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Der blaue Stern

Türchen Nr. 8
von

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Der blaue Stern

Er strahlte nur für ihn, oder zumindest kam es ihm so vor, als er, den Kopf in den Nacken gelegt, in den Nachthimmel hinauf starrte. Die dunklen Wolken hatten sich aufgelöst und waren einem Sternenhimmel gewichen, der seines gleichen suchte. Vielleicht lag es an den fehlenden Lichtern in den Ruinen der Stadt, vielleicht war es auch der Charme der Wüste, der seine ganz eigene Magie entsandte oder vielleicht war er auch einfach übermüdet und bildete sich Sachen ein.

Kouen wusste es nicht. Er wusste nur, dass es Jahre her war, seit er zuletzt so helle Sterne gesehen hatte. Ein kleiner, neugieriger Teil in ihm wäre am liebsten wieder zurück ins Zelt gerannt und hätte Koumei geschüttelt, bis er aufgewacht wäre und sich mit ihm die Sterne angesehen hätte. Aber er wusste, das konnte er ihm nicht antun.

Schon die Nacht im Zelt stellte seinen Bruder vor eine Herausforderung. Eine, die durch die Strapazen des letzten Tages genauso wenig leichter wurde, wie durch Kouhas seliges Schnarchen.
 

Es war das einzige Geräusch das in dieser Nacht zu hören war, aber es war laut, penetrant und hatte ihn erfolgreich daran gehindert, ebenfalls ins Land der Träume einzutauchen. Unter anderen Umständen hätte er Kouha einfach aufgeweckt, aber der Tag hatte sie alle an ihre Grenzen gebracht und Kouha hatte sich seinen Schlaf genauso hart erarbeitet wie Koumei und er.
 

Nachdenklich blickte er wieder hinauf, suchte mit den Augen einen besonders hellen Punkt am Firmament und kramte in seinem Kopf nach einem Namen dazu.
 

'Suhail Hadar' ist hell heute Nacht“, durchbrach es die Stille und obwohl die Stimme leise war, war sie klar und warm wie eine Tasse grünen Tees.

Suhail Hadar?“, wiederholte er, halb in der Erwartung einen schlaftrunkenen Wachposten aufgeschreckt zu haben, der noch nicht ganz wusste, mit wem er da eigentlich sprach.

Eine Hand schob sich an ihm vorbei und zeigte in den Himmel hinauf.

„Die 'Sterne des Wassers' scheinen nicht auf Kou, nicht wahr? Aber wenn Ihr genau hinseht, dann könnt Ihr das Schiff erkennen, das dort oben segelt. Ich habe es über die Jahre oft gesehen, aber es hat mir nie verraten, wohin es eigentlich will.“

Kouen blickte nach oben und zwang sich die Sterne in Bildern zu sehen. Er war nicht sehr gut darin, aber langsam, ganz langsam, formten sie sich vor seinen Augen. Er sah den „Himmelswolf“, der glühte als hätte Jemand ein Feuer in ihm entfacht, „Pfeil und Bogen“, die wie ein böses Omen über ihm thronten und er sah ihn, den strahlend weiß-blauen Stern.

Suhail Hadar“, wiederholte er noch einmal, während er versuchte das Schiff um den Stern herum zu erkennen. Er glaubte Achtern auszumachen und etwas, was man hier potentiell als Segel sah. Ob es richtig war, er hatte keine Ahnung, aber vielleicht konnte sein Bruder es ihm sagen, wenn er irgendwann aus seinem komatösen Schlaf erwachte.
 

„Eventuell hat das Schiff es auf die 'Tore des Palastes' abgesehen“, mutmaßte er spontan und als eine Antwort ausblieb, hob er seinerseits die Hand in Richtung Himmelszelt, um dem Anderen das schwach leuchtende Dreieck zu zeigen, das mit einigen anderen Sternen die Tore bildete, die er sich gerade als Ziel ausgeguckt hatte.
 

„Vielleicht flieht es auch vor ihnen“, erklang es jetzt näher an seinem Ohr. Leiser und gleichzeitig so warm wie die Mittagssonne. Es lag Schalk in diesen Worten und vielleicht eine kleine Spur von Hoffnung, die sich in ihm festsetzte, als müsste sie die nächtliche Frische irgendwie vertreiben.

