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Shards

At the End of Nightfall ... no one will be safe ... [Trailer online]
von

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Nightmare Castle

Geistertal, DigiWelt

Mittwoch, 23. August 2007

18:43 Uhr
 

In den Tiefen des Bluray-Gebirges, umgeben von Bergen, die zu umfliegen unmöglich war und die man nur in schmalen Stollen durchqueren konnte, hielten die verbleibenden neun DigiRitter und ihre Digimon vor der Mündung des Tals, das so schmal war, dass es eigentlich mehr als Schlucht gelten konnte. Und nun wurde ihnen auch offenbar, warum man diesen Ort Geistertal nannte: Er war schlicht und einfach gruselig.

Von einem Moment auf den anderen schien das Licht von einer formlosen Finsternis geschluckt zu werden, sodass zwischen den Steilhängen nur grauer, lebloser Schatten herrschte. Wie Zähne ragten Gesteinszapfen von den Wänden herunter. Der Boden war rissig und stieß milchigen Qualm aus. Eine Wand aus seltsam substanzreichem Rauch sickerte aus einer breiten Spalte im Boden und wölbte sich wie eine Kuppel über die Schlucht.

Cody lief eine Gänsehaut über den Rücken. „Wir sind da“, sagte er überflüssigerweise. „Irgendwo da drin bewahren die Albtraumsoldaten ihre Karten auf.“

Matt sah zu den abweisenden Felszinnen hoch. Alles in ihm schrie danach, kehrtzumachen oder wenigstens noch ein wenig zu warten, ehe sie die Schlucht betraten, aber er spürte Davis‘ feindseligen und Tais missmutigen Blick im Nacken. Er straffte die Schultern. „Dann wollen wir mal. Je eher wir hineingehen, desto eher sind wir wieder draußen.“ Vorsichtig teilte er den Rauch mit der Hand. Er fühlte sich an wie feine Spinnweben. Matt hielt die Luft an und trat durch die Rauchwand hindurch. Die anderen folgten ihm.

Gabumon wollte ihnen als erstes hinterhergehen. Als es die Schnauze in den Rauch steckte, prallte es davon zurück. „Autsch!“

„Was hast du denn, Gabumon?“ Agumon lief an seinem Freund vorbei – und knallte ebenfalls gegen den Rauch, als wäre es gar kein Rauch, sondern eine massive Wand.

„Was habt ihr?“, fragte Mimi alarmiert.

„Wir kommen da nicht durch“, sagte Gabumon und tastete mit der Pranke die Rauchschwaden ab. Sie waren unter seinen Pfoten tatsächlich wie Glas.

Agumon fackelte nicht lange. „Kleine Flamme!“ Sein Feuerball durchdrang die Rauchwand mühelos und die DigiRitter mussten zur Seite springen, um nicht angesengt zu werden. „Komisch“, murmelte das Dinosaurierdigimon beschämt.

„Sieht nicht so aus, als würde uns der Rauch durchlassen“, stellte auch Tentomon fest, als es prüfend gegen die unsichtbare Wand tippte.

Izzy massierte nachdenklich sein Kinn. „Die Scherben müssen das Tal irgendwie abgesichert haben. Vielleicht ... Vielleicht ist es eine Art umgekehrte Firewall.“

„Was meinst du damit?“, fragte Matt.

„Eine Firewall schützt ein System vor Eindringlingen, grob gesagt. Im Besonderen vor Viren. Was, wenn das hier genau das Gegenteil ist?“

„Du meinst, eine Wand, die nur Virus-Digimon durchlässt?“, fragte Sora.

„Genau. Die Albtraumsoldaten sind so gut wie alle Digimon vom Typ Virus, während es wohl nur äußerst selten vorkommt, dass ein DigiRitter einen Partner vom Typ Virus hat. Somit ist das Tal für die Scherben passierbar, aber wir können unsere Digimon nicht mitbringen.“

„Pff“, machte Davis. „Ist doch völlig egal, was dahintersteckt. Wenn wir unsere Digimon nicht mitnehmen können, müssen wir die Karten eben allein finden!“

Matt bedachte ihn mit einem strafenden Blick, den er trotzig erwiderte. „Aber ohne unsere Partner sind wir ziemlich schutzlos“, stellte der neue Anführer fest. „Wer weiß, was uns erwartet.“

„Es gibt keinen anderen Weg, oder?“, gab Davis zurück.

