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New Reign

Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hier mit einwöchiger Verspätung das neue Kapitel. Viel Spaß! Komplett anzeigen

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Das Attentat


 

Tag 21

 

Es war die perfekte Welt, wunderschön und friedlich. Jahre waren ins Land gezogen, nichts erinnerte mehr an MaloMyotismons Untaten. Die Schuld der Finsteren Saat war lange getilgt worden, vom Licht aller DigiRitter auf Erden überschwemmt und gereinigt und auf ewig verbannt. Nun saßen sie an diesem heißen Sommertag unter den Bäumen im Park, ließen Sonnensprenkel, die das Blätterdach durchließ, auf ihrer Haut spielen. Davis rollte den Ball über den Rasen, rief ihnen spielerisch etwas zu, und Tai sprang auf und dribbelte mit.

„Will jemand eines?“ Yoleis Gesicht tauchte grinsend vor ihm auf; sie hielt eisgekühlte Getränkedosen in der Hand. Mit ihrem langen Haar spielte der Wind und ihr weißes T-Shirt strahlte in der Sonne.

„Ja, gerne“, sagte Ken lächelnd und streckte die Hand danach aus, doch sie ignorierte ihn, lächelte weiter, aber reagierte nicht. War sie aus irgendeinem Grund sauer?

„Danke, Yolei“, sagte T.K. und nahm eine der Dosen.

„Hey, Yolei, wirf rüber!“ Davis fuchtelte mit den Armen, während Tai kunstvoll den Ball gaberlte. Yolei warf ihm im hohen Bogen die Coladose zu, und als Davis sie öffnete, wurde er fauchend und zischend von einer Schaumfontäne durchnässt. Alle lachten, selbst Ken musste kichern. Das war typisch Davis.

„Hast du für mich auch eine? Ich weiß nicht, wo ich sie sonst bekommen soll.“ Joe saß neben Ken im Gras.

 „Klar“, sagte Yolei, obwohl sie keine mehr in Händen hielt. Sie lächelte unerschütterlich weiter, sah ihn aber schief an. „Kennen wir uns?“

Ken lachte leise über ihren Scherz. Es fühlte sich toll an, so frei zu lachen. Er wusste noch, dass er damals fast ein halbes Jahr gebraucht hatte, um wieder das Lachen zu lernen. Nun steckte er sogar die anderen damit an. „Yolei, sei nicht so fies zu ihm“, sagte Kari glucksend.

Joe rückte seine Brille zurecht. „Entschuldige, wie unhöflich von mir. Ich heiße Joe. Ich bin einer vom Zuverlässigen Orden.“

Kens Lächeln entgleiste.

Während seine Freunde weiterlachten, rückten sie mehr und mehr von ihm weg. Egal, was er sagte, egal, was er tat, sie reagierten nicht auf ihn. Yolei lachte über einen Scherz von Cody, schlug die Stiefelabsätze zusammen und salutierte. Sie trug eine tiefviolette Paradeuniform, an ihrer Seite hing ein Schwert und um ihren Hals saß eng und fest ein Schwarzer Ring.

Ein Geräusch zerfetzte den Himmel, riss alles auseinander, das fröhliche Beisammensein, die Bäume und die Blätter, das ruhige Grasfeld, alles. Nur von seinem Schrecken blieb ein Nachhall, der schmerzhaft durch seinen Körper pochte. Kurz meinte er Karis Blick auf sich zu spüren, den einzigen Blick, den einer seiner Freunde ihm zugeworfen hatte, dann löste sich ihr Gesicht in Schwärze auf, genau wie alles andere, nur der schrille Lärm war noch da, jagte rote Adern über den Himmel und ließ sein Herz hämmern wie verrückt.

Dann spürte er, dass er auf etwas Weichem lag, alle Muskeln angespannt und verkrampft. Tobende Dunkelheit umhüllte ihn. Kalter Schweiß auf seiner Stirn ließ ihn frösteln. Für einen Moment war es ihm unmöglich, sich zu orientieren, dann erkannte er, dass er in seinem Bett in seiner Schlafkoje lag. Immer noch pochten rote Linien über seine Netzhaut und der markdurchdringende, an- und abschwellende Ton ließ sein Blut gewaltsam durch seine Adern rauschen. Für einen Moment war er dankbar, so rabiat aus seinem Traum gerissen worden zu sein. „Ken, das ist ein Alarm!“, hörte er Wormmon piepsen.

Ken schwang die Beine aus dem Bett und sprang, von dem plötzlichen Adrenalinschub getrieben, auf. Mit den roten, verästelten Blitzen vereinigten sich bunte Flecken vor seinen Augen zu einem schwindelerregenden Bildnis abstrakter Kunst, und er musste sich an der Wand abstützen, um nicht einfach umzufallen. Wormmon vergewisserte sich, dass er seine Hilfe nicht brauchte, und krabbelte voraus auf den Flur.

Auf seinem wankenden Weg zur Tür las er seinen Umhang auf, den er letzte Nacht über den Schreibtischsessel geworfen hatte, und legte ihn um, als er zur Kommandobrücke hastete. Der neue Tag konnte noch nicht angebrochen sein, aber vielleicht war seine innere Uhr auch völlig gestört. Selbst das schale Licht, in das die gedämpften Deckenlampen den Flur badeten, tat in seinen Augen weh, und so war es eine Wohltat, dass die Kommandobrücke wie gewohnt völlig in Düsternis versank. Die dunkelroten Alarmlichter und die nervtötende Sirene verschwanden, als er die Brücke betrat. Nur die breiten Bildschirme verströmten mattes Licht; um Energie zu sparen jedoch nur so viel, dass die Hagurumon, die die Brücke überwachten, die Bilder erkennen konnten. Ken selbst sah nur graue Mosaike. „Was ist los?“, fragte er. Seine Stimme klang rau, sein Hals war so trocken, dass selbst Schlucken nichts brachte.

„Eine Störung im Sektor M“, berichtete eines der zahnradartigen Digimon. „Schaden wurde gemeldet. Ein Angriff.“

„Was?“ Sektor M, das war kein Turm und keine Verteidigungsanlage draußen in der Wüste. Sektor M war die Festung selbst. „Wie konnten sie bis hierher kommen? Was ist mit dem Radar?“

„Zeigt keine feindlichen Aktivitäten an“, berichtete ein anderes Hagurumon. „Die einzigen Digimonsignaturen stammen von registrierten Wachen. Und den Schwarzring-Digimon.“

„Zeigt mir die Stelle“, verlangte Ken. So abrupt geweckt zu werden, verlieh ihm ein Gefühl der Verwundbarkeit, und plötzlich fühlte er Panik in sich aufsteigen. Ruhig, noch ist nichts passiert. Was kann dir hier in deiner Festung schon etwas anhaben?

