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So finster wie die Nacht

von

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Gespräche

Kapitel 9

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Gespräche
 


 

Ryan tastete mit den Fingern nach dem Schloss seiner Wohnungstür, weil Einkäufe ihm die Sicht versperrten. Schließlich sprang die Tür mit einem leisen Klicken auf. Die Tüten stellte er auf der Kommode neben sich ab und blickte zur Uhr. Es blieb noch genug Zeit um Jason von der Schule abzuholen. Es war Freitag und Ryan machte dann meist schon gegen Mittag Feierabend.

Geistesabwesend räumte er die Lebensmittel weg. Die beiden Gestalten des gestrigen Abends beschäftigten noch immer seine Gedanken. Was wollten sie von ihm?

Als sein Handy klingelte, zuckte er erschrocken zusammen und ließ dabei fast eine Milchflasche fallen. Er seufzte, aber als er auf dem Display „Eingehender Anruf – June“ las, war er plötzlich hellwach.

„Ja?“

„Hi, Ryan“, meldete sich June. Sie klang so wie immer. Nichts ließ auf die beunruhigenden Vorkommnisse der letzten Tage schließen. „Bist du schon Zuhause?“

Ryan hoffte, dass es ihm ebenfalls gelingen würde seiner Stimme einen gelassenen Klang zu verleihen. „Ja, bin gerade wieder da.“

„Sehen wir uns heute Abend?“

Jetzt saß Ryan in der Zwickmühle. Einerseits hatte er Angst sich zu verplappern, andererseits wollte er June gerne sehen. Vielleicht sogar mehr, als er sich das selbst eingestehen wollte. Schließlich gab er seinem Wunsch den Vorzug. „Natürlich, gern.“

„Prima“, erwiderte June am anderen Ende der Leitung. „Treffen wir uns dann im The Salisbury gegen acht Uhr?“

„Ich werde da sein.“ Ryan lächelte, obwohl sie das ja gar nicht sehen konnte.

„Ich freue mich. Bis heute Abend.“ Dann war das Gespräch beendet.
 

„Darf ich mal fragen, was du da machst?“

Mona zuckte zusammen. So langsam aber sicher gingen ihr Eves lautlose Bewegungen auf die Nerven. „Psst!“, zischte sie.

Eve trat ungerührt neben Mona und schaute ihr über die Schulter. Verwundert zog sie beide Augenbrauen nach oben. „Seit wann hast du einen Computer und wieso kannst du überhaupt damit umgehen?“

„Bram hat mir den geliehen, den er für seine Arbeit benutzt und mir gezeigt, wie er funktioniert.“ Trotzig streckte Mona das Kinn vor.

„Schreibt der immer noch?“, fragte Eve, was nur halb interessiert klang.

„Ja“, erwiderte Mona. „Er hat sich für seine neueste Idee wieder mal das Pseudonym einer Frau zugelegt. Eine dieser Mädchen-verliebt-sich-in-Vampir-Geschichten. Vorhin hat er irgendwas von Vampiren, die im Sonnenlicht glitzern gefaselt.“ Mona rollte mit den Augen. „In den letzten paar Jahren scheint sein Verstand arg gelitten zu haben.“

Eve ging nicht darauf ein, stattdessen war ihr Blick auf den Bildschirm gefallen. Sie deutete darauf. „Erkläre mir das.“ Zu sehen, war ein Foto der Frau, die sie entdeckt hatte und in deren Wohnung sie hatten einbrechen wollen. „June Carrington. Junge Illustratorin auf der London Book Fair“, las sie dort. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Mona!“

„Ich weiß“, brummte Mona. „Es ist mir nicht erlaubt das zu tun. Dennoch werde ich herausfinden, wer diese Leute sind und warum mich Lionel von ihnen fernhalten will. Ich muss es einfach wissen.“

„Nein, das musst du nicht“, widersprach Eve kühl. „Das ist Irrsinn.“

„Ich werde es trotzdem tun“, beharrte Mona noch immer.

Eve wandte sich kopfschüttelnd ab. „Bitte, aber erwarte nicht, dass ich dir dabei helfe.“

„Du willst doch nur Lionel nicht verärgern.“

„Er vertraut mir“, sagte Eve schlicht. „Deswegen werde ich es nicht tun. Tut mir leid, aber diesmal bist du auf dich allein gestellt. Befehl ist Befehl. Je eher du das einsiehst, desto besser wird es für dich sein.“

„Fein, macht doch alle, was ihr wollt“, knurrte Mona, nachdem Eve gegangen war. Es kränkte sie, dass ihre Freundin sie im Stich ließ, aber das würde sie niemals zugeben.
 