„Wir haben uns eben erst wiedergefunden, und da sollen wir uns schon wieder trennen?“, fragte Yolei mutlos und sah Hawkmon enttäuscht an.

Gabumon nickte den anderen Digimon zu. „Wir können euch wenigstens von hier aus Deckung geben und aufpassen, dass euch niemand folgt.“

Matt musste auch jetzt wieder schnell überlegen. Schließlich gab er sein Einverständnis. Die Digimon digitierten, so hoch sie konnten, und wenn etwas passierte, versprachen sie, am Himmel ein gut sichtbares Signal zu setzen.

Mit mulmigen Gefühlen setzten die DigiRitter den Weg durch die Schlucht fort. Cody hatte die Hand fest um den Griff seines Katanas geschlossen, während Yolei immer wieder zu ihrer Tasche tastete, um sich zu vergewissern, dass sie die Pistole darin immer noch fühlen konnte.

Der rissige Boden stieg an und Rauchfetzen schwebten durch die Luft, während das Geistertal immer breiter wurde. Als sie eine gute halbe Stunde unterwegs waren und die Nacht Einzug gehalten hatte, schälten sich die Umrisse eines hohen Gebäudes aus der Düsternis. Die Schlucht war zuende und in einer kreisförmigen Senke stand etwas, das halb Burg, halb Hotel zu sein schien.

Das Gebäude war wirklich absurd. Es war mindestens fünfzehn Stockwerke hoch, auf der einen Seite glatt gemauert und von gelber, ausgeblichener Farbe, mit modernen Fenstern und grünen Fensterrahmen und einem Flachdach, auf dem undeutlich eine Satellitenschüssel zu erkennen war. Auf der anderen Seite wuchs wie eine hässliche Mutation eine Festungsbaut aus grauem Stein aus dem Hotel, mit spitzen Erkern und Türmen, vergitterten Fenstern, Schießscharten und brüchigen Wänden.

„Was zum Kuckuck ist das denn? Das Ding sieht aus, als wäre mitten im Bauprojekt der Architekt gestorben und sein Nachfolger hätte eine ganz andere Ansicht von Gemütlichkeit gehabt“, meinte Mimi sarkastisch.

„Wir haben doch schon öfter erlebt, dass Dinge aus der Realen Welt in der DigiWelt gelandet sind. Denkt nur an die Telefonzellen an Shellmons Strand zurück. Vielleicht ist ein ganzes Hotel hier erschienen, als die Tore seinerzeit geöffnet waren“, analysierte Izzy.

„Zur Hälfte in einer Festung drin?“, murmelte Matt skeptisch. Izzy zuckte mit den Schultern.

„Es ist das einzige, wo sie hier die Karten verstecken könnten, also nichts wie rein.“ Davis war zwar schon früher drängelnd gewesen, aber in letzter Zeit sagte er alles in einem so genervten Unterton, dass er unausstehlich geworden war.

Matt drückte die schweren Türflügel auf. Die Eingangshalle des Hotels war heruntergekommen und verlassen und – wurde in der Mitte von einer massiven Steinmauer gespalten. Das Gebäude war wohl wirklich mitten in der alten Festung erschienen, und es gab an dieser Stelle keinen Durchgang. Neben den zerrissenen, verstaubten Sofas und dem leeren Bücherregal und dem ebenso leeren Blumentopf neben dem Eingang gab es nur den Aufzug. Das Stiegenhaus musste sich in dem Teil des Hotels befinden, der nicht vorhanden war. Schweigend sahen sich die DigiRitter an. Matt zuckte schließlich mit den Schultern. Nicht zum ersten Mal fühlte er, wie die Verantwortung schwer auf ihm lastete. Die anderen verließen sich darauf, dass er sie führte. Er steuerte den Aufzug an und drückte auf die Taste. Sofort glitten die Türen auseinander. Die neun DigiRitter hatten gerade so alle auf einmal Platz. Sora drängte sich gegen Matt – ob nun bewusst oder nicht, wenigstens ein angenehmes Gefühl an diesem düsteren Ort, fand er.

