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New Reign

Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Da war ich gestern auf einem Konzert von der Band, die mich für New Reign mitinspiriert hat, und hätte darüber fast vergessen, dass eigentlich ein neues Kapitel fällig ist. Hier also: Enjoy^^ Komplett anzeigen

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Die Faust aus dem Untergrund


 

Tag 51
 

„Musyamon ist ein feiger Verräter!“ Die Digimon beachteten sie kaum, sondern gingen ihren tagtäglichen Geschäften nach. „Auch wenn man euch etwas anderes weismachen will, es hat den alten Shogun mit Gewalt gestürzt und mit dem DigimonKaiser gemeinsame Sache gemacht! Schaut euch nur um, überall im Land stehen diese grässlichen Schwarzen Türme!“

Yolei konnte noch so laut schreien. Auf diesem winzigen Marktplatz in diesem winzigen Dorf am Rande des Shogunats, das vom Krieg bisher verschont geblieben war, interessierten sich die Digimon anscheinend nicht für Politik oder rechtmäßigen Herrschaftsanspruch.

Sie reckte den Hals, um auf ihrer Kiste noch ein wenig größer zu wirken. „Ich weiß, wie es wirklich war! Ich war dabei! Musyamon hat den Truppen des DigimonKaisers bei der Hochzeit der Prinzessin den Weg bereitet! Man hat euch vielleicht erzählt, dass es von ShogunGekomon zum neuen Shogun ernannt wurde oder dass es Prinzessin Mimi geheiratet hat, aber das ist eine Lüge!“

Niemand außer drei Otamamon schien Augen und Ohren für sie zu haben, und die drei putzigen Kaulquappen wirkten eher, als würden sie einer spannenden Geschichte lauschen. Besser als nichts.

„Der rechtmäßige Shogun ist ein Gefangener des DigimonKaisers! Aber die Prinzessin lebt und ist noch in Freiheit, und sie braucht Digimon, die für sie kämpfen! Hat denn keiner von euch ein bisschen Rückgrat? Das geht euch alle was an!“

„Dämlicher Schreihals, hau doch ab“, knurrte ein Veggiemon verhalten, das sein halb verfaultes Obst ganz in der Nähe verkaufen wollte.

„Das hab ich gehört!“ Yolei zeigte empört mit dem Finger auf es. „Wenn du uns nicht helfen willst, sei wenigstens ruhig!“

Als Michael von seinem Plan erzählt hatte, hatte es sich noch so einfach angehört. Verbündete anwerben. Digimon, die rechtschaffen genug waren, die wahren Thronfolger zu unterstützen. Dass es damit beginnen würde, dass sie sich wie eine Prophetin auf einem staubigen Marktplatz den Hals wund schreien würde, hatte niemand gesagt. Er würde ihr noch unter die Arme greifen, hatte er gesagt, wenn er ausreichend Rücksprache mit seinen Leuten gehalten hatte. Bis dahin sollte sie alleine weitermachen.

Sie war ja eigentlich froh gewesen, wieder allein mit Hawkmon losziehen zu können. Nachdem die erste Überraschung ob ihrer Rettung verflogen war, hatte sie sich nur noch gedemütigt gefühlt. Zwei Ritter, die die Prinzessin mit den leuchtenden Augen retteten – und nebenbei auch sie, die für den Schlamassel verantwortlich gewesen war, obwohl sie die Prinzessin – nein, die Königin – hatte beschützen wollen! Noch dazu fühlte sie sich in Michaels Gegenwart wie das fünfte Rad am Wagen. Willis hatte Mimi und Yolei wenigstens gleich behandelt, Michael war aber anscheinend weit ehrlicher und hatte merkbar eher Augen für die hübschere Mimi. Nicht dass sie eifersüchtig gewesen wäre oder etwas in der Art, Yolei war ihre Turtelei nur auf die Nerven gegangen. Und nun konnte sie sich nicht einmal einreden, dass Yasyamon schon achtgeben würde, dass die neue Königin nicht etwas tat, was sie später bereute. Mimi wusste zwar oft nicht, was sie wollte, aber wenn sie etwas wollte, bekam sie es meistens auch.