Die Hagurumon hellten einen der Monitore auf. Das Bild einer Außenkamera wurde sichtbar, ein Stück des Festungskörpers und der Himmel waren zu sehen. Kens innere Uhr hatte ihn tatsächlich im Stich gelassen; der Morgen graute soeben, der Nachthimmel wich blassem Blau. Kurz wurde in dem Videoausschnitt etwas sichtbar, ein grauer, rechteckiger Körper, nur für einen Moment, dann zerriss ein Blitz das Bild, wie die Sirene seinen Traum zerrissen hatte, und körniger Ameisenkrieg erschien an dessen Stelle auf dem Monitor. Dennoch hatte Ken das Digimon erkannt. „Verfolgt sofort die Signaturen aller Mekanorimon, die in unserem Sektor sind.“

Die Hagurumon bedienten die Maschinen, ohne sie zu berühren. Es reichte ein kurzer Blick oder eine angestrengte Miene in ihren metallenen Gesichtern. Ein dreidimensionales Hologramm tauchte vor Ken auf und zeigte die Festung von außen, in kleine Würfel unterteilt. Fünf gelbe Punkte blinkten rundherum auf. „Fünf Mekanorimon registriert. Die Sensoren bestätigen, dass alle mit Schwarzen Ringen bestückt sind. Sie stehen unter unserer Kontrolle.“

Ein rotes Lämpchen begann an einem der Kontrollpulte zu blinken. „Schaden gemeldet. Außenklappe B-X beschädigt. Metallvorhang automatisch aktiviert“, berichtete das zuständige Hagurumon.

Ken vollführte eine Geste und die Bewegungssensoren des Computersystems ließen ein Eingabefeld in der Luft erscheinen. Mit wenigen Handgriffen befahl er den Mekanorimon, sich vor der Festung in einer Linie aufzustellen; da sie ihn nicht hören konnten, musste er das Befehlssignal über die Schwarzen Türme senden. Er erhielt die Bestätigung, dass das Signal die Digimon erreicht hatte, doch sie gehorchten nicht. Das ist unmöglich!

Ein Schweißtropfen lief Ken über die Stirn. „Kalibriert das System neu! Die Mekanorimon sind als Feinde einzustufen, die Abwehrsysteme sollen sie vernichten!“ Es war ein großer Schritt zurück zu seinem Ich als DigimonKaiser, das wusste er, aber die Mekanorimon würden in der Stadt des Ewigen Anfangs wiedergeboren werden. Wormmon klammerte sich nervös an sein Hosenbein.

Die Außenkameras wurden ebenfalls auf die Mekanorimon gerichtet und er sah die fünf nun. Sie flogen mit ihren Jetpacks tatsächlich um die Festung herum und schmolzen mit ihren Lasern Sichtfenster und Sensoren, und ganz zweifellos suchten sie nach einem Weg, in die Feste zu gelangen. Während die Plattformen mit den Tankmon ausgefahren wurden und die panzerartigen Digimon die Maschinen unter Beschuss nahmen, feuerten Kens nunmehr hellwache Neuronen auf Hochtouren. Was ging hier vor? Natürlich, es gab Digimon mit der Fähigkeit, andere Digimon unter ihre Kontrolle zu bringen, soviel wusste er; die heimtückischen Parasimon zum Beispiel oder seine Hagurumon. Auch Devimon hatte ja eine Möglichkeit entwickelt, gutartige Digimon unter seine Knute zu bekommen. Devimon war allerdings in der Hinsicht aus dem Verkehr gezogen, und Kens Schwarzen Ringe sollten eigentlich jedes andere Kontrollprogramm überschreiben. Es war unmöglich, ihm Champion-Digimon, die den Schwarzen Ringen unterstanden, in einem Gebiet, das vor Schwarzen Türmen nur so wimmelte, abspenstig zu machen!

„Das Signal ist korrekt? Die Schwarzen Ringe sind wirklich aktiv?“, fragte er.

„Sie sind aktiv und reagieren auf Eingaben. Allerdings handeln die Digimon nicht nach unseren Befehlen.“ Auch die stoischen Hagurumon waren etwas hektisch geworden. Die Vernichtung der Mekanorimon schritt zum Glück gut voran. Sie waren trotz ihrer Jetpacks nicht wendig genug, um den Hyperkanonen der Tankmon auf Dauer auszuweichen. Soeben zerbarst eines der Digimon bei dem Versuch, einen Panzer aufs Korn zu nehmen, in einer glitzernden Datenwolke, ein zweites nur Sekunden später. Die verbliebenen Mekanorimon zogen himmelwärts und nahmen die Festung von oben in Beschuss. In dem Moment flogen Kens Airdramon herbei, über ein Dutzend, und die Kameras zeigten, wie sie die Metalldigimon mit ihren Zähnen zermalmten. Ihr Angriff erinnerte ihn an Raubfische, die in ihren Beuteschwarm fuhren und sich ihre Opfer herauspickten; nur, dass hier die Raubfische der größere Schwarm waren.

Ken ließ sich seufzend auf seinen Stuhl sinken, als das letzte der Mekanorimon vernichtet worden war und seine Datenreste gen Himmel trieben. So ein Alarm am Morgen wirkt heftiger als jeder Kaffee. „Wissen wir schon, warum sie uns nicht gehorcht haben?“, fragte er matt.

„Negativ“, berichtete eines der Hagurumon. Die Bildschirme zeigten Statistiken, Diagramme und Messdaten, so schnell hintereinander, dass ein menschliches Auge gar nicht mithalten konnte. „Die Ringe waren in Ordnung, ebenso die Türme und unsere Signale. Funktionalität in jedem Fall gewährleistet.“ Das Hagurumon verharrte kurz. „Die einzige Möglichkeit könnte sein, dass …“

Ken erfuhr nie, was es hatte sagen wollen. In einem elektrischen Blitz zersprang der scheibenförmige Kopf des Zahnraddigimons, so plötzlich, dass er erschrocken vom Stuhl sprang. Nur den Bruchteil einer Sekunde später erlitt ein zweites Hagurumon dasselbe Schicksal; sein Metallkopf wurde von einer unsichtbaren Macht gesprengt, blauweiße Blitze liefen über den Rest seines Körpers, der leise scheppernd in sich zusammenbrach, ehe er sich in Daten auflöste.

Die letzten beiden Hagurumon erwischte es gleichzeitig. Eines versuchte noch, der Attacke auszuweichen, und diesmal konnte Ken einen Blitz sehen, der aus dem hinteren Teil des Raumes, nahe der Tür, kam. Er erwischte das Maschinendigimon trotz seiner schnellen Reaktion und durchschlug es sauber, während ein zweiter Blitz seinen letzten Kameraden pulverisierte.

„Wormmon, bleib hinter mir“, rief Ken atemlos. Er wirbelte zur Tür herum und versuchte, in der Düsternis des Raumes den Angreifer auszumachen. Unbewusst griff er zu seiner Hüfte, doch seine Peitsche war nicht da. Die hätte der andere DigimonKaiser gehabt, schoss es ihm durch den Kopf. Will ich in der Gefahr etwa wieder wie er werden?

„Ken, ich muss digitieren!“, piepste Wormmon.