Wie sich herausstellte, funktionierte nur der Liftknopf, der in den zehnten Stock von dreizehn führte. „Meint ihr, sie wollen uns zu einem bestimmten Ort führen?“, fragte Izzy, während sie in die Höhe fuhren.

„Es weiß doch niemand, dass wir hier sind“, sagte Cody.

„Aber für einen Zufall ist mit ein Stock von dreizehn doch zu merkwürdig.“

Niemand wusste eine Antwort. Aber wenigstens hatte sich die Größe des Bereichs, in dem sie suchen mussten, verringert.

Als die Lifttüren wieder auseinanderglitten, quollen die DigiRitter in ein kleines Vorzimmer, von dem eine schwere Eichenholztür in einen großen Saal führte, dessen Zweck ihnen zunächst einmal verborgen blieb. Es mochte ein Wartesaal sein oder eher ein länglicher Konferenzraum; der Boden war aus dunklem Holz, die Wände gelblich verputzt, Licht brannte in den Wandlampen, woher auch immer es hier den Strom nahm. Eine massive Holztafel mit zerkratzter Tischplatte stand genau in der Mitte des Raumes und war etwa zehn Meter lang. In regelmäßigen Abständen standen Stühle aus dem gleichen Holz an beiden Enden der Tafel. Es gab auf der linken Seite des Raumes vier große Fenster, durch die man dank der Höhe einige der Felsspitzen jenseits der Schlucht sehen konnte, ehe die graue Düsternis und die Rauchschwaden die Sicht verschlangen.

„Hier könnte man die Karten verstecken, schaut“, sagte Sora und zog eine Schublade aus der Tafel. Vor jedem Stuhl war eine angebracht.

„Oder da“, sagte Cody und deutete auf eine Reihe metallisch blitzender Spinde gegenüber der Fenster, die aus einer gewöhnlichen Sportumkleide hätten stammen können, wären sie nicht so sauber und edel gewesen.

„Das dauert ja ewig, die alle durchzusehen“, stöhnte Davis und raufte sich die Haare.

„Wenn sie überhaupt offen sind“, fügte Cody hinzu.

„Wartet!“, stieß Davis plötzlich aus und hob die Hand. Die anderen verstummten.

„Was hast du?“, fragte Sora nach einer Weile.

„Schhhh!“, machte Davis unwillig. „Habt ihr das nicht gehört?“

„Was gehört?“ Mimi wurde unbehaglich zumute. Sie hatte sich auf einen der Stühle gesetzt und rutschte unruhig hin und her. „Mach uns keine Angst! Dieser Ort ist unheimlich genug.“

Dann hörten es die anderen auch. Ein leises Klopfen, als würde jemand am Meißeln sein, untermalt von etwas, das sich wie ein Glockenspiel anhörte. Nach zwei Sekunden waren die Töne verschwunden. Izzy fröstelte. „Was ist das? Ehrlich gesagt wäre es mir lieber, wenn wir das Knurren eines wilden Digimons hören würden, und nicht sowas …“

„Es kommt von da.“ Davis deutete auf die Tür am anderen Ende des Raumes, die allem Anschein nach aus simplem Kunststoff war.

Matt rang kurz mit sich und nickte dann ihm und Cody zu. „Sehen wir uns das an. Ich weiß lieber, womit ich es zu tun habe. Ihr anderen könnt schon mal mit dem Suchen anfangen.“

„Ich komme auch mit“, beschloss Sora. Als Matt den Mund aufmachte, um etwas zu erwidern, unterbrach sie ihn sofort: „Du brauchst gar nicht erst versuchen, mich umzustimmen, ich bleibe auf jeden Fall bei dir.“

Matt seufzte. „Also schön.“ Sie gingen auf die Tür zu. Davis fiel sofort die rot bemalte Feuerwehraxt auf, die daneben, irgendwie deplatziert, an der Wand hing.

„Seid vorsichtig, das ist sicher eine Falle!“, rief Mimi ihnen nach. Joe murmelte etwas davon, dass sie lieber in aller Stille und unbemerkt die Karten suchen und wieder verschwinden sollten, aber er war kaum zu verstehen und sie hörten auch nicht auf ihn.

