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New Reign

Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]
von

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Vierfrontenkrieg


 

Tag 146

 

Oikawa kam gar nicht mit seinen Befehlen hinterher. Überall auf der Karte blinkten die roten Punkte, wo feindliche Digimon Kens Stellungen angriffen. Es war, als wäre ein Damm gebrochen und das aufgestaute Wasser würde nun von allen Seiten das Reich überschwemmen. Die ständigen Meldungen und die Hektik ließen ihn unwillkürlich an die Strategie-Computerspiele denken, die die Kinder heutzutage spielten. Zu seiner Zeit hatten er und Hiroki einfache Arkade-Spiele mit einer Grafikqualität jenseits von Gut und Böse gespielt, verglich man sie mit der heutigen. Diese Art von Spiel, bei dem es zudem um das Schicksal der DigiWelt und Tausende Digimonleben ging, war viel zu chaotisch für ihn. Vielleicht wurde er auch alt.

„Feindkontakt auf der Großen Ebene bestätigt“, meldete ein Hagurumon eben. „Sektor R. Noch keine Verluste.“

Das war eindeutig die Armee aus dem Nördlichen Königreich. Sonst konnte kaum etwas aus dieser Richtung kommen … aber warum kamen sie von Westen her über die Ebene? Hatten sie sich irgendwie mit den anderen Reichen abgesprochen? „Seht zu, dass sie die Linie halten“, sagte Oikawa und wischte sich einen Schweißtropfen von der Stirn. „Und zieht die Besatzung aus der Kaktuswüste und der Goldenen Zone zusammen, sie sollen der Armee entgegen marschieren, die auf der Felsenklaue gelandet ist.“ Zum Glück hatten sie erst vor zwei Tagen Chinatown eingenommen. Keiko war immer noch auf der Flucht, aber nun endlich ohne Anhänger.

Oikawa verlor fast schon den Überblick, wen er wohin geschickt hatte. All diese Truppen ständig zu koordinieren … wie schaffte Ken das nur? Wenn die Nordarmee die Ebene überquerte, würde es Musyamons Aufgabe sein, sie aufzuhalten. Oikawa würde es nicht anfunken; unter ihren Gegnern war eindeutig auch die Wissens-Armee, und Ken wollte keine unnötigen Funksprüche, die abgehört werden konnten. Der Fürst von Little Edo war fähig genug, allein mit der Sache fertigzuwerden.

Etwas anderes beschäftigte Oikawa mehr. Unter den ersten Zielen waren die Geschütze an der Küste, wo sich die Ölbohrinsel befand, gewesen. Das bedeutete, die Feinde hatten sich schon auf dem Festland befunden – und damit ganz in der Nähe der Voxel-Stadt. Oikawa betätigte seinen Connector, den Ken ihm gebaut hatte, und versuchte Mummymon zu erreichen. „Mummymon, kannst du mich hören? Hier ist Yukio.“

Keine Antwort. Er konnte nicht einmal sagen, ob das Signal durchkam.

Während die Punkte auf der Karte weiterflackerten und die feindlichen Truppenbewegungen rote Streifen in ihr Gebiet malten, kaute Oikawa nervös auf seiner Unterlippe. Er hätte nicht gedacht, dass er noch einmal so beunruhigt werden könnte. Damals, als er unter Myotismons Einfluss gestanden war, hatte er sich bedeutend sicherer gefühlt.

Das Letzte, was er von Mummymon gehört hatte, war, dass Tai krank war und in Quarantäne behandelt wurde. Wenn das Digimon jetzt nicht mehr antwortete, war es vielleicht schon zu spät, oder die Voxel-Stadt stand kurz davor, angegriffen zu werden. Aber dann hätte man doch ein Signal geschickt, oder?