Langsam drehte er sich um, gerade noch rechtzeitig um aus den Augenwinkeln ein amüsiertes Schulterzucken wahrzunehmen und zu registrieren, dass er keiner dreisten Wache aufgesessen war.
 

High King Sinbad blickte in die Sterne hinauf, als erzählten sie ihm eine besonders spannende Geschichte. Er musste den Turban irgendwann abgelegt haben und auch seinen Schmuck, denn gerade hätte er ihn auch für einen Seemann halten können. Sinbad, Matrose auf dem himmlischen Schiff. Leuchtendster Stern am Himmelszelt.

Was für ein Blödsinn.

Dennoch, wie er da im Licht der Sterne stand, schien er zu glühen. Ein bisschen wie 'Suhail Hadar' und ein bisschen als wäre er nicht von dieser Welt.

Es war ihm schon früher am Tag aufgefallen, aber auch da hatte er nicht den Finger darauf legen können, was genau an diesem Mann so ungewöhnlich war. Vielleicht war es das Glühen, das ihn auch bei dem Stern anzog. Vielleicht war es sein Auftreten. Er konnte es nicht sagen aber wenn er ganz ehrlich war, wollte er es auch nicht.

Nicht jetzt; nicht hier. Nicht wo Magnostadt gerade erst einer Katastrophe entkommen war und seine Knochen immer noch vom Kampf schmerzten. Nicht wo er gerade so etwas wie Ruhe zu empfinden begann und der Frieden kaum mehr als ein dünnes Seidentuch zwischen ihnen war.

Und dennoch ...
 

„Wir müssen miteinander reden.“
 

Stille.
 

Dann endlich nach Sekunden des Wartens, ein Nicken. „Das müssen wir wirklich.“

Es war nur ein Satz, aber er rollte über ihn hinweg wie ein Sandsturm und hinterließ ein seltsames Glühen in ihm, das einfach nicht mehr vergehen wollte.
 

„Bald?“
 

„Bald.“

 
 

★ ★ ★ ★ ★

 
 

Als er das Zelt betrat, spürte er seine Augen auf sich, noch bevor er ihn richtig zu Gesicht bekommen hatte. Es wäre nicht Koumei gewesen, hätte er seinen Ausflug nicht doch irgendwie bemerkt. Kouha schnarchte in seiner Ecke, sein Bruder starrte und er – Er fühlte sich erschöpfter denn je.

„Mein Bruder und König?“
 

Die vertraute Anrede verklang zwischen eilig aufgebauten Kissen und Decken, aber da war kein Glühen, dass ihn wie ein wärmender Mantel umfing, nur die alte Vertrautheit, die immer dann präsent war, wenn er seine Geschwister um sich hatte.
 

„Was ist passiert?“, fragte Koumei gähnend, während er sich schwerfällig von seinem Lager erhob um dann mit nackten Füßen zu ihm herüber zu tapsen. „Hast du Fieber?“

Eine Hand wurde ihm ins Gesicht gedrückt. „Du glühst.“
 

Glühte er wirklich? Nein. Sinbad hatte geglüht, da draußen unter den Sternen und die Sterne hatten geglüht, aber er, er glühte nicht. Er konnte gar nicht glühen. Nicht in einer Nacht wie dieser und nicht nach den vergangenen Ereignissen.
 

Vorsichtig pflückte er die fremde Hand aus seinem Gesicht.
 

„Weißt du, ich habe da draußen einen Stern gesehen.“
 

Koumei starrte ihn an.
 

„Weißt du, ich glaube du solltest morgen mal nach deinem Leibarzt sehen.“

 

Der rote Stern

Sinbad fühlte sich beobachtet und das war schlecht, immerhin lag er nackt im Bett und würde sicherlich auch noch schlafen, wäre nicht irgendeine ausnehmend rücksichtslose Person „En-nii“ brüllend, an seinem spontan erworbenen Zelt vorbei gerannt. Leider hatte sie es getan und so war er sich überraschend bewusst geworden, dass er nicht alleine war.

Vermutlich verdankte er es all den Jahren mit Ja'far, dass er die fremde Präsenz bemerkt hatte und sie ohne einen genaueren Blick als „Person am Eingang“ identifizieren konnte. Das war gut, denn immerhin konnte er so zumindest einen Dieb ausschließen.

