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Mirrors World - Dornenfluch

Winterwichteln 2012/13
von

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Das Opfer der Hexe

Die dreiköpfige Gruppe brauchte genau einen Tag um den Wald zu durchqueren. Einzeln versuchten einige vorwitzige Bäume, ihnen eine Falle zu stellen, doch die Magie der Hexe Perona brachte sie schnell dazu, von ihnen abzulassen. Und so erreichten sie zur Abenddämmerung das Ende des Waldes.

Eine Heide lag vor ihnen. Gras, Wacholder und Heidekraut waren zu sehen und durch die Mitte führte in Schlangenlinien ein breiter Trampelpfad. Man konnte Schuhspuren und die von Rädern und Pferden erkennen.

„Der Brunnen liegt in dieser Richtung!“ Perona ging weiter am Waldesrand entlang. Und schon bald näherten sie sich einem Brunnen. Auf diesem saß eine junge Frau, die sich die Haare bürstete. Erik und Perona näherten sich ihr vorsichtig, doch der Prinz selbst ging mit raschen Schritten auf sie zu.

„Als Kronprinz dieses Landes verlange ich, dass du mir augenblicklich den Weg zu dem Dornenschloss verrätst!“, rief er mit erhabener Stimme. „Rede!“ Er berührte sie, doch sie reagierte nicht.

„Antworte gefälligst!“, rief er erzürnt. Wie konnte man ihn bloß ignorieren? Sie saß mit dem Rücken an ihm zugewandt und blickte weiterhin auf den Brunnen zu. Christopher packte sie grob an der Schulter an und drehte sie um.

Schwarze, dunkle Höhlen blickten ihm entgegen und fahle, eingefallene Haut, die wirkte, als hätte man sie straff über den Schädel gespannt. Die Lippen waren von groben Stichen zusammengenäht worden und am Mundwinkel klebte immer noch Blut. Christopher sprang erschrocken einen Schritt zurück und unterdrückte ein Würgegeräusch.

„Was ist mit ihr geschehen?“, fragte er verunsichert.

„Nun, es heißt die ‚Stumme‘ Schwester!“, bemerkte Perona noch einmal und betonte das Wort ‚Stumm‘ besonders. „Sie kann nicht sprechen!“

„Aber dass das mit ihr geschehen ist, das hätte ich nicht erwartet!“, meinte Erik, der leichenblass im Gesicht war. Blut hatte er noch nie sehen können.

„Nun ja, das ist eben das Los der Stummen Schwester!“, äußerte Perona und kam näher. „Als Hüterin der sieben Raben ist es ihr Schicksal, nie ein Wort zu sagen. Die Raben kennen den Weg zu jedem Ort und jedem Gegenstand. Sie finden das, was du vor Jahren verloren hast und führen dich dorthin.“

„Aber, könnte man damit nicht auch einen Geheimweg in die königliche Schatzkammer finden?“, hakte Erik nach. Perona und Christopher blickten ihn an und erstere nickte langsam.

„Genau deshalb wurden ihr die Lippen zugenäht!“, berichtete Perona seufzend. „Denn die Schwester kann nicht entscheiden, welche Beweggründe gut oder falsch sind. Wenn ihr jemand sagt, was er sucht oder an welchen Ort er will, so ruft sie die Raben!“

„Und was sollen wir jetzt tun?“, mischte sich Christopher ein.

„Nun, vor Eintausend Jahren ist es einem Fremden gelungen, den Weg in die Krippe der Kronprinzessin zu erfragen. Beinahe hätte er sie ermordet, doch gerade rechtzeitig kamen einige Diener herein. Als man ihn ausfragte, gab er zu, die Stumme Schwester benutzt zu haben.

Der König wollte dieses Mädchen sofort hinrichten lassen, nur die Worte seiner Frau besänftigten seinen Jähzorn. Sie erinnerte ihn daran, dass die Schwester nicht selbst entscheidet, und es deswegen falsch wäre, sie dafür hinrichten zu lassen. Die Königin schlug vor, die Feen um einen Zauber zu bitten, der dieses Problem lösen würde!“, erzählte Perona ihnen die Geschichte. Christopher erinnerte sich daran, dass er im Unterricht davon gehört hatte, wie jemand seine Urur- und so weiter – Großmutter zu ermorden versucht hatte.

