Zum Inhalt der Seite

New Reign

Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die beiden aus dem Höllenschlund


 

Tag 128

 

Das Mädchen wandte den Kopf und bekam große Augen. „Davis!“, rief sie.

„Und Wizardmon!“ Das Gatomon neben ihr machte erfreut einen Hüpfer auf sie zu, doch der Feuerball, der in Meramons Hand erschien, ließ es innehalten.

„Die standen plötzlich vor dem Tor und wollen hereingelassen werden“, sagte Meramon. „Sind anscheinend mit einer Elephantmon-Herde aus dem Süden gekommen. Ihr wisst schon, eins von diesen freien Heeren, die nur auf Verpflegung hoffen und bei der ersten Schlacht desertieren. Ich hab sie wieder fortgejagt, aber die hier lassen sich einfach nicht einschüchtern.“

„Gut, dass wir endlich jemanden getroffen haben“, meinte der junge Mann erleichtert. „Sag ihnen, dass sie uns reinlassen sollen, Davis. Es gibt viel zu bereden.“

Aber Davis hatte nur Augen für das Mädchen. Er kannte sie. Er hatte sie in seinem Traum gesehen, damals, als MetallPhantomon ihn in der Blütenstadt heimgesucht hatte. Er wusste, dass sie es war. Jetzt stand sie in Fleisch und Blut vor ihm, ohne die Aura des Geheimnisvollen, die sie in seinen Gedanken besessen hatte. Wer war sie wohl?

„Kennst du sie etwa?“, fragte Meramon.

„Naja, ich ...“ Davis‘ Zunge fühlte sich schwer an. Sein Blick glitt über die Divermon. Waren sie Verbündete? Er glaubte nicht, dass sie ihnen Böses wollten. Die ganze Truppe sah äußerst müde und abgekämpft aus.

„Woher kommt Ihr denn, und was führt Euch nach Santa Caria?“, fragte Wizardmon.

Gatomon ließ plötzlich die Ohren hängen. „Es ist ein anderes Wizardmon“, stellte es fest. „Hört euch seine Stimme an.“

„Das Wizardmon, das wir kennen, ist damals in der Realen Welt gestorben“, sagte der blonde Junge mit dem hohlwangigen Gesicht. „Sogar Jahre danach hat es den Fernsehturm als Geist heimgesucht. Es ist unwahrscheinlich, dass wir ihm in der DigiWelt wieder begegnen.“ Er richtete den Blick wieder auf Davis. „Wir reden später, ja? Kari und die Digimon sind völlig erschöpft. Sag Meramon, dass es uns hereinlassen soll.“

„Ja, wartet ...“ Davis war immer noch perplex. Der Kerl tat, als wären sie beste Freunde, dabei hatte er ihn noch nie im Leben gesehen. „Zuerst beantwortet ihr Wizardmons Fragen. Wer seid ihr, und was wollt ihr hier?“

Das Mädchen riss die Augen auf, der Junge schien ebenfalls verblüfft, dann wurden seine Augen schmal. „Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für Scherze, Davis“, sagte er mit gefährlich leiser Stimme.

„Ich mache keine Scherze! Wenn ihr in die Stadt wollt, stellt euch wenigstens vor“, platzte er heraus.

Der Junge stöhnte. „Veemon, sag du es ihnen.“

„Ist schon gut, T.K.“, sagte das Mädchen, das die Fassung wiedergefunden hatte. An Wizardmon und Meramon gewandt sagte sie mit lauter Stimme. „Mein Name ist Kari, das sind Gatomon, T.K. und Patamon. Das hier“, sie deutete auf eines der Divermon, „ist mein Gemahl.“

Während dieser Worte sah sie Davis forschend in die Augen, als erwartete sie eine bestimmte Reaktion. Er runzelte nur die Stirn. Sie war also mit einem Digimon verheiratet? So etwas sollte angeblich vorkommen; Gerüchten zufolge hatte der verschiedene Shogun von Little Edo sein Mündel auch mit seinem Digimon-Daimyo verheiraten wollen. Das hatte letztendlich zur Vernichtung des Shogunats geführt, aber in Kriegen waren diplomatische Hochzeiten wohl notwendig.

„Ich bin Davis“, sagte er, obwohl sie seinen Namen zu kennen schienen. Vermutlich hatten sie von der bevorstehenden Kür gehört.

„Weißt du, wo die anderen sind?“, fragte T.K.