Diebe standen normalerweise nicht länger als nötig in Eingängen herum, das wusste er. Schließlich konnte jederzeit Jemand zurückkommen oder ein Diener seine neugierige Nase hereinstecken und das hieß, sein Gast war kein Dieb und vermutlich auch kein Meuchelmörder, denn dafür stellte er sich eindeutig zu blöde an.
 

Sinbad holte tief Luft.
 

„Zu meiner Zeit hat man noch angeklopft, bevor man in fremde Zelte marschiert ist“, behauptete er. Das stimmte so strenggenommen natürlich nicht und zugegeben war es auch ganz schön schwierig an einem Zelt etwas zu finden, das sich zum Klopfen eignete, aber das überraschte Zusammenzucken seines Gastes war ihm die Lüge wert. Scheinbar hatte er sich nicht einmal richtig umgesehen, bevor er zu ihm ins Zelt gestolpert war.
 

Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen.
 

„En, nehme ich an.“
 

Zugegeben, er hätte es sich denken können. Die Nähe seines Zeltes zu dem eines gewissen Generals und der Klang des Spitznamens waren Hinweise, die man nur schwer ignorieren konnte. Wussten die Meeresschnecken wieso er bis eben geglaubt hatte, General Kouen wäre über solche Dinge erhaben. Vielleicht weil er auf dem Schlachtfeld so gewirkt hatte und irgendwie auch am vergangenen Abend vor dem Zelt.

Er hätte es nicht zugegeben, aber er hatte ihn am Vortag eine ganze Weile vom Eingang seines Zeltes aus beobachtet. Er hatte gesehen wie er nach draußen geschlichen war, hatte halb angenommen, dass er auf der Suche nach einer Liebschaft war und war dann seinerseits überrascht gewesen, als er bemerkt hatte, dass er einfach nur in die Sterne starren zu wollen schien.

Kurz um, Kouen Ren kam ihm seltsam vor. Ziemlich seltsam und das nicht nur, weil er uneingeladen in seinem Zelt aufgetaucht war und das wohlgemerkt noch vor dem Frühstück.
 

„Verzeiht die Störung. Ich war mir nicht bewusst, dass das hier Euer Zelt ist“, versicherte sein Gegenüber mit einer Verbeugung, die ihm persönlich ein klein wenig zu steif vorkam. „Ich werde natürlich umgehend -“ „En-nii!“

Kouen zuckte zusammen und Sinbad hatte Mühe nicht darüber zu lachen. Anscheinend war der Verfolger hartnäckig. Schritte kamen näher, Rufe wurden lauter. Unwillkürlich hielt er den Atem an während eine Silhouette am Zelt vorbeieilte.

Das war wirklich knapp gewesen.
 

„Was will er von dir?“
 

Kouen blickte zum Eingang zurück, schien seine Möglichkeiten abzuwägen, dann erkannte er, dass er sprichwörtlich in der Falle saß und seufzte schwer.

„Meine Brüder glauben, ich wäre krank und bräuchte einen Arzt“, gestand er ohne sich über die vertrauliche Anrede zu beschweren.
 

Sinbad richtete sich auf. „Und? Brauchst du einen?“
 

Kouen schüttelte den Kopf.

„Ich habe kein Fieber“, erklärte er im Brustton der Überzeugung und brachte ihn so dazu, spontan die Beine aus dem Bett zu schwingen. Eigentlich hatte er nicht aufstehen wollen, aber jetzt hatte ihn der Andere doch neugierig gemacht.

Ein Schauer lief ihm über den Rücken als er sich von seiner wärmenden Decke trennte und nackt einen ersten Schritt in sein provisorisches Schlafgemach tat. Es war nicht mehr so kalt wie letzte Nacht aber eigentlich immer noch zu kühl für seinen Geschmack. Ein klares Zeichen dafür, dass er noch nicht hätte aufstehen sollen.
 

„Zeig mal“, verlangte er und schloss den Abstand zwischen ihnen. Vielleicht wurde ihm so ja ein bisschen wärmer und wenn nicht, dann würde ihm da bestimmt auch noch was anderes einfallen.

