. In diesem Trubel flog Megaseadramon mit viel Tempo umher. An dessen Körper prallten die Blitze wie Gummi ab und er feuerte selber einige Lichtblitze aus seiner Stirn ab. Man sah, wie einige kugelförmige Wesen gen Boden abstürzten.
 

„Megaseadramon! Kannst du noch?“ Maria sah sich das alles von unten besorgniserregend an.

„Geht schon… es sind aber noch ganz schön viele!“, antwortete das Meeres Digimon leicht verschwitzt und flog mit einem Rauschen an ihrem Partner vorbei. Kurz darauf fielen einige der kugelförmigen Wesen neben ihr bewusstlos auf dem Boden. Sie analysierte es; es war ein Digimon, aber auch mit einer schwarzen Färbung.
 

--- Thunderboltmon

--- Level: Champion

--- Mutant Digimon

--- Typus: Datei

--- Attacke: Kugelblitz
 

Das waren also die unzähligen Dinger, die durch die Luft mit unglaublich hoher Geschwindigkeit flogen. Sie wollte es näher untersuchen und hob eines von ihnen auf - doch plötzlich wurde sie von einem elektrischen Schlag überrascht. Das schwarze Digimon war wieder erwacht und lähmte die Digiritterin mit seiner Elektrizität, die immer mehr zunahm…

„LETZTER STICH!“

Ein plötzlicher Stopp der Elektrizitätswelle und ein anschließendes Zischen ließen die 10-Jährige wieder aus ihrer Starre erwachen. Sie erblickte nun Stingmon vor sich, von dem Thunderboltmon war nichts mehr zu sehen. Aus einer Seitengasse kamen Ken und Yolei angelaufen. „Maria! Geht’s dir gut?“

„Geht so…“, stöhnte sie und richtete sich wieder mühsam auf.

„Sowas war ganz schön leichtsinnig, meine Liebe“, meinte Yolei zwinkernd und half ihr auf die Beine. „Man darf diese Digimon nicht zu Attacken einladen!“

Mitten im Satz flog wieder Megaseadramon über ihnen hinweg, doch diesmal war es nicht alleine. Auch Halsemon und Stingmon mischten in dem Kampf über ihnen mit. Die Anzahl der Blitze im Himmel ließ darauf lauten, dass es immer noch eine Menge von den Thunderboltmon gab, die zu erledigen waren.
 

„Ich frage mich eigentlich, warum Dragomon nicht stärkere Digimon als diese Thunderboltmon hergeschickt hat“, meinte plötzlich Yolei und kratzte sich am Kopf.

„Ist dir Blackwargreymon nicht genug?“, fügte Maria tadelnd an und revanchierte sich so für ihren Satz von vorhin. Die 16-Jährige wurde rot und verzog das Gesicht.

Ken schien aber die Antwort auf diese Frage zu wissen: „Das ist ziemlich einfach zu schlussfolgern! Ich glaube, dass es Dragomon trotz Hilfe der Macht der Dunkelheit immer selbst eine Menge Energie kostet, um solche Digimon zu erschaffen. Je höher das Level der erschaffenen Digimon, desto mehr Energie wird wohl gebraucht. Und da er erst gerade Blackwargreymon entsendet hat, müssen sich seine Energiereserven wieder erholen…“

„Schon gut, Mister Oberschlaukopf!“, würgte ihn Yolei genervt ab und wurde noch röter. Ken lachte leicht auf ob ihrer Reaktion und schaute wieder nach oben. Die Lilahaarige fand es weniger lustig - obwohl sie eigentlich seine Kombinationsgabe stets bewunderte. Aber manchmal war es einfach trotzdem unerträglich für sie…

„Stingmon, starte durch!“, rief Ken zu seinem Digimonpartner, der darauf sofort reagierte.

„LETZTER STICH!“

Das Insektendigimon produzierte mit seiner Attacke eine elektromagnetische Schockwelle, denen viele der Thunderboltmon zum Opfer fielen. Sie verpufften in Datenstaub.

Jedoch blieben noch einige von ihnen übrig. „KUGELBLITZ!“

Der Rest der Mutant-Digimon steuerte plötzlich auf die Digiritter zu, die vollkommen überrascht vom schnellen Angriff keine Möglichkeit mehr hatten auszuweichen. Die Luft knisterte drohend, je näher die Thunderboltmon kamen…
 

Da hörten sie von hinten ein lautes Wolfsgeheul und eine rote Doppelsichel schoss unerwartet an den Digirittern vorbei in Richtung der angreifenden Mutant-Digimon. Ein lauter Knall ertönte und die Thunderboltmon waren mit einem Schlag komplett pulverisiert. Weregarurumon landete im nächsten Moment hinter ihnen auf dem Boden, seine Krallen glühten feuerrot. Im nächsten Moment erschien zur Freude aller Matt. „Verstärkung ist da!“

Die anderen nickten dankend zurück. „Das war Rettung in letzter Sekunde, mein Lieber“, meinte Ken und half Yolei wieder zurück auf den Beinen.

„Nicht der Rede wert!“

Der Blonde sah sich die Gegend an und horchte in die Luft. Nachdem er mehrere Sekunden eine komische Stille wahrnahm, wandte er sich wieder den anderen zu: „Sieht so aus, als hätten wir die Stadtmitte gesäubert! Sehen wir zu, dass wir weitermachen…“

Just in diesem Moment wurde die Stille durch mehrere Klickgeräusche unterbrochen. Die Digiritter reagierten erschrocken und sahen, dass aus mehreren Straßenecken menschliche Kämpfer herausrückten. Sie trugen feuerbereite Schusswaffen in ihren Händen und zielten auf die Gruppe, die sich zurückfallen ließ.