Yolei unterdrückte ein Seufzen und überlegte gerade, wie sie das verschlafene Dorf noch anstacheln konnte, als ein Digimon an ihr vorüberging, das einen Hut über einem Kopftuch trug, welches seinen halben, recht niedrigen Körper versteckte. Vor ihr blieb es stehen und lüftete das Tuch, und die Augen eines Ninjamon sahen sie an. „Du solltest hier nicht solche Sachen herumschreien“, raunte es ihr zu. „Wenn du Pech hast, benachrichtigt noch jemand die Kotemon. Dann sitzt du schneller ein, als du glaubst. Die Digimon hier sind nicht so dumm, die wissen ganz genau, was auf der Hochzeit passiert ist. Aber entweder glauben sie die Lügenmärchen, die darüber verbreitet werden, oder sie glauben sie nicht. Die, die sie nicht glauben, laufen aber mit Schwarzen Ringen um den Hals herum. Also sieh besser zu, dass du Land gewinnst.“

Yolei hatte nicht die Absicht, sich einsperren zu lassen; Hawkmon hielt ganz in der Nähe auf einem Dach Wache, um sie zu warnen oder schlimmstenfalls zu kämpfen. Das Ninjamon wollte schon weitergehen, aber Yolei sprang von ihrer Kiste und hielt es auf. „Sag mal, kenn ich dich?“

Das Digimon wandte den Kopf ab. „Keine Ahnung. Glaub nicht.“

Das kam ihr nun seltsam vor. „Aber du kennst mich?“, fragte sie freundlich.

„Weiß nicht. Vielleicht“, murmelte Ninjamon und wollte wieder weitergehen, den Hut mit dem Tuch tief in die Stirn gezogen.

Wenn man einen Menschen kennt, erinnert man sich doch wohl an ihn? „Du bist eines der Ninjamon, die damals meinen Arm abschneiden wollte, weil ich mir einen Schwarzer Ring eingefangen habe, oder?“

Das Ninjamon sah sie geschockt an. „Woher weißt du das?“

Yolei strahlte. „Ich hab geraten.“

Beschämt senkte das Digimon den Blick, räusperte sich dann und rückte einmal mehr seinen Hut zurecht. „Ich mein’s aber ernst. Hör auf, unnötig Aufmerksamkeit zu erregen. Triff mich am Abend da an der Ecke, ich stell dir jemanden vor, der dir helfen kann.“ Dann eilte es auf seinen Stummelbeinen davon.

Mit gemischten Gefühlen sah Yolei ihm nach. Konnte sie ihm vertrauen? Sie hatte sich mit den Ninjamon nie gut verstanden, aber es gehörte zur Pagodenwache und war offenbar auch aus Little Edo geflohen. Sie ging in eine stille Gasse und wartete, bis Hawkmon zu ihr heruntergeflattert kam, um sich mit ihm zu beraten.

 

 

Strahlend blauer Himmel über ihm, und kleine Schäfchenwolken am Rand seines Blickfelds, das sich dort wie ein Fischauge zusammenzog. Schmerz in seinem Schädel, seinen Schläfen, seiner Brust, und die unangenehmste, dumpfste, schlimmste Sorte von Schmerz in seinen Gedanken.

Das nächste, was er spürte, war ein weicher Untergrund. Muffiger Geruch … Die Sonne sengend, Hitze … Feuer, Feuer auf der Haut. Aber die Sonne berührte ihn nicht. Sie war nicht zu spüren, aber seine Haut spannte sich. Kein Gewicht auf seinen Ohren, fiel ihm auf; seine Brille war fort. Seine Kleidung war fort, die Kleidung des DigimonKaisers …

„Wormmon!“ Er setzte sich mit einem Ruck auf. Als hätte ein Damoklesschwert bereitgehangen, sich in seinen Kopf zu bohren, fühlte er, wie sich hinter seiner Stirn etwas spaltete. Stöhnend presste er die Hand dagegen. Dabei bemerkte er, dass seine Hände verbunden waren. Saubere Mullbinden. Wo war er?

Ein Bild zuckte in seinem Verstand auf, eine Sonne, die direkt vor ihm verglühte … Nein, das muss ein Traum gewesen sein … Er betete, dass es ein Traum gewesen war …

„Du bist ja schon wach.“ Eine Stimme wie aus der Ferne war das erste Geräusch, das er identifizieren konnte. Jetzt hörte er auch die Geschäftigkeit ringsum. Geschirr klapperte, Stimmen sprachen miteinander, Schritte stapften. Ein Gesicht schob sich halb vor sein Blickfeld, und er wandte den Kopf, um es mit leeren Augen anzusehen. Dabei sah er, dass er in einem olivgrünen Zelt lag, die Decke scheinbar hoch über ihm, und was er vom Himmel gesehen hatte, war einem Fleck durchsichtigen Plastiks zu verdanken.

