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Abandoned: Aus dem Leben eines Auftragskillers...

Extramaterial zur Hauptgeschichte...
von  Lyessa

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Morgengrauen

Kurze Erklärung vorneweg:
1. Dieses Bonuskapitel habe ich Jerra letztes Jahr zum Geburtstag geschrieben, deswegen habe ich es auch erst nicht hochgeladen. Es wird auch hoffentlich bald eine Farbversion des zugehörigen Bildes folgen ^^
2. Die hier auftretenden Charaktere gehören Jerra (Len und Tejo), TeMeL (Danny) und mir (Varis, Sajano, Bran). Es ist nicht unbedingt nötig, die anderen Charaktere zu kennen, auch wenn es vielleicht hilft. Aber hauptsächlich geht es dann doch um Varis (der mit besagten anderen Charakteren in eine WG zusammengesteckt wurde) :3

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Nur schemenhaft zeichneten sich die Umrisse des Zimmers im Dunkel der Nacht ab. Der eigentlich hell leuchtende Vollmond ging in dem wolkenverhangenen Himmel unter und so drang auch durch das offene Fenster nichts weiter als noch mehr Finsternis in den Raum. Der kalte Nachtwind zerrte an den Vorhängen, ließ sie flattern und untermalte sein Spiel mit dem Rauschen der Blätter im Garten. Sonst war außer regelmäßigen Atemzügen nichts weiter zu hören. Minuten verstrichen, in denen die Szene unverändert blieb. Dann bahnte sich das Mondlicht einen Weg durch ein Loch in der Wolkendecke und strömte durchs Fenster in den Raum, füllte ihn aus und ließ all die Dinge erkennen, die man zuvor nur hatte erahnen können. Es floss um eine Gestalt herum, die in absoluter Bewegungslosigkeit erstarrt in der Mitte des Zimmers stand. Die Gesichtszüge waren entspannt, die Augen geschlossen. Haarsträhnen klebten nass im Gesicht, als wäre der Besitzer in den Regen gekommen – doch der rote Schimmer, den das darüberstreifende Mondlicht hervorrief, ließ einen anderen Ursprung erahnen. Dunkle Spritzer zogen sich über Haut und Kleidung, vereinzelt rannen Tropfen hinab, sammelten und lösten sich, legten den restlichen Weg in freiem Fall zurück. Kaum wahrnehmbar war das leise Platschen, mit dem sie schließlich ihr Ziel erreichten und sich der dunklen Pfütze auf dem Boden hinzugesellten. Inmitten der sich immer noch langsam ausbreitenden schimmernden Lache war ein seltsam verkrümmter Körper erkennbar. Die Augen waren weit aufgerissen, der Mund zu einem inzwischen verstummten Schrei verzerrt.
Mit einem kurzen Zucken kehrte Bewegung in die stehende Gestalt zurück, die rechte Hand kam langsam nach oben, drehte nachdenklich das Messer, das sie hielt. Die inzwischen geöffneten Augen betrachteten es mit einem Ausdruck, der zwischen Erleichterung, Genugtuung und Erschöpfung pendelte. Schließlich öffneten sich die Finger, ließen das blutverschmierte Messer fallen. Es prallte mit dem Griff von der Schulter des reglosen Körpers ab und bohrte sich dann in dessen Unterarm.


Unangenehm schrill drang das Klingeln des Weckers durch die Stille und zerriss den Traum in sich auflösende Nebelfetzen. Blinzelnd richtete sich Varis im Bett auf und blickte sich um, erkannte in der Dunkelheit aber nichts weiter als die Leuchtziffern des nun wieder verstummten Weckers, die ihm mitteilten, dass es acht Uhr war. Einen Moment lang hielt er so inne, hing der Erinnerung seines Traumes nach. Noch immer konnte er das Blut riechen, fühlte es an seiner Haut hinabrinnen. Er spürte die klebrige Feuchte, die es nach und nach verlor als es langsam trocknete. Ruckartig schoss seine Hand zum Nachtkästchen und fand zielsicher den Schalter der kleinen Lampe. Geblendet blinzelnd wartete er ab, bis sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, dann blickte er an sich herab. Einen kurzen Seufzer ausstoßend schlug er die Decke zurück und erhob sich. Barfuß tapste er zum Fenster, zog die Vorhänge zurück und öffnete es. Nur mit seinen schwarzen Shorts bekleidet stützte Varis die Hände auf das Fensterbrett und beugte sich ein Stück nach draußen, genoss die kalte Morgenluft, die auf seiner Haut prickelte. Ein Windstoß riss an seinen Haaren, vollendete das Werk, das die Nacht begonnen hatte. Er empfand die Kälte als erfrischend, ein willkommener Gegensatz zu seinem Traum. All das warme Blut, das um ihn herum einen kleinen See bildete. Der Körper zu seinen Füßen, von dem immer noch die Hitze des verlorenen Überlebenskampfes ausging. Und dann diese Wogen, die seinen eigenen Körper durchzogen, die sein Blut zum Kochen anstachelten und rote Punkte vor seinen Augen blitzen ließen. Nun hingegen bot sich seinem Blick das beruhigende Blau des Himmels dar, das von einigen Wolken durchzogen wurde. Nach einer Weile lehnte Varis sich wieder zurück und ging zum Bett um die Lampe auszuschalten.