„Welche anderen?“

„Wie lange willst du dich eigentlich noch blöd stellen?“, fragte der Blondschopf gereizt. „Bist du sauer, ist es das? Kari und ich wären gerne schon früher gekommen, aber wir saßen am Meer der Dunkelheit fest! Sie hat sich mit einem von den Schattenwesen verheiratet, damit wir euch zur Hilfe kommen können!“

„Meer der Dunkelheit?“, fragte Meramon. „Von so einem Ort hab ich noch nie gehört. Aber egal, wo das ist, ihr kriecht besser wieder dorthin zurück, sonst mach ich euch Feuer unter’m Hintern!“

„Was hältst du von ihnen?“, fragte Wizardmon Davis. Er überlegte noch.

„Verdammt, Davis“, rief T.K, aber Kari legte ihm die Hand auf den Arm und schüttelte bezeichnend den Kopf.

„Bitte, lasst ihr uns jetzt ein? Wir sind auf eurer Seite.“

„Ich denke, wir können ihnen vertrauen“, sagte Davis. Immerhin hatte Kari ihn einmal gerettet.

Meramon grunzte enttäuscht. „Auf deine Verantwortung. Ihr habt ihn gehört, geht schon. Dein Gemahl darf mit, Mädchen, aber die anderen Divermon bleiben außerhalb der Stadt. So viele fremde Digimon sorgen für Unruhen, und sowas können wir hier nicht gebrauchen. Außerdem fühlen diese Weichtiere sich im Fluss sicher wohler.“

Kari nickte den Divermon zu, die gehorsam und ohne einen Laut von sich zu geben die Straße zurückwatschelten. Nur das größere, ihr Gemahl, wie sie sagte, blieb. Als sie auf das Tor zukamen, merkte Davis, dass es eine ungewöhnlich dunkle Farbe hatte.

Das Tor wurde wieder zugezogen, und sie marschierten Richtung Stadtzentrum. Meramon wollte es Davis überlassen, die Fremden unterzubringen. Kari schloss zu ihm auf und flüsterte ihm zu: „Was ist los? Wirst du von den Digimon gefangen gehalten? Kannst du deshalb nicht frei sprechen?“

Sie waren seltsame Leute, alle beide. „Ich weiß nicht, was du meinst“, erwiderte er wahrheitsgemäß.

T.K. beugte sich von der anderen Seite zu ihm. „Gibt es hier irgendwo einen Ort, an dem wir ungestört reden können?“

Davis überlegte. Sollte er ihnen trauen? Seine Neugier siegte schließlich. „Wizardmon, Meramon, ich bringe die fünf in eine Kneipe.“

Wizardmon schien davon nicht erbaut. „Wir werden dir eine Leibwache mitgeben“, sagte es. „Du weißt, was auf dem Spiel steht. Die Kür ist noch nicht entschieden.“

„Veemon ist Leibwache genug“, sagte er bestimmt.

„Wie du meinst.“

 

 

Davis hatte sie in eine feuchte, düstere Kellertaverne gebracht. Sie war proppenvoll; nicht unbedingt das, was Kari als ungestört bezeichnet hätte, aber niemand interessierte sich für sie und der Lärm schottete ihr Gespräch ab. Sie betrachtete den Inhalt der Krüge, den die Lilamon-Bedienung ihnen auf Davis‘ Bestellung hin gebracht hatte. Sie wusste, dass er nicht besonders regelaffin war, aber sie hatte ihn noch nie öffentlich Alkohol trinken sehen. Überhaupt war sein ganzes Erscheinungsbild ungewöhnlich: Sein Haar war ungewaschen und länger, als sie es in Erinnerung hatte, und Bartstoppeln säumten seine Wangen.

Auch T.K. war eher skeptisch. Das Bier war stark, und auf nüchternen Magen würde es sie beide umhauen. Zum Glück würde in Kürze auch das Essen kommen. Bald würden sie ohnehin vor Hunger aus den Latschen kippen.

„Würdet ihr uns dann freundlicherweise erklären, was hier los ist?“, fragte T.K. Davis und Veemon ungeduldig. „Was ist in der DigiWelt passiert?“

„Ich dachte, das wäre klar.“ Davis nahm einen großen Schluck. „Wir sind im Krieg.“

„Gegen den DigimonKaiser.“

„Genau.“

„Ist er denn so ein DigimonKaiser wie Ken damals?“, fragte Kari.

„Was meinst du?“

„Na, ob er auch Schwarze Ringe und Teufelsspiralen benutzt.“ Sie ärgerte sich über seine Begriffsstutzigkeit. Natürlich hatten sie auf dem Weg hierher allerlei Erkundigungen angestellt, aber sie wollte lieber eine konsistente Geschichte aus dem Mund eines DigiRitters hören.