„Wo bin ich?“, murmelte er. Seine Stimme klang, als wäre dies das Erste, was er in seinem Leben sagte.

„Im Lager des Zuverlässigen Ordens. Wir haben dich in der Einöde gefunden.“

Jetzt erst erkannte er den Mann und riss die Augen auf. Groß gewachsen, langes Haar, Brille. „Joe! Ich …“

Sein Freund lächelte. „Richtig. Ich frage mich, woher du das weißt. Leg dich wieder hin, zu rasche Bewegungen tun dir nicht gut.“ Er drückte Ken sanft, aber bestimmt, wieder auf die aufblasbare Matratze zurück. In dem Zelt lagen mehrere davon, allerdings schienen nur zwei weitere besetzt zu sein.

„Ihr … Ihr habt mich gefunden? Habt ihr auch ein Digimon bei mir gefunden? Ein Thunderboltmon, oder … ein Wormmon?“, fragte er hoffnungsvoll.

Joe schüttelte den Kopf. „Dort warst nur du, in einer Spalte im Boden, kaum zu sehen, als hättest du dich von selbst dort hineingelegt. Die Sonne hat deine Haut ziemlich verbrannt.“

Ken atmete zittrig durch. Wormmon … Tränen stiegen in seinen Augen auf und zogen fast wohltuende Spuren durch sein schmerzendes Gesicht. Wieder hatte ein goldenes Digimon ihm seinen Partner entrissen, während er selbst am Leben blieb. Und dabei wusste er nicht, was los war, was überhaupt geschehen war …

Willis hatte ihn so sehr gehasst, dass er ihn sogar getötet hätte … Deemon hatte ihm falsche Erinnerungen eingepflanzt. „Da hast du es dir leicht gemacht, oder? Willis hat mich nie persönlich getroffen. Es war nicht schwer, ihn umzukrempeln, oder, Deemon?“, murmelte er. Deemon antwortete nicht. Natürlich nicht. Er hatte die gedankliche Verbindung immer noch blockiert.

Joes Blick wurde mitleidig. „Du hast wahrscheinlich einen Sonnenstich“, sagte er. „Versuch dich auszuruhen. Dein Kopf wird bald wieder klarer.“

Er wollte aufstehen, aber Ken schaffte es, den Zipfel seines langen Mantels festzuhalten. „Die Zuverlässigen?“, fragte er apathisch, sah starr in den blauen Himmel. Sollte er sich doch über ihn stülpen wie ein großer, blauer Zylinder und alles verschlucken, und ihn aus diesem zähen Traum aus Trauer und Schmerz aufwachen lassen!

„Ja. Du hast sicher von uns gehört. Wir helfen den Verwundeten nach den Schlachten.“

Richtig, Joe war bei denen. „Wo sind wir?“ Eigentlich interessierte es ihn nicht. Eigentlich interessierte ihn gar nichts, aber er hatte das Gefühl, es fragen zu müssen.

„Auf der Felsenklaue, nicht weit von der Wüste entfernt“, lautete die wenig genaue Antwort.

Ken seufzte und schloss die Augen. „Es ist ein Spiel, Joe“, murmelte er. „Eine Lüge.“

„Ich bringe dir Wasser.“ Joe wollte wieder aufstehen, aber Ken hielt ihn erneut zurück, diesmal zitterte seine Hand.

„Nein! Bitte … hör mich an.“ Er atmete plötzlich schwer. Als er die Augen aufschlug, wirkte Joe wieder besorgt. „Was du auch über mich gehört hast, es ist nicht wahr.“

„Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen“, sagte er förmlich. „Einen Arzt sollte es nicht interessieren, welchen Charakter sein Patient hat.“

Sollte Ken nun froh sein, dass wenigstens einer der alten Clique ihn nicht als Todfeind ansah? Nein. Wormmon war tot. Er würde sich so schnell über gar nichts mehr freuen. Aber Joe war besonnen und klug. Er würde vielleicht zuhören, er würde vielleicht verstehen. „Hör zu.“ Warum war er nun so schläfrig? „Deemon … Es ist Deemon. Du kannst dich nicht an es erinnern.“ Ken war sich in dem Moment nicht einmal sicher, ob Joe Deemon überhaupt je zu Gesicht bekommen hatte. „Wir haben gegen es bekämpft … Dein Bruder hat mit den anderen den Lastwagen verfolgt, in dem ich war, und dann ist Deemon hervorgekommen … Joe, es steckt dahinter. Deemon.“