„Der beste Weg, eine Falle zu entschärfen, ist sie auszulösen“, behauptete Davis und nahm die Axt von den Haken. Sie war überraschend schwer und klobig. Er nickte den anderen zu. „Die nehm ich.“ Sein Tonfall machte klar, dass er keinen Widerspruch duldete, auch nicht von ihrem Anführer. Davis war es schließlich auch, der die Türklinke nach unten drückte und die Tür aufstieß – um mit erhobener Axt in den Raum zu springen. Es war stockdunkel. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er links von sich etwas hörte. Er wirbelte herum, sah aber nichts. Die Luft roch feucht. Ein Schweißtropfen kitzelte Davis an der Wange. Wenn dort etwas war, das ihn töten wollte, konnte er es nicht sehen …

Sora betrat hinter ihm den Raum. Ihre Finger taseten nach einem Lichtschalter. Die Wand bestand aus glitschigen Fliesen. Flackernd gingen Neonröhren an. Sie standen am Anfang von etwas, das wie eine Gemeinschaftsdusche eines Sportumkleideraums aussah: Ein etliche Meter langer Gang mit einzelnen Duschzellen ohne Tür. Am anderen Ende war neben zwei Klokabinen und zwei Handwaschbecken eine weitere Tür. Alles war in peniblem Weiß gehalten, so steril, dass es in seiner Unnatürlichkeit schon wieder unheimlich war.

„Langsam“, murmelte Matt.

Im Schleichtempo gingen sie, immer zwei und zwei, durch den Gang. Davis hielt den Atem an. Jeder seiner Nerven war zum Zerreißen gespannt, seine Handflächen juckten, als er die Axt schweißnass umklammert hielt. Warum hatte er nur solche Angst? Ja, er war ohne Veemon hier, und hinter jeder der Mauern, die die Duschen voneinander abgrenzten, konnte etwas lauern; etwas, das vielleicht nicht einmal ein Digimon war, Davis konnte sich das irgendwie gar nicht vorstellen, ganz bestimmt aber war es nicht menschlich …

Sein Herz pulsierte laut, drückte Schübe von Blut und Adrenalin durch pochende Adern. Er und Cody gingen als erstes, weil sie beide Waffen hatten, und er war irgendwie stolz darauf, dass Matt sich ihnter ihm versteckte. Sie erreichten die Klokabinen. Die Türen waren nur angelehnt. Sein Herzklopfen wurde noch heftiger. Dahinter versteckte es sich, ganz sicher. Es hatte Geräusche gemacht, also musste es hier sein. Er wusste einfach, dass es da war. Davis wollte den Moment, in dem er die Türen aufstieß, so lange wie möglich vor sich herschieben, aber seine Nerven waren am Durchbrechen. So biss er sich auf die Unterlippe, um sein Kiefer am Zittern zu hindern, und stieß mit dem Axtgriff die erste Kabinentür auf. Dahinter war ein leeres Klo, weiß und blitzblank wie alles andere hier.

Die zweite Tür. Er nickte Cody zu. Sie hoben beide die Waffen. Dort versteckte es sich. Es, das es kaum erwarten konnte, die blitzend sauberen, weißen Fliesen mit ihrem Blut vollzuspritzen. Davis holte tief Luft, trat die Tür mit dem Fuß auf und sprang einen Satz zurück.

Die Kabine war leer.

Davis atmete stoßartig aus. Hier war gar nichts?

Ein peitschender Knall ertönte hinter ihnen, gefogt von einem lauten Rumpeln und einem schrillen Schrei.

„Mimi!“ Davis wirbelte herum, stürzte an Matt und Sora vorbei, die sich ebenfalls erschrocken umsahen. Verdammt! Sie hätten sich doch nicht von der Gruppe entfernen dürfen!

Mit fliegenden Füßen rannte er halb, halb schlitterte er über die feuchten Fliesen zurück in den Besprechungssaal. „Was ist los?“, rief er, die Axt erhoben, nach Feinden Ausschau haltend. Hinter sich hörte er die Schritte der anderen, die ihm folgten.

„Die Tür!“, rief Mimi. „Die Tür ist …“

Davis sah Joe hilflos an der Tür zerren, die zum Aufzug führte. Sie war zugefallen. Und hatte sich selbst abgeschlossen?