„Ich will, dass ihr einen Soldatentrupp von hier zur Voxel-Stadt schickt“, entschied er kurzerhand, und die Hagurumon leiteten den Befehl weiter. „Und es sollen weder Schwarzturm-, noch Schwarzringdigimon sein. Ogremon soll sie anführen. Holt Tai dort heraus, unbeschadet, Krankheit hin oder her!“

„Wird erledigt“, sagte ein Hagurumon und Oikawa sank erschöpft in seinen Sessel zurück. Ja, er hatte sich lange nicht mehr so alt gefühlt. Und immer noch wurde überall gekämpft.

„Habt ihr den DigimonKaiser immer noch nicht erreicht?“, fragte er.

„Er war nicht in der Basis. Versuche neue Kontaktaufnahme“, berichtete Hagurumon.

Diesmal schien sich etwas zu tun. Auf dem Bildschirm wurde Arukenimons Gesicht erkennbar. Endlich. „Ich muss sofort mit Ken sprechen“, sagte Oikawa.

„Tja …“, meinte Arukenimon und sofort ahnte er Schlimmes. „Es gibt da nur ein klitzekleines Problem.“

 

 

Yolei schrie genervt auf, als sie vor der wütenden Horde floh. „Ich will nicht gegen euch kämpfen! Ich bin hier, um euch zu befreien!“

Die Floramon, die sie auf ihren Pflanzenbeinen erstaunlich schnell verfolgten, hörten nicht auf sie. Natürlich nicht – sie alle trugen Schwarze Ringe und sprühten Pollen in ihre Richtung. Niemand hatte gewusst, dass dieses Dorf so gut verteidigt wurde!

Endlich flogen die ersten Schüsse der Guardromon und ihrer neuen Tankmon-Kameraden aus der Ferne heran. Einer davon traf den Schwarzen Turm im Dorfzentrum, der daraufhin elektrisch zu blitzen begann, doch noch war er nicht genug beschädigt. Michael hatte ihr erzählt, dass die Macht der Türme vermutlich von ihrer Form abhing. Frühestens wenn sie keine annähernd perfekten Obelisken mehr waren, endete ihr Einfluss.

Ein weiterer Schuss sprengte schließlich die Spitze des Turms fort. Fast im gleichen Moment blieben die Floramon stehen, einige stolperten auch. Sie ließen ihre Arme sinken wie ausgeschaltete Maschinen und sahen sich verwirrt um. „Ist der Spuk vorbei?“, fragte eines von ihnen, das die Fassung zurückerlangt hatte.

Yolei, der fast der Atem ausgegangen war, stieß einen tiefen Seufzer aus.

„Yolei, ist alles in Ordnung?“, fragte Aquilamon, das nun herbeiflog und einige Laserringe auf die Kougamon verschoss, die aus den Bambuswäldern auf das Dorf zurannten.

„Jaja“, sagte sie schnell. Michael, Mimi und Betamon kamen ebenfalls angelaufen, doch sie selbst machte sich auf den Weg zu den Reisfeldern, die an das Dorf grenzten.

Die Gekomon dort sahen sehr mutlos aus. Während in einiger Entfernung immer noch gekämpft wurde, hockten sie im Wasser und starrten trübselig vor sich hin. „Hallo, ihr!“, begrüßte sie Yolei.

Sie sahen nicht einmal auf. „Hört bitte auf“, sagte einer der Frösche. „Mit eurem Widerstand erreicht ihr nichts.“

„Was?“ Die Gekomon trugen keine Ringe, aber hatten sie sich etwa mit dem Gedanken angefreundet, Musyamon zu dienen?

„Ihr seid nicht die Ersten, die einen Befreiungsschlag versuchen“, meinte ein anderes Gekomon bitter. „Es nützt nie etwas. Der Fürst schickt einfach noch mehr Truppen und die Arbeit wird noch härter.“

Yolei verdrehte die Augen. War das zu fassen? Dabei hatte sie gehofft, hier als Heldin gefeiert zu werden! Sie ging vor einem der Gekomon in die Hocke und zog es an der Hand hoch. „Diesmal seid ihr wirklich befreit“, sagte sie mit aller Überzeugung, die sie aufbringen konnte. „Wisst ihr, wer wir sind? Wir sind die Rebellen, die eurer wahren Königin dienen!“

Nun sah das Gekomon sie aus weinerlichen Augen an, aber darin schwamm auch ein wenig Hoffnung. „Unserer Königin?“, fragte es zaghaft.