„Tut mir leid.“ Joe rückte sich die Brille zurecht. „Ich muss sagen, dass ich die einzelnen Anführer in diesem Krieg alle vom Namen her kenne. Aber von einem Deemon habe ich noch nie gehört.“

„Es ist … Es ist keine Spielfigur, sondern ein Spieler“, brachte Ken heraus. Er war müde, so müde … Der Schlaf wäre Balsam für Wormmons Verlust, aber das Erwachen … „Joe, er lenkt euch. Ihr seid alle Puppen, die an seinen Fäden tanzen … Deemon will die DigiWelt ins Chaos stürzen, und unsere Welt auch. Glaub mir, bitte. Ich bin der einzige, der es aufhalten kann.“ Der einzige. Ohne Wormmon. „Ich muss die anderen davon überzeugen, mir zu helfen …“ Ohne Wormmon kann ich es nicht schaffen. Wieder strömten seine Tränen nach draußen, und er kniff fest die Augen zu und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. „Bitte, Joe …“

„Ich lasse dich jetzt schlafen. Wenn du wach bist, ruf mich einfach.“ Er stand auf, sein Freund, der ihn gerettet hatte, ließ ihn nun allein. Diesmal war er zu schwach, um ihn zurückzuhalten. Joe ging mit einer großen Blechschüssel nach draußen. Gleißendes Licht stach durch Kens Augen, als die Zeltplane am Eingang flatterte. Eine Explosion, heller als die Sonne … Dann sank er in unruhigen Schlaf.

 

 

Die Sonne ging im Westen unter und das Grasland davor schimmerte orangegelb, und Yolei wartete ungeduldig. Immer wieder tippte sie auf den Griff ihres neuen Degens. Michael hatte ihn für sie anfertigen lassen. Ein Geschenk der Wissens-Armee, hatte er gesagt. Er gefiel ihr nicht wirklich. Es war nur ein lebloses Stück zusammengelöteten Metalls, chromweiß von Korb bis Spitze. Aber immerhin konnte sie damit ein wenig besser kämpfen als mit ihrem Zierdegen auf der Hochzeit.

Als Ninjamon kam, immer noch so merkwürdig vermummt, nickte es ihr und Hawkmon zu und bedeutete ihnen schweigend, ihm zu folgen. Es brachte sie zu einer schmucklosen Holztür mitten in der Gasse. Auf ein bestimmtes Klopfzeichen hin wurde sie von einem Gekomon geöffnet, und die drei traten ein.

Es sah aus wie eine Kneipe. Licht drang durch die Ritzen der Tür, sonst war der Raum vermauert und von Kerzen erleuchtet. Hinter einer hölzernen Theke lungerte ein Mushroomon herum. Die Tische waren sehr licht besetzt. Yolei und Hawkmon folgten Ninjamon wachsam zu einem bestimmen, an dem ein äußerst ungewöhnlich gekleidetes Digimon saß. Es trug weite Pluderhosen und ein traditionelles Tänzergewand. Eine braune Haarmähne reichte ihm bis über die Hüften, und vor dem Gesicht trug es eine bemalte Maske, aus der seitlich Blütenblätter sprossen. Die Hände waren ebenfalls Blumen, und das Digimon hatte sie kunstvoll um einen Krug Bier geschlungen.

„Ich bringe dir jemanden, Kabukimon“, sagte Ninjamon, als es die Beine über die niedrige Holzbank schwang und dem Mushroomon ein Zeichen gab. Den Hut legte es auf die Tischplatte.

Kabukimon musterte Yolei. Die Augen und der Mund waren beweglich, der Rest der Maske war, wie eine Maske sein sollte: unbeweglich. „Ich weiß nicht, ob ich es gut finden soll, dass du mit ihr unsere finanziellen Möglichkeiten verbessern willst, Ninjamon.“ Es hatte eine tiefe Stimme.

„Was meint es?“, fragte Yolei.