„Nein“, murmelte Ken, während sie beide immer weiter zu den Instrumenten zurückwichen. „Du hast hier drin keinen Platz zum Kämpfen … als Stingmon bist du ein leichtes Ziel!“

„Aber auch widerstandsfähiger!“ Ohne seine Einwilligung abzuwarten, sprang Wormmon nach vorn auf die Schatten zu.

„Wormmon, nicht!“ Es ist mutiger als früher.

Erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass Wormmon gar nicht digitieren konnte. Die Schwarzen Türme würden es daran hindern. Während seiner ersten Ära war das zwischen ihnen nie ein Thema gewesen, und so durchzuckte ihn die verteufelte Wahrheit erst, als er verzweifelt wie vergeblich versuchte, Wormmon zurückzureißen. Es springt in sein Verderben! Es wird …

Das Licht der Digitation hätte den Angreifer aus den Schatten gerissen, aber es war so grell, dass es Ken blendete. Unmöglich. Irgendetwas stimmt hier nicht … Bunte Muster blitzten vor seinen Augen, als er sah, wie Stingmon schemenhaft mit glühendem Stachel auf den unsichtbaren Feind zuflog …

… und in allen Winkeln des Raumes gleichzeitig grellblaue Blitze aufzuckten und Stingmon einhüllten, als hätte es sie wie ein Magnet angezogen. Das Insektendigimon schrie gequält auf und Ken Schrei mischte sich ebenfalls in den Lärm, den das elektrische Rauschen verursachte. Und als Stingmon in einem Kokon aus blitzenden Fäden zurückdigitierte, sah Ken erstmals auch die Angreifer.

Winzig klein waren sie, nicht größer als Schmeißfliegen, und hätte das Geblitze nicht ihre Schatten vielfach vergrößert an die Wände geworfen, hätte Ken nicht einmal die zuckenden Tentakel erkannt, die aus ihren gepanzerten Körpern peitschten. Kurisarimon – eine ganze Horde kleiner, fieser Kurisarimon. Er wusste aus der Enzyklopädie, die er gemeinsam mit Spadamon erstellt hatte, wie diese Digimon aussahen, und Spadamon hatte von einem vier Meter großen Ungetüm dieser Art berichtet, das es einmal an der Felsenklaue gesehen hatte, aber dass sie auch so irrwitzig klein sein konnten, hatte Ken nicht geahnt. Wie ein Heuschreckenschwarm fielen sie über die Geräte her, überlasteten die Sensoren mit ihren Blitzen und vernichteten Bildschirme und Armaturen, und arbeiteten sich dabei immer weiter zu Ken vor.

Er stieß mit dem Rücken gegen eine Konsole und schluckte. Der Schweiß lief ihm mittlerweile aus allen Poren, und er atmete schwer. Es gab keine Rückzugsmöglichkeit mehr. Die Digimon auf der Brücke waren tot, seine Truppen draußen zu weit weg, seine Türme offenbar beschädigt. In der Mitte des Raumes sah er im stroboskopischen Licht der immer wieder aufflammenden Blitze Wormmon liegen. Es war vorbei, alles aus. Ken biss die Zähne zusammen, um seinen Kiefer am Zittern zu hindern. Er trat einen Schritt auf den Kurisarimon-Schwarm zu. Na kommt schon, foltert mich nicht, indem ihr mich warten lasst. Bringen wir es hinter uns, und vielleicht kann ich dann in meinen Traum zurückkehren …

Etwas anderes leuchtete plötzlich in dem Raum auf, dunkler als die Blitze und kaum auszumachen, und dann traf etwas eine Maschine, pulverisierte die Kurisarimon-Winzlinge, die daran werkten, und den Röhrenmonitor gleich mit. „Verflucht nochmal, das ist ja eine richtige Plage!“

Ken atmete zittrig durch, als er die Tür in den Flur offen stehen und durch das Blitzgewitter den knochigen, grünen Schädel von Ogremon sah. Das Digimon war auch in der Festung, richtig. Eine zweite Kaiserfaust raste die Computerkonsole zu Kens Rechten entlang, riss Hebel und Knöpfe heraus und verarbeitete weitere Kurisarimon zu Staub. Die rechte Flanke des Schwarms konzentrierte ihre Blitzschleudern auf den neuen Feind, als hinter Ogremon wie ein dunkler Schwall eine Horde seiner Getreuen auf die Brücke schwemmte, seine Cerberusmon-Bluthunde und der zusammengewürfelte Haufen Mushroomon, Gazimon und Woodmon. In Windeseile wurde jedes einzelne Kurisarimon zielgenau von grünen Flammen, mahlenden Zähnen, explosiven Pilzen, Betäubungsblitzen oder peitschenden Astschlägen vernichtet. Die blauen Blitze wurden immer weniger – auch wenn die kleinen Biester eine erstaunliche Durchschlagskraft hatten und die Gazimon und Mushroomon, die sie erwischten, in Sekundenbruchteilen töteten –, bis das einzige elektrische Flimmern auf der Brücke irgendwann nur noch von den defekten oder kurzgeschlossenen Apparaturen kamen.

Immer noch hatte ein eisiges Gefühl Kens Magengegend im Griff und er schämte sich, vor seinen Untertanen so zittrige Knie zu haben. Es ist immerhin sechs Jahre her, sagte er sich. Sechs Jahre, seit mich wirklich ein Digimon bedroht hat. Trotzdem war es ihm peinlich, sich von einem Aufgebot an Champion-Digimon so sehr einschüchtern zu lassen, wo er doch Giganten wie MaloMyotismon getrotzt hatte und eben ein Spiel gegen Deemon spielte.

„Dachte, ich träume, als ich euch schreien gehört habe“, grunzte Ogremon, klang dabei aber kein bisschen hämisch. „Alles noch dran? Der Wurm scheint ja ordentlich was auszuhalten.“

Kens Blick flackerte zu Wormmon, das sich eben schwerfällig aufrichtete. Nun war ein wenig Schwäche zu zeigen auch schon egal, er nahm es in die Arme und streichelte über den kleinen, noch von den Stromstößen zuckenden Körper. „Tut mir leid, Ken“, murmelte das Digimon mit brüchiger Stimme. „Ich hätte auf dich hören sollen.“

„Ist schon gut“, sagte er beruhigend. „Ogremon!“

„Hier.“ Sein erster Digimon-Ritter stapfte mit der Keule in der Hand zu ihm.

„Lass deine Digimon alle Ein- und Ausgänge der Festung überprüfen. Falls etwas undicht ist, erstattet mir sofort Meldung. Wenn ihr ein Digimon seht, das sich verdächtig benimmt, nehmt es gefangen; wenn es sich wehrt, tötet es. Jedes Digimon mit einem Schwarzen Ring tötet ihr ebenfalls, wenn es nicht auf dem Weg nach draußen ist.“ Ein weiterer Schritt zum Tyrannen. Nein, es ist nur dieses eine Mal. „Und niemand geht allein, teil sie in Gruppen von mindestens drei ein, und alle sollen auf dem gleichen Level sein.“ Ehe er nicht wusste, was den Sinneswandel der Schwarzring-Digimon verursacht hatte – er glaubte nicht, dass die paar Mekanorimon alle seine Türme in diesem Sektor zerstört hatten –, wollte er nicht riskieren, dass ein Champion-Digimon seine Rookie-Eskorte eliminierte und dann allein im Inneren der Festung Amok lief.