  

 
 

★ ★ ★ ★ ★

 
 

In einem anderen Zelt zog sich Koumei Ren die Decke über den Kopf, nur um sich kurz darauf stöhnend wieder unter selbiger hervor zu wühlen. Es hatte einfach alles keinen Sinn. Egal ob er unter dem Kissen oder unter der Decke verschwand, er konnte einfach nicht mehr schlafen.

Es war viel zu laut dafür!

Dabei war er sich so genial vorgekommen als er Kouha abgeschüttelt hatte, indem er ihm erzählt hatte, dass Kouen dringend zu seinem Leibarzt musste. Der Kleine war begeistert losgezogen um eins zum Anderen zu bringen und er war glücklich zurück in sein Bett gefallen.

Nein, nicht in sein Bett. In Kouhas Bett. Er wollte so ein Teil ganz sicher nicht besitzen, schon gar nicht mit den viel zu dünnen Wänden ringsherum.
 

Koumei gähnte und dachte an seinen Traum von letzter Nacht.

Sein Bruder, völlig neben sich stehend, in diesem dämlichen Zelt und das seltsame Gebrabbel über irgendwelche Sterne. Da hatte er sich ja schönen Unsinn zusammengesponnen, wenngleich er zugeben musste, dass es ihn immerhin zu der Geschichte inspiriert hatte, die er Kouha aufgetischt hatte.
 

Kouen in einem Zelt.

Wer träumte schon von einem Zelt? Das war doch völlig abwegig, aber wenn er es nicht geträumt hatte, dann war auch das laute „En-nii!“ echt gewesen, das ihn ständig gestört hatte und dann rannte Kouha wirklich gerade wie ein Irrer durch die Gegend und brüllte sich die Seele aus dem Leib!

Stöhnend zog er sich das Kissen über den Kopf.

Das konnte doch wohl nicht wahr sein.
 

Vielleicht sollte er einfach - Nein, sollte und konnte er nicht.

Und ausnahmsweise war es nicht Kouhas Schuld. Es war der Lärm aus dem Zelt nebenan, der ihn davon abhielt.

Er hatte keine Ahnung was die dort trieben - Nein, halt, hatte er schon, aber er hatte keine Ahnung wieso und überhaupt war er viel zu müde um solche Aktivitäten auch nur anzudenken und das war in erster Linie deren Schuld.

Er fand, es sollte ein Gesetz geben, das solche Aktivitäten verbot, zumindest zu nachtschlafender Zeit. Er würde eins erlassen. Aber zuerst würde er … Ja, er würde sich beschweren.

Jetzt, sofort und noch vor dem Frühstück.

Dann konnte er vielleicht noch ein Stündchen ruhen, bevor die große Rückreise begann. Denn eines stand ja wohl mal fest:
 

Er konnte unmöglich noch eine Nacht in diesem fürchterlichen Zelt verbringen.

 

Der schwarze Stern

Koumei dachte nicht groß darüber nach, als er zum 157'ten Mal den Arm hob, um auch den letzten von Kouhas Männern zurück nach Kou zu teleportieren. Seine Hand schmerzte, seine Augen drohten zuzufallen, aber er biss die Zähne zusammen. Konzentration war jetzt sehr wichtig. Wenn er sich nicht konzentrierte, konnten Fehler passieren und wenn ein Fehler passierte, konnte es sein, dass Prinzessin Kougyoku statt in ihren Blumen irgendwo im Meer landete und das musste nun wirklich nicht sein. Kurz zögerte er, wartete darauf, dass seine kleine Halbschwester endlich ruhig stand, dann hob er den protestierenden Arm und fügte auch ihren Namen der Liste in seinem Kopf hinzu.

„157 Soldaten mit Ausrüstung und Prinzessin Kougyoku zurück in Kou.“

Er verkniff sich ein Gähnen und erlaubte es sich für einen Moment die Augen zu schließen, bis Kouha den Platz der Prinzessin eingenommen hatte. Eine weitere Bewegung, dann war auch das erledigt. Koumei spürte wie sein Kopf schwerer wurde. Er hatte geahnt, dass die Rückreise anstrengend werden würde, aber müde wie er war, war sie die reinste Tortur.

