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New Reign

Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]
von

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Der Schachkaiser


 

Tag 146

 

Sie saßen etwas abseits von den anderen, weil Kari vermutete, dass T.K. etwas mit ihr besprechen wollte. Die Nordarmee hatte nur wenige Zelte mitgebracht; die meisten Digimon schliefen unter freiem Himmel und wirkten dabei wie lebende Hügel, die sich im Takt ihres Atems hoben und senkten. Davis saß mit den Fürsten und Rittern am Feuer und wärmte sich an einer hitzigen Diskussion darüber, wie man weiter zu verfahren hätte.

Sie hatten ein riesiges Heerlager rings um die Festung aufgebaut, deren Rundtürme und Zinnen aus bronzefarbenem Stein hoch in den Himmel ragten. Wie eine schwarze Hand reckte sich Fort Netwave den Sternen entgegen und wäre groß und furchteinflößend erschienen, wäre die Armee, der Kari nun angehörte, nicht die beeindruckendste und größte Menge an Digimon gewesen, die sie je an einem Fleck gesehen hatte.

Klecks und die Divermon hatten sich in ihrer Nähe auf dem Boden niedergelassen und schienen unglücklich. Kari konnte es ihnen nicht verdenken. Die Erfüllung des Versprechens, das sie ihnen gegeben hatte, lag noch in weiter Ferne; stattdessen mussten sie ihr Leben in einem Krieg riskieren, der nicht der ihre war.

Da T.K. schwieg und auch Patamon und Gatomon eher bedrückt wirkten, ergriff Kari selbst irgendwann das Wort. „Die Digimon sind nicht … richtig gestorben.“

„Du hast es also auch bemerkt“, stellte er fest.

Kari nickte. Einige ihrer Feinde waren aus Fleisch und Blut gewesen. Sie waren in den Datenfluss der DigiWelt zurückgekehrt. Kari war darüber erschrocken gewesen, wie bereitwillig Davis und Raidramon vernichtende Schläge ausgeteilt hatten. Es erinnerte sie an ihr erstes Abenteuer in der DigiWelt, als sie ohne Gnade gegen die Mächte der Finsternis gekämpft hatte. Nur dass es dieses Mal keine bösen Digimon gewesen waren, die sie angegriffen hatten, sondern nur solche, die auf der falschen Seite standen – oder einfach nur ihre Heimat verteidigen wollten. Selbst Schwarzringdigimon waren heute gestorben, hingemetzelt vom Zorn der Nordfürsten.

Viele Digimon jedoch waren nicht so gestorben, wie gewöhnliche Digimon starben. Ihre Haut war abgeblättert, und ein schwarzblauer Kern war sichtbar geworden. „Es waren Schwarzturmdigimon“, sagte sie düster. „Der neue DigimonKaiser hat eine Möglichkeit, Schwarze Türme in Digimon zu verwandeln. So wie Arukenimon es damals getan hat.“

„Dann können wir mit voller Kraft kämpfen. Das ist doch gut.“

„Ja, aber er kann Schwarze Türme bauen“, sagte Kari. „Das heißt, er hat einen unendlichen Vorrat an Digimon. Wir müssen es ihnen sagen.“

T.K. überlegte, dann nickte er. Er war schon aufgestanden, als er innehielt. „Sag du es ihnen. Du bist eine Königin. Ich bin nur so etwas wie dein Hofnarr.“

Sie sah in seine Augen und erkannte den gequälten Ausdruck darin. Er schien sich nicht darüber zu freuen, dass sie in ihren Kämpfen vorankamen, auch wenn es nur kleine Stücke waren. Ob er schon an die Zeit danach dachte?

 

 

Karis Neuigkeiten wurden von den Fürsten und Rittern mit Unbehagen aufgenommen. Nur KaiserLeomon bezweifelte, dass sie die Wahrheit sagte, den anderen schien es möglich, dass der DigimonKaiser Soldaten aus Türmen formen konnte. Sir Agunimon pochte sogar darauf, sofort gegen das Fort loszuschlagen, um ihnen jede Gelegenheit zu nehmen, Türme zu bauen. Ohne es zu wollen, hatte Kari dem Krieg mehr Tempo aufgezwungen.

Davis war ebenfalls beunruhigt. Centarumon hatte ihm zwar den Oberbefehl gegeben, aber er brauchte dennoch für jede Entscheidung Rückendeckung von einigen Würdenträgern, sonst würde sich das Heer bald spalten. Er beriet sich gerade im Stillen mit Veemon, wie sie weiter vorgehen sollten, als das zweite Heer den Treffpunkt erreichte.