„Wird gemacht, DigimonKaiser.“ Während Ogremon seine Digimon mit barschen Worten in Dreierteams einteilte, tippte Ken auf der Holo-Konsole herum, die noch funktionierte, und kommandierte andere Maschinendigimon dazu ab, auf der Brücke Ordnung zu schaffen. Auch wenn er Ogremon für sein brachiales Eingreifen zutiefst dankbar war: Der Großteil der Gerätschaften war zerstört. Dann befehligte er alle Schwarzring-Digimon in dem Sektor in die Dünenlandschaft vor der Festung. Für heute wollte er keinem von ihnen mehr trauen. Was für ein Morgen … Kens Blick traf noch einmal den von Ogremon. Er erinnerte sich an seinen Traum, daran, wie seine Freunde ihn einfach ignoriert hatten. Und Ogremon hatte ihm das Leben gerettet, dasselbe Ogremon, das Tai und den anderen einst auf der File-Insel ans Leder wollte. Anscheinend ist die ganze Welt verrückt geworden.

 

 

„Die Blechbüchsen sind alle hinüber, und von den Stechmücken ist auch keine zurückgekehrt. Ich sag doch, es wäre besser gewesen, wenn du uns drei auch mitgeschickt hättest.“

Izzy sah nur kurz von seinem PC auf. Es war ein High-Tech-Gerät, allerneueste Technik, mit einer Prozessorleistung von jenseits dieser Welt, wie es ihm oft vorkam. Allein der Blick auf die Anzeige der durchgeführten Berechnungen pro Sekunde war um einiges angenehmer, als in Willis‘ gelangweiltes Gesicht zu sehen.

„Hast du gehört? Es hat nicht geklappt.“ Die beiden Digimon des blonden Jungen mit den eisblauen Augen tappten neugierig an Izzys Sechsundvierzig-Zöller heran und schauten ihm über die Schulter.

„Ich hab’s nicht nur gehört, ich habe die genauen Daten hier.“

„Und deine Antwort auf Warum-hast-du-nicht-mich-geschickt?“

„Ich habe sowieso nicht erwartet, dass wir den DigimonKaiser so einfach kleinkriegen.“ Izzy beantwortete seine Frage nicht direkt, sondern ließ seine Finger über die Tastatur rattern. „Aber immerhin haben wir jetzt seinen Schwachpunkt.“

„Ja … was immer es uns bringt“, murmelte Willis. Er wusste genau, was Izzy meinte, nur war er nicht beeindruckt. Willis war ebenso bewandert in den technischen Möglichkeiten dieser Riesenanlage wie Izzy, wenn nicht noch mehr, und dennoch fand er die Methode, die Izzy anwenden wollte, um den DigimonKaiser zu besiegen, langweilig.

„Es bringt uns eine Menge.“

„Wir werden ja sehen. Er ist sicher kein Idiot, irgendwann wird er schnallen, dass wir ganz einfach sein ach so tolles System gehackt haben.“

Izzy nickte. Er wusste, dass Willis jetzt ein paar ganz bestimmte Worte von ihm erwartete. Er lieferte sie ihm. „Und deswegen müssen wir so schnell wie möglich einen vernichtenden Schlag gegen ihn führen. Willst du die Operation mit Terriermon und Lopmon anführen?“

Willis lächelte nur sein charmantes Lächeln. „Ich würde mich sehr darüber freuen.“

 

 

Mimi hatte die Alarmglocken gehört, die über Little Edo erschollen waren, und hatte sich unruhig auf ihr Bett gekauert. Yasyamon hatte sie streng angewiesen, ihr Gemach nicht zu verlassen, bis die Gefahr vorüber war. So wartete sie bangen Herzens mit angezogenen Knien. War der DigimonKaiser in Little Edo eingefallen? Oder stand eine der Armeen aus dem Süden vor den Toren?

Als sie Palmons Pflanzenfüße ungelenk über die Dielen im Flur trampeln hörte, machte ihr Herz einen Sprung, aber als das Digimon hereinplatzte, sah sie sofort, dass keine Gefahr drohte. Palmon war aus einem anderen Grund aufgeregt, das hörte sie aus seinen Worten heraus: „Mimi, schnell, du wirst es nicht glauben!“

Ihre Röcke – heute weiß wie Zuckerguss und lachsfarben – gerafft, eilte sie, gefolgt von ihrem Leibwächter, aus der Pagode bis zu dem großen Vorplatz, wo bis vor kurzem noch das Reisfest getobt hatte. Heute war er fast leer; bis auf ShogunGekomon, das riesig groß vor der Pagode hockte, deren Tor es nicht einmal vollständig überragte, ein paar Ninjamon, die einen Spalier bildeten – und einen jungen Mann und ein Agumon vor dem gewaltigen Schädel eines Megadramons, das ausgestreckt auf dem Platz lag und dem Menschen etwas Majestätisches, ungemein Wichtiges verlieh. Mimi blieb der Mund offen stehen. Konnte es sein …?

Der junge Mann bemerkte sie und drehte sich zu ihr um. Das Auge des Drachen hinter ihm folgte seiner Bewegung. „Palmon“, hauchte sie, „ist er das wirklich?“

„Ich glaube, ja“, flüsterte Palmon zurück.

„Mimi, Liebes“, rief ShogunGekomon dröhnend aus. „Sieh, wer uns besuchen kommt, und das so unerwartet und prächtig, dass die Monitormon sogar Alarm geschlagen haben!“

Mimi wagte es immer noch nicht näherzukommen, es war wie ein Traum, der platzen könnte, wenn man ihn mit den Händen packen wollte. „Wer … wer ist das?“ Sie musste ganz sichergehen.

ShogunGekomon schien mehr gekränkt als der junge Mann, als es mit seinen Schwimmhäuten energisch auf ihn deutete. „Aber Liebes! Das hier ist Sir Taichi der Drachenritter, treuer Recke von König Leomon und erster heldenhafter Ritter des Nördlichen Königreichs, geko!“

Taichi deutete eine Verbeugung an. Es war es tatsächlich! Ihre Gebete waren erhört worden, war das zu glauben? Oder war er nur hier, um etwas im Auftrag seines Königs zu besprechen? Sie beschloss achtsam zu sein.

ShogunGekomon hatte sie nach dem Reisfest aufgesucht, sein riesiger Kopf hatte durch ihr Fenster gespäht und auf sie eingeredet. Am Ende hatte der Shogun sich dafür entschuldigt, dass er Musyamon ihre Hand versprochen hatte, und beteuert, wie sehr er sie doch liebe, aber auch, dass er nicht verstehe, warum sie den Samurai eigentlich abgewiesen hatte.

Also trat sie näher und knickste vorerst nur höflich. „Es ist mir eine Ehre“, sagte sie formell.