„Schwarze Ringe und Schwarze Türme benutzt er.“ Davis überlegte. „Von Teufelsspiralen habe ich noch nie gehört.“

Kari nickte. Also war es, wie sie vermutet hatten. Wenn der neue DigimonKaiser noch keine Teufelsspiralen entwickelt hatte, war die Sache noch nicht ganz so schlimm. „Also kommen wir um die Armor-Digitation nicht herum.“

„Die funktioniert super.“ Davis strahlte übers ganze Gesicht, und Kari fragte sich, was ihn so stolz machte.

„Wo sind denn Ken und die anderen?“, fragte T.K. „Wurdet ihr getrennt? Auch wenn es wieder Schwarze Türme in der DigiWelt gibt, wir könnten die Kraft von Imperialdramon gebrauchen.“

Davis runzelte die Stirn. „Wer sind jetzt Ken und Imperialdramon?“

Das Gefühl in Karis Magengegend wurde flauer, je länger sie an Davis‘ Antworten arbeiten mussten, und das lag nicht an ihrem Hunger. Schon das völlige Fehlen von Wiedersehensfreude in Davis‘ Augen hatte sie beunruhigt. Irgendetwas stimmte nicht ...

T.K. wurde allmählich ungeduldig. „Wie lange willst du dich eigentlich noch blöd stellen? Es tut uns leid, dass wir erst so spät kommen, aber wir können nichts dafür. Geht das nicht in deinen Schädel? Als ihr alle verschwunden wart, sind nur Kari und ich übriggeblieben. Wir haben es gerade so geschafft, ein Tor zum Meer der Dunkelheit zu öffnen. Kannst du dir vorstellen, was wir alles durchgemacht haben, um hierher zu kommen? Kari hat sich sogar mit einem Schattenwesen verheiratet, damit wir euch helfen können!“

Klecks saß schweigsam am Ende des Tisches, schlürfte in langsamen Schlucken sein Bier und reagierte gar nicht auf T.K.s Worte.

Davis schien sichtlich verwirrt, dann hellte sich sein Blick auf. „Kann es sein, dass ...“ Kari machte sich schon Hoffnungen, dass diese Tragikomödie nun vorbei war, als er sich verlegen am Kopf kratzte. „Nein – ihr wart nicht früher bei den Getreuen des Staubes, oder?“

Sie seufzte.

„Also, wenn ihr uns helfen wollt, seid ihr herzlich willkommen“, sagte Veemon. „Eure Divermon können wir sicher gut im Kampf gegen den DigimonKaiser gebrauchten. Wahrscheinlich wird es aber noch dauern, bis wir wieder ins Feld zielen. Ehe wir einen neuen König haben, haben die Fürsten anderes zu tun.“

„Einen neuen König?“, fragte Kari.

„Ja.“ Davis‘ Miene wurde düster. „König Leomon ist tot. Wir halten momentan eine Kür ab, um seinen Nachfolger zu bestimmen.“

„Leomon ist ...“ Kari verstummte und sah traurig auf die Tischplatte. Das Lilamon kam und brachte duftendes, nur leicht angebranntes Fleisch, aber sie wusste nicht, ob sie noch Appetit hatte.

„Davis“, ertönte plötzlich eine bekannte Stimme. Aus den Augenwinkeln sah Kari, wie T.K. sich stocksteif aufsetzte.

„Hallo, Matt! Hätte ich mir ja denken können, dass ich euch hier wieder treffe.“ Davis hob grüßend seinen Krug.

Matt ließ sich neben ihm auf die hölzerne Bank fallen. Es war eindeutig Matt. Seine blonde Mähne reichte ihm bis über die Schultern, und er trug altmodische, schwarze Kleidung und eine Silberkette um den Hals. Gabumon war nicht dabei.

Er nickte T.K. und Kari zu. „Freunde von dir?“

„Matt.“ T.K. war aufgesprungen, als sein Bruder sich gesetzt hatte, aber nun schien ihm jedes Wort im Halse stecken zu bleiben.

„So was Ähnliches“, meinte Davis.