Die Candlemon-Wachen schlugen Alarm, als die Maschinen aus Nordosten heranstapften. Die Anspannung des Lagers wich Erleichterung, als sie die violetten Banner der Wissens-Armee sahen, die an einigen der Mekanorimon und Guardromon befestigt waren. Vierzig waren es insgesamt. Davis hatte auf mehr gehofft.

Die Maschinendigimon erreichten das Lager und überraschte Rufe wurden laut, als der Deckel des vordersten wegklappte und eine müde Gestalt in fremder Kleidung sich an die frische Luft arbeitete. Davis hielt die Luft an. Das krause, braune Haar und die Augenklappe ließen keinen Raum für Zweifel, selbst im spärlichen Licht, das die Lagerfeuer hergaben. Tai war zu ihnen zurückgekehrt.

 

 

Kari drängte sich an den schaulustigen Digimon vorbei und konnte sich gerade noch zusammenreißen, um nicht seinen Namen zu rufen. Sie war unendlich erleichtert, trotzdem sein rechtes Auge tatsächlich verloren schien. T.K. trat neben sie, mit einer Miene aus Stein. Und dann trampelte Agumon unter glücklichen Rufen heran.

„Tai! Oh, Tai!“ Es hatte Tränen in den Augen. Digimon und Mensch fielen einander in die Arme.

„Tut mir leid, dass ich dich so lange allein gelassen habe, mein Freund“, sagte Tai.

„Tai.“ Auch Davis stand nun vor ihm. „Willkommen zurück. Wir haben auf dich gewartet.“

„Ja. Gut gemacht, Davis“, lächelte er und schlug seinem Freund kräftig auf die Schulter. Offenbar hatte er nicht ganz begriffen, was Davis ihm sagen wollte.

Die anderen machten es dafür offensichtlicher. Agunimon, KaiserLeomon und Angemon gingen vor ihm auf die Knie. „Willkommen zurück, Majestät.“

Tai hob die Augenbrauen. „Majestät?“

„Du bist zum König ernannt worden“, erklärte Davis mit einem schiefen Grinsen. „Tut mir leid, dass wir dich nicht gefragt haben.“

„Hüte dich, den König so respektlos anzusprechen“, ermahnte ihn KaiserLeomon knurrend.

„Ist schon gut“, sagte Tai sofort und blickte auf Agumon herab. „Ich glaube, wir haben uns einiges zu erzählen. Allein das, was ich alles erlebt habe, reicht für die halbe Nacht.“

„Du kannst dir auch die ganze Nacht Zeit lassen“, erklärte Agumon zufrieden. „Ich bin so froh, dass wir wieder beieinander sind.“

„Ich auch“, meinte Tai lächelnd, während sie zum Kommandantenzelt gingen. Über ihnen kreisten die Megadramon und kreischten erfreut. Tai winkte ihnen grinsend zu. Dann kreuzte sein Weg Kari und T.K, und ihr wurde ganz flau zumute, als er sie ansah. „Wer ist das?“, fragte er.

Kari hatte es geahnt, dennoch war sie so enttäuscht, dass sogar ihre Wiedersehensfreude einen Dämpfer erlitt. Wie konnte es ein Wiedersehen sein, wenn er sie nicht erkannte? Sie ermahnte sich, einfach eine Maske zu tragen. Entweder hatte dieser Spuk mit den verlorenen Erinnerungen irgendwann ein Ende, oder sie würde in Verzweiflung versinken. Dazwischen gab es nichts, also sagte sie sich, dass sie sich nicht darum sorgen sollte.

„Majestät“, sagte sie förmlich und versuchte sogar einen Knicks. „Ich bin Kari, die Königin der Divermon. Das ist T.K, mein treuester Freund. Wir sind hier, um Euch zu helfen.“

Tai nickte. Er schien ihren Kummer nicht zu bemerken, aber das war kein Wunder. Trotz allem war er der Bruder, den sie kannte. „Gut. Wir können auch jede Hilfe gebrauchen, glaube ich. Kommt am besten mit ins Zelt.“ Dann erstarrte er plötzlich. „Moment. Wenn ich jetzt König sein soll … was ist mit König Leomon passiert?“

Kari und Davis wechselten betretene Blicke. „König Leomon ist von uns gegangen“, erklärte schließlich Sir Angemon.

Tais Miene erstarrte. „Wie ist das passiert?“

„Gehen wir ins Zelt“, schlug das Digimon vor. „Es ist wahrlich viel geschehen, seit Ihr in die Gewalt des DigimonKaisers geraten seid.“

 

 

Es fiel Tai nicht leicht, von seiner Odyssee als Spielball verschiedener Mächte zu sprechen. Und nun sollte er also selbst König sein? Immer her mit der Verantwortung! Er hatte einiges aufzuholen.