Doch er durfte jetzt nicht schlafen. Erst musste er Kouen und sich nach Hause teleportieren, weg von den Zelten und dem Lärm und weg von Magnostadts viel zu lebhaften Überresten. Gähnend hob Koumei erneut den Arm, spürte noch, wie der Schmerz durch seine Gelenke schoss, dann fiel sein Kopf auf seine Brust und seine Konzentration versiegte schlagartig.
 

 
 

★★★★★

 

Es war warm, relativ weich und es roch nach Pergament und frischer Tinte. Es war perfekt. Na ja, es wäre perfekt, wäre da nicht dieses unangenehme Piksen in seinem Arm gewesen. Koumei stöhnte in sein Kissen hinein, doch das Piksen hörte einfach nicht auf.

„Steh auf.“

Er schob den Arm über seinen Kopf und stöhnte erneut. Eigentlich war er viel zu müde um jetzt aufzustehen.

„Ich sagte, steh auf!“

Etwas hartes, kaltes drückte sich durch seine Gewänder und verursachte brennenden Schmerz zwischen seinen Rippen. War das...

Ja das war.

„Ich kann nicht aufstehen“, nuschelte er, „du hast mich erstochen.“ Und tatsächlich schien das den ungnädigen Störenfried für einen Moment zur Räson zu bringen. Der unangenehme Druck verringerte sich und es herrschte endlich wieder himmlische Ruhe.

„Du hast nicht einmal einen Kratzer“, bemerkte sein Gegenüber und bewies damit, dass er hartnäckiger war als die anderen Diener, die so im Palast herumliefen. Hatte bestimmt sein Bruder eingestellt. Das erklärte dann nämlich auch, wieso er so verdammt unhöflich war.

„Das heißt: Ihr habt nicht einmal einen Kratzer, mein Prinz“, verbesserte er ohne auch nur einen Finger zu bewegen. Es war doch gerade so schön warm und angenehm.

„Ich verpass dir gleich 'nen Kratzer, wenn du nicht sofort von meinem Bericht gehst!“

„Kann ich nicht. Ich bin 'ne Anlage.“
 

Stille.

Wundervolle, herrliche Stille. Glücklich kuschelte sich Koumei weiter in seinen neuen Schlafplatz hinein. Jetzt wo die Nervensäge endlich aufgegeben hatte, gefiel es ihm hier richtig gut. Kein direktes Licht, Wärme, der Geruch nach Pergament und Tinte, der langsam immer stärker wurde. Das feine Schaben der Schreibfeder auf seiner Stirn.

Halt, bitte was?

Ungläubig öffnete er erst ein und dann auch das andere Auge.

„Was machst du da?“

„Was schon? Ich unterschreibe die Anlage.“

Das Schaben setzte sich fort und für einen Augenblick war Koumei prompt sprachlos. Hatte dieser unverschämte Kerl gerade wirklich...

Sein Blick fiel auf das Tintenfass, das verräterisch nah vor seiner Nase stand und ihm zwei Dinge auf einmal verriet. Erstens, der Kerl hatte ihn wirklich gerade unterschrieben und zweitens, das da war nicht sein Tintenfass.

Ungläubig rappelte er sich hoch und blickte sich um. Hohe Decken, helle Steinwände, große dunkle Schränke, komischer Typ in Grün...

Verwirrt hob er die Hand und wischte sich halbherzig über die Stirn. Ein Fehler, denn das seltsam kribbelnde Gefühl dort blieb nicht nur, jetzt war auch noch seine Hand schwarz - Tintenschwarz.

Hilflos starrte er sie an.

Würde er das je wieder abbekommen? Und wenn ja, wie? Konnte er das einfach an seiner Kleidung abrubbeln oder würde die dann auch schwarz werden, so wie seine Hand schwarz geworden war? Langsam streckte er die Finger nach seinem Ärmel aus.

„Halt!“

Koumei hielt in der Bewegung inne.

„Wenn du das jetzt anfasst, hast du die Tinte gleich überall.“

Finger schlangen sich um sein Handgelenk. Ein Tuch wurde auf seine Haut gedrückt. Feucht, kühl, unangenehm und doch musste er fasziniert zusehen, wie das Schwarz mit jedem drüberstreichen blasser wurde und schließlich sogar ganz verschwand.