„Hutu-Kämpfer! Wir sollten hier schleunigst verduften…“, meinte Yolei. Doch aus der Höhe hörten sie unerwartet ein schallendes Gelächter. Tais schwarzes Double tauchte zwischen den Dächern auf und schien sich sehr zu amüsieren: „Ihr habt ja förmlich darum gebeten, erledigt zu werden - war euch denn nicht klar, dass ihr mit eurem Gekämpfe meine ganze Armee auf euch aufmerksam gemacht habt?“ Bevor auch nur irgendjemand von der Gruppe antworten konnte, fackelte der schwarze Doppelgänger diesmal nicht lange. „Erledigt sie! Eröffnet das Feuer!“

Im nächsten Moment erfüllten wieder Schussgeräusche die endlose Nacht von Kigali - und man hörte anschließend einen lauten Schrei und ein heftiges Plumpsen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (79)
[1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8]
/ 8

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  cupcake1504
2014-12-01T19:29:49+00:00 01.12.2014 20:29
Super klasse.
Freue mich schon, wenn es weiter geht :)
Von:  dragonfighter
2014-09-05T15:28:55+00:00 05.09.2014 17:28
Es geht weiter, wie schön <3
Wie erstaunlich das die beiden Mädchen, in so einer Situation noch über Liebe etc. Reden können XD
Tai der Geborene Anführer :)
Ich hoffe das ihnen nichts zugestoßen ist und das dieser Doppelgänger endlich besiegt wird XD
Bis zum nächsten mal :)))
Lg
Dragonfighter
Von:  Taiora87
2014-04-06T21:01:43+00:00 06.04.2014 23:01
Endlich geht's weiter :D . Jetzt wird's spannend . Der böse Tai nimmt Tai die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben . Zieh dich warm an Schwarzer Tai , die Rache wird kommen , von Taichi Yagami .
Antwort von:  dragonfighter
07.09.2014 20:22
gut gesagt :D
Von:  dragonfighter
2014-04-06T18:02:31+00:00 06.04.2014 20:02
Schön das es weiter geht.
Sora hat sich wirklich verändert hoffentlich wird sie bald wieder die alte genau so hoffe ich das dieser falsche Tai eine richtige Abreibung bekommt.
Ich freue mich schon auf das nächste Part, die Leute tuen mir irgendwie leid... XP
LG
Dragonfighter
Von:  dragonfighter
2014-01-27T13:25:05+00:00 27.01.2014 14:25
Ich stimme Taiora87 zu .
Hoffen wir mal das sie so schnell wie möglich an kommen und den falschen Tai es so richtig zeigen :)
Schließlich wollen wir ja nicht das er einfach beschuldigt wird oder ? XP
Ich hoffe jedenfalls auch das es sehr bald wieder weiter geht.
Also bis dann

LG
Dragonfighter
Antwort von:  SFX
28.01.2014 01:57
Danke für deine vielen Kommis, hat mich sehr gefreut! :)
Ja, ich hoffe auch dass ich bald wieder Zeit finde. Aber momentan sieht es leider nicht so danach aus.
Ich habe aber die Vorlage für die Story schon fertig, das wird dann hoffentlich einfacher die Endfassung leichter runterzuschreiben :)
Also bis bald! LG
Antwort von:  dragonfighter
28.01.2014 14:28
Freut mich auch
Von mir auch einen lieben Gruß ;)
Von:  dragonfighter
2014-01-27T01:18:44+00:00 27.01.2014 02:18
nun habe ich auch dieses Kapitel durch...
ich will auch das nächste Kapitel lesen aber ich bin mittler weile schon so müde das einfach nicht mehr kann...
schließlich ist es jetzt ja schon nach 2 Uhr nachts .
es ist wie schon öfter´s erwähnt sehr spannend. Ich frage mich jetzt schon wie der nächste teil aus sieht.
Na ja morgen lese ich es einfach und werde es heraus finden XPP

LG
dragonfighter
Von:  dragonfighter
2014-01-27T00:48:19+00:00 27.01.2014 01:48
ich stimme Taiora87 zu fileich kommt ja sogar omnimon wieder vor.
ich würde mich auf jeden fall freuen ;)
na dann ich versuche gleich weiter zu lesen

LG
dragonfighter
Von:  dragonfighter
2014-01-27T00:10:58+00:00 27.01.2014 01:10
das kapitel ist einfach wunder schön.
aber komisch das nur matt und Gabumon die Dunkelheit an Tai´s Körper bemerkt hatten.
matt´s Variante tai aus den Gedanken zu reißen war mal wieder spitzen mäßig :)
typisch Yamato XD
jedoch finde ich es schön das der streit zwischen Tai und Sora nicht lang gedauert hat.
ich bin somit natürlich auch sehr gespannt wie es weiter geht und genau des wegen lese ich auch sofort weiter XD

LG
dragonfighter
Von:  dragonfighter
2014-01-26T23:22:07+00:00 27.01.2014 00:22
juhuuuuuuuu!
ich dachte schon sie finden Sora wirklich gar nicht mehr -.-
na dann...ich glaube ich sollte einfach gleich weiter lesen :)

dragnfighter
Von:  dragonfighter
2014-01-26T22:44:48+00:00 26.01.2014 23:44
supi ich das Kapitel
ich hoffe das das in und her liege endlich ein ende hat und die Gruppe Sora endlich finden.
na dann ich lese dann mal ggleich weiter ne. :)

dragonfighter


Zurück