Ninjamon winkte ab. „Musyamon hat im Auftrag des DigimonKaisers ein Kopfgeld auf jeden Menschen ausgesetzt, den man ihm lebendig bringt. Keine Ahnung, wieso. Vielleicht hoffen sie die Prinzessin so schneller zu finden. Deswegen hab ich ja gesagt, dass du nicht so auffällig auf dem Marktplatz herumzetern sollst.“ Es bedankte sich mit einem knappen Nicken, als das Mushroomon ihm einen Krug Bier hinstellte. Auch Yolei und Hawkmon bekamen unaufgefordert eingeschenkt. „Das ist nicht der Grund, Kabukimon. Das Mädchen ist eine Söldnerin und die Freundin der Prinzessin. Man hat sie zuletzt gemeinsam auf der Hochzeit gesehen.“

„Ah.“ Kabukimon musterte Yolei erneut. „Dann musst du diese Rōnin sein?“

„Genau. Ich bin Yolei, das ist Hawkmon.“

„Weißt du, wo die Prinzessin steckt?“

Sie hätte ihm erzählen können, dass Michael für sie beide, Betamon, Palmon und Yasyamon Zimmer in einer Herberge gemietet hatte, die von einem Digitamamon geleitet wurde, außerhalb des Einflussbereichs von Musyamon, am Rande des Trugwalds. Das Land dort gehörte zum Königreich von Takashi, dem Einhorn, und zählte daher zu den Feinden des DigimonKaisers. Sie hatten es nicht gewagt, um politisches Asyl zu beten, weil sie unauffällig bleiben wollten, aber Digitamamon konnten sehr diskret sein, wenn sie nur genügend Geld auf einem Haufen sahen.

„Es geht ihr gut, und sie wird gut bewacht“, sagte Yolei und verschränkte die Arme. „Mehr braucht ihr nicht zu wissen.“

Kabukimon schnaubte belustigt. „Auch gut. Solange sie in Sicherheit ist, ist fürs Erste alles in Butter. Es ist noch einiges zu erledigen, bevor wir sie treffen müssen. Irgendwann wird es aber soweit sein, wenn wir weiterhin dem einzig wahren Shogun dienen wollen.“

Yolei kostete von dem Bier. Es schmeckte grauenhaft.

„Die Prinzessin vertraut dir also?“, vergewisserte sich Kabukimon. Die anderen Digimon, vornehmlich Gotsumon oder Gekomon, lauschten interessiert.

„Klar.“

„Und du bist derselbe Mensch, der geholfen hat, den DigimonKaiser am Stiefel zu schlagen?“

„Ja.“ Das schien eine Ewigkeit zurückzuliegen.

Kabukimon nickte. „Gut. Wir haben vielleicht eine Aufgabe für dich. Als Rōnin kommst du doch sicher auch viel herum und kennst Städte und Straßen und Wege und befestigte Lager und die Punkte, an denen man Hinterhalte legen kann?“

„Kann man so sagen. Was brauchst du denn?“

Kabukimon wartete, bis Ninjamon zustimmend nickte. „Sagen wir es so: Du kannst uns helfen, die Ehre des einzig wahren Shoguns zu retten.“

Yolei machte große Augen. „Die Kaiserwüste? Ich kenne ungefähr den Weg, aber wenn er wirklich in der Festung des DigimonKaisers gefangen gehalten wird, ist es so gut wie unmöglich, ihn zu befreien, sogar für mich.“

„Ich rede doch nicht von diesem Eisernen Wolf!“, sagte Kabukimon zornig. „Ich meine den einzigen, der den Titel des Shoguns wirklich verdient!“

Yolei sog scharf die Luft ein und sprang auf. Sie hielt den Degen in der Hand, ehe sie sich dessen bewusst war. Die Nadel aus DigiChrom vibrierte sanft in der Luft. „Ihr arbeitet für Musyamon!“

„Ihr lockt uns hierher und fragt uns aus! Sehr verdächtig!“, fügte Hawkmon erbost hinzu.