„Such dir deine Freunde lieber unter den Adeligen“, riet Matt. „Die Sitzung heute ist ganz gut verlaufen, aber wir dürfen nicht nachgeben.“

„Jaja, das weiß ich.“

„Matt“, wiederholte T.K, damit er ihn ansah. „Kannst du uns verraten, was hier gespielt wird? Wo sind die anderen?“

Matt sah seinen Bruder mit einem kühlen Blick fragend an. „Kennen wir uns?“

Kari spürte förmlich, wie T.K. den Boden unter den Füßen zu verlieren drohte. Er wankte sichtbar, fing sich dann aber ab, indem er die Hände auf die Tischplatte knallte. Sein Unverständnis wich Zorn. „Verdammt, was ist los mit euch? Wollt ihr mir alle weismachen, dass ihr uns vergessen habt? Wie oft soll ich es noch sagen – wir wollten euch ja zur Hilfe kommen! Es ist nicht unsere Schuld, dass Leomon gestorben ist! Habt ihr überhaupt eine Ahnung, was Kari alles durchmachen musste?“

„T.K.“, murmelte Kari. „Ist schon gut.“

„Nichts ist gut! Du wärst fast gestorben! Hast du gehört, Davis? Kari hätte beinahe ihr Leben gelassen, weil sie immer wieder davon geträumt hat, was in der DigiWelt geschehen ist! Sie hat gesehen, dass wir versagt haben! Wenn wir nicht zusammenhalten, wird genau das passieren! Sogar Tais Tod hat sie im Traum gesehen.“

Davis zuckte zusammen. Sein Mund blieb offen stehen. „Sein... Seinen Tod?“

„T.K, es reicht!“, zischte Kari. In ihrem Traum war Davis es gewesen, der Tais Herz durchbohrt hatte. Vielleicht würde es T.K. herausrutschen, und sie wollte ihren Freund nicht damit belasten.

„Es gibt immer Drohungen gegen die Königskandidaten“, sagte Matt trocken. „Die meisten sind leer und als solche zu erkennen. Wie sollen wir das verstehen, sie hat davon geträumt?“

„Die DigiWelt hat Kari in ihren Träumen Visionen gezeigt“, erwiderte T.K. ungeduldig.

„Dann kann sie also hellsehen?“

„Ich kann nicht hellsehen“, murmelte Kari. „T.K, setz dich wieder hin. Wir müssen jetzt vor allem ruhig bleiben.“

„Ich kann nicht ruhig bleiben, solange mir nicht jemand erklärt, was hier abgeht! Wo sind die anderen? Steckt Deemon hinter der neuen Bedrohung? Wann zum Teufel hört ihr auf, die Dummen zu spielen?“ Er funkelte Matt böse an. „Von meinem Bruder hätte ich ein wenig mehr erwartet.“

Matt begegnete seinem Blick ruhig. „Ich habe keinen Bruder“, sagte er.

Es musste wie ein Schlag in die Magengrube sein. T.K. holte tief Luft, aber ihm fiel keine Erwiderung ein. „Das war nicht nett“, sagte Kari. Langsam wurde auch sie zornig.

„Es ist die Wahrheit.“ Matt zuckte mit den Schultern. „Mir ist auch aufgefallen, dass wir uns ähnlich sehen, aber ich kenne den Jungen nicht.“

„Das kann doch nicht ... Ich glaub das einfach nicht“, murmelte T.K. Er war erbleicht.

„Jetzt setz dich doch erst mal und hau ordentlich rein“, versuchte Davis ihn zu beschwichtigen. „Das Fleisch hier ist köstlich. Naja, zumindest schmeckt es besser, als es aussieht. Schlafen wir eine Nacht drüber, dann wird sich alles einrenken.“

T.K. starrte Davis an, als würde er allen Zorn, der sich am Meer der Dunkelheit in ihm aufgestaut hatte, nun an ihm auslassen wollen. T.K. hatte die Dunkelheit immer gehasst. Sie war der eine Grund gewesen, aus dem er die Beherrschung hatte verlieren können. Nun so lange in Dunkelheit eingesperrt gewesen zu sein, hatte diese Empfindung zugespitzt wie mahlende Wellen einen Felsen im Meer.

Doch er beherrschte sich. Nach zähen, angespannten Minuten atmete er tief durch und senkte den Blick. „Ich erwarte eine Entschuldigung.“

Matt wartete mit unbewegter Miene, bis er fortfuhr, Davis schien verwirrt.

Wir haben uns jetzt oft genug entschuldigt“, sagte T.K. Seine Stimme knirschte wie rollende Felsblöcke. „Jetzt seid ihr dran. Kari hat den Schattenwesen alles versprochen, ihren Körper und ihre Seele, nur damit sie zu euch kommen und euch helfen kann. Ich weiß, wir haben es euch nie erzählt, aber sie wollen sie benutzen, um Nachkommen zu zeugen. Versteht ihr, verdammt noch mal?“

Kari schluckte und sah beschämt auf ihr Essen, das langsam auskühlte. Am Ende des Tisches aß Klecks, langsam, aber ungerührt.