Machten seine Diener so etwas normalerweise auch? Er wusste es nicht und er hatte auch keine Zeit darüber nachzudenken, denn plötzlich hatte er das Tuch im Gesicht. Wieder wurde an ihm herumgewischt und wieder hatte Koumei das Gefühl, dass ihm irgendwas entgangen war. Trotzdem schloss er nicht ganz unwillig die Augen und ließ seinen Gegenüber machen. Wenn man sich an die Kühle erst einmal gewöhnt hatte, war sie nicht so unangenehm wie er zunächst gedacht hatte. Es war ein interessantes Wechselspiel aus warmen Fingern und kaltem Tuch. Entspannend, wohltuend, weich...

„Besser“, kommentierte der Andere, gerade als er anfing zu überlegen, ob er es sich leisten konnte, einfach wieder einzuschlafen. Schade, denn müde war er eigentlich immer noch. Trotzdem schlug er gehorsam die Augen wieder auf und bedachte den jungen Mann vor sich mit einem neugierigen Blick.

Er hatte wohl etwa sein Alter, weißes Haar, dessen Länge er aufgrund der grünen Kopfbedeckung nicht richtig abschätzen konnte und einen prüfenden Ausdruck, der ihm ein bisschen das Gefühl gab, eine Ware auf dem Markt zu sein.

„Hast du dich bei dem Sturz verletzt?“

Koumei schüttelte den Kopf. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, gestürzt zu sein. Wobei, irgendwie ergab das Sinn. Er musste beim Teleportieren eingeschlafen sein und dann war er hier diesem jungen Mann direkt auf seine Arbeit – Oh!

Wäre er Kougyoku gewesen, er wäre sicher Puterrot angelaufen, so beschränkte er sich aber darauf nach der angebotenen Hand zu greifen um von dem Berg aus Schriftrollen zu steigen. Da hatte er sich ja was Schönes eingebrockt und das Schlimmste war, dass er zusätzlich noch dieses nagende Gefühl hatte, er hätte was vergessen.

Irgendetwas wichtiges.

 
 

★★★★★

 

In Magnostadt starrte Kouen Ren seit geschlagenen fünf Minuten an die Stelle, an der sein Bruder verschwunden war. Er wusste, er hatte ihn am Morgen verärgert, aber das was er gerade tat, war lächerlich. Er konnte doch nicht einfach seine Männer und seine Geschwister nach Kou teleportieren und dann verschwinden, bevor er auch ihn heim gebracht hatte.

Er konnte ihn nicht einfach aussetzen!

Aber scheinbar konnte er doch.

Kouen presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Er fand das nicht witzig. Gar nicht witzig. Sein Bruder hatte alles mitgenommen, sogar sein Zelt und jetzt erwartete er scheinbar, dass er ganz alleine und zerknirscht heim reiste und das nur, weil er für eine kurze Zeit eine kleine Ablenkung genossen hatte.

Aber nicht mit ihm.

Sein Bruder hatte ihn ausgesetzt. Fein, dann würde er jetzt eben gehen und schauen ob König Sinbad Lust und Laune hatte, ihm die Zeit zu vertreiben, bis denen in Kou einfiel, dass sie ihn brauchten. Konnte ja so lange nicht dauern.

Und he, Sinbad hatte ein Zelt. Eines in dem es ihm eigentlich ganz gut gefiel.

Der weiße Stern

Sein Gast war glücklich, das konnte Ja'far an den leuchtenden Augen sehen, mit denen er sich auf die ihm angebotenen Tintenfischhäppchen gestürzt hatte. Vor einigen Jahren hätte er es vielleicht noch seltsam gefunden, dass Jemand einfach so aus dem Nichts auftauchte, ein Schläfchen auf seinen Papieren hielt und seine Häppchen fraß, aber inzwischen war er, was Seltsames betraf, ziemlich abgestumpft.

Immerhin schien er ungefährlich zu sein.