„Und die Feen nahmen einen Zaubergarn und nähten damit den Mund des Mädchens zu!“, fuhr die Hexe fort. „Und die Stumme Schwester konnte keinen Ton mehr sagen und somit auch die Raben nicht rufen. Und als die Königin fragte, wie man denn nun etwas finden sollte, da antworteten ihr die Feen:

Ein Opfer muss gebracht werden

Ein anderer erfüllt die Qual

Lässt mit groben Stichen sich

Zunähen das Lippenkleid…“

„Und was heißt das nun?“, fragte Christopher nach. Rätsel hatte er noch nie sonderlich gemocht, schließlich konnte man doch auch einfach klipp und klar sagen, was einem auf der Zunge lag.

„Das ist doch einfach“, meinte Perona verärgert. „Jemand von uns muss sich opfern und die Stelle als Stumme Schwester antreten!“
 

„Nein!“

Erik trat einen Schritt nach vorne und blickte Perona fassungslos an, als ihm klar wurde, was die Hexe damit meinte. Und was sie vorhatte.

„So etwas lasse ich nicht zu!“, rief der Junge aus. „Christopher, sag ihr dass das Schwachsinn ist.“

„Wieso sollte ich?“, fragte der junge Mann. „Es ist ihre eigene Entscheidung!“

„Sie wird sterben!“, rief Erik aus, fassungslos über Christophers Gleichgültigkeit.

„Das tun Menschen nun mal!“, entgegnete der Prinz genervt. „Außerdem ist es ihre Entscheidung, und wenn sie uns helfen kann… wie sollen wir es denn deiner Meinung nach tun?“, wollte er wissen.

„Egal wie, aber nicht auf diesen Weg!“, entgegnete Erik. „Das ist nicht fair!“

„Dann schlag doch etwas anderes vor!“, sprach Christopher. „Ich bin der Ansicht, dass es der einzige Weg ist!“

Erik antwortete nicht, sondern dachte nach. Es musste doch eine Möglichkeit geben, er konnte Perona nicht sterben lassen. Sie war noch jung, hatte gerade mal ihr ganzes Leben vor sich. „Warum nehmen wir nicht einfach ein Tier?“, fragte er und blickte zu Perona, doch die schüttelte ihren Kopf und ihre rosafarbenen Locken wippten auf und ab.

„Es muss ein Mensch sein!“, meinte sie.

„Dir ist ein Tierleben also weniger wert wie ein Mensch?“, hakte Christopher nach. „Tut mir Leid, nur kommt mir das ganze ziemlich heuchlerisch vor!“ Herausfordernd blickte er Erik an.

„Das sagt derjenige, der Menschen nur rettet, damit er sie als Sklaven einstellen kann!“, konterte Erik zornig. „Oder wie war das gleich nochmal?“

„Was ist so schlimm daran, wenn ich ihnen ihr Leben rette?“, rief der Prinz aus. „Und außerdem, als Sklaven stelle ich niemanden ein.“

„Du hast mich gerettet, damit ich mich dir anschließe und dir deinen ganzen Scheißkram erledige!“, erinnerte Erik ihn. „Einen anderen Sinn hast du nicht verfolgt!“

„Gut, falls du das nächste Mal in Gefahr schwebst, werde ich dich einfach liegen lassen!“, entgegnete Christopher wütend. „Ohne mich wärst du wahrscheinlich schon längst von den Wölfen zerfetzt worden. Ohne mich wüsstest du gar nicht, wo du hingehen solltest.

Es gibt nun mal keine andere Möglichkeit, als das zu…“

Ein lauter Schrei schnitt Christopher das Wort ab.

Beide drehten sich überrascht um. Es war Perona, die geschrien hatte. Perona, die nun mit zusammengeschnürtem Mund vor ihnen stand, aus dem Bluttropfen fielen.