Yolei nickte heftig. „Sie ist in eurem Dorf und sieht sich den Schaden an. Wir werden euch ein für alle Mal befreien!“

„Habt ihr das gehört?“, rief das Gekomon erfreut. „Die Königin ist da! Mimi ist da!“

Die anderen stimmten in ein Jubelgeschrei mit ein, und Yolei fühlte sich sehr zufrieden.

 

 

Die Gekomon kamen von den Reisfeldern gerannt und fielen Mimi in die Arme, die sie herzlich drückte. Ständig riefen sie ihren Namen, obwohl sie noch nie in diesem Dorf am Rande des Shogunats gewesen war.

„Ihr Armen“, murmelte sie, von den Tränen der Gekomon gerührt. „Was habt ihr alles durchmachen müssen?“

„Wir sind so froh, dass Ihr lebt“, rief eines der Froschdigimon und die anderen nickten bekräftigend.

„Wir sollten uns nicht zu lange hier aufhalten“, drängte Michael, der schon wieder seinen Laptop im Arm hielt. Mimi konnte es gar nicht erwarten, bis ihm endlich der Strom ausging, falls das überhaupt je passieren sollte. „Wir müssen weiter, sonst gefährden wir den Plan.“

„Moment!“, rief Yolei, die eben zurückkam. „Und was ist mit diesem Dorf?“

„Wir können es kaum mitnehmen“, meinte Michael.

„Aber wenn wir es ohne Schutz lassen, wird Musyamon es wieder zurückerobern, und die Gekomon und Floramon müssen umso mehr leiden!“

Mimi warf dem Ritter einen Blick zu, der gleichzeitig flehend und drohend wirken sollte. Er seufzte. „Wir können keine Digimon entbehren. Allerdings könnten wir natürlich die Gekomon und Floramon als Kämpfer aufnehmen …“

„Auf keinen Fall“, sagte Mimi sofort. „Sie sind einfache Reisbauern. Ich will nicht, dass sie wegen mir so viel Leid ertragen müssen!“

Jemand hüstelte in den Reihen der Gekomon. Die Digimon machten respektvoll Platz für einen ihrer Artgenossen, der sich auf einen Stock stützte.

„Daimyo!“, rief Mimi überrascht.

Das Alte Gekomon neigte den Kopf. „Nicht mehr. Nachdem ich es abgelehnt hatte, Handelsmeister des DigimonKaisers zu werden, hat Musyamon mich hierher abgeschoben. Mir bleibt nichts außer meiner Würde. Und meiner unendlichen Freude darüber, dass Ihr noch am Leben seid, Königin Mimi.“ Es verneigte sich, soweit seine betagten Beine es zuließen.

„Königin Mimi, wir sind bereit, mit Euch in den Kampf zu ziehen“, sagte plötzlich ein anderes Gekomon. „Auch wenn wir keine Krieger sind, wir sind Euer Volk, und wir wollen nicht länger für Musyamon und den DigimonKaiser Reis anbauen!“ Weitere stimmten ihm zu.

„Aber … Seid ihr sicher?“, fragte Mimi und wurde sich plötzlich wieder der Verantwortung bewusst, die auf ihr lastete. Sie war nicht bei dem Kampf dabeigewesen, dennoch sollte sie nun entscheiden, ob sie diese Digimon mit in den Krieg nahm.

„Es ist, wie sie sagen“, erklärte das Alte Gekomon. „Wir sind Eure treuen Untertanen, und wir werden Euch in Eurem Tun jederzeit unterstützen. Dieses Dorf können wir jederzeit wieder aufbauen, solange wir am Leben sind und Hoffnung in uns tragen. Hoffnung, die Ihr nährt. Bitte erweist uns die Ehre, an Eurer Seite kämpfen zu dürfen.“

„Mimi, wir müssen weiter“, sagte Michael ungehalten.