„Ihr habt keine Ahnung. Ihr habt ja keine Ahnung, wie es am Meer der Dunkelheit war.“ T.K.s Stimme wurde allmählich lauter. „Ihr hattet hier Krieg und habt gekämpft? Schön. Wir haben alle schon mal gekämpft. Aber wisst ihr, wie uns die ganze Zeit zumute war? Wir hatten nur Karis Träume, wir wussten nicht, wie es euch geht – wie es unseren Familien geht oder der DigiWelt. Und dann kommen wir hier an, endlich, nach all den Strapazen, halb verhungert und verzweifelt, und ihr spielt uns so ein Theater vor? Das ist nicht gerecht!“

Tränen klatschten auf die Tischplatte. Kari sah ihn bestürzt an. Sie hatte gewusst, dass er nur wütend war, weil er sich beständig Sorgen um sie gemacht hatte. Das ganze Ausmaß seiner Wut und seiner Sorgen erkannte sie jedoch erst jetzt. Es war für ihn zum Alltag geworden, für sie zu leiden.

„T.K. ...“ Patamon machte Anstalten, zu ihm hochzufliegen, tat es dann jedoch nicht.

„Ihr sucht also einen neuen König?“ Glitzernde Linien zogen sich über T.K.s Wangen, aber sie sah ihn lächeln. „Kari ist eine Königin geworden. Die Königin über die abscheulichsten Kreaturen, die es je gab. Reicht das, um euch zu beeindrucken? Wir sind in den Höllenschlund marschiert, haben mitten in ewiger Dunkelheit ein trostloses Dasein gefristet, und die ganze Zeit über war sie das Licht, das uns auf Kurs gehalten hat. Sie hat nie ein schlechtes Wort über diese schleimigen Untiere verloren, die sie nur für ihren Nachwuchs wollen. Verdammt, wenn sich irgendjemand Königin nennen kann, dann sie! Was habt ihr in der Zwischenzeit getan? Euch getrennt? Bier getrunken?“

„Wir haben gekämpft“, sagte Matt sachlich. „Politische Hochzeiten sind in diesen Zeiten etwas ganz Normales.“

Er wollte noch etwas anfügen, aber Davis fiel ihm ins Wort. „Wenn sie eine Königin ist, kann sie als Gastkönigin auftreten. Wenn wir es geschickt einfädeln, wird der Rat ihr eine Stimme gewähren, dann kann sie uns helfen!“

„Hast du überhaupt zugehört, was ich gesagt habe?“, fuhr T.K. ihn an.

„Ich bin ja nicht taub!“ Davis‘ Stimme war ebenfalls laut geworden. „Ich versuche nur, logisch zu denken! Matt hat schließlich recht mit dem, was er sagt! Ich finde es ja auch tragisch, wenn man jemanden heiratet, den man nicht liebt, aber ...“

„Du findest es tragisch?“, höhnte T.K. „Was ist los, hat der arme Davis die Abfuhr von damals noch nicht überwunden? Gönnst du Kari ihr Unglück etwa?“

„Hört schon auf“, murmelte Kari. Der Bratenduft stieg ihr immer noch in die Nase, doch mittlerweile war ihr nur noch schlecht.

„Wovon redest du überhaupt?“ Davis sprang nun ebenfalls auf.

„Spielst du immer noch auf blöd? Soll ich dir etwa erst ein bisschen Verstand in deinen dicken Schädel prügeln?“ T.K. ballte die Fäuste.

Auch Davis hob kampfeslustig die Arme. „Das ist ja interessant. Glaubst du, ich hätte Angst? Schlag doch zu, wenn du kannst!“

„Kannst du ha...“ T.K. holte bereits aus, aber plötzlich schnellte Matt in die Höhe und stieß seinem Bruder kräftig die Hände vor die Brust, sodass er rücklings über die Sitzbank stürzte und dabei krachend zwei benachbarte Stühle umriss.

„T.K! Matt!“, rief Kari entsetzt und starrte den Älteren an. „Was soll das?“

Matts Mienenspiel war immer noch kühl. Keine Spur der Wärme, die er immer für seinen Bruder empfunden hatte. „Damit wir uns richtig verstehen“, sagte er laut und deutlich. „Es kümmert mich nicht, wer ihr seid und woher ihr kommt. Von mir aus kannst du dich mit Davis prügeln, soviel du willst – aber erst, nachdem die Kür zuende ist. Wir können es uns nicht leisten, dass er seinen guten Ruf aufs Spiel setzt, weil er sich zu einer hirnlosen Schlägerei hinreißen lässt.“ Bei den letzten Worten maß er Davis mit einem strafenden Blick, der schuldbewusst die Arme senkte.

