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So finster wie die Nacht

von

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Unerwartete Hilfe

Kapitel 23

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Unerwartete Hilfe
 

Ryan hastete die Treppenstufen zu seiner Wohnung hinauf. Oben angekommen war er vollkommen aus der Puste, was er auf die Aufregung schob, obgleich er wusste, dass er schon seit längerem kein Fitnesscenter mehr von Innen gesehen hatte.

Angesichts der Größe des Appartements dauerte es nicht lange sich zu vergewissern, dass Jason nicht dort war. Einen Moment lang blieb Ryan unsicher mitten im Flur stehen, ehe ihm der Keller in den Sinn kam. Er schluckte. Sollte Jason wirklich so leichtsinnig sein? Eigentlich hatte er keinen Grund sich zu beschweren, denn er war seinem Bruder ein denkbar schlechtes Vorbild gewesen. Er war derjenige, der Mona hergebracht hatte.

Also stieg Ryan die Treppe wieder hinab. Diesmal gemächlicher um nicht über seine eigenen Füße zu stolpern, die ihm vor lauter Nervosität ungelenker erschienen als sonst.

Ryan wusste nicht, ob er erleichtert oder beunruhigt sein sollte, als er seinen jüngeren Bruder tatsächlich im Keller fand – in Monas Gesellschaft.

„Du warst nicht in der Schule“, lautete Ryans etwas unsinniger erster Satz. Und doch war dies die erste Vermutung, die ihm in den Sinn kam, als er Jasons Schultasche entdeckte.

Jason blickte schuldbewusst drein. „Ja, tut mir leid“, sagte er ganz automatisch. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass es schon so spät war. Er hatte einfach die Zeit vergessen. Langsam dämmerte ihm auch, warum Ryan so besorgt aussah. Jason zog das Handy aus seiner Tasche und warf einen beiläufigen Blick darauf – etliche Anrufe in Abwesenheit. Den Ton hatte er abgeschaltet. „Tut mir leid“, wiederholte er, wobei er zu Ryan aufschaute. „Ich hätte dir Bescheid sagen sollen.“

Mona hatte während der ganzen Zeit so still gesessen, als wäre sie eine Statue. Erst jetzt drehte sie den Kopf und schaute zwischen den Brüdern hin und her. Doch nach wie vor schwieg sie.

Ryan seufzte, winkte ab und setzte sich dann auf eine Kiste, die in der Ecke stand. Manchmal fühlte er sich mit seinen 25 Jahren alt. Vielleicht war alt das falsche Wort, aber müde traf ziemlich gut zu. Die letzten Tage waren aufregender gewesen, als ihm lieb war. Insgeheim fragte er sich, ob sein Leben je wieder so sein würde, wie früher. Doch dann fand er den Gedanken zu theatralisch, weswegen er ihn beiseite schob.

Jason kaute auf seiner Unterlippe herum. „Wir haben uns ein wenig unterhalten“, fuhr er fort, als Ryan nichts erwiderte. „Es ist so viel passiert und ich hatte so viele Fragen.“ Es klang wie eine Verteidigung, das war Jason durchaus bewusst. Allerdings brachte er es nicht über sich seinem Bruder zu verraten, dass Mona ihn in einem unachtsamen Moment angegriffen hatte. Er sollte sich nicht unnötig sorgen, immerhin war nichts passiert. Dennoch brachte es Jason auf einen Gedanken. Er sah Mona an. „Du musst dich bald ernähren, oder?“

Ryans Kopf hob sich mit einem Ruck und Jason bereute diese Frage gestellt zu haben. Eigentlich war das auch keine Antwort, die er sich gerne anhören wollte.

Mona verzog keine Miene, aber in ihrem Blick lag so etwas wie Schmerz. „Ja“, entgegnete sie einsilbig. Sie musste sich nähren. Und zwar bald, sonst würde sie unweigerlich zu einer Gefahr für die Brüder werden.
 

June saß am Küchentisch. Vor ihr lag aufgeschlagen ein Bildband des Jugendstilkünstlers Alfons Mucha. Der tschechische Maler war Anfang des 20. Jahrhunderts besonders populär gewesen und zählte noch heute zu den wichtigsten Repräsentanten des Art Nouveau. Jedoch schenkte sie den farbenfrohen Bildern keinerlei Beachtung, sondern starrte zu ihrem Handy hinüber. Ryan hatte sich noch immer nicht gemeldet. June seufzte und drehte das Radio lauter. The Killers eigneten sich ausgezeichnet um für einen Moment lang abzuschalten.