Schließlich nickte sie. „Dann kommt mit.“

 

 

Es war eng im Inneren eines Mekanorimons, und Tai hasste die Hitze und die stickige, nach Ozon riechende Luft. Außerdem sah man kaum, wo man sich gerade befand; eine Art Wärmebildkamera zeichnete bunte Flecken auf einen Bildschirm, untermalt von einigen Informationsfenstern. Zum Glück war das hier nur der Bambuswald, dessen Halme leicht umknickten. Zwischen echten Bäumen wäre Tai verloren gewesen.

Izzy hatte versprochen, ihn zu seinen Landsleuten zu schicken, und Tai hatte auch erwartet, mit dem Geschwader zu ziehen, das an der Küste gelandet war und den Weg nun zu Fuß fortsetzte. Allerdings kam es ihm ein wenig feige vor, in einem solchen Blechkasten zu sitzen wie dieses ToyAgumon, das jetzt versuchte, das Schneisental zu verteidigen. Als Tai sich von Izzy verabschiedet hatte, hatte der kaum zugehört, weil er eben Feinde auf seinem Radar entdeckt hatte, die genau durch jenes Tal marschierten. Das hier war zweifellos die komplizierteste und weitläufigste Schlacht, die Tai je erlebt hatte.

Nun war er eines der etwa vierzig Mekanorimon und Guardromon der Wissensarmee, die durch den Wald trampelten und den Bambus dabei einfach niedermähten, wenn er ihnen in den Weg kam. Es begann bereits zu dämmern, als sie endlich wieder Graslandschaft erreichten. Tai hätte sich gerne an der salzigen Luft des Stiefels die Beine vertreten, aber die Maschinen kannten keine Pause. Sein einziger Trost war, dass er bald Agumon wiedersehen würde.

 

 

Davis war es wie eine Ewigkeit erschienen, doch vermutlich hatten die Kämpfe nur zehn Minuten gedauert. In einer breiten Linie hatten sie sich den SkullScorpiomon und ihren kleineren Konsorten entgegengeworfen, sie eingekreist und in die Zange genommen. Dann waren sie weiter nach Südosten gezogen, hatten Schwarze Türme und Wachtposten zerstört, wann immer sie daran vorbeigekommen waren. Die Armee des Nordens schlug eine breite Schneise in die wie Pilze die Ebene überwuchernden Türme.

In einem Punimon-Dorf hatte die Armee erst mal Halt gemacht. Nicht wenige namhafte Digimon des Nordens wollten die Siedlungen in der Nähe plündern, um die Armee zu versorgen. „Wo gehobelt wird, da fallen Späne“, hatte Sir Agunimon gesagt. Sowohl Davis als auch Kari und T.K. hatten mit ihm darüber gestritten. Dass sie sich durchgesetzt hatten, war wohl Centarumons letzten Worten geschuldet. Davis hatte schließlich sogar fast ordnungsgemäß Lebensmittel gekauft, auch wenn nur wenige Digimon in den Siedlungen waren. Der Rest hatte sich vor dem nahenden Heer versteckt. Letzten Endes hatte die Sache doch etwas von Plünderung, da es offensichtlich niemand wagte, Davis die Bitte nach Proviant abzuschlagen. Einzig das Versprechen, später entschädigt zu werden, blieb.

„Krieg habe ich mir immer schrecklich und unfair vorgestellt“, sagte Kari, als sie weiterzogen, rhetorisch. „Wie ich es hasse, recht zu haben.“

„Man sagt doch, dass Kriege auf den Rücken der Bauern ausgetragen werden“, murmelte T.K. „Wenn ich diesen neuen DigimonKaiser in die Finger bekomme, der uns dazu zwingt, diese unschuldigen Digimon zu bestehlen …“

Der Proviant war nicht das einzige Problem. Viele Digimon des Nordens schienen auch die Einwohner hier zu hassen. Sie jagten sogar Digimon über die Steppe, die gar nicht gegen sie kämpften. Nur mit Mühe konnten die vier Menschen sie im Zaum halten. Davis nahm sich vor, Tai später alles zu erzählen.