Immerhin, die DigiWelt stand nicht Kopf, wie er erwartet hatte. Das Einzige, was sich verändert hatte, war, dass der Kaiser seinen Einfluss im Westen ausgebaut hatte und dass seine Freunde es geschafft hatten, endlich MetallPhantomon zu besiegen. Dass sich ein Hochstapler für ihn ausgegeben hatte und sogar gekrönt worden war, war ungeheuerlich, und dass Davis wiederholt mit dem DigimonKaiser gemeinsame Sache gemacht hatte, noch viel bestürzender. Tai war zunächst äußerst erbost darüber, aber sein Freund hatte es offensichtlich nur gut gemeint. Seltsamerweise fühlte er umso mehr, dass er dem jungen ehemaligen Banditen vorbehaltslos vertrauen konnte.

Erfreut stellte er fest, dass auch Sora Anschluss im Nordreich gefunden hatte. Sie wurde zwar von den meisten Digimon gemieden, aber immerhin zeigte ihr niemand offen Feindseligkeit. Dass auch Matt an den Kämpfen beteiligt gewesen war, verblüffte ihn hingegen; er hätte nicht gedacht, dass dieser dem DigimonKaiser entkommen könnte. So gesehen hatte er Tai schon wieder etwas voraus. Das nagte jedoch nur so lange an ihm, bis er erfuhr, dass Matt schwer verletzt war und nicht an dem Feldzug teilnehmen konnte. Nun hoffte er wiederum auf die baldige Genesung seines Rivalen … Tais unfreiwilliges Exil schien wohl ein gewisses Harmoniebedürfnis in ihm geweckt zu haben.

Er selbst bemühte sich, sich kurz zu fassen, aber Davis und Königin Kari forderten immer wieder Einzelheiten, wobei ihn letztere zu bemitleiden schien. Also erzählte er genau, wie er ins Düsterschloss geflogen war, um Sora gefangen zu nehmen, wie man ihm das Auge genommen hatte – die Folter ließ er aus – und wie der DigimonKaiser ihn plötzlich befreit und mit seinem Leibwächter nach Süden geschickt hatte. Die Geschichte, wie sie von Datamon abgefangen und zu König Takashi gebracht worden waren, hatten die anderen anscheinend bereits aus dem Mund seines Klons gehört. Dann erzählte er von seiner Gefangenschaft in der winzigen Kammer in der Pyramide, davon, wie ihn wieder ausgerechnet der DigimonKaiser befreit hatte und ihn in seine Festung hatte bringen wollen. Schließlich lobte er Izzys taktisches Geschick, der Dame Arukenimon ausgetrickst und ihn in die Voxel-Stadt gelotst hatte, wo er bisher Unterschlupf gefunden hatte.

Als er geendet hatte, blickten T.K. und Kari merkwürdig drein. „Ein Arukenimon?“, fragte der blonde Junge, der Matt etwas ähnlich sah, wie er fand. Waren die beiden vielleicht verwandt? „Konnte es Schwarze Türme in Digimon verwandeln?“

Tai runzelte die Stirn. „Keine Ahnung. Ich habe es zumindest nicht bei so etwas gesehen. Es war ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse.“

„Hatte es auch eine menschenähnliche Form? Konnte es sich verwandeln?“, fragte Kari.

Die Fragen verwirrten ihn. „Ich habe eigentlich nur eine menschenähnliche Form gesehen … hätte es anders aussehen sollen?“

Kari und T.K. wechselten bezeichnende Blicke. Was heckten sie aus?

Das Gespräch wurde unterbrochen, als erneut ein Alarm ertönte. Sofort sprangen alle auf und liefen nach draußen, doch wieder war es eine Armee ihrer Verbündeten. Noch schien Fort Netwave keine Verstärkung zu erhalten, aber die Nordarmee war auch erst seit vier Stunden hier.

Es war zweifellos der bestgelaunte Tross, der das Umland von Fort Netwave heute erreichte. Schrille Trompetenmusik und schräger Gesang begleiteten die Kolonne, die laut Izzys Plan eigentlich schon viel früher hätte eintreffen sollen. Irgendjemand schien wohl der Ansicht zu sein, der Krieg wäre bereits gewonnen.

„Da vorn! Da sind ja auch ganz viele Menschen dabei!“, rief das Mädchen, das in der ersten der ungeordneten Reihen marschierte. Sie hatte fliederfarbenes Haar und trug eine Brille und eine schmutzstarrende Uniform; an ihrer Seite baumelte ein Schwert.