T.K. blieb auf dem Boden liegen. Völlig überrumpelt blickte er zu seinem älteren Bruder hoch, der ihn einfach fortgestoßen hatte, als wäre er ein lästiger Störenfried, der ihm im Weg war.

Patamon flog zu ihm. „Tut es weh? T.K, sag doch was“, flehte es hilflos.

Erst jetzt wurde Kari bewusst, dass die ganze Taverne sie beobachtete. Ihr wurde zusehends unwohler zumute. Nur Klecks konzentrierte sich ausschließlich auf sein Essen. Unbehaglich wagte es Kari nicht, sich zu rühren. Am liebsten wäre sie zu T.K. gelaufen und hätte ihm auf die Beine geholfen, doch sie fühlte sich plötzlich wieder wie in einem Traum. Die Albtraumvisionen am Meer der Dunkelheit waren realistischer gewesen als diese Scharade hier.

Nach einer schieren Ewigkeit kam T.K. wieder auf die Beine. Er spuckte Blut aus – offenbar hatte er sich bei dem Sturz auf die Zunge gebissen. „Du sagst also, du hast keinen Bruder“, sagte er zu Matt. „Wie du meinst. Für mich bist du gestorben.“

Er packte Kari am Arm und zog sie in die Höhe. Ohne ein Wort zerrte er sie aus der Taverne. Klecks erhob sich und folgte ihnen, stumm wie ein Fisch. Kari blickte zu Davis, Matt und Veemon zurück. Sie ließen sie schweigend ziehen, folgten ihnen aber mit Blicken. Keiner von ihnen hatte sein Essen auch nur angerührt.

 

 

„Sie haben den Verstand verloren. Alle beide“, sagte T.K.

„Ich glaube, da steckt mehr dahinter“, murmelte Kari. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie uns etwas vorspielen. Irgendetwas stimmt nicht.“

T.K. wünschte, er könnte ihr glauben. Immer noch zog er sie hinter sich her durch die Gassen der Stadt, die sie vor Ewigkeiten einmal vom damaligen DigimonKaiser befreit hatten. Sie wusste genauso gut wie er, dass er kein Ziel hatte. Es hatte zu nieseln begonnen – den ganzen Tag über war es sengend heiß gewesen, in der Wüste wie höher im Norden, und nun regnete es wie in einem kitschigen Film. Die warmen Pflastersteine sonderten angenehmen, feuchten Geruch ab. Das und die kühlen Spritzer, die T.K.s Stirn trafen, halfen ihm, seine Gedanken zu ordnen. Je länger sie durch die Straßen irrten, desto mehr verstand er Karis Standpunkt, desto mehr begann er zu hoffen, dass sich Matt und Davis tatsächlich nicht erinnerten. Hoffnung war schließlich sein Wappen ... Wie oft hatte er in letzter Zeit diesen Gedanken gehegt? So oft, dass er sich abgenutzt hatte.

Irgendwo, in einer verwaisten Gasse, blieben sie stehen. Hinter einem weit entfernten Fenster brannte eine Kerze, ansonsten war alles dunkel und ruhig. Tropfen sammelten sich an Dachkanten und fielen auf sie herab. Der Regenduft hatte etwas Beruhigendes an sich. Der schweigsame Klecks blieb in einigem Abstand zu ihnen stehen, als wüsste er, dass sie lieber unter sich waren.

T.K. atmete tief durch. Er musste stark sein. Was immer ihn schockierte, Kari traf es schlimmer. Sein Bruder hatte ihn nicht erkannt – sie hatte vom Tod ihres Bruders geträumt. Und sie hatte wesentlich mehr geopfert. Sie würde mehr opfern. Schaudernd dachte er an die Reise hierher zurück. Sie hatten dem See einige Fische für ein Mittagsmahl abgerungen, und die Divermon waren wieder zu Kräften gekommen. „Wir haben den Wunsch unserer Königin erfüllt“, hatte eines die Dreistigkeit gehabt zu behaupten. Seine Stimme war nicht angenehmer, nun, da es ein Digimon war. „Wann erfüllt sie den unseren?“ T.K. hatte es unwirsch daran erinnert, dass die Abmachung lautete, dass die Schattenwesen für Kari kämpfen würden. Die schwarzen Digimon waren geduldig, aber ab und zu fragten sie nach. Als sollte Kari auf keinen Fall vergessen, was sie ihnen versprochen hatte.