Es wurde Nacht, aber trotzdem ging die Reise weiter. Sie entzündeten Fackeln oder leuchteten den Weg mit ihren Attacken aus. Schließlich erreichten sie Fort Netwave als Erstes und schlugen ihr Lager hinter den Hügeln auf, an die sich die Festung schmiegte.

Ein ganzer Tag, der nur aus Reiten und Kämpfen bestanden hatte, steckte Davis in den Knochen, und so war er dankbar, dass sie ihr Ziel erreicht hatten – auch wenn der schwierige Teil erst begann: die Belagerung.

 

 

Er lebt. Sammy lebt. Sammy lebt und ist mein Feind.

„Ken …“

Wormmons Stimme erreichte kaum seine Ohren. Er wusste nicht, wie lange er hier schon zusammengekauert saß. Er war sich nicht einmal sicher, wo genau sie sich befanden. Die File-Insel gehörte wieder ihm, auch wenn das nur ein schwacher Trost war, und Arukenimon hatte das Lager irgendwo aufgeschlagen, wo es keinen Schnee mehr gab, dafür viele schützende Bäume. Schwarzturmdigimon durchstreiften die Wälder und ein kleines Lagerfeuer war ganz in der Nähe entzündet worden. Ken spürte die Wärme nicht. Es war, als wäre sein Körper taub. Und immer wieder drehte er dieselben Gedanken hin und her, her und hin.

Sammy lebt. Mein Bruder lebt und ist mein Feind. Er will das Spiel statt mir zu Ende spielen. Er ist mein Feind.

Sogar Deemon ließ ihn in Ruhe. Sicherlich weidete es sich an seiner Verzweiflung. Sammy lebt. Wie sollte er gegen seinen eigenen Bruder kämpfen? Seinen großen Bruder, der vor so langer Zeit gestorben war, dessen Tod ihn überhaupt zu dem gemacht hatte, der er nun war? Wenn er es so betrachtete, war Sammy tatsächlich der Auslöser für alles gewesen: Oikawas Mail, sein Aufstieg und Fall als DigimonKaiser, die Saat der Finsternis, Deemon. Nichts davon war noch von Bedeutung. Ich wünschte, ich wäre tot.

„Ken, du hockst seit gestern hier herum. Willst du nicht wenigstens etwas essen?“, fragte Wormmon besorgt.

Arukenimon trat von irgendwoher auf ihn zu. „Steh auf“, forderte es barsch. „Wir haben ein Problem.“

„Das Problem ist Sammy“, murmelte Ken.

„Nein, unser Problem ist nicht ein kleiner Junge, der ein Datenecho von Eigenschaften ist, von denen du glaubst, dass dein Bruder sie hatte“, sagte Arukenimon ärgerlich. „Unser Problem ist ein Vierfrontenangriff auf dein Reich, und zwar weit weg von hier!“

Ken hörte kaum zu. Ein Vierfrontenangriff? Ob Sammy einem Vierfrontenangriff standhalten könnte? „Er lebt“, murmelte er. „Sammy lebt.“

„Hörst du mir eigentlich zu?“ Arukenimon packte ihn am Kragen und zog ihn in die Höhe. Ken sah weiterhin ins Leere. „Yukio versucht seit Stunden, uns zu erreichen. Dein verdammtes Reich geht vor die Hunde! Dein Reich, dass du dir monatelang aufgebaut hast!“

Ken schwieg eine Weile. „Soll es“, stieß er dann hervor.

Arukenimon biss die Zähne zusammen. Nicht einmal den wütenden Faustschlag, den es ihm verpasste, spürte er.