The Salisbury war ein typisch britischer Pub im viktorianischen Stil. Ryan hatte diesen Ort noch gut in Erinnerung, denn dort war ihm June zum ersten Mal aufgefallen. Sie traf sich dort regelmäßig mit Freunden – heute sowie damals. Ryan war fast genauso oft gekommen, nur um sie zu sehen. Jetzt musste er grinsen, wenn er daran zurück dachte. Er hatte sich wirklich wie ein verliebter Trottel benommen.

Ryan zog seinen Mantel enger um sich und drehte sich genau in dem Moment um, als June um die Ecke bog. Zur Begrüßung küsste sie ihn auf die Wange.

„Wartest du schon lange?“, fragte sie.

Ryan schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin auch gerade erst gekommen“, erwiderte er. „Komm, gehen wir rein.“

The Salisbury befand sich im Herzen der Stadt. Die winzige Glastür führte einen scheinbar in eine andere Zeit, denn der Inhaber hatte nicht viel am ursprünglichen Aussehen verändert. Im Inneren gab es alte Laternen, die den Raum in warmes Licht tauchten. Große Spiegel, mit Ornamenten verziertes Holz und gemütliche Nischenplätze rundeten den Gesamteindruck ab.

Abends arbeitete an der Bar ein Mann namens Richard, der aus der gleichen Zeit zu stammen schien, wie dieser Laden. Seine schwarzen Haare waren akkurat zurückgekämmt und er trug stets ein Monokel. Er war vermutlich englischer als die Queen, aber auch wärmer als George Michael. Als er ihnen zulächelte, nahm Ryan so schnell wie möglich einen Platz in der entlegensten Ecke ein. June schmunzelte und folgte ihm dann gemäßigten Schrittes.

„Er wird dich schon nicht auffressen“, meinte sie amüsiert.

„Das sagst du.“ Ryan schnaubte, wechselte dann aber schnell das Thema. „Bist du mit dem Auto hier?“

June schüttelte den Kopf. „Nein, mit der U-Bahn“, erwiderte sie, als wäre das ganz logisch. Nun, im Grunde genommen war es das auch. Man besuchte höchst selten einen Pub und fuhr dann noch Auto.

Dennoch gefiel Ryan der Gedanke nicht, dass sie allein im Dunkeln unterwegs war, wenn merkwürdige Gestalten herumschlichen.

Richard kam an ihren Tisch – oder besser gesagt tänzelte er an ihren Tisch – um die Bestellungen aufzunehmen. Das lenkte Ryan zumindest für den Moment von seinen Sorgen ab. Demonstrativ rutschte er ein Stück näher zu June und bestellte machohaft ein Bier. June trank Weißwein. Beides wurde in Windeseile serviert.

Nachdem Richard an seinen Platz zurückgekehrt war, zog June die Augenbrauen nach oben und musterte Ryan. „Manchmal bist du wirklich albern, weißt du das? Du solltest mal etwas gegen deine Homophobie unternehmen.“

Ryan schnitt ihr eine Grimasse. „Ich leide nicht unter Homophobie, sondern unter Richardphobie“, stellte er klar. „Das ist ein Unterschied.“

June gab sich Mühe ein ernstes Gesicht zu bewahren, aber man konnte deutlich sehen, dass ihre Mundwinkel verräterisch zuckten. Ryan konnte sie schon immer zum Lachen, oder zumindest zum Lächeln, bringen.

Zum ersten Mal an diesem Abend betrachtete er sie genauer. Sie trug ein dunkelblaues Kleid mit schwarzem Gürtel und darunter eine Strumpfhose. Die braunen Haare fielen ihr locker über die Schultern und umrahmten ihr Gesicht. Als er die Kette um ihren Hals entdeckte, machte sein Herz einen Hüpfer. „Die hast du noch?“

„Natürlich“, entgegnete June lächelnd. „Das war dein erstes Geschenk an mich. So etwas werfe ich doch nicht weg.“

Verlegen drehte Ryan den Kopf weg und starrte in sein Bier. Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Doch irgendwie freute ihn diese Aussage.

„Wir war die Arbeit?“

Ryans Kopf ruckte hoch, als sie ihn das fragte. Er ermahnte sich selbst ruhig zu bleiben, immerhin war das eine ganz alltägliche Frage. „Gut“, sagte er schnell.

„Gut?“ June hielt in ihrer Bewegung inne und setzte das Weinglas wieder ab.

„Hm“, machte Ryan.

June zog die Augenbrauen zusammen. „Ich kenne dich nun schon so lange, aber noch nie hast du auf diese Frage mit gut geantwortet. Doch, das eine mal... da hattest du deinen Job verloren.“ Sie schaute ihn misstrauisch an. „Hast du deinen Job verloren?“

Ryan schüttelte den Kopf.