Beide hatten nicht gesehen, was die Hexe während ihres Streits getan hatte. Erik stürzte auf sie zu, fassungslos, geschockt. „Wie konntest du nur?“, fragte er entsetzt. „Warte, lass mich dir helfen!“

„Bist du wahnsinnig?“, schrie Christopher. „Was, wenn der Faden auf dich übergeht?“

„Das ist mir so was von egal!“, entgegnete Erik verärgert. Wieso interessierte es Christopher was mit ihm geschah, aber Peronas Schicksal war ihm total egal?

„Und was ist mit deiner Familie? Deinen Freunden? Sie machen sich bestimmt Sorgen um dich. Willst du wirklich, dass sie in ständiger Angst leben, weil sie nicht wissen, was aus dir geworden ist?“ Christopher blickte ihn fragend an.

„Als ob es meinen Vater interessieren würde, was mit mir ist!“, rief Erik. „Er wäre froh, wenn ich einfach verschwinden würde.“

„Ihr habt mich erlöst und nun nennt mir den Ort, an den es euch hin verschlägt. Was ihr verloren habt, das werde ich finden. Wenn ihr euch verlaufen habt, werde ich den richtigen Weg finden!“, sprach eine wohltuende, zarte Stimme auf einmal. Die vorherige Stumme war auf sie zugetreten. Die Lippen waren wieder verheilt, und langsam verschwand das Schwarze in ihren Augen und klare, hellblaue Pupillen traten darunter zum Vorschein. Sie war wirklich schön, das konnte Erik nicht bestreiten. Und doch, ein Teil seines Bewusstseins hasste sie dafür, dass sie Perona so ein Schicksal auferlegt hatte.

„Wir suchen das Dornenschloss!“, sprach Christopher. „Wir wollen an den Ort, an dem die Schlafende Schönheit ruht!“

„Was heißt hier bitteschön ‚Wir‘?“, hakte Erik nach. „Als ob ich weiterhin bei dir bleiben würde.“ Dass er eigentlich danach suchen sollte, weil es angeblich der einzige Weg nach Hause ist, daran dachte er im Moment nicht.

„Eure Streitereien interessieren mich nicht!“, unterbrach die Schwester sie.

„ворон

holló

гарван

Reibun

Ronk

Corvus

Raven“, rief sie aus. Erik erkannte Latein und Englisch, sie rief das Wort „Rabe“ in sieben verschiedenen Sprachen aus.

Wind kam auf, der in Spiralen um sie herumwirbelte und langsam löste sie sich in Luft auf. Christopher beobachtete das Ganze desinteressiert, nur Erik blickte verzweifelt zu ihr, denn das würde auch Perona eines Tages erwarten. Doch ehe er etwas tun konnte, hatte sie sich vollständig aufgelöst und nur Perona stand noch neben ihnen. Ihr Mund war zugenäht und ihre Augen pechschwarz... Sie beachtete die beiden nicht mehr, sondern setzte sich auf den Brunnensims und blickte geistesabwesend in die Ferne.

Das Kreischen eines Raben drang an ihr Ohr und beide blickten in den Himmel. Ein schwarzer Vogel näherte sich ihnen. Seine majestätischen schwarzen Flügel waren weit ausgebreitet beim Flug und er ließ sich auf dem Dach des Brunnen nieder.
 

Seine Flügel deuteten nach unten.

„Wir müssen nach Süden!“, meinte Erik. „Dorthin deuten die Flügel nämlich.“ Bei seinen Worten erhob sich der Rabe wieder und flog von dannen.

„Gut, dann gehen wir!“, meinte Christopher. „Wir müssen so schnell wie möglich die Prinzessin finden.“

„Wieso sollte ich mich dir denn noch anschließen?“, fragte Erik nach. „Es gibt keinen Grund, das zu tun.“

„Du bist auf mich angewiesen. Ohne mich kommst du nicht zurück!“, meinte der Prinz.

Nein, er musste die Prinzessin finden. Dann würde er zurück finden.

„Ich gehe den Weg mit dir!“, sagte Erik entschlossen. „Doch kümmere ich mich um meinen eigenen Kram!“



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