Mit einem Lächeln erinnerte er sich an den Blick mit dem der Andere seine tintenverschmierte Hand angestarrt hatte. Weltfremd, zumindest hatte es so ausgesehen und auch jetzt machte sein Gast einen ungewohnten Eindruck. Wäre er irgendwo in einem fremden Zimmer aufgetaucht, er hätte seinen Gastgeber mit Fragen gelöchert, sein Gast aber hatte, seit er von seinem Wirtschaftsbericht gestiegen war, nur eine einzige Frage gestellt:

Darf ich die probieren?“

Ja'far schüttelte angesichts dieser Prioritäten einmal mehr den Kopf. Scheinbar hatte er hier einen sehr müden, sehr hungrigen Gast, der ein Bad gebrauchen konnte und vielleicht auch Jemanden, der ihm das Haar mal ordentlich durchbürstete. Aber abgesehen davon war er eigentlich ganz …

Er weigerte sich das Wort zu denken und sah seinem Gast lieber weiter beim essen zu. Die Küche würde sich freuen, wenn er die Teller spiegelblank zurückschickte und mit Pech würde sie dafür sorgen, dass er die nächsten drei Wochen ständig Tintenfisch serviert bekam. Aber wenn es seinem Gast schmeckte, war es das wert. Und es schmeckte ihm definitiv, so wie er die Häppchen in sich hinein schaufelte.
 

Ein weiteres Stück verschwand zwischen seinen Lippen. Wieder schienen seine rosafarbenen Augen vor Freude zu strahlen, doch dieses Mal wandten sie sich nicht gleich wieder dem Teller zu. Eine Hand fuhr durch die lange, rote Haarmähne, eine Bewegung, die irgendwie dazuzugehören schien, auch wenn sie scheinbar keinen echten Nutzen hatte.

„Stören sie dich?“, entfuhr es Ja'far vielleicht eine Spur zu neugierig und da war er wieder, dieser hilflose, weltfremde Blick, der verriet, dass sein Gegenüber mit der Frage völlig überfordert war.

„Deine Haare“, versuchte er zu präzisieren, „Weißt du, ich könnte sie dir bürsten und sie neu nach hinten binden.“

Langsam legte der Andere den Kopf schief, schien darüber nachzudenken, dann fuhr er erneut mit der Hand durch die roten Strähnen, so als wollte er prüfen, ob das was er vorschlug auch wirklich nötig war.

„Wenn du magst.“
 

Es war ein seltsames Gefühl die Finger nicht durch das vertraute Haar seines Königs gleiten zu lassen. Aber scheinbar machte er seinen Job dennoch gut. Sein Gast hatte die Augen geschlossen und schien inzwischen jeden Bürstenstrich und jede Berührung zu genießen.

Ein wenig bereute Ja'far, dass er nicht versucht hatte, ihn zu einem Bad zu überreden. Irgendwie gefiel ihm die Idee seinen Schützling in Sinbads großes Becken zu setzen und von oben bis unten in teure Düfte zu hüllen. Aber seinem König hätte das nicht gefallen und seinem Gast möglicherweise auch nicht. Immerhin war es doch ein ziemlicher Unterschied, ob man Jemandem gestattete einem das Haar zu bürsten oder ob man sich vor ihm auszog.
 

„Warum hörst du auf?“

Ja'far zog überrascht die Augenbrauen nach oben und fing an, die Bürste wieder intensiver durch das rote Haar zu ziehen. Jeder Andere hätte angenommen, dass er schlicht fertig war.

„Besser so?“

Sein Gast gab einen Laut von sich, der wie eine Mischung aus Schnurren und Gähnen klang und „Ja“ sagte, noch bevor die Antwort wirklich über seine Lippen war. Es freute Ja'far, dass ihm das alles so gut gefiel. Nur eine Kleinigkeit, die beschäftigte ihn dann doch:

„Findest du es gar nicht seltsam, dass du dir von einem Wildfremden die Haare machen lässt?“

„Ich fände es seltsamer, würde ich sie einem Wildfremden machen“, konterte sein Schützling.

Da hatte man ihn wohl auf frischer Tat ertappt.

„Könntest du das überhaupt?“, neckte er probehalber und lauerte gespannt darauf, wie der Andere das aufnehmen würde. Er schien zu überlegen, ließ sich zwei lange Bürstenstriche dafür Zeit, dann erst erklang ein leises „Nein“.

