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Schillern

von

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Wenn der Gipfel ahnen lässt

Als die beiden am nächsten Tag aufwachten, war es schon längst Mittag und der Almwirt draußen bei seinen Schafen; er hatte ihnen unten auf dem Tisch ein bäuerlich karges, aber für seine Verhältnisse großzügiges Frühstück gerichtet.

Nach dem Essen bestand Karl darauf, einen kleinen Spaziergang hinauf auf den hinter der Alm liegenden Gipfel zu machen.

„So weit ist es nicht mehr bis oben.“, versprach er, und August musste schließlich nachgeben.

Im Nachhinein war der Ältere sogar glücklich mit seiner Entscheidung: Die Natur, die sich ihm hier bot, faszinierte ihn: Die außergewöhnlichen Formen des Berges, einige höhere Gipfel in der Ferne sogar schneebedeckt, und Blumen, die nur hier wuchsen, von denen man im Tal nicht einmal träumen konnte.

Da bemerkte August erst nach einiger Zeit Fußmarsch, dass Karl noch nichts gesprochen hatte, was für ihn ziemlich ungewöhnlich war. Das war nicht seine Art.

Aber es war auch nicht Augusts Art, an solch einer Stelle nachzufragen.

Also liefen sie schweigend nebeneinander, bald hintereinander her, als der Weg steiler und schmaler wurde.

Endlich hatten sie das Gipfelkreuz erreicht. Die Aussicht von hier oben war atemberaubend.

August wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes den Schweiß von der Stirn, der in der Sonne glitzerte, bevor er beide hochkrempelte.

Er sah zu Karl, als er sich sein Tuch vom Hals zog.

„Wer hätte gedacht, dass wir einmal in unserem Leben zusammen auf einem Gipfel der Alpen stehen und hinab ins Tal schauen würden.“, sagte er mit einem Lächeln.

Karl blickte ihn an, schon die ganze Zeit, aber er erwiderte das Lächeln nicht.

„Was ist?“, fragte August jetzt doch, etwas besorgt, und machte einen Schritt auf seinen Freund zu.

Da regte sich der Dunkelhaarige endlich, indem er sich an den Hals griff. Dort unterm weißen Tuch erfühlte er die aus feinen, goldenen Gliedern geschmiedete Kette und holte sie hervor, um sie nachdenklich zu betrachten.

„Was meinst du, wie es unseren Lieben in Weimar geht?“, fragte er.

August war erleichtert, Karls seltsames Benehmen als Heimweh einordnen zu können, und antwortete: „Ich weiß es nicht, aber ich hoffe doch, es geht ihnen allen gut.“

Karl nickte.

„Von wem ist die Kette?“, wollte der Ältere nun wissen.

„Von meiner Mutter, aber eigentlich gehört sie schon lange mir.“

„Hmhm.“

Der Jüngere ließ die Kette wieder unter seinem Kragen verschwinden.

„Sollten wir uns nicht langsam wieder an den Abstieg machen?“, erinnerte er.

August nickte nur, bevor er dem anderen folgte.
 

Gegen Abend waren sie beide zurück auf der Alm.

Der Almwirt war immer noch nicht wieder zurück, aber August stellte die Vermutung an, er wäre hinunter in die nächste Stadt oder das Dorf, Nahrungsmittel kaufen, da sie, hauptsächlich Karl, ihm ja alles weggefuttert hätten.

„Hab ich gar nicht.“, beschwerte sich der Dunkelhaarige gleich.

August stand vom leeren Tisch auf.

„Wo gehst du hin?“, fragte Karl.

„Nach draußen, wir haben hier drinnen eh nichts zu tun. Außerdem sollen Sonnenuntergänge in den Bergen schön anzusehen sein.“

Karl musste sich überwinden, dem anderen nach draußen zu folgen. Wieso, das wusste er nicht. Er wusste nur, dass er gründlich verwirrt war.

Auf einer Wiese, auf der normalerweise die Schafe grasten, ließ sich der Jüngere neben August nieder.

Um ein Gespräch zu beginnen, bis die Sonne mit dem Gipfel kollidieren würde, fragte der: „Glaubst du, wir haben Iffland abgehängt?“

Karl rupfte einen Grashalm vom Boden und drehte ihn zwischen seinen Fingern.