Hinter ihr ging jemand, den Tai beinahe nicht erkannt hätte. Mimi erinnerte sich dafür umso schneller an ihn, denn sie blieb abrupt stehen. „Das ist ja Sir Taichi!“, hörte er sie, obwohl sie sich Mühe gab, nicht zu laut zu sein. Sie wandte sich an den blonden Jungen hinter ihr. „Wieso hast du mir nicht erzählt, dass er hier ist?“, zischte sie.

Der junge Mann blieb ruhig, und Tai verstand seine Antwort nicht, auch weil die Gekomon in dem Trupp eine neue Strophe eines fröhlichen Lieds anstimmten, das keinen Text zu haben schien, sondern nur aus verschiedenen Variationen des Wortes geko bestand. Tai erinnerte es an den alten Shogun von Little Edo.

Aber er war sogar froh, sie gesund und munter wiederzusehen. Mimi hatte ihn zwar verschmäht, aber keiner von ihnen beiden hatte schließlich wirklich die Absicht gehabt, zu heiraten. Ehe sie in eine peinliche Situation geraten konnten, hielt er es für angebracht, sie persönlich zu begrüßen. Er ging auf die Gruppe zu, und als er näher kam, wurden die Augen von Mimis Begleiterin größer.

„Ist er das, Mimi? Ist das der Drachenritter?“

Tai verbeugte sich ein wenig. Er scherte sich nicht darum, ob es angemessen tief war. Und schließlich waren sie im Krieg. „Prinzessin Mimi“, sagte er. „Ich hätte nicht erwartet, Euch hier anzutreffen, aber ich bin erfreut.“

Mimi wich seinem Blick erst überheblich aus, dann schien sie zu erkennen, dass es keinen Grund für ihre Ablehnung gab. „Die Freude ist meinerseits“, sagte sie schließlich steif. „Ihr kommandiert also diese … Horde?“

Darüber hatten sie noch nicht gesprochen, aber wenn er tatsächlich der König sein sollte, stand das wohl außer Frage. „So kann man es sagen. Wie kommt Ihr hier her?“

„Gestatten.“ Der blonde junge Mann trat vor. „Sir Michael von der Konföderation zur Wahrung des Wissens der DigiWelt. Wir sollen Euch helfen, das Fort einzunehmen.“

„Ah, Ihr seid der Ritter, von dem Izzy gesprochen hat.“ Der Rotschopf hatte allerdings mit keinem Wort erwähnt, dass Mimi bei ihm war. Es war immer nur die Rede gewesen von Rebellen.

„Wir sollten gleich zur weiteren Angriffsplanung übergehen“, sagte Sir Michael. „Immerhin sind wir hier die Einzigen in der DigiWelt, die dem DigimonKaiser noch etwas entgegenzusetzen haben. Unsere Operation muss Erfolg haben.“

 

 

Es wurde eine lange Nacht, obwohl sie sich dringend von den Anstrengungen des Tages hätten erholen müssen. T.K. fand es geradezu abartig, so viele seiner Freunde an einem Fleck versammelt zu wissen, während sie sich höflich und einfach … fremd begegneten. Tai bewies wieder einmal Anführerqualitäten, ließ sich in strategischen Belangen jedoch von Michael beraten, der angeblich auch für Izzy sprach. Mimi versuchte ständig, ihren eigenen Kopf durchzusetzen und das Heer dazu zu bewegen, diesen klobigen Klotz von einer Festung in Ruhe zu lassen und stattdessen Little Edo zu befreien. Sora bemühte sich als Streitschlichterin, doch viele hochrangige Norddigimon übergingen sie einfach. Kari gab ihr Möglichstes, zur allgemeinen Vernunft beizutragen. Yolei schien erschöpft, wie ausgebrannt, was sie immerhin vor unüberlegten Handlungen schützte.

Und T.K. hasste es, ohnmächtig zusehen zu müssen, wie seine Freunde all die Streiteren durchmachten, die sie doch schon vor langer Zeit zu einem eingeschweißten Team gemacht hatten. Konnten sie einander nicht einfach freudevoll in die Arme fallen? Warum hatten sie nur das Gedächtnis verloren? War das Deemons Schuld? Aber wo war Deemon? In der DigiWelt hatte niemand je von ihm gehört.

Er versuchte, etwas über weitere Menschen herauszufinden. Wenn Michael hier war, gab es sicher noch andere internationale DigiRitter in der DigiWelt. Tatsächlich hatten seine Freunde einige von ihnen gesehen. Yolei kannte sogar Joe von irgendeinem Fest in Little Edo, und anscheinend war er auch hier so etwas wie ein Arzt. Von Cody hatte keiner von ihnen je gehört, und auch Ken blieb wie vom Erdboden verschluckt, auch wenn Yolei meinte, dass sie diesen Namen schon einmal gehört hätte.