Und davor graute T.K. mit jedem Tag mehr. Nun galten seine Sorgen nicht mehr der Frage, wie sie von dem dunklen Meer fliehen sollten, er konnte sich jetzt auch wieder um die Zukunft sorgen, nun, da sie eine hatten. Was für eine Ironie. War es falsch zu hoffen, dass die Divermon in den kommenden Kämpfen alle starben? Er wusste nicht, wen er im Moment mehr hasste: Klecks, Deemon, das Schicksal, Matt, weil er ihm als Bruder gekündigt hatte, oder Kari für ihre aberwitzige Entscheidung.

Er zuckte zusammen, als sie seine Wange berührte. „Woran auch immer du gerade denkst, hör auf damit.“

T.K. sah ihr in die Augen. Sie war es, die stark war. Fast hätte er gelacht. Er wollte für sie beide den starken Mann spielen, und was tat er? Er verlor die Beherrschung, dann begann er zu heulen und schließlich lief er davon wie ein kleines Kind. Kari war wesentlich gefasster. Wer von ihnen war nun wirklich am Ende?

„Du musst es nicht tun.“ Ihre Stimme war leise im stärker werdenden Regen.

„Was?“

„Für mich leiden. Ich bin okay, wirklich.“

„Du bist damit zufrieden, das da ...“ Er deutete auf Klecks, sprach aber nicht weiter. Er würde es nie aussprechen können.

Kari antwortete nicht. Sie hob den Kopf und sah in den Schauer aus winzigen Tröpfchen, die sie verhöhnten. Dann lächelte sie plötzlich. „Wie oft haben wir uns in letzter Zeit gestritten? Wir waren harmonischer, als wir noch ein Paar waren. Und immer ging es um mich. Ist das nicht seltsam?“

T.K. schnaubte. „Andere Zeiten, andere Sitten“, meinte er halbherzig.

„Oder haben wir uns verändert?“

„Schon möglich.“ Wahrscheinlich. Hoffentlich nicht. „Sicher nicht so sehr wie Matt und Davis. Das verzeihe ich denen nie!“

„Hör schon auf“, meinte sie genervt. „Du hast dich auf jeden Fall verändert. Früher warst du nicht so halsstarrig.“

„Und du nicht so dumm.“ Er musterte Klecks mit finsterem Blick und ergriff wieder ihr Handgelenk. „Komm, wir laufen davon. Er kann uns mit seinen Divermon-Füßen nicht einholen. Die anderen sind vor den Toren; wir verstecken uns und hauen aus der Stadt ab, sobald es geht.“

Kari seufzte. „Wir brauchen sie.“

„Nein, brauchen wir nicht. Sie haben uns auch nicht geholfen, vom Meer fortzukommen. Wir brauchen unsere Freunde. Imperialdramon, MetallGarurumon und WarGreymon.“

„Ich habe geträumt, dass ...“

„Dass wir mit einem kleinen Heer in die DigiWelt kommen. Ich weiß. Und? Deine Träume zwingen dich zu nichts.“

„Du verstehst das nicht.“ Sie sprach mit ihm wie mit einem störrischen Kind. Es machte ihn rasend. Sie versuchte, ihm ihre Hand zu entziehen, doch er packte sie im Gegenzug fester.

„Stimmt. Ich verstehe dich nicht.“ Wieder der Zorn. Warum war er in letzter Zeit nur immer wieder so wütend? „Ich werde nie kapieren, was in deinem Kopf vorgeht. Es gab eine Zeit, da habe ich geglaubt, ich wüsste es.“ Er zuckte mit den Schultern. „Das beweist wohl nur, dass wir wirklich nicht füreinander gemacht sind.“

„Sieht so aus.“

„Also gut. Wir schlagen uns noch durch dieses Abenteuer, dann gehen wir unserer Wege und hoffen, dass die DigiWelt dann nie wieder unsere Hilfe braucht.“ Warum war ihm nur schon wieder zum Heulen zumute? „Ich werde in die Reale Welt zurückkehren, du zum Meer der Dunkelheit. Tolle Aussichten.“

Sie wich seinem Blick aus. „Das ist nicht gerecht.“

„Aber ist es nicht das, was du willst?“, höhnte er. Jedes Wort, das sie verletzte, stach ihm selbst in die Brust. „Den Rest deiner Tage an einem Ort verbringen, der dich fast umgebracht hätte? Mit Klecks schlafen und irgendwelche missgebildeten Gestalten zur Welt bringen? Ich frage mich, wie viele Geburten du überlebst. So ein Schattenwesen muss reines Gift sein.“