Ein neuerlicher Knall erscholl. Noch bevor er sich umdrehte, wusste Davis, was er sehen würde. Die Tür, die in den Duschraum führte, war ebenfalls zugefallen. „Hey!“, schrie er. „Cody! Matt! Sora!“ Sie waren noch da drin – verdammt, warum waren sie nicht schneller gerannt? Er hackte mit der Axt auf das scheinbare Plastik ein, doch seine Schläge wurden wie von Metall aufgefangen. Brennende Wutschreie rollten aus seiner Kehle hervor, zerkratzten seine Stimmbänder.

„Das hat keinen Sinn, Davis!“, erreichte Yoleis Stimme seine Ohren.

Davis ließ keuchend die Axt sinken. Er hatte die Tür eingedellt, aber er würde wohl nie durchkommen. Nicht ohne Veemon. „Verdammt, was ist hier los?“, murmelte er weinerlich. Geräusche, wo nichts war? Türen, die sich von selbst zusperrten? „Hier stimmt irgendwas nicht, hier stimmt was ganz und gar nicht!“

„Ganz ruhig“, beschwor ihn Izzy. „Wir finden schon eine Lösung.“

„Ruhig?“, rief Davis hysterisch. „Hör dich doch mal an, deine Stimme zittert ja auch!“

„Hört auf, euch zu streiten!“, ging Yolei dazwischen.

Wir streiten nicht!“, fuhr Davis sie an. „Verdammt, wir sitzen hier fest, irgendwo in einem Spukschloss, in dem sicher tausend hungrige Monster herumkriechen!“

„Das weiß ich!“, schrie Yolei zurück. „Aber wir müssen ruhig bleiben!“

Aber Davis konnte nicht ruhig bleiben. „Matt!“, brüllte er so laut er konnte. „Komm sofort wieder zurück! Du hast uns hier reingeritten, hörst du?!“

„Die Tür scheint schalldicht zu sein.“ Izzy legte sein Ohr dagegen. „Ich höre gar nichts und wahrscheinlich können sie uns auch nicht hören.“

„Das Scheißding ist aus Plastik!“, rief Davis. „Mach Platz!“ Er trat an Izzy heran und hob wieder die Axt, wirkte für einen Moment, als hätte er vergessen, dass sein Freund noch vor der Tür stand.

„Verdammt nochmal, Davis, hör auf!“, kreischte Yolei aufgelöst. Izzy war mit weit aufgerissenen Augen erstarrt.

Joe packte Davis am Handgelenk und zwang ihn, die Axt sinken zu lassen. „Leg das Ding weg, das bringt nichts. Du kannst ja die andere Tür probieren, obwohl ich glaube, dass das auch keinen Unterschied macht.“

Davis starrte den Älteren entgeistert an, als könnte er es nicht fassen, dass Joe etwas gegen ihn sagte. „Halt du ja den Rand“, zischte er hasserfüllt. „Du hast es auch nicht geschafft, Kari zu retten!“

Die Worte wirkten wie ein Schalldämpfer. Plötzlich wurde es ruhig im Raum. Joe taumelte einen halben Schritt von Davis zurück, der plötzlich blass geworden war. „Tut mir leid“, murmelte er ernüchtert und ließ die Axt endlich sinken.

„Wir sind alle ziemlich mit den Nerven fertig, ja“, sagte Yolei. „Aber trotzdem sollten wir sehen, was wir tun können. Vielleicht können wir durch ein Fenster fliehen, und vielleicht finden wir sogar die Karten. Und einen Weg zu den anderen.“

„Und vielleicht digitiere ich demnächst zu Imperialdramon“, murmelte Davis, aber er klang plötzlich nur noch müde. Er ließ die Axt zu Boden fallen und sich schwer auf einen der Stühle plumpsen.

Die folgenden zwei Stunden suchte keiner von ihnen nach den Karten. Sie hockten alle nur missmutig auf den Stühlen und warteten darauf, dass irgendetwas geschah. Wenigstens etwas sicher fühlten sie sich. Draußen blieb es, obwohl es auf zehn Uhr zuging, so grau wie zuvor, als ob diesen unheimlichen Ort sogar die Zeit meiden würde, milchige Schwaden krochen vor den Fenstern umher – und plötzlich war da auch ein Schatten.