„Setz dich hin“, knurrte Ninjamon. „Die Digimon in dieser Schenke sind alle auf unserer Seite, aber du musst ja nicht gleich in alle Welt hinausbrüllen, dass hier ein geheimes Treffen stattfindet.“

„Musyamon ist nichts als ein Usurpator“, sagte Kabukimon, klang aber beleidigt. „Der einzig wahre Shogun ist ShogunGekomon.“

Yolei zögerte noch, sich zu setzen. „ShogunGekomon ist tot.“

„Zweifellos, und das ist eine Tragödie. Deswegen müssen wir alles tun, um seine Herrschaft in Ehren zu halten. Und sein Mündel zu beschützen, das es als seine Nachfolgerin legitimiert hat.“

„Wir sind so etwas wie eine Widerstandsgruppe gegen das Joch des Usurpators“, erklärte Ninjamon. „Wir kämpfen im Untergrund gegen Musyamon und den DigimonKaiser.“

„Wirklich?“ Yolei sah sich erfreut um. Das war genau das, was sie brauchten! „Aber du hast doch gesagt …“

Ninjamon winkte wieder ab. „Richtig, wer nicht für Musyamon ist, wird versklavt. Wir sind die, die nur so tun, als wären wir für Musyamon.“

Yolei setzte sich nun doch, um den Digimon zuzuhören. „Aber wir sind zu wenige“, fuhr Kabukimon fort. „Kleine Gruppen in kleinen Dörfern. Selbst wenn wir all unsere Verbündeten koordinieren könnten, wären wir zu wenige, um Musyamon zu stürzen. Wir brauchen daher jemanden, der Musyamons Gegner unter sich einen kann. Einen starken, ehrbaren Anführer, dem sie mit Freuden in die Schlacht folgen würden, und dem sich auch die Unentschlossenen anschließen.“

Ihr als seine wahre Königin könnt Euer Volk sicher zu den Fahnen rufen, hatte Willis gesagt. Yolei war sich aber nicht sicher, ob Mimi die Richtige dafür war, doch Kabukimon schien jemand anders im Kopf zu haben. „Und wer sollte das deiner Meinung nach sein? Du?“

Das Digimon lachte bitter. „Für wie vermessen hältst du mich? Nein, es muss jemand sein, der Musyamon ebenbürtig ist, früher wie heute. Ich habe an Daimyo Karatenmon gedacht. Ihm hat früher dieses Gebiet gehört, und hier haben wir die meisten Anhänger. Mit Karatenmon an unserer Seite können wir etwas ausrichten.“

Yolei sah im Geiste das Rabendigimon mit den beiden Schwertern vor sich, das bereit gewesen war, Mimi zu opfern, wenn es dadurch Musyamon töten konnte. Sie konnte diese Entscheidung nicht gutheißen. „Karatenmon ist zu kompromisslos“, sagte sie. „Warst du selbst bei der Hochzeit, Kabukimon?“

„Nein, aber Freunde von mir. Sie sind entweder tot oder versklavt. Wieso fragst du?“

„Karatenmon hätte fast Mimi getötet. Wenn ihr sie wirklich beschützen wollt, sucht ihr jemand anderes.“

„Es gibt niemand anderes.“ Kabukimon verzog den ummalten Mund. „Wir brauchen eine Heldenfigur, um das Volk aus den Löchern zu locken.“

„Wie ist das gekommen?“, fragte Ninjamon. „Hat es Mimi angegriffen?“

„Musyamon hat sie als Geisel gehalten, und es hätte trotzdem mit dem Schwert zugeschlagen!“, sagte Yolei anklagend.

Darüber grübelte Kabukimon eine Weile nach. „Ich bleibe dabei“, sagte es schließlich. „Es wird versucht haben, den Putschversuch zu vereiteln. Sehen wir es als Beispiel seiner Entschlossenheit. Jetzt, da der Shogun tot ist, wird es sicher alles tun, um die Prinzessin zu schützen.“

Yolei fiel auf, dass es Mimi noch nie als Königin bezeichnet hatte. Es schien tatsächlich nur ShogunGekomon als Herrscher zu akzeptieren. „Lebt Karatenmon überhaupt noch? Auf der Hochzeit wurde es übel zugerichtet.“

„Wir wissen aus zuverlässiger Quelle, dass es noch lebt“, sagte Kabukimon. „Es wird von Musyamon unter der Pagode festgehalten. Wahrscheinlich ist es schwer verletzt, vielleicht wird es auch gefoltert. Darum müssen wir es so schnell wie möglich befreien. Bist du bereit, uns zu helfen? Du müsstest die Straßen von Little Edo und die Pagode doch mindestens so gut kennen wie Ninjamon, oder? Und du hast ein DigiArmorEi, wenn die Geschichte stimmt. Eine gute Waffe bei all den Schwarzen Türmen.“

Yolei überlegte. „Ich kenne da noch jemanden, der mithelfen wird.“ Sie fand es aufregend, dass sich das hier als Geheimtreffen einer Widerstandsbewegung entpuppt hatte. Wie würde Kabukimon reagieren, wenn es erfuhr, dass die Konföderation zur Wahrung des Wissens der DigiWelt hinter ihr stand? „Mit denen will ich die Sache vorher noch absprechen. Und mit Mimi auch. Ansonsten bin ich dafür.“ Sie schenkte den Digimon ein breites Lächeln.