„Die Ehre ist auf meiner Seite, Prinzessin.“ Er hatte eine angenehme, warme Stimme und ein ebenso warmes Lächeln. Allerdings fiel ihr auf, wie zerzaust sein Haar war. Auch wenn es von seinem Flug stammen mochte, zu einem so edlen schwarzen Mantel und dem Gewand, in das Goldfäden gestickt waren, passte diese Struwwelfrisur nicht. Außerdem hatte sie sich den Drachenritter größer und muskulöser vorgestellt, und auf eine romantische Art und Weise grimmiger.

„Was führt Euch nach Little Edo, Sir? Geschäfte?“ Sie beschloss, so höflich zu sein, wie der Shogun es ihr beizubringen versucht hatte.

„Naja, äh …“ Er räusperte sich. „Weniger Geschäfte, sondern mehr … Also, ich bin hier, um Euch zu heiraten. Ich würde Euch mit nach Santa Caria nehmen, es sei denn, Ihr wünscht die Zeremonie hier in Little Edo durchzuführen.“

Obwohl sie heilfroh sein sollte, war Mimi enttäuscht. Er hatte es viel zu direkt gesagt. Er hätte sagen sollen: Ich möchte um Eure Hand bitten, oder Erweist mir die Ehre, zu versuchen, Eure Gunst zu gewinnen, etwas in der Art. So war es keineswegs romantisch.

„Was für eine Ehre, Sir“, katzbuckelte der Shogun, als wäre er vom Rang her nicht höher als Sir Taichi. „Was sagst du, Mimi, Liebes?“

„Hm“, machte sie nur schnippisch und verschränkte die Arme. „Kein Interesse. So leicht bin ich nicht zu haben. Ihr müsst mir schon den Hof machen.“

Der Drachenritter hüstelte unbehaglich. „Naja, vielleicht …“ Das Agumon neben ihm verpasste ihm einen Schubser, den er mit einem ärgerlichen Blick quittierte. „Ich würde Euch natürlich gern anbieten, mich erst näher kennen zu lernen.“

„Eine gute Idee“, pflichtete ihm ShogunGekomon bei.

Selbstgefällig lächelnd deutete er auf sein Megadramon. „Würdet Ihr mir bei einem Ritt auf einem meiner Drachen Gesellschaft leisten?“

„Auf diesem stinkenden Ding?“ Mimi rümpfte die Nase. „Der Wind würde nur meine Frisur zerstören.“

„Ich bin sicher, das würde Eure Schönheit nicht beeinträchtigen“, sagte er, klang aber ein klein wenig genervt. Gut so.

„Die Antwort ist Nein.“

„Mimi, nun sei doch nicht gleich so“, sagte der Shogun hilflos. „Vielleicht … würde es für den Anfang reichen, wenn Mimi Euch die Pagode zeigt, was meint Ihr, Sir?“

„Aber mit Freuden. Wenn sie einverstanden ist?“

Da konnte Mimi schon eher zustimmen. „Gut, das werde ich machen. Und Ihr könnt mir gleich etwas über Euch erzählen.“

„Mit Freuden. Kann ich meine Staffel in Eurer Obhut lassen?“, fragte er ShogunGekomon.

„Natürlich, natürlich. Eure Megadramon sind so sehr unsere Gäste wie Ihr. Ich werde mich um eine Unterkunft kümmern, geko.“

„Kommt Ihr dann, Sir?“, fragte Mimi. Als er ihr in die Pagode folgte, kam sie nicht umhin zu bemerken, dass sein Umhang schon sehr beeindruckend aussah, wie er sich bei jedem Schritt bauschte. Nun ja, sie würde ja sehen, ob er wirklich so edel und ritterlich war, wie sie es sich immer ausgemalt hatte. Innerlich vor Glück jauchzend, dass endlich einmal ein Mensch um ihre Hand anhielt, hoffte sie nur, dass er sie nicht enttäuschen, sondern ihr wirklich gewissenhaft den Hof machen würde.

 

 

„Da vorne ist es!“, hörte Davis Löwemons Stimme den Flugwind übertönen. Das AeroVeedramon flog in schwindelerregender Höhe eine Kurve und als verwaschener Fleck wurde im dichten Grün des Waldes der Dornenwall sichtbar. Eigentlich war es mehr eine Kuppel denn ein bloßer Wall, fand Davis. Ein Gebiet von vielleicht zehn Hektar wurde davon umschlossen, und je näher sie ihr kamen, desto eindrucksvoller wirkte die Barriere. Das mussten baumstammdicke Ranken sein, in verschiedenen Braun- und Grüntönen, mit Dornen, so groß wie Hände – und zwar die Hände von Leomon.

Davis hatte den Rest der Nacht nach seiner Anhörung kaum geschlafen. Entsprechend unwirklich fand er deswegen auch seine Reise auf AeroVeedramon, einfach weil er sterbensmüde war. Der Verstärkungstrupp, den König Leomon den Digimon am Dornenwall schickte, bestand neben Davis, Veemon und dessen drei größeren, fliegenden Verwandten aus zwei Mitgliedern der Löwengarde, von denen Davis erst seit heute wusste, dass man sie Löwemon nannte, und zwei Dutzend maschinenartig anmutender Arbormon, von denen die meisten auf Unimon flogen. Sie sollten sich mit den in der Blütenstadt stationierten Truppen vereinigen und die Geister, die aus den Nadelbergen herabströmten, in ihre Schranken weisen, soweit der Auftrag.

„Ich dachte, der Dornenwall wird belagert?“, brüllte Davis gegen den Flugwind an. Er und Veemon klammerten sich an das eine Horn des AeroVeedramons, Löwemon an das andere. „Ich sehe hier aber weit und breit keine feindlichen Digimon!“

„Die kommen schon noch“, meinte Löwemon unheilverkündend.

Als hätte Davis sie heraufbeschworen, ging der Tanz im nächsten Moment los. Urplötzlich sauste etwas haarscharf an Davis‘ Kopf vorbei, das er nicht einmal erkennen konnte. Löwemon stand plötzlich breitbeinig auf AeroVeedramons Rücken, ohne auch nur ein bisschen zu schwanken, und hielt seinen Stab in der Hand. „Da sind sie. Halt dich gut fest, Auserwählter.“

Vor ihnen flimmerte die Luft und ihr AeroVeedramon ging brüllend in einen Sturzflug über. Davis und Veemon schrien beide laut auf, Veemon schlenkerte hilflos mit den Beinen hin und her und konnte sich nur mit den Händen festhalten. Überall in der Luft tauchten plötzlich Digimon auf, Davis erhaschte nur einen Blick auf rote Kapuzen und graue Mäntel und blitzendes Metall. Sie fegten wie der Wind an ihnen vorbei und verschwanden wieder. Löwemon ließ seinen Stab rotieren und wehrte einen Hieb ab, den Davis gar nicht bemerkt hätte. Leomons Löwengarde war schon eine Sache für sich.