Zuerst dachte Mimi, dass sie ihn sich nur einbildete, aber da schob sich tatsächlich ein Schatten vor das Fenster, das sich am weitesten rechts befand. Dessen Scheiben waren so schmutzig, dass sie wie getönt wirkten, viel mehr als eine Silhouette war daher nicht zu erkennen. „Da!“, rief Mimi atemlos. „Da kommt etwas!“ Sofort waren die anderen auf den Beinen. Davis schnappte nach Luft und griff nach seiner Axt. Ein leises Pochen ertönte. Was immer da in der grauen Düsternis war, es wollte herein.

„Was tun wir?“, fragte Mimi.

„Wir machen einfach nicht auf“, sagte Joe bestimmt.

„Dann schlägt das Ding am Ende noch das Fenster ein!“ Davis stapfte entschlossen auf das Fenster zu. „Ich erledige das.“

„Warte, Davis!“

Ohne auf Yoleis Ruf zu reagieren, riss er den linken Fensterflügel auf und beugte sich hinaus, die Axt zum Schlag erhoben.

„Wowowo, Davis!“, rief die geduckte Gestalt, die an dem Sims balancierte, der knapp unter dem Fenster um das Stockwerk verlief, und wich instinktiv vor der Axt zurück. Dabei kam sie aus dem Gleichgewicht und drohte zu stürzen.

„Cody!“, rief Davis aus, langte nach vor, packte Cody am Handgelenk und zerrte ihn zu sich. Der Jüngere atmete auf, als er wieder festen Stand fand, und ließ sich in den Raum helfen.

„Was tust du denn da?“, fragte Davis, immer noch geschockt. „Hast du den Verstand verloren? Wir sind im zehnten Stock!“

„Anders ging es nicht.“ Cody wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er wirkte etwas bleich. „Ich wollte euch sagen, dass es uns gut geht.“

Den anderen fiel ein Stein vom Herzen. „Wie sieht es drüben aus?“, fragte Izzy.

„Wir haben nichts mehr von euch gehört und die Tür war nicht aufzubekommen“, erzählte Cody. „Also sind wir weitergegangen und in die alte Burg gekommen. Oder was auch immer das da drüben ist. Eine Menge Staub, Spinnweben und Ruß, nicht wirklich angenehm. Aber wir haben so etwas wie eine Speisekammer gefunden, in der sogar etwas gelagert wird. Hier.“ Damit fischte Cody ein paar verschrumpelte Äpfel und zwei kleine Orangen aus der Jackentasche.

„Habt ihr die Karten auch schon gefunden?“, fragte Izzy hoffnungsvoll.

Cody schüttelte den Kopf. „Leider nein. Wir waren noch nicht überall. Ich hab ein Fenster gefunden und wollte euch erst mal ins Bild setzen. Matt und Sora suchen noch weiter. Habt ihr was gefunden?“

„Noch nichts“, sagte Davis ausweichend. Er konnte nicht anders, als Cody unheimlich mutig zu finden, obwohl seine Aktion im Grunde wahrscheinlich ziemlich dämlich gewesen war.

Cody musterte ihn einen Moment, dann zuckte er mit den Achseln. „Gut, ich werd dann mal zurückklettern. Ich hab Matt und Sora versprochen, gleich wieder zurückzukommen. Also bis dann.“

„Warte, Cody!“, hielt ihn Izzy zurück. „Habt ihr … wirklich gar nichts gefunden? Nicht einmal Wächterdigimon oder etwas in der Art?“

„Nein, nichts. Die Burg scheint leer zu sein. Wieso?“

Izzy überlegte. „Immerhin haben wir keine Garantie, dass sich die Karten wirklich hier befinden. Die Information könnte falsch sein, und so was Wichtiges würden die Scherben doch bewachen wollen, oder?“

„Und was ist dann mit dieser verdrehten Firewall?“, gab Cody zurück. „Wir sind hier richtig, das fühle ich. Suchen wir weiter. Wir haben ja bis morgen Zeit.“