„Ken …“, murmelte sie und kratzte sich am Kopf. „Irgendwas bringt dieser Name bei mir zum Klingeln. Ich komm nur nicht drauf …“ Sie lachte verlegen. „Der Tag war lang, tut mir leid. Vielleicht auch Little Edo, da kamen verschiedene Menschen hin …“

T.K. hatte Nachsicht mit ihr. Vielleicht erinnerte sie sich auch nur aus ihrem früheren Leben an ihn, wer wusste das schon? „Wenn es dir wieder einfällt, sag es mir bitte sofort. Es ist sehr wichtig.“

„Klar, kein Problem.“ Sie zog die Stirn kraus. „Wie war nochmal dein Name?“

T.K. seufzte.

Nachdem sie ein paar Stunden Schlaf gefunden hatten, begab sich das Heer noch vor Sonnenaufgang in Angriffsposition. Wie ein Halbmond umzingelten sie die feindliche Festung, die genauso gut hätte verlassen sein können: Kein einziges Digimon hatte sich bisher blicken lassen.

Tai kniete ganz vorne neben Agumon und fragte es: „Ich weiß, du warst lange krank. Fühlst du dich imstande, zu digitieren?“

Agumon nickte heftig. „Ich bin bereit, wenn du es bist.“

„Gut. Ich zähle auf dich.“

Der erste Sonnenstrahl linste über den Horizont, und Tai erhob sich. „Drachenstaffel!“, rief er.

T.K. sah sich um. Jeder hatte einen Platz in der Formation: Mimis Gekomon und Floramon, Yoleis Ninjamon, Tankmon und Mushroomon, die anderen befreiten Digimon, die Mekanorimon und Guardromon, die Tai hergebracht hatten, Michael und sein Betamon, das in der Bucht darauf wartete, dass die beiden Schwarzen Türme, die an zwei Enden aus der Festungsmauer hervorragten, zerschlagen wurden, Karis Truppe von Divermon, die bereits in die nahe Bucht getaucht waren und die Festung vom Meer her angreifen würden, und das Gros des Heeres, die beeindruckenden Digimon aus dem Nördlichen Königreich.

Als die Megadramon, die Tai aufs Wort gehorchten, über sie hinwegfegten, spürte T.K, wie der Wind an seinen Kleidern zerrte. Als sie in Schussweite waren, flogen Feuerbälle und andere Attacken aus den Schießscharten des Forts, doch kaum eine traf. Dafür trafen die Megadramon umso besser: Fast gleichzeitig explodierten die Mauerteile, die die Türme beschützten, und bei einer zweiten Angriffswelle barsten die Türme selbst. Das Heer setzte sich in Bewegung, scheinbar träge, weil es einfach so viele Digimon waren, deren Getrampel die Erde beben ließ. Tai hob sein DigiVice hoch über seinen Kopf. Auch Patamon, Gatomon, Palmon, Hawkmon und Betamon digitierten auf ihr jeweils höchstes Level.

Und als WarGreymon, MagnaAngemon, Angewomon, Lillymon und Aquilamon auf die Festung zuflogen, gab es für T.K. keinen Zweifel mehr am Ausgang dieses Kampfes.

 

 
 

Tag 147

 

Sammys Insel war neben der File-Insel aufgetaucht. Es musste seine sein. Sie war so nah, als wollte sie Ken einladen, über die schmale Kluft zu springen. Ken hatte keine Ahnung, warum diese Insel hier auftauchen konnte, aber Arukenimon wusste die Antwort.

„Das ist dann wohl ein KingWhamon“, sagte es. „Zumindest ist das meine Vermutung. Ein riesiges Whamon, auf dessen Rücken eine ganze Insel Platz hat. Deemon hat keine Mühen gescheut, deinen Bruder auszustatten.“

Die Insel besaß vielleicht ein Viertel der Größe der File-Insel und war zumeist bewaldet. Einige PawnChessmon standen noch an der Küste und starrten zu ihnen herüber. Sie griffen nicht an.

„Bist du sicher, dass du allein gehen willst?“, fragte Arukenimon, als er auf Stingmons Arm kletterte.

„Ja“, sagte er entschlossen. „Nur ich allein. Stingmon wird zu euch zurückkehren, sobald ich drüben bin.“

„Ich werde nie verstehen, was in deinem Kopf vorgeht“, meinte Arukenimon missmutig.

„Das ist auch besser so. Wir können los, Stingmon.“

Sie flogen über die schmale Schlucht zwischen den Inseln. Eine eigenartige Ruhe hatte ihn erfüllt. Er hatte so ausgiebig über Sammy nachgegrübelt, dass er sich nun innerlich völlig leer fühlte. Das hatte aber zweifellos zur Folge, dass alles, was in der nächsten Stunde passieren würde, ihn zur Gänze ausfüllte und ihn nie mehr verließ.