„Halt den Mund!“, zischte sie ihn an und wollte ihm eine Ohrfeige verpasst, doch er fing ihre Hand ab und hielt auch sie fest. Ihre Wangen waren gerötet. „Es muss ja nicht sein, dass ...“

„Oh doch.“ Er sah ihr tief in die Augen. Ihre Pupillen waren geweitet wegen der Dunkelheit. Sie kamen ihm wie schwarze, leblose Flecken vor. „Weil du zu freundlich bist. Weil du dein verfluchtes Versprechen halten willst! Haben wir uns damals nicht auch das Blaue vom Himmel versprochen? Ihnen hast du nur Schatten versprochen, aber das ist dir wichtiger.“

„Wie lange willst du mir noch Vorwürfe machen?“, schrie sie aufgebracht. Er dachte schon, sie würde gar keine Emotionen mehr zeigen. Tot wie ein Schatten, innen und außen. „Was bleibst du überhaupt bei mir, wenn du mit mir nicht klarkommst? Was geht es dich an, was ich für die DigiWelt zu opfern bereit bin? Wenn du es nicht aushältst, bei mir zu sein, dann verzieh dich doch! Hau ab und versuch die DigiWelt auf deine Weise zu retten! Ich habe meinen Weg gewählt, weil es der einzige ist, den ich gehen kann!“

„Ich habe eine bessere Idee“, sagte er kehlig. „Vielleicht sollte ich dir einen Gefallen tun und Klecks und die Divermon irgendwie aus dem Weg schaffen, damit du nicht in deinen Untergang rennst!“ Ein weiterer Stachel, brutaler und glühender als die bisherigen.

Kari wollte aufbrausen, aber in dem Moment beugte er sich vor und presste seine Lippen auf ihren Mund, drückte sie gegen die steinerne Hauswand hinter ihr, ganz kurz, dann ließ er sie los.

Sie stieß ihn von sich. In ihren Augen brannten Wut und Verwirrung. T.K. gab ihr keine Gelegenheit ihn anzuschreien, zu schlagen oder sonstwie zu reagieren. Er machte auf dem Absatz kehrt und marschierte davon, durch den Regenschleier, ohne Ziel. Die Kerze hinter der fernen Fensterscheibe ging aus.

 
 

I’m staring at the stars as they shine inside my room

How they dance on my floor, like we did long ago

Flowing around, free from all, dancing together

Like we did before

(Celesty – Empty Room)
 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Juju
2017-06-24T13:45:51+00:00 24.06.2017 15:45
Oh man, der arme T.K. und die arme Kari. :/ Vor allem T.K. tut mir leid. Es muss ganz schön hart sein, vom eigenen Bruder nicht erkannt zu werden. Aber er braust auch ganz schön auf, muss ich sagen. Da bleibt Kari cooler. Ich musste ja ein bisschen lachen, wie er einen super emotionalen Monolog hält und Davis und Ken vor Augen führt, was Kari alles auf sich genommen hat in den letzten Wochen/Monaten und dabei sogar weint und alles, was Davis heraushört, ist "Was? Sie ist eine Königin? Dann kann sie mit abstimmen!" xD Spätestens da hätte ihm doch klar werden müssen, dass an Davis und Matt gewaltig herumgepfuscht wurde. Ich bin mal gespannt, wie Kari reagiert, wenn sie Tai trifft und sieht, dass auch er sie nicht erkennt. Ob sie dann auch noch vergleichsweise cool bleibt? Ich wünschte, die beiden könnten jetzt einfach schnell auf Ken treffen. Der ist ja noch bei Verstand und könnte ihnen alles erklären. Das wäre super. Und Ken würde sich so sehr freuen. D:
Ahhhhh und dann das dramatische Ende. ;_; Warum um alles in der Welt müssen die sich jetzt noch trennen? Die haben doch nur sich! Ich kann T.K. schon verstehen, dass es ihn in den Wahnsinn treibt, dass Kari tatsächlich vorhat, sich mit dem Divermon zu paaren. Irks. Und dass sie da so loyal bleibt allgemein. Es kommt schon ziemlich so rüber, als hätte er noch Gefühle für sie. Immerhin küsst er sie ja dann sogar noch. O_O Und dann haut er ab. D: Ach man ey. Bring die beiden mal bitte wieder zusammen. So geht das doch nicht. xD
Von:  EL-CK
2017-03-17T15:13:45+00:00 17.03.2017 16:13
Wow... also dieses Treffen hatte es in sich. ... TK und Kari können einen nur Leid tun...


Zurück