Warum träumte er so etwas? Warum jetzt? Immerhin lag das alles Ewigkeiten zurück!
Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende geführt, stockte er. Nein, das stimmte nicht. Es war noch gar nicht lange her, dass er diesen einen letzten Auftrag ausgeführt hatte. Wenig Zeit war verstrichen seitdem. Und doch – und doch war es Welten entfernt. Sich mit einer Hand durch die Haare fahrend steuerte er auf die Tür zu und öffnete sie. Kaum war er in den Gang getreten, wankte ihm schon die erste Gestalt entgegen.
„Morgen, Varis“, eine fröhliche Stimme, die ein wenig verschlafen wirkte – passend zum Besitzer. Zerstrubbelte hellbraune Haare, die den Kampf gegen die morgendliche Bürste gewonnen hatten und leichte Ringe unter den Augen.
„Morgen“ Er wollte seinen Weg gerade fortsetzen, als der neben ihm Stehende plötzlich nach Luft schnappte und Varis entsetzt anstarrte.
„Sag mal, bist du irre?“
Varis hob fragend die Augenbrauen und unterdrückte den Drang, seinem Gegenüber mit einem schnellen Schlag kurzerhand das Nasenbein zu brechen. Warum ließ man ihn nicht in Ruhe? Er wollte jetzt mit niemandem sprechen. Nicht nach diesem Traum. Und schon gar nicht wenn der Gesprächspartner Danny hieß.
„Du... du... Ist dir nicht kalt?“
„Nein. Sollte es?“
„Es ist Januar, Herrgott nochmal!“
Wieder hob Varis nur die Augenbrauen.
„Winter, du weißt schon. Kalt und so.“
„Und weiter?“
„Naja, du... äh...“, zögernd verklang seine Stimme, während er immer noch Varis unverändert anstarrte. „Dir ist wirklich nicht kalt?“
„Nein“
„Du verarschst mich doch!“
Ein leises Knurren drang aus Varis' Kehle, als seine morgendlich ohnehin nur in geringen Maßen vorhandene Geduld allmählich zur Neige ging. „Hast du niemand anderen, dem du auf die Nerven gehen kannst?“
„Oha! So früh am Morgen schon so mürrisch?“, erklang hinter Varis die nächste fröhliche Stimme, dieses Mal aber eine ausgeschlafene.
Varis entspannte sich ein wenig. Sajano merkte normalerweise schnell, wenn sein Gegenüber in Ruhe gelassen werden wollte. Langsam drehte er den Kopf in die Richtung des Neuankömmlings und blickte den dunkelblonden Mann ausdruckslos an. Dann zuckte er wortlos mit den Schultern.
„Schlecht geschlafen?“
Aber manchmal konnte Sajanos Direktheit geradezu entnervend punktgenau sein.
„Geht's dich was an?“, knurrte er und beobachtete, wie der Blondschopf lachend die Hände hob.
„Schon gut, ich kümmere mich dann mal ums Frühstück. Kommst du mit, Danny?“
Varis konnte genau beobachten, wie Dannys Gedanken rasten. Eigentlich drückte er sich vor der Küchenarbeit wo es nur ging, doch beim Anblick von Varis' nun grimmig erstarrter Miene folgte er Sajano hastig in Richtung Küche.
Innerlich erleichtert aufseufzend schritt Varis langsam den Gang entlang und blieb vor der Badtür stehen. Er wusste, dass er nicht so mit seinen Mitbewohnern umspringen sollte. Normalerweise fiel es ihm auch nicht schwer, sich zurückzuhalten. Doch nach diesem Traum – nach all diesen Erinnerungen, die damit einhergingen und nun aus den dunkelsten Winkeln seines Bewusstseins ins Licht zurück zukriechen drohten – musste er sich erst wieder sammeln.