„Soll ich nicht doch in der Nähe bleiben?“, fragte Stingmon, als es ihn auf KingWhamons Rücken absetzte. „Immerhin sind noch Digimon hier.“

„Nicht nötig“, sagte Ken. „Wartet einfach auf mich.“

Stingmon brummte davon, und Ken betrat unter den Augen zweier regloser PawnChessmon den Wald, der ins Herz der Insel führte.

Ein kleines Gebirge erhob sich dort. Erst wurde das Gelände hügelig, dann zerklüftet. Ken begegnete kein einziges Digimon mehr. Alles war ruhig und friedlich. Die Sonne stach golden zwischen den Baumstämmen hervor und blendete ihn. Sattes Grün wich irgendwann bleichem Gestein, und Ken fand einen behauenen Berghang. Vor einer Felsenfigur blieb er stehen. Sie zeigte das Schachfigurenpaar, KingChessmon und QueenChessmon, und hinter ihnen, größer, Sammy. Ken betrachtete das steinerne Ebenbild seines Bruders ausgiebig. Dann erst erklomm er die Steinstufen, die links und rechts davon den Hang hinaufführten.

Auf dem kleinen Plateau, das er erreichte, wuchsen keine Bäume mehr. Der Boden war glatt, aber felsig, und man konnte die ganze Insel überblicken. Die einzige Behausung war ein prächtiger Kuppelbau aus schwarzweißem Stein, zwischen dessen Säulen das hohe Tor offenstand.

Es lag etwas Feierliches in der Luft. Die Stille, der Geruch nach Frühling, der kalte Stein und das hohle Echo seiner Schritte, als ein Saal mit marmornem Schachbrettmuster als Boden ihn aufnahm …

Sammy erwartete ihn bereits. Er stand im Zentrum des Saals, dort, wo ein heller Lichtkegel durch ein Loch in der Decke fiel. „Ken“, sagte er lächelnd und hielt ihm die Hand hin, als wollte er ihn zu sich ziehen.

„Sammy“, sagte er mit belegter Stimme. Allein sein Anblick ließ Ken schwer zumute werden.

„Da du alleine kommst, hast du dich entschieden? Wirst du mir dein Reich und deinen Thron überlassen? Ich habe jedenfalls gründlich darüber nachgedacht. Ich werde dir die Aufsicht über die File-Insel geben. Sie ist abgelegen, aber wichtig, und einer von uns muss darauf achtgeben.“

Ken blieb in einiger Entfernung stehen und schwieg. Er betrachtete Sammy, wie er da im Licht stand, das Haar kraus, die Brille auf der Nase.

„Was ist nun?“, fragte sein Bruder.

„Ich habe lange für die DigiWelt gekämpft“, sagte Ken. „Seit mich Davis und die anderen wieder auf den Boden der Tatsachen geholt haben. Wir haben gemeinsam so viel erlebt, so viel für die DigiWelt getan … Bist du sicher, dass du die Bindung, die wir zur DigiWelt haben, nachempfinden kannst?“

„War deine Bindung am Anfang nicht auch so fest, dass du alles für das Wohl dieser Welt gegeben hättest?“, fragte Sammy zurück. „Ich setze mich nämlich auch für das Wohl dieser Welt ein. Du hast wirklich lange gekämpft, Ken. Man sieht dir an, dass du müde bist. Lass mich dir helfen. Du hast genug getan, genug gelitten.“

„Ja“, murmelte Ken. „Ich habe wirklich gelitten. So sehr, dass es auch für zwei reichen würde.“

„Darum gib mir die Zügel in die Hand, kleiner Bruder. Ich sage ja nicht, dass ich dich aus dem Spiel werfe. Ich weiß, dass Deemon uns gegeneinander aufbringen will. Im Prinzip hat es das so lange geschafft, wie unsere Digimon einander bekämpft haben. Aber jetzt sind nur wir beide hier. Die Ichijouji-Brüder, die zusammenarbeiten und die DigiWelt wieder in Ordnung bringen werden.“

Abermals hielt er ihm die Hand hin, um um Kens DigiVice zu bitten. Wie sehr hatte sich Ken zu Lebzeiten danach gesehnt, ein so warmes Lächeln auf Sammys Gesicht zu sehen, das ihm gewidmet war. Wie sehr nach einer Aufforderung, gemeinsam an etwas zu arbeiten. Wie sehr danach, ihm, Sammy, seinem großen, talentierten Bruder, eine Hilfe zu sein …

Langsam ging er auf ihn zu und blieb knapp vor ihm stehen. Seine Hand löste das schwarze DigiVice von seinem Gürtel. Sammy nickte ihm auffordernd zu.