Den nächsten Angreifer fischte Löwemon direkt aus der Luft, indem es seinen Stab mit der Sense des Digimons kreuzte und es so mitriss. Davis sah die vermummten Geistwesen nun aus der Nähe; aus Erzählungen wusste er, dass das Phantomon waren. Der Löwenkopf, der in den Bauchteil von Löwemons Rüstung eingearbeitet war, öffnete sich und eine gelbschwarze Energiekugel brach daraus hervor, traf Phantomon aus nächster Nähe und verarbeitete es zu Datenmehl.

Als Davis sich umsah, sah er den Luftkampf überall toben. Die Unimon waren nicht so flink wie die AeroVeedramon, also hatten sie und die auf ihnen reitenden Arbormon alle Hände voll zu tun, die fliegenden Sensenmänner abzuwehren. Davis sah, wie Lichtkugeln und als Raketen abgeschossene Hände und Füße der Arbormon scheinbar ziellos durch die Luft sausten, dann flog AeroVeedramon eine so scharfe Kurve, dass er sich wieder darauf konzentrieren musste, nicht den Halt zu verlieren. Die Phantomon wollen uns vom Kurs abbringen, wurde ihm klar.

Löwemon duckte sich kurz und ein weiterer Feind rauschte über ihm mit blitzender Sense hinweg, dem nächsten trieb es die Spitze seines Stabes in den Leib; die Fluggeschwindigkeit erledigte den Rest und ließ das Phantomon in tausende funkelnde Datenreste zerbersten. Auch ihre Fluggelegenheit selbst war nicht untätig – einige Phantomon zielten klar auf AeroVeedramon, das sie entweder einfach rammte oder sie wuchtig mit seinen Fäusten davonschlug. Davis wünschte sich mit einem Blick auf das regelrecht im Wind flatternde Veemon, sie beide könnten auch irgendwie mithelfen.

Aus den Augenwinkeln sah er das AeroVeedramon mit dem zweiten Löwemon ein halsbrecherisches Manöver fliegen, das mit einem Menschen auf seinem Rücken wohl nie und nimmer geklappt hätte. Das Löwemon schlug grimmig Angreifer zur Seite oder erledigte sie mit den Energiekugeln aus seiner Rüstung.

Und dann erblickte Davis das dritte AeroVeedramon, das noch ein gutes Stück höher flog und mit zwei Arbormon bemannt war, von denen eines das Banner des Löwenkönigs trug, die orangerote Sonne auf weizengelbem Feld. Die Digimon wurden von vier Phantomon auf einmal aufs Korn genommen. Davis sah schwarze Energie spritzen, wo die Sensen sich in die Haut des Drachendigimons bissen. Das AeroVeedramon röhrte auf, als sein linker Flügel glatt gekappt wurde, und sackte infolgedessen zur Seite. Ein Arbormon schoss wie verrückt seine Gliedmaßen auf die Geister, von denen immer wieder neue in ihrer Flugbahn auftauchten, bis die Sense eines besonders geübten Schnitters es am Rumpf in zwei Teile hackte. Etwas prallte gegen den Bauch des AeroVeedramons und warf es vollends aus dem Flug. Wie ein schlecht gefalteter Papierflieger trudelte es in die Tiefe, das Banner flatterte nebenher.

„He!“, schrie Davis. „Umkehren! Wir müssen ihnen helfen!“

„Das hat keinen Sinn“, sagte Löwemon und mit einem metallischen Geräusch prallte erneut sein Stab gegen die Sense eines Phantomons. „Wir müssen versuchen, selbst durchzukommen!“ Davis knirschte mit den Zähnen, aber er wusste, dass der Gardist recht hatte.

Endlich kam der Dornenwall in Reichweite, von nahem wirkte er sogar noch größer, an manchen Stellen aber auch ziemlich welk und ungepflegt. Die AeroVeedramon flogen den Wall dicht über dem Boden an, die Unimon folgten in einigem Abstand, immer noch Lichtbälle verschießend. Davis wollte schon die Augen zusammenkneifen, als er den Zusammenprall mit der Rankenmauer kommen sah, ehe sich knapp vor ihnen einige der helleren Ranken bewegten und einen schmalen Durchlass schufen, durch den die AeroVeedramon wie Pfeile schossen. Als Davis sich herumdrehte, sah er, wie riesige, blumenähnliche Blossomon die Löcher wieder füllten und beim Herannahen der langsameren Unimon ihre Ranken wieder wegzogen. Nachdem auf diese Weise der Rest des Trupps sicher hinter dem Dornenwall gelandet war, verschmolzen die Blossomon wieder mit dem Wall.

Davis war noch nie so froh gewesen, festen Boden unter den Füßen zu spüren. Mit wackeligen Knien half er Veemon vom Rücken seines großen Artverwandten.

Das andere Löwemon gesellte sich zu ihnen. Davis hatte gelernt, die beiden zu unterscheiden. Das eine, mit dem er geflogen war, war recht umgänglich und hatte bei seiner Anhörung sogar gewettet, dass er freigesprochen werden würde. Das andere schlug gern einen raueren Ton an und hatte auch eine tiefere Stimme und außerdem einen langen Kratzer in seiner Rüstung, über dem rechten Auge. Es schien ganz entschieden etwas gegen gewisse auserwählte ArmorEi-Besitzer zu haben und Davis hatte vor, sich von ihm fernzuhalten, so gut es eben ging.

Die beiden ließen ihren Trupp durchzählen und kamen zu dem Ergebnis, dass außer dem abgestürzten AeroVeedramon vier Unimon mitsamt ihren Reitern fehlten. Zwei weitere Einhorndigimon waren reiterlos durch den Dornenwall gekommen.

Davis sah sich indessen um. Das hier war ohne Zweifel die Blütenstadt, auch wenn die Bezeichnung Stadt sie ein wenig zu sehr ehrte. Die meisten Häuser waren direkt in die Bäume oder in haushohe Blumen geschnitzt und recht hübsch verziert, aber allzu viele waren es nicht, und es gab weder gerade Straßen noch eine Struktur in der Bebauung, auch nicht was die Lehmhütten anging, die sich eng an die natürlicheren Gebilde drängten. Digimon sah er kaum. Bis auf die Blossomon, einige Woodmon und Floramon schien die Stadt wie ausgestorben.

Die Löwemon hielten einen Woodmon-Arbeiter an, der eben Baumstämme zum Wall brachte, die bei den Ausbesserungsarbeiten benötigt wurden. „Wie ist die Lage?“, fragte das gutmütige Löwemon.

Woodmon sah sie gelangweilt aus seinem groben, hölzernen Gesicht an. „Kommt drauf an, wer das wissen will.“

„Begrüßt man so die Leibgarde des Königs?“, blaffte Kratzer-Löwemon.

„Oh“, machte Woodmon. „‘tschuldigung. Ich hab kein Banner gesehen.“ Davis fragte sich, wer überhaupt entschieden hatte, sie hier hereinzulassen. Vermutlich jemand, der den Kampf schon in der Ferne gesehen hatte.