June wusste nicht mehr, wie lange sie schon so da gesessen hatte, als es an der Haustür klingelte. Sie schaltete das Radio ab, ging in den Flur und warf einen Blick durch den Türspion. Es dauerte einige Sekunden ehe sie das Gesicht zuordnen konnte. Sie öffnete.

„Guten Abend“, sagte June. „War die Musik zu laut?“

Carol Gray, ihre neue Nachbarin schüttelte den Kopf. „Nein, keineswegs“, erwiderte sie lächelnd und reichte June einen Umschlag. „Der ist fälschlicherweise in meinem Briefkasten gelandet.“

June nahm den Brief entgegen. „Vielen Dank.“

Carols Lächeln wurde eine Spur breiter. „Keine Ursache. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“

Nachdenklich schaute June ihr nach. Jason hatte mit seiner Bemerkung gar nicht so unrecht gehabt, kam es ihr unwillkürlich in den Sinn. Carol sah wirklich aus wie eine Schauspielerin. Nachdem June die Tür hinter sich wieder fest verschlossen hatte, galt ihr erster Weg ihrem Handy. Und tatsächlich – diesmal leuchtete auf dem Display der Hinweis „eine neue Nachricht“ auf. Ihr Blick huschte über Ryans knappe SMS.

„Hier ist alles in Ordnung. Rufe dich morgen wieder an“, schrieb er.

Erleichtert atmete June auf und sank auf dem Küchenstuhl nieder. Sie hatte sich wirklich Sorgen um Jason gemacht, nachdem sie und Ryan nichts von ihm gehört hatten.

Erst jetzt fiel June der Brief wieder ein, welchen sie noch immer in der Hand hielt. Sie drehte ihn einmal. Merkwürdig – nirgendwo stand ein Absender. Misstrauisch öffnete sie den Umschlag und zog dann drei zusammengefaltete Seiten hervor. Ein kalter Schauer lief über Junes Rücken. Abgedruckt war dasselbe Kinderlied, das sie schon vor einiger Zeit entdeckt und übersetzt hatte – die Nachricht der Vampire! June zwang sich zur Ruhe und unterzog die Seiten einer gründlichen Betrachtung. Auf dem letzten Blatt standen handschriftlich die Worte: „Manche Warnungen sollte man ernst nehmen. C.G.“

C.G.? June zog die Augenbrauen zusammen, doch dann dämmerte es ihr. Die Initialen standen für Carol Gray. Der Brief war keineswegs fälschlicherweise bei der Nachbarin gelandet.

„Was zum...“, murmelte sie und eilte im nächsten Moment schon aus ihrer Haustür. Woher konnte Carol davon wissen? Eigentlich war das vollkommen unmöglich.

Bevor June klopfen konnte, öffnete Carol bereits die Tür zu ihrer Wohnung. Sie hatte offenbar neben dem Eingang an der Tür gelehnt und dort gewartet. „Kommen Sie rein. Dann können wir reden“, sagte sie ruhig.

June zögerte, unsicher ob der Situation zu trauen war. Doch in den letzten Tagen war sie schon gefährlicheren Dingen ausgesetzt gewesen, weswegen sie nun nickte und Carol ins Innere der Wohnung folgte.

Flüchtig ließ June ihren Blick schweifen. Carols Wohnung war ganz anders geschnitten als ihre eigene. Die Räume waren schmaler, aber durch die helle Einrichtung wirkte alles dennoch freundlich. Hier und da standen noch immer Umzugskartons herum.

Das ungewöhnlichste Detail – jedenfalls war das für June – im Wohnzimmer waren die Bücher, welche in Wandregalen über Kopfhöhe untergebracht waren. Also entweder benötigte Carol diese nicht allzu oft oder sie hatte einfach Spaß am Klettern.

„Setzen Sie sich doch“, bat Carol, ehe sie selbst in der Küche verschwand. Einige Minuten später kehrte sie mit einer Kanne Tee zurück.