Ken machte Anstalten, das kleine Gerät in Sammys Hand fallen zu lassen. „Auf dem Weg hierher habe ich eine Statue von dir gesehen“, sagte er.

Sammys Augenbraue zuckte ärgerlich. „Ach, das Felsenmonument. Die Chessmon bestanden darauf.“

„Der Steinmetz hat dich gut getroffen. Es sieht dir wirklich ähnlich.“

„Danke. Wir können noch eines machen lassen. Wir können uns zu zweit in der DigiWelt verewigen lassen, wenn du willst.“

„Ich habe es lange betrachtete“, murmelte Ken. „Es sieht aus wie du, aber es ist nur den Gedanken des Steinmetzes entsprungen. Es ist nicht wirklich wie du.“

„Natürlich nicht, es ist ja nur eine Statue“, meinte Sammy ärgerlich. „Was willst du mir sagen, Ken?“

„Dass dein jetziges Ich genauso ist.“ Damit ließ er das DigiVice fallen und sprang mit seinem ganzen Gewicht gegen Sammy.

Der kindliche Körper seines Bruders war nur ein Fliegengewicht. Ken warf ihn auf den Hallenboden und nagelte ihn mit den Knien fest. Als seine Hände seinen Hals fanden, spürte er bereits die Tränen, die ihm über die Wangen liefen. „Der wahre Sammy ist vor Jahren gestorben“, schluchzte Ken. „Und wenn ich dich zehnmal zum Leben erwecken könnte, ich dürfte es nicht! Wir haben dich immer geliebt, wir alle, wir haben dich in bester Erinnerung behalten, für uns bist du nie wirklich gestorben! Deemon hat dich zurückgeholt, um dein Andenken zu schänden! Du kannst nicht einfach wieder aus deinem Grab klettern, als wäre nichts gewesen, als wäre alles eine Lüge, was wir über dich dachten und über dich redeten!“

Sammys Finger krallten sich um Kens Hände und versuchten, sie von seinem Hals zu lösen, doch Ken war stärker. Die Augen seines Bruders, die ihn verzweifelt, voller Verachtung und blutunterlaufen anstarrten, würde er nie vergessen. Ebenso wenig das Pumpen der Schlagader unter seinen Fingern und den zerbrechlichen Körper, den er gegen den kalten Boden drückte. Ken sog alles tief in sich auf. Seine Tränen fielen auf Sammys Gesicht hinab.

„Ich kann dir nicht trauen. In dieser Welt ist alles verkehrt. Vielleicht bin ich noch kein seelisches Wrack“, brachte er weinend hervor, „aber ich werde eines sein. Ich werde ein wahres Scheusal sein, und ich werde die DigiWelt retten. Du bist nicht mein Bruder, mein Bruder ist tot, und ich wünschte, ich wäre es auch!“

Kens Schultern bebten unter seinen Schluchzern, während Sammys Gegenwehr langsam schwächer wurde und Kens Hände seine Kehle fester umklammerten, seine Hände, die gestern noch so gezittert hatten.

 

 

Als er aus der Kuppelbaut wieder ins Freie trat, fühlte er sich abermals leer und hohl. Er drehte sich nicht um. Er wollte an gar nichts denken. Seine Schritte wurden mit jeder Empfindung, die er abschüttelte, leichter.

Er hatte den von zahllosen Ozeanwellen glattgeschliffenen Platz zur Hälfte überquert, da erklang das Geräusch von Hufen hinter ihm. Das weiße KnightChessmon, das Sammy von der File-Insel gebracht hatte, überholte Ken und stellte sich ihm in den Weg. Prachtvoll glänzte es im Morgenlicht.

„Wo ist der Kaiser?“, schnarrte es.

Ich bin der Kaiser“, sagte Ken. „Der einzige.“

„Sprich.“ Eine dicke, weiße Lanze richtete sich auf ihn. „Ich war dagegen, dass er sich allein mit dir trifft. Was hast du mit ihm gemacht?“

„Es gibt nur einen einzigen Kaiser“, wiederholte Ken spröde.

KnightChessmon nickte. Es war wohl das letzte wirklich schlagkräftige Digimon, das Sammy übrig gehabt hatte. „Dann soll es keinen geben.“

Und auch Ken nickte.

Das weiße Digimon holte aus – und wurde von einem violetten Stachel zerschmettert, als Stingmon wie ein Raubvogel auf es herabstieß. Seine prächtige Rüstung fiel auseinander, klirrte zu Boden und löste sich in Daten auf.

„Alles in Ordnung, Ken?“ Stingmon landete neben ihm.