„Unsere Standartenträger sind abgestürzt, als wir die Belagerung durchbrochen haben. Wo ist die Besatzung?“

„Schläft. Tagsüber ist die einzige Zeit, wo man überhaupt ein bisschen schlafen kann. Nachts gehen die Geister um und heulen und jaulen und kratzen mit ihren Sicheln und Krallen am Wall … Keiner kann schlafen, wenn es Nacht ist.“

Die Löwemon beratschlagten sich kurz mit Blicken. „Dann sag fürs Erste du uns, was du über die momentane Lage weißt.“

„Die momentane Lage?“ Woodmon zuckte mit den Schultern. „Was gibt’s da groß zu wissen? Wir sind bald erledigt. Der Wall wird nicht mehr lange halten. Letzte Nacht sind ein paar von den Bakemon durchgeschlüpft. Wir haben sie erledigt und die undichten Stellen repariert, aber es hilft ja doch nichts. Wir sind alle erschöpft, und mit jedem Tag werden’s mehr Geister, die an unsere Tür klopfen. Am Anfang hat Euer Sir Petaldramon noch versucht, sie offen zu bekämpfen. Ist rausgegangen mit Euren Echsendigimon. Es hat die Geister ein bisschen verschreckt, und das war’s. In der nächsten Nacht waren es doppelt so viele. Seitdem verschanzen wir uns nur hier und warten auf unser Ende.“

„Klingt ja gar nicht gut“, meinte Davis.

„Stimmt. Haltet mich ruhig noch ein wenig von der Arbeit ab. Noch eine Nacht überstehen wir eh nicht, egal wie viel Holz die Rockmon aufschichten.“

„Kannst du uns zu Cherrymon führen?“, fragte das nette Löwemon.

„Könnte ich wohl, aber Ihr hättet genau so viel davon, wenn wir uns bei einem gemütlichen Kartenspiel und einer Schüssel Wurzelbrei zusammensetzen.“

„Wieso? Stimmt etwas nicht mit ihm?“

„Kann man sagen.“

„Was hat es denn?“

Woodmon zuckte erneut mit den hölzernen Achseln, eine Bewegung, die es scheinbar gern und oft vollführte. „Ihr könntet es fragen, aber es würde nicht antworten. Den Vergleich mit dem Wurzelbrei hab ich schon gebracht, oder?“

„Ist es tot?“ Die Löwemon sahen sich beunruhigt an. Der Teil ihrer Gesichter, der nicht von ihrer Maske bedeckt war, war sorgenumwölkt, während Davis keine Ahnung hatte, um wen es eigentlich ging.

„Das nicht, aber es wird wohl nicht mehr viel fehlen.“

„Für uns zu ihm“, befahl das grantige Löwemon.

Woodmon zuckte mit den Achseln, legte seine Last einfach auf dem Boden ab und watschelte auf seinen Stummelbeinchen davon. Da sie nichts Besseres zu tun hatten, folgte Davis und Veemon den Digimon.

Je tiefer sie in die Stadt kamen, desto dichter wurden die Baumkronen hoch über ihren Köpfen. Darüber wölbten sich die schweren Ranken des Dornenwalls und ließen nur schmale Streifen Sonnenlicht durch. An den Baumstämmen und an manchen Häuserwänden wuchs phosphoreszierendes Moos, somit war es nicht wirklich dunkel, aber Davis hatte das Gefühl, trotzdem unter Tage in einer feuchten Höhle zu sein. Im Herzen der Blütenstadt, wo die Baumhäuser und Hausbäume so dicht standen, dass es fast kein Vorwärtskommen mehr gab, gab es eine gerodete Lichtung, wo nur Gras, Moos und kniehohe Sträucher den Boden bedeckten, diese dafür im Überfluss. Trotzdem nannte Woodmon den Ort Cherrymons Hain, und obwohl Cherrymon augenscheinlich der einzige richtige Baum hier war, reichten seine schiere Größe und zahllosen Äste tatsächlich, um den Eindruck eines kleinen Wäldchens zu erwecken.

Der Stamm des großen Kirschbaumes hatte die Andeutung eines Gesichts, das allerdings schlief; die knotige Borke um die geschlitzten Augen war zusammengekniffen, die Miene wirkte sogar gequält. Der buschige Schnauzbart, der aus Blattwerk bestand, war eingetrocknet und gelblich. Davis konnte Cherrymon nur als … krank bezeichnen. Weiße Flechten zogen sich wie Schimmel über seine Rinde, welke, abgefallene Blätter bildeten einen orangeroten Teppich zu ihren Füßen, und die verbliebenen Kirschen in der Baumkrone waren schwarz und verrunzelt. Die Äste, die die Arme des haushohen Digimons darstellten, waren verdorrt und verkrüppelt.

„Bei König Leomons Mähne!“, entfuhr es dem übellaunigen Löwemon. „Was ist mit ihm passiert? Cherrymon, könnt Ihr mich hören?“

„Gebt Euch keine Mühe. Cherrymon schläft. Hat sich in sein Innerstes zurückgezogen und hofft, dass seine Rinde es schützt“, sagte Woodmon.

„Was ist passiert?“

Wieder das Achselzucken. „Gar nichts. Meine ich halt. Cherrymon ist nie viel rumspaziert, das ist wohl war. Aber seit die Geister da sind, hat es sich nicht mehr von der Stelle gerührt. Hat nur da Wurzeln geschlagen und macht sonst gar nichts. Dafür sieht es jeden Tag unansehnlicher aus. Tja, als Beschützer taugt es nicht viel. Wartet sicher ab, bis die Geister uns alle geholt haben, der Feigling.“

„Sprich nicht so respektlos von Cherrymon“, fuhr das Löwemon es an. „Es heißt, in Zeiten der Not hält es den Dornenwall aufrecht. Das Wasser und die Nährstoffe, die es aus dem Boden zieht, gibt es zum größten Teil an die Dornenranken weiter, damit sie kräftig und frisch blieben.“

„Der Dornenwall verdorrt auch schön langsam“, meinte Woodmon achselzuckend. „Die Ranken dünnen aus und zerbröseln. Was glaubt Ihr, warum die Geister es so leicht haben, durchzuschlüpfen? Anfangs waren ja wir noch froh. Diese Digimon können ja angeblich durch Wände fliegen. Die lebenden Dornen haben sie aber aufgehalten. Tja, die lebenden, wenn Ihr versteht, was ich meine.“

„Wenn Cherrymon nicht ansprechbar ist“, überlegten die Löwemon, „bleibt uns nichts anderes übrig, als Sir Petaldramon zu wecken.“

Woodmon lachte. Es klang, als schabten Holzplatten gegeneinander. „Viel Spaß dabei. Euren Sir wird niemand mehr wecken. Außer der DigimonKaiser, wenn ihm die File-Insel mittlerweile gehört. Die Phantomon haben es in Stücke gehackt, als es mal wieder versucht hat, die Geister vor dem Wall zu stellen, um die Schäden gering zu halten.“

Nun sahen die Löwemon wirklich besorgt aus. „Wenn Sir Petaldramon tot ist und Cherrymon schläft, wer hat dann das Kommando?“