„Bis morgen?“

„Ah, das hatte ich vergessen zu erwähnen. Wir haben ein altes Wandfresko gefunden, wo eine Nachricht draufstand. Ziemlich verwittert und auf Englisch, aber wir konnten es entziffern. Dieses Gebäude wird Albtraumschloss genannt, und jeden Abend schließen sich die Türen für die Nacht. Bei Sonnenaufgang können wir wieder hinaus. So lange müssen wir wohl oder übel hier bleiben.“

Ein erleichtertes Aufatmen ging durch die Runde. „Dann müssen wir hier gar nicht versauern“, sagte Joe. „Ein Glück.“

„Ja, aber ich würde das Glück nicht herausfordern. Es hat sicher einen Grund, warum es Albtraumschloss heißt. Ich glaube übrigens nicht, dass die Scherben es gebaut haben, und ich will gar nicht wissen, wer sich diesen Spaß wirklich erlaubt hat“, murmelte Cody, straffte dann die Schultern und ging zum Fenster zurück. Schon halb auf dem Fensterbrett, rief er noch zurück: „Haltet die Ohren steif, vielleicht kann ich euch später noch was zu essen bringen. Bis dann!“

„Danke, Cody!“, rief Mimi, die sich ausnahmsweise nicht einmal über die Kargheit ihres Mahls aufregte.

Während Cody auf dem schmalen Sims nach rechts balancierte, auf den feindseliger aussehenden Teil des Gebäudes zu, langte Davis nach dem Fenstergriff, um das Fenster wieder zu schließen. Da sah er es. Aus den grau verhangenen Bergspitzen löste sich ein Schatten und schoss auf das Fenster zu, und das rasend schnell. Davis erhaschte nur einen Blick auf zwei weitgefächerte, graue Fledermausflügel und einen ausgemergelten Körper – dann packte das Wesen Cody mit seinen dürren Klauen wie ein Adler ein Kaninchen und riss ihn von der Wand fort.

Codys Schrei wehte zu ihnen herüber. Mimi, Izzy und Yolei schrien auch, als sie sahen, wie das Wesen ihn davontrug und mit seiner Beute ins Gebirge flog.

Und Davis schrie ebenfalls, am lautesten von allen, aber nur kurz. Dann fühlte er sich, als würde jemand Blei in seine Glieder pumpen. Kraftlos ließ er den Fenstergriff los. Wie ein verängstigtes Kind sank er unter dem Fenster zu Boden, zog die Knie an und presste die Hände vors Gesicht, starrte an seinen Fingern vorbei ins Leere. Er zitterte am ganzen Körper. Er hörte die anderen etwas rufen, das Fenster knallte zu.

Er hätte nicht hinsehen dürfen. Das war sein einziger Gedanke in dem Moment. Er hätte das nicht sehen dürfen. Aber dann hätten sie nie erfahren, welche Gefahren dort draußen lauerten … Zuerst Kari und jetzt Cody. Erst Kari und jetzt Cody!

Davis war völlig mit den Nerven fertig. Er wollte am liebsten alles verleugnen, die schreckliche Wahrheit, alles, was im Moment real war, sollte sich vor ihm zurückziehen.

Es hat Cody gepackt. Es hat Cody gepackt!
 

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Das Kapitel sollte zur Abwechslung mal ein wenig Gruselstimmung vermitteln, ich hoffe, das ist mir gelungen ;) Das nächste wird "The Slide Rule’s Prophecy" heißen, ich lasse euch mal raten, was das zu bedeuten hat XD

Übrigens, falls sich jemand wundert, warum das Kapitel mit dem Hotel-Burg-Schloss so ist, wie es eben ist: Das meiste davon stammt aus einem Traum, den ich mal hatte und hier einbauen wollte. Ja, ich hab zuweilen recht epische Träume^^

Bis zum nächsten Kapitel also!