Ken schnaubte. „Ich habe geahnt, dass du mich nicht allein lässt. Wenn ich mich schon selbst nicht mehr um mein Leben kümmere, ist es gut, dass wenigstens du es tust.“

Er ließ sich von Stingmon hochheben, dann flogen sie zur File-Insel zurück. Ken war froh, dass sein Partner Sammy mit keinem Wort erwähnte. Er schämte sich, auch nur daran zu denken, aber womöglich ging auch das vorüber und machte der erlösenden Leere Platz. Wenn dich eine leere Hülle, ein seelisches Wrack, eine Puppe besiegt, Deemon, dann spricht das nicht gerade für dich, dachte er. Deemon schwieg weiterhin.

 
 

Hold back the night, my darkest dreams

I’m standing right beside you – enemy

I’ll take your fate into this world

And I will follow you into the dawn

(Primal Fear – All for One)
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Juju
2018-06-18T19:01:34+00:00 18.06.2018 21:01
Und hier kommt der nächste Kommentar. Ich sag ja, ich muss erst mal wieder reinkommen. Hatte schon wieder vergessen, dass Tai ja schon mal bei Ken war. Also mal sehen, ob er irgendwie wieder zu ihnen zurückkommt.
Und irgendwie dachte ich, Tai und Kari hätten sich schon einmal wiedergesehen? Aber anscheinend verwechsle ich da was. Jedenfalls muss es echt hart sein, dass er sie nicht wiedererkennt. Und ihn auch so zugerichtet zu sehen mit nur noch einem Auge. :( So möchte man seinen Bruder nicht sehen. Aber das Wiedersehen zwischen ihm und Agumon ist wirklich süß. Ich hatte die beiden direkt vor Augen.
So ich frage mich wirklich, wie T.K. und Kari reagieren, wenn sie erfahren, dass Ken der DigimonKaiser ist. Ich hoffe, sie treffen bald aufeinander.
Zumindest kommen ja schon mal Mimi, Yolei und Michael dazu. Und Tai und Mimi reden miteinander aaaahhhh! :D Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es in dieser FF zu Michi kommt. Hier sieht es ja eher nach MichaelxMimi aus. MiMi quasi. xD
Ahhh und von dem Teil mit Ken bin ich geschockt. War er wirklich bereit, zu sterben? O_O Es sah ja wirklich ganz danach aus. Ich bin zwar froh, dass er Sammy besiegt hat, aber so ganz hat er seinen Lebensmut ja doch noch nicht zurück. Ich bin froh, dass Stingmon doch hinterherkam und ihn gerettet hat. Wo soll denn das noch hinführen? Jemand muss ihn wieder zur Besinnung bringen. Bitte lass ihn schnell auf T.K. und Kari treffen. Es könnte zu einem Gespräch kommen und dann bekommt Ken neue Motivation. >_<
Antwort von:  UrrSharrador
19.06.2018 15:38
O_O ok langsam wirds unheimlich mit den ganzen Zufällen :D Ich lade momentan eig. auch nur (total unregelmäßig) Sachen hoch, die ich schon länger auf der Festplatte liegen habe. Aber ich sehe mit Freuden, dass du bereits ein neues Kapitel hochgeladen hast. Das nächste hab ich zur Hälfte gelesen, also solltest du bald von mir hören :)
Ich glaub gern, dass man erst wieder reinkommen muss. Immerhin ist es wirklich sehr viel, was da alles passiert xD Aber freut mich, wenn du die FF nach wie vor magst :)
Kari hat nur den Klon von Tai gesehen, den Datamon erstellt hatte, mit dem hat sie geredet. Den "richtigen" Tai hatte sie bisher noch nicht wiedergesehen, weil er geschätzt die Hälfte der FF immer bei irgendwem in Gefangenschaft war^^
Ja, Arukenimon ist iwie zu einem meiner Lieblinge avanciert, obwohl es nicht viel zu sagen hat. Aber bei genauerer Betrachtung hat es in der Serie einen recht witzigen Charakter^^
MiMi, haha xD
Mja bei Ken vermute ich eher, dass er gewusst hat, dass Stingmon ihn nicht allein lassen wird. Wobei es ihm in diesem Moment und seiner psychischen Verfassung wahrscheinlich nicht mal gestört hätte, wenn das nicht der Fall gewesen wäre.
Zu Kari/T.K./Ken wird noch was kommen ;)
Von:  EL-CK
2017-07-10T18:28:16+00:00 10.07.2017 20:28
wow... Ken tut mir mal wieder richtig leid.... aber wenigstens hat er "Sammy" gegenüber nicht klein beigegeben...
Antwort von:  UrrSharrador
28.07.2017 16:06
Und hier auch nochmal danke! Ja, der Gute hat (mal wieder) ziemlich zu leiden ...


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