Achselzucken. „Wozu brauchen wir ein Kommando? Wir sehen zu, dass der Wall dicht bleibt, und bringen alle um, die durchschlüpfen. Viel mehr können wir ja eh nicht tun.“

Woodmon machte kehrt und marschierte zum Stadtrand zurück. Kratzer-Löwemon stellte Vermutungen auf, dass jemand das Grundwasser oder den Boden vergiftet haben könnte, aber Woodmon meinte, dass das auch die anderen Pflanzendigimon spüren müssten. Während die beiden diskutierten, fragte Davis das andere Löwemon, das neben ihm und Veemon ging: „Hat Cherrymon sonst noch eine Rolle in der Stadt, außer den Wall zu beschützen? Ihr habt getan, als wäre es wichtig.“

„Wizardmon ist zwar der Fürst der Lehen unter dem Dornenwall, aber die Blütenstadt wurde ursprünglich von Cherrymon geleitet“, erklärte Löwemon. „Es ist auch das weiseste und älteste Digimon hier im Dornenwald. Cherrymon war so etwas wie ein … Wie sagt ihr Südländer dazu, Bürgermeister? In seiner Weisheit hat es König Leomon die Treue geschworen und ihm die Blütenstadt ausgehändigt. Obwohl der König Wizardmon das Fürstentum zugeteilt hat, hat es Cherrymon dafür die Ehre zugestanden, Wizardmon als Hochvogt der Blütenstadt zu vertreten. Dass es in dieser Situation nicht ansprechbar ist, ist schlecht.“

„Und Petaldramon war ein Ritter des Königs, der den Dornenwall bewachen sollte?“, fragte Veemon.

„Genauer gesagt ein Ritter in Wizardmons Diensten, aber in diesem Fall macht das wohl keinen Unterschied. Wir als Mitglieder der königlichen Garde sind jetzt die Hochrangigsten unter den Soldaten. Irgendwie müssen wir Ordnung in diesen entmutigten Haufen bringen.“ Löwemon sah Woodmon aus zusammengekniffenen Augen an, das vor ihm herwatschelte. „Ich hoffe nur, dieses Digimon ist nicht repräsentativ für die Moral der Besatzung.“

 
 

Now you will, pay we'll charge you our way

Sooner or later we'll get you

Don't try to hide in your holes underground

Just like an insect we'll smoke you right out

(Sabaton – Reign of Terror)
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Und das wars auch schon wieder. Einige von euch kennen den ersten Teil ja schon aus dem Teaser - ich denke, nun sind die Zusammenhänge klar ;) Übrigens ist mein persönlicher Favorit in diesem Kapitel das Woodmon - iwie mag ich es^^
Im nächsten Kapitel gibt es dann die erste richtige Schlacht von New Reign. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Juju
2015-07-25T12:49:55+00:00 25.07.2015 14:49
So, jetzt lese ich weiter. :>
Bin gleich auf der ersten Seite über ein Wort gestolpert: gaberlte? Das sieht mir sehr österreichisch aus. :D Was bedeutet das?
Da war also der Teil aus dem Teaser. Sehr gut geschrieben, das ganze Attentat. War echt spannend und man hat mit Ken mitgefiebert. Ich finde, du schaffst es sehr gut, sich in den jeweiligen Charakter, aus dessen Sicht du gerade schreibst, hineinzufühlen. Der arme Ken. Aber er behält sehr gut einen kühlen Kopf. Und ich mag diesen inneren Kampf, den er mit sich selbst und seinem alten Ich führt. Aber ich wüsste auch nicht, wie ich an seiner Stelle humaner vorgehen könnte. :/
Ahhhh Willis ist auch dabei! :D Das hatte ich schon wieder vergessen. Ich finde ja Terriermon und Lopmon so unglaublich niedlich. Und wie er hier in dem kurzen Abschnitt dargestellt wird. <3 Sehr cool, ich freue mich auf ihn. xD
Ah, Tai ist bei Mimi angekommen. Na das ist ja mal ein romantischer Heiratsantrag. "Ich bin hier, um Euch zu heiraten und will Euch mit nach Santa Caria nehmen." xD Gibt nichts Schöneres. Aber irgendwie passt es auch zu Tai. Und er hat ja sowieso kein Interesse daran, sie wirklich zu heiraten, obwohl ich hoffe, dass sich das noch ändert. :D Und Mimis Reaktion ist auch zu herrlich und so authentisch! Sie will erobert werden, das passt.
Und zum Schluss der Teil mit Davis und dem Dornenwall. Der Angriff der Phantomon war wieder einmal super und spannend beschrieben. :> Und das Woodmon war wirklich toll dargestellt! Ich mag es sowieso, wie du immer auf die Eigenschaften der Digimon eingehst, also dass es mit kurzen Stummelbeinchen davon watschelt und sein Lachen wie aneinanderreibende Holzbretter klingt und so. Das macht alles echt super anschaulich. Bin mal gespannt, was mit Cherrymon los ist. Die Unterscheidung zwischen den beiden Löwemon finde ich übrigens auch super haha.
So, mal gucken, wann ich zum Weiterlesen komme. :)
 
Antwort von:  UrrSharrador
04.08.2015 13:11
Und nochmal danke^^ Ja, das ist österreichisch XD Es bedeutet, den Fußball allein durch senkrechtes Kicken oder mit Schulter- und Kopfarbeit über längere Zeit in der Luft zu halten. Es scheint dafür nur jeweils regionale Ausdrücke zu geben, also hab ich mir gedacht, bau ich gleich den aus meinem Umfeld ein XD
Uh freut mich, dass es spannend war und dir die innere Sicht gefällt :D Ich weiß auch nicht, wie er es besser lösen könnte. Ist ziemlich verzwickt, seine ganze Situation.
Ich bin neugierig, ob du Willis später auch noch mögen wirst XD
Haha ja, der Antrag musste sein XD Gut, wenn du es authentisch findest. Ich hab bei den Interaktionen immer Angst, dass es unnatürlich wird, wegen dem Setting und weil sie sich nicht kennen und das alles recht feudal angehaucht ist usw.
Danke für das Lob :) So Eigenschaften zu beschreiben hat mir iwie auch viel Spaß gemacht :D
Von:  fahnm
2015-07-06T00:21:11+00:00 06.07.2015 02:21
Izzy also?
Gut dann fehlt nur noch Sora und dann kann der Krieg beginnen.
Ich bin schon sehr gespannt wie es weiter gehen wird.
Antwort von:  UrrSharrador
06.07.2015 10:52
Danke für deinen Kommentar ;)
Von:  EL-CK
2015-07-05T10:04:24+00:00 05.07.2015 12:04
Ein tolles Kapitel. ..
und nun ist endlich auch Izzy auf getaucht, fehlt eigentlich nur noch Sora..
und JA jetzt passt der Teaser gut in die Story. ..
bin schon auf die "Schlacht" gespannt. .. ;)
Antwort von:  UrrSharrador
05.07.2015 17:10
Danke für deinen Komm :) Soras Auftritt kommt bald^^
lg


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