Für June genug Zeit um sich Gedanken darüber zu machen, was sie sich hiervon eigentlich versprach. Misstrauisch sah sie auf. „Woher wissen Sie von diesem Lied?“

„Ich weiß so einiges“, gab Carol zurück, was eine schrecklich allgemein gefasste Aussage war. Jedoch lächelte sie einlenkend. „Verzeihen Sie. Es ist wirklich nicht nett von mir Sie auf die Folter zu spannen, zumal ich es war, die Sie hierher gelockt hat.“ Sie schenkte Tee in eine Tasse ein, die sie June reichte. „Ich war in Ihrer Wohnung.“

Fast hätte June die Tasse fallen gelassen. „Sie haben was getan?“

Schnell winkte Carol ab. „Nicht so, wie Sie denken“, entgegnete sie. „Damit wären wir wieder bei den Dingen, die ich weiß. Zum Beispiel, dass in Ihrem Umfeld merkwürdige Dinge vorgehen. Dinge, die Sie bestimmt gern als Aberglauben abtun würden. Ist es nicht so?“

June schluckte, erwiderte aber nichts.

„Vampire“, konkretisierte Carol ihre Aussage. „Sie sind so real, wie in diesem alten Kinderlied. Aber wäre die Welt nicht ein ziemlich finsterer Ort, wenn nur Vampire tatsächlich existierten?“ Über den Rand ihrer Teetasse lächelte sie zu June hinüber.

Langsam fiel der Groschen bei June. „Sondern auch Hexen.“ Kurz tauchte vor ihrem Inneren Auge das Bild von Jasons Klassenkameradin auf. Der rationale Teil in ihr sträubte sich dagegen, aber ihre eigenen Erfahrungen belehrten sie eines Besseren. Fast hätte June geseufzt – sie ergab sich in das scheinbar Unvermeidliche.

Carol nickte. „Richtig erkannt“, sagte sie. „Ich war in Ihrer Wohnung, wenn auch nicht physisch. Für meine Indiskretion muss ich mich entschuldigen. Ich wusste, dass etwas Besorgniserregendes in London vor sich geht und meine Vorahnung hat mich hierher geführt. Als ich diesen Text bei Ihnen fand, wusste ich, dass ich richtig lag.“

June trank einen Schluck. Der kräftige, aromatische Geschmack des Schwarzen Tees war beinah tröstlich und half etwas von der Inneren Kälte zu vertreiben. „Warum erzählen Sie mir das?“, fragte June leise.

„Weil ich noch etwas weiß.“

„Und das wäre?“ June zog eine Augenbraue hoch.

Carol lächelte. „Ich weiß, dass Sie Hilfe brauchen.“
 

Lange hatte Lionel es vor sich hergeschoben, aber inzwischen blieb ihm keine Wahl mehr. Die Oberen mussten endlich benachrichtigt werden und von den Vorkommnissen erfahren. Lionel hasste Inkonsequenz, aber dieser Schritt fiel ihm nicht leicht. Wenn er es noch länger hinauszögerte, würde er es nie mehr tun. Und kaum brach die Nacht herein, entsandte er einen Boten an die Oberen. „Kein Zurück mehr“, murmelte er vor sich hin.

Man hatte Mona noch immer nicht gefunden und die Zeit rann durch Lionels Hände wie die Körner einer Sanduhr.

„Du hast nicht falsch gehandelt.“

Ein flüchtiges Lächeln umspielte Lionels Mundwinkel, als er zu Eve auf sah. Solange er sie an seiner Seite wusste, würde er nicht den Mut verlieren.

„Wer sucht nach Mona?“, fragte Eve.

„Heute Nacht“, begann Lionel, „werden es Ninon und Noël sein, die nach ihr suchen.“ Er schüttelte den Kopf. „Dass ihre Gesichter so unschuldig wie die von Kindern sind, macht es fast noch schlimmer.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Taroru
2011-07-13T21:39:26+00:00 13.07.2011 23:39
boa o.o
ich weiß gar nicht was ich sagen soll o.o
außer das das kappi verdammt kurz ist >.<

*lach* aber hier kommt es schon wieder zu einer unerwarteten wendung XD
ich bin ja gespannt was carol so alles weiß und wie sie überhaupt so ist XD

vom lesefluss bin ich noch immer sehr angetan ^^ ist nach wie vor flüssig geschrieben ^^ hat echt spaß gemacht zu lesen ;p


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