Kabukimon seufzte erfreut. „Gut, das zu hören. Tu das, aber beeil dich. Wegen der Prinzessin werden wir dich wie gesagt nicht drängen. Aber wenn du uns erst vertraust, wird für uns irgendwann die Zeit kommen, ihr persönlich eine Aufwartung zu machen. Das Volk liebt sie, und das ist gut für unsere Sache. Wir holen sie aus den Schatten und setzen sie schlussendlich auf den Thron, den ShogunGekomon für sie vorgesehen hat.“

Yolei nickte. „Ich glaube nicht, dass sie da etwas einzuwenden hat.“ Mimi hatte schließlich jetzt schon lange genug in den Schatten gelebt.

 

 

Als Joe das Zelt verließ, um frisches Wasser zu holen, warteten die Orcamon schon auf ihn. Sie hatten einen Halbkreis in der Lagermitte gebildet, als würden sie ihn auffordern wollen, den Kreis zu vollenden. „Gut, dass du kommst“, sagte das älteste von ihnen, ein äußerst würdevolles und behäbiges Orcamon, das Joe wegen seiner Weisheit sehr schätzte, aber nur an seiner Stimme von den anderen unterscheiden konnte. „Wir waren gerade am Überlegen, was wir mit deinem Patienten machen sollen.“

Was meinten sie damit? „Mein Patient wird wie alle anderen Patienten auch gesund gepflegt“, erklärte er sachlich und ruhig, wie es seine Art war. Der Geruch nach einer Diskussion lag in der Luft, und nur mit Vernunft konnte man eine Diskussion weg von einem Streit und hin zu einer Einigung bringen.

„Ja, aber danach“, sagte ein anderes Orcamon. Sie alle hatten Sonnenschirme aufgestellt, und große Wasserkanister standen bereit, wenn sie ihre empfindliche Haut einfeuchten wollten. Die Hitze war nicht leicht für sie, das sah man ihnen an.

„Du weißt, dass es vielen Reichen eine Menge wert wäre, wenn sie den DigimonKaiser in die Hände bekommen würden“, sagte das Älteste.

Joe war irritiert. „Ihr wollt ihn doch nicht für Wertsachen eintauschen? Er ist ein Patient wie jeder andere. Bei der Gründung unseres Ordens hat man geschworen, keinen Unterschied zu machen, und jedes neue Mitglied muss diesen Schwur auch ablegen.“

„Wir sagen ja nicht, dass wir ihn nicht gesund pflegen werden“, sagte ein anderer Zuverlässiger. „Natürlich pflegen wir ihn. Nur was wir danach machen, dafür gibt es keinen Schwur.“

„Ich glaube, ich hör nicht recht“, sagte Joe entrüstet. Er war zwar derzeit der einzige Mensch des Ordens, aber deswegen hatte er noch lange keine Sonderstellung. Er war auch alles andere als ein Anführer. Wenn die anderen beschlossen, dass man den DigimonKaiser ausliefern würde, konnte er sich ihnen nicht entgegenstellen. Aber er würde wenigstens für das eintreten, was richtig war. Er wünschte sich Gomamon herbei, das ihm beistand, aber das war unterwegs in eine nahe Siedlung, um Vorräte einzukaufen.

„Du musst auch bedenken“, sagte das Älteste wieder, „dass man den DigimonKaiser zurecht fürchtet. Sicher, er könnte sich sogar erkenntlich zeigen, aber …“

„Rein theoretisch“, sagte ein anderes, als das Älteste aus irgendeinem Grund nicht weitersprechen konnte, „nur mal gesetzt den Fall, dass wir den DigimonKaiser nicht gerettet hätten, was wäre geschehen? Die treibende Kraft in diesem Krieg, derjenige, der mehr als alle anderen auf Expansion gesetzt hat, würde fehlen. Diese eine … Vernachlässigung unserer Pflichten hätte mehr Leben retten können als alles andere, was wir je getan haben.“