„Zumindest etwas“, kommentierte June. „Trotzdem... ist irgendetwas passiert? Du beschwerst dich über die Idiotie der Menschheit oder erzählst von alten Damen, die einen Narren an dir gefressen haben, aber du sagst niemals gut.“

Innerlich kapitulierte Ryan. Es war von Anfang an zwecklos gewesen June irgendwas verheimlichen zu wollen. Sie kannte ihn zu gut und er war einfach kein guter Lügner. „Nun, um ehrlich zu sein, war da schon etwas“, begann er zögerlich. „Man hat mir gestern nach der Arbeit aufgelauert.“ Und so erzählte er die Geschichte von dem Halbstarken und der Prada-Frau zum zweiten Mal, von deren unglaublicher Kraft und vom Orden der Ewigen Nacht.

„Orden der Ewigen Nacht?“, hakte June nach. „Das klingt nach einer Sekte, wenn du mich fragst.“

„Möglich.“ Ryan zögerte vor dem nächsten Schritt, denn er wollte sie nicht unnötig aufregen. Schließlich seufzte er ergeben. „June, ich glaube, dass das etwas mit dem zu tun haben könnte, was neulich bei deiner Wohnung passiert ist. Diese Leute schienen merkwürdige Fähigkeiten zu haben, die vielleicht auch erklären würden, wie jemand auf deine Fensterbank kommt. Ich weiß, das klingt verrückt, aber mit Logik kommen wir ja anscheinend nicht weiter. Ich glaube...“ Er brach ab und setzte dann neu an. „Ich glaube, dass uns jemand verfolgt. Ich weiß nur nicht, wieso.“

Ruhig hatte June seinen Ausführungen gelauscht. Sie wirkte besorgt, nachdenklich, aber zu seiner Erleichterung schenkte sie ihm Glauben.

Sie hält mich nicht für verrückt, jubilierte Ryan innerlich.

„Und was wollen wir jetzt tun?“, fragte June nach einer Weile. „Bisher können wir nur Vermutungen anstellen, aber wie wollen wir das beweisen?“

„Ich muss diese Leute noch einmal treffen“, erwiderte Ryan, obwohl ihm selbst nicht wohl zumute war bei diesem Gedanken. Er hatte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte, aber er hatte das untrügliche Gefühl, dass er ihnen wieder über den Weg laufen würde. Möglicherweise früher als ihm lieb war...

„Ich wünschte, du hättest etwas weniger Gefährliches vorgeschlagen“, meinte June.

Ryan blickte auf. Machte sie sich Sorgen? Um ihn?

„Tu mir nur einen Gefallen und sei vorsichtig“, fuhr June fort. „Riskiere nicht Hals und Kragen. Das ist es nicht wert.“

„Okay, versprochen.“

June nickte. „Dann werde ich mich mal ein wenig umhören und schauen, ob jemand diesen Orden kennt.“

„Und du wirst vorsichtig sein?“ Ryan zog eine Augenbraue nach oben.

„Selbstverständlich.“ June lächelte.

Für den Rest des Abends versuchte Ryan die Unterhaltung in weniger beunruhigende Bahnen zu lenken, was June dankbar annahm. Es war fast wieder so wie früher, als sie stundenlang geplaudert und dabei die Zeit vergessen hatten.

Als sie das The Salisbury verließen war es bereits nach Mitternacht. Ryan bestand darauf June nach Hause zu bringen, denn er misstraute der Dunkelheit inzwischen. Bisher hatte ihnen das eine Menge Unannehmlichkeiten bereitet.

Ryan wollte sich an der Tür von June verabschieden und wie üblich auf die Wange küssen, aber da sie just in diesem Moment den Kopf umdrehte, streifte er ganz leicht ihre Lippen. Verlegen machte er einen Schritt zurück. „Entschuldigung. Wir äh... telefonieren dann morgen, ja? Gute Nacht!“ Er brachte es nicht fertig ihr in die Augen zu schauen, weil er sich vor dem fürchtete, was er dort vielleicht lesen würde.

„Gute Nacht.“ June blickte ihm nach. Erst als sie hörte, dass die Eingangstür ins Schloss fiel, ging sie in ihre eigene Wohnung.
 

Fortsetzung folgt...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Taroru
2010-02-05T21:07:31+00:00 05.02.2010 22:07
da ist wieder dieser böse satz 'fortsetzung folgt' XD
ich mag aber sofort lesen wie es weiter geht XD

'Eine dieser Mädchen-verliebt-sich-in-Vampir-Geschichten. Vorhin hat er irgendwas von Vampiren, die im Sonnenlicht glitzern gefaselt.“ Mona rollte mit den Augen. „In den letzten paar Jahren scheint sein Verstand arg gelitten zu haben.“ '
-> wunder schöne anspielung XD *lol*
und dann das mit dem verstand XD oh ja finde ich sehr nach voll ziehbar XD *lach*

ich mag auch in dieser storys die charas sehr ^^ sie wirken so schön lebendig ^^ ihr müsst ganz schnell weiter schreiben ^^ damit ich dann lesen kann ob sie was über die 'sekte' rausfinden kann XD und wie dann alle darauf reagieren und so XD


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