Als er gerade die Hand nach der Klinke ausstreckte, öffnete sich die Tür.
„Morgen, Varis“ Endlich eine Stimme, die normal klang.
„Morgen“
„Alles in Ordnung bei dir?“ Normal, ja. Aber ein wenig zu besorgt.
„Klar“
„Du musst es wissen.“ Der Satz hing eine Weile zwischen ihnen im Raum, während sich die beiden Braunhaarigen gegenseitig musterten.
Varis hatte Mühe, ruhig zu bleiben. Hatten Sajanos Worte vorhin wirklich so ins Schwarze getroffen? Nun musste er feststellen, dass sie nichts im Vergleich zu Lens ruhigem Lächeln und dem dazugehörigen wissenden Blick waren.
„Kann ich jetzt ins Bad?“ Varis fühlte sich nicht in der Verfassung, irgendetwas zu erklären. Er wollte niemanden sehen, mit niemandem sprechen, wollte einfach seine Ruhe. Warum war er überhaupt aufgestanden?
„Natürlich.“ Mit unverändertem Lächeln machte Len ihm Platz und schritt dann durch den Gang zu seinem Zimmer. Auf halbem Weg drehte er sich nochmal um. „Übrigens hat Danny die Dusche repariert.“ Er machte eine kurze Pause und lachte leise. „Jetzt geht sie überhaupt nicht mehr.“
Varis nickte nur knapp und als er einen Augenblick später die Badtür hinter sich schloss, lehnte er sich mit einem leisen Aufseufzen dagegen. Einen Moment verharrte er so, dann stieß er sich ab und ging zum Waschbecken, einen kurzen Blick auf die verlockend wirkende Dusche werfend. Während er den Hahn aufdrehte, schnaubte er leise. Danny und etwas reparieren. Natürlich. Warum hatte ihn eigentlich niemand aufgehalten? Es wussten doch alle, dass man diesen Chaoten nicht in die Nähe von Werkzeug lassen sollte. Varis hielt einen Moment inne. Eigentlich sollte man keinen seiner Mitbewohner in die Nähe von Werkzeug lassen. Immerhin standen sie Danny in dieser Hinsicht in nichts nach. Den wenigsten von ihnen traute Varis zu, einen Hammer wenigstens richtig herum halten zu können.
Nachdenklich beobachtete er, wie sich das Wasser in seinen Händen sammelte. Wie war er eigentlich zu diesem Chaotenhaufen gestoßen? Warum hatte er sich das angetan? Er hatte doch von Anfang an geahnt, was ihn hier erwartete.
Aber wohin hätte er sonst gehen sollen?
Als das eiskalte Wasser über die Haut seines Gesichts rann, hatte er sich fast wieder im Griff. Trotzdem lagen die Erinnerungen weiterhin wie hungrige Raubtiere auf der Lauer, stets bereit, ihn in einem Augenblick der Unachtsamkeit anzufallen.
Erschrocken zuckte er zusammen, als ihn jemand durch lautes Klopfen an der Tür aus seinen Gedanken riss.
„Wer auch immer da drin ist, ich hab es wirklich eilig!“
Verärgert über sich selbst schloss er die Tür auf und öffnete sie so ruckartig, dass der draußen wartende Tejo völlig überrumpelt mitgerissen wurde und an Varis vorbei ins Bad stolperte.
„So eilig war's dann auch wieder nicht...“
Varis musterte kurz den Schwarzhaarigen, der sich gerade wieder aufrappelte.
„Aber danke. Ich beeil mich auch.“
Varis zuckte kurz mit den Schultern und ging zu seinem Zimmer zurück. Sich ein paar nass gewordene Haarsträhnen aus der Stirn streichend zog er seine Kleidung aus dem Schrank und warf sie aufs Bett. Dann fischte er noch nach seiner Unterwäsche und zog sich um.
Er war noch nicht ganz fertig, als es an die Tür klopfte.
„Varis?“, erklang Dannys Stimme. „Wir frühstücken jetzt. Also wenn du Hunger hast, solltest du dich beeilen, bevor nichts mehr da ist.“
Varis verzog genervt das Gesicht, streifte aber in aller Ruhe noch die zweite Socke über. Konnten sie ihm nicht endlich seine Ruhe lassen? Aber Ruhe war in dieser WG wirklich spärlich gesät, wie er schon nach wenigen Tagen hier festgestellt hatte – dafür trafen einfach zu viele Chaoten aufeinander.