Joe lag ein bitterer Geschmack auf der Zunge. Er erinnerte sich an seinen Patienten. Ohne seine Kaiserkleidung, mit Verbänden und Pflastern übersät und mit diesem leeren, stumpfen Blick sah er alles andere als gefährlich aus. Wenn überhaupt, dann mitleidserweckend. „Es ist trotzdem nicht richtig“, sagte er. „Wenn ihr nicht wollt, müsst ihr nichts mit ihm zu tun haben. Ich habe ihn gefunden, und ich werde ihn auch wieder gesund pflegen. Es ist nichts Ernstes. Niemand von euch muss Gewissensbisse haben.“

Die Orcamon murrten und hätten ihn vielleicht einfach überstimmt, als Gomamons fröhliche Stimme ertönte. „Hallo! Joe! Orcamon!“ Es winkte von einem rotbraunen Felsen in der Nähe. Die beiden Orcamon, die es begleitet hatten, und es selbst waren mit Säcken voller Proviant beladen. Frische Orangen mussten gekühlt, Saft verstaut und Wein zur Desinfektion von Wunden und zur Betäubung eingelagert werden. Im Nu löste sich die Versammlung auf, um sich an die Arbeit zu machen. Geschäftigkeit wurde immer noch großgeschrieben unter den Zuverlässigen, und dafür war Joe nun dankbar.

Er fragte sich jedoch, wann diese Diskussion von neuem wiederaufflammen würde.

 
 

No one's got the power to defy the tyranny

One by one they all were gone

Far too many heroes came and went but never won

Everyone has lost his soul forever

(Freedom Call – Out Of The Ruins)
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Juju
2016-03-13T12:45:05+00:00 13.03.2016 13:45
Haha ach ich mag Yolei echt gern. Sie ist so lebhaft und irgendwie immer gut drauf und voller Tatendrang. Du hast sie echt gut getroffen.
Ich dachte mir schon, dass Kabukimon mit dem einzig wahren Shogun nicht Matt meint. Aber dass es ShogunGekomon meint... xD Bin mal gespannt, wie das wird und ob sie ihr Vorhaben schaffen. Ich stelle es mir gerade ziemlich schwierig vor, Karatenmon aus Little Edo zu befreien.
Und der arme Ken wurde also von Joe gefunden. Da hat ihn ja genau der Richtige aufgelesen. Ich hoffe soooo sehr, dass er Joe überzeugen kann, vor allem jetzt, da Wormon tot ist. :( Er braucht doch jemanden an seiner Seite. Er sollte sich irgendwie Nadine zu Hilfe holen. Zu zweit haben sie vielleicht eher eine Chance, Joe zu überzeugen, als wenn er es allein versucht. Aber wenn ich mich mal in Joes Lage versetze... ich glaube, ich würde Ken leider auch nicht glauben. Für alle anderen ist er ja jemand, der einfach nur Unfrieden stiftet und tausende Leben auf dem Gewissen hat. :/ Natürlich glaubt ihm niemand, dass er nur den Krieg beenden will.
Ah und diese Orcamon wollen ihn ausliefern. Ich hoffe, Ken kann von da abhauen, bevor das passiert. x.x
Von:  EL-CK
2016-02-15T14:39:00+00:00 15.02.2016 15:39
"Sollte Ken nun froh sein, dass wenigstens einer der alten Clique ihn nicht als Todfeind ansah? Nein" Ken tut mir immer noch richtig leid. .. aber ich mochte die Szenen mit Joe dennoch - er ist und bleibt mein Lieblings- Chara
Antwort von:  UrrSharrador
22.02.2016 14:02
Danke für deinen Kommi!
Ich mag ihn mittlerweile auch ... plane sogar eine FF mit ihm als Hauptfigur. Wobei sie ... merkwürdig wird XD
Antwort von:  EL-CK
22.02.2016 15:28
Dann will ich au jeden Fall 'ne Nachricht wenn du die FF machst - auch oder gerade wenn sie merkwürdig werden sollte XD
Antwort von:  UrrSharrador
22.02.2016 15:40
Okay, aber sag dann nicht, ich hätte dich nicht gewarnt^^
Antwort von:  EL-CK
22.02.2016 15:44
keine Sorge das mach ich schon nicht (all zu oft) :P
Von:  fahnm
2016-02-15T12:40:01+00:00 15.02.2016 13:40
Ein Super Klasse Kapitel
Antwort von:  UrrSharrador
22.02.2016 14:01
Danke :)


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