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Ailtvesiki
2013-02-21T17:34:59+00:00 21.02.2013 18:34
ja es war gruselig... und ziemlich untypisch für dich, dachte jeden moment jetzt kommt gleich eine riesen armee und sie müssen davonrennen oder was weiß ich machen xD
ich vermute jetzt mal stark, dass es albtraumschloss heißt weil sie alle albträume haben werden, wenn sie eingeschlafen sind...

fischen wir uns mal ein paar charaktere heraus: izzy, computerfreak durch und durch, war recht interessant das mit der firewall, dachte zuerst, dass wäre eine wand wo gar kein digimon durch kann, aber das wäre ja für die bösewichte blöd gewesen, sind ja immerhin auch digimon :P
und davis, der ist nervlich ein bisschen hinüber oder? haltet ihn ja von der axt fern, sonst hab ich angst um die anderen xP ansonsten finde ich benimmt er sich nicht mehr so wie in der serie, da war er zwischendurch auch immer wieder lustig und doch auch positiv eingestellt... aber es ist verständlich dass er sich verändert hat nach allem was er durchgemacht hat, also ist er trotzdem noch gut getroffen ;)
last but not least, cody! du bist mein held, hab ich schonmal gesagt das du viel cooler bist als in der serie? und ich glaube nicht das er gestorben ist nur weil ihn ein digimon mitgenommen hat, du kannst nicht noch einen digiritter um die ecke bringen!

dann wollen wir mal sehen, welche unheimlichkeiten das schloss noch so zu bieten hat ;)
Von:  Juju
2013-02-11T10:17:59+00:00 11.02.2013 11:17
Mensch, was machst du nur mit den armen DigiRittern, du Sadist? xD Gib es zu, du freust dich doch, dass sie leiden. :D
Ich fand das Kapitel unglaublich spannend. Hat sich gelesen wie ein Horrorfilm.
Die Idee mit der umgekehrten Firewall fand ich gut, aber ich hatte gar kein gutes Gefühl dabei, dass die Digimon draußen bleiben mussten. :( War ja auch blöd. Ich wäre da nicht ohne mein Digimon reingegangen. :D
Die Idee mit den Türen mochte ich auch, dass Matt, Sora und Cody jetzt dort eingesperrt sind und vor Morgengrauen nicht mehr zu den anderen können. Ich bin echt mal gespannt, was sie jetzt in der Nacht noch so alle erleben werden. Da das ganze Ding ja Albtraumschloss heißt, wird das sicher kein Spaß werden. Klingt immer noch nach einem Horrorfilm. xD
Der arme Cody tut mir sehr Leid. Ich hoffe, er überlebt das und du lässt ihn nicht auch noch draufgehen. Aber in dieser Hinsicht ist es ein bisschen ungünstig, dass du zu jedem Charakter in der Charakterbeschreibung noch etwas aus der Geschichte zitiert hast. So weiß man ja ungefähr, was noch kommt und ich muss sagen, eine Sache passt mir da ganz und gar nicht. Vielleicht kannst du dir schon denken, was das ist. :D Naja, jedenfalls sagt da ja noch jemand zu Cody "Ab heute bist du Cody, der Drachentöter" und somit kann ich mir ja schon denken, dass Cody heile wiederkehren und wahrscheinlich sogar seinen Entführer abmurksen wird. ;) Aber an sich finde ich die Idee mit den Zitaten in den Beschreibungen gut, nur hättest du was nehmen sollen, was schon eher passiert ist. :)
Wie auch immer, ich bin gespannt aufs nächste Kapitel.
Von:  fahnm
2013-02-10T22:03:55+00:00 10.02.2013 23:03
Hammer Kapi^^
Hoffentlich können sie Cody retten.

Freue mich aufs nächste kapi^^
Von:  EL-CK
2013-02-10T12:56:45+00:00 10.02.2013 13:56
Wow sach mal was haste nur für Träume... heftig...
So wie das Kapitel...
Man merkt irgendwie so richtig wie das erlebte an Joe und Davis nagt...
Hoffentlich können die anderen Cody retten.. bzw er Vol auch sich selbst....

Ich bin schon aufs kommende gespannt....
Von:  Kaninchensklave
2013-02-09T21:01:52+00:00 09.02.2013 22:01
eiin Tolles Kap

Tja das mit der ungekehrten Firewall ist schon schlimm
aber es sie werden einen Weg Finden um die Karten zu bekommen

Tja ich würde sagen das Cody soagr glück aht da es nur einer der Schwergen war
welche Cody eintführt aht da die andern jetzt hinter T.K mit dem Schwert und der karte hinter her sind

GVLG


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