Als er auf den Gang trat und die Tür hinter sich schloss, war Danny bereits zum Zimmer gegenüber weitergegangen. Ohne auch nur ans Klopfen zu denken streckte er eine Hand nach der Türklinke aus, was Varis überrascht zur Kenntnis nahm. Hatte Danny doch Angst vor ihm? Oder war er einfach rücksichtsvoller als Varis ihn bisher kennengelernt hatte?
Gerade als Danny die Klinke nach unten drückte und die Tür aufriss, erinnerte Varis sich daran, in welches Zimmer dieser Unglücksrabe da gerade unangemeldet stürmte. Im nächsten Augenblick hatte er Danny auch schon mit sich zu Boden gerissen.
„Scheiße, scheiße, scheiße!“, drang eine Stimme aus dem Zimmer. „Ist alles okay bei euch?“
Varis stand auf und strich seine Kleidung zurecht, während sein Blick auf das Messer, das sich tief in seine Tür gebohrt hatte, gerichtet war.
„Grgh“, kommentierte Danny, dessen Blick in dieselbe Richtung ging.
Varis zog das Messer heraus und reichte es seinem Besitzer, der verlegen grinsend herangetreten war.
„Sorry“, nuschelte der und schob das Messer ein. „Bist du okay, Danny?“
„Grgh?“
Varis ließ die beiden ohne weiteren Kommentar stehen und stapfte den Gang entlang, während er hinter sich Bran auf Danny einreden hörte.
„Was reißt du auch ohne Vorwarnung meine Tür auf? Man könnte glauben, ich hätte euch nicht oft genug darauf hingewiesen, dass das wenn's blöd läuft tödlich enden kann!“
„Grgh?“
Varis war froh um seine guten Reflexe, die in dieser WG auch wirklich von Nöten waren – wenn man mit solchen Chaoten zusammenwohnte musste man ständig auf Überraschungen gefasst sein. Er hatte ja auch kein Problem damit, sich an schnell verändernde Situationen anzupassen, immerhin hatte er allein durch seinen Beruf genug Erfahrung in solchen Dingen. Dennoch hätte ihn kein Training der Welt auf eine solche WG vorbereiten können. Ständig war etwas los, ständig kam jemand an und setzte auch den letzten verbliebenen ruhigen Momenten ein zumeist jähes Ende. Dabei war Varis einfach kein Mensch, der sich in Gesellschaft wohl fühlte. Er wusste ja auch selbst, dass er nicht sonderlich gut mit anderen Menschen umgehen konnte. Immerhin war er quasi dazu erzogen worden, sich alleine durchzubeißen, nur sich selbst zu vertrauen und Gesellschaft zu seinem eigenen Schutz zu meiden. Wie konnte man unter solchen Voraussetzungen in einer derartigen WG überleben?
Mit einem leisen Seufzen nahm Varis seinen Umhang von der Garderobe, streifte ihn über und öffnete die Wohnungstür.
„Kein Hunger?“
Varis hielt inne und warf einen Blick über die Schulter. Len lehnte in der Küchentür, die Arme verschränkt und der Blick durchdringender denn je.
„Nein“, versetzte er ihn kurz. Wollte ihn nun nicht mal Len in Ruhe lassen? Mit einem Ruck setzte Varis sich wieder in Bewegung und stapfte zur Tür hinaus. Gerade als er sie hinter sich schließen wollte schob sich Len in den Spalt.
„Keiner von uns hatte ein einfaches Leben“, begann er, Varis' genervten Blick ignorierend. „Also wenn du ein Problem hast, findest du hier sicher einen geeigneten Ansprechpartner.“
Mit einem kurzen, sanften Lächeln zog er endlich die Tür ins Schloss. Als wenige Sekunden später das Licht im Treppenhaus mit einem leisen Klicken ausging, stand Varis immer noch unverändert da und starrte in die Dunkelheit.
Langsam setzte er sich wieder in Bewegung und stieg die Stufen hinunter. Len hatte ja Recht, keiner der WG-Bewohner hatte es in seinem Leben sonderlich leicht gehabt. Aber kaum einer musste auf eine solche Vergangenheit zurückblicken wie Varis. Wie sollte er da mit jemandem von ihnen über seine Probleme sprechen? Wie sollte er da jemandem von ihnen erläutern, dass seine Vergangenheit ihn ständig einholte?