„Ken“, murmelte Wormmon, „denkst du noch über das nach, was er dir gesagt hat? Dass du ihm alles überlassen sollst?“

Er ist mein Bruder. Er kann es besser. Er ist nicht tot. Ich sollte ihm alles übergeben. Ken nickte apathisch. „Sammy ist besser dafür geeignet. Er kann die DigiWelt retten. Er hätte der DigiRitter werden sollen, nicht ich.“

„Das ist ja nicht zum Aushalten. Ich glaube, ich drehe bald durch“, stöhnte Arukenimon und wandte sich demonstrativ ab.

„Ken, bitte denk nicht so viel darüber nach“, bat Wormmon und berührte sein Knie. Er saß wieder auf dem Boden.

Träge schüttelte er den Kopf. „Sammy ist der bessere Denker von uns. Und ich kann nicht gegen ihn kämpfen. Er muss statt mir weitermachen.“

Arukenimon seufzte. „Hör zu, ich bin wirklich nicht dafür geeignet, dir seelische Streicheleinheiten zu verpassen. Hör endlich auf zu jammern und tu, was du tun musst! Deemon hat dich als seinen Gegner ausgesucht, oder? Sammy hat es selbst zurückgeholt. Er hatte von Anfang an nichts mit der Sache zu tun; denkst du nicht, es gibt einen Grund, warum Deemon das getan hat?“

„Ken“, redete Wormmon wieder auf ihn ein. Seine piepsige Stimme klang fest, und seine Augen funkelten entschlossen. „Ich glaube, du hast längst entschieden, dass du nicht vor Sammy klein bei gibst.“

Ken blinzelte. „Wie meinst du das?“

„Wenn es wirklich das wäre, was du willst, wenn du Sammy wirklich deine ganze Verantwortung abtreten wolltest, dann hättest du es längst getan. Aber du sitzt hier und zerbrichst dir den Kopf, weil du in Wahrheit nicht dazu bereit bist, alles hinzuschmeißen, auch nicht für deinen Bruder.“

Ken fuhr sich durchs Haar. „Denkst du wirklich? Ich weiß nicht.“

„Schau ganz tief in dir nach, Ken“, sagte Wormmon. „Und hör nicht nur auf deinen Verstand, sondern auf dein Herz.“

Arukenimon sah sie abfällig an. „Ihr seid wirklich albern. Holt mich, wenn ihr zu einem Entschluss gekommen seid. Sonst fliege ich morgen früh allein zurück.“ Damit stapfte es in die Dunkelheit davon.

„Aber was sagt mir mein Herz?“, fragte Ken hilflos. „Ich weiß es nicht, Wormmon. Ich weiß gar nichts mehr.“ Er betrachtete seine zitternden Hände. „Ich habe Angst, dass ich bereits ein seelisches Wrack bin.“

„Das bist du nicht, sonst würdest du nicht so lange mit dir hadern“, sagte sein Digimon entschieden. Es versuchte immer noch, ihm Mut zu machen.

„Ich bin so froh, dass du wieder da bist“, flüsterte Ken. „Sammy … Ich sollte mich auch über ihn freuen. Stattdessen …“ Er stieß einen Wutschrei aus und raufte sich die Haare. „Deemon, warum tust du mir das an?“

Keine Antwort kam aus den Tiefen seines Verstandes. Er schwieg ebenso wie sein Herz.

„Vertrau mir, Ken“, sagte Wormmon. „Ich kenne dich schon so lange. Vielleicht kenne ich dich besser, als du dich im Moment selbst kennst. Du hast noch nicht aufgegeben. Du bist viel selbstbewusster geworden, und du hast schon so viel geschafft. Der Sammy, den du kanntest, würde sicher verstehen, dass du nicht einfach alles wegwerfen kannst.“

„Aber ich …“

„Sag nicht dauernd aber. Dir fallen doch sowieso keine Argumente ein“, sagte es aggressiv.

Da schluckte Ken, und für den Rest der Nacht schwiegen sie beide.