Ja'far begann erneut zu lächeln. Ihm gefiel, was da auf seiner Arbeit gelandet war und mit jeder Antwort, jedem Bürstenstrich, jedem Blick wurde es besser.

„Ich bin Ja'far“, eröffnete er.

„Mei. Nenn mich Mei.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (7)

Von: Arcturus
2015-02-14T20:35:39+00:00 14.02.2015 21:35
Oh, das wird eine Lebensaufgabe.
*seufzt*
Und Sin wird es hassen. Wenn er jemals aus diesem Zelt kommt. Wenigstens vermisst ihn keiner. Noch nicht.
Von: Arcturus
2015-02-14T20:27:31+00:00 14.02.2015 21:27
*gacker*
Ich glaube, dieses Kapitel hatte ich noch nicht in den Fingern.

Mei ist herrlich. Vor allem herrlich dreist und das auf seine ganz eigene Art und Weise. Ich mag ihn. ♥
Und En -ups.
Von: Arcturus
2015-02-14T20:17:57+00:00 14.02.2015 21:17
Dreister Sin ist dreist. ♥
Nixi mag ihn.

Und Mei, immer noch.
Auch wenn er mir nur bedingt Leid tut. Dieses Elend hat er sich immerhin selbst eingebrockt.
Dürfte allerdings auch schwierig werden, ein Gesetz zu erlassen, an das sich die beiden hohen Tiere dann auch halten.
Von: Arcturus
2015-02-14T20:08:34+00:00 14.02.2015 21:08
Mei ♥

Du weißt ja bereits, dass ich dieses Kapitel mag, das und das Pairing und Mei.
generell gefällt mir, dass das Pairing hier zwischen den Zeilen bleibt und trotzdem deutlich herauskommt.
Von: abgemeldet
2014-12-11T19:02:38+00:00 11.12.2014 20:02
Okay. Interessant. Sehr. xD
Kouen und Sinbad haben zweifellos eine spannende Dynamik untereinander, sie sind schließlich die Obermotze des Mangas. Aber als Paar? Gut, nicht als Paar hier, sondern nur gemeinsam im Zelt. Nachts. Und dann tauchen merkwürdige Geräusche auf. Komischerweise kann ich mir das gut vorstellen. Ungezwungen und leidenschaftlich. Und tagsüber starren sie sich wieder böse an xD

Koumei ist auch ein kleines Highlight. Ich mag ihn sehr, wie du ihn schreibst.
Antwort von:  _Delacroix_
11.12.2014 23:52
Danke.^^
Und ja, ich mag das Pairing, auch wenn ich ursprünglich mal was mit Kougyoku schreiben wollte. Äh, das ist irgendwie ein bisschen schiefgegangen...
Von:  ChocolateChip
2014-12-10T12:55:41+00:00 10.12.2014 13:55
Also den ersten Teil finde ich irgendwie voll von Romantik! Und das hat mir sehr gut gefallen! in den Sternenhimmel blicken kann einfach nur romatisch sein! Hach ja...
der zweite Teil gefällt mir auch sehr gut obwohl ich von Magi kaum etwas nis nichts kenne ^^'
ich kann aber verstehen, dass Zelte fürchterlich sind wenn man seine Ruhe haben will xD und gewisse Aktivitäten möchte man wohl auch gerne überhören xD
Dein Schreibstil ist wundervoll und es hat im Grossen und Ganzen sehr viel Spass gemacht deine Geschichte zu lesen!

LG
Choco
Antwort von:  _Delacroix_
10.12.2014 15:33
Danke, ich freue mich das dir die Geschichte trotz mangelnder Fandomkenntnisse so gut gefallen hat^^
Von:  MissImpression
2014-12-09T21:29:07+00:00 09.12.2014 22:29
Hey :)

Also ich muss gestehen, dass ich kaum bis gar nichts von dieser Geschichte verstanden habe, weil ich Magi nicht kenne, allerdings finde ich deinen Erzählstil wirklich toll! Vor allem eine Umschreibung fand ich irgendwie klasse: "[...] und obwohl die Stimme leise war, war sie klar und warm wie eine Tasse grünen Tees." Das klingt schön :)

LG
Tanja
Antwort von:  _Delacroix_
09.12.2014 22:31
Das ist ein sehr liebes Kompliment, danke.^^


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