Aufatmend trat er hinaus in die kalte Winterluft und schloss genießerisch die Augen, als er die ersten leise knirschenden Schritte über den frischen Schnee setzte. Mit den Fingerkuppen seiner rechten Hand strich er über die noch unberührte weiße Masse, die sich auf den Zaun gelegt hatte und genoss das kalte Prickeln auf der Haut.
Warum sollte er überhaupt mit jemandem über seine Probleme sprechen? Lösen konnte sie ja doch niemand. Nein, er musste alleine damit fertig werden – wie immer.
Vielleicht war es besser, wenn er die WG verließ und wieder durchs Land zog wie zuvor...
Varis warf einen langen Blick auf das hinter ihm aufragende Gebäude, in dessen 2. Stock ihre Wohnung lag. Dann seufzte er leise.
Er hatte nie wirklich so etwas wie ein Zuhause besessen. Ständig unterwegs und von einem Auftrag zum nächsten pendelnd hatte er nie auch nur die Gelegenheit gehabt, sich irgendwo niederzulassen. Das einzig Vergleichbare waren die kurzen Besuche bei Kheros gewesen, aber das war auch längst vorbei.
Doch nun hatte er das, was ihm seit frühester Kindheit vorenthalten worden war. Und auch wenn er es niemals laut ausgesprochen hätte, mochte er seine Mitbewohner irgendwie. Sie hatten ihn einfach so aufgenommen, ihn ohne viel zu fragen akzeptiert – und das obwohl sie von seinem ungewöhnlichen beruflichen Werdegang wussten.
Varis ließ seinen Blick über die in Weiß gehüllte Landschaft schweifen. Neben ihm rieselte sachte etwas Schnee von einem überladenen Ast zu Boden und bildete ein kleines Häufchen.
Nein, er würde bleiben. Er hatte sich schon zu sehr an diesen Chaotenhaufen gewöhnt um ihm jetzt einfach so den Rücken kehren zu können – auch wenn sie ihm hin und wieder auf die Nerven gingen. Doch Len hatte wirklich Recht – keiner von ihnen wurde die Schatten seiner Vergangenheit los und ein jeder hatte wohl noch daran zu knabbern. Das war es wohl, was diese WG überhaupt zusammengebracht hatte.
Aufseufzend ging er zurück ins Haus und die Treppe wieder empor.
Da niemand gerne über die unangenehmen Dinge die hinter jedem lagen sprach, lenkten sie sich schließlich gegenseitig ab.
Als er die Wohnungstür aufschloss, konnte er bereits laute Stimmen aus der Küche hören.
Also wenn er irgendwo seine Vergangenheit einfach vergangen lassen sein konnte, so hier.
In aller Ruhe legte er seinen Umhang ab und hängte ihn zurück an die Garderobe, dann schritt er zur Küchentür und öffnete sie.
Wenn er irgendwo ein normales Leben führen konnte, so hier.
Gerade noch rechtzeitig duckte er sich unter dem roten Schemen weg, der ihm zusammen mit lautem Stimmengewirr entgegen flog. Noch während er den schmierigen Fleck betrachtete, den die Tomate im Flur hinterlassen hatte, hörte er in der plötzlichen Stille Dannys halb erschrocken, halb verlegen gestammeltes „'Tschuldigung“.
Varis' Blick wanderte von den Innereien des Geschosses zu den angespannt auf seine Reaktion wartenden Gesichtern.
Einen Moment schien diese Szene einzufrieren, als er den Mund öffnete und das Funkeln in seinen Augen der ganzen Atmosphäre etwas Bedrohliches verlieh.
Dann begann Varis zu lachen. Nur leise zwar, doch die erwartungsvolle Stille die es durchbrach ließ es umso stärker erscheinen.
Als er die erstaunten und überraschten Gesichtsausdrücke der am Tisch Sitzenden sah, verzog sich sein Mund zu einem amüsierten Lächeln.
„Hab ich was im Gesicht oder was starrt ihr so?“
Seine Mitbewohner tauschten verlegene Blicke aus, dann räusperte sich Danny.
„Außer einem Lächeln meinst du?“
„Was Danny meint“, fuhr Tejo fort, nachdem er dem neben ihm sitzenden Hausmeister den Ellbogen in die Seite gestoßen hatte. „ist... also... ich glaube, ich hab dich noch nie so – so fröhlich erlebt.“
„Nicht, dass wir was dagegen hätten, Varis“, warf Sajano ein. „Aber wenn du lächelst, siehst du echt beängstigend aus...“
Ein normales Leben? Nun, für einen ehemaligen Auftragskiller war es normal! Und außerdem gab es Schlimmeres, als mit Gemüse beworfen zu werden...


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