Arukenimon kam nicht mehr zurück. Ken hörte nur, dass seine Digimon um ihn herum streiften. Seine Digimon. Hüllen ohne eine Seele. Eine Seele hatte er erst gestern getötet, und Hunderte davor. Würde Megidramon wiedergeboren werden? Wenn überhaupt, dann nur, wenn er das Spiel gewann. Wenn jemand das Spiel gewann. Es konnte auch Sammy sein … War es in Ordnung, all die Verantwortung in die Hände seines großen Bruders zu legen? Seines Bruders, der nie so alt geworden war, wie er mittlerweile war?

Wormmon hatte seine starren Gedankenräder immerhin etwas gelockert. Nach einer Weile, als die Nacht empfindlich kalt wurde und das Feuer immer weiter herunterbrannte, rollte es sich vor ihm zusammen und schmiegte sich an seine Beine. Irgendwann döste Ken ein und nahm seinen Kummer mit in den Schlaf. Als er erwachte, kroch der Morgendunst zwischen den Baumstämmen, und Ken hatte eine Entscheidung gefällt.

 
 

I see that boy, he scares me

He has the power to see

I feel the wings inside his soul

(Celesty – Final Pray)
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Juju
2018-06-17T09:39:00+00:00 17.06.2018 11:39
Und hier bin ich! :D
Ich bin sooooo froh, dass du die Geschichte inzwischen zu Ende geschrieben hast. Das letzte Kapitel, das ich gelesen habe, war jetzt schon ein Jahr her. Kaum zu glauben.
Der Nachteil an deiner komplexen Geschichte ist, dass man sich doch erst mal wieder reinfinden muss, wenn man eine Weile nicht gelesen hat. Aber das ist ein "Nachteil", den ich gern in Kauf nehme.
Ich kann es auch gar nicht oft genug sagen: Ich liebe deine Geschichte nach wie vor. :D Auch wenn es gerade für Ken nicht so gut aussieht. Der Arme hat da mit Sammys Einsatz aber auch ganz schön was zu knabbern bekommen. Hier bindest du sogar diesen Bruderkonflikt zwischen den beiden ein, dass Ken zu Sammys Lebzeiten ja immer in dessen Schatten stand, weil Sammy alles besser konnte. Krass, dass ihn das nach all den Jahren immer noch so beschäftigt, aber okay, er ist eben auch gerade in einer absoluten psychischen Ausnahmesituation mit all seinen Freunden, die ihn vernichten wollen. D: Gut, dass er Wormmon hat. Ich finde es toll geschrieben, wie es ihm ins Gewissen redet und einfach für ihn da ist. Und ich denke mal, der Gute hat die richtige Entscheidung gefällt.
Arukenimon fand ich hier übrigens auch sehr witzig mit seinen Kommentaren. :D
Ansonsten war das Kapitel echt gut zum Wiederreinkommen, weil man noch einen Einblick in das bekommen hat, was die anderen DigiRitter gerade so treiben. Bin mal gespannt, ob es Mimi, Yolei und Michael gelingt, Little Edo zurückzuerobern. Und ob Tai jetzt wirklich zu Ken gebracht wird. Weiß nicht, wie sie ihn da aus dem Geschwader rausholen wollen. Aber ich würde es mir wünschen. Immerhin ist er ja jetzt König, oder? Wäre super, wenn er sich auf Kens Seite stellt, aber so einfach wird das wohl nicht werden.
Und die Szene mit Davis, T.K. und Kari ist zwar kurz, aber trotzdem konnte ich mir gerade die drei sooo lebhaft vorstellen und hatte ihre Stimmen im Ohr, als sie gesprochen haben.
Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht! :) Und kann es nach wie vor nicht verstehen, dass du so wenig Kommentare bekommst.
Von:  EL-CK
2017-07-03T15:28:43+00:00 03.07.2017 17:28
oh man Ken... aber Wormmon hat recht VOLLENDS hat Ken noch nicht aufgegeben.... hoffentlich bleibt das auch so
Antwort von:  UrrSharrador
04.07.2017 16:24
Danke mal wieder für deinen Kommi! Hoffen wir es mal ;)


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