„Wohl nicht.“, antwortete er.

August sah ihn verwundert an.

August, der immer noch die Ärmel hochgekrempelt hatte, das Halstuch aus, das Hemd aufgeknöpft.

Nun begann die Sonne sich hinterm Berg zu verstecken, funkelte nur noch auf beiden Seiten hervor.

„Ist das nicht herrlich, Karl?“

Als der Jüngere nicht antwortete, drehte sich August zu ihm herum.

Der Dunkelhaarige saß da und sah ihn an.

„Karl?“

Karl antwortete nicht, ließ den Wind durch seine dunklen Locken streichen.

August stutzte.

„Karl, deine…“, fing er an, „Deine Augen…sie…sie glänzen…leuchten – nein. Sie schillern.“

Karl sprang auf, und August musste sich den Sonnenuntergang alleine ansehen.
 

Voller Entsetzen stürzte Karl in die Hütte. Sein erster Gedanke war: er brauchte den Bottich kaltes Wasser!

Dann fand er oben in ihrer Kammer noch ein Stückchen Brot, das er verschlang, obwohl er sich jetzt lieber mit einem Rotwein betrunken hätte.

Er wusste nicht, was mit ihm los war. Wieso er August…mit solchen Augen sah. Wieso er nachts wach lag, weil der andere so gut roch, wieso er tagsüber so nahe bei ihm sein wollte, wie nur möglich.

Karl fuhr sich durch die Haare.

Noch nie hatte er derartige Gefühle gehabt. Keinem Mädchen in Weimar gegenüber.

Aber hatte er für August immer schon so empfunden?

Es hatte angefangen mit der Reise, die sie zusammen angetreten hatten. Also nein?

Vielleicht, kam Karl der Gedanke, vielleicht war dieses Gefühl doch schon immer da gewesen, nur jetzt, da sie beiden nur sich hatten, wurde es ihm klar. Wurde ihm klar, dass er…

Karl wollte den Gedanken nicht zu Ende denken. Er war nicht…er war nicht in… – es war doch Liebe, oder?

Verzweifelt, wie er sich denn jetzt August gegenüber verhalten sollte, ließ sich der Dunkelhaarige aufs Bett sinken.

Wie sehr er doch wünschte, sein Vater wäre noch da, mit dem er über seine Gefühle reden könnte, denn mit niemand anderem würde er es wagen, über solch ein schändliches Verlangen zu sprechen.
 

Als August zurück in die Kammer kam, stellte sich Karl schlafend, doch auch am nächsten Morgen verhielt sich August völlig normal, was den anderen unbeschreiblich erleichterte.

Erst als der Almwirt mit Eiern und frischem Brot von seinem Ausflug zurückkam und von einem seltsamen, schwarz gekleideten Mann sprach, der auf dem Pfad in der Nähe ritt, war die Ruhe vorbei.

„Entschuldigen Sie uns vielmals, aber wir werden nicht am Frühstück teilnehmen können.“, meinte August, während Karl die Leiter hoch spurtete, um ihre Sachen aus der Kammer zu holen. „Wir bedanken uns aufrichtig und vielmals für Ihre vorbildliche Gastfreundschaft, mein Herr. Hier, nehmen Sie das als bescheidenen Dank.“

Karl kam zu spät zurück in den Raum, um Augusts letzten Satz zu verhindern, und so brach wieder eine Verhandlung der beiden aus, in der August darauf bestand, dass der Almwirt das gebotene Geld annahm, während der dies auf keinen Fall tun wollte.

Schließlich nahm Karl dem Älteren die Münzen aus der Hand, legte sie einfach auf den Holztisch und zog ihn mit sich aus der Hütte.

Schnell, bevor Iffland sie erreichte – oder der Mann ihnen das Geld hinterher tragen konnte – schwangen sie sich auf ihre Pferde und ritten davon, weiter gen Venedig.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  DasIch
2013-12-01T13:45:20+00:00 01.12.2013 14:45
Hammer!! Bin gespannt wie sich das mit den beiden entwickelt!!


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